Sechstes Kapitel.
Ueber die Namen von Substanzen

[43] § 1. (Die gewöhnlichen Namen von Substanzen bezeichnen Arten.) Die gewöhnlichen Namen von Substanzen bezeichnen, wie die andern allgemeinen Worte, die Arten, was so viel heisst, als dass sie zu den Zeichen solcher zusammengesetzten Vorstellungen gemacht sind, in denen mehrere einzelne Substanzen übereinstimmen oder übereinstimmen könnten, und wodurch sie in einen gemeinsamen Begriff befasst und mit einem Worte bezeichnet werden können. Ich sage: »in denen sie übereinstimmen oder übereinstimmen könnten«; denn wenn auch nur eine Sonne besteht, so kann doch ihre Vorstellung so begrifflich gefasst werden, dass mehrere Substanzen (wenn es deren gäbe) darin übereinstimmten; sie ist deshalb ebenso gut eine Art, als wenn es so viel Sonnen wie Sterne gäbe. Man nimmt nicht ohne Grund an, dass es deren gebe, und dass jeder Fixstern der Vorstellung einer Sonne entsprechen würde, wenn er die entsprechende Entfernung hätte. Dies zeigt nebenbei, wie sehr die Arten oder die genera und species der Dinge (welche lateinischen Worte für mich nicht mehr wie die Art bedeuten) von den durch die Menschen gebadeten Sammelvorstellungen, und nicht von wirklichen natürlichen Dingen abhängen, denn es ist im richtigen Sinne sehr wohl möglich, dass dem Einen das eine Sonne ist, was für den Andern nur ein Stern ist.

§ 2. (Das Wesen jeder Art ist die begriffliche Vorstellung.) Das Maass und die Grenze jeder Art oder jeder species, wodurch sie diese besondere Art ist und von andern sich unterscheidet, ist das, was man ihr Wesen nennt, und dies ist nur die begriffliche Vorstellung, mit der ihr Name verknüpft ist. Deshalb ist alles in dieser Vorstellung Befasste dieser Art wesentlich. Wenn auch dies das Wesen bei allen natürlichen Substanzen, die man kennt, ist, und durch die man sie in Arten sondert, so nenne ich es doch mit einem besonderen Namen das Wort-Wesen, um es von der wirklichen[43] Verfassung der Substanzen zu unterscheiden, von der dieses Wort-Wesen und alle Eigenschaften dieser Art abhängen, und die deshalb, wie gesagt, das wirkliche Wesen heissen kann. So ist z.B. das Wort-Wesen des Goldes die zusammengesetzte Vorstellung, welche dieses Wort bezeichnet, und es könnte z.B. ein gelber Körper von einer bestimmten Schwere sein, der hämmerbar, schmelzbar und fest wäre. Dagegen ist das wirkliche Wesen des Goldes die Verfassung seiner nicht mehr wahrnehmbaren Theile, von denen diese und alle andern Eigenschaften des Goldes abhängen. Wenn auch beide das Wesen genannt werden, so liegt doch ihr Unterschied auf den ersten Blick zu Tage.

§ 3. (Das wirkliche und das Wort-Wesen sind verschieden.) Denn wenn die freiwillige Bewegung, Wahrnehmung und der Verstand in Verbindung mit einem Körper von bestimmter Gestalt die zusammengesetzte Vorstellung ist, mit der der Name Mensch verbunden wird, und welche das Wort-Wesen dieser Art ausmacht, so wird doch Niemand behaupten, dass diese Vorstellung das wahre Wesen und die Quelle all der Thätigkeiten und Vorgänge sei, die sich in einem Einzelnen dieser Art finden. Die Grundlage aller jener die zusammengesetzte Vorstellung bildenden Eigenschaften ist etwas ganz Anderes, und hätte man die Kenntniss von der Verfassung des Menschen, aus der sein Vermögen zur Bewegung, Wahrnehmung, zum Denken u.s.w. abfliessen und von denen seine Gestalt abhängt, welche Kenntniss vielleicht die Engel, jedenfalls aber sein Schöpfer besitzen, so würde man eine ganz andere Vorstellung von seinem Wesen haben, als es die jetzige Definition seiner Art bietet, und unsere Vorstellung von einem einzelnen Menschen würde ebenso verschieden von der jetzigen sein, als die Vorstellung Dessen, der alle Federn, Räder und andern Einrichtungen der berühmten Strassburger Thurmuhr kennt, von der Vorstellung des Bauers ist, der diese Uhr angafft, nur die Bewegung der Zeiger sieht, die Glocke schlagen hört und einige Aeusserlichkeiten an ihr bemerkt.

§ 4. (Dem Einzelnen ist nichts wesentlich.) Dieses Wesen bezieht sich nach dem gewöhnlichen Sinne des Wortes auf die Arten; bei den einzelnen Dingen kommt es nur in Betracht, sofern sie unter eine Art gebracht[44] werden, wie daraus erhellt, dass, wenn man die begrifflichen Vorstellungen bei Seite lässt, durch welche man die Einzelnen in Arten ordnet und unter gemeinsame Namen bringt, der Gedanke von etwas dem einzelnen Dinge Wesentlichen sofort verschwindet; man kann das Eine nicht ohne das Andere fassen, und dies zeigt deutlich ihre Beziehung. Ich muss so sein, wie ich bin, Gott und die Natur haben mich so gemacht; aber ich habe nichts an mir, was wesentlich wäre. Ein Unfall, eine Krankheit kann meine Farbe oder Gestalt ganz verändern; ein Sturz oder ein Fieber kann mir die Vernunft oder das Gedächtniss oder Beides nehmen, und ein Schlaganfall kann mir weder die Sinne, noch den Verstand, noch selbst das Leben lassen. Andere Geschöpfe meiner Gestalt können mehr und bessere, oder weniger und schlechtere Vermögen als ich haben, und Andere haben vielleicht Vernunft und Sinne in einem von dem meinigen an Gestalt ganz verschiedenen Körper. Keines von alledem ist dem Einen oder dem Andern, oder überhaupt irgend Einem wesentlich, so lange die Seele sie nicht auf eine Art oder species der Dinge bezieht. Bei der Prüfung der eigenen Gedanken zeigt sich, dass mit einem Wesentlichen, woran man denkt oder wovon man spricht, sofort die Beziehung auf eine Art oder die zusammengesetzte Vorstellung, die durch deren Namen bezeichnet wird, in die Seele tritt; nur in Beziehung auf diese heisst eine Eigenschaft wesentlich. Fragt man z.B., ob mir oder einem andern körperlichen Dinge der Besitz der Vernunft wesentlich sei, so sage ich: Nein; so wenig wie, es dem weissen Dinge, auf das ich schreibe, wesentlich ist, Worte an sich zu haben. Wird aber dieses einzelne Ding zu den Menschen gerechnet und so genannt, dann wird die Vernunft ihm wesentlich, da die Vernunft als ein Theil der Vorstellung gilt, welche Mensch heisst, und es wird ebenso dem Dinge, auf dem ich schreibe, wesentlich, Worte zu enthalten, wenn ich ihm den Namen Abhandlung gebe und es unter diese Art stelle. Deshalb beziehen sich das Wesentliche und Unwesentliche nur auf die begrifflichen Vorstellungen und deren Namen, und es wird damit nur gesagt, dass jedes einzelne Ding, was nicht die in dem Begriff enthaltenen Eigenschaften besitzt, nicht zu dieser Art gerechnet und nicht mit ihrem Namen[45] bezeichnet werden kann, weil diese begriffliche Vorstellung das wahre Wesen dieser Art ausmacht.

§ 5. Wenn z.B. die Vorstellung des Körpers nach Einigen nur die Ausdehnung oder der Raum ist, dann ist die Dichtheit dem Körper nicht wesentlich; wenn dagegen Andere die Vorstellung, welche sie Körper nennen, aus der Dichtheit und Ausdehnung bilden, so ist die Dichtheit ihm wesentlich. Also gilt nur allein das als wesentlich, was einen Theil der Vorstellung, die mit diesem Namen bezeichnet wird, ausmacht; kein einzelnes Ding kann ohne dem zu dieser Art gerechnet und danach benannt werden. Fände man ein Stück, das alle sonstigen Eigenschaften des Eisens hätte, aber von dem Magnet nicht angezogen würde und keine Richtung von ihm erhielte, würde man da wohl fragen, ob einem wirklich vorhandenen Dinge etwas Wesentliches fehle? Oder könnte man fragen, ob dieser Umstand einen wesentlichen oder eigenthümlichen Unterschied ausmache, da man doch keinen andern Maassstab als die begriffliche Vorstellung für das Wesentliche oder Eigenthümliche hat? Wenn man daher von eigenthümlichen Unterschieden in der Natur ohne Beziehung auf allgemeine Vorstellungen oder Namen spricht, so spricht man unverständlich. Denn ich möchte wohl Jemand fragen, was genüge, um einen wesentlichen Unterschied zwischen zwei Dingen in der Natur zu bilden, wenn man nicht eine begriffliche Vorstellung dabei berücksichtigt, welche als das Wesen und der Maassstab dieser Art gilt. Legt man alle diese Muster und Maassstäbe bei Seite, so werden die einzelnen Dinge an sich alle ihre Eigenschaften gleich wesentlich besitzen und jede Bestimmung in einer einzelnen Sache wird ihr wesentlich sein oder, was mehr ist, nichts überhaupt wird ihr wesentlich sein. Denn wenn man auch richtig fragen kann, ob die Anziehung durch den Magnet dem Eisen wesentlich sei, so ist doch die Frage unpassend und sinnlos, ob sie dem besonderen Stück Stoff, mit dem ich meine Feder schneide, wesentlich sei, ohne dass ich es als Eisen oder als ein Ding von einer besonderen Art nehme. Wenn also, wie gesagt, unsere begrifflichen Vorstellungen mit ihren Namen die Grenzen der Arten bilden, so ist nur das in diesen Vorstellungen Enthaltene wesentlich.[46]

§ 6. Ich habe allerdings oft von dem wirklichen Wesen so gesprochen, dass es bei den Substanzen von, den begrifflichen Vorstellungen, die ich das Wort-Wesen nenne, verschieden sei. Unter jenem meine ich die wirkliche Verfassung eines Dinges, welche die Grundlage der in ihm enthaltenen Eigenschaften ist, die mit dem Wort-Wesen immer zugleich bestehen, nicht jenes, wirkliche Wesen, das jedes Ding in sich hat, ohne Beziehung auf ein anderes. Aber selbst in diesem Sinne bezieht sich das Wesen auf eine Art und setzt eine species voraus; denn wenn es die wirkliche Verfassung ist, von der seine Eigenthümlichkeiten abhängen, so wird dabei nothwendig eine Art von Dingen vorausgesetzt, da Eigenthümlichkeiten nur der Art zukommen und nicht einzelnen Dingen. Wenn z.B. das Wort-Wesen des Goldes in einem Körper von einer bestimmten Farbe und Gewicht besteht, der hämmerbar und schmelzbar ist, so ist das wirkliche Wesen des Goldes die ganze Verfassung seiner stofflichen Theile, von der diese Eigenschaften und ihre Verbindung abhängen; es ist deshalb auch die Grundlage für seine Auflösbarkeit in Königs-Wasser und andere, diese zusammengesetzte Vorstellung begleitenden Eigenthümlichkeiten. Hierbei beruhen alle Wesenheiten und Eigenthümlichkeiten auf der Annahme einer Art oder einer allgemeinen begrifflichen Vorstellung, die als unveränderlich betrachtet wird; allein es giebt keinen einzelnen Stofftheil, mit dem eine dieser Eigenschaften so verknüpft ist, dass sie ihm wesentlich und untrennbar von ihm wäre. Das Wesentliche an ihm ruht auf der Bedingung, dass er zu dieser oder jener Art gehöre; lässt man aber diese Unterordnung unter einen bestimmten Begriff bei Seite, so ist ihm nichts Wesentlich, nichts untrennbar. Also wird in Wahrheit auch bei dem wirklichen Wesen der Substanzen dessen Dasein nur vorausgesetzt, ohne dass man weiss, was es ist, und das, was dasselbe mit einer Art verbindet, ist das Wort-Wesen; jenes ist nur die angenommene Grundlage und Ursache von diesem.

