Dreizehntes Kapitel.
Von einfachen Zuständen und zunächst von denen des Raumes

[171] § 1. (Einfache Zustände.) Bisher habe ich oft der einfachen Vorstellungen erwähnt, die den wahrhaften Stoff für all unser Wissen abgeben; indess habe ich sie bis jetzt mehr nach dem Wege, wie sie in die Seele kommen, behandelt, als nach ihrem Unterschiede von andern mehr zusammengesetzten Vorstellungen; deshalb ist es vielleicht nicht unzweckmässig, einige davon noch einmal unter diesem letztem Gesichtspunkt zu betrachten und die verschiedenen Besonderungen derselben Vorstellung zu prüfen, welche die Seele entweder in den bestehenden Dingen antrifft oder ohne die Hülfe äusserer Gegenstände oder fremder Einflüsterung in sich selbst erzeugen kann.

Diese verschiedenen Besonderungen derselben einfachen Vorstellung (die ich, wie gesagt, einfache Zustände nenne) bestehen ebenso als vollkommen verschiedene und getrennte Vorstellungen in der Seele, wie die, welche am weitesten von einander abstehen und die grössten Gegensätze und Abstände bilden. So ist die Vorstellung der Eins ebenso unterschieden von der der Zwei, wie das Blau von dem Heissen oder beide von irgend einer Zahl, und dennoch sind jene nur aus der Wiederholung derselben einfachen Vorstellung der Einheit gebildet. Wiederholungen dieser Art bilden im Fortgange die einfachen Zustände des Dutzend, des Schocks, der Million.

§ 2. (Die Vorstellung des Raumes.) Ich beginne mit der einfachen Vorstellung des Raumes. Ich habe oben in Kap. 4 gezeigt, dass die Vorstellung des Raumes sowohl durch das Gesicht wie durch das Gefühl erlangt[171] wird. Es ist deshalb ebenso wenig ein Beweis dafür nöthig, dass man durch das Gesicht den Abstand zweier verschieden gefärbter Körper oder zwischen den Theilen eines Körpers bemerkt, wie, dass man überhaupt die Farben sieht. Ebenso klar ist es, dass man dasselbe in der Dunkelheit durch Fühlen und Berühren erreichen kann.

§ 3. (Raum und Ausdehnung.) Wird der Raum zwischen zwei Dingen nur der Länge nach betrachtet, ohne Rücksicht auf das zwischen ihnen Befindliche, so nennt man ihn Abstand; wird er aber nach Länge, Breite und Tiefe betrachtet, so kann man ihn wohl Fassbarkeit nennen. Das Wort Ausdehnung gebraucht man in jeder dieser Bedeutungen.

§ 4. (Unermesslichkeit.) Jeder bestimmte Abstand ist eine bestimmte Besonderung des Raumes, und jede Vorstellung von einem bestimmten Abstand oder Räume ist ein einfacher Zustand dieser Vorstellung. In Folge der Gewohnheit, zu messen, befestigen sich in der Seele gewisse feste Längen, wie die des Zolls, des Fusses, der Elle, der Ruthe, der Meile, des Erddurchmessers u.s.w.; sie sind so viele einzelne aus dem Räume gebildete Vorstellungen. Sind solche Längen oder Maasse einem Menschen geläufig geworden, so kann er sie in Gedanken, so oft er will, wiederholen, ohne dass er die Vorstellung eines Körpers oder von sonst Etwas damit verbindet, und er kann sich die Vorstellungen von lang, viereckig, von dem Würfel, vom Fuss, von der Elle und Ruthe sowohl unter den Körpern der Welt wie noch darüber hinaus bilden, und er kann durch deren Aneinanderfügung seine Vorstellung des Raumes so weit vergrössern als es ihm beliebt. Dieses Vermögen, die Vorstellung irgend eines Abstandes zu wiederholen oder zu verdoppeln und einer frühem, so oft man will, hinzuzufügen, ohne dass man zu einem Halt oder einer Grenze gelangen kann, ist das, was uns die Vorstellung der Unermesslichkeit giebt.

§ 5. (Gestalt.) Eine andere Besonderung dieser Vorstellung besteht lediglich in dem Verhältniss, welches die Theile der Enden einer Ausdehnung oder eines umschriebenen Raumes zu einander haben. Bei fühlbaren Körpern lehrt dies das Gefühl, so weit deren Enden in[172] das Auge entnimmt sie sowohl von Körpern, wie von Farben, deren Grenzen in sein Gesichtsfeld fallen; es kann da erkennen, wie der Umriss entweder in geraden Linien endet, die sich in bestimmten Winkeln treffen, oder in krummen Linien, wo kein Winkel sich erkennen lässt. Indem man diese in ihrem Verhältniss zu einander in allen Theilen des Umrisses eines Körpers oder Raumes betrachtet, erlangt man die Vorstellung der Gestalt, welche der Seele sich in unendlicher Mannichfaltigkeit bietet. Denn neben der grossen Zahl verschiedener Gestalten, die in den zusammenhängenden Massen des Stoffes wirklich bestehen, bleibt der Vorrath, welchen die Seele durch Veränderung der Vorstellung des Raumes und durch Bildung neuer Gestalten vermittelst Wiederholung der eigenen Vorstellungen und der beliebigen Verbindung derselben besitzt, unerschöpflich, und sie kann damit die Gestalten in das Endlose vermehren.

