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Wir gehören nicht zu den Malkontenten, die schon vor der Erscheinung des neuen preußischen Zensuredikts ausrufen: Timeo Danaos et dona ferentes. Vielmehr da in der neuen Instruktion die Prüfung schon erlassener Gesetze, sollte sie auch nicht im Sinne der Regierung ausfallen, gebilligt wird, so machen wir sogleich einen Anfang mit ihr selbst. Die Zensur ist die offizielle Kritik; ihre Normen sind kritische Normen, die also am wenigsten der Kritik, mit der sie sich in ein Feld stellen, entzogen werden dürfen.
Die im Eingang der Instruktion ausgesprochene allgemeine Tendenz wird gewiß jeder nur billigen können:
»Um schon jetzt die Presse von unstatthaften, nicht in der Allerhöchsten Absicht liegenden Beschränkungen zu befreien, haben Seine Majestät der König durch eine an das Königliche Staatsministerium am 10. dieses Monats erlassene Allerhöchste Ordre jeden ungebührlichen Zwang der schriftstellerischen Tätigkeit ausdrücklich zu mißbilligen und, unter Anerkennung des Werts und des Bedürfnisses einer freimütigen und anständigen Publizität, uns zu ermächtigen geruht, die Zensoren zur angemessenen Beachtung des Artikel II des Zensuredikts vom 18. Oktober 1819 von neuem anzuweisen.«
Gewiß! Ist die Zensur einmal eine Notwendigkeit, so ist die freimütige, die liberale Zensur noch notwendiger.
Was sogleich ein gewisses Befremden erregen dürfte, ist das Datum des angeführten Gesetzes; es ist datiert vom 18. Oktober 1819. Wie? Ist es etwa ein Gesetz, welches die Zeitumstände zu derogieren zwangen? Es scheint nicht; denn die Zensoren werden nur »von neuem« zur Beachtung desselben angewiesen. Also bis 1842 war das Gesetz vorhanden, aber es ist nicht befolgt worden, denn »um schon jetzt« die Presse von unstatthaften, nicht in der allerhöchsten Absicht liegenden Beschränkungen zu befreien, wird es ins Gedächtnis gerufen.[3]
Die Presse – eine unmittelbare Konsequenz dieses Eingangs – unterlag bis jetzt trotz dem Gesetze unstatthaften Beschränkungen.
Spricht dies nun gegen das Gesetz oder gegen die Zensoren?
Das letztere dürfen wir kaum behaupten. Zweiundzwanzig Jahre durch geschahen illegale Handlungen von einer Behörde, welche das höchste Interesse der Staatsbürger, ihren Geist, unter Tutel hat, von einer Behörde, die, noch mehr als die römischen Zensoren, nicht nur das Betragen einzelner Bürger, sondern sogar das Betragen des öffentlichen Geistes reguliert. Sollte in dem wohleingerichteten, auf seine Administration stolzen preußischen Staate solch gewissenloses Benehmen der höchsten Staatsdiener, eine so konsequente Illoyalität möglich sein? Oder hat der Staat in fortwährender Verblendung die untüchtigsten Individuen zu den schwierigsten Stellen gewählt? Oder hat endlich der Untertan des preußischen Staates keine Möglichkeit, gegen ungesetzmäßiges Verfahren zu reklamieren? Sind alle preußischen Schriftsteller so ungebildet und unklug, mit den Gesetzen, die ihre Existenz betreffen, nicht bekannt zu sein, oder sind sie zu feig, die Anwendung derselben zu verlangen?
Werfen wir die Schuld auf die Zensoren, so ist nicht nur ihre eigne Ehre, sondern die Ehre des preußischen Staats, der preußischen Schriftsteller kompromittiert.
Es wäre ferner durch das mehr als zwanzigjährige gesetzlose Benehmen der Zensoren trotz den Gesetzen das argumentum ad hominem geliefert, daß die Presse andrer Garantien bedarf als solcher allgemeiner Verfügungen für solche unverantwortliche Individuen; es wäre der Beweis geliefert, daß im Wesen der Zensur ein Grundmangel liegt, dem kein Gesetz abhelfen kann.
Waren aber die Zensoren tüchtig, und taugte das Gesetz nicht, warum es von neuem zur Abhülfe der Übel aufrufen, die es veranlaßt hat?
Oder sollen etwa die objektiven Fehler einer Institution den Individuen zur Last gelegt werden, um ohne Verbesserung des Wesens den Schein einer Verbesserung zu erschleichen? Es ist die Art des Scheinliberalismus, der sich Konzessionen abnötigen läßt, die Personen hinzuopfern, die Werkzeuge, und die Sache, die Institution festzuhalten. Die Aufmerksamkeit eines oberflächlichen Publikums wird dadurch abgelenkt.
Die sachliche Erbitterung wird zur persönlichen. Mit einem Personenwechsel glaubt man den Wechsel der Sache zu haben. Von der Zensur abrichtet sich der Blick auf einzelne Zensoren, und jene kleinen Schriftsteller[4] des befohlenen Fortschritts handhaben minutiöse Kühnheiten gegen die ungnädig Behandelten, als ebenso viele Huldigungen gegen das Gouvernement.
Noch eine andre Schwierigkeit hemmt unsre Schritte.
Einige Zeitungskorrespondenten halten die Zensurinstruktion für das neue Zensuredikt selbst. Sie haben geirrt; aber ihr Irrtum ist verzeihlich. Das Zensuredikt vom 18. Oktober 1819 sollte nur provisorisch bis zum Jahre 1824 dauern, und – es wäre bis auf den heutigen Tag provisorisches Gesetz geblieben, wenn wir nicht aus der vorliegenden Instruktion erführen, daß es nie in Anwendung gekommen ist.
Auch das Edikt von 1819 war eine interimistische Maßregel, nur daß hier der Erwartung die bestimmte Sphäre von fünf Jahren angewiesen war, während sie in der neuen Instruktion beliebigen Spielraum hat, nur daß der Gegenstand der damaligen Erwartung Gesetze der Preßfreiheit, der der jetzigen Gesetze der Zensur sind.
Andre Zeitungskorrespondenten betrachten die Zensurinstruktion als eine Wiederauffrischung des alten Zensuredikts. Ihr Irrtum wird durch die Instruktion selbst widerlegt werden.
Wir betrachten die Zensurinstruktion als den antizipierten Geist des mutmaßlichen Zensurgesetzes. Wir schließen uns darin strenge dem Geist des Zensuredikts von 1819 an, worin Landesgesetze und Verordnungen als gleichbedeutend für die Presse hingestellt werden. (Siehe das angeführte Edikt Artikel XVI, Nr. 2.)
Kehren wir zur Instruktion zurück.
»Nach diesem Gesetz,« nämlich dem Artikel II, »soll die Zensur keine ernsthafte und bescheidene Untersuchung der Wahrheit hindern, noch den Schriftstellern ungebührlichen Zwang auflegen, noch den freien Verkehr des Buchhandels hemmen.«
Die Untersuchung der Wahrheit, die von der Zensur nicht gehindert werden soll, ist näher qualifiziert als eine ernsthafte und bescheidene. Beide Bestimmungen weisen die Untersuchung nicht auf ihren Inhalt, sondern vielmehr auf etwas, das außer ihrem In halt liegt. Sie ziehen von vornherein die Untersuchung von der Wahrheit ab und schreiben ihr Aufmerksamkeiten gegen einen unbekannten Dritten vor. Die Untersuchung, die ihre Augen beständig nach diesem durch das Gesetz mit einer gerechten Irritabilität begabten Dritten richtet, wird sie nicht die Wahrheit aus dem Gesicht verlieren? Ist es nicht erste Pflicht des Wahrheitsforschers, direkt auf die Wahrheit loszugehen, ohne rechts oder links zu sehen? Vergesse ich nicht die Sache zu sagen, wenn ich noch weniger vergessen darf, sie in der vorgeschriebenen Form zu sagen?[5]
Die Wahrheit ist so wenig bescheiden als das Licht, und gegen wen sollte sie es sein? Gegen sich selbst? Verum index sui et falsi. Also gegen die Unwahrheit?
Bildet die Bescheidenheit den Charakter der Untersuchung, so ist sie eher ein Kennzeichen der Scheu vor der Wahrheit als vor der Unwahrheit. Sie ist ein niederschlagendes Mittel auf jedem Schritt, den ich vorwärtstue. Sie ist eine der Untersuchung vorgeschriebene Angst, das Resultat zu finden, ein Präservativmittel vor der Wahrheit.