§ 7. (Das Wort-Wesen bestimmt die Art.) Es fragt sich also zunächst, welches von diesen Wesen die Art für die Substanzen bestimmt; hier ist klar, dass dies durch das Wort-Wesen geschieht. Denn der Name, das Zeichen der Art, bezeichnet nur das Wort-Wesen.[47] Deshalb kann keine sachliche Bestimmung über die Art der Dinge entscheiden, die nach allgemeinen Namen geordnet werden, sondern nur die begriffliche Vorstellung, für welche der Name das Zeichen ist, und diese ist das, was man das Wort-Wesen nennt. Weshalb nennt min dies Ding ein Pferd, jenes einen Maulesel? Dieses ein Thier, jenes eine Pflanze? Kommt wohl ein einzelnes Ding unter diese oder jene Art durch etwas Anderes, als durch sein Wort-Wesen, oder, was dasselbe ist, durch seine Uebereinstimmung mit der begrifflichen Vorstellung dieses Namens? Jeder möge nur seine Gedanken prüfen, wenn er von diesen oder jenen Namen der Substanzen sprechen hört oder spricht, um zu wissen, welche Art von Wesen sie bezeichnen.

§ 8. Dass die Arten der Dinge für uns nur ihre Einordnung unter bestimmte Namen, je nach den zusammengesetzten Vorstellungen, und nicht nach ihrem bestimmten wirklichen Wesen bedeuten, erhellt daraus, dass viele Einzelne, die zu einer Art von besonderem Namen gerechnet werden und deshalb als von derselben Art gelten, doch Eigenschaften, die von ihrer wirklichen Verfassung abhängen, haben, durch welche sie sich ebenso stark von einander wie von andern Dingen unterscheiden, von denen sie der Art nach unterschieden gelten. Jeder, der mit natürlichen Körpern zu thun hat, kann dies leicht bemerken; namentlich sind Chemiker durch eine dunkle Erfahrung davon überzeugt, wenn sie mitunter vergeblich bei einem Stück Schwefel, Antimon oder Vitriol nach denselben Eigenschaften suchen, die sie bei andern Stücken bemerkt haben; denn trotzdem, das sie Körper einer Art sind und dasselbe Wort-Wesen mit demselben Namen haben, so zeigen sie doch bei genauer Untersuchung oft so verschiedene Eigenschaften, dass sie die Erwartung und Arbeit der sorgfältigsten Chemiker zunichte machen. Wären die Dinge nach ihrem wirklichen Wesen in Arten unterschieden, so wäre es unmöglich, in zwei Stücken derselben Art verschiedene Eigenthümlichkeiten zu finden, ebenso wie es unmöglich ist, in zwei Kreisen oder gleichseitigen Dreiecken verschiedene Eigenthümlichkeiten anzutreffen. Uns gilt das als das Wesen, was die Einzelnen, einer bestimmten Art, oder, was dasselbe ist, einem allgemeinen Namen[48] zuweist, und was könnte dies Anderes sein, als jene begriffliche, mit diesem Namen bezeichnete Vorstellung? Deshalb bezieht sich in Wahrheit das Wesen nicht sowohl auf das Sein einzelner Dinge, als auf ihre allgemeinen Benennungen.

§ 9. (Nicht das wirkliche Wesen, was man nicht kennt.) Auch kann man in Wahrheit die Dinge nicht nach ihrem wirklichen Wesen ordnen und also (was der Zweck des Ordnens ist) auch nicht danach benennen, denn man kennt es nicht. Unsere Vermögen bringen uns in der Kenntniss und Unterscheidung der Substanzen nur bis zur Zusammenfassung der an ihnen wahrgenommenen sinnlichen Eigenschaften, und wenn hierbei auch die grösste Sorgfalt und Genauigkeit angewandt wird, so bleibt diese doch von der wahren inneren Verfassung, aus der diese Eigenschaften abfliessen, entfernter, als die besagte Vorstellung jenes Bauers von der Strassburger Thurmuhr, von der er nur die äussere Gestalt und Bewegung gesehen hatte. Selbst die verächtlichste Pflanze oder ein solches Thier bringt den grössten Verstand in Verwirrung. Der tägliche Verkehr mit ihnen hebt zwar unsere Verwunderung auf, aber heilt nicht unsere Unwissenheit. Sobald man den Stein, auf den man tritt, oder das Eisen, das man täglich in Händen hat, prüft, sieht man sofort, dass man ihre Verfassung nicht kennt und die an ihnen bemerkten Eigenschaften nicht erklären kann. Es erhellt, dass die innere Verfassung, von der diese Eigenthümlichkeiten abhängen, uns unbekannt ist um nicht über die gröbsten und augenfälligsten Beispiele hinauszugehen, frage ich: was ist das Gewebe das wirkliche Wesen, welches Blei und Antimon schmelzbar und Holz und Stein nicht schmelzbar macht? Was macht Blei und Eisen hämmerbar, Antimon und Steine nicht? Und doch sind diese Unterschiede unendlich gröber als jene feinen Einrichtungen und das unbegreifliche wirkliche Wesen von Pflanzen und Thieren. Die Wirksamkeit des allweisen und allmächtigen Gottes in dem grossen Bau des Weltalls und aller seiner Theile übersteigt das Vermögen und Begreifen des scharfsinnigsten und geistvollsten Mannes mehr, als die beste Einrichtung des geistvollsten Mannes die Begriffe der unwissendsten Wesen übertrifft. Es ist deshalb vergeblich, die Dinge nach deren wirklichem[49] Wesen in Arten ordnen und in gewisse Klassen mit Namen vertheilen zu wollen; jenes Wesen können wir nicht entdecken noch erfassen. Ebenso gut kann ein Blinder die Dinge nach den Farben ordnen, und der, welcher den Geruch eingebüsst hat, die Lilien von der Rose durch den Geruch, wie nach den unbekannten inneren Verfassungen derselben unterscheiden. Wer da meint, die Schafe und Ziegen nach deren, wirklichem Wesen, was er nicht kennt, unterscheiden zu können, mag seine Geschicklichkeit an den Arten versuchen, die man Cassiowary und Querechinchio nennt, und durch ihr inneres wirkliches Wesen die Grenzen beider Arten bestimmen, obgleich ihm die zusammengesetzte Vorstellung der sinnlichen Eigenschaften fehlt, welche diese Worte in den Ländern bezeichnen, wo diese Thiere angetroffen werden.

§ 10. (Ebensowenig die substantiellen Formen, die man noch weniger kennt.) Diejenigen, denen man gelehrt hatte, dass die verschiedenen Arten der Substanzen ihre bestimmten innerlichen substantiellen Formen hätten, und dass in diesen Formen die Unterscheidung in ihre wahren Arten und Gattungen enthalten sei, wurden noch mehr irre geführt, denn sie suchten nun vergeblich nach diesen ganz unfassbaren substantiellen Formen, von denen man nur eine ganz dunkle und verworrene allgemeine Vorstellung hat.

§ 11. (Dass die Arten nach ihrem Wort-Wesen unterschieden werden, ergiebt sich weiter aus den Geistern.) Dass die Unterscheidung und Ordnung der natürlichen Substanzen in Arten auf ihrem von der Seele gebildeten Wort-Wesen, und nicht auf dem in ihnen enthaltenen wirklichen Wesen beruht, ergiebt sich auch noch aus unsern Vorstellungen über Geister. Denn die Seele gewinnt nur durch Selbstwahrnehmung ihrer eigenen Thätigkeiten jene einfachen Vorstellungen, welche sie den Geistern zutheilt; sie hat keinen andern Begriff von Geistern und kann keinen andern haben, als dass sie alle diese Thätigkeiten, die sie in sich selbst bemerkt, einer Art Wesen zutheilt, ohne dabei auf den Stoff Rücksicht zu nehmen. Selbst die höchste Vorstellung von Gott enthält nur jene einfachen, durch Selbstwahrnehmung in aus selbst gefundenen Bestimmungen, die man Gott zutheilt,[50] weil sie in sich mehr Vollkommenheit enthalten, als ohne sie vorhanden sein würde, indem man nämlich diese einfachen Bestimmungen ihm in grenzenlosem Maasse zutheilt. So findet man durch Selbstbeobachtung in sich die Vorstellung des Daseins, des Wissens, der Macht, der Lust, und dass es besser ist, eine jede derselben zu haben als zu entbehren. Indem man alle verbindet und jeder die Unendlichkeit zutheilt, wird damit die zusammengesetzte Vorstellung eines ewigen, allwissenden, allmächtigsten, allweisen und seligsten Wesens gewonnen. Es wird uns zwar gelehrt, dass es verschiedene Arten von Engeln giebt, allein wir wissen nicht, wie wir die bestimmten Vorstellungen dieser Arten bilden sollen; nicht weil das Dasein dieser verschiedenen Arten unmöglich ist, sondern weil wir keine weiteren einfachen Vorstellungen haben (und solche auch nicht machen können), die auf solche Wesen anwendbar sind, als die wenigen, die wir von uns selbst und unsern geistigen Thätigkeiten entlehnt haben, und die sich auf die Lust und die Bewegung der Glieder beziehen. Deshalb kann man nur mittelst Beilegung dieser unserer Thätigkeiten und Vermögen, in höherem und niederem Grade an dieselben die Begriffe verschiedener Geister bilden, und deshalb haben wir keine bestimmten unterschiedenen Vorstellungen von Geistern, Gott ausgenommen, dem man sowohl die Dauer wie all jene andern Bestimmungen in unendlichem Maasse zutheilt, während sie den Geistern nur beschränkt gegeben werden. Deshalb unterscheidet man, wie ich bescheidentlich annehme, sie von Gott nicht durch die Zahl der beiden beigelegten einfachen Eigenschaften, sondern nur durch deren unendliches Maass. Alle jene besonderen Vorstellungen von Dasein, Wissen, Wollen, Macht, Bewegung u.s.w. sind den Thätigkeiten der Seele entlehnt; man theilt sie allen Arten der Geister, aber in unterschiedenem Grade mit, und zwar in dem äussersten fassbaren, ja unendlichen Grade, wenn man die Vorstellung des ersten Wesens so gut als möglich bilden will. Allein trotzdem steht dieses Wesen in der wirklichen Vollkommenheit seiner Natur selbst von den höchsten und vollkommensten aller geschaffenen Wesen noch weiter ab, als der grösste Mann, ja als der reinste Seraph von dem verächtlichsten Stück des Stoffes absteht; deshalb muss[51] er auch in unendlicher Weise unsern beschränkten Verstandesbegriff von ihm übertreffen.

