I. Wertgesetz und Profitrate

[898] Es war zu erwarten, daß die Lösung des scheinbaren Widerspruchs zwischen diesen beiden Faktoren ebensosehr nach wie vor der Veröffentlichung des Marxschen Textes zu Debatten führen werde. Gar mancher hatte sich auf ein vollständiges Wunder gefaßt gemacht und findet sich enttäuscht, weil er statt des erwarteten Hokuspokus eine einfach-rationelle, prosaisch-nüchterne Vermittlung des Gegensatzes vor sich sieht. Am freudigsten enttäuscht ist natürlich der bekannte illustre Loria. Der hat endlich den archimedischen Hebelpunkt gefunden, von dem aus sogar ein Wichtelmännchen seines Kalibers den festgefügten Marxschen Riesenbau in die Luft heben und zersprengen kann. Was, ruft er entrüstet aus, das soll eine Lösung sein? Das ist ja eine pure Mystifikation! Die Ökonomen, wenn sie von Wert sprechen, so sprechen sie von dem Wert, der tatsächlich im Austausch sich feststellt.

»Aber sich mit einem Wert beschäftigen, zu dem die Waren weder verkauft werden noch je verkauft werden können (né possono vendersi mai), das hat kein Ökonom, der eine Spur von Verstand besitzt, je getan, noch wird er es tun... Wenn Marx behauptet, der Wert, zu dem die Waren nie verkauft werden, sei bestimmt im Verhältnis der in ihnen enthaltnen Arbeit, was tut er da anders, als in verkehrter Form den Satz der orthodoxen Ökonomen wiederholen: daß der Wert, zu dem die Waren verkauft werden, nicht im Verhältnis steht zu der auf sie verwandten Arbeit?... Es hilft auch nichts, wenn Marx sagt, trotz der Abweichung der Einzelpreise von den Einzelwerten falle der Totalpreis der sämtlichen Waren stets zusammen mit ihrem Totalwert oder mit der in der Totalmenge der Waren enthaltnen Arbeitsquantität. Denn da der Wert nichts andres ist als das Verhältnis, worin eine Ware mit einer andren sich austauscht, ist schon die bloße Vorstellung eines Totalwerts eine Absurdität, ein Unsinn... eine contradictio in adjecto.«[898]

Gleich am Anfang des Werks sage Marx, der Austausch könne zwei Waren nur gleichsetzen kraft eines in ihnen enthaltnen gleichartigen und gleich großen Elements, nämlich der in ihnen enthaltnen gleich großen Arbeitsmenge. Und jetzt verleugne er sich selbst aufs feierlichste, indem er versichere, die Waren tauschten sich aus in einem ganz andern Verhältnis als in dem der in ihnen enthaltnen Arbeitsmenge.

»Wann gab es je eine so vollständige Reduktion ad absurdum, einen größeren theoretischen Bankerott? Wann ist jemals ein wissenschaftlicher Selbstmord mit größerem Pomp und mit mehr Feierlichkeit begangen worden?« (»Nuova Antologia«, 1. Febr. 1895, p. 477, 478, 479.)

Man sieht, unser Loria ist überglücklich. Hat er nicht recht gehabt, Marx als seinesgleichen, als ordinären Scharlatan zu traktieren? Da seht ihr's – Marx mokiert sich über sein Publikum ganz wie Loria, er lebt von Mystifikationen ganz wie der kleinste italienische Professor der Ökonomie. Aber während Dulcamara sich das erlauben darf, weil er sein Handwerk versteht, verfällt der plumpe Nordländer Marx in lauter Ungeschicklichkeiten, macht Unsinn und Absurdität, so daß ihm schließlich nichts übrigbleibt als feierlicher Selbstmord.

Sparen wir uns für später die Behauptung auf, daß die Waren nie zu den durch die Arbeit bestimmten Werten verkauft worden sind noch je dazu verkauft werden können. Halten wir uns hier nur an die Versicherung des Herrn Loria, daß

»der Wert nichts andres ist als das Verhältnis, worin eine Ware mit einer andern sich austauscht, und daß hiernach schon die bloße Vorstellung eines Totalwerts der Waren eine Absurdität, ein Unsinn etc. ist«.

Das Verhältnis, worin zwei Waren sich austauschen, ihr Wert, ist also etwas rein Zufälliges, den Waren von außen Angeflogenes, das heute so, morgen so sein kann. Ob ein Meterzentner Weizen sich gegen ein Gramm oder gegen ein Kilogramm Gold austauscht, hängt nicht im mindesten von Bedingungen ab, die diesem Weizen oder Gold inhärent sind, sondern von ihnen beiden total fremden Umständen. Denn sonst müßten diese Bedingungen sich auch im Austausch geltend machen, ihn im ganzen und großen beherrschen und auch abgesehn vom Austausch eine selbständige Existenz haben, so daß von einem Gesamtwert der Waren die Rede sein könnte. Das ist Unsinn, sagt der illustre Loria. In welchem Verhältnis immer zwei Waren sich austauschen mögen, das ist ihr Wert, und damit holla. Der Wert ist also identisch mit dem Preis, und jede Ware hat so viel Werte, als sie Preise erzielen kann. Und der Preis wird bestimmt durch[901] Nachfrage und Angebot, und wer noch weiter fragt, der ist ein Narr, wenn er auf Antwort wartet.

