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[33] Wenn der in uns herrschende Geist ist wie er soll, so kann es uns – den Ereignissen gegenüber – nicht schwer fallen, auf jede Möglichkeit vorbereitet zu sein und das Gegebene hinzunehmen. Das Festbestimmte, Abgemachte ist es dann überhaupt nicht, wofür wir Interesse haben, sondern: was uns gut und wünschenswerth scheint, ist doch immer nur mit Vorbehalt ein Gegenstand unseres Strebens; was sich uns aber geradezu in den Weg stellt, betrachten wir als ein Mittel zu unsrer Uebung –: der Flamme gleich, die sich auch solcher Stoffe zu bemächtigen weiss, deren Berührung ein kleineres Licht verlöschen würde, aber ein helles Feuer nimmt in sich auf und verzehrt, was man ihm zuführt, und wird nur grösser dadurch.
[33]
Bei Allem, was Du thust, gehe besonnen zu Werke und so, dass Du dabei die höchsten Grundsätze im Auge hast!
Man liebt es, sich zu Zeiten aufs Land, in's Gebirge, an die See zurückzuziehn. Auch Du sehnst Dich vielleicht dahin. Im Grunde genommen aber steckt dahinter eine grosse Beschränktheit. Es steht Dir ja frei, zu jeglicher Stunde Dich in Dich selbst zurückzuziehn, und nirgends finden wir eine so friedliche und ungestörte Zuflucht als in der eignen Seele, sobald wir nur Etwas von dem in uns tragen, was wir nur anzuschauen brauchen, um uns in eine vollkommen ruhige und glückliche Stimmung versetzt zu sehn – eine Stimmung, die nach meiner Ansicht freilich ein anständiges, sittliches Wesen bedingt. Auf diese Weise also ziehe Dich beständig zurück, um Dich immer wieder aufzufrischen. Einfach und klar und bestimmt aber seien jene Ideen, deren Vergegenwärtigung aus Deiner Seele so Manches hinwegspülen und Dir eine Zuflucht schaffen soll, aus der Du nicht übellaunisch zurückkehrst. Und was sollte Dich auch alsdann verdriessen können? »Die Schlechtigkeit der Menschen?« Aber wenn Du bedenkst, dass die vernünftigen Wesen für einander geboren sind, dass das Ertragen des Unrechts zur Gerechtigkeit gehört, dass die Menschen unfreiwillig sündigen, und dann – wie viel streitsüchtige, argwöhnische, gehässige und gewaltthätige Menschen dahin gemusst haben und nun ein[34] Raub der Verwesung sind – wirst Du da Deine Abneigung nicht los werden? »Oder ist es Dein Schicksal?« So erinnere Dich nur jenes Zwiefachen: entweder wir sagen: es giebt eine Vorsehung, oder: wir sehen uns als Theile und Glieder eines Ganzen an, und unserer Betrachtung der Welt liegt die Idee eines Reiches zu Grunde. »Oder ist es Dein Leib, der irgendwie afficirt wird?« Aber Du weisst ja, der Geist, wenn er sich selbst begriffen und seine Macht kennen gelernt hat, hängt nicht ab von sanfteren oder rauheren Lüften; auch weisst Du, wie wir über Schmerz und Freude denken, und bist einverstanden damit. »Oder macht Dir der Ehrgeiz zu schaffen?« Aber wie schnell breitet Vergessenheit über Alles ihren Schleier! wie unablässig drängt Eins das Andere in dieser Welt ohne Anfang und ohne Ende! Wie nichtig ist jeder Nachklang unseres Thuns! wie veränderlich und wie urtheilslos jede Meinung die sich über uns bildet und wie eng der Kreis, in dem sie sich bildet! Die ganze Erde ist ja nur ein Punkt im All, und wie klein nun wieder der Winkel auf ihr, wo von uns die Rede sein kann! Wie Viele können es sein, und was für welche, die unsern Ruhm verkünden? In der That also gilt es sich zurückzuziehen auf eben diesen kleinen Raum, der unser ist, und hier sich weder zerstreuen, noch einspannen zu lassen, sondern sich frei zu bewegen und die Dinge anzusehen wie ein Mensch, wie ein Glied der Gesellschaft, wie ein sterbliches Wesen. Unter allen den Wahrheiten aber, die Dir am Geläufigsten sind, müssen jedenfalls die[35] beiden sein: die eine: dass die Aussendinge die Seele nicht, berühren dürfen, sondern wirklich Aussendinge sein und bleiben müssen. Denn Widerwärtigkeiten giebt es nur für den, der sie dafür hält. Die andere: dass Alles, was Du siehst, sich bald verwandeln und nicht mehr sein werde, wie Du selbst schon eine Menge Wandlungen durchgemacht hast. Mit einem Wort: dass die Welt auf dem Wechsel, das Leben auf der Meinung beruhe.
