Achtes Buch

1.

[99] Mag es immerhin Deinen Ehrgeiz herabdrücken, dass Du nicht allezeit, dass Du zumal in Deiner Jugend nicht wie ein Philosoph gelebt hast, sondern vielen Anderen und Dir selbst auch als ein Mensch erschienen bist, der von der Philosophie weit entfernt ist, so dass es Dir nicht leicht sein dürfte, Dir noch das Ansehen eines Philosophen zu verschaffen. Ein solcher Strich durch Deine Rechnung ist nur heilsam. Genügen muss es Dir nun, von jetzt an so zu leben, wie es Deine Natur vorschreibt. Achte also darauf, was sie will, und lass Dich durch Nichts davon abbringen. Da hast so Manches versucht, Dich hierhin und dorthin gewendet, aber nirgends Dein Glück gefunden, nicht im Spekuliren, nicht im Reichthum, nicht in der Ehre, nicht in der Sinnenlust, nirgends. Wo ist es denn nun wirklich? Nur im Thun dessen, was die menschliche Natur begehrt. Und wie gelangt man dazu? Dadurch, dass man die Principien festhält, aus denen ein solches Streuen und Handeln mit Notwendigkeit hervorgeht, die Grundsätze, dass dem Menschen Nichts gut sei, was ihn nicht gerecht, mässig, standhaft und frei macht, und dass Nichts böse sei, was nicht das Gegentheil von alle dem hervorbringt.


2.

Bei jeder Handlung frage Dich: wie steht es eigentlich damit? wird es Dich auch nicht gereuen? Eine[99] kurze Zeit nur noch, und Du bist todt und Alles hat aufgehört. Wenn aber das, was Du vorhast, einem Wesen geziemt, das Vernunft hat, auf die Gemeinschaft angewiesen ist und nach denselben Gesetzen wie die Götter leben soll, was verlangst Du mehr?


3.

Was sind Alexander, Cäsar, Pompejus gegen Diogenes, Heraklit und Sokrates? Denn diese hatten die Welt der Dinge erforscht und kannten den Grund und die Weise ihres Bestehens, und ihre Seelen blieben sich immer gleich. Bei Jenen aber, welche Furcht vor den Dingen und welche Abhängigkeit von ihnen!




4.

– Nur fein ruhig und gelassen: sie werden's thun und wenn Du Dich zerrissest!


5.

In der gesammten Natur liegt die Tendenz sich wohlzuverhalten. Die Natur der vernunftbegabten Wesen ist aber nur dann in ihrem normalen Zustande, wenn sie, was das Gedankenleben betrifft, weder der Unwahrheit, noch dem Unerkannten beifällt, wenn sie die Strebungen der Seele nur auf gemeinnützige Werke richtet, unseren Neigungen und Abneigungen nur solche Gegenstände giebt, die in unserer Macht stehen, und wenn sie Alles billigt, was die gesammte Natur über uns verhängt. Denn sie ist ein Theil dieser Allnatur,[100] wie die Natur des Blattes ein Theil der Baum-Natur, nur dass diese als fühllose und vernunftlose in ihrem Bestehen gehemmt werden kann, während die menschliche Natur ein Theil der ungehinderten, vernünftigen und gerechten Natur ist, vor der die zu ihr gehörigen Einzelwesen gleich sind unter einander, indem sie jedem von Zeit und Stoff und Form und Fähigkeit so Viel giebt, als seinem Wesen entspricht, eine Gleichheit, die wir freilich nicht sehen, wenn wir die Einzelwesen unter einander vergleichen, sondern nur, wenn wir deren Gesammtheit mit der der andern Ordnung zusammenhalten.


6.

So Manches geziemt sich nicht zu jeder Zeit. Wohl aber geziemt sich's immer, den Stolz zurückzudrängen, Freud' und Leid gering zu achten, über ehrgeizige Gelüste erhaben zu sein, gefühllosen und undankbaren Menschen nicht zu zürnen, ja vielmehr sich ihrer anzunehmen.


7.

Niemand höre Dich hinfort an, wenn Du das Leben am Hofe überhaupt oder wenn Du das Deinige tadelst.




8.