Ferner: die Wahrheit ist allgemein, sie gehört nicht mir, sie gehört allen, sie hat mich, ich habe sie nicht. Mein Eigentum ist die Form, sie ist meine geistige Individualität. Le style c'est l'homme. Und wie! Das Gesetz gestattet, daß ich schreiben soll, nur soll ich einen anderen als meinen Stil schreiben! Ich darf das Gesicht meines Geistes zeigen, aber ich muß es vorher in vorgeschriebene Falten legen! Welcher Mann von Ehre wird nicht erröten über diese Zumutung und nicht lieber sein Haupt unter der Toga verbergen? Wenigstens läßt die Toga einen Jupiterkopf ahnen. Die vorgeschriebenen Falten heißen nichts als: bonne mine à mauvais jeu.
Ihr bewundert die entzückende Mannigfaltigkeit, den unerschöpflichen Reichtum der Natur. Ihr verlangt nicht, daß die Rose duften soll wie das Veilchen, aber das Allerreichste, der Geist soll nur auf eine Art existieren dürfen? Ich bin humoristisch, aber das Gesetz gebietet, ernsthaft zu schreiben. Ich bin keck, aber das Gesetz befiehlt, daß mein Stil bescheiden sei. Grau in grau ist die einzige, die berechtigte Farbe der Freiheit. Jeder Tautropfen, in den die Sonne scheint, glitzert in unerschöpflichem Farbenspiel, aber die geistige Sonne, in wie vielen Individuen, an welchen Gegenständen sie auch sich breche, soll nur eine, nur die offizielle Farbe erzeugen dürfen! Die wesentliche Form des Geistes ist Heiterkeit, Licht, und ihr macht den Schatten zu seiner einzigen entsprechenden Erscheinung; nur schwarz gekleidet soll er gehen, und doch gibt es unter den Blumen keine schwarze. Das Wesen des Geistes ist die Wahrheit immer selbst, und was macht ihr zu seinem Wesen? Die Bescheidenheit. Nur der Lump ist bescheiden, sagt Goethe, und zu solchem Lumpen wollt ihr den Geist machen? Oder soll die Bescheidenheit jene Bescheidenheit des Genies sein, wovon Schiller spricht, so verwandelt zuerst alle eure Staatsbürger und vor allem eure Zensoren in Genies. Dann aber besteht die Bescheidenheit des Genies zwar nicht darin, worin die Sprache der Bildung besteht, keinen Akzent und keinen Dialekt,[6] wohl aber den Akzent der Sache und den Dialekt ihres Wesens zu sprechen. Sie besteht darin, Bescheidenheit und Unbescheidenheit zu vergessen und die Sache herauszuscheiden. Die allgemeine Bescheidenheit des Geistes ist die Vernunft, jene universelle Liberalität, die sich zu jeder Natur nach ihrem wesentlichen Charakter verhält.
Soll ferner die Ernsthaftigkeit nicht zu jener Definition des Tristram Shandy passen, wonach sie ein heuchlerisches Benehmen des Körpers ist, um die Mängel der Seele zu verdecken, sondern den sachlichen Ernst bedeuten, so hebt sich die ganze Vorschrift auf. Denn das Lächerliche behandle ich ernsthaft, wenn ich es lächerlich behandle, und die ernsthafteste Unbescheidenheit des Geistes ist, gegen die Unbescheidenheit bescheiden zu sein.
Ernsthaft und bescheiden! Welche schwankenden, relativen Begriffe! Wo hört der Ernst auf, wo fängt der Scherz an? Wo hört die Bescheidenheit auf, wo fängt die Unbescheidenheit an? Wir sind auf die Temperamente des Zensors angewiesen. Es wäre ebenso unrecht, dem Zensor das Temperament, als dem Schriftsteller den Stil vorzuschreiben. Wollt ihr konsequent sein in eurer ästhetischen Kritik, so verbietet auch, allzu ernsthaft und allzu bescheiden die Wahrheit zu untersuchen, denn die allzu große Ernsthaftigkeit ist das Allerlächerlichste, und die allzu große Bescheidenheit ist die bitterste Ironie.
Endlich wird von einer völlig verkehrten und abstrakten Ansicht der Wahrheit selbst ausgegangen. Alle Objekte der schriftstellerischen Tätigkeit werden unter der einen allgemeinen Vorstellung »Wahrheit« subsumiert. Sehen wir nun selbst vom Subjektiven ab, nämlich davon, daß ein und derselbe Gegenstand in den verschiedenen Individuen sich verschieden bricht und seine verschiedenen Seiten in ebenso viele verschiedene geistige Charaktere umsetzt; soll denn der Charakter des Gegenstandes gar keinen, auch nicht den geringsten Einfluß auf die Untersuchung ausüben? Zur Wahrheit gehört nicht nur das Resultat, sondern auch der Weg. Die Untersuchung der Wahrheit muß selbst wahr sein, die wahre Untersuchung ist die entfaltete Wahrheit, deren auseinandergestreute Glieder sich im Resultat zusammenfassen. Und die Art der Untersuchung sollte nicht nach dem Gegen stand sich verändern? Wenn der Gegenstand lacht, soll sie ernst aussehen, wenn der Gegenstand unbequem ist, soll sie bescheiden sein. Ihr verletzt also das Recht des Objekts, wie ihr das Recht des Subjekts verletzt. Ihr faßt die Wahrheit abstrakt und macht den Geist zum Untersuchungsrichter, der sie trocken protokolliert.
Oder bedarf es dieser metaphysischen Quälerei nicht? Ist die Wahrheit einfach so zu verstehen, daß Wahrheit sei, was die Regierung anordnet, und[7] daß die Untersuchung als ein überflüssiger, zudringlicher, aber der Etikette wegen nicht ganz abzuweisender Dritter hinzukomme? Es scheint fast so. Denn von vornherein wird die Untersuchung im Gegensatz gegen die Wahrheit gefaßt und erscheint daher in der verdächtigen offiziellen Begleitung der Ernsthaftigkeit und Bescheidenheit, die allerdings dem Laien dem Priester gegenüber geziemen. Der Regierungsverstand ist die einzige Staatsvernunft. Dem andren Verstand und seinem Geschwätz sind zwar unter gewissen Zeitumständen Konzessionen zu machen, zugleich aber trete er mit dem Bewußtsein der Konzession und der eigentlichen Rechtlosigkeit auf, bescheiden und gebeugt, ernsthaft und langweilig. Wenn Voltaire sagt: »tous les genres sont bons, excepté le genre ennuyeux«, so wird hier das ennuyante Genre zum exklusiven, wie schon die Hinweisung auf »die Verhandlungen der Rheinischen Landstände« zur Genüge beweist. Warum nicht lieber den guten alten deutschen Kurialstil? Frei sollt ihr schreiben, aber jedes Wort sei zugleich ein Knicks vor der liberalen Zensur, die eure ebenso ernsten als bescheidenen Vota passieren läßt. Das Bewußtsein der Devotion verliert ja nicht!
Der gesetzliche Ton liegt nicht auf der Wahrheit, sondern auf der Bescheidenheit und Ernsthaftigkeit. Also alles erregt Bedenken, die Ernsthaftigkeit, die Bescheidenheit und vor allem die Wahrheit, unter deren unbestimmter Weite eine sehr bestimmte, sehr zweifelhafte Wahrheit verborgen scheint.
»Die Zensur«, heißt es weiter in der Instruktion, »soll also keineswegs in einem engherzigen, über dieses Gesetz hinausgehenden Sinne gehandhabt werden.«
Unter diesem Gesetz ist zunächst der Artikel II des Edikts von 1819 gemeint, allein später verweist die Instruktion auf den »Geist« des Zensuredikts überhaupt. Beide Bestimmungen sind leicht zu vereinen. Der Artikel II ist der konzentrierte Geist des Zensuredikts, dessen weitere Gliederung und Spezifikation sich in den andern Artikeln findet. Wir glauben den zitierten Geist nicht besser charakterisieren zu können als durch folgende Äußerungen desselben:
Artikel VII. »Die der Akademie der Wissenschaften und den Universitäten bisher verliehene Zensurfreiheit wird auf fünf Jahre hiermit suspendiert.«
§ 10. »Der gegenwärtige einstweilige Beschluß soll, vom heutigen Tage an, fünf Jahre in Wirksamkeit bleiben. Vor Ablauf dieser Zeit soll am Bundestage gründlich untersucht werden, auf welche Weise die im 18. Artikel der Bundesakte in Anregung[8] gebrachten gleichförmigen Verfügungen über die Preßfreiheit in Erfüllung zu setzen sein möchten, und demnächst ein Definitivbeschluß über die rechtmäßigen Grenzen der Preßfreiheit in Deutschland erfolgen.«
Ein Gesetz, welches die Preßfreiheit, wo sie noch existierte, suspendiert, und wo sie zur Existenz gebracht werden sollte, durch die Zensur überflüssig macht, kann nicht gerade ein der Presse günstiges genannt werden. Auch gesteht § 10 geradezu, daß anstatt der im 18. Artikel der Bundesakte in Anregung gebrachten und vielleicht einmal in Erfüllung zu setzenden Preßfreiheit provisorisch ein Zensurgesetz gegeben werde. Dies quid pro quo verrät zum wenigsten, daß der Charakter der Zeit Beschränkungen der Presse gebot, daß das Edikt dem Mißtrauen gegen die Presse seinen Ursprung verdankt. Diese Verstimmung wird sogar entschuldigt, indem sie als provisorisch, als nur für fünf Jahre geltend – leider hat sie 22 Jahre gewährt – bezeichnet wird.