Die Sache hat aber doch einen kleinen Haken. Im Normalzustand decken sich Nachfrage und Angebot. Teilen wir also sämtliche in der Welt vorhandne Waren in zwei Hälften, in die Gruppe der Nachfrage und die gleich große des Angebots. Nehmen wir an, jede repräsentiere einen Preis von 1000 Milliarden Mark, Franken, Pfund Sterling oder was immer. Das macht zusammen nach Adam Riese einen Preis oder Wert von 2000 Milliarden. Unsinn, absurd, sagt Herr Loria. Die beiden Gruppen mögen zusammen einen Preis von 2000 Milliarden repräsentieren. Aber mit dem Wert ist das anders. Sagen wir Preis, so sind 1000 + 1000 = 2000. Sagen wir aber Wert, so sind 1000 + 1000 = 0. Wenigstens in diesem Fall, wo es sich um die Gesamtheit der Waren handelt. Denn hier ist die Ware eines jeden von beiden nur 1000 Milliarden wert, weil jeder von beiden diese Summe für die Ware des andern geben will und kann. Vereinigen wir aber die Gesamtheit der Waren beider in der Hand eines dritten, so hat der erste keinen Wert mehr in der Hand, der andre auch nicht und der dritte erst recht nicht – am End hat keiner nix. Und wir bewundern abermals die Überlegenheit, womit unser südländischer Cagliostro den Wertbegriff dermaßen vermöbelt hat, daß aber auch nicht die geringste Spur mehr von ihm übriggeblieben ist. Es ist dies die Vollendung der Vulgärökonomie!155[902]

In Brauns »Archiv für soziale Gesetzgebung«, VII, Heft 4, gibt Werner Sombart eine in ihrer Gesamtheit vortreffliche Darstellung der Umrisse des Marxschen Systems. Es ist das erstemal, daß ein deutscher Universitätsprofessor es fertigbringt, im ganzen und großen in Marx' Schriften das zu sehn, was Marx wirklich gesagt hat, daß er erklärt, die Kritik des Marxschen Systems könne nicht in einer Widerlegung bestehn – »mit der mag sich der politische Streber befassen« –, sondern nur in einer Weiterentwicklung. Auch Sombart, wie sich versteht, beschäftigt sich mit unsrem Thema. Er untersucht die Frage, welche Bedeutung der Wert im Marxschen System hat, und kommt zu folgenden Resultaten: Der Wert tritt in dem Austauschverhältnis der kapitalistisch produzierten Waren nicht in die Erscheinung; er lebt nicht im Bewußtsein der kapitalistischen Produktionsagenten; er ist keine empirische, sondern eine gedankliche, eine logische Tatsache; der Wertbegriff in materieller Bestimmtheit bei Marx ist nichts andres als der ökonomische Ausdruck für die Tatsache der gesellschaftlichen[903] Produktivkraft der Arbeit als Grundlage des wirtschaftlichen Daseins; das Wertgesetz beherrscht die wirtschaftlichen Vorgänge in einer kapitalistischen Wirtschaftsordnung in letzter Instanz und hat für diese Wirtschaftsordnung ganz allgemein den Inhalt: Der Wert der Waren ist die spezifisch historische Form, in der sich die in letzter Instanz alle wirtschaftlichen Vorgänge beherrschende Produktivkraft der Arbeit bestimmend durchsetzt. – Soweit Sombart; es läßt sich gegen diese Auffassung der Bedeutung des Wertgesetzes für die kapitalistische Produktionsform nicht sagen, daß sie unrichtig ist. Wohl aber scheint sie mir zu weit gefaßt, einer engeren, präziseren Fassung fähig; sie erschöpft nach meiner Ansicht keineswegs die ganze Bedeutung des Wertgesetzes für die von diesem Gesetz beherrschten ökonomischen Entwicklungsstufen der Gesellschaft.

In Brauns »Sozialpolitischem Zentralblatt« vom 25. Februar 1895, Nr. 22, findet sich ein ebenfalls vortrefflicher Artikel über den 3. Band des »Kapital« von Conrad Schmidt. Besonders hervorzuheben ist hier der Nachweis, wie die Marxsche Ableitung des Durchschnittsprofits vom Mehrwert zum erstenmal eine Antwort auf die von der bisherigen Ökonomie nicht einmal aufgeworfne Frage gibt, wie denn die Höhe dieser Durchschnittsprofitrate bestimmt werde und wie es komme, daß sie sage 10 oder 15% ist und nicht 50 oder 100%. Seitdem wir wissen, daß der vom industriellen Kapitalisten in erster Hand angeeignete Mehrwert die einzige und ausschließliche Quelle ist, aus der Profit und Grundrente fließen, löst sich diese Frage von selbst. Dieser Teil des Schmidtschen Aufsatzes könnte direkt für Ökonomen à la Loria geschrieben sein, wäre es nicht vergebliche Mühe, denen die Augen zu öffnen, die nicht sehn wollen.

Auch Schmidt hat seine formellen Bedenken bezüglich des Wertgesetzes. Er nennt es eine wissenschaftliche, zur Erklärung des tatsächlichen Austauschprozesses aufgestellte Hypothese, die sich auch den ihr scheinbar ganz widersprechenden Erscheinungen der Konkurrenzpreise gegenüber als der notwendige theoretische Ausgangspunkt, als lichtbringend und unumgänglich bewährt; ohne das Wertgesetz hört auch nach seiner Ansicht jede theoretische Einsicht in das ökonomische Getriebe der kapitalistischen Wirklichkeit auf. Und in einem Privatbrief, den er mir anzuführen gestattet, erklärt Schmidt das Wertgesetz innerhalb der kapitalistischen Produktionsform gradezu für eine, wenn auch theoretisch notwendige, Fiktion. – Diese Auffassung trifft aber nach meiner Ansicht durchaus nicht zu. Das Wertgesetz hat für die kapitalistische Produktion eine weit größere und bestimmtere Bedeutung als die einer bloßen Hypothese, geschweige einer wenn auch notwendigen Fiktion.[904]

Bei Sombart sowohl wie bei Schmidt – den illustren Loria ziehe ich nur herbei als erheiternde vulgärökonomische Folie – wird nicht genug berücksichtigt, daß es sich hier nicht nur um einen rein logischen Prozeß handelt, sondern um einen historischen Prozeß und dessen erklärende Rückspiegelung im Gedanken, die logische Verfolgung seiner inneren Zusammenhänge.

