[168] Wer vermöchte ein Lied so gewaltigen Tones zu singen,
Daß es des herrlichen Stoffs und unsrer Entdeckungen wert sei?
Wo ist der redegewaltige Mann, der würdig mit Worten
Feiern könnte den Meister, der soviel Gold aus dem Schachte
Seines Verstandes geschürft und der Forschung Lohn uns vererbt hat?
Keiner aus sterblichem Blut wird, dünkt mich, sich dessen vermessen.
Wenn sein erhabnes System uns die Wahrheit heißt zu bekennen,
War er ein Gott, ja ein Gott, erlauchtester Memmius, der uns
Jene Betrachtung des Lebens erfand als erster und einz'ger,
Welche wir jetzo gewöhnlich als Weltanschauung bezeichnen,
Der aus den Stürmen des Lebens in ruhiges Wasser uns führte
Und in das strahlende Licht aus den schrecklichen Finsternissen.
Nimm nur einmal zum Vergleich was die Götter vor alters erfanden!
Ceres ließ, wie es heißt, das Getreide den Menschen erwachsen,
Bacchus schenkte die Labe des rebengeborenen Saftes;
Trotzdem kann man doch leben auch ohne die beiden Genüsse,
Wie man von etlichen Völkern auch jetzt noch solches berichtet:
Doch ist der Geist nicht geläutert, vermag man nicht glücklich zu leben.
Um so mehr wird mit Recht als Gott uns jener erscheinen,
Dessen Lehre auch jetzt noch des Lebens heitere Tröstung
Weithin unter den Völkern gemüterquickend verbreitet.
Achtest du aber vielleicht des Herkules Taten für höher,
Wirst du dich nur noch weiter vom Wege der Wahrheit verirren.
Denn was sollte noch jetzt mit dem riesigen Rachen uns schaden
Jener nemeische Leu und Arkadiens borstiger Eber?
Oder was kann uns der kretische Stier und der Drache von Lerna,
Jene mit giftigen Nattern umpanzerte Hydra, noch antun?
Oder was kümmern uns jetzt des Geryones dreifache Leiber,
Oder wenn fern am bistonischen See und am Ismarosberge
Feuer den Nüstern entsprüht Diomeds wutschnaubenden Rossen,[168]
Was soll uns das schaden? Nun erst die stymphalischen Vögel
Oder der schuppige Drachen mit stechendem Blicke, der Hüter
Golden erstrahlender Äpfel im Garten des Hesperiden,
Der mit riesigen Ringeln die Stämme des Baumes umwindet,
Wie soll der uns bedrohn an des grausigen Ozeans Küste,
Wo kein Römer verkehrt und selbst ein Barbar sich nicht hinwagt?
Und nun die übrige Schar der getöteten 'Wundergestalten,
Hätte sie jener verschont, was könnten sie lebend uns schaden?
Nichts, wie mich deucht. Denn es wimmelt von wildem Getier zur Genüge
Heute noch unsere Erde, das banges Entsetzen verbreitet,
Überall hoch in den Bergen, im Hain und im Dickicht des Waldes.
Aber es steht ja doch meistens bei uns die Orte zu meiden.
Doch ist der Geist nicht geläutert, was müssen wir dann für Gefahren,
Was für Kämpfe bestehn, auch wenn wir selbst es nicht wollen!
Was für fressende Sorgen zerfleischen die menschlichen Herzen,
Wenn die Begierde sie reizt, und ebenso quälende Ängste!
Wie kommt Hochmut zu Fall, wie Geiz und freches Gebahren,
Welcher Ruin entsteht durch üppiges Protzen und Nichtstun
Wer nun alle die Laster bezwungen und unsere Herzen
Nur mit dem Wort, nicht mit Waffengewalt von den Übeln befreit hat,
Ist nicht ein solcher Mensch in die Reihe der Götter zu stellen?
Da er zudem auch häufig so schön voll göttlichen Geistes
Von den unsterblichen Göttern in seinen Werken geredet
Und dort unserem Blicke die ganze Natur hat erschlossen.
Seiner erleuchtenden Spur nun folg' ich, indem ich die Gründe
Weiter verfolge und lehre, daß jedes nach jenem Gesetze,
Dem es Entstehung verdankt, auch weiter zu sein ist gezwungen
Und die gewaltigen Schranken der Zeit nicht zu brechen imstand ist.
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