Die Reue ist eine Selbstanklage darüber, dass man sich einen Vortheil hat entgehen lassen. Das Gute aller ist nothwendig vortheilhaft und somit auch die Sorge des guten und edlen Menschen. Dagegen hat wohl noch nie der edle Mensch darüber Reue gefühlt, dass er sich[101] ein Vergnügen hat entgehen lassen; woraus denn zu entnehmen, dass die Lust nichts Vortheilhaftes und nichts Gutes ist.


9.

Jeder Gedanke des Menschen hat eine physiologische, eine pathologische und eine dialektische Seite.


10.

Sobald Du weisst, was für Ansichten und Grundsätze Einer hat über Gut und Böse, über Lust und Schmerz und über die Wirkungen beider, über Ehre und Schande, Leben und Sterben, kann Dir nicht wunderbar und fremdartig vorkommen, was er thut; Du weisst alsdann: er ist gezwungen, so zu handeln. Und ferner wenn sich doch kein Mensch darüber wundert, dass der Feigenbaum Feigen trägt, und der Arzt nicht, wenn Jemand das Fieber hat, noch der Steuermann, wenn der Wind entgegen steht warum das befremdlich finden, dass das Universum hervorbringt, was dem Keime nach in ihm liegt? –


11.

Seine Meinung zu andern, und dem, der sie berichtigt, Gehör zu schenken ist Nichts, was unsere Selbstständigkeit aufhebt. Es ist ja doch auch dann Dein Trieb und Urtheil, Dein Sinn, aus welchem Deine Thätigkeit hervorgeht.


12.

Lag's an Dir, warum hast Du's gethan? War ein Anderer Schuld, wem willst Du Vorwürfe machen?[102] Den Atomen oder den Göttern? Beides ist Unsinn. Du hast Niemand Vorwürfe zu machen. Suche den, der Schuld war, eines Besseren zu belehren, oder wenn dies nicht möglich, bessere an der Sache selbst. Aber auch, wenn dieses nicht angeht, wozu sollen die Vorwürfe? Man muss eben Nichts ohne Ueberlegung thun.


13.

Was stirbt, kommt darum noch nicht aus der Welt. Aber wenn es auch hier bleibt, verändert es sich doch und löst sich auf in seine Grundstoffe, in die Elemente der Welt und in Deine. Und auch diese andern sich – ohne Murren.


14.

Es ist mit jedem Dinge, seinem Ende, Ursprunge und Bestehen nach nicht anders wie mit einem Balle, den Jemand wirft. Ist's etwas Gutes, wenn er in die Höhe steigt, oder etwas Schlimmes, wenn er niederfährt und zur Erde fällt? Was ist's für eine Wohlthat für die Wasserblase, wenn sie zusammenhält, und was für ein Leid, wenn sie zerplatzt? Und ebenso das Licht, wenn es brennt und wenn es verlischt?




15.

Was Du thust, setze stets in Beziehung auf der Menschen Wohlfahrt; was Dir widerfährt, nimm hin und beziehe es auf die Götter, als auf die Quelle aller Dinge, aus der jegliches Geschehen herfliesst.


16.

[103] Wir müssen in unser Leben Ordnung und Planmässigkeit bringen, und jede unserer Handlungen muss ihren bestimmten Zweck haben. Wenn sie den erreicht, ist es gut; und eigentlich kann sie Niemand daran hindern. Aeussere Hemmnisse können wenigstens Nichts thun, um sie minder gerecht, besonnen, überlegt zu machen, und wenn sie sonst Deiner Thätigkeit Etwas in den Weg legen, so bietet sich wohl gerade durch ein Hinderniss, wenn man's nur gelassen aufnimmt und begierig Acht hat auf das, was zu thun übrig bleibt, ein neuer Gegenstand der Thätigkeit uns dar, dessen Behandlung sich in die Lebensordnung fügen lässt von der wir reden.




17.

Sei bescheiden, wenn Du empfangen, und frisch bei der Hand, wenn Du Etwas weggeben sollst!


18.

Solltest Du einmal eine abgehauene Hand, einen Fuss, einen Kopf, getrennt vom übrigen Körper zu sehen bekommen: siehe, das sind Bilder solcher Menschen, die nicht zufrieden sein wollen mit ihrem Schicksal, oder deren Handlungsweise blos ihrem eigenen Vortheil dient, ein Bild auch Deines Wesens, wie Du manchmal bist. Doch sieh', es steht Dir frei, Dich wieder mit dem grossen Ganzen zu vereinigen, von dem Du Dich geschieden hast. Anderen Gliedern des Universums verstattet die Gottheit nicht, nachdem[104] sie sich abgelöst haben, wieder zusammenzukommen. Aber dem Menschen hat es ihre Güte gewährt. Sie legte es von Haus aus in des Menschen Hand, in dem Zusammenhang mit dem Ganzen zu verbleiben und wenn er daraus geschieden war, zurückzukehren, aufs Neue mit ihm zu verwachsen und den alten Platz wieder einzunehmen.


