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Von welchem Standpunkt man ihn immer betrachte, bietet der Amerikanische Bürgerkrieg ein Schauspiel ohne Parallele in den Annalen der Kriegsgeschichte. Die ungeheure Ausdehnung des streitigen Territoriums; die weitgestreckte Fronte der Operationslinien; die numerische Masse der feindlichen Armeen, deren Schöpfung sich kaum an eine frühere Organisationsbasis anlehnte; die fabelhaften Kosten dieser Armeen, die Art ihrer Leitung und die allgemeinen taktischen und strategischen Prinzipien, nach denen der Krieg geführt wird, sind alle neu in den Augen des europäischen Zuschauers.
Die sezessionistische Verschwörung, lange vor ihrem Ausbruch organisiert, protegiert und unterstützt durch Buchanans Administration, gab dem Süden einen Vorschub, durch den er allein sein Ziel zu erreichen hoffen konnte. Gefährdet durch seine Sklavenbevölkerung und durch ein starkes unionistisches Element unter den Weißen selbst, mit einer um zwei Drittteile kleinern Anzahl von Freien als der Norden, aber fertiger zum Angriff, dank der Masse abenteuernder Müßiggänger, die er birgt, hing für den Süden von einer raschen, kühnen, fast waghalsigen Offensive alles ab. Gelang es den Südlichen, St. Louis, Cincinnati, Washington, Baltimore und vielleicht Philadelphia zu nehmen, so durften sie auf eine Panik rechnen, währenddessen Diplomatie und Bestechung die Anerkennung der Unabhängigkeit aller Sklavenstaaten sichern konnten. Schlug dieser erste Angriff fehl, wenigstens auf den entscheidenden Punkten, so mußte sich ihre Lage täglich verschlechtern, gleichzeitig mit der Kraftentwicklung des Nordens. Dieser Punkt war richtig begriffen von den Männern, die in wahrhaft bonapartistischem Geist die sezessionistische Verschwörung organisiert hatten. Sie eröffneten die Kampagne in entsprechender Weise. Ihre[486] Abenteurerbanden überrannten Missouri und Tennessee, während ihre mehr regulären Truppen Ost-Virginia überfielen und einen coup de mainauf Washington vorbereiteten. Mit dem Mißlingen dieses Coup war die südliche Kampagne vom militärischen Standpunkt aus verloren.
Der Norden trat auf den Kriegsschauplatz, widerwillig, schläfrig, wie bei seiner höhern industriellen und kommerziellen Entwicklung zu erwarten war. Die soziale Maschinerie war hier ungleich komplizierter als im Süden, und es erheischte ungleich mehr Zeit, ihrer Bewegung diese ungewohnte Richtung zu geben. Die Anwerbung der dreimonatigen Freiwilligen war ein großer, aber vielleicht unvermeidlicher Fehlgriff. Es war die Politik des Nordens, im Anfang auf allen entscheidenden Punkten die Defensive innezuhalten, seine Kräfte zu organisieren, sie durch Operationen auf kleiner Stufenleiter und ohne das Wagnis entscheidender Schlachten einzuüben, und endlich, sobald die Organisation hinreichend gekräftigt, zugleich das verräterische Element mehr oder minder aus der Armee entfernt war, zu einer energischen, rastlosen Offensive überzugehen und vor allem Kentucky, Tennessee, Virginia und Nord-Carolina wiederzuerobern. Die Verwandlung der Bürger in Soldaten mußte im Norden mehr Zeit kosten als im Süden. Einmal bewerkstelligt, konnte man auf die individuelle Überlegenheit des nördlichen Mannes zählen.