Haben wir Alle das Denkvermögen gemein, dann auch die Vernunft; dann auch die Stimme, die uns sagt, was wir thun und lassen sollen; dann auch eine Gesetzgebung; wir sind also Alle Bürger eines und desselben Reiches. Und so würde folgen, dass die Welt ein Reich ist. Denn welches Reich wäre sonst dem menschlichen Geschlecht gemein? – Stammt nun etwa jene Denkkraft, jenes Vernünftige und Gesetzgebende aus diesem uns Allen gemeinsamen Reiche oder sonst woher? Denn gleichwie die verschiedenen Stoffe, jeder seine besondere Quelle hat (denn es ist Nichts, was aus dem Nichts entstände, so wenig wie Etwas in das Nichts übergeht), so muss auch das Geistige irgendwoher stammen.
Mit dem Tode verhält sich's wie mit der Geburt: beides Geheimnisse der Natur. Dieselben Elemente, welche hier sich einigen, werden dort gelöst. Und das ist Nichts, was uns unwürdig vorkommen könnte. Es[36] widerspricht weder dem vernünftigen Wesen selbst, noch dem Princip seiner Bildung.
Es liegt freilich in der Natur der Sache, dass gewisse Leute einen solchen Widerspruch darin finden. Aber wer dies nicht will, will nicht, dass die Traube Saft habe.
Aendere Deine Ansicht und – Du hörst auf Dich zu beklagen. Beklagst Du Dich nicht mehr, ist auch das Uebel weg.
Der Begriff des Heilsamen und des Schädlichen schliesst es schon in sich, dass was den Menschen nicht verdirbt, auch sein Leben nicht verderben oder verbittern kann weder äusserlich noch innerlich.
Alles was geschieht, geschieht mit Recht; einer genauen Beobachtung kann das nicht entgehen. Auch sage ich nicht blos: es ist in der Ordnung, sonder: es ist recht, d.h. so, als käme es von Einem, der Alles nach Recht und Würdigkeit austheilt. Setze Deine Beobachtungen nur fort, und Du selbst – was Du auch thust, sei gut! gut im eigentlichsten Sinne des Worts! Denke daran bei jeder Deiner Handlungen!
[37] Wie derjenige denkt, der Dich verletzt, oder wie er will, dass Du denken sollst, so denke gerade nicht. Sondern sieh die Sache an, wie sie in Wahrheit ist.
Zu Zweierlei müssen wir stets bereit sein: einmal, zu handeln einzig den Forderungen gemäss, welche das in uns herrschende Gesetz an uns stellt – und das heisst immer auch zugleich zum Nutzen der Menschen handeln. Sodann: auf unserer Meinung nicht zu beharren, wenn Einer da ist, der sie berichtigen und uns so von ihr abbringen kann. Doch muss jede Sinnesänderung davon ausgehen, dass die neue Ansicht die richtige und gute sei, nicht davon, dass sie Annehmlichkeiten und äussere Vortheile verschaffe.
Wenn Du Vernunft hast, warum gebrauchst Du sie nicht? Thut sie das Ihrige, was kannst Du Mehr verlangen?
Was Du bist, ist doch nicht das Ganze. So wirst Du denn auch einst aufgehen in den, der Dich erzeugte; oder vielmehr, nach geschehener Wandlung wirst Du wieder aufgenommen werden in seine Erzeugernatur.
[38] Weihrauch auf dem Altar der Gottheit – das ist des Menschen Leben. Wie Viel davon gestreut schon ist, wie Viel noch nicht, was liegt daran?
Sobald Du Dich zu den Grundsätzen und dem Dienst der Vernunft bekehrst, kannst Du denen ein Gott sein, denen Du jetzt so verächtlich erscheinst.
Richte Dich nicht ein, als solltest Du Hunderte alt werden. Denn wie nahe vielleicht ist Dein Ende! Aber so lange Du lebst, so lange es in Deiner Macht steht – sei gut!
