Sechstes Buch

1.

[69] Der Stoff der Welt ist bildsam und gefügig, aber etwas Böses kann der ihn beherrschende Geist damit aus sich selbst heraus nicht vornehmen, weil Schlechtes in ihm gar keine Statt hat. Durch ihn kann Nichts zu Schaden kommen, und es ist Nichts, was sich nicht ihm gemäss gestaltete und vollendete.


2.

Darauf darf Dir Nichts ankommen, ob Du vor Kälte klappernd oder im Schweiss gebadet Deine Pflicht thust;[69] ob Du dabei einschläfst oder des Schlafes überdrüssig wirst; ob Du dadurch in schlechten oder in guten Ruf kommst; ob Du darunter das Leben einbüssest oder sonst Etwas leiden musst. Denn auch das Sterben ist ja nur eine von den Aufgaben des Lebens. Genug, wenn Du sie glücklich lösest, sobald sie Dir vorliegt.




3.

Die beste Art, sich an Jemand zu rächen, ist, es ihm nicht gleich zu thun.


4.

Darin allein suche Deine Freude und Erholung, mit dem Gedanken an Gott von einer Liebesthat zur andern zu schreiten!


5.

Das nenn' ich die Seele oder das die Herrschaft Führende im Menschen, was ihn weckt und lenkt, was ihn zu dem macht, was er ist und sein will bewirkt, dass Alles, was ihm widerfährt, scheine, wie er's will.




6.

Jegliches Ding vollendet sich gemäss der Natur des Universums, nicht in Gemässheit eines andern Wesens, das etwa die Dinge von Aussen umgebe oder eingeschlossen wäre in ihrem Innern oder gar völlig getrennt von ihnen.


7.

Entweder es ist Alles ein Gebräu des Zufalls, Verflechtung und Zerstreuung, oder es giebt eine Einheit,[70] eine Ordnung, eine Vorsehung. Nehm' ich das Erstere an, wie kann ich wünschen in diesem planlosen Gemisch, in dieser allgemeinen Verwirrung zu bleiben? was könnte mir dann lieber sein, als so bald wie möglich Erde zu werden? Denn die Auflösung wartete meiner, was ich auch anfinge. Ist aber das Andere, so bin ich mit Ehrfurcht erfüllt und heiteren Sinnes, dem Herrscher des Alls vertrauend.




8.

Wenn in Deiner Umgebung Etwas geschieht, was Dich aufbringen und empören will, so ziehe Dich rasch in Dich selbst zurück, und gieb den Eindrücken, die Deine Haltung aufs Spiel setzen, Dich nicht über Gebühr hin. Je öfter wir die harmonische Stimmung der Seele wiederzugewinnen wissen, desto fähiger werden wir, sie immer zu behaupten.


9.

Wenn Du eine Stiefmutter und eine rechte Mutter zugleich hättest, so würdest Du zwar jene ehren, Deine Zuflucht aber doch stets bei dieser suchen. Ebenso ist es bei mir mit dem Hofleben und der Philosophie. Hier der Ort, wo ich einkehre, hier meine Ruhestätte. Auch ist es die Philosophie, die mir jenes erträglich macht und die mich selbst erträglich macht an meinem Hofe.




10.

Es ist gar nicht so unrecht, wenn man sich beim Essen und Trinken sagt: also dies ist der Leichnam[71] eines Fisches, dies der Leichnam eines Vogels, eines Schweines u.s.w. und beim Falernerwein: dies hier der ausgedrückte Saft einer Traube, oder beim Anblick eines Purpurkleides: Was Du hier siehst, sind Thierhaare in Schneckenblut getaucht – denn solche Vorstellungen geben uns ein Bild der Sache, wie sie wirklich ist, und dringen in ihr inneres Wesen ein. – Man mache es nur überhaupt im Leben so, entkleide Alles, was sich uns als des Strebens würdig aufdrängt, seiner Umhüllung, und sehe von dem äusseren Glanze ab, mit dem es wichtig thut. Der Schein ist ein gefährlicher Betrüger. Gerade wenn Du glaubst mit ernsten und hohen Dingen beschäftigt zu sein, übt er am Meisten seine täuschende Gewalt.