Im großen und ganzen, nach Abzug der Fehlgriffe, die mehr aus politischer als militärischer Quelle entsprangen, handelte der Norden jenen Prinzipien gemäß. Der Kleinkrieg in Missouri und West-Virginia, während er die unionistischen Bevölkerungen schützte, gewöhnte die Truppen an den Felddienst und das Feuer, ohne sie entscheidenden Niederlagen bloßzustellen. Die große Blamage von Bull Run war einigermaßen das Resultat des früheren Irrtums, dreimonatige Freiwillige anzuwerben. Es war abgeschmackt, eine starke Position, auf schwierigem Terrain, im Besitz eines numerisch kaum unterlegenen Feindes, von rohen Rekruten in der Fronte angreifen zu lassen. Die Panik, die sich der Unionsarmee im entscheidenden Augenblick bemächtigte und deren Motiv immer noch nicht aufgeklärt ist, konnte niemand überraschen, der einigermaßen mit der Geschichte von Volkskriegen vertraut war. Solche Dinge passierten den französischen Truppen sehr oft von 1792-1795, verhinderten jedoch dieselben Truppen nicht, die Schlachten von Jemappes und Fleurus, Montenotte, Castiglione und Rivoli zu gewinnen. Die Spaße der europäischen Presse über die Bull-Run-Panik hatten nur eine Entschuldigung[487] für ihre Albernheit – die vorhergehende Renommage eines Teiles der nordamerikanischen Presse.
Die sechsmonatige Ruhe, die der Niederlage bei Manassas folgte, wurde vom Norden besser benützt als vom Süden. Nicht nur füllten sich die nördlichen Reihen in größerem Maßstab als die südlichen. Ihre Offiziere empfingen bessere Instruktionen; Disziplin und Einübung der Truppen stießen nicht auf dieselben Hindernisse wie im Süden. Verräter und unfähige Eindringlinge wurden mehr und mehr entfernt, und die Periode der Bull-Run-Panik gehört der Vergangenheit. Die Armeen auf beiden Seiten dürfen natürlich nicht an dem Maßstab großer europäischer Armeen oder selbst der ehemaligen regulären Armee der Vereinigten Staaten gemessen werden. Napoleon konnte in der Tat Bataillone roher Rekruten während des ersten Monats in den Depots einexerzieren, während des zweiten marschieren lassen und während des dritten vor den Feind führen; aber dann empfing jedes Bataillon einen hinreichenden Zusatz erfahrener Offiziere und Unteroffiziere, jede Kompanie einige alte Soldaten, und am Tage der Schlacht waren die jungen Truppen einbrigadiert zusammen mit Veteranen und von den letztern sozusagen umrahmt. Alle diese Bedingungen fehlten in Amerika. Ohne die beträchtliche Masse militärischer Erfahrung, die infolge der europäischen Revolutionsunruhen von 1848/49 in Amerika einwanderte, würde die Organisation der Unionsarmee noch viel längere Frist erheischt haben. Die sehr kleine Zahl der Toten und Verwundeten im Verhältnis zur Gesamtsumme der engagierten Mannschaften (gewöhnlich einer auf zwanzig) beweist, daß die meisten Treffen, selbst die neuesten in Kentucky und Tennessee, hauptsächlich mit Feuerwaffen auf ziemlich große Entfernungen geführt wurden und daß die gelegentlichen Bajonettangriffe entweder bald vor dem feindlichen Feuer haltmachten oder den Feind in die Flucht trieben, bevor es zum Handgemenge kam. Unterdes ist die neue Kampagne unter günstigem Auspizien, durch das erfolgreiche Vorrücken Buells und Hallecks durch Kentucky und Tennessee, eröffnet worden.
Nach der Wiedereroberung von Missouri und West-Virginia eröffnete die Union den Feldzug mit dem Vorrücken in Kentucky. Hier hielten die Sezessionisten drei starke Positionen, verschanzte Lager: Columbus am Mississippi zu ihrer Linken, Bowling Green im Zentrum, Mill Springs am Cumberland River zur Rechten. Ihre Linie erstreckte sich über 300 Meilen von Westen nach Osten. Die Ausdehnung dieser Linie schnitt den drei Korps die Möglichkeit ab, sich wechselseitig zu unterstützen, und bot den Unionstruppen die Chance, jedes einzeln mit überlegenen Kräften[488] anzugreifen. Der große Fehler in der Aufstellung der Sezessionisten entsprang aus dem Versuche, alles besetzt zu halten. Ein einziges verschanztes starkes Zentrallager, bestimmt zum Schlachtfeld für ein entscheidendes Treffen und von der Hauptheeresmasse gehalten, würde Kentucky ungleich wirksamer verteidigt haben. Entweder mußte es die Hauptmacht der Unionisten anziehen oder diese in eine gefährliche Lage versetzen, sollten sie versuchen, ohne Rücksicht auf eine so starke Truppenkonzentration voranzumarschieren.