Welch ein Gewinn, wenn man auf anderer Leute Worte, Angelegenheiten und Gedanken nicht achtet, sondern nur merkt auf das eigene Thun, ob es gerecht und fromm und gut sei,
» – das Auge abgewendet
vom Pfuhl des Lasters, nur der eignen Bahn
nachgehend, grad' und unverrückt.«
Der Ruhmbegierige bedenkt nicht, dass auch die in aller Kürze nicht mehr sein werden, die seiner gedenken, und dass es sich mit jedem folgenden Geschlecht ebenso verhält, bis endlich die Erinnerung, durch Solche fortgepflanzt,[39] die nun erloschen sind, selber erlischt. Aber gesetzt auch, sie wären unsterblich, die Deinen Namen nennen, und unsterblich dieses Namens Gedächtniss: was nutzt Dir's? Dir, der Du bereits gestorben bist? Aber auch, was nutzt Dir's bei Deinem Leben? Es sei denn, dass Du ökonomische Vortheile dabei hast. Sind also Ruhm und Ehre Dir zu Theil geworden, achte dieser Gabe nicht! sie macht Dich eitel und abhängig vom Geist und Wort der Andern.
Jegliches Schöne ist schön durch sich selbst und in sich vollendet, so dass für ein Lob kein Raum in ihm ist. Wird es doch durch Lob weder schlechter noch besser. Dies gilt auch von dem, was man in der Regel schön nennt, von dem körperlich Schönen und den Werken der Kunst. Das wahrhaft Schöne bedarf des Lobes ebenso wenig als das göttliche Gesetz, die Wahrheit, die Güte, die Scham. Oder vermag daran etwa das Lob Etwas zu bessern oder der Tadel Etwas zu verderben? Wird die Schönheit des Edelsteins, des Purpurs, des Goldes, des Elfenbeins, die Schönheit eines Instruments, einer Blüthe, eines Bäumchens geringer dadurch, dass man sie nicht lobt?
Wenn die Seelen fortdauern, wie vermag sie der Luftraum von Ewigkeit her zu fassen? Aber wie ist denn die Erde im Stande, die todten Leiber so vieler[40] Jahrtausende zu fassen? Die Leiber, nachdem sie eine Zeit lang gedauert haben, verwandeln sie sich und lösen sich auf, und so wird andern Leibern Platz gemacht. Ebenso die in den Aether versetzten Seelen. Eine Zeit lang halten sie zusammen, dann verändern sie sich, dehnen sich aus, verbrennen und gehen in das allgemeine Schöpferwesen auf, so dass ein Raum für neue Bewohner entsteht. So etwa liesse sich die Ansicht von der Fortdauer der Seelen erklären. Was aber die Leiber betrifft, so kommt hier nicht blos die Menge der auf jene Weise untergebrachten, sondern auch die der täglich von uns und von den Thieren verzehrten Leiber in Betracht. Welch eine Menge verschwindet und wird so gleichsam begraben in den Leibern derer, die sich davon nähren, und immer derselbe Raum ist's, der sie fasst, durch Verwandlung in Blut, in Luft- und Wärmestoffe. Das Princip oder die Summe aller dieser Erscheinungen ist also: die Auflösung in die Materie und in den Urgrund aller Dinge.
Stets entschieden, gilt es, zu sein und das Rechte im Auge zuhaben bei jeglichem Streben. Indem Gedankenleben aber sei das Begreifliche Dein Leitstern.
Was Dir harmonisch ist, o Welt, ist's auch für mich! Nichts kommt zu früh für mich und Nichts zu spät, wenn's bei Dir heisst: »zu guter Stunde.« Eine süsse[41] Frucht ist mir Alles, was Du gezeitigt hast, Natur. Von Dir und in Dir und zu Dir ist Alles. – Als jener Theben wiedersah, rief er: »du liebe Stadt des Cekrops!« und ich, ich sollte mit dem Blick auf Dich nicht sagen: »du liebe Stadt des höchsten Gottes?«
Nur auf wenig Dinge, heisst es, darf sich Deine Thätigkeit erstrecken, wenn Du Dich wohl befinden willst. Aber wäre es nicht besser, sie auf das Nothwendige zu richten? auf das, was wir als Wesen, die auf das Leben in Gemeinschaft angewiesen sind, thun sollen? Denn das hiesse nicht blos das Vielerlei, sondern auch das Schlechte vermeiden und müsste uns also doppelt glücklich machen. Gewiss würden wir ruhiger und zufriedener sein, wenn wir das Meiste von dem, was wir zu reden und zu thun pflegen, als überflüssig Hessen. Ist es doch durchaus nothwendig, dass wir in jedem einzelnen Falle, ehe wir handeln, eine Stimme der Warnung vernehmen; und sollte die von Etwas ausgehen können, das an sich selbst unnöthig ist? Zuerst aber befreie Deine Gedanken von Allem, was unnütz ist, dann' wirst Du auch nichts Unnützes thun.