Schon die nächste Zeile der Instruktion zeigt uns, wie sie in den Widerspruch gerät, der einerseits die Zensur in keinem über das Edikt hinausgehenden Sinn gehandhabt wissen will und ihr zu gleicher Zeit dies Hinausgehen vorschreibt:
»Der Zensor kann eine freimütige Besprechung auch der inneren Angelegenheiten sehr wohl gestatten.«
Der Zensor kann, er muß nicht, es ist keine Notwendigkeit, allein schon dieser vorsichtige Liberalismus geht nicht nur über den Geist, sondern über die bestimmten Forderungen des Zensuredikts sehr bestimmt hinaus. Das alte Zensuredikt, und zwar der in der Instruktion zitierte Artikel II, gestattet nicht nur keine freimütige Besprechung der preußischen, sondern nicht einmal der chinesischen Angelegenheiten.
»Hierher«, nämlich zu den Verletzungen der Sicherheit des preußischen Staats und der deutschen Bundesstaaten, wird kommentiert, »gehören alle Versuche, in irgendeinem Lande bestehende Parteien, welche am Umsturz der Verfassung arbeiten, in einem günstigen Lichte darzustellen.«
Ist auf diese Weise eine freimütige Besprechung der chinesischen oder türkischen Landesangelegenheiten gestattet? Und wenn schon so entlegene Beziehungen die irritable Sicherheit des deutschen Bundes gefährden, wie nicht jedes mißbilligende Wort über innere Angelegenheiten?
Geht auf diese Weise die Instruktion nach der liberalen Seite hin über den Geist des Artikels II des Zensuredikts hinaus – ein Hinausgehen, dessen [9] Inhalt sich später ergeben wird, das aber formell schon insofern verdächtig ist, als es sich zur Konsequenz des Artikels II macht, von dem in der Instruktion weislich nur die erste Hälfte zitiert, der Zensor aber zugleich auf den Artikel selbst angewiesen wird –, so geht sie ebensosehr nach der illiberalen Seite hin über das Zensuredikt hinaus und fügt neue Preßbeschränkungen zu den alten hinzu.
In dem oben zitierten Artikel II des Zensuredikts heißt es:
»Ihr Zweck« (der Zensur) »ist, demjenigen zu steuern, was den allgemeinen Grundsätzen der Religion, ohne Rücksicht auf die Meinungen und Lehren einzelner Religionsparteien und im Staate geduldeter Sekten, zuwider ist.«
Im Jahr 1819 herrschte noch der Rationalismus, welcher unter der Religion im allgemeinen die sogenannte Vernunftreligion verstand. Dieser rationalistische Standpunkt ist auch der Standpunkt des Zensuredikts, welches allerdings so inkonsequent ist, sich auf den irreligiösen Standpunkt zu stellen, während es die Religion zu beschützen bezweckt. Es widerspricht nämlich schon den allgemeinen Grundsätzen der Religion, ihre allgemeinen Grundsätze von ihrem positiven Inhalt und von ihrer Bestimmtheit zu trennen, denn jede Religion glaubt sich von den andern besondern eingebildeten Religionen eben durch ihr besonderes Wesen zu unterscheiden und eben durch ihre Bestimmtheit die wahre Religion zu sein. Die neue Zensurinstruktion läßt in der Zitation des Artikels II den beschränkenden Nachsatz aus, durch welchen die einzelnen Religionsparteien und Sekten von der Inviolabllität ausgeschlossen wurden, aber sie bleibt nicht hierbei stehen, sie liefert den folgenden Kommentar:
»Alles was wider die christliche Religion im allgemeinen oder wider einen bestimmten Lehrbegriff auf eine frivole, feindselige Weise gerichtet ist, darf nicht geduldet werden.«
Das alte Zensuredikt erwähnt mit keinem Wort der christlichen Religion, im Gegenteil, es unterscheidet die Religion von allen einzelnen Religionsparteien und Sekten. Die neue Zensurinstruktion verwandelt nicht nur Religion in christliche Religion, sondern fügt noch den bestimmten Lehrbegriff hinzu. Köstliche Ausgeburt unsrer christlich gewordnen Wissenschaft! Wer will noch leugnen, daß sie der Presse neue Fesseln geschmiedet hat? Die Religion soll weder im allgemeinen noch im besondern angegriffen werden. Oder glaubt ihr etwa, die Worte frivol, feindselig machten die neuen Ketten zu Rosenketten? Wie geschickt geschrieben: frivol, feindselig! Das Adjektivum frivol richtet sich an die Ehrbarkeit des Bürgers, es ist das exoterische Wort an die Welt, aber das Adjektivum feindselig wird dem Zensor ins Ohr geflüstert,[10] es ist die gesetzliche Interpretation der Frivolität. Wir werden in dieser Instruktion noch mehrere Beispiele von diesem feinen Takte finden, der ein subjektives, das Blut ins Gesicht treibendes Wort an das Publikum und ein objektives, das Blut dem Schriftsteller aus dem Gesicht treibendes Wort an den Zensor richtet. Auf diese Weise kann man lettres de cachet in Musik setzen.
Und in welchen merkwürdigen Widerspruch verfängt sich die Zensurinstruktion! Nur der halbe Angriff, der sich an einzelnen Seiten der Erscheinung hält, ohne tief und ernst genug zu sein, um das Wesen der Sache zu treffen, ist frivol, eben die Wendung gegen ein nur Besonderes als solches ist frivol. Ist also der Angriff auf die christliche Religion im allgemeinen verboten, so ist nur der frivole Angriff auf sie gestattet. Umgekehrt ist der Angriff auf die allgemeinen Grundsätze der Religion, auf ihr Wesen, auf das Besondere, insofern es Erscheinung des Wesens ist, ein feindseliger Angriff. Die Religion kann nur auf eine feindselige oder frivole Weise angegriffen werden, ein Drittes gibt es nicht. Diese Inkonsequenz, in welche sich die Instruktion verfängt, ist allerdings nur ein Schein, denn sie ruht in dem Scheine, als sollte überhaupt noch irgendein Angriff auf die Religion gestattet sein; aber es bedarf nur eines unbefangenen Blickes, um diesen Schein als Schein zu erkennen. Die Religion soll weder auf eine feindselige noch auf eine frivole Weise, weder im allgemeinen noch im besondern, also gar nicht angegriffen werden.
Doch wenn die Instruktion in offnem Widerspruch gegen das Zensuredikt von 1819 die philosophische Presse in neue Fesseln schlägt, so sollte sie wenigstens so konsequent sein, die religiöse Presse aus den alten Fesseln zu befreien, in die jenes rationalistische Edikt sie geschlagen hat. Es macht nämlich auch zum Zweck der Zensur:
»dem fanatischen Herüberziehen von religiösen Glaubenssätzen in die Politik und der dadurch entstehenden Begriffsvewirrung entgegenzutreten«.
Die neue Instruktion ist zwar so klug, dieser Bestimmung in ihrem Kommentar nicht zu erwähnen, aber sie nimmt dieselbe nichtsdestoweniger in die Zitation des Artikels II auf. Was heißt fanatisches Herüberziehen von religiösen Glaubenssätzen in die Politik? Es heißt, die religiösen Glaubenssätze ihrer spezifischen Natur nach den Staat bestimmen lassen, es heißt, das besondere Wesen der Religion zum Maß des Staats machen. Das alte Zensuredikt konnte mit Recht dieser Begriffsverwirrung entgegentreten, denn es gibt die besondere Religion, den bestimmten Inhalt derselben der Kritik anheim. Doch das alte Edikt stützte sich auf den seichten, oberflächlichen, von euch selbst[11] verachteten Rationalismus. Ihr aber, die ihr den Staat auch im einzelnen auf den Glauben und das Christentum stützt, die ihr einen christlichen Staat wollt, wie könnt ihr noch der Zensur dieser Begriffsverwirrung vorzubeugen anempfehlen?
Die Konfusion des politischen und christlich-religiösen Prinzips ist ja offizielle Konfession geworden. Diese Konfusion wollen wir mit einem Wort klar machen. Bloß von der christlichen als der anerkannten Religion zu reden, so habt ihr in eurem Staate Katholiken und Protestanten. Beide machen gleiche Ansprüche an den Staat, wie sie gleiche Pflichten gegen ihn haben. Sie sehen ab von ihren religiösen Differenzen und verlangen auf gleiche Weise, daß der Staat die Verwirklichung der politischen und rechtlichen Vernunft sei. Ihr aber wollt einen christlichen Staat. Ist euer Staat nur lutherisch-christlich, so wird er dem Katholiken zu einer Kirche, der er nicht angehört, die er als ketzerisch verwerfen muß, deren innerstes Wesen ihm widerspricht. Umgekehrt verhält es sich ebenso, oder macht ihr den allgemeinen Geist des Christentums zum besondern Geist eures Staates, so entscheidet ihr doch aus eurer protestantischen Bildung heraus, was der allgemeine Geist des Christentums sei. Ihr bestimmt, was christlicher Staat sei, obgleich euch die letzte Zeit gelehrt hat, daß einzelne Regierungsbeamte die Grenzen zwischen Religion und Welt, zwischen Staat und Kirche nicht ziehen können. Nicht Zensoren, sondern Diplomaten hatten über diese Begriffsverwirrung nicht zu entscheiden, sondern zu unterhandeln. Endlich stellt ihr euch auf den ketzerischen Standpunkt, wenn ihr das bestimmte Dogma als unwesentlich verwerft. Nennt ihr euren Staat allgemein christlich, so bekennt ihr mit einer diplomatischen Wendung, daß er unchristlich sei. Also verbietet entweder, die Religion überhaupt in die Politik zu ziehen –, aber das wollt ihr nicht, denn ihr wollt den Staat nicht auf freie Vernunft, sondern auf den Glauben stützen, die Religion gilt euch als die allgemeine Sanktion des Positiven – oder erlaubt auch das fanatische Herüberziehen der Religion in die Politik. Laßt sie auf ihre Weise politisieren, aber das wollt ihr wieder nicht: die Religion soll die Weltlichkeit stützen, ohne daß sich die Weltlichkeit der Religion unterwirft. Zieht ihr die Religion einmal in die Politik, so ist es eine untrügliche [unerträgliche], ja eine irreligiöse Anmaßung, weltlich bestimmen zu wollen, wie die Religion innerhalb der Politik aufzutreten habe. Wer sich mit der Religion verbünden will aus Religiosität, muß ihr in allen Fragen die entscheidende Stimme einräumen, oder versteht ihr vielleicht unter Religion den Kultus eurer eignen Unumschränktheit und Regierungsweisheit?
Noch auf andre Weise gerät die Rechtgläubigkeit der neuen Zensurinstruktion in Konflikt mit dem Rationalismus des alten Zensuredikts. Dieses subsumiert[12] unter den Zweck der Zensur auch die Unterdrückung dessen, »was die Moral und guten Sitten beleidigt«. Die Instruktion führt diesen Passus als Zitat aus dem Artikel II an. Allein wenn ihr Kommentar in bezug auf die Religion Zusätze machte, so enthält er Weglassungen in bezug auf die Moral. Aus der Beleidigung der Moral und der guten Sitten wird eine Verletzung von »Zucht und Sitte und äußrer Anständigkeit«. Man sieht: die Moral als Moral, als Prinzip einer Welt, die eignen Gesetzen gehorcht, verschwindet, und an die Stelle des Wesens treten äußerliche Erscheinungen, die polizeiliche Ehrbarkeit, der konventionelle Anstand. Ehre, dem Ehre gebührt, hier erkennen wir wahre Konsequenz. Der spezifisch christliche Gesetzgeber kann die Moral als in sich selbst geheiligte unabhängige Sphäre nicht anerkennen, denn ihr inneres allgemeines Wesen vindiziert er der Religion. Die unabhängige Moral beleidigt die allgemeinen Grundsätze der Religion, und die besondern Begriffe der Religion sind der Moral zuwider. Die Moral erkennt nur ihre eigne allgemeine und vernünftige Religion und die Religion nur ihre besondre positive Moral. Die Zensur wird also nach dieser Instruktion die Intellektuellen Heroen der Moral, wie etwa Kant, Fichte, Spinoza als irreligiös, als die Zucht, die Sitte, die äußre Anständigkeit verletzend, verwerfen müssen. Alle diese Moralisten gehen von einem prinzipiellen Widerspruch zwischen Moral und Religion aus, denn die Moral ruhe auf der Autonomie, die Religion auf der Heteronomie des menschlichen Geistes. Von diesen unerwünschten Neuerungen der Zensur – einerseits der Erschlaffung ihres moralischen, andrerseits der rigurösen Schärfung ihres religiösen Gewissens – wenden wir uns zu dem Erfreulicheren, zu den Konzessionen.
Es »folgt insbesondere, daß Schriften, in denen die Staatsverwaltung im Ganzen oder in einzelnen Zweigen gewürdigt, erlassene oder noch zu erlassende Gesetze nach ihrem innern Werte geprüft, Fehler und Mißgriffe aufgedeckt, Verbesserungen angedeutet oder in Vorschlag gebracht werden, um deswillen, weil sie in einem andern Sinne als dem der Regierung geschrieben, nicht zu verwerfen sind, wenn nur ihre Fassung anständig und ihre Tendenz wohlmeinend ist«.
Bescheidenheit und Ernsthaftigkeit der Untersuchung – diese Forderung teilt die neue Instruktion mit dem Zensuredikt, allein ihr genügt die anständige Fassung ebensowenig wie die Wahrheit des Inhalts. Die Tendenz wird ihr zum Hauptkriterium, ja sie ist ihr durchgehender Gedanke, während in dem Edikt selbst nicht einmal das Wort Tendenz zu finden ist. Worin sie bestehe, sagt auch die neue Instruktion nicht; wie wichtig ihr aber die Tendenz sei, möge noch folgender Auszug beweisen:
»Es ist dabei eine unerläßliche Voraussetzung, daß die Tendenz der gegen die Maßregeln der Regierung ausgesprochenen Erinnerungen nicht gehässig und böswillig,[13] sondern wohlmeinend sei, und es muß von dem Zensor der gute Wille und die Einsicht verlangt werden, daß er zu unterscheiden wisse, wo das eine und das andre der Fall ist. Mit Rücksicht hierauf haben die Zensoren ihre Aufmerksamkeit auch besonders auf die Form und den Ton der Sprache der Druckschriften zu richten und, insofern durch Leidenschaftlichkeit, Heftigkeit und Anmaßung ihre Tendenz sich als eine verderbliche darstellt, deren Druck nicht zu gestatten.«
Der Schriftsteller ist also dem furchtbarsten Terrorismus, der Jurisdiktion des Verdachts anheimgefallen. Tendenzgesetze, Gesetze, die keine objektiven Normen geben, sind Gesetze des Terrorismus, wie sie die Not des Staats unter Robespierre und die Verdorbenheit des Staats unter den römischen Kaisern erfunden hat. Gesetze, die nicht die Handlung als solche, sondern die Gesinnung des Handelnden zu ihren Hauptkriterien machen, sind nichts als positive Sanktionen der Gesetzlosigkeit. Lieber wie jener Zar von Rußland jedem den Bart durch offizielle Kosaken abscheren lassen, als die Meinung, in der ich den Bart trage, zum Kriterium des Scherens machen.
Nur insofern ich mich äußere, in die Sphäre des Wirklichen trete, trete ich in die Sphäre des Gesetzgebers. Für das Gesetz bin ich gar nicht vorhanden, gar kein Objekt desselben, außer in meiner Tat. Sie ist das einzige, woran mich das Gesetz zu halten hat; denn sie ist das einzige, wofür ich ein Recht der Existenz verlange, ein Recht der Wirklichkeit, wodurch ich also auch dem wirklichen Recht anheimfalle. Allein das Tendenzgesetz bestraft nicht allein das, was ich tue, sondern das, was ich außer der Tat meine. Es ist also ein Insult auf die Ehre des Staatsbürgers, ein Vexiergesetz gegen meine Existenz.