§ 6. (Gestalt.) Denn die Seele vermag die Vorstellung einer Länge geradeaus mit einer andern von derselben Richtung zu verbinden und so jene zu verdoppeln; oder sie kann auch beide in einer beliebigen Neigung verbinden und so irgend einen Winkel bilden; ebenso kann sie eine Linie verkürzen, die Hälfte, das Viertel oder welchen andern Theil davon nehmen, ohne mit solcher Theilung zu Ende zu kommen; so kann sie Winkel von jeder beliebigen Grösse bilden und ebenso deren Seiten verlängern. Verbindet sie nun diese wieder mit andern Linien von verschiedener Länge und verschiedenen Winkeln, bis der Raum ganz eingeschlossen ist, so erhellt, dass sie Gestalten in Form und Inhalt ohne Ende machen kann, was Alles einfache Zustände des Raumes sind. Dasselbe kann mit krummen Linien geschehen oder mit krummen und geraden unter einander, und was mit Linien geschehen kann, ist auch mit Flächen ausführbar; dies führt zu einer neuen endlosen Mannichfaltigkeit von Gestalten, welche die Seele bilden kann, und wodurch sie die einfachen Zustände des Raumes vermehren kann.

§ 7. (Ort.) Eine andere unter dieser Klasse und zu diesem Stamme gehörende Vorstellung ist die des Ortes. So wie man in dem blossen Raum die Beziehung der Entfernung zweier Körper oder Punkte betrachtet, so[173] betrachtet man bei der Vorstellung des Ortes die Beziehung der Entfernung eines Dinges von einem oder mehreren Punkten, welche Punkte man als dieselbe Entfernung von einander einhaltend und somit in Ruhe annimmt. Findet man nämlich heute Etwas in gleicher Entfernung wie gestern von zwei oder mehr Punkten, die ihren Abstand von einander seitdem nicht geändert haben, so sagt man dann in Vergleich mit jenen, dass es seinen Ort behalten habe; hat es dagegen merkbar seinen Abstand von einem dieser Punkte geändert, so sagt man, es habe seinen Ort verändert. Im gewöhnlichen Leben und Auffassen des Orts beachtet man nicht immer genau den Abstand von solchen bestimmten Punkten, sondern man richtet sich nur nach den grossern Theilen sichtbarer Gegenstände; auf diese wird der Gegenstand bezogen, so weit man Anlass hat, seinen Abstand davon zu beachten.

§ 8. So sagt man von den Schach-Figuren, wenn sie noch auf denselben Vierecken des Schachbretts stehen, wo man sie verlassen hat, dass sie noch alle auf demselben Platze, oder unverändert stehen, wenn auch vielleicht inmittelst das Schachbrett in ein anderes Zimmer getragen worden. Ist, weil man sie blos mit dem Schachbrett vergleicht, wo sie noch dieselbe Entfernung inne haben. Ebenso sagt man von dem Schachbrett, dass es sich noch an demselben Orte befinde, wenn es an derselben Stelle der Kajüte steht, obgleich das Schiff währenddem fortwährend weitergesegelt ist. Ebenso sagt man von einem Schiff, es habe seinen Ort nicht verändert, wenn es seinen Abstand zu der benachbarten Küste beibehalten hat, obgleich die Erde sich vielleicht rund umgedreht hat. So haben die Schachfiguren, das Brett und das Schiff jedes seinen Ort rücksichtlich entfernterer Gegenstände, die unter einander den gleichen Abstand behalten haben, geändert. Allein da der Abstand von den einzelnen Vierecken des Schachbretts den Ort der Schachfiguren und der Abstand von festen Punkten der Kajüte (die ich als Beispiel benutzte) den Ort des Schachbretts bestimmt, und da man nach festen Theilen der Erde den Ort des Schiffes bestimmt, so kann man in dieser Beziehung sagen, dass diese Dinge an demselben Orte geblieben sind, obgleich ihr Abstand von andern Gegenständen, die aber nicht beachtet werden, sich geändert hat, und[174] sie deshalb unzweifelhaft ihren Ort gewechselt haben; was man auch anerkennt, wenn man Anlass erhält, sie damit zu vergleichen.