Mache den Versuch – vielleicht gelingt Dir's – zu leben wie ein Mensch, der mit seinem Schicksal zufrieden ist, und, weil er recht handelt und liebevoll gesinnt ist, auch den inneren Frieden besitzt.
[42] Willst Du? so höre noch dies: Rege Dich nicht selbst auf, und bleibe immer bei Dir. Hat sich Jemand an Dir vergangen: an sich selbst hat er sich vergangen. Ist Dir etwas Trauriges widerfahren: es war Dir von Anfang an bestimmt; was geschieht, ist Alles Fügung. Und in Summa: das Leben ist kurz. Die Gegenwart ist's, die wir nutzen sollen, durch rechtschaffenes und überlegtes Handeln, und wenn wir ausruhen wollen, durch ein besonnenes Ausruhen.
Wenn der ein Fremdling ist in der Welt, der nicht weiss, was auf ihr ist und geschieht, so nenne ich den einen Flüchtling, der sich den Ansprüchen des Staates entzieht; einen Blinden, der das Auge seines Geistes schliesst; einen Bettler, der eines Andern bedarf und nicht in sich alles zum Leben Nöthige trägt; einen Auswuchs des Weltalls, der von dem Grundgesetz der Allnatur abweicht und – hadert mit dem Schicksal! als hätte sie, die Dich hervorgebracht, nicht auch dieses erzeugt; ein abgehauenes Glied der menschlichen Gesellschaft, der mit seiner Seele von dem Lebensprincip der einen alle Vernunftwesen umfassenden Gemeinde geschieden ist.
Es giebt Philosophen, die keinen Rock anzuziehen haben und halbnackt einhergehen. »Nichts zu essen,[43] aber treu der Idee.« Auch für mich ist die Philosophie kein Brotstudium.
Liebe immerhin die Kunst, die Du gelernt hast, und ruhe Dich aus in ihr. Doch gehe durch's Leben nicht anders wie Einer, der Alles, was er hat von ganzem Herzen den Göttern weiht, Niemandes Tyrann und Niemandes Knecht.
Betrachten wir die Geschichte, z.B. die Zeiten Vespasians, so finden wir Menschen, die sich freien, Kinder zeugen, krank liegen, sterben, Krieg führen, Feste feiern, Handel treiben, Acker bauen; finden Schmeichler, Freche, Misstrauische, Listige, oder solche, die ihr Ende herbeiwünschen, die sich über die schlimmen Zeiten beklagen; finden Liebhaber, Geizhälse, Ehrgeizige, Herrschsüchtige. Denn etwas Anderes tritt uns doch wahrlich nicht entgegen. Gehen wir über auf die Zeiten des Trajan: Alles ganz ebenso, und auch diese Zeit ging zu Grabe. – So betrachte die Grabschriften aller Zeiten und Völker, damit Du siehst, wie Viele, die sich aufschwangen, nach kurzer Zeit wieder sanken und vergingen. Namentlich muss man immer wieder an die denken, bei denen wir's mit eignen Augen gesellen haben, wie sie nach eitlen Dingen trachteten, wie sie nicht thaten, was ihrer Bildung entsprach, daran nicht unablässig fest hielten und sich daran nicht genügen Hessen. Und fällt uns dann die Regel ein, dass[44] die Behandlung einer Sache ihren Massstab in dem Werth der Sache selbst hat, so wollen wir sie doch ja beobachten, damit wir uns vor dem Ekel bewahren, der die nothwendige Folge davon ist, dass man den Dingen mehr Werth beilegt, als sie verdienen.
Worte, die ehemals in Gebrauch waren, sind nun veraltet. So sind auch die Namen einst hochberühmter Männer, eines Camill, Scipio, Cato, dann eines Augustus, dann Hadrians, dann Antoninus Pius, später gleichsam veraltete Worte. Sie verbleichen bald und nehmen das Gewand der Sage an, bald sind sie gar versunken in Vergessenheit. Dies gilt von denen, die ehemals so wunderbar geleuchtet haben. Denn von den Andern, sind sie nur todt, weiss man Nichts mehr, hat man nie Etwas gehört. Also ist Unvergesslichkeit ein leeres Wort. Aber was ist es denn nun, wonach sich's lohnt zu streben? Nur das Eine: eine tüchtige Gesinnung, ein Leben zum Besten Anderer, Wahrheit in jeder Aeusserung, ein Zustand des Gemüths, wonach Dir Alles, was geschieht, nothwendig scheint und Dir befreundet, aus einer Quelle fliessend, mit der Du vertraut bist.