Ich kann mich drehen und wenden, wie ich will, es kommt auf den Tatbestand nicht an. Meine Existenz ist verdächtig, mein innerstes Wesen, meine Individualität wird als eine schlechte betrachtet, und für diese Meinung werde ich bestraft. Das Gesetz straft mich nicht für das Unrecht, was ich tue, sondern für das Unrecht, was ich nicht tue. Ich werde eigentlich dafür gestraft, daß meine Handlung nicht gesetzwidrig ist, denn nur dadurch zwinge ich den milden, wohlmeinenden Richter, an meine schlechte Gesinnung, die so klug ist, nicht ans Tageslicht zu treten, sich zu halten.
Das Gesinnungsgesetz ist kein Gesetz des Staates für die Staatsbürger, sondern das Gesetz einer Partei gegen eine andre Partei. Das Tendenzgesetz hebt die Gleichheit der Staatsbürger vor dem Gesetze auf. Es ist ein Gesetz der Scheidung, nicht der Einung, und alle Gesetze der Scheidung sind reaktionär. Es ist kein Gesetz, sondern ein Privilegium. Der eine darf tun, was der andre nicht tun darf, nicht weil diesem etwa eine objektive Eigenschaft fehlte, wie dem Kind zum Kontrahieren von Verträgen, nein, weil seine[14] gute Meinung, seine Gesinnung verdächtig ist. Der sittliche Staat unterstellt in seinen Gliedern die Gesinnung des Staats, sollten sie auch in Opposition gegen ein Staatsorgan, gegen die Regierung treten; aber die Gesellschaft, in der ein Organ sich alleiniger, exklusiver Besitzer der Staatsvernunft und Staatssittlichkeit dünkt, eine Regierung, die sich in prinzipiellen Gegensatz gegen das Volk setzt und daher ihre staatswidrige Gesinnung für die allgemeine, für die normale Gesinnung hält, das üble Gewissen der Faktion erfindet Tendenzgesetze, Gesetze der Rache, gegen eine Gesinnung, die nur in den Regierungsgliedern selbst ihren Sitz hat. Gesinnungsgesetze basieren auf der Gesinnungslosigkeit, auf der unsittlichen, materiellen Ansicht vom Staat. Sie sind ein indiskreter Schrei des bösen Gewissens. Und wie ist ein Gesetz der Art zu exekutieren? Durch ein Mittel, empörender als das Gesetz selbst, durch Spione, oder durch vorherige Übereinkunft, ganze literarische Richtungen für verdächtig zu halten, wobei allerdings wieder auszukundschaften bleibt, welcher Richtung ein Individuum angehöre. Wie im Tendenzgesetz die gesetzliche Form dem Inhalt widerspricht, wie die Regierung, die es gibt, gegen das eifert, was sie selbst ist, gegen die staatswidrige Gesinnung, so bildet sie auch im besondern gleichsam die verkehrte Welt zu ihren Gesetzen, denn sie mißt mit doppeltem Maß. Nach der einen Seite ist Recht, was das Unrecht der andern Seite ist. Ihre Gesetze schon sind das Gegenteil von dem, was sie zum Gesetz machen.
In dieser Dialektik verfängt sich auch die neue Zensurinstruktion. Sie ist der Widerspruch, alles das auszuüben und den Zensoren zur Pflicht zu machen, was sie an der Presse als staatswidrig verdammt.
So verbietet die Instruktion den Schriftstellern, die Gesinnung einzelner oder ganzer Klassen zu verdächtigen, und in einem Atem gebietet sie dem Zensor, alle Staatsbürger in verdächtige und unverdächtige einzuteilen, in wohlmeinende und übelmeinende. Die der Presse entzogene Kritik wird zur täglichen Pflicht des Regierungskritikers; allein bei dieser Umkehrung hat es nicht einmal sein Bewenden. Innerhalb der Presse erschien das Staatswidrige seinem Gehalte nach als ein Besonderes, [nach der] Seite seiner Form war es allgemein, das heißt dem allgemeinen Urteil preisgegeben.
Allein nun dreht sich die Sache um. Das Besondere erscheint jetzt in bezug auf seinen Inhalt als das Berechtigte, das Staatswidrige als Meinung des Staats, als Staatsrecht, in bezug auf seine Form als Besonderes, unzugänglich dem allgemeinen Licht, aus dem freien Tag der Öffentlichkeit in die Aktenstube des Regierungskritikers verbannt. So will die Instruktion die Religion beschützen, aber sie verletzt den allgemeinsten Grundsatz aller Religionen, die Heiligkeit und Unverletzlichkeit der subjektiven Gesinnung. Sie macht[15] den Zensor an Gottes Statt zum Richter des Herzens. So untersagt sie beleidigende Äußerungen und ehrenkränkende Urteile über einzelne Personen, aber sie setzt euch jeden Tag dem ehrenkränkenden und beleidigenden Urteil des Zensors aus. So will die Instruktion die von übelwollenden oder schlecht unterrichteten Individuen herrührenden Klatschereien unterdrücken, und sie zwingt den Zensor, sich auf solche Klatschereien, auf das Spionieren durch schlecht unterrichtete und übelwollende Individuen zu verlassen und zu verlegen, indem sie das Urteil aus der Sphäre des objektiven Gehalts in die Sphäre der subjektiven Meinung oder Willkür herabzieht. So soll die Absicht des Staats nicht verdächtigt werden, aber die Instruktion geht vom Verdacht gegen den Staat aus. So soll unter gutem Schein keine schlechte Gesinnung verborgen werden, aber die Instruktion selbst ruht auf einem falschen Schein. So soll das Nationalgefühl erhöht werden, und auf eine die Nationen erniedrigende Ansicht wird basiert. Man verlangt gesetzmäßiges Betragen und Achtung vor dem Gesetze, aber zugleich sollen wir Institutionen ehren, die uns gesetzlos machen und die Willkür an die Stelle des Rechts setzen. Wir sollen das Prinzip der Persönlichkeit so sehr anerkennen, daß wir trotz dem mangelhaften Institut der Zensur dem Zensor vertrauen, und ihr verletzt das Prinzip der Persönlichkeit so sehr, daß ihr sie nicht nach den Handlungen, sondern nach der Meinung von der Meinung ihrer Handlungen richten laßt. Ihr fordert Bescheidenheit, und ihr geht von der enormen Unbescheidenheit aus, einzelne Staatsdiener zum Herzensspäher, zum Allwissenden, zum Philosophen, Theologen, Politiker, zum delphischen Apollo zu ernennen. Ihr macht uns einerseits die Anerkennung der Unbescheidenheit zur Pflicht und verbietet uns andrerseits die Unbescheidenheit. Die eigentliche Unbescheidenheit besteht darin, die Vollendung der Gattung besondern Individuen zuzuschreiben. Der Zensor ist ein besonderes Individuum, aber die Presse ergänzt sich zur Gattung. Uns befehlt ihr Vertrauen, und dem Mißtrauen leiht ihr gesetzliche Kraft. Ihr traut euren Staatsinstitutionen so viel zu, daß sie den schwachen Sterblichen, den Beamten, zum Heiligen und ihm das Unmögliche möglich machen werden. Aber ihr mißtraut eurem Staatsorganismus so sehr, daß ihr die isolierte Meinung eines Privatmanns fürchtet; denn ihr behandelt die Presse als einen Privatmann. Von den Beamten unterstellt ihr, daß sie ganz unpersönlich, ohne Groll, Leidenschaft, Borniertheit und menschliche Schwäche verfahren werden. Aber das Unpersönliche, die Ideen, verdächtigt ihr, voller persönlicher Ränke und subjektiver Niederträchtigkeit zu sein. Die Instruktion verlangt unbegrenztes Vertrauen auf den Stand der Beamteten, und sie geht von unbegrenztem Mißtrauen gegen den Stand der Nichtbeamteten aus. Warum sollen wir[16] nicht Gleiches mit Gleichem vergelten? Warum soll uns nicht eben dieser Stand das Verdächtige sein? Ebenso der Charakter. Und von vornherein muß der Unbefangene dem Charakter des öffentlichen Kritikers mehr Achtung zollen als dem Charakter des geheimen.
Was überhaupt schlecht ist, bleibt schlecht, welches Individuum der Träger dieser Schlechtigkeit sei, ob ein Privatkritiker oder ein von der Regierung angestellter, nur daß im letztern Fall die Schlechtigkeit autorisiert und als eine Notwendigkeit von oben betrachtet wird, um das Gute von unten zu verwirklichen.
Die Zensur der Tendenz und die Tendenz der Zensur sind ein Geschenk der neuen liberalen Instruktion. Niemand wird uns verdenken, wenn wir mit einem gewissen Mißtrauen zu ihren weitern Bestimmungen uns hinwenden.