11.

Die Menge legt den höchsten Werth auf den Besitz rein sinnlicher Dinge. Höher hinauf fängt man an den Nutzen einzusehen, den uns die beseelte Natur leistet, und noch eine Stufe höher die Brauchbarkeit der in unserm Dienst stehenden Einzelvernunft. Wer aber nichts Edleres und Höheres kennt, als das allgemeine Vernunftwesen, dem ist jenes Alles geringfügig und unbedeutend. Er hat kein anderes Interesse, als dass seine Vernunft der allgemeinen Menschenvernunft entspreche und so sich jederzeit bewege, und dass er Andere seines Gleichen eben dahin bringe.


12.

Hier ist Etwas, das werden, dort Etwas, das geworden sein möchte: und doch ist jedes Werdende zum Theil[72] auch schon vergangen. Dieses Fliessen und Wechseln erneuert die Welt fort und fort, wie der ununterbrochene Schritt der Zeit die Ewigkeit erneuert. Wolltest Du nun auf Etwas, das diesem Strome angehört, der nimmer still steht, einen besondern Werth legen, so würdest Du einem Menschen gleichen, der eben anfinge, einen vorüberfliegenden Sperling in sein Herz zu schliessen in dem Moment, wo er seinen Blicken auch schon entschwunden ist. Ist doch das Leben selbst nichts Anderes als das Verdunsten des Bluts und das Einathmen der Luft und sowie Du, was Du eingezogen hast, im nächstfolgenden Augenblick immer wieder hingiebst, so wirst Du auch dieses ganze Athmungsvermögen, das Du gestern oder vorgestern empfingst, wieder hingeben. –


13.

Nicht das ist das Wichtige, dass wir ausathmen wie die Pflanzen, einathmen wie die Thiere, oder dass wir die Bilder der Dinge in unserer Vorstellung haben, dass wir durch Triebe in Bewegung gesetzt werden, dass wir uns zusammenschaaren, oder dass wir uns nähren – denn dieselbe Bedeutung hat auch das Ausscheiden der überflüssigen Nahrung; auch nicht, dass wir beklatscht werden – und die Ehre ist grösstentheils nichts Anderes. Sondern dass man der uns eigenthümlichen Bildung gemäss sich gehen lasse oder an sich halte, worauf ja jedes Studium und jede Kunst gerichtet ist. Denn jede Praxis will nichts Anderes als die Dinge ihrem Zweck gemäss gestalten, wie man am Weingärtner, am Pferdebändiger,[73] am Lehrer und Pädagogen sehen kann. In dieser gestaltenden Thätigkeit liegt der ganze Werth unseres Daseins. Steht es damit gut bei Dir, so brauchst Du Dir um andere Dinge keine Sorge zu machen. Hörst Du aber nicht auf, auf eine Menge anderer Dinge Werth zu legen, so bist Du auch noch kein freier, selbstständiger, leidenschaftsloser Mensch, sondern stets in der Lage neidisch und eifersüchtig und hinterlistig zu sein gegen die, die besitzen, was Du so hochstellst, und argwöhnisch, dass es Dir Einer nehmen möchte, und in Verzweiflung, wenn es Dir fehlt, und voll Tadel gegen die Götter. Ist es aber die Gesinnung allein, was Deinen Werth und Deine Würde in Deinen Augen ausmacht, so wirst Du Dich selber achten, Deinen Nebenmenschen gefallen und die Götter loben und preisen können.


14.

Aufwärts und niederwärts – ein Kreislauf ist der Elemente Bewegung. Auch die Tugend geht ihren Gang, doch ist er ganz anderer Art, mehr so wie der Lauf, den das Göttliche nimmt. Mag er auch schwer zu begreifen sein: das sieht man, dass sie vorwärts schreitet.




15.

Was thut man? Die Zeitgenossen mag man nicht rühmen, aber von den Nachkommen, die man nicht kennt noch jemals kennen wird, will man gerühmt werden. Ist das nicht gerade so, wie wenn's Dich schmerzte, dass Deine Vorfahren Nichts von Dir zu rühmen hatten?