Gieb Dich dem Schicksal willig hin, und erlaube ihm, Dich mit den Dingen zu verflechten, die es Dir irgend zuerkennt.
[45] Eintagsfliegen sind Beide, der Gedenkende und der, dessen gedacht wird.
Alles entsteht durch Verwandlung, und die Natur liebt Nichts so sehr, als das Vorhandene umzuschaffen und Neues von ähnlicher Art zu erzeugen. Jedes Einzelwesen ist gewissermassen der Same eines zukünftigen, und es wäre eine grosse Beschränktheit, nur das als ein Samenkorn anzusehen, was in die Erde oder in den Mutterschoss geworfen wird.
Wie bald wirst Du todt sein, und noch immer bist Du nicht ohne Falsch, nicht ohne Leidenschaft, nicht frei von dem Vorurtheil, dass Aeusseres dem Menschen schaden könne, nicht sanftmüthig gegen Jedermann, und noch immer nicht überzeugt, dass Gerechtigkeit die einzig wahre Klugheit sei.
Sieh sie Dir an diese weisen Männer und wie ihre Geister beschaffen sind, was sie fliehen und was sie verfolgen.
In der Seele eines Andern sitzt es nicht, was Dich unglücklich macht, auch nicht in der Wendung Deiner äusseren Verhältnisse. Wo denn, fragst Du? In Deinem Urtheil! Halte es nicht für ein Unglück, und Alles steht[46] gut. Und wenn, was Dich zunächst umgiebt, Deine Haut verwundet, geschnitten, gebrannt wird, doch muss der Theil Deines Wesens, der über solche Dinge urtheilt, in Ruhe sein, d.h. er muss denken, dass das, was ebenso den Guten wie den Bösen treffen kann, unser Unglück oder unser Glück unmöglich ausmacht. Denn was bald der erfährt, der gegen die Natur lebt, bald wieder der, der ihrer Stimme folgt, das kann doch selbst nicht widernatürlich oder natürlich heissen.
Die Welt ist ein einiges lebendiges Wesen, ein Weltstoff und eine Weltseele. In dieses Weltbewusstsein wird Alles absorbirt, so wie aus ihm Alles hervorgeht, so jedoch, dass von den Einzelwesen eines des anderen Mitursache ist und auch sonst die innigste Verknüpfung unter ihnen stattfindet.
Nach Epiktet ist der Mensch – eine Seele mit einem Todten auf dem Rücken.
Was zu dem Wandelungsprozesse gehört, dem wir Alle unterworfen sind, das kann als solches weder gut noch böse sein.
Ein Strom des Werdens, wo Eins das Andre jagt, ist diese Welt. Denn ein jegliches Ding – verschlungen[47] ist's, kaum da es aufgetaucht. Aber kaum ist das Eine dahin, trägt die Woge schon wieder ein Anderes her.
Wie die Rose des Sommers Vertraute und die Früchte die Freunde des Herbstes sind, so ist das Schicksal uns freundlich gesinnt, mag es nun Krankheit oder Tod oder Schimpf und Schande heissen. Denn Kummer machen solche Dinge nur dem Thoren.
Das Folgende entspricht immer dem Vorangehenden, nicht in der Weise des Nacheinander mit blos äusserer Verknüpfung, sondern durch ein inneres geistiges Band. Denn wie im Reiche des Gewordenen Alles harmonisch gefügt ist, so tritt uns auch auf dem Gebiete des Werdens keine blosse Aufeinanderfolge, sondern eine wunderbare innere Verwandtschaft entgegen.
Mag es richtig sein, was Heraklit sagt, dass in der Natur das Eine des Andern Tod sei, der Erde Tod das Wasser, des Wassers die Luft, der Luft das Feuer und umgekehrt; doch hat er nicht gewusst, wohin Alles führt. Aber es lässt sich auch von solchen Leuten lernen, die das Ziel ihres Weges aus dem Gedächtniss verloren haben, auch von solchen, die, je mehr sie mit dem Alles beherrschenden Geiste verkehren, thatsächlich sich desto mehr von ihm entfernen, auch von denen, welchen gerade das fremd ist, was sie täglich beschauen,[48] oder die wie im Traume handeln und reden (denn auch das nennt man noch Thätigkeit), oder endlich von solchen, die wie die kleinen Kinder Alles nachmachen.
