[453] Bereits zur Zeit Philipps V. hatte Francisco Benito de la Soledad gesagt: »Alles Übel in Spanien kommt von den Togados (Juristen).« An der Spitze der verderblichen obrigkeitlichen Hierarchie Spaniens stand der Consejo Real von Kastilien. Entstanden in den bewegten Zeiten der Don Juans und Enriques, verstärkt durch Philipp II., der in ihm eine würdige Ergänzung des Santo officio sah, hatte er die Not der Zeit und die Schwäche der Könige auszunutzen verstanden, sich die verschiedenartigsten Vollmachten angeeignet und seiner früheren Funktion als Oberstes Gericht noch die des Gesetzgebers und einer obersten Verwaltungsbehörde für sämtliche Königreiche Spaniens hinzugefügt. So übertraf er an Macht sogar das französische Parlament, dem er in vielen Punkten ähnelte, ausgenommen darin, daß er nie auf seiten des Volkes zu finden war. Als mächtigste Autorität des alten Spaniens war der Consejo Real natürlich der geschworene Feind eines neuen Spaniens und aller neu aufgetauchten volkstümlichen Autoritäten, die seinen überragenden Einfluß zu lähmen drohten. Als höchste Spitze des Juristenstandes und als lebendige Verkörperung aller seiner Mißbräuche und Privilegien verfügte der Consejo selbstverständlich über alle die zahlreichen und bedeutsamen Vorteile, die mit der spanischen Rechtsprechung verknüpft waren. Er war daher eine Macht, mit der kein Kompromiß möglich war – entweder die Revolution fegte sie hinweg, oder sie fegte ihrerseits die Revolution[453] über Bord. Wie wir in einem früheren Artikel gesehen, hatte sich der Consejo vor Napoleon gedemütigt und durch diesen verräterischen Akt alles Ansehen beim Volke verloren. Die Zentraljunta beging jedoch am Tage ihres Zusammentritts die Torheit, dem Consejo anzuzeigen, sie habe sich konstituiert und sie fordere nun den Treueid von ihm; hätte er diesen abgelegt, erklärte sie, so wolle sie dieselbe Eidesformel allen anderen Autoritäten im Königreich vorlegen. Dieser unüberlegte Schritt, der von der ganzen revolutionären Partei mit Nachdruck mißbilligt wurde, gab dem Consejo die Überzeugung, die Zentraljunta bedürfe seiner Unterstützung. Er erholte sich daher rasch von seiner Verzagtheit und bot nach mehrtägigem heuchlerischem Zögern der Junta eine übelwollende Unterwerfung an. Seinem Eid fügte er seine eigenen reaktionären Bedenken hinzu, die in der Empfehlung Ausdruck fanden, die Junta möge auseinandergehen, ihre Stärke auf drei oder fünf Mitglieder beschränken, gemäß Ley 3, Partida 2, Titulo 15; ferner solle sie die zwangsweise Auflösung der Provinzialjuntas anordnen. Nachdem die Franzosen nach Madrid zurückgekehrt waren und den Consejo Real auseinandergejagt hatten, war die Zentraljunta, nicht zufrieden mit ihrer ersten Dummheit, so einfältig, den Consejo wiederzuerwecken, indem sie den Consejo Reunido schuf, eine Vereinigung des Consejo Real mit all den anderen Überbleibseln der alten königlichen Räte. So schuf die Junta aus eigener Initiative für die Konterrevolution eine Zentralgewalt, die, eine nimmermüde Rivalin für sie selbst, keinen Augenblick aufhörte, sie zu beunruhigen, ihr durch Intrigen und Verschwörungen entgegenzuarbeiten, sie zu den unpopulärsten Schritten zu drängen, um sie dann mit der Miene tugendhafter Entrüstung der leidenschaftlich erregten Verachtung des Volkes preiszugeben. Es versteht sich von selbst, daß die Zentraljunta, als sie den Consejo Real erst wieder anerkannt und dann wiederhergestellt hatte, nicht imstande war, irgendeine Reform durchzuführen, sei es an der Organisation der spanischen Gerichtshöfe, sei es an der ganz und gar untauglichen Zivil- und Strafgesetzgebung Spaniens.