§ 12. (Wahrscheinlich giebt es zahllose Arten von Geistern.) Es ist nicht unmöglich, noch unvernünftig, dass es viele Arten von Geistern giebt, die sich durch bestimmte Eigenthümlichkeiten, von denen man keine Vorstellung hat, ebenso unterscheiden, wie die Arten der sinnlichen Dinge durch die uns bekannten und an ihnen bemerkten Eigenschaften sich unterscheiden. Ich halte es für wahrscheinlich, dass es mehr Arten verständiger Wesen über uns, als sinnlicher und körperlicher Dinge unter uns giebt, weil man in der sichtbaren körperlichen Welt keinen Sprung und keine Kluft antrifft. Das Absteigen nach unten vom Menschen ab geschieht nur in kleinen Stufen und in einer fortlaufenden Reihe der Dinge, von denen die nächsten sich wenig unterscheiden. Es giebt Fische mit Flügeln, die keine Fremdlinge in der Luft sind, und es giebt Vögel, die das Wasser bewohnen und deren Blut so kalt und deren Fleisch so dem der Fische gleich ist, dass selbst die gewissenhaftesten Christen sie an Fasttagen essen. Sie sind den Vögeln und Fischen so nahe, dass sie zwischen beiden stehen; ebenso verketten die Amphibien die Land- und Wasserthiere; Seehunde leben auf dem Lande und im Meere, und Schildkröten haben das warme Blut und die Eingeweide vom Schwein, ohne der Seejungfern und Meermännchen zu gedenken, von denen man sich im Vertrauen erzählt. Manche Thiere scheinen so viel Wissen und Verstand zu haben, wie manche, die Menschen heissen, und das Pflanzen- und Thierreich sind so eng verknüpft, dass zwischen dem höchsten aus jenem und dem niedersten das diesem kaum ein Unterschied bestehen wird. Dies gilt bis zu den untersten unorganischen Stoffen; überall sind die verschie denen Arten verkettet und nur in geringem Grade verschieden. Berücksichtigt man daher die Allmacht und Weisheit des Schöpfers, so kann man wohl mit Recht annehmen, dass es der grossen Harmonie des Weltalls, den hohen Absichten und der unendlichen Güte des Baumeisters entspricht, wenn die Arten der Geschöpfe auch nach aufwärts von uns allmählich zur unendlichen Vollkommenheit so aufsteigen, wie dies bereits der Fall ist. Deshalb ist es wahrscheinlich, dass[52] es viel mehr Arten von Wesen über, wie unter uns giebt, da wir selbst von dem unendlichen Wesen Gottes weiter abstehen, als von der niedrigsten Art der Dinge, welche Nichts am nächsten kommt. Trotzdem haben wir von all diesen höheren Arten, wie gesagt, keine klare und deutliche Vorstellung.

§ 13. (Das Wort-Wesen der Art wird am Wasser und Eise dargelegt.) Ich kehre indess zu den körperlichen Substanzen zurück. Auf die Frage, ob Eis und Wasser zwei verschiedene Arten der Dinge seien, wird man sicherlich mit Ja antworten, und man kann nicht bestreiten, dass der Antwortende Recht hat. Wenn Aber ein in Jamaika erzogener Engländer, der Eis vielleicht nie gesehen, noch davon gehört hat, im Winter nach England käme, und er das Wasser in seinem Waschbecken des Morgens zum grossen Theil gefroren fände und dessen besonderen Namen nicht kennte und es hartes Wasser nennte, so frage ich, ob er es wohl für eine besondere, vom Wasser verschiedene Art halten würde? Hier wird man sicher Nein antworten; es gut ihm so Wenig für eine neue Art, wie die durch die Kälte geronnene Brühe im Gegensatz zu der warmen und flüssigen Brühe, und wie das flüssige Gold im Ofen für eine neue Art gegen das harte Gold in den Händen des Arbeiters. Ist dies richtig, so sind unsere verschiedenen Arten nur verschieden zusammengesetzte Vorstellungen mit besonderen Namen. Allerdings hat jedes bestehende Ding seine besondere Verfassung, von der seine sinnlichen Eigenschaften und Kräfte abhängen, allein wenn man die Dinge in Arten ordnet, d.h. sie unter besondere Titel bringt, so geschieht es nur nach den Vorstellungen, die man von ihnen hat. Es genügt dies, um sie nach Namen zu unterscheiden, damit man über sie sprechen kann, auch wenn sie nicht zur Hand sind; allein wenn man meint, es beruhe dies auf ihrer wahren inneren Verfassung, und dass die bestehenden Dinge von Natur in Arten durch ihr wirkliches Wesen so gesondert seien, wie man sie nach Arten und Namen sondert, so giebt dies zu grossen Irrthümern Anlass.

§ 14. (Die Bedenken gegen eine bestimmte Anzahl von wirklichen Wesenheiten.) Sollen Substanzen, wie man gewöhnlich meint, sich in Arten sondern,[53] weil bestimmte Wesenheiten oder Formen derselben bestehen, durch welche alle Dinge von Natur in Arten gesondert sind, so ist Folgendes nöthig:

§ 15. Erstens muss man sicher sein, dass die Natur bei Hervorbringung der Dinge immer will, dass sie an bestimmten festgestellten Wesenheiten theilnehmen, welche für alle einzelnen die Muster abgeben. In diesem groben Sinne, wie man diesen Satz gewöhnlich aufstellt, bedarf er jedoch der Erläuterung, ehe man ihm zustimmen kann.

§ 16. Zweitens müsste man wissen, ob die Natur immer die Wesenheit erreicht, die sie bei der Hervorbringung der Dinge im Sinne hat. Die an regelmässigen und ungeheuerlichen Geburten, welche bei verschiedenen Thierarten vorgekommen sind, lassen eins oder beides bezweifeln.

§ 17. Drittens muss entschieden werden, ob die sogenannten Ungeheuer eine wirkliche besondere Art nach dem scholastischen Begriff des Wortes species bilden; denn unzweifelhaft hat jedes vorhandene einzelne Ding seine besondere Verfassung, und dennoch haben manche dieser Missgeburten wenige oder gar keine von den Eigenschaften, welche aus dem Wesen dieser Art hervorgehen sollen, aus dem die Urbilder abgeleitet werden und zu welchem sie nach ihrer Abstammung zu gehören scheinen.

§ 18. (Das Wort-Wesen der Substanzen ist keine vollständige Zusamenfassnng der Eigenthümlichkeiten.) Viertens müsste das wirkliche Wesen der Dinge, die man nach Arten sondert und so verschieden benennt, bekannt sein, d.h. man müsste eine Vorstellung von demselben haben. Allein da man diese vier Punkte nicht kennt, so hält das angebliche wirkliche Wesen der Dinge für die Sonderung der Substanzen in Arten nicht Stand.

§ 19. Fünftens wäre die einzige Hülfe hiergegen, dass man vollständige zusammengesetzte Vorstellungen von den Eigenschaften der Dinge hätte, die man dann zur Sonderung derselben nach Arten benutzen könnte. Aber keines von Beiden ist ausführbar, denn da man das wirkliche Wesen nicht kennt, so kann man auch nicht sämmtliche daraus abfliessenden Eigenschaften kennen, die mit demselben so verknüpft sind, dass, wenn eine fehlt, man sicher annehmen kann, das Wesen sei[54] hier nicht vorhanden, und das Ding gehöre daher nicht in dieser Art. Man kann niemals die bestimmte Zahl der von dem wirklichen Wesen des Goldes abhängenden Eigenschaften so genau kennen, dass, wenn eine davon fehlt, das wirkliche Wesen des Goldes, und also auch das Gold selbst, dann nicht da wäre; nur wenn man das wirkliche Wesen des Goldes kennte und danach die Art bestimmte, würde dies möglich sein. Unter Gold verstehe ich ein Stück davon, z.B. die letzte gemünzte Goldmünze. Denn sollte darunter nur, wie gewöhnlich, die Vorstellung verstanden werden, die man Gold nennt, also das Wort-Wesen desselben, so wäre dies ein verworrenes Gerede. So schwer fällt es, den verschiedenen Sinn und die Unvollkommenheiten der Worte darzulegen, wenn es nur mit Worten geschehen kann.

§ 20. Aus alledem erhellt, dass die Unterscheidung der Substanzen nach Arten sich nicht auf ihr wirkliches Wesen gründet, und dass man nicht vermag, sie in solche Arten zu ordnen, welche ihren inneren wesentlichen Unterschieden genau entsprechen.

§ 21. (Sondern nur eine solche Zusammenfassung, wie sie der Name bezeichnet.) Da man indess allgemeiner Worte bedarf, obgleich man das wirkliche Wesen der Dinge nicht kennt, so bleibt nur übrig, eine solche Anzahl einfacher Vorstellungen zu verbinden, wie sie in bestehenden Dingen sich vereinigt finden, und daraus eine zusammengesetzte Vorstellung zu bilden. Wenn sie auch nicht das wirkliche Wesen einer bestehenden Substanz ist, so bildet sie doch das besondere Wesen, zu welchem der Name gehört und das sie vertreten kann. Dadurch kann man wenigstens die Wahrheit dieser Wort-Wesenheiten prüfen. So, setzen z.B. Manche das Wesen des Körpers in die Ausdehnung; ist dies der Fall, so kann man niemals irrthümlich das Wesen eines Dinges für dieses selbst nehmen. Gebraucht man daher beim Sprechen die Ausdehnung für den Körper, und sagt man statt: der Körper bewegt sich, die Ausdehnung bewegt sich, so würde sich dies schlecht ausnehmen. Wer da sagte, dass eine Ausdehnung durch Stoss eine andere Ausdehnung bewege, würde durch seine blossen Worte genügend zeigen, wie verkehrt ein solcher Begriff ist. Das Wesen eines Dinges bezüglich unserer ist die ganze zusammengefasste[55] Vorstellung, die unter ihrem Namen befasst und bezeichnet wird; bei Substanzen bildet neben den einzelnen zu ihr gebärenden einfachen Vorstellungen auch die verworrene Vorstellung der Substanz selbst, jenes unbekannten Trägers und jener Ursache der Verbindung, immer einen Theil. Deshalb ist das Wesen des Körpers nicht die blosse Ausdehnung, sondern ein ausgedehntes dichtes Ding, und deshalb ist es ebenso verständlich zu sagen: Ein ausgedehntes dichtes Ding bewegt sich oder stösst ein anderes, als zu sagen: ein Körper bewegt sich oder stösst. Ebenso ist es dasselbe, ob man sagt: ein vernünftiges Geschöpf ist der Unterscheidung fähig, oder ein Mensch ist es. Niemand dagegen wild sagen, dass die Vernünftigkeit der Unterhaltung fähig sei, da sie nicht das ganze Wesen dessen ausmacht, was man Mensch nennt.

