Theorie des Geschmackes

Theorie des Geschmackes

[148] Etwas mehr tut Einsicht not und mehr Überlegung,

Wenn wir zu Zunge und Gaumen, mit denen wir schmecken, uns wenden.

Erstlich schmecken im Munde den Saft wir, wenn wir beim Kauen

Unsere Speise zerdrücken, wie wenn man den Schwamm, der mit Wasser

Voll ist gefüllt, mit der Hand fest ausdrückt, um ihn zu trocknen.

Was wir nun so auspressen, verbreitet sich ganz durch des Gaumens

Gänge hindurch und das Porengewirr in der schwammigen Zunge.

Wo nun glatt sind die Stoffe des rinnenden Saftes, da gibt es

Milde Berührung, und milde behandeln sie alle die Räume,

Welche mit wäßrigen Säften gefüllt die Zunge behausen;

Während im Gegenteil sie den Sinn mehr stechen und reizen

Beim Entstehen, je mehr die Atome von rauher Gestalt sind.

Nur bis zum Ende des Gaumens jedoch reicht unser Geschmackssinn;

Wenn hingegen noch weiter der Saft durch die Kehle hinabrinnt

Und sich in alle Gelenke verteilt, dann hört der Geschmack auf.

Ohne Belang ist's ferner, womit sich der Körper ernähre,

Wenn man nur, was man gegessen, auch richtig verdaut an die Glieder

Weiter verteilt und den Magensaft weiß feucht zu erhalten.

Quelle:
Lukrez: Über die Natur der Dinge. Berlin 1957, S. 148.
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