Unter den gegebenen Umständen beschlossen die Unionisten, jene drei Lager nacheinander anzugreifen, ihren Feind aus denselben herauszumanövrieren und zur Annahme des Kampfes auf freiem Felde zu zwingen. Dieser Plan, der allen Regeln der Kriegskunst entsprach, wurde mit Geschwindigkeit und Energie ausgeführt. Gegen Mitte Januar marschierte ein Korps von ungefähr 15000 Unionisten auf Mill Springs, das von 20000 Sezessionisten besetzt war. Die Unionisten manövrierten in einer Weise, die den Feind glauben machte, er habe es nur mit einem schwachen Streitkorps zu tun. General Zollicoffer lief sofort in die Falle, brach aus seinem verschanzten Lager auf und griff die Unionisten an. Er überzeugte sich bald, daß ihm eine überlegene Macht gegenüberstand. Er fiel, und seine Truppen erlitten eine so völlige Niederlage wie die Unionisten bei Bull Run. Diesmal aber wurde der Sieg in ganz anderer Weise ausgebeutet. Die geschlagene Armee wurde hart verfolgt, bis sie gebrochen, demoralisiert, ohne Feldartillerie und Bagage, in ihrem Lager bei Mill Springs anlangte. Dies Lager war auf dem nördlichen Ufer des Cumberland River errichtet, so daß die Truppen im Fall einer andern Niederlage keinen Rückzug offen hatten, außer über den Fluß vermittelst weniger Dampfer und Flußboote. Wir finden überhaupt, daß beinahe alle sezessionistischen Lager auf der feindlichen Seite des Flusses errichtet waren. Eine solche Positionsnahme ist nicht nur regelrecht, sondern auch sehr praktisch, wenn sich eine Brücke im Rücken befindet. Das Lager dient in solchem Fall als Brückenkopf und gibt seinen Inhabern die Chance, ihre Streitkräfte beliebig auf beide Ufer des Flusses zu werfen und so ein vollständiges Kommando über denselben zu erhalten. Ein Lager auf der feindlichen Seite des Flusses, ohne Brücke im Rücken, schneidet dagegen nach einem unglücklichen Treffen den Rückzug ab und zwingt die Truppen zu kapitulieren oder setzt sie dem Massacre und Ertrinken aus, wie dies den Unionisten bei Balls Bluff auf der feindlichen Seite des Potomac geschah, wohin die Verräterei des General Stone sie entsendet hatte.
Als die geschlagenen Sezessionisten ihr Lager bei Mill Springs erreicht[489] hatten, begriffen sie sofort, daß ein feindlicher Angriff auf ihre Verschanzungen zurückgeschlagen werden oder in sehr kurzer Zeit Kapitulation erfolgen müsse. Nach der Erfahrung des Morgens hatten sie das Vertrauen in ihre Widerstandskraft eingebüßt. Als daher die Unionisten den nächsten Tag zum Angriff auf das Lager vormarschierten, fanden sie, daß der Feind die Nacht benützt hatte, um über den Fluß zu setzen, mit Zurücklassung des Lagers, der Bagage, der Artillerie und Vorräte. In dieser Weise war die äußerste Rechte der sezessionistischen Linie nach Tennessee zurückgedrängt und Ost-Kentucky, wo die Masse der Bevölkerung der Sklavenhalterpartei feindlich, der Union wiedererobert.
