Theorie des Geruches

[149] Jetzt nun will ich die Frage behandeln: wie kommt der Geruch denn

Hin zur Nase? Zum ersten, man muß viel Dinge sich denken,

Denen der Strom verschiedenen Dufts sich wälzend entströmet,

Dessen stetiger Fluß und Verbreitung sich überallhin lenkt;

Doch die verschiedenen Formen bewirken verschiednen Geschöpfen

Ganz verschiednen Geruch. Drum zieht durch die Lüfte die Immen

Honiggeruch schon von weitem herbei, und verwesendes Aas lockt[149]

Selbst aus der Ferne die Geier. Es leitet die Meute der Rüden

Uns zu der Fährte des Wilds, die sein Spalthuf drückt in den Boden.

Auch die weißliche Gans, der Retter der römischen Felsburg,

Merkt schon lange vorher den Geruch des nahenden Menschen.

So wird jedes Geschöpf von einem besonderen Dufte

Hin zu dem Futter geführt und verscheucht vom widrigen Giftkraut.

So erhalten sich weiter der Tiere Geschlechter am Leben.

Quelle:
Lukrez: Über die Natur der Dinge. Berlin 1957, S. 149-150.
Lizenz:
Kategorien: