|
London, 20. Oktober 1861
Seit Monaten wiederholt die tonangebende Londoner Presse, Wochen- und Tagesblätter, dieselbe Litanei über den Amerikanischen Bürgerkrieg. Während sie die freien Staaten des Nordens insultiert, wehrt sie sich ängstlich gegen den Verdacht, mit den Sklavenstaaten des Südens zu sympathisieren. Sie schreibt in der Tat fortwährend zwei Artikel: Einen Artikel, worin sie den Norden angreift, und einen andern Artikel, worin sie ihre Angriffe auf den Norden entschuldigt. Qui s'excuse s'accuse.
Die Beschönigungsgründe lauten im wesentlichen: Der Krieg zwischen Nord und Süd ist ein Tarifkrieg. Der Krieg ist ferner prinziplos, berührt die Sklavenfrage nicht und dreht sich in der Tat um nordische Souveränetätsgelüste. Endlich, wenn selbst das Recht auf seiten des Nordens, bleibt es nicht ein vergeblicher Versuch, 8 Millionen Angelsachsen gewaltsam unterjochen zu wollen! Würde eine Scheidung vom Süden den Norden nicht von allem Zusammenhang mit der Negersklaverei erlösen und ihm mit seinen 20 Millionen Einwohnern und seinem ungeheueren Territorium eine höhere, bisher kaum geahnte Entwicklung sichern? Mußte der Norden daher die Sezession nicht als ein glückliches Ereignis begrüßen, statt sie durch einen blutigen und vergeblichen Bürgerkrieg nieder herrschen zu wollen?
Wir wollen Punkt für Punkt das Plädoyer der englischen Presse prüfen.
Der Krieg zwischen Nord und Süd, so lautet die erste Entschuldigung, ist ein bloßer Tarifkrieg, ein Krieg zwischen Protektionssystem und Freihandelssystem, und England steht natürlich auf der Freihandelsseite. Soll[329] der Sklavenbesitzer die Früchte der Sklavenarbeit ganz genießen oder soll er um einen Teil derselben durch die Schutzzöllner des Nordens geprellt werden? Das ist die Frage, um die es sich in diesem Kriege handelt. Den »Times« war diese glänzende Entdeckung vorbehalten. Der »Economist«, der »Examiner«, die »Saturday Review« und tutti quanti führten das Thema weiter aus. Es ist charakteristisch für diese Entdeckung, daß sie nicht zu Charleston, sondern zu London gemacht wurde. In Amerika wußte natürlich jedermann, daß von 1846-1861 ein Freihandelstarif herrschte und daß Repräsentant Morrill seinen Schutzzolltarif 1861 erst im Kongreß durchsetzte, nachdem die Rebellion bereits ausgebrochen war. Die Sezession fand also nicht statt, weil der Morrill-Tarif im Kongreß durchgegangen war, sondern im besten Fall ging der Morrill-Tarif im Kongreß durch, weil die Sezession stattgefunden hatte. Als Süd-Carolina 1832 seinen ersten Sezessionsanfall hatte, diente ihm allerdings der Protektionstarif von 1828 zum Vorwand, aber auch nur zum Vorwand, wie aus einer Erklärung des General Jackson bekannt ist. Diesmal ist jedoch der alte Vorwand in der Tat nicht wiederholt worden. Man vermied auf dem Sezessionskongreß zu Montgomery jede Berührung der Tariffrage, weil die Zuckerkultur Louisianas, eines der einflußreichsten Südstaaten, ganz auf dem Schutzzoll beruht.
Aber, plädiert die Londoner Presse weiter, der Krieg der Vereinigten Staaten ist nichts als ein Krieg zur gewaltsamen Aufrechterhaltung der Union. Die Yankees können sich nicht entschließen, 15 Sterne aus ihrem Banner zu streichen. Sie wollen eine kolossale Figur auf der Weltbühne machen. Ja, es wäre ein anderes, wenn der Krieg zur Abschaffung der Sklaverei geführt würde! Die Frage der Sklaverei aber, wie unter anderm die »Saturday Review« kategorisch erklärt, hat mit diesem Kriege durchaus nichts zu schaffen.