Um dieselbe Zeit – gegen Mitte Januar – begannen die Vorbereitungen zur Verdrängung der Sezessionisten von Columbus und Bowling Green. Eine starke Flotte von Mörserbooten und eisenbepanzerten Kanonenbooten wurde bereitgehalten und überallhin die Nachricht verbreitet, sie solle einer zahlreichen, längs des Mississippi, von Cairo nach Memphis und New Orleans marschierenden Armee zum Geleit dienen. Alle Demonstrationen am Mississippi waren jedoch bloße Scheinmanöver. Im entscheidenden Augenblicke wurden die Kanonenboote nach dem Ohio gebracht, von da nach dem Tennessee, den sie hinauffuhren bis zu Fort Henry. Dieser Platz, zusammen mit Fort Donelson auf dem Cumberland River, bildete die zweite Verteidigungslinie der Sezessionisten in Tennessee. Die Position war gut gewählt, denn im Fall eines Rückzuges hinter den Cumberland würde der letztere Fluß ihre Front, der Tennessee ihre linke Flanke gedeckt haben, während der enge Strich Landes zwischen den beiden Flüssen hinreichend durch die beiden obengenannten Forts gedeckt war. Die rasche Aktion der Unionisten jedoch durchbrach die zweite Linie selbst, bevor der linke Flügel und das Zentrum der ersten angegriffen waren.
In der ersten Woche des Februar erschienen die Kanonenboote der Unionisten vor Fort Henry, das sich nach einem kurzem Bombardement ergab. Die Garnison entschlüpfte nach Fort Donelson, da die Landmacht der Expedition nicht stark genug war, um den Platz zu umzingeln. Die Kanonenboote fuhren nun wieder den Tennessee hinunter, herauf nach dem Ohio und von da den Cumberland hinauf bis zu Fort Donelson. Ein einziges Kanonenboot fuhr kühn den Tennessee herauf, mitten durch das Herz des Staates Tennessee, streifend den Staat Mississippi und vordringend bis nach Florence im Norden Alabamas, wo eine Reihe von Sümpfen und Bänken (bekannt unter dem Namen der mussleshoals) weitere Schiffahrt verbietet. Diese Tatsache, daß ein einziges Kanonenboot diese lange Reise von mindestens 150 Meilen zurücklegte und dann[490] zurückkehrte, ohne irgendeinen Angriff zu erleiden, beweist, daß das Unionsgefühl längs des Flusses vorherrscht und den Unionstruppen sehr zustatten kommen wird, sollten sie so weit vordringen.
Die Schiffsexpedition auf dem Cumberland kombinierte ihre Bewegungen nun mit denen der Landkräfte unter den Generalen Halleck und Grant. Die Sezessionisten zu Bowling Green wurden über die Bewegungen der Unionisten getäuscht. Sie blieben daher ruhig in ihrem Lager, während eine Woche nach dem Fall des Fort Henry Fort Donelson auf der Landseite von 40000 Unionisten eingeschlossen und auf der Flußseite von einer starken Flotte von Kanonenbooten bedroht wurde. Wie das Lager bei Mill Springs und Fort Henry, hatte Fort Donelson den Fluß im Rücken liegen, ohne Brücke zum Rückzug. Es war der stärkste Platz, den die Unionisten bis jetzt angegriffen hatten. Die Werke waren mit größerer Sorgfalt ausgeführt; außerdem der Platz umfassend genug, um den 20000 Mann, die ihn besetzt hielten, Unterkunft zu bieten. Am ersten Tage des Angriffs brachten die Kanonenboote das Feuer der nach der Flußseite gerichteten Batterien zum Schwelgen und bombardierten das Innere der Verteidigungswerke, während die Landtruppen die feindlichen Vorposten zurücktrieben und die Hauptmasse der Sezessionisten zwangen, Schutz dicht unter den Kanonen ihrer eigenen Verteidigungswerke zu suchen. Am zweiten Tage scheinen die Kanonenboote, die stark am vorigen Tage gelitten hatten, nur wenig ausgerichtet zu haben. Die Landtruppen hatten dagegen eine lange und stellenweise heiße Schlacht zu fechten mit den Kolonnen der Garnison, die den rechten feindlichen Flügel zu durchbrochen suchten, um sich die Rückzugslinie nach Nashville zu sichern. Jedoch ein energischer Angriff des unionistischen rechten Flügels auf den linken Flügel der Sezessionisten und bedeutende Verstärkungen die der linke Flügel der Unionisten erhielt, entschieden den Sieg zugunsten der Angreifer. Verschiedene Außenwerke waren gestürmt worden. Die Garnison, eingezwängt in ihre inneren Verteidigungslinien, ohne die Chance eines Rückzuges und offenbar nicht in der Lage, einem Angriff am nächsten Morgen zu widerstehen, ergab sich am folgenden Tag ohne Bedingungen.
Mit dem Fort Donelson fiel die feindliche Artillerie, Bagage, Kriegsvorräte in die Hände der Unionisten; 30000 Sezessionisten ergaben sich am Tage der Einnahme; 1000 mehr am nächsten Tage, und sobald die[491] Vorposten der Sieger bei Clarksville erschienen, einer Stadt, die weiter am Cumberland-Fluß hinauf liegt, öffnete sie die Tore. Bedeutender Proviant war auch hier für die Sezessionisten aufgehäuft.
Die Einnahme des Fort Donelson bietet nur ein Rätsel: die Flucht des General Floyd mit 5000 Mann am zweiten Tage der Beschießung. Diese Flüchtlinge waren zu zahlreich, um während der Nacht auf Dampfbooten weggeschmuggelt zu werden. Mit einigen Vorsichtsmaßregeln auf seiten der Angreifer konnten sie nicht entkommen.
Sieben Tage nach Übergabe des Fort Donelson wurde Nashville von den Föderalisten besetzt. Die Entfernung zwischen den beiden Orten beträgt ungefähr 100 englische Meilen, und ein Marsch von 15 Meilen per Tag, auf sehr elenden Wegen, während der ungünstigsten Jahreszeit, gereicht den Unionstruppen zur Ehre. Beim Empfang der Nachricht vom Fall des Fort Donelson räumten die Sezessionisten Bowling Green; eine Woche später verließen sie Columbus und zogen sich auf eine Mississippi-Insel, 45 Meilen südlicher, zurück. So ward Kentucky der Union ganz wiedererobert. Tennessee aber können die Sezessionisten nur halten, wenn sie eine große Schlacht anbieten und gewinnen. Sie sollen in der Tat 65000 Mann zu diesem Zwecke konzentriert haben. Indes verhindert nichts die Unionisten, ihnen eine überlegene Kraft gegenüberzuführen.
Die Leitung der Kentuckyschen Kampagne von Somerset bis Nashville verdient das höchste Lob. Die Wiedereroberung eines so ausgedehnten Landes, das Vorrücken vom Ohio bis zum Cumberland während eines einzigen Monats, zeigt eine Energie, Entschiedenheit und Raschheit, wie sie selten von regulären Armeen Europas erreicht worden sind. Man vergleiche z.B. das langsame Vorrücken der Alliierten von Magenta nach Solferino im Jahre 1859 – ohne Verfolgung des rückziehenden Feindes, ohne Versuch, seine Nachzügler abzuschneiden oder gar ganze Truppenteile desselben zu umgehen und zu umzingeln.