Die entscheidende Stelle findet sich bei Marx III, I, p. 154: »Die ganze Schwierigkeit kommt dadurch hinein, daß die Waren nicht einfach als Waren ausgetauscht werden, sondern als Produkte von Kapitalen, die im Verhältnis zu ihrer Größe, oder bei gleicher Größe, gleiche Teilnahme an der Gesamtmasse des Mehrwerts beanspruchen.« Zur Illustration dieses Unterschieds wird nun unterstellt, die Arbeiter seien im Besitz ihrer Produktionsmittel, arbeiteten im Durchschnitt gleich lange Zeit und mit gleicher Intensität und tauschten ihre Waren direkt miteinander aus. Dann hätten zwei Arbeiter in einem Tage ihrem Produkt gleich viel Neuwert durch ihre Arbeit zugesetzt, aber das Produkt eines jeden hätte verschiednen Wert je nach der in den Produktionsmitteln früher schon verkörperten Arbeit. Dieser letztere Wertteil würde das konstante Kapital der kapitalistischen Wirtschaft repräsentieren, der auf die Lebensmittel des Arbeiters verwandte Teil des neu zugesetzten Werts das variable Kapital, der dann noch übrige Teil des Neuwerts den Mehrwert, der hier also dem Arbeiter gehörte. Beide Arbeiter erhielten also, nach Abzug des Ersatzes für den von ihnen nur vorgeschossenen »konstanten« Wertteil, gleiche Werte; das Verhältnis des den Mehrwert repräsentierenden Teils zu dem Wert der Produktionsmittel – was der kapitalistischen Profitrate entspräche – wäre aber bei beiden verschieden. Da aber jeder von ihnen den Wert der Produktionsmittel im Austausch ersetzt erhält, wäre dies ein völlig gleichgültiger Umstand. »Der Austausch von Waren zu ihren Werten oder annähernd zu ihren Werten, erfordert also eine viel niedrigere Stufe als der Austausch zu Produktionspreisen, wozu eine bestimmte Höhe kapitalistischer Entwicklung nötig ist... Abgesehn von der Beherrschung der Preise und der Preis bewegung durch das Wertgesetz, ist es also durchaus sachgemäß, die Werte der Waren nicht nur theoretisch, sondern auch historisch als das prius der Produktionspreise zu betrachten. Es gilt dies für Zustände, wo dem Arbeiter die Produktionsmittel gehören, und dieser Zustand findet sich, in der alten wie in der modernen Welt, beim selbstarbeitenden grundbesitzenden Bauer und beim Handwerker. Es stimmt dies auch mit unsrer früher ausgesprochnen[905] Ansicht, daß die Entwicklung der Produkte zu Waren entspringt durch den Austausch zwischen verschiednen Gemeinwesen, nicht zwischen den Gliedern einer und derselben Gemeinde. Wie für diesen ursprünglichen Zustand, so gilt es für die späteren Zustände, die auf Sklaverei und Leibeigenschaft gegründet sind, und für die Zunftorganisation des Handwerks, solange die in jedem Produktionszweig festgelegten Produktionsmittel nur mit Schwierigkeit aus der einen Sphäre in die andre übertragbar sind und die verschiednen Sphären sich daher zueinander verhalten wie fremde Länder oder kommunistische Gemeinwesen.« (Marx, III, I, p. 155, 156.)

Wäre Marx dazu gekommen, das dritte Buch nochmals durchzuarbeiten, er hätte ohne Zweifel diese Stelle bedeutend weiter ausgeführt. So wie sie da steht, gibt sie nur den skizzierten Umriß von dem, was über den Fragepunkt zu sagen ist. Gehen wir also etwas näher darauf ein.

Wir alle wissen, daß in den Anfängen der Gesellschaft die Produkte von den Produzenten selbst verbraucht werden und daß diese Produzenten in mehr oder minder kommunistisch organisierten Gemeinden naturwüchsig organisiert sind; daß der Austausch des Überschusses dieser Produkte mit Fremden, der die Verwandlung der Produkte in Waren einleitet, späteren Datums ist, zuerst nur zwischen einzelnen stammesfremden Gemeinden stattfindet, später aber auch innerhalb der Gemeinde zur Geltung kommt und wesentlich zu deren Auflösung in größere oder kleinere Familiengruppen beiträgt. Aber selbst nach dieser Auflösung bleiben die austauschenden Familienhäupter arbeitende Bauern, die fast ihren ganzen Bedarf mit Hilfe ihrer Familie auf dem eignen Hof produzieren und nur einen geringen Teil der benötigten Gegenstände gegen überschüssiges eignes Produkt von außen eintauschen. Die Familie treibt nicht bloß Ackerbau und Viehzucht, sie verarbeitet auch deren Produkte zu fertigen Verbrauchsartikeln, mahlt stellenweise noch selbst mit der Handmühle, bäckt Brot, spinnt, färbt, verwebt Flachs und Wolle, gerbt Leder, errichtet und repariert hölzerne Gebäude, stellt Werkzeuge und Geräte her, schreinert und schmiedet nicht selten; so daß die Familie oder Familiengruppe in der Hauptsache sich selbst genügt.

Das Wenige nun, was eine solche Familie von andern einzutauschen oder zu kaufen hat, bestand selbst bis in den Anfang des 19. Jahrhunderts in Deutschland vorwiegend aus Gegenständen handwerksmäßiger Produktion, also aus solchen Dingen, deren Herstellungsart dem Bauer keineswegs fremd[906] war und die er nur deshalb nicht selbst produzierte, weil ihm entweder der Rohstoff nicht zugänglich oder der gekaufte Artikel viel besser oder sehr viel wohlfeiler war. Dem Bauer des Mittelalters war also die für die Herstellung der von ihm eingetauschten Gegenstände erforderliche Arbeitszeit ziemlich genau bekannt. Der Schmied, der Wagner des Dorfs arbeiteten ja unter seinen Augen; ebenso der Schneider und Schuhmacher, der noch zu meiner Jugendzeit bei unsern rheinischen Bauern der Reihe nach einkehrte und die selbstverfertigten Stoffe zu Kleidern und Schuhen verarbeitete. Der Bauer sowohl wie die Leute, von denen er kaufte, waren selbst Arbeiter, die ausgetauschten Artikel waren die eignen Produkte eines jeden. Was hatten sie bei der Herstellung dieser Produkte aufgewandt? Arbeit und nur Arbeit: für den Ersatz der Werkzeuge, für Erzeugung des Rohstoffs, für seine Verarbeitung haben sie nichts ausgegeben als ihre eigne Arbeitskraft; wie also können sie diese ihre Produkte mit denen andrer arbeitenden Produzenten austauschen anders als im Verhältnis der darauf verwandten Arbeit? Da war nicht nur die auf diese Produkte verwandte Arbeitszeit der einzige geeignete Maßstab für die quantitative Bestimmung der auszutauschenden Größen; da war überhaupt kein andrer möglich. Oder glaubt man, der Bauer und der Handwerker seien so dumm gewesen, das Produkt zehnstündiger Arbeit des einen für das einer einzigen Arbeitsstunde des andern hinzugeben? Für die ganze Periode der bäuerlichen Naturalwirtschaft ist kein andrer Austausch möglich als derjenige, wo die ausgetauschten Warenquanta die Tendenz haben, sich mehr und mehr nach den in ihnen verkörperten Arbeitsmengen abzumessen. Von dem Augenblick an, wo das Geld in diese Wirtschaftsweise eindringt, wird die Tendenz der Anpassung an das Wertgesetz (in der Marxschen Formulierung, nota bene!) einerseits noch ausgesprochener, andrerseits aber wird sie auch schon durch die Eingriffe des Wucherkapitals und der fiskalischen Aussaugung durchbrochen, die Perioden, für die die Preise im Durchschnitt sich den Werten bis auf eine zu vernachlässigende Größe nähern, werden schon länger.

Das gleiche gilt für den Austausch zwischen Bauernprodukten und denen der städtischen Handwerker. Anfangs findet dieser direkt statt, ohne Vermittlung des Kaufmanns, an den Markttagen der Städte, wo der Bauer verkauft und seine Einkäufe macht. Auch hier sind nicht nur dem Bauer die Arbeitsbedingungen des Handwerkers bekannt, sondern dem Handwerker auch die des Bauern. Denn er ist selbst noch ein Stück Bauer, er hat nicht nur Küchen- und Obstgarten, sondern auch sehr oft ein Stückchen Feld, eine oder zwei Kühe, Schweine, Federvieh usw. Die Leute im Mittelalter[907] waren so imstande, jeder dem andern die Produktionskosten an Rohstoff, Hilfsstoff, Arbeitszeit mit ziemlicher Genauigkeit nachzurechnen – wenigstens, was Artikel täglichen allgemeinen Gebrauchs betraf.

Wie war aber für diesen Austausch nach dem Maßstab des Arbeitsquantums dies letztere, wenn auch nur indirekt und relativ, zu berechnen für Produkte, die eine längere, in unregelmäßigen Zwischenräumen unterbrochne, in ihrem Ertrag unsichre Arbeit erheischten, z.B. Korn oder Vieh? Und das obendrein bei Leuten, die nicht rechnen konnten? Offenbar nur durch einen langwierigen, oft im Dunkeln hin und her tastenden Prozeß der Annäherung im Zickzack, wobei man, wie sonst auch, erst durch den Schaden klug wurde. Aber die Notwendigkeit für jeden, im ganzen und großen auf seine Kosten zu kommen, half immer wieder in die korrekte Richtung, und die geringe Anzahl der in den Verkehr kommenden Arten von Gegenständen, sowie die oft während Jahrhunderten stabile Art ihrer Produktion, erleichterte die Erreichung des Ziels. Und daß es keineswegs so lange dauerte, bis die relative Wertgröße dieser Produkte ziemlich annähernd festgestellt war, beweist allein die Tatsache, daß die Ware, bei der dies wegen der langen Produktionszeit des einzelnen Stücks am schwierigsten scheint, das Vieh, die erste ziemlich allgemein anerkannte Geldware wurde. Um dies fertigzubringen, mußte der Wert des Viehs, sein Austauschverhältnis zu einer ganzen Reihe von andern Waren, schon eine relativ ungewöhnliche, auf dem Gebiet zahlreicher Stämme widerspruchslos anerkannte Feststellung erlangt haben. Und die Leute von damals waren sicher gescheit genug – die Viehzüchter sowohl wie ihre Kunden –, um nicht die von ihnen aufgewandte Arbeitszeit im Austausch ohne Äquivalent wegzuschenken. Im Gegenteil: je näher die Leute dem Urzustand der Warenproduktion stehn – Russen und Orientalen z.B. –, desto mehr Zeit verschwenden sie noch heute, um durch langes, zähes Schachern den vollen Entgelt ihrer auf ein Produkt verwandten Arbeitszeit herauszuschlagen.

Ausgehend von dieser Wertbestimmung durch die Arbeitszeit, entwickelte sich nun die ganze Warenproduktion und mit ihr die mannigfachen Beziehungen, in denen die verschiednen Seiten des Wertgesetzes sich geltend machen, wie sie im ersten Abschnitt des ersten Buchs des »Kapital« dargelegt sind; also namentlich die Bedingungen, unter denen allein die Arbeit wertbildend ist. Und zwar sind dies Bedingungen, die sich durchsetzen, ohne den Beteiligten zum Bewußtsein zu kommen, und die selbst erst durch mühsame theoretische Untersuchung aus der alltäglichen Praxis abstrahiert werden können, die also nach Art von Naturgesetzen wirken, wie dies Marx auch als notwendig aus der Natur der Warenproduktion[908] folgend nachgewiesen hat. Der wichtigste und einschneidendste Fortschritt war der Übergang zum Metallgeld, der aber auch die Folge hatte, daß nun die Wertbestimmung durch die Arbeitszeit nicht länger auf der Oberfläche des Warenaustausches sichtbar erschien. Das Geld wurde für die praktische Auffassung der entscheidende Wertmesser, und dies um so mehr, je mannigfaltiger die in den Handel kommenden Waren wurden, je mehr sie entlegnen Ländern entstammten, je weniger also die zu ihrer Herstellung nötige Arbeitszeit sich kontrollieren ließ. Kam doch das Geld anfänglich selbst meist aus der Fremde; auch als Edelmetall im Lande gewonnen wurde, war der Bauer und Handwerker teils nicht imstande, die darauf verwandte Arbeit annähernd abzuschätzen, teils war ihm selbst schon das Bewußtsein von der wertmessenden Eigenschaft der Arbeit durch die Gewohnheit des Geldrechnens ziemlich verdunkelt; das Geld begann in der Volksvorstellung den absoluten Wert zu repräsentieren.