19.

Wie die Natur jegliches Hinderniss als solches zu beseitigen, in ihre Nothwendigkeit hereinzuziehen und zu einem Bestandtheil ihrer selbst zu machen weiss, so kann auch das vernunftbegabte Wesen jede Hemmung in seinen eigenen Stoff verwandeln und sie benutzen zur Verwirklichung seines Strebens, worauf dasselbe auch gerichtet sein möge.


20.

Wenn Du Dein Leben im Ganzen vor Dir hättest, wenn Du sähest, was Dir Alles bevorsteht, welche Unruhe müsste Dich ergreifen! Aber wenn Du ruhig wartetest, bis es kommt, und bei jedem Einzelnen, wenn es da ist, Dich fragtest, was denn dabei eigentlich nicht zu ertragen sei – Du müsstest Dich Deiner Verzagtheit schämen. Kümmern sollten wir uns immer nur um das Gegenwärtige, da uns nur dieses, nicht Zukünftiges und nicht Vergangenes, wirklich lästig werden kann. Und gemindert unfehlbar wird diese Last, wenn wir das Gegenwärtige rein so nehmen, wie es ist, ihm nichts Fremdes hinzudichten und uns selber widerlegen, wenn wir meinen, auch dies nicht einmal ertragen zu können.[105]


21.

Eine Tugend, die der Gerechtigkeit entgegengesetzt wäre, habe ich in der Natur eines vernünftigen Wesens nicht auffinden können; wohl aber eine, die der Lust entgegensteht, die Enthaltsamkeit nämlich.


22.

Konntest Du Deine Ansicht über das, was Dich zu schmerzen scheint, andern, so würdest Du vollständig in Sicherheit sein. Du, sage ich, nämlich die Vernunft. Aber ich bin nicht die Vernunft, entgegnest Du. Mag sein, wenn sich die Vernunft nur eben nicht betrübt. Alles Uebrige, wenn es sich schlecht befindet, mag denken und fühlen, was es will.




23.

Jede Hemmung des Empfindungslebens sowohl, wie die eines Triebes ist für die animalische Natur ein Uebel. Anders die Hemmungen und Uebel in dem Pflanzenleben. Für die geistbegabten Wesen aber kann nur das ein Uebel sein, was das Geistesleben stört. Hiervon mache die Anwendung auf Dich selbst. Leid und Freude berühren nur die Sphäre des Empfindens. Eine Hemmung des Triebes kann allerdings auch schon für die vernünftige Kreatur ein Uebel sein; allein nur dann, wenn es ein absoluter Trieb ist. Dann aber, wenn Da so nur das Universelle in's Auge fassest, was sollte Dir schaden und was Dich hindern können? Denn in die dem Geiste eigenthümliche Sphäre kann nichts Anderes[106] störend eingreifen, nicht Feuer, nicht Eisen, kein Despot, keine Lästerung, Nichts, was nicht vom Geiste selber herrührt. So lange eine Kugel besteht, so lange bleibt sie eben – rund nach allen Seiten.




24.

Habe ich noch niemals einen Andern absichtlich betrübt, so ziemt es mir auch nicht, mich selber zu betrüben.


25.

Mögen Andere ihre Freude haben, woran sie wollen; meine Freude ist, wenn ich eine gesunde Seele habe, ein Herz, das keinem Menschen zürnt, nichts Menschliches sich fern hält, sondern' Alles mit freundlichem Blick ansieht und aufnimmt, und Jedem begegnet, wie's ihm gebührt.


26.

Nimm mich und versetze mich, wohin Du willst! Bringe ich doch überall den Genius mit, der mir günstig ist, den Geist, der seine Aufgabe darin erkennt, sich so zu verhalten und so zu wirken, wie es seine Bildung verlangt. Und welche äussere Lebensstellung wäre es werth, dass um ihretwillen meine Seele sich schlecht befinde und herabgedrückt oder gewaltsam erregt, gebunden oder bestürzt gemacht ihres Werthes verlustig ginge? Was kannst Du finden, das solcher Opfer werth wäre?