16.

[74] Denke nicht, wenn Dir Etwas schwer ankommt, es sei nicht Menschen-möglich. Und was nur irgend einem Menschen möglich und geziemend, davon sei überzeugt, dass es auch für Dich erreichbar sein wird.


17.

Wenn uns in der Fechtschule Jemand geritzt oder einen Schlag versetzt hat, so tragen wir ihm das gewiss nicht nach, fühlen uns auch nicht beleidigt und denken nichts Uebles von dem Menschen; wir nehmen uns wohl vor ihm in Acht, aber nicht als vor einem Feinde, der uns verdächtig sein müsste, sondern nur so, dass wir ihm ruhig aus dem Wege gehen. Machten wir es doch im Leben auch so! Liessen wir doch da auch so Manches unbeachtet, was uns von denen widerfährt, mit denen wir ringen. Es steht uns ja immer frei, den Leuten, wie ich's genannt habe, aus dem Wege zu gehen, ohne Argwohn und ohne Feindschaft.


18.

Wenn mich Jemand überzeugen und mir beweisen kann, dass meine Ansicht oder meine Handlungsweise nicht die richtige sei, so will ich sie mit Freuden ändern. Denn ich suche die Wahrheit, sie, die Niemand Schaden zufügt. Wohl aber nimmt der Schaden, der auf seinem Irrthum und seiner Unwissenheit beharrt.


19.

Ich suche das Meinige zu thun: alles Uebrige, Alles, was leblos oder vernunftlos oder seines Weges unkundig[75] und verirrt ist, geht mich Nichts an und kann mich nicht irre machen.




20.

Der unvernünftigen Thiere und aller der vernunftlosen Dinge, die Dir, dem Vernunftbegabten zu Gebote stehen, magst Du mit edlem, freiem Sinn gebrauchen. Der Menschen aber, der ebenso vernunftbegabten, brauche so, dass Du auf die Verbindung Rücksicht nimmst, in der Du von Natur mit ihnen stehst. Und bei Allem, was Du thust, rufe die Götter an, ohne Dir Sorge zu machen um das »Wie oft?« und wenn's nur dreimal geschähe!


21.

Alexander der Grosse und sein Maulthiertreiber sind beide an denselben Ort gegangen. Entweder wurden sie beide in dieselben Kräfte der zu immer neuen Schöpfungen bereiten Welt aufgenommen, oder sie lösten sich beide auf gleiche Weise in ihre Atome auf.




22.

Bedenke, wie Vielerlei in einem Jeden unter uns in einem und demselben Augenblick zugleich vorgeht, sei's Leibliches, sei's Geistiges. So kannst Du Dich nicht wundern, wenn so viel Mehr, wenn Alles, was geschieht, in dem Einen und Allen, das wir Welt nennen, zugleich vorhanden ist.


23.

Wenn Jemand Dich fragte, wie der Name Antonin geschrieben wird, würdest Du da nicht jeden Buchstaben[76] deutlich und mit gehaltener Stimme angeben? Warum machst Du's nicht auch so, wenn Jemand mit Dir zankt? Warum zankst Du wieder und bringst Deine Worte nicht ruhig und gemessen vor? Auf die Gemessenheit kommt's an bei jeder Pflichterfüllung. Bewahre sie Dir, lass Dich nicht aufbringen, leide den, der Dich nicht leiden kann, und gehe ruhig Deines Weges fort.




24.

Welch' ein Mangel an Bildung, wenn Du den Menschen verbieten willst nach dem zu streben, was ihnen gut und nützlich scheint! Und doch thust Du's gewissermassen allemal, wenn Du darüber Klage führst, dass sie unrecht handeln. Denn auch dabei sind sie doch stets um das bemüht, was ihnen gut und nützlich ist. Du sagst, es sei nicht so, es sei nicht das wahrhaft Nützliche. Darum belehre sie und zeige es ihnen, ohne darüber zu klagen.


25.

Der Tod ist das Ausruhen von den Widersprüchen der sinnlichen Wahrnehmungen, von den Regungen unserer Leidenschaften, von den Entwicklungen unseres Geistes und von dem Dienst des Fleisches.