Mit einem Wort: das Marxsche Wertgesetz gilt allgemein, soweit überhaupt ökonomische Gesetze gelten, für die ganze Periode der einfachen Warenproduktion, also bis zur Zeit, wo diese durch den Eintritt der kapitalistischen Produktionsform eine Modifikation erfährt. Bis dahin gravitieren die Preise nach den durch das Marxsche Gesetz bestimmten Werten hin und oszillieren um diese Werte, so daß, je voller die einfache Warenproduktion zur Entfaltung kommt, desto mehr die Durchschnittspreise längerer, nicht durch äußre gewaltsame Störungen unterbrochener Perioden innerhalb der Vernachlässigungsgrenzen mit den Werten zusammenfallen. Das Marxsche Wertgesetz hat also ökonomisch-allgemeine Gültigkeit für eine Zeitdauer, die vom Anfang des die Produkte in Waren verwandelnden Austausches bis ins fünfzehnte Jahrhundert unsrer Zeitrechnung dauert. Der Warenaustausch aber datiert von einer Zeit, die vor aller geschriebnen Geschichte liegt, die in Ägypten auf mindestens drittehalbtausend, vielleicht fünftausend, in Babylonien auf viertausend, vielleicht sechstausend Jahre vor unsrer Zeitrechnung zurückführt; das Wertgesetz hat also geherrscht während einer Periode von fünf bis sieben Jahrtausenden. Und nun bewundre man die Gründlichkeit des Herrn Loria, der den während dieser Zeit allgemein und direkt gültigen Wert einen Wert nennt, zu dem die Waren nie verkauft werden oder verkauft werden können und mit dem kein Ökonom sich je beschäftigen wird, der einen Funken gesunden Verstand hat!

Bisher haben wir nicht vom Kaufmann gesprochen. Wir konnten uns die Berücksichtigung seiner Intervention aufsparen bis jetzt, wo wir zur Verwandlung der einfachen in kapitalistische Warenproduktion übergehn.[909] Der Kaufmann war das revolutionäre Element in dieser Gesellschaft, wo alles sonst stabil war, stabil sozusagen durch Erblichkeit; wo der Bauer nicht nur seine Hufe, sondern auch seine Stellung als freier Eigentümer, freier oder höriger Zinsbauer oder Leibeigner, der städtische Handwerker sein Handwerk und seine zünftigen Privilegien erblich und fast unveräußerlich überkam und jeder von ihnen obendrein seine Kundschaft, seinen Absatzmarkt, ebensosehr wie sein von Jugend auf für den ererbten Beruf ausgebildetes Geschick. In diese Welt trat nun der Kaufmann, von dem ihre Umwälzung ausgehn sollte. Aber nicht als bewußter Revolutionär; im Gegenteil, als Fleisch von ihrem Fleisch, Bein von ihrem Bein. Der Kaufmann des Mittelalters war durchaus kein Individualist, er war wesentlich Genossenschafter wie alle seine Zeitgenossen. Auf dem Lande herrschte die dem urwüchsigen Kommunismus entsprossene Markgenossenschaft. Jeder Bauer hatte ursprünglich eine gleich große Hufe, mit gleich großen Stücken Boden von jeder Qualität, und einen entsprechenden gleich großen Anteil an den Rechten in der gemeinen Mark. Seitdem die Markgenossenschaft eine geschlossene geworden war und keine neuen Hufen mehr ausgeteilt wurden, traten durch Erbschaft etc. Unterteilungen der Hufen ein und dementsprechende Unterteilungen der Markberechtigung; aber die Vollhufe blieb die Einheit, so daß es Halb-, Viertels-, Achtelshufen mit halber, Viertels- und Achtelsberechtigung in der gemeinen Mark gab. Nach dem Vorbild der Markgenossenschaft richteten sich alle späteren Erwerbsgenossenschaften, vor allem die Zünfte in den Städten, deren Ordnung nichts war als die Anwendung der Markverfassung auf ein Handwerksprivilegium statt auf ein begrenztes Landgebiet. Der Mittelpunkt der ganzen Organisation war die gleiche Beteiligung jedes Genossen an den der Gesamtheit gesicherten Vorrechten und Nutzungen, wie sich dies noch schlagend in dem Privilegium der Elberfelder und Barmer »Garnnahrung« von 1527 ausspricht. (Thun, »Industrie am Niederrhein«, II, 164 ff.) Dasselbe gilt von den Gewerken der Bergwerke, wo auch jede Kux gleichen Anteil hatte und auch, wie die Hufe des Markgenossen, samt ihren Rechten und Pflichten teilbar war. Und dasselbe gilt in nicht mindrem Grad von den kaufmännischen Genossenschaften, die den überseeischen Handel ins Leben riefen. Die Venetianer und die Genuesen im Hafen von Alexandrien oder Konstantinopel, jede »Nation« in ihrem eignen Fondaco – Wohnhaus, Wirtshaus, Lagerhaus, Ausstellungs- und Verkaufsraum nebst Zentralbüro – bildeten vollständige Handelsgenossenschaften, sie waren abgeschlossen gegen Konkurrenten und Kunden, sie verkauften zu unter sich festgestellten Preisen, ihre Waren hatten bestimmte, durch öffentliche Untersuchung[910] und oft Abstempelung garantierte Qualität, sie beschlossen gemeinsam über die den Eingebornen für ihre Produkte zu zahlenden Preise etc. Nicht anders verfuhren die Hanseaten auf der deutschen Brücke (Tydske Bryggen) zu Bergen in Norwegen und ebenso ihre holländischen und englischen Konkurrenten. Wehe dem, der unter dem Preis verkauft oder über dem Preis eingekauft hätte! Der Boykott, der ihn traf, bedeutete damals den unbedingten Ruin, ungerechnet die direkten Strafen, die die Genossenschaft über den Schuldigen verhängte. Es wurden aber auch noch engere Genossenschaften zu bestimmten Zwecken gegründet, dergleichen die Maona von Genua, die langjährige Beherrscherin der Alaungruben von Phokäa in Kleinasien sowie der Insel Chios, im 14. und 15. Jahrhundert, ferner die große Ravensberger Handelsgesellschaft, die seit Ende des 14. Jahrhunderts nach Italien und Spanien Geschäfte machte und dort Niederlassungen gründete, und die deutsche Gesellschaft der Augsburger Fugger, Welser, Vöhlin, Höchstetter etc. und der Nürnberger Hirschvogel und andre, die mit einem Kapital von 66 000 Dukaten und drei Schiffen sich an der portugiesischen Expedition nach Indien 1505/06 beteiligte und dabei einen Reingewinn von 150, nach andern 175 Prozent herausschlug, (Heyd, »Levantehandel«, II, 524) und eine ganze Reihe andrer Gesellschaften »Monopolia«, über die Luther sich so erzürnt.