Waren in der spanischen Erhebung auch die nationalen und religiösen Elemente vorherrschend, so existierte doch in den ersten zwei Jahren eine sehr entschiedene Tendenz zu sozialen und politischen Reformen; das beweisen sämtliche Manifestationen der Provinzialjuntas aus der damaligen Zeit, die, wenn sie auch meist von Mitgliedern der privilegierten Klassen verfaßt waren, dennoch nie versäumten, das alte Regime zu verdammen und radikale Reformen zu versprechen. Diese Tatsache ist ferner durch die Manifeste der Zentraljunta bewiesen, in dem ersten Aufruf an die Nation vom 10. November 1808 heißt es:
[454] »Eine zwanzigjährige Tyrannei, ausgeübt von den unfähigsten Köpfen, hat uns hart an den Rand des Abgrundes gebracht. Die Nation ist ihrer Regierung durch Haß und Verachtung entfremdet. Unterdrückt und entwürdigt, ihre eigene Kraft nicht kennend und vergebens Hilfe suchend gegen die eigene Regierung in den Einrichtungen und Gesetzen, hat sie vor kurzem sogar noch die Herrschaft von Fremden als weniger verhaßt empfunden als die verderbliche Tyrannei, die ihr Mark verzehrt. Die Herrschaft des Willens eines einzelnen, der immer launenhaft und meistens ungerecht war, hat schon zu lange gedauert; zu lange hat man ihre Geduld, ihre Gesetzestreue, ihre großmütige Loyalität mißbraucht; es war Zeit, daß gemeinnützige Gesetze in Kraft treten. Reformen auf allen Gebieten waren daher notwendig. Die Junta werde verschiedene Kommissionen ins Leben rufen, von denen jede mit einem bestimmten Gebiet betraut würde und an die dann alle Zuschriften in Regierungs- und Verwaltungsangelegenheiten gerichtet werden könnten.«
In ihrem Aufruf, datiert Sevilla, 28. Oktober 1809, heißt es:
»Ein geistesschwacher, abgelebter Despotismus hat der französischen Tyrannei die Wege geebnet. Den Staat in den alten Mißbräuchen verkommen zu lassen, wäre ein ebenso ungeheuerliches Verbrechen, wie wenn wir uns in die Hände Bonapartes auslieferten.«
In der Zentraljunta scheint eine originelle Arbeitsteilung geherrscht zu haben – die Partei Jovellanos' durfte die revolutionären Bestrebungen der Nation proklamieren und protokollieren, und die Partei Floridablancas behielt sich das Vergnügen vor, sie direkt Lügen zu strafen und der revolutionären Dichtung konterrevolutionäre Wahrheit entgegenzustellen. Uns aber gilt es hier als besonders wichtig, gerade aus den Bekenntnissen der Provinzialjuntas gegenüber der Zentrale die oft geleugnete Tatsache zu beweisen, daß zur Zeit der ersten spanischen Erhebung revolutionäre Bestrebungen wirklich existierten.
Die Art und Weise, in der die Zentraljunta die Gelegenheiten zu Reformen ausnützte, die ihr der Wille der Nation, die Macht der Ereignisse und die unmittelbar drohende Gefahr darboten, kann man nach dem Einfluß beurteilen, den ihre Kommissare in den verschiedenen Provinzen ausübten, in die sie gesandt wurden. Ein spanischer Schriftsteller gesteht ganz offen, daß die Zentraljunta, die nicht gerade Überfluß an fähigen Köpfen hatte, wohl darauf bedacht war, ihre hervorragenden Mitglieder im Zentrum zurückzubehalten und nur die Untauglichen nach draußen zu schicken. Diese Kommissare waren ermächtigt, den Provinzialjuntas zu präsidieren und die Zentrale in ihrer ganzen Herrlichkeit zu vertreten. Wir wollen nur einige[455] Beispiele ihres Wirkens verzeichnen: General Romana, den die spanischen Soldaten den Marquis de las Romerias zu nennen pflegten, weil er stets Märsche und Gegenmärsche unternahm und Gefechte nur dann stattfanden, wenn er nicht dabei war, dieser Romana also kam als Kommissar der Zentrale nach Asturien, nachdem er von Soult aus Galicien herausgetrieben worden war. Seine erste Beschäftigung bestand darin, einen Streit mit der Provinzialjunta von Oviedo vom Zaune zu brechen, die sich durch ihre energischen und revolutionären Maßnahmen den Haß