26.

Du begehst eine Schändlichkeit, so oft in Deinem Leben der Leib Dir nicht den Dienst versagt, wo Deine Seele Dir ihn längst nicht mehr leisten kann.


27.

[77] Nimm Dich vor dem Kaiserwerden in Acht, es liegt etwas Ansteckendes in dieser Hofluft. Bewahre Deine Einfalt, Tugend, Reinheit, Würde, Deine Natürlichkeit, Gottesfurcht, Deine Gerechtigkeitsliebe, Deine Liebe und Güte und Deinen Eifer in Erfüllung der Pflicht. Ringe danach, dass Du bleibst, wie Dich die Philosophie haben will. Ehre die Götter und sorge für das Heil der Menschen! Das Leben ist kurz. Dass es Dir eine Frucht nicht schuldig bleibe: die heilige Gesinnung, aus der die Werke für das Wohl der Andern fliessen! Drum sei in allen Stücken ein Schüler Deines Vorgängers Antonin! so beharrlich und fest wie er im Gehorsam gegen die Gebote der Vernunft, so gleichmüthig in allen Dingen, so ehrwürdig und heiter und warm, auch im Aeusseren, so freundlich, so fern von jeder Ruhmbegier und doch so eifrig Alles zu begreifen und in sich zu verarbeiten! Unterliess er doch Nichts, wovon er sich nicht zuvor gründlich überzeugt hatte, dass es unthunlich sei; ertrug er doch geduldig Alle, die in ungerechter Weise tadelten, ohne sie wieder zu tadeln. Nichtsbetrieb er auf eilfertige Manier, und niemals fanden Verleumdungen bei ihm Gehör. Wie selbstständig war sein Urtheil über die Sitten und Handlungen seiner Umgebung! Darum war er auch gänzlich fern von Schmähsucht oder von Aengstlichkeit, von Misstrauen oder von der Sucht, Andere zu meistern. Wie wenig Bedürfnisse er hatte, konnte man sehen an seiner Art zu wohnen, zu schlafen, sich zu kleiden, zu speisen und sich bedienen[78] zu lassen. Und wie geduldig war er und langmüthig! Seine freundschaftlichen Verbindungen hielt er fest; er konnte die gut leiden, die seinen Ansichten offen widersprachen, und sich freuen über Jeden, der ihm das Bessere zeigte. Dabei hat er die Götter geehrt, ohne in Aberglauben zu verfallen. Und so nimm ihn Dir zum steten Vorbild, damit Du so wie er dem Tode mit gutem Gewissen entgegen gehen kannst.




28.

Besinne Dich, komm' wieder zu Dir. Wie Du beim Aufwachen gesehen, dass es Träume waren, was Dich beunruhigt hat: siehe auch das, was Dir im Wachen begegnet, nicht anders an!


29.

Für den Leib des Menschen ist Alles indifferent, d.h. eine unterschiedslose Masse, denn er hat die Fähigkeit zu unterscheiden nicht. Aber auch für die Seele ist Alles indifferent, was nicht ihre eigene Thätigkeit ist. Alles aber, was eine Function der Seele ist, hängt auch lediglich von ihr ab, vorausgesetzt, dass sie sich auf etwas Gegenwärtiges bezieht. Denn was sie zu thun haben wird oder gethan hat, ist auch kein Gegenstand für sie.




30.

Keine Arbeit für meine Hände oder meine Füsse ist widernatürlich, so lange sie nur in den Bereich dessen fällt, was Hände und Füsse zu thun haben. Ebenso[79] giebt es für den Menschen als solchen keine Anstrengung, die man unnatürlich nennen könnte, sobald der Mensch dabei thut, was menschlich ist. Ist sie aber nichts Unnatürliches, dann gewiss auch nichts Uebles.


31.

Was sind's für Freuden, die der Ehebrecher, Räuber, Mörder, der Tyrann empfindet?


32.