Hier stoßen wir zum erstenmal auf einen Profit und eine Profitrate. Und zwar ist das Bestreben der Kaufleute absichtlich und bewußt darauf gerichtet, diese Profitrate für alle Beteiligten gleichzumachen. Die Venetianer in der Levante, die Hanseaten im Norden zahlten jeder dieselben Preise für seine Waren wie seine Nachbarn, sie kosteten ihm dieselben Transportkosten, er erhielt dafür dieselben Preise und kaufte ebenfalls Rückfracht ein zu denselben Preisen wie jeder andre Kaufmann seiner »Nation«. Die Profitrate war also für alle gleich. Bei den großen Handelsgesellschaften versteht sich die Verteilung des Gewinns pro rata des eingeschoßnen Kapitalanteils genauso von selbst wie die Beteiligung an den Markrechten pro rata des berechtigten Hufenanteils oder an dem Bergwerksgewinn pro rata des Kuxenanteils. Die gleiche Profitrate, die in ihrer vollen Entwicklung eins der Endergebnisse der kapitalistischen Produktion ist, erweist sich hier also in ihrer einfachsten Form als einer der Punkte, wovon das Kapital historisch ausgegangen, ja sogar als ein direkter Ableger der Markgenossenschaft, die wieder ein direkter Ableger des Urkommunismus ist.

Diese ursprüngliche Profitrate war notwendig sehr hoch. Das Geschäft war seht riskant, nicht nur wegen des stark grassierenden Seeraubs; auch die konkurrierenden Nationen erlaubten sich manchmal allerlei Gewalttätigkeiten,[911] wenn sich Gelegenheit bot; endlich beruhte der Absatz und die Absatzbedingungen auf Privilegien fremder Fürsten, die oft genug gebrochen oder widerrufen wurden. Der Gewinn mußte also eine hohe Assekuranzprämie einschließen. Dann war der Umsatz langsam, die Abwicklung der Geschäfte langwierig, und in den besten Zeiten, die allerdings selten von langer Dauer, war das Geschäft ein Monopolhandel mit Monopolprofit. Daß die Profitrate im Durchschnitt sehr hoch war, beweisen auch die damals gültigen sehr hohen Zinsraten, die doch immer im ganzen niedriger sein mußten als der Prozentsatz des üblichen Handelsgewinns.

Diese durch das genossenschaftliche Zusammenwirken erwirkte hohe, für alle Beteiligten gleiche Profitrate hatte aber nur lokale Geltung innerhalb der Genossenschaft, also hier der »Nation«. Venetianer, Genuesen, Hanseaten, Holländer hatten, jede Nation für sich und wohl auch mehr oder weniger anfangs für jedes einzelne Absatzgebiet, eine besondre Profitrate. Die Ausgleichung dieser verschiednen Genossenschafts-Profitraten setzte sich durch auf dem entgegengesetzten Weg, durch die Konkurrenz. Zunächst die Profitraten der verschiednen Märkte für eine und dieselbe Nation. Bot Alexandrien mehr Gewinn für venetianische Waren als Cypern, Konstantinopel oder Trapezunt, so werden die Venetianer für Alexandrien mehr Kapital in Bewegung gesetzt und dies dem Verkehr mit den andern Märkten entzogen haben. Dann mußte die allmähliche Ausgleichung der Profitraten zwischen den einzelnen, nach denselben Märkten dieselben oder ähnliche Waren ausführenden Nationen an die Reihe kommen, wobei sehr häufig einzelne dieser Nationen erdrückt wurden und vom Schauplatz verschwanden. Dieser Prozeß wurde aber fortwährend von politischen Ereignissen unterbrochen, wie denn der ganze Levantehandel infolge der mongolischen und türkischen Invasionen an dieser Ursache zugrunde ging und die großen geographisch-kommerziellen Entdeckungen seit 1492 diesen Untergang nur beschleunigten und dann endgültig machten.

Die nun erfolgende plötzliche Ausdehnung des Absatzgebiets und damit zusammenhängende Umwälzung der Verkehrslinien brachte zunächst keine wesentliche Änderung in der Art des Handelsbetriebs. Auch nach Indien und Amerika handelten zunächst vorwiegend noch Genossenschaften. Aber erstens standen hinter diesen Genossenschaften größere Nationen. An die Stelle der levantehandelnden Katalonier trat im Amerikahandel das ganze große vereinigte Spanien; neben ihm zwei große Länder wie England und Frankreich; und selbst Holland und Portugal, die kleinsten, waren immer noch mindestens ebenso groß und stark wie Venedig, die größte und stärkste Handelsnation der vorigen Periode. Das gab dem fahrenden Kaufmann,[912] dem merchant adventurer des 16. und 17. Jahrhunderts einen Rückhalt, der die ihre Glieder auch mit den Waffen schützende Genossenschaft mehr und mehr überflüssig, ihre Kosten daher direkt lästig machte. Dann entwickelte sich jetzt der Reichtum in einzelner Hand bedeutend schneller, so daß bald vereinzelte Kaufleute ebensoviel Fonds auf eine Unternehmung wenden konnten wie früher eine ganze Gesellschaft. Die Handelsgesellschaften, wo sie noch fortbestanden, verwandelten sich meist in bewaffnete Korporationen, die unter dem Schutz und der Oberhoheit des Mutterlandes neuentdeckte ganze Länder eroberten und monopolistisch ausbeuteten. Je mehr aber in den neuen Gebieten Kolonien vorwiegend auch von Staats wegen angelegt wurden, desto mehr trat der genossenschaftliche Handel vor dem des einzelnen Kaufmanns zurück, und damit wurde die Ausgleichung der Profitrate mehr und mehr ausschließliche Sache der Konkurrenz.

Bisher haben wir eine Profitrate kennengelernt nur für das Handelskapital. Denn nur Handels- und Wucherkapital hatte es bisher gegeben, das industrielle Kapital sollte sich eben erst entwickeln. Die Produktion war noch vorwiegend in den Händen von Arbeitern, die im Besitz ihrer eignen Produktionsmittel waren, deren Arbeit also keinem Kapital einen Mehrwert abwarf. Mußten sie einen Teil des Produkts ohne Entgelt an Dritte abtreten, dann in der Form des Tributs an Feudalherren. Das Kaufmannskapital konnte seinen Profit daher, wenigstens anfangs, nur aus den ausländischen Käufern inländischer oder den inländischen Käufern ausländischer Produkte herausschlagen; erst gegen Ende dieser Periode – für Italien also mit dem Niedergang des Levantehandels – mochte die auswärtige Konkurrenz und der erschwerte Absatz den handwerksmäßigen Produzenten von Ausfuhrwaren zwingen, dem Exportkaufmann die Ware unter ihrem Wert abzulassen. Und so finden wir hier die Erscheinung, daß im inländischen Detailverkehr der einzelnen Produzenten untereinander die Waren durchschnittlich zu ihren Werten verkauft werden, im internationalen Handel aber, aus angegebnen Gründen, der Regel nach nicht. Ganz im Gegensatz zur heutigen Welt, wo die Produktionspreise im internationalen und Großhandel Geltung haben, während im städtischen Kleinhandel die Preisbildung durch ganz andre Profitraten reguliert wird. So daß z.B. heute das Fleisch eines Ochsen einen größeren Preisaufschlag erfährt auf dem Wege vom Londoner Engroshändler bis zum einzelnen Londoner Konsumenten als vom Engroshändler in Chicago, inklusive Transport, bis zum Londoner Engroshändler.

Das Werkzeug, das diese Umwälzung in der Preisbildung allmählich zustande brachte, war das industrielle Kapital. Bereits im Mittelalter hatten[913] sich Ansätze dazu gebildet, und zwar auf drei Gebieten: Reederei, Bergwerk, Textilindustrie. Reederei auf dem von den italienischen und hanseatischen Seerepubliken betriebnen Maßstab war unmöglich ohne Matrosen, d.h. Lohnarbeiter (deren Lohnverhältnis unter genossenschaftlichen Formen mit Gewinnbeteiligung versteckt sein mochte), und für die Galeeren jener Zeit auch ohne Ruderer, Lohnarbeiter oder Sklaven. Die Gewerken der Erzgruben, ursprünglich genossenschaftliche Arbeiter, hatten sich in fast allen Fällen bereits in Aktiengesellschaften zur Ausbeutung des Betriebs vermittelst Lohnarbeiter verwandelt. Und in der Textilindustrie hatte der Kaufmann angefangen, die kleinen Webermeister direkt in seinen Dienst zu stellen, indem er ihnen das Garn lieferte und gegen fixen Lohn für seine Rechnung in Gewebe verwandeln ließ, kurz, indem er aus einem bloßen Käufer ein sogenannter Verleger wurde.

Hier haben wir die ersten Anfänge kapitalistischer Mehrwertsbildung vor uns. Die bergmännischen Gewerken können wir als geschlossene Monopol-Korporationen außer acht lassen. Von den Reedern liegt es auf der Hand, daß ihre Profite mindestens die landesüblichen sein mußten, mit Extrazuschlag für Assekuranz, Verschleiß der Schiffe etc. Wie aber lag die Sache mit den Textilverlegern, die zuerst direkt für kapitalistische Rechnung hergestellte Waren auf den Markt und mit den für Handwerkers Rechnung hergestellten Waren derselben Art in Konkurrenz brachten?

Die Profitrate des Handelskapitals war vorgefunden. Sie war auch schon, wenigstens für die betreffende Lokalität, zu einer annähernden Durchschnittsrate ausgeglichen. Was konnte nun den Kaufmann bewegen, das Extrageschäft des Verlegers auf sich zu nehmen? Nur eins: die Aussicht auf größeren Profit bei gleichem Verkaufspreis mit den andern. Und diese Aussicht hatte er. Indem er den Kleinmeister in seinen Dienst nahm, durchbrach er die hergebrachten Schranken der Produktion, innerhalb deren der Produzent sein fertiges Produkt verkaufte und nichts andres. Der kaufmännische Kapitalist kaufte die Arbeitskraft, die einstweilen noch ihr Produktionsinstrument besaß, aber schon nicht mehr den Rohstoff. Indem er so dem Weber regelmäßige Beschäftigung sicherte, konnte er dagegen den Lohn des Webers derart drücken, daß ein Teil der geleisteten Arbeitszeit unbezahlt blieb. Der Verleger wurde so Aneigner von Mehrwert über seinen bisherigen Handelsgewinn hinaus. Allerdings mußte er dafür auch ein zusätzliches Kapital anwenden, um Garn etc. zu kaufen und in der Hand des Webers zu belassen, bis das Stück fertig war, für das er früher erst beim Einkauf den ganzen Preis zu zahlen hatte. Aber erstens hatte er in den meisten Fällen auch schon Extrakapital gebraucht zu Vorschüssen an den[914] Weber, den in der Regel nur die Schuldknechtschaft dahin brachte, daß er sich den neuen Produktionsbedingungen unterwarf. Und zweitens, auch abgesehn davon, stellt sich die Rechnung nach folgendem Schema:

Gesetzt, unser Kaufmann betriebe sein Exportgeschäft mit 30000 Kapital, Dukaten, Zechinen, Pfund Sterling oder was immer. Davon seien 10000 im Einkauf von inländischen Waren tätig, während 20000 in den überseeischen Absatzmärkten gebraucht werden. Das Kapital schlage einmal in zwei Jahren um, Jahresumschlag = 15000. Unser Kaufmann will nun für eigne Rechnung weben lassen, Verleger werden. Wieviel Kapital muß er da zuschießen? Nehmen wir an, die Produktionszeit des Stückes Zeug, wie er dergleichen verkauft, sei durchschnittlich zwei Monate, was sicher sehr hoch ist. Nehmen wir ferner an, er müsse alles bar zahlen. So muß er Kapital genug zuschießen, um seinen Webern Garn für zwei Monate zu liefern. Da er im Jahr 15000 umschlägt, kauft er in zwei Monaten Zeug für 2500. Sagen wir, daß 2000 davon Garnwert und 500 Webelohn darstellen, so braucht unser Kaufmann ein Zuschußkapital von 2000. Wir nehmen an, der Mehrwert, den er sich durch die neue Methode vom Weber aneignet, betrage nur 5% vom Wert des Zeugs, was die sicher sehr bescheidne Mehrwertsrate von 25% ausmacht (2000c + 500v + 125m; m' = 125/500 = 25%, p' = 125/2500 = 5%). Dann macht unser Mann auf seinen Jahresumschlag von 15000 einen Extraprofit von 750, hat also sein Zuschußkapital in 2 2/3 Jahren schon wieder herausgeschlagen.

Um aber seinen Absatz und damit seinen Umschlag zu beschleunigen und dadurch mit demselben Kapital in kürzerer Zeit denselben, in derselben Zeit wie bisher also größeren Profit zu machen, wird er einen kleinen Teil seines Mehrwerts dem Käufer schenken, wird billiger verkaufen als seine Konkurrenten. Diese werden sich allmählich auch in Verleger verwandeln, und dann reduziert sich der Extraprofit für alle auf den gewöhnlichen Profit, oder gar einen niedrigeren, für das bei allen erhöhte Kapital. Die Gleichheit der Profitrate ist wiederhergestellt, wenn auch möglicherweise auf andrem Niveau, dadurch, daß ein Teil des im Inland gemachten Mehrwerts an die auswärtigen Käufer abgetreten ist.

Der nächste Schritt in der Unterwerfung der Industrie unter das Kapital geschieht durch die Einführung der Manufaktur. Auch diese befähigt den Manufakturisten, der im 17. und 18. Jahrhundert – in Deutschland noch bis 1850 fast allgemein und stellenweise noch heute – meist noch sein eigner Exportkaufmann ist, wohlfeiler zu produzieren als sein altfränkischer Konkurrent, der Handwerker. Derselbe Prozeß wiederholt sich; der vom[915] Manufakturkapitalisten angeeignete Mehrwert erlaubt ihm resp. dem Exportkaufmann, der mit ihm teilt, wohlfeiler zu verkaufen als seine Konkurrenten, bis zur Verallgemeinerung der neuen Produktionsweise, wo dann wieder Ausgleichung eintritt. Die schon vorgefundne Handelsprofitrate, selbst wenn sie nur lokal nivelliert ist, bleibt das Prokrustesbett, worin der überschüssige industrielle Mehrwert ohne Barmherzigkeit abgehackt wird.

Hat die Manufaktur schon durch Verwohlfeilerung der Produkte sich emporgeschwungen, so noch weit mehr die große Industrie, die mit ihren immer wieder erneuerten Revolutionen der Produktion die Herstellungskosten der Waren niedriger und niedriger herabdrückt und alle früheren Produktionsweisen unerbittlich beseitigt. Sie ist es auch, die dadurch den inneren Markt endgültig für das Kapital erobert, der Kleinproduktion und Naturalwirtschaft der sich selbst genügenden Bauernfamilie ein Ende macht, den direkten Austausch zwischen den Kleinproduzenten beseitigt, die ganze Nation in den Dienst des Kapitals stellt. Sie gleicht ebenfalls die Profitraten der verschiednen kaufmännischen und industriellen Geschäftszweige zu einer allgemeinen Profitrate aus und sichert endlich der Industrie den ihr gebührenden Machtposten bei dieser Ausgleichung, indem sie den größten Teil der Hindernisse beseitigt, die bisher der Übertragung von Kapital aus einem Zweig in einen andern im Wege standen. Damit vollzieht sich für den gesamten Austausch im großen die Verwandlung der Werte in Produktionspreise. Diese Verwandlung geht also nach objektiven Gesetzen vor sich, ohne Bewußtsein oder Absicht der Beteiligten. Daß die Konkurrenz die über die allgemeine Rate überschüssigen Profite auf das allgemeine Niveau reduziert und so dem ersten industriellen Aneigner den den Durchschnitt überschreitenden Mehrwert wieder entzieht, bietet theoretisch durchaus keine Schwierigkeit. In der Praxis aber um so mehr, denn die Produktionssphären mit überschüssigem Mehrwert, also mit hohem variablem bei niedrigem konstantem Kapital, also mit niedriger Kapitalzusammensetzung, sind grade ihrer Natur nach diejenigen, die dem kapitalistischen Betrieb am spätesten und am unvollständigsten unterworfen werden; vor allem der Ackerbau. Was dagegen die Erhöhung der Produktionspreise über die Warenwerte angeht, die erforderlich ist, um den in den Produkten der Sphären hoher Kapitalzusammensetzung enthaltnen, unterschüssigen Mehrwert auf das Niveau der Durchschnittsprofitrate zu erheben, so sieht das theoretisch äußerst schwierig aus, macht sich aber, wie wir gesehn haben, in der Praxis am leichtesten und ehesten. Denn die Waren dieser Klasse, wenn sie zuerst kapitalistisch produziert werden und in den kapitalistischen Handel kommen, treten in Konkurrenz mit Waren gleicher Art, die nach[916] vorkapitalistischen Methoden fabriziert, also teurer sind. Der kapitalistische Produzent kann also selbst bei Verzicht auf einen Teil des Mehrwerts immer noch die für seine Lokalität gültige Profitrate herausschlagen, die ursprünglich keine direkte Beziehung zum Mehrwert hatte, weil sie aus dem Handelskapital entstanden war schon lange, ehe überhaupt kapitalistisch produziert, also eine industrielle Profitrate möglich war.

Quelle:
Karl Marx, Friedrich Engels: Werke. Berlin 1964, Band 25, S. 898-899,901-917.
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