§ 9. Diese Bestimmung des Abstandes, die man Ort nennt, wird blos zu dem Zweck gemacht, um dadurch die besondere Stellung von Dingen angäben zu können, wo es auf eine solche ankommt; deshalb beurtheilt und bestimmt man diesen Ort durch Beziehung auf die Gegenstände, die hierzu am besten sich eignen, ohne Rücksicht auf andere, die für andere Zwecke sich besser dazu eignen würden. So hat die Angabe des Ortes der Schachfiguren nur Bedeutung für das Schachbrett, und deshalb würde dieser Zweck verfehlt werden, wenn man den Ort nach andern Dingen bemessen wollte. Steckt man dagegen die Schachfiguren in einen Beutel und fragt man dann, wo der schwarze König sei, so würde es unpassend sein, den Ort nach dem Schachbrett, statt nach den Theilen des Zimmers zu bestimmen, da die Bezeichnung des jetzigen Ortes einen andern Zweck hat, als wenn der König auf dem Schachbrett beim Spiele steht; deshalb muss er dann durch andere Körper bestimmt werden. Ebenso würde, wenn Jemand fragte, wo die Verse stehen, welche die Erzählung von Nisus und Euryalus enthalten, es eine sehr verkehrte Antwort sein, wenn man sagte, sie wären da oder dort auf der Erde oder in Bodley's Buchhandlung; vielmehr würde die richtige Bezeichnung des Ortes nur durch die Theile von Virgil's Werke geschehen, und die passende Antwort wäre, dass diese Verse sich in der Mitte des neunten Buchs der Aeneide befinden, und dass sie da sich immer an demselben Orte befunden haben, seitdem Virgil gedruckt worden. Dies bleibt wahr, obgleich das Buch tausendfach seinen Ort gewechselt hat, da man hier unter dem Orte nur den Theil des diese Geschichte enthaltenden Buches meint, um zu wissen, wo man sie nöthigenfalls zu suchen hat, und da man den Ort nur dazu benutzen will.

§ 10. (Ort.) Man wird leicht anerkennen, dass unsere Vorstellung von dem Orte nur diese erwähnte bezügliche Stellung eines Dinges ist, wenn man bedenkt, dass man sich für das Weltall keinen Ort vorstellen kann; obgleich es von jedem Theile desselben möglich ist.[175] Es fehlt bei dem Weltall die Vorstellung irgend eines festen, bestimmten und besonders Dinges, auf welches der Abstand desselben in irgend einer Weise bezogen werden könnte; Alles ausser ihm ist ein einförmig ausgedehnter Raum, in welchem die Seele keinen Unterschied und kein Merkzeichen finden kann. Wenn man sagt, die Welt sei irgendwo, so sagt dies nicht mehr, als dass sie besteht; diese Redensart, die von dem Orte entlehnt wird, bezeichnet nur deren Dasein, aber keine Ortsstellung. Sollte Jemand klar und deutlich in seiner Seele den Ort der Welt sich vorstellen können, so müsste er auch angeben können, ob sie in diesem gleichförmigen, leeren und unendlichen Räume still steht oder sich bewegt. Allerdings hat das Wort: Ort mitunter einen verworrenen Sinn und bezeichnet oft nur den von einer Sache eingenommenen Raum; dann ist allerdings die Welt in einem solchen Orte. Die Vorstellung des Ortes wird dann ebenso wie die des Raumes erlangt (indem jene nur eine besonders eingeschränkte Auffassung von dieser ist), d.h. durch unser Sehen und Fühlen; jedes von beiden giebt der Seele die Vorstellungen von Ausdehnung und Abstand.

§ 11. (Ausdehnung und Körper sind nicht dasselbe.) Manche wollen uns überreden, dass Ausdehnung und Körper dasselbe seien. Ich kann nämlich nicht annehmen, dass dabei diese Worte in einer andern als der gewöhnlichen Bedeutung genommen werden, da Jene die Philosophie Anderer wegen deren schwankenden Sinn und der trügerischen Dunkelheit zweifelhafter oder bedeutungsloser Worte verurtheilt haben. Meinen sie also mit diesen Worten dasselbe wie andere Menschen, d.h. unter Körper etwas Dichtes und Ausgedehntes, dessen Theile trennbar und beweglich sind und unter Ausdehnung nur den Raum, der sich zwischen den Grenzen des dichten zusammenhängenden Körpers befindet und von ihm eingenommen ist, so vermischen sie sehr verschiedene Vorstellungen mit einander. Ich berufe mich auf Jedermanns eigenes Denken, ob nicht seine Vorstellung vom Raum sich so bestimmt von der der Dichtheit wie von der der rothen Farbe unterscheidet? Allerdings kann Dichtheit nicht ohne Ausdehnung bestehen, so wenig wie die rothe Farbe; allein deshalb[176] bleiben sie doch besondere Vorstellungen. Viele Vorstellungen bedürfen anderer zu ihrem Bestande oder ihrer Auffassung, und doch bleiben es verschiedene Vorstellungen. So kann die Bewegung nicht ohne Raum vorgestellt werden, und dennoch ist die Bewegung nicht der Raum und der Raum nicht die Bewegung; Raum kann ohne sie bestehen, und beide sind bestimmt unterschiedene Vorstellungen. Dasselbe wird auch von dem Räume und der Dichtheit gelten; Dichtheit ist von der Vorstellung des Körpers nicht trennbar; auf ihr beruht seine Ausfüllung des Raumes, die Berührung, der Stoss und die Mittheilung der Bewegung desselben an andere Körper. Wenn der Unterschied zwischen Seele und Körper darauf gestützt werden kann, dass das Denken nicht die Vorstellung der Ausdehnung einschliesst, so gilt dies auch für den Unterschied von Raum und Körper, da jener nicht die Dichtheit einschliesst. Raum und Dichtheit sind deshalb ebenso unterschiedene Vorstellungen wie Denken und Ausdehnung; jede kann von der andern ganz abgetrennt werden. Also sind der Körper und die Ausdehnung zwei verschiedene Vorstellungen, denn:

§ 12. erstens schliesst die Ausdehnung nicht die Dichtheit und den Widerstand gegen die Bewegung von Körpern ein, wie es bei dem Körper der Fall ist;

§ 13. zweitens können die Theile des blossen Raumes nicht von einander getrennt werden, und seine Stetigkeit kann weder im Vorstellen noch in der Wirklichkeit aufgehoben werden. Möge doch Jemand, wenn auch nur in Gedanken, einen Theil des Raumes von dem andern trennen, mit dem er stetig zusammenhängt! Ein wirkliches Trennen und Theilen geschieht, meine ich, durch Entfernung eines Theiles von dem andern, so dass zwei Oberflächen entstehen, wo früher nur Zusammenhang war; ein Trennen in Gedanken geschieht, wenn man in der Seele zwei Oberflächen vorstellt, wo vorher stetiger Zusammenhang war, und man beide Stücke als von einander entfernt vorstellt; allein dies ist nur möglich bei trennbaren Dingen, welche durch Trennung neue besondere Oberflächen bekommen, die sie vorbei nicht hatten, aber deren fähig waren. Keine dieser beiden Arten von Trennung, weder die wirkliche, noch die in Gedanken verträgt sich also mit dem blossen Raum. Allerdings[177] kann man von dem Räume so viel, als dem Maasse eines Fasses entspricht, vorstellen, ohne auf den übrigen Raum zu achten; dies ist zwar eine theilweise Betrachtung, aber keine Trennung oder Theilung in Gedanken; da man in Gedanken nur theilen kann, wenn man sich die Oberflächen getrennt vorstellen kann, so wie man es nur wirklich kann, wenn man die beiden Oberflächen trennt; eine blos theilweise Betrachtung ist keine Trennung. So kann man das Licht der Sonne ohne ihre Hitze in Betracht nehmen; oder die Beweglichkeit eines Körpers ohne seine Ausdehnung, obgleich man dabei nicht an ihre Trennung denkt; das Eine ist nur ein theilweises Betrachten, was mit dem Einen abschliesst, und das Andere ist ein Betrachten beider, als wären sie gesondert.

§ 14. Drittens sind die Raumtheile unbeweglich, was aus deren Untrennbarkeit folgt, da Bewegung nur die Veränderung des Abstandes zwischen zwei Dingen ist; dies kann aber bei untrennbaren Theilen nicht statthaben. Daher müssen sie in ewiger Ruhe untereinander bleiben. So unterscheidet sich die Vorstellung des blossen Raumes klar und hinlänglich von der des Körpers; denn die Theile Jenes sind untrennbar, unbeweglich und leisten der Bewegung der Körper keinen Widerstand.

§ 15. (Die Definition der Ausdehnung erklärt sie nicht.) Fragt man mich, was der Raum, von dem ich spreche, sei, so will ich antworten, wenn man mir zuvor sagt, was die Ausdehnung ist, von der man spricht. Sagt man, wie gewöhnlich geschieht, dass Ausdehnung das sei, was Theile ausserhalb Theilen habe, so sagt man nur: Ausdehnung ist Ausdehnung; denn was weiss ich mehr von der Natur des Raumes, wenn man mir sagt, die Ausdehnung sei ein Haben von Theilen, die ausgedehnt seien, ausserhalb von Theilen, die ausgedehnt seien; d.h. Ausdehnung bestehe in ausgedehnten Theilen. Es ist gerade so, als wenn ich Jemand auf seine Frage, was das Fieber sei, sagte, es sei ein Ding, was aus mehreren Fiebern bestehe; er würde dann so wenig, wie vorher, wissen, was das Fieber ist, oder er könnte vielleicht mit Recht denken, ich wolle ihn nur zum Besten haben und nicht ernstlich belehren.

§ 16. (Die Eintheilung der Dinge in Körper und Geister beweist nicht, dass Raum und Körper[178] dasselbe sind.) Die Vertheidiger der Dieselbigkeit von Raum und Körperstellen die Alternative: Der Raum ist entweder Etwas oder Nichts; ist er nur das Nichts zwischen zwei Körpern, so müssen sie sich berühren; ist er Etwas, so fragen sie weiter: ob Geist oder Körper? Ich antworte hierauf durch eine andere Frage: Wer hat gesagt, dass es blos dichte Dinge, die nicht denken können, und blos denkende Dinge ohne Ausdehnung gebe oder geben, könne? Denn nur solche meinen sie mit ihren Worten: Körper und Geist.

§ 17. (Die uns unbekannte Substanz ist kein Beweis gegen den leeren Raum.) Wenn man (wie häufig geschieht) fragt, ob der leere Raum Substanz oder Accidenz sei, so antworte ich sofort, dass ich es nicht weiss, und dass ich mich dessen so lange nicht schämen werde, als die Fragenden mir nicht eine klare und deutliche Vorstellung von der Substanz bieten.