Wenn Dir ein Gott weissagte, Du werdest morgen, höchstens übermorgen sterben, so könntest Du Dich über dieses »Uebermorgen« doch nur freuen, wenn gar nichts Edles in Dir stecke. Denn was ist's für ein Aufschub! Ebenso gleichgültig aber müsste es Dir sein, wenn man Dir prophezeite: nicht morgen, sondern erst nach langen Jahren!
Wie viele Aerzte sind gestorben, nachdem sie an wie vielen Krankenbetten bedenklich den Kopf geschüttelt; wie viele Astrologen, die erst Andern mit grosser Wichtigkeit den Tod verkündigten; wie viele Philosophen, nachdem sie über Tod und Unsterblichkeit ihre tausenderlei Gedanken ausgekramt; wie viele Kriegshelden mit dem Blute Anderer bespritzt; wie viele Fürsten, die ihres Rechtes über Leben und Tod mit grossem Uebermuthe brauchten, als wären sie selbst nicht auch sterbliche Menschen; wie viele Städte – Helion, Pompeji, Herkulanum und unzählige andere – sind, dass ich so sage, gestorben! Dann die Du selbst gekannt hast, Einer nach dem Andern! Der jenen begrub, wurde dann selbst begraben, und das binnen Kurzem. Denn alles Menschliche ist nichtig und vorübergehend, das Gestern eine Seifenblase, das Morgen[49] – erst eine einbalsamirte Leiche, dann ein Haufen Asche. Darum nutze das Heute so wie Du sollst, dann scheidet sich's leicht: wie die Frucht, wenn sie reif gewollt abfällt – preisend den Zweig, an dem sie hing, dankend dem Baum, der sie hervorgebracht!
Wie der Fels im Meere, an dem die Wellen unaufhörlich rütteln – aber er steht, und ringsum legt sich der Brandung Ungestüm: so stehe auch Du! Nenne Dich nicht unglücklich, wenn Dir ein »Unglück« widerfuhr! Nein, sondern preise Dich glücklich, dass, obwohl es Dir widerfahren ist, der Schmerz Dir doch nichts anhat und weder Gegenwärtiges Dich mürbe machen, noch Zukünftiges Dich ängstigen kann. Jedem könnt' es begegnen, aber nicht Jeder hätte es so ertragen. Und warum nennst Du das Eine ein Unglück, das Andere ein Glück? Nennst Du nicht das ein Unglück für den Menschen, was ein Fehlgriff seiner Natur ist? Aber wie sollte das ein Fehlgriff der menschlichen Natur sein können, was nicht wider ihren Willen ist? Und Du kennst doch ihren Willen? Kann Dich denn irgend ein Schicksal hindern, gerecht zu sein, hochherzig, besonnen, klug, selbstständig in Deiner Meinung, wahrhaft in Deinen Reden, sittsam und frei in Deinem Betragen, hindern an dem, was wenn es vorhanden ist so recht dem Zweck der Menschen-Natur entspricht? So oft also etwas Schmerzhaftes Dir nahe tritt: denke, es sei kein Unglück; aber ein Glück sei's, es mit edlem Muthe zu tragen.
[50]
Es ist zwar ein lächerliches aber wirksames Hilfsmittel, wenn man den Tod will verachten lernen, sich die Menschen zu vergegenwärtigen, welche mit aller Inbrunst am Leben hingen. Denn was war ihr Loos, als dass sie zu früh starben? Begraben liegen sie Alle, die Fabius, Julianus, Lepidus oder wie sie heissen mögen, die allerdings so manche Andere überlebten, dann aber doch auch an die Reihe mussten. – Wie klein ist dieser ganze Lebensraum, und unter wie viel Mühen, mit wie schlechter Gesellschaft, in wie zerbrechlichem Körper wird er zurückgelegt! Es ist nicht der Rede werth. Hinter Dir eine Ewigkeit und vor Dir eine Ewigkeit: dazwischen – was für ein Unterschied, ob Du 3 Tage oder 3 Jahrhunderte zu leben hast?
Daher begrenze den Weg, den Du zu gehen hast! Du wirst Dich auf diese Weise von mancher Sorge und von manchem Ballast befreien. Das Begrenzte ist der Natur gemäss, Begrenzung die Gesundheit unseres Thuns und Denkens!
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Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Für den dritten Band hat Michael Holzinger neun weitere Meistererzählungen aus dem Biedermeier zusammengefasst.
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