Halleck und Grant insbesondere bieten schöne Beispiele entschiedener Kriegsführung. Ohne die geringste Rücksichtnahme weder auf Columbus noch auf Bowling Green, konzentrieren sie ihre Kräfte auf die entscheidenden Punkte, Fort Henry und Fort Donelson, greifen dieselben rasch und energisch an und machen eben dadurch Columbus und Bowling Green unhaltbar. Dann marschieren sie sofort nach Clarksville und Nashville, ohne den rückzügigen Sezessionisten die Zeit zu lassen, neue Positionen in Nord-Tennessee einzunehmen. Während dieser raschen Verfolgung bleibt das sezessionistische Truppenkorps in Columbus völlig von dem Zentrum und dem rechten Flügel seiner Armee abgeschnitten. Englische Blätter[492] haben diese Operation mit Unrecht getadelt. Selbst wenn der Angriff auf Fort Donelson fehlschlug, konnten die Sezessionisten bei Bowling Green, beschäftigt durch General Buell, nicht hinreichende Mannschaft detachieren, um die Garnison zu befähigen, den abgeschlagenen Unionisten ins offene Feld zu folgen oder ihren Rückzug zu gefährden. Columbus andererseits lag so weit ab, daß es überhaupt mit Grants Bewegungen nicht intervenieren konnte. In der Tat, nachdem die Unionisten Missouri von den Sezessionisten gesäubert hatten, wurde Columbus für die letzteren ein völlig nutzloser Posten. Die Truppen, die seine Garnison bildeten, mußten ihren Rückzug nach Memphis oder auch Arkansas sehr beschleunigen, um der Gefahr einer unrühmlichen Waffenstreckung zu entgehen.
Infolge der Säuberung Missouris und der Wiedereroberung Kentuckys hat sich der Kriegsschauplatz soweit verengt, daß die verschiedenen Armeen auf der ganzen Operationslinie bis zu einem gewissen Grade zusammenwirken und auf die Erreichung bestimmter Resultate hinarbeiten können. Mit anderen Worten, der Krieg nimmt erst jetzt einen strategischen Charakter an, und die geographische Konfiguration des Landes erhält neues Interesse. Es ist jetzt die Aufgabe der nördlichen Generale, in den Baumwollstaaten die Achillesferse aufzufinden.
Bis zur Einnahme Nashvilles war keine strategische Gemeinschaft zwischen der Armee von Kentucky und der Armee am Potomac möglich. Sie waren zu weit voneinander entfernt. Sie standen auf derselben Frontlinie, aber ihre Operationslinien waren ganz verschieden. Erst mit dem siegreichen Vordringen in Tennessee wurden die Bewegungen der Armee von Kentucky wichtig für das ganze Kriegstheater.
Die von McClellan beeinflußten amerikanischen Blätter machen viel Wesens mit der Anakonda-Umschlängelungstheorie. Danach soll eine ungeheure Linie von Armeen die Rebellion umschlingen, nach und nach die Glieder zusammenziehen und den Feind schließlich erwürgen. Dies ist rein kindisch. Es ist eine Aufwärmung des in Österreich um 1770 erfundenen sogenannten Kordonsystems, das mit so großem Starrsinn und mit so beständigem Fehlschlag von 1792 bis 1797 gegen die Franzosen angewendet wurde. Zu Jemappes, Fleurus und ganz besonders zu Montenotte, Millesimo, Dego, Castiglione und Rivoli wurde diesem Systeme der Garaus gemacht. Die Franzosen schnitten die »Anakonda« entzwei, indem sie an einem Punkt, wo sie überlegene Kräfte konzentriert hatten, losschlugen. Dann wurden die Stücke der »Anakonda« der Reihe nach zerhackt.
In gut bevölkerten und mehr oder minder zentralisierten Staaten gibt es stets ein Zentrum, mit dessen Besetzung durch den Feind der nationale[493] Widerstand gebrochen würde. Paris ist ein glänzendes Beispiel. Die Sklavenstaaten jedoch besitzen kein solches Zentrum. Sie sind dünn bevölkert, mit wenig großen Städten und diesen allen an der Seeküste. Es fragt sich also: Existiert trotzdem ein militärischer Gravitationspunkt, mit dessen Wegnahme der Rückgrat ihres Widerstandes bricht, oder sind sie, wie Rußland es noch 1812 war, nicht zu erobern, ohne jedes Dorf und jeden Fleck, mit einem Wort, ohne die ganze Peripherie zu besetzen?
Man werfe einen Blick auf die geographische Gestalt Sezessias mit seinem langen Küstenstrich am Atlantischen Ozean und seinem langen Küstenstrich am Meerbusen von Mexiko. Solange die Konföderierten Kentucky und Tennessee hielten, bildete das Ganze eine große, kompakte Masse. Der Verlust dieser beiden Staaten treibt einen ungeheuren Keil in ihr Territorium, der die Staaten am nördlichen Atlantischen Ozean von den Staaten am Meerbusen von Mexiko trennt. Die direkte Straße von Virginia und den beiden Carolinas nach Texas, Louisiana, Mississippi und teilweise selbst nach Alabama führt, über Tennessee, das jetzt von den Unionisten eingenommen ist. Die einzige Straße, die, nach völliger Eroberung Tennessees durch die Union, die beiden Sektionen der Sklavenstaaten verbindet, geht über Georgia. Dies beweist, daß Georgia der Schlüssel zu Sezessia ist. Mit dem Verlust Georgias wäre die Konföderation in zwei Sektionen zerschnitten, die alle Verbindung untereinander verloren hätten. An eine Wiedereroberung Georgias durch die Sezessionisten wäre aber kaum zu denken, denn die unionistischen Streitkräfte wären in einer zentralen Position konzentriert, während ihre Gegner, in zwei Lager getrennt, kaum hinreichende Kräfte zu einem gemeinsamen Angriff aufzubieten hätten.
Wäre die Eroberung von ganz Georgia mit der Seeküste von Florida zu einer solchen Operation erheischt? Keineswegs. In einem Land, wo die Kommunikation, namentlich zwischen entfernten Punkten, viel mehr von den Eisenbahnen als von den Landstraßen abhängt, genügt die Wegnahme der Eisenbahnen. Die südlichste Eisenbahnlinie zwischen den Staaten am Meerbusen von Mexiko und der atlantischen Küste geht über Macon und Gordon bei Milledgeville.
Die Besetzung dieser beiden Punkte würde daher Sezessia entzweischneiden und die Unionisten befähigen, einen Teil nach dem andern zu schlagen. Man ersieht aus dem Obigen zugleich, daß keine Südrepu blik ohne den Besitz von Tennessee lebensfähig ist. Ohne Tennessee liegt der Lebenspunkt Georgias nur acht oder zehn Tagmärsche von der Grenze ab; der Norden würde die Faust beständig am Halse des Südens halten, und bei dem geringsten Drucke müßte der Süden nachgeben oder von neuem für[494] sein Leben kämpfen, unter Umständen, worin eine einzige Niederlage alle Aussicht auf Erfolg abschnitte.
Aus der bisherigen Betrachtung folgt:
Der Potomac ist nicht die bedeutendste Position des Kriegstheaters. Die Wegnahme Richmonds und das Vorrücken der Potomac-Armee weiter südlich – schwierig wegen der vielen Ströme, die die Marschlinie durchschneiden – könnten moralisch einen ungeheuren Effekt hervorbringen. Rein militärisch würden sie nichts entscheiden.
Die Entscheidung der Kampagne gehört der Kentucky-Armee, jetzt in Tennessee befindlich. Einerseits ist diese Armee den entscheidenden Punkten am nächsten, andererseits nimmt sie ein Territorium ein, ohne das die Sezession lebensunfähig ist. Diese Armee müßte daher auf Kosten aller übrigen und mit Aufopferung aller kleineren Operationen verstärkt werden. Ihre nächsten Angriffspunkte wären Chattanooga und Dalton am oberen Tennessee, die wichtigsten Eisenbahnzentren des ganzen Südens. Nach ihrer Besetzung wäre die Verbindung zwischen den östlichen und westlichen Staaten Sezessias auf die Verbindungslinien in Georgia beschränkt. Es würde sich dann weiter darum handeln, mit Atlanta und Georgia eine andere Eisenbahnlinie abzuschneiden, endlich durch Wegnahme Macons und Gordons die letzte Verbindung zwischen den zwei Sektionen zu vernichten.
Wird dagegen der Anakonda-Plan befolgt, so kann trotz aller Erfolge im einzelnen und selbst am Potomac der Krieg sich ins Unendliche ausdehnen, während die finanziellen Schwierigkeiten zugleich mit diplomatischen Verwicklungen neuen Spielraum gewinnen.[495]
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