§ 18. Ich suche nach Möglichkeit mich von den Täuschungen frei zu machen, in die man geräth, wenn man Worte für Dinge nimmt. Unser Nichtwissen wird dadurch nicht gehoben, dass man thut, als wisse man Etwas, wenn man ein Geräusch mit Lauten macht, die keine klare und deutliche Bedeutung haben. Beliebig gemachte Worte ändern die Natur der Dinge nicht; wir verstehen letztere nur, so weit jene Zeichen deutlicher Vorstellungen sind. Ich möchte wohl wissen, ob die, welche so viel Gewicht auf die beiden Silben: Substanz legen, dies bei der Anwendung derselben auf den unendlichen und unbegreiflichen Gott, auf endliche Geister und auf Körper in demselben Sinne thun; und ob man dieselbe Vorstellung meint, wenn man jedes dieser drei so verschiedenen Dinge Substanzen nennt? Behauptet man dies, so folgt daraus, dass Gott, die Geister und Körper in der gemeinsamen Natur der Substanz übereinstimmen und nur durch eine verschiedene Besonderung derselben sich unterscheiden; so wie ein Baum und ein Kieselstein beide Körper sind und in der gemeinsamen Natur der Körper übereinstimmen und nur in der blossen Besonderung dieses Stoffes sich unterscheiden. Allem dies wäre eine bedenkliche Lehre. Sagen sie aber, dass sie dies Wort für diese drei Gegenstände in drei verschiedenen Bedeutungen gebrauchen, und dass bei jedem[179] derselben es etwas Anderes bezeichne, so haben sie diese drei unterschiedene Vorstellungen anzugeben, und noch besser ihnen drei verschiedene Namen zu geben, um bei einem so wichtigem Begriffe Verwirrung und Irrthum zu vermeiden, die aus dem verschiedenartigen Gebrauch eines so zweideutigen Wortes entstehen müssen. Indess dürfte dies Wort schwerlich drei bestimmte Bedeutungen haben, da es gewöhnlich nicht einmal eine klare und bestimmte Bedeutung hat; und wenn Jene drei Bedeutungen von Substanz annehmen, weshalb sollen Andere deren nicht vier annehmen?

§ 19. (Substanzen und Accidenzen haben in der Philosophie wenig Nutzen.) Als man zuerst auf den Begriff der Accidenzen, als einer Art Dinge, die des Anhängens bedürften, gerieth, musste man das Wort Substanz erfinden, um sie zu tragen. Hätte der arme indische Philosoph (der meinte, auch die Erde bedürfe Etwas, was sie trage) nur das Wort Substanz gekannt, so hätte er sich mit seinem Elephanten nicht zu bemühen brauchen, der sie tragen sollte, und nicht mit der Schildkröte, um den Elephanten zu tragen; das Wort: Substanz hätte dies allein geleistet. Und der indische Philosoph hätte auf die Frage, was Substanz sei, ganz gut, ohne zu wissen, was sie sei, antworten können, sie sei das, was die Erde trage, da man es ja für eine genügende Antwort und gute Lehre halte, wenn ein europäischer Philosoph ohne zu wissen, was die Substanz ist, sage, sie sei das, was die Accidenzen trage. Man hat daher von der Substanz keine Vorstellung, was sie ist, sondern nur eine verworrene und dunkle von dem, was sie thut.

§ 20. Wie sich auch ein Gelehrter hierbei verhalten mag, so würde ein einsichtiger Amerikaner bei seiner Untersuchung der Dinge sich schwerlich zufrieden geben, wenn er unsre Baukunst lernen wollte, und dabei ihm gelehrt würde, dass die Säule ein Ding sei, was von der Unterlage getragen werde, und die Unterlage das, was eine Säule trage. Er würde sich durch solche Antwort für geäfft, statt belehrt halten. Wer die Natur der Bücher und ihres Inhaltes nicht kennt, könnte dann für sehr ausreichend belehrt gelten, wenn er hörte, dass alle gelehrten Bücher aus Papier und Buchstaben beständen, und dass die Buchstaben Dinge seien, die dem Papiere anhafteten,[180] und Papier ein Ding, was die Buchstaben festhalte. Dies wäre ein schätzbarer Weg, klare Vorstellungen von Buchstaben, und Papier zu erlangen. Würden die lateinischen Worte: Inhärentia und Substantia in einfache entsprechende vaterländische Worte übersetzt, und Anhängsel und Unterstützendes genannt, so wurde man die angebliche Klarheit dieser Lehre von Substanzen und Anordnungen besser erkennen und sehen, was sie für die Entscheidung philosophischer Fragen nützen.

