Traumtäuschung

Traumtäuschung

[143] Und zum Schluß noch die Träume! Obwohl uns in lieblichem Schlummer

Fesselt der Schlaf und der Leib in völlige Ruhe versenkt ist,

Glauben wir dennoch zu wachen und unsere Glieder zu regen,

Glauben auch trotz stockfinsterer Nacht die Sonne zu schauen

Und das erleuchtende Licht des Tages; es deucht' uns, obwohl wir

Uns im geschlossenen Räume befinden, als ob wir durchflögen

Himmel und Erde, die Ströme, das Meer, und die Felder durchwandern;

Ja, wir vernehmen da Töne, obgleich doch nächtliche Stille

Ringsum herrscht, und wir geben mit schweigendem Munde die Antwort.

Der Art können wir vieles und wundersames erleben,

Was uns alles versucht, das Vertraun zu den Sinnen zu rauben.

Freilich umsonst! Denn die Täuschung entspringt in den meisten der Fälle

Erst dem Denken des Geistes, das wir doch selber hinzutun,

Das uns erblicken läßt, was das Auge doch gar nicht erblickt hat.

Ist doch nichts so schwierig als Scheidung des deutlich Erkannten

Von dem Bezweifelbaren, das unser Verstand noch hinzutut.

Quelle:
Lukrez: Über die Natur der Dinge. Berlin 1957, S. 143.
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