»Beleidigende Äußerungen und ehrenkränkende Urteile über einzelne Personen sind nicht zum Druck geeignet.«
Nicht zum Druck geeignet! Statt dieser Milde wäre zu wünschen, daß das beleidigende und ehrenkränkende Urteil objektive Bestimmungen erhalten hätte.
»Dasselbe gilt von der Verdächtigung der Gesinnung einzelner oder« (inhaltsschweres Oder) »ganzer Klassen, vom Gebrauch von Parteinamen und sonstigen Persönlichkeiten.«
Also auch die Rubrizierung unter Kategorien, der Angriff auf ganze Klassen, der Gebrauch von Parteinamen – und der Mensch muß allem wie Adam einen Namen geben, damit es für ihn vorhanden sei –, Parteinamen sind notwendige Kategorien für die politische Presse,
»Weil jede Krankheit zuvörderst, wie Doktor Sassafras meint,
Um glücklich sie kurieren zu können,
Benamset werden muß.«
Dies alles gehört zu den Persönlichkeiten. Wie soll man es nun anfangen? Die Person des einzelnen darf man nicht angreifen, die Klasse, das Allgemeine, die moralische Person ebensowenig. Der Staat will – und da hat er recht – keine Injurien dulden, keine Persönlichkeiten; aber durch ein leichtes »oder« wird das Allgemeine auch unter die Persönlichkeiten subsumiert. Durch das »oder« kommt das Allgemeine in die Mitte, und durch ein kleines »und« erfahren wir schließlich, daß nur von Persönlichkeiten die Rede gewesen. Als eine ganz spielende Konsequenz aber ergibt sich, daß alle Kontrolle der Beamten wie solcher Institutionen, die als eine Klasse von Individuen existiert, der Presse untersagt wird.
[17] »Wird die Zensur nach diesen Andeutungen in dem Geiste des Zensuredikts vom 18. Oktober 1819 ausgeübt, so wird einer anständigen und freimütigen Publizität hinreichender Spielraum gewährt, und es ist zu erwarten, daß dadurch eine größere Teilnahme an vaterländischen Interessen erweckt und so das Nationalgefühl erhöht werden wird.«
Daß nach diesen Andeutungen der anständigen, im Sinne der Zensur anständigen, Publizität ein mehr als hinreichender Spielraum gewährt sei – auch das Wort Spielraum ist glücklich gewählt, denn der Raum ist für eine spielende, an Luftsprüngen sich genügende Presse berechnet –, gestehen wir zu; ob für eine freimütige Publizität, und wo ihr der freie Mut sitzen soll, überlassen wir dem Scharfblick des Lesers. Was die Erwartungen der Instruktion betrifft, so mag allerdings das Nationalgefühl in der Weise erhöht werden, wie die zugesandte Schnur das Gefühl der türkischen Nationalität erhöht; ob aber gerade die ebenso bescheidene als ernsthafte Presse Teilnahme an den vaterländischen Interessen erwecken wird, überlassen wir ihr selbst; eine magere Presse ist nicht mit China aufzufüttern. Allein vielleicht haben wir die angeführte Periode zu ernsthaft begriffen. Vielleicht treffen wir besser den Sinn, wenn wir sie als bloßen Haken in der Rosenkette betrachten. Vielleicht hält dieser liberale Haken eine Perle von sehr zweideutigem Wert. Sehen wir zu. Auf den Zusammenhang kommt alles an. Die Erhöhung des Nationalgefühls und die Erweckung der Teilnahme an vaterländischen Interessen, die in dem angeführten obligaten Passus als Erwartung ausgesprochen werden, verwandeln sich unter der Hand in einen Befehl, in dessen Munde ein neuer Preßzwang unsrer armen schwindsüchtigen Tagesblätter liegt.
»Auf diesem Weg darf man hoffen, daß auch die politische Literatur und die Tagespresse ihre Bestimmung besser erkennen, mit dem Gewinn eines reichern Stoffes auch einen würdigern Ton sich aneignen und es künftig verschmähen werden, durch Mitteilung gehaltloser, aus fremden Zeitungen entlehnter, von übelwollenden oder schlecht unterrichteten Korrespondenten herrührenden Tagesneuigkeiten, durch Klatschereien und Persönlichkeiten auf die Neugierde ihrer Leser zu spekulieren – eine Richtung, gegen welche einzuschreiten die Zensur den unzweifelhaften Beruf hat.«
Auf dem angegebenen Weg wird gehofft, daß die politische Literatur und die Tagespresse ihre Bestimmung besser erkennen werden etc. Allein die bessere Erkenntnis läßt sich nicht anbefehlen; auch ist sie eine erst noch zu erwartende Frucht, und Hoffnung ist Hoffnung. Die Instruktion aber ist viel zu praktisch, um sich mit Hoffnungen und frommen Wünschen zu begnügen. Während der Presse die Hoffnung ihrer künftigen Besserung als neues Soulagement gewährt wird, wird ihr zugleich von der gütigen Instruktion ein gegenwärtiges[18] Recht genommen. Sie verliert, was sie noch hat, in Hoffnung ihrer Besserung. Es geht ihr wie dem armen Sancho Pansa, dem sein Hofarzt alle Speise vor seinen Augen entzog, damit kein verdorbener Magen ihn zur Erfüllung der vom Herzog auferlegten Pflichten untüchtig mache.
Zugleich dürfen wir die Gelegenheit nicht vorbeigehen lassen, den preußischen Schriftsteller zur Aneignung dieser Art von anständigem Stil aufzufordern. Im Vordersatz heißt es: »Auf diesem Wege darf man hoffen, daß. « Von diesem daß wird eine ganze Reihe von Bestimmungen regiert, also, daß die politische Literatur und die Tagespresse ihre Bestimmung besser erkennen, daß sie einen würdigem Ton, etc. etc., daß sie Mitteilungen gehaltloser, aus fremden Zeitungen entlehnter Korrespondenzen etc. verschmähen werden. Alle diese Bestimmungen stehen noch unter dem Regiment der Hoffnung; aber der Schluß, der sich durch einen Gedankenstrich an das Vorhergehende anschließt: »eine Richtung, gegen welche einzuschreiten die Zensur den unzweifelhaften Beruf hat«, überhebt den Zensor der langweiligen Aufgabe, die gehoffte Besserung der Tagespresse abzuwarten, und ermächtigt ihn vielmehr, das Mißfällige ohne weiteres wegzustreichen. An die Stelle der innern Kur ist die Amputation getreten.
»Damit diesem Ziele nähergetreten werde, ist es aber erforderlich, daß bei Genehmigung neuer Zeitschriften und neuer Redakteure mit großer Vorsicht verfahren werde, damit die Tagespresse nur völlig unbescholtenen Männern anvertraut werde, deren wissenschaftliche Befähigung, Stellung und Charakter für den Ernst ihrer Bestrebungen und für die Loyalität ihrer Denkungsart Bürgschaft leisten.«
Ehe wir auf das einzelne eingehen, zuvor eine allgemeine Bemerkung. Die Genehmigung neuer Redakteure, also überhaupt der künftigen Redakteure, ist ganz der »großen Vorsicht«, versteht sich der Staatsbehörden, der Zensur anheimgestellt, während das alte Zensuredikt wenigstens unter gewissen Garantien die Wahl des Redakteurs dem Belieben des Unternehmers überließ:
»Artikel IX. Die Oberzensurbehörde ist berechtigt, dem Unternehmer einer Zeitung zu erklären, daß der angegebene Redakteur nicht von der Art sei, das nötige Zutrauen einzuflößen, in welchem Falle der Unternehmer verpflichtet ist, entweder einen andern Redakteur anzunehmen oder, wenn er den ernannten beibehalten will, für ihn eine von Unsern oben erwähnten Staatsministerien auf den Vorschlag gedachter Oberzensurbehörde zu bestimmende Kaution zu leisten.«
In der neuen Zensurinstruktion spricht sich eine ganz andere Tiefe, man kann sagen Romantik des Geistes aus. Während das alte Zensuredikt äußerliche, prosaische, daher gesetzlich bestimmbare Kautionen verlangt, unter deren Garantie auch der mißliebige Redakteur zuzulassen sei, nimmt dagegen die Instruktion dem Unternehmer einer Zeitschrift jeden Eigenwillen und verweist[19] die vorbeugende Klugheit der Regierung, die große Vorsicht und den geistigen Tiefsinn der Behörden auf innere, subjektive, äußerlich unbestimmbare Qualitäten. Wenn aber die Unbestimmtheit, die zartsinnige Innerlichkeit und die subjektive Überschwenglichkeit der Romantik in das rein Äußerliche umschlägt, nur in dem Sinn, daß die äußerliche Zufälligkeit nicht mehr in ihrer prosaischen Bestimmtheit und Begrenzung, sondern in einer wunderbaren Glorie, in einer eingebildeten Tiefe und Herrlichkeit erscheint –, so wird auch die Instruktion diesem romantischen Schicksal schwerlich entgehen können.