der privilegierten Klassen zugezogen hatte. Er ging daran, sie aufzulösen und ihre Mitglieder durch seine eigenen Kreaturen zu ersetzen. Als General Ney Kunde davon erhielt, daß solche Uneinigkeiten in einer Provinz herrschten, in der der Widerstand gegen die Franzosen so allgemein und einmütig gewesen, rückte er sofort mit seinem Heere in Asturien ein, vertrieb den Marquis de las Romerias, besetzte Oviedo und plünderte es drei Tage lang. Als die Franzosen Ende 1809 Galicien geräumt hatten, zog unser Marquis und Kommissar der Zentraljunta in La Coruña ein, vereinigte in seiner Person die ganze öffentliche Autorität, unterdrückte die Distriktjuntas, die sich während des Aufstandes vermehrt hatten, und ersetzte sie durch Militärgouverneure, er bedrohte die Mitglieder dieser Juntas mit Verfolgung und verfolgte auch tatsächlich die Patrioten, behandelte dafür aber alle diejenigen, die die Sache des Eindringlings verfochten hatten, mit größtem Wohlwollen und erwies sich überhaupt in jeder Hinsicht als ein boshafter, unfähiger und launenhafter Dummkopf. Und was hatten die Distrikt- und Provinzialjuntas von Galicien sich zuschulden kommen lassen? Sie hatten eine allgemeine Rekrutierung ohne Unterschied der Klassen und Personen angeordnet; sie hatten den Kapitalisten und Grundbesitzern Steuern auferlegt; sie hatten die Gehälter der Staatsbeamten herabgesetzt; sie hatten von den kirchlichen Körperschaften verlangt, sie sollten ihnen die Einkünfte, die sie in ihren Truhen verschlossen hielten, zur Verfügung stellen. Sie hatten, mit einem Wort, revolutionäre Maßnahmen getroffen. Von der Zeit des glorreichen Marquis de las Romerias an enthielten sich die Provinzen Asturien und Galicien, die sich bis dahin durch ihren allgemeinen Widerstand gegen die Franzosen besonders ausgezeichnet hatten, jeder Teilnahme an dem Unabhängigkeitskriege, wenn ihnen nicht unmittelbar die Gefahr einer Invasion drohte.
Auch in Valencia, wo sich neue Aussichten zu eröffnen schienen, solange das Volk sich selbst überlassen war und seine eigenen Führer wählte, wurde der revolutionäre Geist durch den Einfluß der Zentralregierung unterdrückt.[456] Nicht zufrieden damit, daß die Provinz dem Befehl eines Don José Caro unterstellt wurde, entsandte die Zentraljunta auch noch als »ihren eigenen« Kommissar den Baron Labazora. Dieser Baron verübelte es der Provinzialjunta, daß sie manche Befehle von oben nicht befolgt hatte, und kassierte ihre Verfügung, die klugerweise die Besetzung vakanter Stellen an Domkapiteln, geistlichen Pfründen und Komtureien eingestellt und deren Einkünfte zum Besten von Militärspitälern bestimmt hatte. Daher erbitterte Feindschaft zwischen der Zentraljunta und der von Valencia, daher die spätere Lethargie Valencias unter der liberalen Verwaltung des Marschalls Suchet, daher seine Bereitwilligkeit, Ferdinand VII. bei seiner Rückkehr gegen die damalige revolutionäre Regierung zum König zu proklamieren.
In Cadiz, dem revolutionärsten Orte des damaligen Spaniens, verursachte am 22. und 23. Februar 1809 die Anwesenheit eines Kommissars der Zentraljunta, des dummen und eingebildeten Marquis de Villel, den Ausbruch einer Empörung, die die verhängnisvollsten Folgen hätte haben können, wenn sie nicht rechtzeitig in das Fahrwasser des Unabhängigkeitskrieges geleitet worden wäre.
Es gibt kein besseres Beispiel für die Umsicht, die die Zentraljunta bei der Ernennung ihrer Kommissare walten ließ, als die Delegation des Señor Lozano de Torres zum Herzog von Wellington. Während er in serviler Schmeichelei vor dem englischen General katzbuckelte, berichtete er heimlich an die Junta, die Beschwerden des Generals über mangelhafte Versorgung seien völlig unbegründet. Wellington kam dieser Doppelzüngigkeit des Schurken auf die Spur und jagte ihn mit Schimpf und Schande aus seinem Lager.