§ 22. (Die begrifflichen Vorstellungen sind für uns der Maassstab der Arten, ein Beispiel ist der Mensch.) Es giebt Geschöpfe auf der Erde, deren Gestalt der unsrigen ähnelt, die aber behaart sind und der Sprache und Vernunft ermangeln. Es giebt auch Geschöpfe unter den Menschen, die genau unsere Gestalt haben, aber der Vernunft, und Einzelne, die auch der Sprache ermangeln. Es soll auch Geschöpfe geben (»der Erzähler mag es vertreten«, obgleich kein Widerspruch dann liegt), die mit Sprache und Verstand und einer uns gleichenden Gestalt begabt sind, aber behaarte Schwänze haben, und wieder Andere, wo nicht die Männer, sondern die Frauen Bärte haben. Fragt man nun, ob alle diese Menschen seien und alle zur Menschengattung gehören, so bezieht sich diese Frage offenbar nur auf das Wort-Wesen; denn von jenen Geschöpfen sind nur diejenigen Menschen, die mit der Definition des Wortes Mensch, oder mit der zusammengesetzten Vorstellung dieses Namens übereinstimmen, die andern sind es nicht. Geht aber die Frage auf das angebliche wirkliche Wesen, und ob die innere Verfassung und Gestalt dieser verschiedenen Geschöpfe wesentlich verschieden seien, so kann darauf keine Antwort ertheilt werden, da Nichts davon in unserer Art-Vorstellung enthalten ist; man kann höchstens annehmen, dass, wo die Vermögen und die äussere Gestalt so verschieden sind, auch die innere Verfassung nicht[56] genau dieselbe sein könne. Welcher Unterschied, in der inneren wirklichen Verfassung aber einen Art-Unterschied herbeiführt, kann man nicht ermitteln, da für uns der Maassstab für die Arten, wie sie sind, mir die begrifflichen Vorstellungen sind, die man kennt, und nicht die innere Verfassung, die keinen Theil dieser Vorstellung ausmacht. Soll z.B. der blosse Unterschied, dass die Haut behaart ist, das Zeichen einer verschiedenen inneren Verfassung zwischen einem Wechselbalg und einem Pavian sein, wenn sie sonst in Gestalt übereinkommen und Beiden die Sprache und die Vernunft fehlt? Und soll der Mangel der Vernunft und Sprache nicht als ein Zeichen gelten, dass ein Wechselbalg und ein verständiger Mensch von verschiedener innerer Verfassung und Art sind. Dasselbe gilt für alles Andere, wenn man meint, dass der Unterschied der Arten aus der wirklichen Form und der geheimen Verfassung der Dinge bestimmt werde und hervorgehe.

§ 23. (Die Art kann nicht durch die Fortpflanzung definirt werden.) Auch kann man nicht behaupten, dass die Fähigkeit der Fortpflanzung bei den Thieren durch Begattung des Männchens und Weibchens, und bei Pflanzen durch den Samen die angebliche wirkliche Art bestimme und vollständig enthalte. Selbst wenn es wahr wäre, so kommt man damit für die Untersuchung der Arten der Dinge nicht weiter, als bis zu dem Gegensatz von Thieren und Pflanzen. Was soll aber bei diesen geschehen? Aber der Satz ist nicht, einmal für jene hinreichend, denn wenn die Geschichte nicht logt, so sind Weiber von Pavianen geschwängert worden, und es tritt dann die neue Frage auf, zu welcher Art ein solches Geschöpf gehöre. Dass dergleichen nicht unmöglich ist, beweisen die vielen Maulthiere und Jumarts, von denen jene die Frucht eines Esels und einer Stute, und diese die Frucht eines Stiers und einer Stute sind. Ich selbst habe ein Geschöpf gesehen, das von einer Katze und Ratte erzeugt war und die deutlichen Zeichen von Beiden an sich trug, so dass die Natur dem Muster keines allein gefolgt, sondern beide vermengt hatte. Nimmt man noch die häufigen Missgeburten hinzu, so dürfte es selbst bei den Thieren schwer fallen, durch die Abstammung die Art derselben bestimmen zu wollen und das wirkliche[57] Wesen anzugeben, was durch die Fortpflanzung hier übergeführt sei und allein zu dem Namen berechtigt sein soll. Könnte übrigens der Unterschied der Thiere und Pflanzen nur hiernach erkannt werden, so müsste man nach Indien reisen, um zu wissen, ob dies ein Tiger und dies Thee sei, und dort den Vater und die Mutter von jenem und die Pflanze, von welcher der Samen zu diesem gesammelt war, aufsuchen.

§ 24. (Auch nicht durch substantielle Formen.) Also erhellt, dass nur die sinnlichen Eigenschaften, welche der Mensch verbindet, das Wesen der Arten der Substanzen bilden, und dass ihr wahrer innerer Bau bei ihrer Eintheilung in der Regel nicht beachtet wird. Noch weniger denkt man dabei an substantielle Formen; nur die, welche auf diesem Welttheil die Sprache der Schulen gelernt haben, machen eine Ausnahme; allein trotzdem können die Unstudirten, die sich keines Einblicks in das wahre Wesen rühmen und sich mit substantiellen Formen nicht plagen, sondern sich begnügen, die Dinge nach ihren sinnlichen Eigenschaften zu kennen, die Dinge besser unterscheiden und besser wissen, was man von jedem zu erwarten hat, als jene gelehrten, kurzsichtigen Männer, die so tief in die Dinge schauen und so zuverlässig von ihrem verborgenen Wesen schwätzen..

§ 25. (Die Art-Unterschiede sind Bildungen der Seele.) Selbst wenn das wirkliche Wesen bei genauerer Erforschung zu entdecken wäre, so würde doch die Eintheilung der Dinge in Arten nicht danach, sondern nur nach ihrer äusseren Erscheinung bestimmt werden, weil die Sprachen längst fertig waren, als die Wissenschaften entstanden. Deshalb sind die allgemeinen Namen, die bei den Völkern gebräuchlich sind, nicht von den Philosophen oder Logikern, oder von Solchen gemacht worden, die sich mit Formen und Wesen geplagt haben; vielmehr haben diese mehr oder weniger umfassenden Ausdrücke in allen Sprachen ihre Bildung und ihre Bedeutung von unwissenden und ungelehrten Leuten empfangen, die die Dinge nach den an ihnen bemerkten sinnlichen Eigenschaften unterschieden und benannten, um dadurch dieselben, auch wenn sie nicht da waren, Andern bezeichnen zu können.[58]

§ 26. (Deshalb sind sie sehr veränderlich und unsicher.) Wenn also die Dinge nicht nach ihrem währen, sondern nur nach ihrem Wort-Wesen geordnet und benannt werden, so fragt es sich zunächst, wie und von wem dieses Wesen gemacht wird? Das Wort-Wesen offenbar von der Seele und nicht von der Natur, denn sonst könnte es nicht so verschieden und wechselnd sein, als mehrere Personen es auffassen. Nicht von einer einzigen Art wird sich bei mehreren Menschen das Wort-Wesen als gleich ergeben, wenn man der Sache näher tritt, selbst nicht bei der Art, mit der man am genauesten bekannt ist. Die begriffliche Vorstellung, der man einen Namen gab, könnte bei mehreren Menschen nicht verschieden sein, wenn die Natur sie bestimmte, dann hätte der Eine sie nicht als »ein vernünftiges Thier« und der Andere als »ein federloses, zweifüssiges Thier mit breiten Nägeln« bezeichnen können. Wenn der Eine den Namen Mensch mit einer Vorstellung verbindet, die aus der Wahrnehmung und körperlichen Bewegung, verbunden mit einem so gestalteten Körper, gebildet ist, so hat er damit eine Wesenheit der Art Mensch, und wenn ein Anderer, in Folge weiterer Prüfung, die Vernünftigkeit hinzufügt, so hat er eine andere Wesenheit der Art, die er Mensch nennt, und so kann dieselbe Person für jenen ein wahrer Mensch sein und für diesen nicht. Schwerlich wird man die so gut gekannte aufrechte Gestalt als den wesentlichen Unterschied der Gattung Mensch anerkennen, und doch entscheidet man augenscheinlich über die Thiergattungen mehr nach der Gestalt, als nach der Abstammung der Einzelnen, und man hat mehr als einmal darüber gestritten, ob man eine Leibesfrucht erhalten und zur Taufe zulassen solle, blos weil sie in ihrer äussern Gestalt von der gewöhnlichen Gestalt der Kinder abwich, und man nicht wusste, ob sie nicht ebenso der Vernunft fähig sei, wie anders geformte Kinder, von denen manche trotz ihrer guten Gestalt doch eines Zeichens von Vernunft ihr ganzes Leben lang nicht fähiger waren, wie ein Affe oder Elephant, und welche nie bemerken liessen, dass sie durch eine vernünftige Seele geleitet wurden. Man hat also offenbar die äussere Gestalt, die allein mangelhaft war, und nicht die Vernünftigkeit; deren Mangel zu dieser Zeit Niemand wissen konnte, zum[59] Wesen der menschlichen Gattung erhoben. Der gelehrte Theologe und Jurist müssen bei solchen Gelegenheiten ihre geheiligte Definition des »vernünftigen Thieres« aufgeben und etwas Anderes als das Wesen der menschlichen Gattung unterschieben. Herr Menage gedenkt in seinem Werke: Menagiana, Seite 278 und 430, eines erwähnenswerthen Falles; er sagt: »Der Abt von St. Martin hatte bei seiner Geburt so wenig Menschenähnliches in seiner Gestalt, dass er danach eher für eine Missgeburt gelten musste. Man war eine Zeit lang unschlüssig, ob man ihn taufen sollte. Indess geschah es, und er wurde vorläufig (bis die Zeit es bestätigen werde) für einen Menschen erklärt. Die Natur hatte ihn so unförmlich gestaltet, dass er sein Lebelang der Abt Malotrn, d.h. der Missgestaltete, genannt wurde; er war aus Caen.« Man sieht also, wie hier ein Kind nur seiner Gestalt wegen beinahe von der menschlichen Gattung ausgeschlossen worden wäre. Er entging dem mit Mühe, und wäre seine Gestalt noch ein wenig verkehrter gewesen, so hätte man ihn für kein menschliches Wesen gehalten, sondern bei Seite geschafft. Dennoch hatte man keinen Grund, weshalb trotz den etwas veränderten Gesichtszügen nicht eine vernünftige Seele in ihm hätte wohnen können und weshalb ein etwas längeres Gesicht, oder eine plattere Nase, oder ein grösserer Mund nicht ebenso, wie seine übrige Gestalt, mit solch einer Seele und solchen. Talenten verträglich wären, die ihn, trotz seiner Missgestalt, zu einem Würdenträger der Kirche befähigten.