Siehst Du nicht, wie der gewöhnliche Künstler sich zwar dem Geschmack des Publicums zu accommodiren weiss, doch aber an den Vorschriften seiner Kunstfest hält und ihren Regeln zu genügen strebt? Und ist es nicht schlimm, wenn Leute wie der Architekt, der Arzt das Gesetz ihrer Kunst besser im Auge behalten, als der Mensch das Gesetz seines Lebens, das er gemein hat mit den Göttern?!


33.

Was ist Asien und Europa? ein Paar kleine Stückchen der Welt. Was ist das ganze Meer? ein Tropfen der Welt. Und der Athos? eine Weltscholle. Alles ist klein, veränderlich, verschwindend. Aber Alles kommt und geht hervor oder folgt aus jenem allwaltenden Geiste. Und das Schädliche und Giftige ist nur ein Anhängsel des Wohlthätigen und Schönen. Denke nicht, dass es mit dem, was Du verehrst, Nichts zu schaffen habe; sondern siehe bei Allem nur immer auf die Quelle!


34.

[80] Wer sieht, was heute geschieht, hat Alles gesehen, was von Ewigkeit war und in Ewigkeit sein wird. Denn es ist Alles von derselben Art und Gestalt.




35.

Alle Dinge stehen unter einander in Verbindung und sind in sofern einander befreundet. Eines folgt dem Andern und bildet mit ihm eine Reihe, durch die Gemeinschaft des Orts oder des Wesens vermittelt.


36.

Schmiege Dich in die Verhältnisse, die Dir gesetzt sind, und liebe die Menschen, liebe sie wahrhaft, mit denen Du verbunden bist.


37.

Jedes Werkzeug und Gefäss, wenn es thut, wozu es gemacht wurde, ist es gut, wenn auch der, der es verfertigte, längst fort ist. In der Natur aber tragen alle Dinge die sie bildende Kraft in sich und behalten sie, so lange sie selber sind. Und um so ehrwürdiger erscheint diese Kraft, je mehr Du ihrem Bildungstriebe folgst, d.h. je mehr sich Alles in Dir nach dem Geiste richtet. Denn im Universum richtet sich auch Alles nach dem Geiste.


38.

So lange Du Etwas, was keine Sache des Vorsatzes und des freien Willens ist, für gut oder böse hältst, so[81] lange kannst Du auch nicht umhin, wenn Dich ein Unfall betrifft oder das Glück ausbleibt, die Götter zu tadeln oder die Menschen zu hassen als die Urheber Deines Unglücks, als die – vermuthlich wenigstens – Schuld sind, dass Du leidest. Und so verführt uns dieser Standpunkt zu mancher Ungerechtigkeit. Wenden wir dagegen die Begriffe Gut und Böse nur bei den Dingen an, die in unserer Macht stehen, so fällt jeder Grund weg, Gott anzuklagen und uns feindlich zu stellen gegen irgend einen Menschen.


39.

Wir Alle arbeiten an der Vollendung eines Werkes, die Einen mit Bewusstsein und Verstand, die Anderen unbewusst. Sogar die Schlafenden nennt, wenn ich nicht irre, Heraklit Arbeiter, Mitarbeiter an dem, was in der Welt geschieht. Aber Jeder auf andere Art. Luxusarbeit ist die Arbeit des Tadlers, dessen, der den Ereignissen entgegenzutreten wagt und das Geschehene ungeschehen machen will. Denn auch solche Leute braucht das Universum. Und Du musst wissen, zu welchen Du gehörst. Er, der Alles Verwaltende wird sich Deiner schon auf angemessene Weise bedienen und Dich schon aufnehmen in die Zahl der Mitarbeiter und Gehilfen. Du aber sorge dafür, dass Du nicht bist wie ein schlechter Vers im Gedicht.


40.

Will denn die Sonne leisten, was der Regen leistet? Will Aeskulap Etwas hervorbringen? Will auch nur[82] einer von den Sternen ganz dasselbe, was der andere will? Und doch fördern sie alle dasselbe Werk.


41.