Die Redakteure der Tagespresse, unter welche Kategorie die ganze Journalistik fällt, sollen völlig unbescholtene Männer sein. Als Garantie dieser völligen Unbescholtenheit wird zunächst die »wissenschaftliche Befähigung« angegeben. Nicht der leiseste Zweifel steigt auf, ob der Zensor die wissenschaftliche Befähigung besitzen kann, über wissenschaftliche Befähigung jeder Art ein Urteil zu besitzen. Lebt in Preußen eine solche Schar der Regierung bekannter Universalgenies – jede Stadt hat wenigstens einen Zensor –, warum treten diese enzyklopädistischen Köpfe nicht als Schriftsteller auf? Besser als durch die Zensur könnte den Verwirrungen der Presse ein Ende gemacht werden, wenn diese Beamten, übermächtig durch ihre Anzahl, mächtiger durch ihre Wissenschaft und ihr Genie, auf einmal sich erhöben und mit ihrem Gewicht jene elenden Schriftsteller erdrückten, die nur in einem Genre, aber selbst in diesem einen Genre ohne offiziell erprobte Befähigung agieren. Warum schweigen diese gewiegten Männer, die wie die römischen Gänse durch ihr Geschnatter das Kapitol retten könnten? Es sind Männer von zu großer Zurückhaltung. Das wissenschaftliche Publikum kennt sie nicht, aber die Regierung kennt sie.
Und wenn jene Männer schon Männer sind, wie sie kein Staat zu finden wußte, denn nie hat ein Staat ganze Klassen gekannt, die nur von Universalgenies und Polyhistoren eingenommen werden können, um wieviel genialer müssen noch die Wähler dieser Männer sein! Welche geheime Wissenschaft müssen sie besitzen, um Beamten, die in der Republik der Wissenschaft unbekannt sind, ein Attest über ihre universalwissenschaftliche Befähigung ausstellen zu können! Je höher wir steigen in dieser Bürokratie der Intelligenz, um so wundervollere Köpfe begegnen uns. Ein Staat, der solche Säulen einer vollendeten Presse besitzt, lohnt es dem der Mühe, handelt der zweckmäßig, diese Männer zu Wächtern einer mangelhaften Presse zu machen, das Vollendete zum Mittel für das Unvollendete herabzusetzen?
So viele dieser Zensoren ihr anstellt, so viele Chancen der Besserung entzieht ihr dem Reich der Presse. Ihr entzieht eurem Heer die Gesunden, um sie zu Ärzten der Ungesunden zu machen.[20]
Stampft nur auf den Boden wie Pompejus, und aus jedem Regierungsgebäude wird eine geharnischte Pallas Athene hervorspringen. Vor der offiziellen Presse wird die seichte Tagespresse in ihr Nichts zerfallen. Die Existenz des Lichts reicht hin, die Finsternis zu widerlegen. Laßt euer Licht leuchten und stellt es nicht unter den Scheffel. Statt einer mangelhaften Zensur, deren Vollgültigkeit euch selbst problematisch dünkt, gebt uns eine vollendete Presse, die ihr nur zu befehlen habt, deren Vorbild der chinesische Staat schon seit Jahrhunderten liefert.
Doch die wissenschaftliche Befähigung zur einzigen, zur notwendigen Bedingung für die Schriftsteller der Tagespresse machen, ist das nicht eine Bestimmung des Geistes, keine Begünstigung des Privilegiums, keine konventionelle Forderung, ist das nicht eine Bedingung der Sache, keine Bedingung der Person?
Leider unterbricht die Zensurinstruktion unsere Panegyrik. Neben der Bürgschaft der wissenschaftlichen Befähigung findet sich die der Stellung und des Charakters. Stellung und Charakter!
Der Charakter, der so unmittelbar der Stellung folgt, scheint beinahe ein bloßer Ausfluß derselben zu sein. Die Stellung laßt uns vor allem ins Auge fassen. Sie steht so eingeengt zwischen der wissenschaftlichen Befähigung und dem Charakter, daß man beinahe versucht wird, an ihrem guten Gewissen zu zweifeln.
Die allgemeine Forderung der wissenschaftlichen Befähigung, wie liberal! Die besondere Forderung der Stellung, wie illiberal! Die wissenschaftliche Befähigung und die Stellung zusammen, wie scheinliberal! Da wissenschaftliche Befähigung und Charakter sehr unbestimmt, die Stellung dagegen sehr bestimmt ist, warum sollten wir nicht schließen, daß das Unbestimmte nach notwendigem logischen Gesetze sich an das Bestimmte anlehnen und an ihm Halt und Inhalt erhalten werde? Wäre es also ein großer Fehlschluß des Zensors, wenn er die Instruktion so auslegte, die äußere Form der wissenschaftlichen Befähigung und des Charakters, in der Welt aufzutreten, sei die Stellung, um so mehr, da sein eigner Stand ihm diese Ansicht als Staatsansicht verbürgt? Ohne diese Auslegung bleibt es wenigstens völlig unbegreiflich, warum wissenschaftliche Befähigung und Charakter nicht hinreichende Bürgschaften des Schriftstellers sind, warum die Stellung das notwendige Dritte ist. Käme der Zensor nun gar in Konflikt, fänden sich diese Bürgschaften selten oder nie zusammen, wohin soll seine Wahl fallen, da einmal gewählt werden, da doch irgendwer Zeitungen und Journale redigieren muß? Die wissenschaftliche Befähigung und der Charakter ohne Stellung können dem Zensor ihrer Unbestimmtheit wegen problematisch sein, wie es[21] überhaupt seine gerechte Verwunderung erregen muß, daß solche Qualitäten getrennt von der Stellung existieren. Darf dagegen der Zensor den Charakter, die Wissenschaft bezweifeln, wo die Stellung vorhanden ist? Er traute in diesem Fall dem Staat weniger Urteil zu als sich selbst, während er in dem entgegengesetzten dem Schriftsteller mehr als dem Staat zutraute. Sollte ein Zensor so taktlos, so übelmeinend sein? Es steht nicht zu erwarten und wird gewiß nicht erwartet. Die Stellung, weil sie Im Zweifelsfall das entscheidende Kriterium ist, ist überhaupt das absolut Entscheidende.
Wie also früher die Instruktion durch ihre Rechtgläubigkeit mit dem Zensuredikt in Konflikt gerät, so jetzt durch ihre Romantik, die immer zugleich Tendenzpoesie ist. Aus der Geldkaution, die eine prosaische, eigentliche Bürgschaft ist, wird eine ideelle, und diese ideelle verwandelt sich in die ganz reelle und individuelle Stellung, die eine magische fingierte Bedeutung erhält. Ebenso verwandelt sich die Bedeutung der Bürgschaft. Nicht mehr der Unternehmer wählt einen Redakteur, für den er der Behörde bürgt, sondern die Behörde wählt ihm einen Redakteur, für den sie sich bei sich selbst verbürgt. Das alte Edikt erwartet die Arbeiten des Redakteurs, für welche die Geldkaution des Unternehmers einsteht. Die Instruktion hält sich nicht an die Arbeit, sondern an die Person des Redakteurs. Sie verlangt eine bestimmte persönliche Individualität, die ihr das Geld des Unternehmers verschaffen soll. Die neue Instruktion ist ebenso äußerlich als das alte Edikt; aber statt daß dieses das prosaisch Bestimmte seiner Natur gemäß ausspricht und begrenzt, leiht sie der äußersten Zufälligkeit einen imaginären Geist und spricht das bloß Individuelle mit dem Pathos der Allgemeinheit aus.
Wenn aber die romantische Instruktion in bezug auf den Redakteur der äußerlichsten Bestimmtheit den Ton der gemütvollsten Unbestimmtheit gibt, so gibt sie in bezug auf den Zensor der vagsten Unbestimmtheit den Ton der gesetzlichen Bestimmtheit.