§ 27. Worin bestehen also, dies möchte ich gern wissen, die festen und unveränderlichen Grenzen dieser Gattung? Offenbar hat die Natur nichts der Art gemacht und für die Menschen aufgestellt. Das wirkliche Wesen dieser oder jeder andern Gattung von Substanzen ist uns unbekannt, und es ist von dem Wort-Wesen, welches der Mensch sich gebildet hat, so unterschieden, dass, wenn man Mehrere über missgestaltete Neugeburten fragte, ob sie Menschen seien oder nicht, man sehr verschiedene Antworten erhalten würde. Dies wäre unmöglich, wenn das Wort-Wesen, nach dem wir die Arten der Substanzen bestimmen und unterscheiden, nicht von dem Menschen selbst mit einer gewissen Freiheit gemacht sondern genau nach natürlichen Grenzen festgesetzt wäre, durch welche[60] die Natur selbst die Substanzen in verschiedene Arten getrennt hätte. Wer möchte die Art bestimmen, zu der das bei Licetus, Buch I., Kap. 3, erwähnte Ungeheuer mit einem Menschenkopf und einem Schweinsleib gehörte? oder jene mit dem Leib eines Menschen und dem Kopf eines Hundes oder Pferdes, oder eines andern Thieres? Hätte ein solches Geschöpf noch überdem leben und sprechen können, so wäre diese Frage noch weit schwieriger geworden. Wäre das Obertheil bis zur Mitte von menschlicher Gestalt, und das Untere wie bei einem Schwein gewesen, würde da dessen Tödtung ein Mord gewesen sein? Und hätte man da den Bischof fragen müssen, ob es zur Taufe zu verstatten sei? Etwas Aehnliches ereignete sich, wie man mir erzählt hat, vor einigen Jahren in Frankreich. So unsicher sind für uns die Grenzen der Arten der Geschöpfe; sie können nur nach den von uns verbundenen Vorstellungen bemessen werden, und man ist weit von der sichern Kenntniss, was der Mensch ist, entfernt, obgleich es für grosse Unwissenheit gelten würde, wenn man hierüber zweifelhaft wäre. Die festen Grenzen dieser Gattung dürften indess so wenig bestimmt und die genaue Zahl der einzelnen einfachen Vorstellungen ihres Wort-Wesens so wenig sicher und vollständig gekannt sein, dass noch sehr erhebliche Zweifel darüber erhoben werden können. Alle vorhandenen Definitionen vom Menschen und alle Beschreibungen seiner Gattung können nach Genauigkeit und Vollständigkeit keinen denkenden und forschenden Mann befriedigen, noch weniger können sie auf allgemeine Zustimmung rechnen oder erwarten, dass alle Welt danach entscheiden werde, ob eine etwaige Missgeburt als Mensch gelten, am Leben erhalten und getauft werden solle.

§ 28. (Indess sind sie doch nicht so willkürlich, wie die der gemischten Besonderungen.) Obgleich diese Wort-Wesen bei den Substanzen ein Werk der Seele sind, so sind sie doch nicht so willkürlich wie die der gemischten Zustände gebildet. Um das Wort-Wesen einer Gattung zu bilden, gehört: 1) dass die Vorstellungen, aus denen es besteht, so verbunden sind, dass sie nur eine Vorstellung ausmachen, gleichviel, welcher Art die Verbindung ist; 2) muss die besondere, so verbundene Vorstellung genau dieselbe bleiben und nicht bald Locke,[61] mehr, bald weniger enthalten. Denn wenn zwei begriffliche zusammengesetzte Vorstellungen entweder in der Zahl oder in der Art ihrer Theile verschieden sind, so machen sie nicht ein, sondern zwei Wesen aus. Rücksichtlich des ersten Erfordernisses folgt die Seele bei Bildung ihrer Vorstellungen von Substanzen nur der Natur, und verbindet nichts, was nicht als in der Natur verbunden gilt. Niemand verbindet die Stimme des Schafes mit der Gestalt des Pferdes, und die Farbe des Blei's mit der Schwere und Festigkeit des Goldes, um damit eine besondere Art von Substanzen darzustellen; er müsste denn seinen Kopf mit Chimären und seine Rede mit unverständlichen Worten anfüllen wollen. Die Menschen bemerkten, dass gewisse Eigenschaften immer miteinander verbunden waren, sie ahmten darin die Natur nach, und aus den so verbundenen Vorstellungen bildeten sie ihre Vorstellungen von den Substanzen. Allerdings kann man bei deren Bildung und Benennung willkürlich verfahren; allein wenn man beim Sprechen über bestehende Dinge verstanden sein will, so muss man seine Vorstellungen einigermassen diesen Dingen anpassen, sonst gliche das Sprechen dem von Babel, und eines Jeden Worte wären nur ihm selbst verständlich; die Unterhaltung und die täglichen Geschäfte wären unmöglich, wenn die Vorstellungen der Substanzen nicht der gemeinsamen Erscheinung und Uebereinstimmung derselben, wie sie wirklich bestehen, entsprächen.

§ 29. (Indess ist dies nur sehr unvollkommen der Fall.) Obgleich der Mensch bei Bildung seiner zusammengesetzten Vorstellungen von Substanzen nur Vorstellungen verbindet, die zusammen bestehen oder als so bestehend vorausgesetzt werden, und er mithin die Verbindung wahrhaft der Natur entlehnt, so ist doch die Zahl der Vorstellungen, die er verbindet, von seiner wechselnden Sorgfalt, Thätigkeit und Einbildungskraft abhängig. In der Regel begnügt man sich mit wenigen augenfälligen Eigenschaften und lässt oft, wenn nicht immer, andere ebenso wichtige und ebenso eng verbundene aus. Es giebt von den sinnlichen Substanzen zwei Arten; die eine hat einen organisirten Körper und wird durch Samen fortgepflanzt; hier bildet die Gestalt die charakteristische Eigenschaft und das entscheidende Zeichen[62] für die Art, und deshalb genügt bei Pflanzen und Thieren die Vorstellung einer ausgedehnten, dichten Substanz von einer bestimmten Gestalt. Denn wenn auch die Definition von dem »vernünftigen Thiere« noch so hoch gestellt wird, so würde doch schwerlich ein Geschöpf für einen Menschen gelten, was zwar Vernunft und Sprache, aber nicht die gewöhnliche menschliche Gestalt besässe, wenn es auch sonst noch so sehr ein »vernünftiges Thier« wäre; und hätte Bileam's Esel immer so vernünftig, wie das eine Mal, mit seinem Herrn gesprochen, so würde dieser ihn doch schwerlich des Namens Mensch für würdig erachtet und ihn von gleicher Art mit sich angesehen haben. So wie bei Pflanzen und Thieren die Gestalt, so ist bei den meisten nicht durch Samen fortgepflanzten Körpern die Farbe das, was man am meisten beachtet und von der man am meisten sich leiten lässt. Wo man daher die Farbe des Goldes antrifft, da erwartet man auch die übrigen in unserer Vorstellung desselben befassten Eigenschaften, und gewöhnlich begründen die auffälligen Eigenschaften der Gestalt und der Farbe so stark die Vermuthung für eine bestimmte Art, dass man bei einem guten Gemälde danach gleich sagt: dies ist ein Löwe und dies eine Rose; dies ist ein silberner und dies ein goldener Becher; Alles nur auf Grund der verschiedenen Gestalten und Farben, die das Gemälde dem Auge bietet.

§ 30. (Indess genügt es für den menschlichen Verkehr.) Allerdings genügt dies für grobe und verworrene Auffassungen und ein ungenaues Sprechen und Denken; aber trotzdem hat man sich über die bestimmte Zahl einfacher Vorstellungen oder Eigenschaften, die einer bestimmten, mit Namen bezeichneten Art von Dingen Zukommen, nicht geeinigt. Es ist dies freilich nicht zu verwundern, da viele Zeit, Mühe und Geschicklichkeit, sowie eine genaue Untersuchung und eine lange Prüfung dazu gehören, wenn man ermitteln will, welche und wie viele einfache Vorstellungen beständig und untrennbar in der Natur verbunden sind und in den Gegenständen einer Art immer beisammen angetroffen werden. Die meisten Menschen haben dazu entweder keine Zeit oder keine Lust, oder nicht Geschicklichkeit genug; sie begnügen sich deshalb mit wenigen augenfälligen äusserlichen Erscheinungen an den Dingen und ordnen sie[63] sofort danach in Arten für den täglichen Verkehr. Man giebt ohne weitere Prüfung ihnen deren Namen oder benutzt die bereits gebräuchlichen Namen dazu. Im gewöhnlichen Verkehr gelten sie leicht als die Zeichen einiger augenfälligen zusammen bestehenden Eigenschaften, allein sie umfassen keineswegs in fester Bedeutung eine bestimmte Zahl einfacher Vorstellungen, und noch weniger alle die, welche in der Natur verbunden sind. Wer nach so vielem Lärm über genus und species und so vielem Geschwätz über spezifische unterschiede sieht, wie wenige Worte bis jetzt eine feste Definition haben, kann mit Recht diese Formen, von denen man so viel Aufhebens gemacht hat, für blosse Chimären halten, die über die eigentliche Natur der Dinge keinen Aufschluss gewähren, und wer bedenkt, wie wenig die Namen der Substanzen bestimmte Bedeutungen haben, kann mit Recht annehmen, dass alle Wort-Wesen, obgleich sie als der Natur entlehnt gelten, nur sehr unvollkommen sind. Denn ihre Zusammensetzung erfolgt bei verschiedenen Personen verschieden, und ihre Grenzen der Arten sind deshalb nicht von der Natur, sondern von den Menschen bestimmt, wenn überhaupt die Natur solche Grenzen gezogen hat. Allerdings sind viele Substanzen von der Natur so gemacht, dass sie einander ähnlich sind und daher eine Grundlage für ihre Einordnung in eine Art abgeben; allein wenn die Menschen die Dinge in Arten ordnen, so geschieht es, um sie unter einen allgemeinen Ausdruck zu befassen und danach zu nennen, und deshalb sehe ich nicht ab, wie man sagen kann, dass die Natur die Grenzen der Arten bestimmt habe. Selbst wenn dies der Fall wäre, so würden doch unsere Grenzen nicht genau mit denen der Natur stimmen, denn der Mensch bedarf der allgemeinen Worte für seine gegenwärtigen Zwecke, und er wartet deshalb nicht, bis alle jene Eigenschaften vollständig entdeckt sind, die am besten die wesentlichen Unterschiede und Gleichheiten darlegen; vielmehr theilt er die Dinge nach einzelnen augenfälligen Erscheinungen in Arten, um durch allgemeine Worte leichter mit Andern verkehren zu können. Er kennt von den Substanzen nur die einfachen Vorstellungen, die in ihnen vereint sind, er bemerkt, dass einzelne Substanzen in einigen dieser einfachen Vorstellungen übereinstimmen,[64] und aus dieser Verbindung bildet er die Vorstellung der Art und giebt ihr einen Namen, damit beim Wiedererinnern und im Gespräch er mit einem kurzen Wort alle die einzelnen Dinge bezeichnen kann, die in jener zusammengesetzten Vorstellung zusammenstimmen, ohne ihre einfachen Vorstellungen einzeln aufzählen zu müssen; es soll damit die Verschwendung an Zeit und Athem in langweiligen Beschreibungen erspart werden, wozu. Die genöthigt sind, die von einer neuen Art Dingen sprechen wollen, welche noch keinen Namen haben.