Wenn die Götter überhaupt über mich und über das, was geschehen soll, rathschlagen, dann ist ihr Rath auch ein guter. Denn einmal, einen rathlosen Gott kann man sich nicht leicht vorstellen. Und dann, aus welchem Grunde sollten sie mir weh thun wollen? Was könnte dabei für sie oder für das Ganze, dem sie besonders vorstehen, herauskommen? Betreffen ihre Berathungen aber nicht meine besonderen Angelegenheiten, so doch gewiss die allgemeinen der Welt, aus denen dann auch die meinigen sich ergeben, und die ich willkommen heissen und lieben muss. Kümmern sie sich aber um gar Nichts, was wir jedoch nicht glauben dürfen – und was würde dann aus unsern Opfern, unsern Gebeten, unsern Eidschwüren und aus alle Dem, was wir lediglich in der Voraussetzung zu thun pflegen, dass die Götter da sind und dass sie mit uns leben? – aber gesetzt, sie kümmerten sich nicht um meine Angelegenheiten, so liegt es doch mir selbst ob, mich darum zu kümmern. Denn dazu habe ich meine Ueberlegung, dass ich weiss, was mir dienlich ist.


42.

Was Du im Theater und an ähnlichen Orten empfindest, wo sich Deinem Auge ein und dasselbe Schauspiel immer wieder darbietet bis zum Ekel, das hast Du im[83] Leben eigentlich fortwährend zu leiden. Denn Alles, was geschieht, von welcher Seite es auch kommen mag, ist doch immer dasselbe. Wie lange wird's nur noch dauern?




43.

Willst Du Deine Freude haben, so richte Deinen Blick auf die trefflichen Eigenschaften Deiner Zeitgenossen und siehe, wie der Eine ein so hohes Mass von Thatkraft, der Andere von Schamhaftigkeit besitzt, wie freigebig der Dritte u.s.f. Denn Nichts ist so erquicklich als das Bild von Tugenden, die sich in den Sitten der mit uns Lebenden offenbaren und reichlich unserm Blick sich darbieten. Darum halte es Dir nun auch beständig vor Augen!


44.

Aergert's Dich, dass Du nur so viel Pfund wiegst und nicht mehr? So sei auch nicht ärgerlich darüber, dass Dir nicht länger zu leben bestimmt ist. Denn wie Jeder zufrieden ist mit seinem Körpergewicht, so sollten wir Alle auch zufrieden sein mit der uns zugemessenen Lebensdauer.




45.

Komm, wir wollen versuchen sie zu überreden! Wollen sie nicht, wir thun doch, was das Gesetz der Gerechtigkeit gebietet. Hindern sie uns mit Gewalt, so benutzen wir dieses Hemmniss zur Hebung in einer andern Tugend, im Gleichmuth und in der Seelenruhe. Denn Alles, was wir erstreben, erstreben wir ja nur unter gewissen Voraussetzungen. Halten diese nicht[84] Stich – wer wird das Unmögliche wollen? Nur dass unser Streben ein edles war! Denn ein solches trägt seinen Lohn in sich selbst – wie Alles, was wir thun, gehorchend unserer Innersten Natur.


46.

Der Ehrgeizige setzt sein Glück in die Thätigkeit eines Andern, der Vergnügungssüchtige in einen Affekt seiner Seele, der Vernünftige in seine Handlungsweise.




47.

Du hast es gar nicht nöthig, Dir über diese Sache Gedanken zu machen und Deine Seele zu beschweren. Denn eine absolute Nöthigung zum Urtheil liegt niemals in den Dingen.


48.

Gewöhne Dich, wenn Du Jemand sprechen hörst, so genau als möglich hinzuhören, und Dich in seine Seele zu versetzen.


49.

Dem Gelbsüchtigen schmeckt der Honig bitter; der von einem tollen Hunde Gebissene scheut das Wasser; das Kind kennt nichts Schöneres als seinen Ball. Wie kannst Du zürnen? Verlangst Du, dass der Irrthum weniger Einfluss haben soll als eine kranke Galle, als ein dem Körper eingeflösstes Gift?




50.

Niemand kann Dich hindern, dem Gesetze Deiner eigensten Natur zu folgen. Was Du im Widerspruch[85] mit der allgemeinen Menschennatur thust, wird Dir nicht gelingen. –

Quelle:
Mark Aurel's Meditationen. Breslau 31875, S. 69-86.
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