27.

Wenn in Deiner Gemüthsverfassung Etwas ist, was Dich bekümmert, wer hindert Dich den leitenden Gedanken,[107] der die Störung verursacht, zu berichtigen? Ebenso wenn es Dir leid ist, das nicht gethan zu haben, was Dir als das einzig Richtige erscheint, warum thust Du es nicht lieber noch, sondern giebst Dich dem Schmerz darüber hin? Du vermagst es nicht, ein Hinderniss, stärker als dass Du's beseitigen könntest, hält Dich ab? Nun so wehre der Traurigkeit nur um so mehr: der Grund, warum Du's unterliessest, liegt ja dann nicht in Dir! Aber freilich, wenn man so nicht handeln kann, ist's nicht werth zu leben. Und darum scheide Du aus dem Leben mit frohem Muthe und – da Du ja auch sterben müsstest, wenn Du so gehandelt – freundlichen Sinnes gegen die, die Dich gehindert!




28.

Die Seele des Menschen ist unangreifbar, wenn sie in sich gesammelt daran sich genügen lässt, dass sie Nichts thut, was sie nicht will, auch wenn sie sich einmal unvernünftiger Weise widersetzen sollte, am Meisten aber wenn sie jederzeit mit Vernunft zu Werke geht. Darum, sage ich, ist die leidenschaftslose Seele eine wahre Burg und Festung. Denn der Mensch hat keine stärkere Schutzwehr. Hat er sich hier geborgen, kann ihn Nichts gefangen nehmen. Wer dies nicht einsieht, ist unverständig; wer es aber einsieht und dennoch seine Zuflucht dort nicht sucht, unglücklich.


29.

Zu dem, was Dich ein erster scharfer Blick gelehrt, thue dann weiter Nichts hinzu. Du hast erfahren, Der[108] und Jener rede schlecht von Dir. Nun gut. Aber, dass Du gekränkt seist, das hast Du nicht gehört. Du siehst, Dein Kind ist krank. Nun gut. Aber dass es in Gefahr schwebe, das siehst Du nicht. Und so lasse es immer bei dem Ersten bewenden, und thue Nichts aus Deinem Innern hinzu, so wird Dir auch Nichts geschehen. Hast Du aber dennoch Deine weiteren Gedanken dabei, so beweise Dich hierin gerade als ein Mensch, der, was im Leben zu geschehen pflegt, durchschaut hat.


30.

»Hier diese Gurke ist bitter.« Lege sie weg! »Hier ist ein Dornstrauch.« Geh ihm aus dem Wege! Weiter ist darüber Nichts zu sagen. Wolltest Du fortfahren und fragen: aber wozu in aller Welt ist solches Zeug? so würde Dich der Naturforscher gründlich auslachen, ebenso wie Dich der Tischler und der Schuster auslachen würde, wenn Du's ihnen zum Vorwurf machtest, dass in ihren Werkstätten Späne und Ueberbleibsel aller Art herumliegen. Mit dem Unterschiede, dass diese Leute einen Ort haben, wohin sie diese Dinge werfen, die Natur aber hat Nichts draussen. Sondern das Bewunderungswürdige ihrer Kunst besteht eben darin, dass sie, die sich lediglich selber begrenzt, Alles, was in ihr zu verderben, alt und unnütz zu werden droht, so in sich hinein verwandelt, dass sie daraus wieder anderes Neue macht, dass sie keines Stoffes ausser ihr bedarf und das faul Gewordene nicht hinauszuwerfen braucht.[109] Sie hat an ihrem eigenen Raume, an ihrem eigenen Material und an ihrer eigenen Kunst völlig genug.


31.

Hört denn die reine süsse Quelle auf, rein und süss zu quellen, wenn Einer, der dabei steht, sie verwünscht? Und wenn er Schmutz und Schlamm hineinwürfe, würde sie's nicht sofort ausscheiden und hinwegspülen, um rein zu bleiben wie zuvor? Du auch bist im Besitz einer solchen ewig reinen Quelle, wenn Du die Seele frei, liebevoll, einfältig, ehrfurchtsvoll Dir zu bewahren weisst.


32.