§ 21. (Ein leerer Raum jenseit der äussersten Grenze der Körper.) Um auf unsere Vorstellung des Raumes zurückzukommen, so frage ich, wenn man den Stoff nicht für endlos annehmen will, was wohl Niemand thun wird, ob, wenn Jemand von Gott an das Ende der körperlichen Dinge gestellt würde, er nicht seine Hand über seinen Körper hinausstrecken könnte? Könnte er es, so bringt er seinen Arm dahin, wo vorher ein Raum ohne Körper war, und wenn er da seine Finger spreizte, so würde wieder ein Raum zwischen denselben ohne Körper sein. Könnte er seine Hand aber nicht ausstrecken, so müsste etwas ihn daran hindern, da ich annehme, dass er lebt und dieselben Kräfte, sich bewegen zu können, wie jetzt, hat; ein Fall, der, wenn es Gott so beliebt, an sich nicht unmöglich sein würde (wenigstens ist es Gott nicht unmöglich, den Menschen so zu bewegen) und nun frage ich: Ist das, was seine Hand in diesem Fall hindert, eine Substanz oder eine Accidenz? Etwas oder Nichts? Wenn man dies gelöst haben wird, wird man vielleicht auch lösen können, was das ist, was zwischen zwei von einander abstehenden Körpern ist, und dabei kein Körper ist und keine Dichtheit hat. Bis dahin ist wohl auch der Grund, dass, wo Nichts hindert (nämlich jenseit der Grenze der Körper), ein angestossener Körper sich bewegen wird, ebenso gut, wie der, dass wo nichts dazwischen ist, zwei Körper sich berühren müssen; denn der leere Raum genügt, die Notwendigkeit der Berührung aufzuheben, und der blosse Raum vermag eine Bewegung nicht anzuhalten. Die Wahrheit ist, dass man entweder zugestehen muss, man nehme den Stoff als unendlich an, obgleich man vermeidet, es auszusprechen, oder man muss einräumen, dass der Raum kein Körper ist; denn ich möchte wohl den verständigen Mann sehen, der sich eine Grenze[181] des Raumes eher vorstellen könnte, wie eine Grenze der Zeit, oder der im Vorstellen das Ende bei einem von beiden erreichen zu können hoffte. Ist daher seine Vorstellung der Ewigkeit unendlich, so ist es auch seine Vorstellung der Unermesslichkeit; sie sind entweder beide endlich oder beide unendlich.

§ 22. (Die Kraft, zu vernichten, beweist den leeren Raum.) Ferner muss man, wenn man leugnet, dass ein Raum ohne Körper bestehen könne, den Stoff nicht allein unendlich setzen, sondern auch Gott die Macht, einen Theil des Stoffes zu vernichten, absprechen. Niemand wird wohl leugnen, dass Gott alle Bewegung des Stoffes aufheben und die Körper im Weltall in vollkommne Ruhe und Stillstand versetzen kann, und dass er dies so lange währen lassen kann, als ihm beliebt. Wer dann anerkennt, dass Gott während einer solchen allgemeinen Ruhe dies Buch oder den Körper des Lesers vernichten kann, muss auch die Möglichkeit des leeren Raumes anerkennen, da der Raum, den ein so vernichteter Körpers einnahm, bleiben und ohne Körper sein wird; denn die benachbarten Körper sind in vollkommner Ruhe, und bilden daher einen diamantenen Wall, welcher das Eindringen jedes andern Körpers verhindert. Auch ist die Nothwendigkeit, dass sofort ein Stofftheil die Stelle eines seinen Platz verlassenden Stofftheiles einnehme, nur die Folge, dass man den Raum als erfüllt setzt; dies bedarf deshalb eines besseren Beweises, als die blosse Annahme eines Vorganges, der nie durch Versuche dargelegt werden kann; vielmehr überzeugen uns unsere eigenen klaren und deutlichen Vorstellungen, dass zwischen Raum und Dichtheit keine nothwendige Verknüpfung besteht, da man eine ohne die andere vorstellen kann. Wer daher für oder gegen den leeren Raum kämpft, gesteht damit, dass er die bestimmte Vorstellung eines leeren und eines erfüllten Raumes habe, d.h. dass er die Vorstellung einer Ausdehnung, die an Dichtheit leer ist, habe, wenn er auch deren Wirklichkeit leugnet; sonst fehlt aller Streitgegenstand. Wer aber die Bedeutung der Worte so weit ändert, dass er die Ausdehnung Körper nennt, und daher das Wesen des Körpers in leere Ausdehnung ohne Erfüllung umwandelt, spricht widersinnig, wenn er von einem leeren Raum spricht, da es für die[182] Ausdehnung unmöglich ist, ohne Ausdehnung zu sein; denn der leere Raum, mag man ihn annehmen oder nicht, bezeichnet einen Raum ohne Körper, dessen Dasein Niemand als unmöglich bestreiten kann, der nicht den Stoff unendlich setzen, und Gott die Kraft einen Theil des Stoffes zu vernichten, nehmen will.

§ 23. (Die Bewegung beweist den leeren Raum.) Ich brauche indess nicht über die äussersten Grenzen des Stoffes hinauszugehen oder auf Gottes Allmacht mich wegen des leeren Raumes zu berufen, da die Bewegung der uns umgebenden und sichtbaren Körper mir ihn klar zu beweisen scheint. Denn Niemand wird einen dichten Körper von irgend einer beliebigen Grösse so theilen können, dass dessen dichte Theile sich innerhalb der Grenzen seiner Oberfläche nach oben oder unten und nach allen Richtungen frei bewegen können, wenn nicht ein leerer Raum gelassen wird, der wenigstens so gross ist, als der kleinste Theil, in den er den besagten Körper getheilt hat. Selbst wenn der kleinste Theil nur so gross wie ein Senfkorn ist, so ist doch ein Raum so gross wie ein Senfkorn nöthig, am Raum für die freie Bewegung der Theile des getrennten Körpers innerhalb der Grenzen seiner Oberfläche zu schaffen; und selbst wenn die Stofftheilchen hundert Millionenmal kleiner als ein Senfkorn wären, so muss ein ebenso grosser leerer Raum da sein; gilt es hier, so gilt es auch dort, und so fort ohne Ende. Ist nun dieser leere Raum auch noch so klein, so hebt er doch die Annahme der Raumerfüllung auf, da, wenn es einen leeren Raum von der Grösse des kleinsten, jetzt in der Natur bestehenden Stofftheils geben kann, er immer ein leerer Raum bleibt, und der Unterschied zwischen Raum und Körper ist dann ebenso gross, als bestände eine grosse Kluft, soweit als irgend eine in der Natur zwischen beiden. Selbst wenn man den zur Bewegung notwendigen leeren Raum nicht gleich dem kleinsten Stofftheil, sondern nur zu einem Zehntel oder Tausendstel dieser Grösse annimmt, bleibt doch die Folge, dass es einen leeren Raum giebt.