Vor allem ist zu erinnern, daß der Krieg nicht vom Norden ausging, sondern vom Süden. Der Norden befindet sich in der Defensive. Er hatte monatelang ruhig zugesehen, wie die Sezessionisten Forts, Kriegsarsenale, Schiffswerften, Zollhäuser, Kassen, Schiffe, Waffenvorräte der Union sich aneigneten, ihre Flagge insultierten, Truppenteile derselben gefangennahmen. Die Sezessionisten beschlossen endlich durch einen geräuschvollen Kriegsakt, die Unionsregierung aus ihrer passiven Haltung herauszuzwingen und schritten nur aus diesem Grunde zum Bombardement des Fort Sumter bei Charleston. Am 11. April (1861) hatte ihr General Beauregard in einer Zusammenkunft mit Major Anderson, dem Kommandanten des Fort Sumter, erfahren, daß das Fort nur noch für drei Tage mit Lebensmitteln[330] versehen sei und daher nach dieser Frist friedlich übergeben werden müsse. Um dieser friedlichen Übergabe zuvorzukommen, eröffneten die Sezessionisten früh am andern Morgen (12. April) das Bombardement, das den Platz in wenigen Stunden zum Fall brachte. Kaum war diese Nachricht nach Montgomery, dem Sitz des Sezessionskongresses, telegraphiert worden, als Kriegsminister Walker öffentlich im Namen der neuen Konföderation erklärte: »Kein Mensch kann sagen, wo der heute eröffnete Krieg enden wird.« Zugleich prophezeite er, »daß die Flagge der südlichen Konföderation noch vor dem ersten Mai vom Dome des alten Kapitols zu Washington und binnen kurzem vielleicht auch von der Faneuilhalle zu Boston herabwehen werde«. Jetzt erst erfolgte die Proklamation, worin Lincoln 75000 Mann zum Schutz der Union berief. Das Bombardement des Fort Sumter schnitt den einzig möglichen konstitutionellen Ausweg ab, nämlich eine Berufung an eine allgemeine Konvention des amerikansichen Volks, wie sie Lincoln in seiner Inauguraladresse vorgeschlagen hatte. Für Lincoln blieb nur noch die Wahl, von Washington zu fliehen, Maryland und Delaware zu räumen, Kentucky, Missouri und Virginia preiszugeben, oder auf den Krieg mit Krieg zu antworten.
Auf die Frage nach dem Prinzip des Amerikanischen Bürgerkrieges antwortet die Schlachtparole, womit der Süden den Frieden brach. Stephens, der Vizepräsident der südlichen Konföderation, erklärte im Sezessionskongreß, das unterscheide wesentlich die zu Montgomery neu ausgeheckte Konstitution von der Konstitution der Washingtons und Jeffersons, daß jetzt zum erstenmal die Sklaverei als ein in sich selbst gutes Institut und als das Fundament des ganzen Staatsgebäudes anerkannt sei, während die revolutionären Väter, Männer, befangen in den Vorurteilen des achtzehnten Jahrhunderts, die Sklaverei als ein von England importiertes und im Laufe der Zeit zu beseitigendes Übel behandelt hätten. Ein anderer Matador des Südens, Herr Spratt, rief aus: »Es handelt sich für uns um die Gründung einer großen Sklavenrepublik (a great slave republic).« – Wenn also der Norden das Schwert auch nur zur Verteidigung der Union zog, hatte der Süden nicht bereits erklärt, daß die Fortdauer der Sklaverei nicht länger verträglich sei mit der Fortdauer der Union?
Wie das Bombardement des Fort Sumter das Signal zur Eröffnung des Krieges gab, hatte der Wahlsieg der Republikanischen Partei des Nordens, die Wahl Lincolns zum Präsidenten, das Signal zur Sezession gegeben. Am 6. November 1860 ward Lincoln gewählt. Am 8. November 1860 telegraphierte man von Süd-Carolina: »Die Sezession wird hier als eine abgemachte Sache betrachtet«; am 10. November beschäftigte sich die Legislatur von[331] Georgia mit Sezessionsplänen, und am 13. November ward eine Spezialsitzung der Legislatur von Mississippi anberaumt, um die Sezession in Betracht zu ziehen. Aber Lincolns Wahl war selbst nur das Resultat einer Spaltung im demokratischen Heerlager. Während des Wahlkampfes vereinigte die Demokratie des Nordens ihre Stimmen auf Douglas, die Demokratie des Südens ihre Stimmen auf Breckinridge, und dieser Zersplitterung der demokratischen Stimmen verdankte die Republikanische Partei den Sieg. Woher auf der einen Seite das Übergewicht der Republikanischen Partei im Norden? Woher auf der andern Seite der Zwiespalt innerhalb der Demokratischen Partei, deren Glieder, Nord und Süd, seit mehr als einem halben Jahrhundert gemeinschaftlich operiert hatten?