»Mit gleicher Vorsicht muß bei Ernennung der Zensoren verfahren werden, damit das Zensoramt nur Männern von erprobter Gesinnung und Fähigkeit übertragen werde, die dem ehrenvollen Vertrauen, welches dasselbe voraussetzt, vollständig entsprechen; Männern, welche, wohldenkend und scharfsichtig zugleich, die Form von dem Wesen der Sache zu sondern verstehen und mit sicherm Takt sich über Bedenken hinwegzusetzen wissen, wo Sinn und Tendenz einer Schrift an sich diese Bedenken nicht rechtfertigen.«
An die Stelle der Stellung und des Charakters beim Schriftsteller tritt hier die erprobte Gesinnung, da die Stellung von selbst gegeben ist. Bedeutender ist dies, wenn bei dem Schriftsteller wissenschaftliche Befähigung, bei dem Zensor Fähigkeit ohne weitere Bestimmung gefordert wird. Das alte, die[22] Politik ausgenommen, rationalistisch gesinnte Edikt erfordert in Artikel III »wissenschaftlich gebildete« und sogar »aufgeklärte« Zensoren. Beide Prädikate fallen in der Instruktion fort, und an die Stelle der Befähigung des Schriftstellers, die eine bestimmte, ausgebildete, zur Wirklichkeit gewordene Fähigkeit bedeutet, tritt bei dem Zensor die Anlage der Befähigung, die Fähigkeit überhaupt. Also die Anlage der Fähigkeit soll die wirkliche Befähigung zensieren, wie sehr auch der Natur der Sache nach offenbar das Verhältnis umzukehren ist. Nur im Vorbeigehen bemerken wir endlich, daß die Fähigkeit des Zensors dem sachlichen Inhalt nach nicht näher bestimmt ist, wodurch ihr Charakter allerdings zweideutig wird.
Das Zensoramt soll ferner Männern übertragen werden, »die dem ehrenvollen Vertrauen, welches dasselbe voraussetzt, vollständig entsprechen«. Diese pleonastische Scheinbestimmung, Männer zu einem Amt zu wählen, denen man vertraut, daß sie dem ehrenvollen Vertrauen, welches ihnen geschenkt wird, vollständig entsprechen (werden?), ein allerdings sehr vollständiges Vertrauen –, ist nicht weiter zu erörtern.
Endlich sollen die Zensoren Männer sein,
»welche, wohldenkend und scharfsichtig zugleich, die Form von dem Wesen der Sache zu sondern verstehen und mit sicherm Takte sich über Bedenken hinwegzusetzen wissen, wo Sinn und Tendenz einer Schrift an sich diese Bedenken nicht rechtfertigen«.
Mehr oben dagegen schreibt die Instruktion vor:
»Mit Rücksicht hierauf« (nämlich die Untersuchung der Tendenz) »haben die Zensoren ihre Aufmerksamkeit auch besonders auf die Form und den Ton der Sprache der Druckschriften zu richten und, insofern durch Leidenschaftlichkeit, Heftigkeit und Anmaßung ihre Tendenz sich als eine verderbliche darstellt, deren Druck nicht zu gestatten.«
Einmal also soll der Zensor die Tendenz aus der Form, das andere Mal die Form aus der Tendenz beurteilen. War vorhin schon der Inhalt ganz verschwunden als Kriterium des Zensierens, so verschwindet jetzt auch die Form. Wenn nur die Tendenz gut ist, so hat es mit den Verstößen der Form nichts auf sich. Mag die Schrift auch nicht gerade sehr ernsthaft und bescheiden gehalten sein, mag sie heftig, leidenschaftlich, anmaßend scheinen, wer wird sich [durch] die rauhe Außenseite schrecken lassen? Man muß das Formelle vom Wesen zu unterscheiden wissen. Jeder Schein der Bestimmungen mußte aufgehoben, die Instruktion mußte mit einem vollkommenen Widerspruch gegen sich selbst enden; denn alles, woraus die Tendenz erkannt werden soll, empfängt vielmehr erst seine Qualifizierung aus der Tendenz und muß vielmehr[23] aus der Tendenz erkannt werden. Die Heftigkeit des Patrioten ist heiliger Eifer, seine Leidenschaftlichkeit ist die Reizbarkeit des Liebenden, seine Anmaßung eine hingebende Teilnahme, die zu maßlos ist, um mäßig zu sein.
Alle objektiven Normen sind weggefallen, die persönliche Beziehung ist das Letzte, und der Takt des Zensors darf eine Bürgschaft genannt werden. Was kann also der Zensor verletzen? Den Takt. Und Taktlosigkeit ist kein Verbrechen. Was ist auf Seite des Schriftstellers bedroht? Die Existenz. Welcher Staat hat je die Existenz ganzer Klassen vom Takt einzelner Beamten abhängig gemacht?
Noch einmal, alle objektiven Normen sind weggefallen; von Seite des Schriftstellers ist die Tendenz der letzte Inhalt, der verlangt und vorgeschrieben wird, die formlose Meinung als Objekt; die Tendenz als Subjekt, als Meinung von der Meinung, ist der Takt und die einzige Bestimmung des Zensors.
Wenn aber die Willkür des Zensors – und die Berechtigung der bloßen Meinung ist die Berechtigung der Willkür – eine Konsequenz ist, die unter dem Schein sachlicher Bestimmungen verbrämt war, so spricht die Instruktion dagegen mit vollem Bewußtsein die Willkür des Oberpräsidiums aus; diesem wird ohne weiteres Vertrauen geschenkt, und dieses dem Oberpräsidenten geschenkte Vertrauen ist die letzte Garantie der Presse. So ist das Wesen der Zensur überhaupt in der hochmütigen Einbildung des Polizeistaates auf seine Beamten gegründet. Selbst das Einfachste wird dem Verstand und dem guten Willen des Publikums nicht zugetraut; aber selbst das Unmögliche soll den Beamten möglich sein.
Dieser Grundmangel geht durch alle unsere Institutionen hindurch. So z.B. sind Im Kriminalverfahren Richter, Ankläger und Verteidiger in einer Person vereinigt. Diese Vereinigung widerspricht allen Gesetzen der Psychologie. Aber der Beamte ist über die psychologischen Gesetze erhaben, wie das Publikum unter demselben steht. Doch ein mangelhaftes Staatsprinzip kann man entschuldigen; aber unverzeihlich wird es, wenn es nicht ehrlich genug ist, um konsequent zu sein. Die Verantwortlichkeit der Beamten müßte so unverhältnismäßig über der des Publikums stehen wie die Beamten über dem Publikum, und gerade hier, wo die Konsequenz allein das Prinzip rechtfertigen, es innerhalb seiner Sphäre zum rechtlichen machen könnte, wird es aufgegeben, und gerade hier wird das entgegengesetzte angewandt.
Auch der Zensor ist Ankläger, Verteidiger und Richter in einer Person; dem Zensor ist die Verwaltung des Geistes anvertraut; der Zensor ist unverantwortlich.
Die Zensur könnte nur einen provisorisch loyalen Charakter erhalten, wenn sie den ordentlichen Gerichten unterworfen würde, was allerdings[24] unmöglich ist, solange es keine objektiven Zensurgesetze gibt. Aber das allerschlechteste Mittel ist, die Zensur wieder vor Zensur zu stellen, etwa vor einen Oberpräsidenten oder ein Oberzensurkollegium.
Alles, was von dem Verhältnis der Presse zur Zensur, gilt wieder vom Verhältnis der Zensur zur Oberzensur und vom Verhältnis des Schriftstellers zum Oberzensor, obgleich ein Mittelglied eingeschoben ist. Es ist dasselbe Verhältnis, auf eine höhere Staffel gestellt, der merkwürdige Irrtum, die Sache zu lassen und ihr ein anderes Wesen durch andere Personen geben zu wollen. Wollte der Zwangsstaat loyal sein, so höbe er sich auf. Jeder Punkt erforderte denselben Zwang und denselben Gegendruck. Die Oberzensur müßte wieder zensiert werden. Um diesem tödlichen Kreis zu entgehen, entschließt man sich, illoyal zu sein, die Gesetzlosigkeit beginne nun in der dritten oder neunundneunzigsten Schichte. Weil dies Bewußtsein dem Beamtenstaat unklar vorschwebt, sucht er wenigstens die Sphäre der Gesetzlosigkeit so hoch zu stellen, daß sie den Blicken entschwindet, und glaubt dann, sie sei verschwunden.
Die eigentliche Radikalkur der Zensur wäre ihre Abschaffung; denn das Institut ist schlecht, und die Institutionen sind mächtiger als die Menschen. Doch, unsre Ansicht mag richtig sein oder nicht. Jedenfalls gewinnen die preußischen Schriftsteller durch die neue Instruktion, entweder an reeller Freiheit, oder an ideeller, an Bewußtsein.
Rara temporum felicitas, ubi quae velis sentire et quae sentias dicere licet.[25]
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