Wer nicht weiss, was die Welt ist, weiss nicht, wo er lebt. Aber nur, der da weiss, wozu er da ist, weiss, was die Welt ist.




33.

Wie oft strebst Du danach, einem Menschen zu gefallen, der sich selber nicht gefällt? Oder kann sich der gefallen, der fast Alles, was er thut, bereut?


34.

Hinfort verkehre Du nicht blos mit der Dich umgebenden Luft, sondern ebenso auch mit dem Alles umgebenden Geiste! Denn der Geist ergiesst und vertheilt sich nicht minder überall dahin, wo Jemand ist, der ihn einzusaugen vermag, als die Luft dahin, wo man sie athmen kann.


35.

[110] Im Allgemeinen schadet das Böse der Welt nicht, und im einzelnen Falle schadet es nur dem, dem es vergönnt ist, sich frei davon zu machen, sobald er nur will.




36.

Nach meinem Dafürhalten ist die Ansicht, die mein Nächster hat, etwas ebenso Gleichgültiges für mich als sein ganzes geistiges und leibliches Wesen. Denn wenn es auch durchaus das Richtige ist, dass wir Einer um des Andern willen da sind, so ist doch jede unserer Seelen etwas Selbstständiges für sich. Wäre dies nicht, so müsste ja auch die Schlechtigkeit meines Nebenmenschen mein Verderben sein, was doch der Gottheit nicht gefallen hat, so einzurichten, damit mein Unglück nicht von Andern abhängig sei.


37.

Die Sonnenstrahlen scheinen von der Sonne herzufliessen, und wiewohl sie sich überall hin ergiessen, werden sie doch nicht ausgegossen. Denn dieses Fliessen und Giessen ist Nichts als Ausdehnung. Recht deutlich kann man sehen, was der Strahl sei, wenn die Sonne durch eine enge Oeffnung in einen dunkeln Raum scheint. Ihr Strahl fällt in gerader Richtung und wird, nachdem er die Luft durchschnitten hat, an dem gegenüber stehenden Körper gleichsam gebrochen. Doch bleibt er an ihm haften und löscht nicht aus. Ebenso müssen nun die Ausstrahlungen der Seele sein, kein Ausgiessen,[111] sondern ein sich Ausdehnen, kein heftiges und stürmisches Aufprallen auf die sich entgegenstellenden Objecte, aber auch kein Herabgleiten von ihnen, sondern ein Beharren und Erleuchten alles dessen, was ihrer Strömung begegnet, und so, als beraube jegliches Ding sich selbst ihres Glanzes, wenn es ihn nicht empfängt.


38.

Wer sich vor dem Tode fürchtet, fürchtet sich entweder vor dem Erlöschen jeglicher Empfindung, oder vor einem Wechsel des Empfindens. Aber wenn man gar Nichts mehr fühlt, ist auch ein Schmerz nicht mehr möglich. Erhalten wir aber ein anderes Fühlen, so werden wir andere Wesen, hören also auch nicht auf zu leben.




39.

Die Menschen sind für einander geboren. So lehre oder dulde, die's nicht wissen.


40.

Anders ist der Flug des Geschosses und anders der, den der Geist nimmt. Und doch bewegt sich der Geist, wenn er Bedacht nimmt, oder wenn er überlegt, nicht weniger in grader Richtung und dem Ziel entgegen.


41.

Suche einzudringen in jedes Menschen Inneres, aber verstatte es auch Jedermann in Deine Seele einzudringen![112]

Quelle:
Mark Aurel's Meditationen. Breslau 31875, S. 99-113.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Müllner, Adolph

Die Schuld. Trauerspiel in vier Akten

Die Schuld. Trauerspiel in vier Akten

Ein lange zurückliegender Jagdunfall, zwei Brüder und eine verheiratete Frau irgendwo an der skandinavischen Nordseeküste. Aus diesen Zutaten entwirft Adolf Müllner einen Enthüllungsprozess, der ein Verbrechen aufklärt und am selben Tag sühnt. "Die Schuld", 1813 am Wiener Burgtheater uraufgeführt, war der große Durchbruch des Autors und verhalf schließlich dem ganzen Genre der Schicksalstragödie zu ungeheurer Popularität.

98 Seiten, 6.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Michael Holzinger hat für den zweiten Band sieben weitere Meistererzählungen ausgewählt.

432 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon