Das Ätnaproblem

[230] Jetzt will ich auch noch erklären, aus welcher Ursache manchmal

In so gewaltigem Wirbel der Ätna die Flammen herausspeit.

Ja, nicht gering war die Not, als das Flammengewitter hereinbrach

Über Siziliens Flur, um dort als Herrscher zu schalten.

Auch den benachbarten Völkern entging nicht das grausige Schauspiel,

Als sie den Rauch und die Funken das ganze Himmelsgewölbe

Sahen umziehn. Da erfüllte ihr Herz die bängliche Sorge,

Was für ein neues Werk die Natur jetzt führe im Schilde.

Solches Ereignis erheischt tiefdringende Forschung und Umsicht:

Weit muß unsere Schau sich nach allen Richtungen wenden,

Daß man auch nimmer vergesse, in welche Tiefe das All reicht

Und welch winzigen Teil von dem Weltall bilde der eine

Himmelsraum, der ja kaum ein Tausendstel ist von dem Ganzen,

Ja, nicht einmal soviel wie der einzelne Mensch von der Erde.

Hast du dir dies vor Augen gestellt und völlig begriffen,

Dann erst wirst du nicht weiter dich über so vieles verwundern.

Wundert sich denn noch jemand von uns, wenn einen das Fieber

Packt und glühender Brand sich durch unsere Glieder verbreitet,

Oder wenn irgendein anderer Schmerz im Körper uns peinigt?

Da schwillt plötzlich der Fuß, da quält oft heftiger Zahnschmerz,

Oder die Augen sogar ergreift das Übel; zuweilen

Breitet das »heilige Feuer« sich aus, das weiter und weiter

Schleichend im Körper die Glieder verbrennt, wo immer es hinkriecht.

Das ist kein Wunder. Es gibt ja so vielerlei Keime der Dinge,[230]

Und mit dem Unheilsamen ist Himmel und Erde geschwängert,

Draus unermeßliche Krankheitsbrut sich vermag zu entwickeln.

Also muß man auch glauben, daß aus dem Unendlichen quellen

Alle die Stoffe, die reichlich für Himmel und Erde genügen,

Um ein plötzliches Beben auf unserer Erde zu wecken,

Rasenden Wirbelsturm auf dem Land und dem Meer zu entfesseln,

Ätnas Feuerströme und Himmelsglut zu entflammen.

Denn auch dies tritt ein: es erglühen die himmlischen Räume,

Und der Gewitterregen ergießt sich in größerer Fülle,

Wenn die Wasseratome just so zusammen sich fanden.

»Aber«, so wirfst du mir ein, »zu groß ist die wirbelnde Lohe.«

Freilich, ein Fluß scheint dem, der niemals größre gesehen,

Wenn er der größte ihm schien, und ebenso Menschen und Bäume

Und sonst all dergleichen, was jedem am größten erschienen,

Das scheint alles ihm riesengroß nach seinen Begriffen:

Trotzdem ist dies alles mit Himmel und Erde und Wasser

Nichts fürwahr im Vergleich zur gesamten Masse des Weltalls.

Doch nun will ich dir endlich die Art erklären, – wie plötzlich

Aus den gewaltigen Essen des Ätna Flamme herausschießt.

Erstens sind tief in dem Berge natürliche Höhlen verborgen,

Und er stützt sich fast ganz auf felsige Grottengewölbe.

Ferner sind Luft und Wind in allen Gewölben vorhanden;

Denn es entsteht ja der Wind, wenn die Luft erregt und bewegt wird.

Kommt nun der Wind in Glut und erhitzt durch sein wütendes Sausen

Alles Gestein, das er trifft, ringsum und die Erde und schlägt dann

Glühendes Feuer aus ihnen hervor mit rasender Flamme,

Dann fährt stracks er empor und sprüht aus dem Schlund in die Höhe.

So trägt weithin die Gluten der Wind, weit streut er die Asche,

Wälzt auch Wolken von Rauch, der dichtestes Dunkel verbreitet.

Und wirft Steine empor von erstaunlich schwerem Gewichte.

Das ist (wer zweifelt daran?) die Macht des entfesselten Sturmwinds.

Weiter umspület das Meer auf größeren Strecken die Wurzeln

Unseres Bergs, wo die Woge sich bricht und die Brandung zurückströmt

Unterirdische Höhlen erstrecken vom Meere sich aufwärts

Bis zu den Schlünden des Gipfels. Durch diese Höhlungen fährt wohl,

Wie man gestehn muß, [öfter ein Wind mit dem Wasser vereint her];

Denn die Erfahrung lehrt, daß vom offenen Meere er eindringt,

Alles nach außen hin speit und die Flamme zum Himmel emportreibt:

Steine fliegen empor und es heben sich Wolken von Sand hoch.[231]

Denn auf dem Gipfel des Berges befinden sich Krater. So nennt man

Dort, was man sonst wohl als Schlünde und Mündungen pflegt zu bezeichnen.

Quelle:
Lukrez: Über die Natur der Dinge. Berlin 1957, S. 230-232.
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