§ 24. (Die Vorstellungen von Raum und Körper sind verschieden.) Da es sich indess hier nur darum handelt, ob die Vorstellung des Raumes oder der Ausdehnung dieselbe wie die des Körpers ist, so[183] braucht nicht einmal das wirkliche Bestehen des leeren Raumes, sondern nur das seiner Vorstellung bewiesen zu werden, und diese Vorstellung besteht offenbar bei denen, die streiten, ob es einen leeren Raum giebt oder nicht; denn hätten sie diese Vorstellung nicht, so könnten sie über das Dasein des leeren Raumes nicht streiten; enthielte ihre Vorstellung von Körper nicht etwas mehr als die blosse Vorstellung des Raumes, so könnte über die Erfüllung der Welt bei ihnen kein Zweifel bestehen, und die Frage, ob ein Raum ohne Körper sei, wäre ebenso widersinnig, wie die, ob ein Raum ohne Raum, oder ein Körper ohne Körper sei, da dann jene Worte nur verschiedene Ausdrücke für dieselbe Vorstellung wären.

§ 25. (Die Untrennbarkeit der Ausdehnung von dem Körper zeigt, dass beide nicht dasselbe sind.) Allerdings verbindet sich die Vorstellung der Ausdehnung so untrennbar mit allen sichtbaren und den meisten fühlbaren Eigenschaften, dass man keinen äussern Gegenstand sehen, und nur wenige fühlen kann, ohne den Eindruck der Ausdehnung mit zu erhalten. Indem so die Ausdehnung sich sogleich und beharrlich mit andern Vorstellungen bemerkbar macht, haben deshalb wahrscheinlich Manche das Wesen des Körpers in seine Ausdehnung verlegt. Dies kann nicht auffallen, denn sie hatten durch Sehen und Fühlen (die beiden am meisten beschäftigten Sinne) ihre Seele so mit der Vorstellung der Ausdehnung erfüllt, dass sie ganz davon eingenommen war, und keines Gegenstandes Dasein ohne Ausdehnung anerkennen wollte. Ich mag mich jetzt mit ihnen nicht in Streit einlassen, da sie das Maass und die Möglichkeit für alles Seiende nur nach ihren beschränkten und groben Vorstellungen bemessen; da ich es indess hier nur mit denen zu thun habe, welche das Wesen des Körpers deshalb in die Ausdehnung verlegen, weil sie angeblich keine sinnliche Eigenschaft ohne Ausdehnung sich vorstellen können, so möchte ich sie doch darauf aufmerksam machen, dass sie ebenso ihre Vorstellungen von Geschmack und Geruch, wie die von Gesicht und Gefühl bemerkt haben müssen, und hätten sie ihre Vorstellungen von Hunger und Durst und anderen Schmerzen geprüft, so würden sie gefunden haben, dass diese die Vorstellung der Ausdehnung durchaus nicht einschliessen; sie ist vielmehr[184] nur ein Zustand des Körpers wie die übrigen; unsere Sinne können sie entdecken, aber sie sind schwerlich scharf genug, um in das reine Wesen der Dinge zu schauen.

§ 26. Wenn diese Vorstellungen, welche mit allen andern beständig verbunden sind, deshalb als das Wesen der Dinge gelten sollen, mit denen diese Vorstellungen stets untrennbar verbunden sind, so müsste unzweifelhaft die Einheit das Wesen jedes Dinges sein, da es keinen Gegenstand der Sinnes- oder Selbstwahrnehmung giebt, der nicht die Vorstellung des Einen mit sich führt. Indess habe ich die Schwäche dieses Grundes schon genügend dargelegt.

§ 27. (Die Vorstellungen von Raum und Dichtheit sind verschieden.) Was man schliesslich auch von der Wahrheit des leeren Raumes halten mag, so ist mir doch so viel klar, dass wir eine von der Dichtheit verschiedene Vorstellung des Raumes ebenso deutlich haben, wie eine von Bewegung verschiedene Vorstellung von Dichtheit, und wie eine von dem Räume verschiedene Vorstellung von Bewegung. Wir haben keine schärfer unterschiedene Vorstellungen als diese, und wir können ebenso den Raum ohne Dichtheit, wie den Körper und den Raum ohne Bewegung vorstellen, wenngleich sicherlich kein Körper und keine Bewegung je ohne Raum bestehen kann. Ob man nun den Raum nur als ein aus dem Dasein anderer von einander entfernter Dinge hervorgehendes Verhältniss nehmen, oder ob man die Worte des weisen Salomo: »Der Himmel und der Himmel der Himmel kann dich nicht fassen«, oder die leidenschaftlichen Worte des inspirirten Philosophen St. Paulus: »In ihm leben, wandeln und sind wir« im wörtlichen Sinne verstehen will, überlasse ich einem Jeden; nur meine ich, dass unsere Vorstellung des Raumes sich so, wie erwähnt, verhält, und von der des Körpers verschieden ist. Mag man an dem Stoff selbst den Abstand seiner zusammenhängenden Theile mit Rücksicht auf dessen dichte Theile Ausdehnung nennen, oder mag man das innerhalb der Enden eines Körpers nach seinen verschiedenen Richtungen Liegende Länge, Breite und Tiefe nennen; oder mag man in Rücksicht auf das zwischen zwei Körpern oder wirklichen Dingen Liegende, gleichviel ob es von Stoff ist oder nicht, Abstand nennen; so bleibt[185] es unter alten diesen Namen und Gesichtspunkten immer die einfache Vorstellung des Raumes, die den Gegenständen, mit denen unsere Sinne sich beschäftigen, entnommen ist. Haben sich einmal diese Vorstellungen in der Seele befestigt, so kann man sie erwecken, wiederholen und eine zu der andern so oft fügen, als man will, und den so vorgestellten Raum entweder mit dichten Theilen gefüllt vorstellen, so dass ein anderer Körper nur nach Fortstossung des frühem da eindringen kann, oder als leer von Dichtem, so dass ein Körper gleicher Grösse diesen leeren und blossen Raum einnehmen kann, ohne irgend ein darin befindliches Ding zu entfernen oder fortzustossen. Um indess Verwirrung bei Besprechung dieses Gegenstandes zu vermeiden, wäre es vielleicht zweckmässig, das Wort: Ausdehnung nur auf den Stoff anzuwenden oder auf die Entfernung der Enden der einzelnen Körper, und das Wort: Ausspannung für den Raum überhaupt zu gebrauchen, gleichviel ob er von Körpern erfüllt ist oder nicht, so dass man sagte: der Raum ist ausgespannt, und der Körper ist ausgedehnt. Indess ist hierin Jeder frei; mein Vorschlag soll nur die Weise, sich auszudrücken, klarer und bestimmter machen.

§ 28. (Die Menschen sind in den klaren einfachen Vorstellungen meist übereinstimmend.) Die genaue Kenntniss der Bedeutung unseres Wortes dürfte hier, wie in vielen andern Fällen, dem Streite schnell ein Ende machen. Denn ich möchte annehmen, dass alle Menschen bei näherer Prüfung in der Regel in den einfachen Vorstellungen übereinstimmen und nur im Gespräch die verschiedenen Bezeichnungen derselben sich verwirren. Ich meine, Menschen, welche ihre Gedanken trennen und die Vorstellungen ihrer Seele sorgfältig prüfen, können in ihrem Denken nicht sehr von einander abweichen; wenngleich sie mit einander durch Worte in Verwickelung gerathen können, je nach der Sprachweise der einzelnen Schulen und Sekten, in denen sie aufgezogen worden. Dagegen muss unter Menschen, die nicht nachdenken und ihre Vorstellung nicht sorgsam und gewissenhaft prüfen, und sie nicht von den Merkzeichen abstreifen, die dafür gebräuchlich sind, sondern sie mit den Worten verwechseln, das Streiten, Zanken und Schwätzen kein Ende nehmen; namentlich, wenn sie Büchergelehrte[186] sind, die einer bestimmten Sekte zugethan sind, und deren Sprache sich angewöhnt und Anderen nachzusprechen gelernt haben. Solltet aber zwei denkende Menschen wirklich verschiedene Vorstellungen haben, so wüsste ich nicht, wie sie mit einander verhandeln und streiten könnten. Man verstehe mich hier flicht falsch; ich verstehe unter den Vorstellungen, von denen ich hier spreche, nicht jeden in einem Gehirn auftauchenden Einfall; auch ist es nicht leicht, alle verworrenen Begriffe und Vorurtheile abzulegen, welche die Seele Gewohnheit, Unachtsamkeit aus der gewöhnlichen Unterhaltung aufgenommen hat; die Prüfung dieser Vorstellungen erfordert Mühe und Ausdauer, bis sie in die klaren und deutlichen aufgelöst sind, aus denen sie zusammengesetzt sind, und bis man erkennt, welche einzelnen Vorstellungen eine nothwendige Verbindung oder Abhängigkeit von einander haben. Ehe man nicht dies mit den ersten und ursprünglichen Begriffen der Dinge ausgeführt hat, baut man auf schwankenden und unsicheren Grundsätzen und wird oft in Verlegenheit gerathen.

Quelle:
John Locke: Versuch über den menschlichen Verstand. In vier Büchern. Band 1, Berlin 1872, S. 171-187.
Lizenz:
Ausgewählte Ausgaben von
Versuch über den menschlichen Verstand
Philosophische Bibliothek, Bd.75, Versuch über den menschlichen Verstand, Teil 1: Buch I und II
Philosophische Bibliothek, Bd.76, Versuch über den menschlichen Verstand. Teil 2. Buch 3 und 4
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