Die Zentraljunta wäre in der günstigsten Lage gewesen, das durchzuführen, was sie in einer ihrer Proklamationen an das spanische Volk verheißen hatte:
»Es hat der Vorsehung gefallen, daß ihr in dieser schrecklichen Krise keinen Schritt vorwärts und der Unabhängigkeit entgegen tun könnt, der euch nicht gleichzeitig auch einen Schritt näher der Freiheit bringt.«
Als die Junta ihre Tätigkeit begann, hatten die Franzosen noch nicht einmal ein Drittel von Spanien in Besitz genommen. Von den bisherigen Autoritäten fand sie entweder überhaupt nichts mehr vor, oder was von ihnen noch vorhanden, war durch ihr Einverständnis mit dem Eindringling ihm entweder völlig unterworfen oder auf sein Geheiß zerstreut. Die Junta hätte die Macht gehabt, jede sozialreformerische Maßnahme, die die Güter und den Einfluß von der Kirche und der Aristokratie auf die Bourgeoisie und die[457] Bauern übertrug, im Namen der guten Sache der Vaterlandsverteidigung ohne weiteres durchzusetzen. Sie stand unter demselben Glücksstern wie das französische Comité du salut public – die innere Umwälzung wurde gefördert durch die Notwendigkeit, äußere Angriffe abzuwehren; überdies hatten sie das Beispiel einer kühnen Initiative vor sich, wozu bereits einige Provinzen unter dem Druck der Verhältnisse gezwungen worden waren. Aber nicht genug damit, daß sie der spanischen Revolution als Bleigewicht anhing, wirkte sie im Sinne der Konterrevolution, indem sie die alten Autoritäten wiederherstellte, die schon zerbrochenen Ketten neu schmiedete, das revolutionäre Feuer erstickte, wo immer es aufloderte, indem sie selbst nichts tat und andere hinderte, etwas zu tun. Am 20. Juli 1809, als sie in Sevilla tagte, hielt sogar die englische Tory-Regierung es für notwendig, eine scharfe Protestnote wegen ihres konterrevolutionären Vorgehens an sie zu richten »aus Besorgnis, die allgemeine Begeisterung würde durch sie unterdrückt werden«. Es ist einmal irgendwo die Bemerkung gemacht worden, Spanien hätte alle Übel der Revolution erdulden müssen, ohne dadurch an revolutionärer Kaft zu gewinnen. Wenn daran etwas Wahres ist, so bedeutet es nichts anderes als eine vollständige Verurteilung der Zentraljunta.
Wir hielten es für um so notwendiger, bei diesem Punkt zu verweilen, weil kein europäischer Historiker bis jetzt seine entscheidende Bedeutung erfaßt hat. Nur unter dem Regime der Zentraljunta war es möglich, die Forderungen und Bedürfnisse der nationalen Verteidigung mit der Umwandlung der spanischen Gesellschaft und der Emanzipation des nationalen Geistes zu vereinigen, ohne die jede politische Verfassung zerstieben muß wie ein Phantom bei dem geringsten Zusammenstoß mit dem wirklichen Leben. Die Cortes befanden sich in ganz anderen Verhältnissen – zurückgedrängt auf einen abgelegenen Punkt der Pyrenäischen Halbinsel, zwei Jahre lang durch eine belagernde französische Armee von dem Hauptteil der Monarchie abgeschnitten, repräsentierten sie ein ideelles Spanien, während das wirkliche Spanien erobert war oder kämpfte. Zur Zeit der Cortes war Spanien in zwei Teile geteilt. Auf der Isla de León – Ideen ohne Taten, im übrigen Spanien – Taten ohne Ideen. Im Gegensatz dazu mußte zur Zeit der Zentraljunta die oberste Regierung ein besonders großes Maß von Schwäche, Unfähigkeit und Unwilligkeit entfalten, um einen Unterschied zwischen spanischem Krieg und spanischer Revolution zu schaffen. Die Cortes scheiterten daher nicht, wie französische und englische Schriftsteller behaupten, weil sie revolutionär waren, sondern weil ihre Führer reaktionär waren und den richtigen Zeitpunkt zur revolutionären Aktion versäumten. Moderne spanische Schriftsteller, die sich durch die englisch-französischen Kritiker verletzt fühlten,[458] waren dennoch nicht imstande, sie zu widerlegen, und heute noch empfinden sie schmerzhaft das Bonmot des Abbé de Pradt: »Das spanische Volk gleicht dem Weibe Sganarells, das geprügelt sein wollte.«
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