Unter der Präsidentschaft Buchanans erreichte die Herrschaft, die der Süden durch seine Allianz mit der nordischen Demokratie nach und nach über die Union usurpiert hatte, ihren Gipfelpunkt. Der letzte kontinentale Kongreß von 1787 und der erste konstitutionelle Kongreß von 1789/90 hatten die Sklaverei von allen Territorien der Republik im Nordwesten vom Ohio gesetzlich ausgeschlossen. (Territorien heißen bekanntlich die innerhalb der Vereinigten Staaten selbst liegenden Kolonien, die noch nicht die zur Bildung selbständiger Staaten konstitutionell vorgeschriebene Bevölkerungshöhe erreicht haben.) Der sogenannte Missouri-Kompromiß (1820), infolge dessen Missouri als Sklavenstaat in die Reihen der Vereinigten Staaten eintrat, schloß die Sklaverei von allem übrigen Territorium nördlich von 36° 30' Breite und westlich vom Missouri aus. Durch diesen Kompromiß wurde das Gebiet der Sklaverei um mehrere Längengrade vorgeschoben, während ihrer künftigen Propaganda andererseits eine ganz bestimmte geographische Grenzlinie gezogen schien. Diese geographische Barriere ward ihrerseits 1854 niedergeworfen durch die sogenannte Kansas-Nebraska-Bill, deren Urheber St. A. Douglas, damals Führer der nordischen Demokratie. Die Bill, die in beiden Häusern des Kongresses durchging, hob den Missouri-Kompromiß auf, stellte Sklaverei und Freiheit auf gleichen Fuß, gebot der Unionsregierung, sie beide mit gleicher Indifferenz zu behandeln, und überließ der Volkssouveränetät, das heißt der Majorität der Ansiedler, die Entscheidung, ob oder ob nicht Sklaverei in einem Territorium einzuführen sei. So war zum ersten Male in der Geschichte der Vereinigten Staaten jede geographische und gesetzliche Schranke für die Ausbreitung der Sklaverei in den Territorien beseitigt. Unter dieser neuen Gesetzgebung ward das bisher freie Territorium von New Mexico, ein Territorium, fünfmal größer als der Staat von New York, in ein Sklaventerritorium verwandelt, und die Aera der Sklaverei von der Grenze der[332] mexikanischen Republik bis zum 38° nördlicher Breite verlängert. Im Jahre 1859 erhielt New Mexico einen Sklavenkodex, der an Barbarei mit den Gesetzbüchern von Texas und Alabama wetteifert. Dennoch, wie der Zensus von 1860 beweist, zählt New Mexico auf etwa 100000 Einwohner noch nicht ein halbes Hundert Sklaven. Es hatte also dem Süden genügt, einige Abenteurer mit wenigen Sklaven über die Grenze zu schicken und dann mit Hilfe der Zentralregierung zu Washington, ihrer Beamten und Lieferanten in New Mexico eine Scheinvolksvertretung zusammenzutrommeln, die dem Territorium die Sklaverei und damit die Herrschaft der Sklavenhalter aufoktroyierte.
Indes zeigte sich diese bequeme Methode in anderen Territorien nicht anwendbar. Der Süden ging daher noch einen Schritt weiter und appellierte vom Kongreß an den obersten Gerichtshof der Vereinigten Staaten. Dieser Gerichtshof, der neun Richter zählt, wovon fünf dem Süden angehören, war seit lange das willigste Instrument der Sklavenhalter. Er entschied 1857, in dem berüchtigten Dred-Scott-Falle, daß jeder amerikanische Bürger das Recht besitze, in jedes Territorium jedes von der Konstitution anerkannte Eigentum mitzuholen. Die Konstitution erkenne Sklaven als Eigentum an und verpflichte die Unionsregierung, dies Eigentum zu beschützen. Folglich könnten Sklaven in den Territorien auf Grundlage der Konstitution von ihren Eigentümern zur Arbeit gezwungen werden, und es stehe so jedem einzelnen Sklavenhalter zu, gegen den Willen der Majorität der Ansiedler die Sklaverei in bisher freie Territorien einzuführen. Den Territorial-Legislaturen ward das Recht abgesprochen, die Sklaverei auszuschließen, und dem Kongreß wie der Unionsregierung die Pflicht auferlegt, die Pioniere des Sklavensystems zu beschützen.