§ 31. (Das Wesen der mit demselben Namen belegten Arten, ist sehr verschieden.) Wenn man auch mit diesen Arten der Substanzen in der gewöhnlichen Unterhaltung gut fortkommt, so wird doch diese zusammengesetzte Vorstellung, in welcher mehrere Personen übereinstimmen, von den Einzelnen sehr verschieden gebildet, bald mehr, bald weniger genau; bald erhält sie eine grössere, bald eine geringere Zahl von Eigenschaften; sie ist immer so, wie gerade die Seele sie gebildet hat. Die gelbe glänzende Farbe macht das Gold bei Kindern aus; Andere setzen das Gewicht, die Hämmerbarkeit und Schmelzbarkeit hinzu; noch Andere weitere Eigenschaften, die mit der gelben Farbe ebenso beständig, wie die Schwere und die Schmelzbarkeit verbunden sind; denn jede dieser Eigenschaften hat so gut wie die andern ein Recht, in die Vorstellung der Substanz aufgenommen zu werden, die sie zusammen verbindet. Deshalb haben die Menschen, welche einfache Vorstellungen auslassen oder zusetzen, je nach ihrer Untersuchung, Geschicklichkeit oder Beobachtung des Gegenstandes, verschiedene Vorstellungen vom Gold, und deshalb können sie nur von ihnen selbst und nicht von der Natur gemacht sein.

§ 32. (Je allgemeiner die Vorstellungen sind, desto unvollständiger sind sie und desto mehr befassen sie nur einzelne Theile.) Wenn die Zahl der einfachen Vorstellungen, welche das Wort-Wesen der untersten Arten, welche zunächst die einzelnen Dinge ordnen, von der Seele abhängt, die sie verschieden zusammenfasst, so ist dies offenbar bei jenen umfassenderen Klassen noch mehr der Fall, welche die Meister der Logik die Gattungen nennen. Diese Vorstellungen sind absichtlich unvollständig, und man sieht auf den ersten Blick,[65] dass Eigenschaften, die in den Dingen bemerkt worden, absichtlich bei denselben ausgelassen worden sind. So wie die Seele schon bei Bildung allgemeiner Vorstellungen für mehrere einzelne Dinge die Vorstellungen der Zeit, des Ortes und andere weglässt, welche deren Geltung für mehrere einzelne Dinge hindern würden, so lässt sie auch, um diese Vorstellungen noch allgemeiner zu machen, damit sie verschiedene Arten umfassen, jene Vorstellungen weg, welche die Arten unterscheiden, und nimmt in die neue Vorstellung nur das allen Arten Gemeinsame auf. Dieselbe Bequemlichkeit, welche die verschiedenen aus Guinea und Peru kommenden Stücke von gelber Farbe unter einen Namen zusammenfassen liess, veranlasst auch die Bildung eines Namens für Gold und Silber und einige andere Körper. Dies geschieht durch Weglassung der eigenthümlichen Eigenschaften jeder Art und Bildung einer Vorstellung aus dem allen Arten Gemeinsamen. Wird es dann »Metall« benannt, so ist die Gattung fertig. Das Wesen dieser Gattung ist die begriffliche Vorstellung, die nur die Hämmerbarkeit und Schmelzbarkeit mit verschiedenen Graden von Schwere und Festigkeit befasst, in denen die Körper verschiedener Arten übereinstimmen; dabei sind die Farben und andere dem Gold, Silber und den übrigen unter Metall befassten Stoffen eigenthümlichen Eigenschaften weggelassen. Offenbar folgt man hierbei nicht genau den von der Natur gebotenen Mustern, denn es giebt keinen Körper, der blos hämmerbar und schmelzbar wäre und keine weiteren Eigenschaften hätte. Allein man sieht bei Bildung der allgemeinen Vorstellungen mehr auf die Bequemlichkeit und Schnelligkeit im Sprechen, man benutzt dazu kurze und umfassende Zeichen und achtet nicht auf die wahre und bestimmte Natur der Dinge, wie sie besteht; deshalb ist man bei Bildung der allgemeinen Vorstellungen nur auf einen Vorrath von allgemeinen Namen verschiedentlichen Umfanges bedacht gewesen. Deshalb ist bei diesem ganzen Geschäft der Gattungen und Arten die Gattung oder die mehr umfassende Vorstellung nur ein Theil des in der Art Enthaltenen, und die Art nur eine Theil-Vorstellung des in dem einzelnen Dinge Enthaltenen. Meinte man also, dass der Mensch, das Pferd, das Thier und die Pflanze u.s.w. durch ihr wirkliches natürliches Wesen[66] unterschieden seien, so müsste die Natur sehr freigebig mit diesem natürlichen Wesen umgehen und eines für den Körper, ein anderes für das Thier, und wieder ein anderes für das Pferd machen und alle diese Wesen freigebig dem Bucephalus zutheilen. Sieht man aber recht zu, so ergiebt sich, dass bei all diesen Gattungen und Arten kein neues Ding zu Stande kommt, sondern nur mehr oder weniger umfassende Zeichen, durch die man mit wenig Silben eine grosse Menge einzelner Dinge bezeichnen kann, welche den mehr oder weniger allgemeinen Vorstellungen entsprechen, die zu diesem Ende gebildet worden sind. Dabei ist allemal der allgemeinere Ausdruck der Name für die weniger zusammengesetzte Vorstellung; jede Gattung ist blos eine Theil-Vorstellung der unter ihr befassten Arten. Die vermeintliche Vollständigkeit dieser begrifflichen Vorstellungen bezieht sich also nur auf eine feste Beziehung ihrer zu gewissen Namen, die sie bezeichnen, und nicht zu bestellenden natürlichen Dingen.

§ 33. (Sie sind sämmtlich den Zwecken der Sprache angepasst.) Sie sind also für den Zweck der Sprache eingerichtet, d.h. für die leichteste, und kürzeste Weise der Gedanken und Mittheilung. So braucht Der, welcher von Dingen sprechen will, die nur der zusammengesetzten Vorstellung von Ausdehnung und Dichtigkeit entsprechen, blos das Wort Körper dafür zu benutzen. Will ein Anderer die durch die Worte Leben, Sinne, freiwillige Bewegung bezeichneten Vorstellungen damit verbinden, so braucht er nur das Wort Thier dafür zu benutzen, und Der, welcher eine Vorstellung aus Leben, Sinne, Bewegung mit der Vernunftfähigkeit und einer gewissen Gestalt verbunden hat, braucht nur das einsilbige Wort Mensch zu benutzen, um alle Einzelnen, die dieser Vorstellung entsprechen, zu bezeichnen. Dies ist das eigenthümliche Geschäft der Gattungen und Arten, und dies geschieht ohne Rücksicht auf die wirklichen Wesen oder substantiellen Formen, die nicht in den Bereich unseres Wissens fallen, wenn wir an diese Dinge denken, und nicht in die Bedeutung der Worte, wenn man mit Andern spricht.

§ 34. (Ein Beispiel am Kasuar.) Wollte ich Jemand von den Vögeln erzählen, die ich neulich in[67] St. James Park gesehen, die 3-4 Fuss hoch waren, bedeckt mit Etwas zwischen Haar und Federn, die eine braune Farbe hatten und statt der Flügel zwei oder drei kleine Zweige, die wie Sprossen von Spanischem Flieder herabhängen, mit Füssen von nur drei Klauen und ohne Schwanz, so müsste ich eine lange Beschreibung machen, damit der Andere mich verstehe; nennt man sie aber mit ihrem richtigen Namen Kasuar, so kann ich dann dies Wort für alle in dieser Beschreibung aufgeführten Eigenschaften benutzen, wenn ich auch mit diesem Wort, was nun der Name einer Art geworden ist, von dem wirklichen Wesen oder der Verfassung dieser Art Thiere so wenig wie vorher weiss, und auch von der Natur dieser Vögel wahrscheinlich, schon ehe ich ihren Namen erfuhr, ebensoviel wusste, als manche meiner Landsleute von den Schwanen und Reihern, welches bekannte Art-Namen von Vögeln sind, die in England häufig vorkommen.

§ 35. (Die Menschen bestimmen die Arten.) Aus dem Gesagten erhellt, dass die Menschen die Arten machen. Denn nur das verschiedene Wort-Wesen begründet die verschiedenen Arten, und deshalb machen die, welche diese begrifflichen Vorstellungen bilden, die das Wort-Wesen ausmachen, damit auch die Art oder species. Fände man einen Körper, der alle Eigenschaften des Goldes mit Ausnahme der Hämmerbarkeit hätte, so entstände die die Frage, ob er Gold sei, d.h. ob er zu dieser Art gehöre. Dies liesse sich nur durch die begriffliche Vorstellung entscheiden, die Jedermann mit dem Golde verbindet. Deshalb würde es Der für wahres Gold halten, bei dem in seinem Wort-Wesen die Hämmerbarkeit nicht mit enthalten wäre, und ein Anderer würde es nicht für wahres Gold halten, im Fall er auch die Hämmerbarkeit zu dem Wesen dieser Art rechnete. Wer macht aber die verschiedenen Arten sogar für ein und denselben Namen? Nur der Mensch, der zwei verschiedene begriffliche Vorstellungen bildet, die nicht genau dieselben Eigenschaften befassen. Ueberdem ist es kein blosser Einfall, dass ein Körper bestehe, der alle Eigenschaften des Goldes mit Ausnahme der Hämmerbarkeit enthalte, da Gold manchmal so spröde (wie die Gewerbsleute sagen) ist, dass es den Hammer so wenig wie Glas vertragen kann. Was ich hier in Betreff des Zusetzens oder Auslassens[68] der Hämmerbarkeit bei der Vorstellung des Goldes gesamt, gilt ebenso für seine besondere Schwere, Festigkeit und die übrigen Eigenschaften; mag irgend eine ausgelassen sein, so bestimmt immer die mit Gold bezeichnete Vorstellung seine Art, und wenn ein Stück Stoff dieser entspricht, so kommt ihm der Name der Art wahrhaft zu und es gehört zu derselben. So bestimmt sich, ob Etwas wahres Gold oder ächtes Metall ist; all diese Bezeichnungen der Art sind offenbar von dem Menschen abhängig, je nachdem er die Vorstellung davon so oder anders bildet.

§ 36. (Die Natur macht die Aehnlichkeit.) Also verhält es sich kurz so, dass die Natur viele einzelne Dinge macht, die in manchen sinnlichen Eigenschaften, und vielleicht auch in ihrer inneren Form und Verfassung übereinkommen; aber nicht dieses wahre Wesen sondert sie in Arten, sondern der Mensch, welcher sie nach den in ihnen vereinigt vorgefundenen Eigenschaften, worin sie übereinstimmen, in Arten sondert, und ihnen wegen der Bequemlichkeit umfassender Zeichen Namen giebt. Je nachdem einzelne Dinge mit dieser begrifflichen Vorstellung übereinstimmen, werden sie darunter, wie unter Fahnen, gestellt; dies gehört so zu dem rothen und jenes zu dem blauen Regiment; dies ist ein Mensch und jenes ein Pavian, und darin besteht die ganze Aufgabe der Gattungen und Arten.

§ 37. Ich behaupte nicht, dass die Natur bei der Hervorbringung der einzelnen Dinge immer neue und verschiedene Dinge mache; viele sind einander ähnlich und verwandt; allein dennoch dürfte es richtig sein, dass die Grenzen der Arten, wonach die Menschen sie sondern, von diesen gezogen werden, weil die Wesen der mit verschiedenen Namen bezeichneten Arten, wie gezeigt worden, das Werk des Menschen sind, und selten der inneren Natur der Dinge, von denen sie entlehnt sind, entsprechen. Man kann deshalb in Wahrheit sagen, dass diese Weise, die Dinge in Arten zu ordnen, das Werk des Menschen ist.

§ 38. (Jede begriffliche Vorstellung ist eine Wesenheit.) Ein Punkt wird in dieser Darstellung wahrscheinlich sonderbar erscheinen, nämlich die daraus sich ergebende Folge, dass jede begriffliche Vorstellung mit einem Namen eine bestimmte Art bildet. Allein wer[69] kann für die Wahrheit? Denn dies muss so lange gelten, als nicht Jemand kommt und zeigt, dass die Arten der Dinge durch etwas Anderes begrenzt und unterschieden werden, und dass die allgemeinen Ausdrücke nicht unsere begrifflichen Vorstellungen, sondern etwas Anderes bezeichnen. Ich möchte wohl wissen, weshalb ein Pudel und ein Jagdhund nicht ebenso zu besonderen Arten gehören, wie ein Wachtelhund und ein Elephant. Der Unterschied in dem Wesen des Elephanten gegen das des Wachtelhundes ist derselbe, wie der zwischen Pudel und Jagdhund; denn der ganze wesentliche Unterschied, wodurch man den Einen von dem Andern sondert, liegt nur in der Verschiedenheit der einfachen Vorstellungen, die zusammengefasst und mit einem Namen bezeichnet worden sind.

§ 39. (Die Gattungen und Arten dienen nur der Benennung.) Wie sehr die Bildung der Gattungen und Arten nur der allgemeinen Namen wegen geschieht, und wie sehr diese, wo nicht dem Bestande, doch der Vollständigkeit einer Art nöthig sind und sie als solche gelten lassen, zeigt sich neben dem früher dargelegten Beispiel von Eis und Wasser noch an einem andern sehr bekannten. Eine schlagende Uhr und eine, die nicht schlägt, gelten für Den, der nur einen Namen für beide hat, nur als eine Art; allein wer für die eine den Namen Thurmuhr, und für die andere den Namen Taschenuhr und bestimmte zu diesen Namen gehörende Vorstellungen hat, für den sind es zwei verschiedene Arten. Man entgegnet vielleicht, dass die innere Einrichtung und Verfassung bei ihnen verschieden sei, wie der Uhrmacher klar wisse. Allein dennoch sind sie auch für diesen nur eine Art, wenn er nur einen Namen für Beide hat. Denn wie müsste die innere Einrichtung anders sein, wenn sie eine neue Art bilden sollte? Manche Uhren haben vier, andere fünf Räder, werden sie deshalb für den Uhrmacher zu verschiedenen Arten? Manche haben Ketten und Gewichte, andere nicht; manche haben den Pendel lose, bei andern wird er durch eine Spiralfeder, und bei andern durch Schweinsborsten geregelt; genügt einer von diesen Unterschieden für den Uhrmacher, um sie zu einer neuen Art zu machen, obgleich er diese und andere innere Einrichtungen in der Verfassung der Uhren[70] wohl kennt? Offenbar ist jede wirklich von der andern unterschieden; allein ob dies einen wesentlichen und Art-Unterschied ausmacht, hängt blos von der mit dem Namen verbundenen Vorstellung ab; so lange sie hierin übereinstimmen, und der Name nicht blos die höhere Gattung bezeichnet, sind sie weder wesentlich, noch der Art nach verschieden. Theilt man aber die Uhren nach feineren Unterschieden ihrer inneren Einrichtung ab und giebt man ihnen verschiedene Namen, die sich einbürgern, so entstehen für Die, welche diese Vorstellungen und Namen kennen, neue Arten, und dir Name Uhr bezeichnet dann die Gattung. Dennoch werden sie für Denjenigen nicht als besondere Arten gelten, welcher das Uhrmachergewerbe und die innere Einrichtung der Uhren nicht kennt, da seine Vorstellung nur die äussere Gestalt und Grösse nebst dem Zifferblatt enthält; für ihn wären alle diese verschiedenen Namen gleichbedeutend und bezeichneten nicht mehr oder weniger als überhaupt eine Uhr. Genau so ist es auch bei natürlichen Dingen. Offenbarwerden die Räder und Federn (wenn ich mich so ausdrücken darf) in einem vernünftigen Menschen und in einem Wechselbalg ebenso verschieden sein, wie die Gestalt des Pavians von der des Wechselbalgs. Allein ob diese Unterschiede beide oder einzeln wesentliche seien, ergiebt sich für uns nur daraus, ob sie mit dem Begriff des Menschen stimmen oder nicht; dadurch allein kann entschieden werden, ob sie alle beide, oder einer, oder keiner zu den Menschen gehören.

§ 40. (Die Arten sind bei künstlichen Gegenständen weniger schwankend wie bei natürlichen.) Aus dem Obigen ergiebt sich, weshalb über die Alten der künstlichen Gegenstände weniger Unsicherheit und Zweifel bestehen, als bei den natürlichen Dingen. Der künstliche Gegenstand ist von dem Menschen gemacht, er hat ihn sich ausgedacht, und er kennt deshalb seine Vorstellung; der Name gilt für nichts Anderes und enthält nichts wesentlich, was nicht bekannt wäre und leicht gefasst werden könnte. Denn für die Meisten bildet sich die Vorstellung oder das Wesen der verschiedenen Arten künstlicher Dinge nur aus der Gestalt der sichtbaren Theile und aus der mitunter davon abhängigen Bewegung, welche der Verfertiger in seiner Weise dem Stoffe gegeben[71] hat; deshalb kann man eine bestimmte Vorstellung davon haben und eine deutliche Vorstellung mit deren Namen verbinden, die weniger Zweifeln, Dunkelheiten und Zweideutigkeiten als bei natürlichen Dingen unterliegt, deren Unterschiede und Thätigkeiten von Einrichtungen, abhängen, die ausserhalb unseres Bereichs liegen.

§ 42. (Nur Substanzen haben Eigennamen.) Substanzen sind es auch allein, unter allen Arten von Vorstellungen, die Eigennamen haben, mit welchen die Einzelnen bezeichnet werden. Denn bei einfachen Vorstellungen, Zuständen und Beziehungen zeigt sich selten der Anlass, die einzelnen, wenn sie nicht vorliegen, zu erwähnen. Ueberdem sind die meisten gemischten Zustände Handlungen, welche mit ihrer Geburt auch untergehen und einer längeren Dauer nicht fähig sind, wie dies bei den Substanzen der Fall ist, welche handeln und an denen die einfachen Vorstellungen, welche die durch den Namen bezeichnete zusammengesetzte Vorstellung ausmachen, eine dauernde Verbindung haben.

§ 43. (Die Schwierigkeit, über Worte zu sprechen.) Der Leser möge mich entschuldigen, dass ich so lange bei diesem Gegenstand verweilt und vielleicht nicht immer klar gewesen bin. Allein es ist schwer, Jemand durch Worte auf Vorstellungen von Dingen zu bringen, denen die Art-Unterschiede abgenommen sind; nenne ich sie nicht, so sage ich nichts, und nenne ich sie, so bringe ich sie unter irgend eine Art, führe dem Hörer die gebräuchliche begriffliche Vorstellung dieser Art zu und durchkreuze meine eigene Absicht. Denn wenn ich von dem Menschen spreche und doch die gewöhnliche Bedeutung dieses Wortes, d.h. die gewöhnlich damit verbundene zusammengesetzte Vorstellung bei Seite lasse und den Leser bitte, den Menschen an sich zu betrachten, wie er in seiner inneren Verfassung oder in seinem wirklichen Wesen wahrhaft von Andern unterschieden ist, also ihn als Etwas zu betrachten, was er nicht kennt, so scheint dies eine Spielerei, und doch ist es nöthig, wenn man von den angeblichen wirklichen Wesenheiten und Arten der Dinge sprechen will, als wären sie von der Natur gemacht, nur um zu zeigen, dass es kein solches Ding giebt, wie die allgemeinen, den Substanzen gegebenen Namen besagen. Da dies indess[72] mit bekannten Worten schwer ausführbar ist, so gestatte man mir, durch ein Beispiel die verschiedenen Auffassungen der Seele in Bezug auf Namen und Vorstellungen der Arten etwas deutlicher zu machen und zu zeigen, wie die zusammengesetzten Vorstellungen von Zuständen mitunter auf Urbilder in der Seele anderer vernünftiger Wesen bezogen werden, oder, was dasselbe ist, auf die Bedeutung, die Andere mit diesen Namen verbinden, und manchmal auch auf gar kein Urbild. Auch möchte ich zeigen, wie die Seele ihre Vorstellungen von Substanzen immer entweder auf Substanzen selbst, oder auf die Bedeutung ihrer Namen als Urbilder bezieht, und endlich unsere Auffassung und unsern Gebrauch der Arten und der Ordnung der Dinge, sowie der Wesenheiten, die zu diesen Arten gehören, deutlich machen. Es ist dies vielleicht erheblicher, um die Aasdehnung und Gewissheit unserer Kenntniss zu begreifen, als man anfangs glaubt.

§ 44. (Beispiele von gemischten Zuständen an den Worten: Kineah und Niuph.) Man nehme an, dass Adam als erwachsener Mann mit gutem Verstande sich in einem ihm fremden Lande befinde, wo Alles um ihn herum ihm neu und unbekannt ist, und wo er nur die jetzt üblichen Mittel eines Mannes seines Alters hat, um sich Kenntnisse zu erwerben. Er sieht, dass Lamech tiefsinniger als gewöhnlich ist, und vermuthet, dass er sein Weib Adah (die Lamech leidenschaftlich liebt) im Verdacht habe, gegen einen andern Mann zu freundlich zu sein. Adam theilt diese Gedanken der Eva mit und bittet sie, auf Adah zu achten, dass sie nichts Verkehrtes beginne. In dieser Unterhaltung bedient sich Adam der zwei neuen Worte Kineah und Niuph. Mittlerweile ergiebt sich, dass Adam sich geirrt, da Lamech's Unruhe davon kommt, dass er einen Menschen getödtet hat. Allein trotzdem verlieren die Worte Kineah und Niuph (von denen das eine den Argwohn bedeutet, den ein Ehemann über das Benehmen seiner Frau hegt, und das andere die wirkliche Begehung des Unrechts durch sie bedeutet) ihre bestimmten Bedeutungen nicht. Hier haben wir also zwei bestimmte Vorstellungen gemischter Zustände mit ihren Namen für zwei Arten wesentlich verschiedener Thätigkeiten, und ich frage: Worin bestand das Wesen dieser beiden Thätigkeiten? Offenbar in einer Verbindung[73] einfacher, von einander verschiedener Vorstellungen. War nun diese Vorstellung in Adam's Seele, die er Kineah nannte, entsprechend? Offenbar ja, denn sie war eine Verbindung einfacher Vorstellungen, wobei weder auf ein Urbild, noch auf ein Ding als Muster geachtet war, sondern sie war willkürlich zusammengesetzt, abgetrennt und mit dem Namen Kineah belegt worden, um durch diesen Laut Andern in Kürze all die einfachen darin vereinten Vorstellungen zu bezeichnen, und deshalb musste sie offenbar entsprechend sein. Adam hatte nach eigener Wahl die Verbindung gemacht, er hatte darin Alles, was er wollte, und deshalb musste sie vollständig und entsprechend sein, da sie sich auf kein Urbild bezog, was sie darstellen sollte.

§ 45. Allmählich kamen diese Worte: Kineah und Niuph in allgemeinen Gebrauch, womit die Sache sich etwas änderte. Adam's Kinder konnten also, wie Adam, beliebig sich Vorstellungen von gemischten Zuständen bilden, sie abtrennen und mit beliebigen Lauten bezeichnen. Allein da die Worte unsere Vorstellungen Andern mittheilen sollen, so ist dies nur möglich, wenn dasselbe Zeichen bei beiden Personen, die sich mit einander besprechen wollen, dieselbe Vorstellung bedeutet. Diejenigen Kinder Adam's, die diese zwei Worte im Gebrauche vorfanden, konnten sie nicht für bedeutungslos, sondern für Zeichen gewisser begrifflicher Vorstellungen halten, da sie allgemeine Namen waren, wo die begrifflichen Vorstellungen das Wesen der damit bezeichneten Arten bilden. Wollten daher jene Kinder Adam's diese Worte als Namen von bereits bestehenden und anerkannten Arten benutzen, so mussten sie ihre diesen Namen beigelegten Vorstellungen mit denen der Andern bei diesen Namen in Uebereinstimmung bringen, indem letztere dabei als Muster und Vorbilder galten, und dann konnten allerdings die Vorstellungen jener Kinder von diesen gemischten Zuständen nicht entsprechend werden, da sie leicht mit den Vorstellungen Anderer nicht übereinstimmen konnten (namentlich da sie aus vielen einfachen Vorstellungen bestanden). Indess ist dafür in der Regel ein Mittel zur Hand, indem man Den, der das Wort gebraucht, nach seiner Bedeutung fragt; denn ohne solche Erklärung ist es unmöglich, bestimmt zu wissen, was die Worte Eifersucht und Ehebruch in eines Andern Seele bedeuten. Ebenso war es[74] bei dem Beginn der Sprache unmöglich, zu wissen, was die hebräischen Worte Kineah und Niuph in eines Andern Seele bedeuten, da sie bei Jedem nur willkürliche Zeichen sind.

§ 46. (Ein Beispiel in Betreff der Substanzen an Zahab.) Ich will nun in derselben Weise auch die Namen der Substanzen in ihrer ersten Anwendung betrachten. Eines von Adam's Kindern wandert in den Gebirgen umher und trifft auf eine glänzende Substanz, welche seinen Augen gefällt. Er bringt sie nach Hause zu Adam, der sie betrachtet und bemerkt, dass sie hart, glänzend gelb und auffallend schwer ist. Dies sind vielleicht die Eigenschaften, die er zuerst bemerkt, und indem er danach die begriffliche Vorstellung einer Substanz von glänzender gelber Farbe und verhältnissmässig grosser Schwere bildet, giebt er ihr den Namen Zahab, um damit alle Substanzen von gleichen Eigenschaften zu bezeichnen. Offenbar handelt hier Adam ganz anders, als in dem Fall bei den gemischten Zuständen, die er Kineah und Niuph nannte, bei welchen er einzelne Vorstellungen nur nach seinen Gedanken, und nicht nach einem bestehenden Dinge verband und ihnen Namen gab, um damit Alles zu bezeichnen, was mit diesen begrifflichen Vorstellungen stimmen würde, ohne zu fragen, ob ein solches Ding bestehe oder nicht, wo also der Maassstab von ihm selbst aufgestellt wurde. Aber hier bei der Bildung der Vorstellung von dieser neuen Substanz verfährt er umgekehrt; hier hat er einen von der Natur gemachten Maassstab, und seine Vorstellung soll ihm nur diesen bieten, auch wenn das Ding selbst nicht da ist; deshalb fügt er seiner Vorstellung nur solche einfache hinzu, die er in dem Dinge selbst wahrgenommen hat. Er sagt, dass seine Vorstellung hier ihrem Urbild gleiche, und der Name soll nur für eine solche passende Vorstellung gelten.

§ 47. Dieses so von Adam Zahab benannte Stück Stoff, was von jedem andern bis dahin gesehenen sich unterschied, wird Jedermann als eine bestimmte Art mit einem besonderen Wesen anerkennen; das Wort Zahab ist das Zeichen für diese Art und gilt für alle an diesem Wesen Theil habenden Dinge. Hier ist es indess klar, dass das Wesen, dem Adam den Namen Zahab gab, nur[75] ein harter, glänzender und sehr schwerer Körper war. Indess lässt der forschende menschliche Geist Adam mit der Kenntniss dieser oberflächlichen Eigenschaften sich nicht begnügen, sondern treibt ihn zu weiterer Untersuchung. Er pocht und schlägt es deshalb mit Steinen, um das Innere zu entdecken; er sieht, dass es den Schlägen nachgiebt, aber nicht leicht zerbricht; er sieht, dass es sich, ohne zu brechen, biegt. Deshalb wird nun die Biegsamkeit der alten Vorstellung zugesetzt und zu einem Bestandtheil des mit Zahab benannten Wesens gemacht. Weitere Versuche lassen die Schmelzbarkeit und Festigkeit des Stückes erkennen, und sie werden daher aus denselben Gründen mit in die zusammengesetzte Vorstellung, Zahab genannt, aufgenommen; denn eines ist dazu ebenso wie das andere berechtigt, und deshalb müssen auch alle weiter entdeckten Eigenschaften in die Vorstellung des Zahab aufgenommen werden und zu dem Wesen der so benannten Art gehören. Da aber diese Eigenschaften unerschöpflich sind, so erhellt, dass die hiernach gebildete Vorstellung ihrem Urbilde nicht voll entsprechen kann.

§ 48. (Die Vorstellungen der Substanzen sind unvollständig und deshalb wechselnd.) Allein es ergiebt sich weiter, dass die Namen der Substanzen nicht blos verschiedene Bedeutungen haben (wie dies wirklich der Fall ist), sondern auch als von verschiedener Bedeutung angesehen werden würden, wenn verschiedene Personen sie gebrauchten, was den Gebrauch der Sprache sehr erschweren würde. Denn sollte jede neu entdeckte Eigenschaft einen nothwendigen Theil der so benannten Vorstellung bilden, so müsste man annehmen, dass dasselbe Wort bei verschiedenen Personen auch verschiedene Dinge bezeichnete, da offenbar von mehreren Personen der Eine in den gleichbenannten Substanzen andere Eigenschaften, wie der Andere, entdecken wird.

§ 49. (Um deshalb die Arten zu befestigen, wird ein wirkliches Wesen angenommen.) Um dem zu entgehen, hat man ein dieser Art zugehöriges wirkliches Wesen angenommen, von dem die Eigenschaften abfliessen und die Art ihren Namen hat. Allein da man keine Vorstellung von diesem wirklichen Wesen hat und die Worte nur wirklich vorhandene Vorstellungen bezeichnen[76] können, so ist damit nur erreicht, dass ein Name oder Laut an die Stelle des dieses wirkliche Wesen habenden Dinges, getreten ist, ohne, dass man weiss, was dieses wirkliche Wesen ist. Dies ist es, was geschieht, wenn die Menschen von den Arten der Dinge sprechen, als hätte die Natur sie gemacht und durch wirkliche Wesenheiten unterschieden.

§ 50. (Diese Annahme nützt aber nichts.) Denn wenn man sagt, dass alles Gold fest sei, so heisst dies entweder, dass die Festigkeit einen Theil der Definition und einen Theil des Gold benannten Wort-Wesens bilde, so dass diese Behauptung, dass alles Gold fest sei, nur die Bedeutung des Wortes Gold betrifft; oder es heisst, dass die Festigkeit kein Theil der Definition von Gold sei, sondern eine Eigenschaft des Goldes seihst. Hier vertritt das Wort Gold offenbar eine Substanz, die das wirkliche Wesen von einer Art natürlicher Dinge ausmacht. In dieser Vertretung hat es aber eine so verworrene und unsichere Bedeutung, dass, obgleich dieser Satz: Gold ist fest, in diesem Sinne von etwas Wirklichem ausgesagt wird, er doch in seiner einzelnen Anwendung uns im Stich lassen und deshalb ohne Nutzen und Gewissheit sein wird. Denn wenn es auch noch so wahr ist, dass alles Gold, d.h. Alles, was das wahre Wesen vom Gold enthält, fest ist, so hilft dies uns nichts, weil man nicht weiss, was in diesem Sinne Gold ist oder nicht. Denn wenn man das wirkliche Wesen des Goldes nicht kennt, so kann man auch nicht wissen, welche Stücke den Stoff dieses Wesens enthalten, also wirklich Gold sind oder nicht.

§ 51. (Schluss.) Die Freiheit, welche Adam in der ersten Bildung der Vorstellungen von gemischten Zuständen hatte, wo nur seine Gedanken ihm als Muster dienten, diese selbe Freiheit haben auch alle Menschen seitdem behalten, und dieselbe Nothwendigkeit, vermöge deren Adam seine Vorstellungen von Substanzen den äusseren Dingen, als natürlichen Urbildern, anpassen musste, wenn er sich nicht absichtlich täuschen wollte, dieser selben Nothwendigkeit sind noch jetzt alle Menschen unterworfen. Wo also Adam beliebig eine Vorstellung mit einem Namen bezeichnen konnte, da kann es noch jetzt geschehen (insbesondere wenn neue Sprachen[77] gebildet werden und man dies annehmen kann), nur mit dem Unterschiede, dass da, wo bereits feste Sprachen bestehen, die Bedeutungen der Worte sehr vorsichtig und sparsam geändert werden, denn hier ist man schon mit tarnen für die Vorstellungen versehen, und der gemeinsame Gebrauch hat bereits bekannte Namen an bestimmte Vorstellungen geknüpft, so dass eine absichtliche schiefe Anwendung derselben nur lächerlich wäre. Wenn Jemand neue Begriffe hat, so wagt er wohl mitunter die Bildung neuer Worte dafür, aber es gilt für dreist und es bleibt ungewiss, ob der Sprachgebrauch sie in sich aufnehmen wird. Bei dem Vermehr mit Andern müssen aber die von uns gemachten und mit den gebräuchlichen Worten der Sprache bezeichneten Vorstellungen der gewöhnlichen Bedeutung ihrer Worte entsprechen (wie ich bereits ausführlich dargelegt habe), oder die neue, den Worten gegebene Bedeutung muss vorher bekannt gemacht werden.

Quelle:
John Locke: Versuch über den menschlichen Verstand. In vier Büchern. Band 2, Berlin 1872, S. 43-78.
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Versuch über den menschlichen Verstand
Philosophische Bibliothek, Bd.75, Versuch über den menschlichen Verstand, Teil 1: Buch I und II
Philosophische Bibliothek, Bd.76, Versuch über den menschlichen Verstand. Teil 2. Buch 3 und 4
Philosophische Bibliothek, Bd.75, Versuch über den menschlichen Verstand. Teil 1. Buch 1 und 2.
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