Hatte der Missouri-Kompromiß von 1820 die geographische Grenzlinie der Sklaverei in den Territorien weiter gezogen, hatte die Kansas-Nebraska-Bill von 1854 jede geographische Grenzlinie ausgelöscht und an ihre Stelle eine politische Schranke gesetzt, den Willen der Majorität der Ansiedler, so riß der oberste Gerichtshof der Vereinigten Staaten durch seine Entscheidung von 1857 auch diese politische Schranke nieder und verwandelte alle Territorien der Republik, gegenwärtige und zukünftige, aus Pflanzstätten freier Staaten in Pflanzstätten der Sklaverei.
Gleichzeitig wurde unter Buchanans Regierung das 1850 erlassene, verschärfte Gesetz zur Auslieferung flüchtiger Sklaven rücksichtslos in den Staaten des Nordens durchgeführt. Sklavenfänger für die südlichen Sklavenhalter zu spielen, schien der konstitutionelle Beruf des Nordens. Um andererseits die Kolonisierung der Territorien durch freie Ansiedler[333] möglichst zu hemmen, vereitelte die Sklavenhalterpartei alle sogenannten Freesoil-Maßregeln, d.h. Maßregeln, die den Ansiedlern ein bestimmtes Maß unbebauter Staatsländereien unentgeltlich zusichern sollten.
Wie in der innern, so diente in der auswärtigen Politik der Vereinigten Staaten das Interesse der Sklavenhalter als Leitstern. Buchanan hatte in der Tat die Präsidentenwürde erstanden durch den Erlaß des Ostende-Manifestes, worin die Erwerbung von Kuba, sei es durch Kauf, sei es durch Waffengewalt, als die große Aufgabe der nationalen Politik proklamiert ist. Unter seiner Regierung war Nordmexiko bereits verteilt zwischen amerikanischen Landspekulanten, die unruhig das Signal abwarteten, um über Chihuahua, Coahuila und Sonora herzustürzen. Die rastlosen piratischen Expeditionen der Flibustier gegen die Staaten von Zentralamerika wurden nicht minder vom Weißen Hause zu Washington aus geleitet. Im innigsten Zusammenhang mit dieser auswärtigen Politik, deren offenkundiger Zweck Eroberung neuen Gebiets für die Ausbreitung der Sklaverei und der Herrschaft der Sklavenhalter war, stand die von der Unionsregierung geheim unterstützte Wiedereröffnung des Sklavenhandels. St. A. Douglas erklärte selbst am 20. August 1859 im amerikanischen Senat: Während des letzten Jahres seien mehr Neger von Afrika eingeführt worden, als je vorher in irgendeinem einzelnen Jahre, selbst zur Zeit, wo der Sklavenhandel noch gesetzlich war. Die Zahl der in dem letzten Jahre importierten Sklaven habe sich auf 15000 belaufen.
Bewaffnete Propaganda der Sklaverei nach außen war das eingestandene Ziel der nationalen Politik, die Union in der Tat der Sklave der 300000 Sklavenhalter geworden, die den Süden beherrschen. Zu diesem Resultat hatte eine Reihe von Kompromissen geführt, die der Süden seiner Allianz mit der nordischen Demokratie verdankte. An derselben Allianz waren bisher alle seit 1817 periodisch wiederholten Versuche des Widerstands gegen die stets steigenden Übergriffe der Sklavenhalter gescheitert. Endlich trat ein Wendepunkt ein.
Kaum war nämlich die Kansas-Nebraska-Bill durchgegangen, welche die geographische Grenzlinie der Sklaverei auslöschte und ihre Einführung in neue Territorien dem Willen der Majorität der Ansiedler unterwarf, als bewaffnete Emissäre der Sklavenhalter, Grenzgesindel von Missouri und Arkansas mit dem Bowiemesser in der einen Hand und dem Revolver in der andern, über Kansas herstürzten und seine Ansiedler durch die unerhörtesten Greueltaten aus dem von ihnen kolonisierten Territorium zu verjagen suchten. Diese Raubzüge wurden unterstützt von der Zentralregierung zu Washington. Daher eine ungeheure Reaktion. Im ganzen Norden, namentlich[334] aber im Nordwesten, bildete sich eine Hilfsorganisation, um Kansas mit Mannschaft, Waffen und Geld zu unterstützen. Aus dieser Hilfsorganisation entstand die Republikanische Partei, die also dem Kampf um Kansas ihren Ursprung verdankt. Nachdem der Versuch, Kansas durch Waffengewalt in ein Sklaventerritorium zu verwandeln, gescheitert war, suchte der Süden dasselbe Resultat auf dem Wege politischer Intrigen zu erreichen. Namentlich bot Buchanans Regierung die äußersten Kräfte auf, um Kansas mit einer ihm aufoktroyierten Sklavereikonstitution als Sklavenstaat in die Reihe der Vereinigten Staaten hineinzumaßregeln. Daher neuer Kampf, diesmal hauptsächlich im Kongreß zu Washington geführt. Selbst St. A. Douglas, der Chef der nördlichen Demokratie, trat jetzt (1857/1858) gegen die Regierung und gegen seine Alliierten vom Süden in die Schranken, weil Aufoktroyierung einer Sklavenkonstitution dem in der Nebraska-Bill von 1854 durchgesetzten Prinzip der Souveränetät der Ansiedler widerspreche. Douglas, Senator für Illinois, einen nordwestlichen Staat, hätte natürlich seinen ganzen Einfluß eingebüßt, wollte er dem Süden das Recht zugestehen, vom Norden kolonisierte Territorien mit den Waffen oder durch Kongreßakte wegzustehlen. Wie also der Kampf um Kansas die Republikanische Partei ins Leben rief, veranlaßte er zugleich die erste Spaltung innerhalb der Demokratischen Partei selbst.
Die Republikanische Partei stellte ihr erstes Programm zur Präsidentenwahl 1856 auf. Obgleich ihr Kandidat, John Frémont, nicht siegte, bewies jedenfalls die ungeheure Stimmenzahl, die ihm zufiel, das rasche Wachstum der Partei, besonders im Nordwesten. In ihrer zweiten nationalen Konvention zur Präsidentenwahl (17. Mai 1860) wiederholten die Republikaner ihr Programm von 1856, nur um einige Zusätze bereichert. Sein Hauptinhalt war dieser: Kein Fußbreit neuen Territoriums wird der Sklaverei ferner eingeräumt. Die Flibustierpolitik nach außen muß aufhören. Die Wiedereröffnung des Sklavenhandels wird gebrandmarkt. Endlich sind Freesoil-Gesetze zur Förderung der freien Kolonisation zu erlassen.
Der entscheidend wichtige Punkt in diesem Programm war, daß der Sklaverei kein Fußbreit neues Terrain eingeräumt, sie vielmehr ein für allemal in die Grenzen der Staaten gebannt bleiben sollte, wo sie bereits gesetzlich bestand. Die Sklaverei sollte so förmlich interniert werden; aber fortwährende Ausdehnung des Territoriums und fortwährende Verbreitung der Sklaverei über ihre alten Grenzen hinaus ist ein Lebensgesetz für die Sklavenstaaten der Union.
Die durch Sklaven betriebene Kultur der südlichen Ausfuhrartikel, Baumwolle, Tabak, Zucker usw. ist nur ergiebig, solange sie mit großen[335] Gängen von Sklaven, auf massenhafter Stufenleiter und auf weiten Flächen eines natürlich fruchtbaren Bodens, der nur einfache Arbeit erheischt, ausgeführt wird. Intensive Kultur, die weniger von der Fruchtbarkeit des Bodens als von Kapitalsanlagen, Intelligenz und Energie der Arbeit abhängt, widerspricht dem Wesen der Sklaverei. Daher die rasche Verwandlung von Staaten wie Maryland und Virginia, die früher Sklaven zur Produktion von Exportartikeln verwendeten, in Staaten, die Sklaven züchten, um sie dann selbst in die weiter gelegenen südlichen Länder zu exportieren. Selbst in Süd-Carolina, wo die Sklaven vier Siebentel der Bevölkerung bilden, ist infolge der Erschöpfung des Bodens die Baumwollkultur seit Jahren fast durchaus stationär. Ja, Süd-Carolina ist durch den Zwang der Umstände schon zum Teil in einen sklavenzüchtenden Staat verwandelt, indem es jährlich schon für vier Millionen Dollars Sklaven an die Staaten des äußersten Südens und Südwestens verkauft. Sobald dieser Punkt eintritt, wird der Erwerb neuer Territorien nötig, damit ein Teil der Sklavenhalter mit den Sklaven neue fruchtbare Ländereien besetze, und damit dem zurückgebliebenen Teil ein neuer Markt für die Sklavenzucht, also für den Verkauf von Sklaven, geschaffen werde. So unterliegt es z.B. keinem Zweifel, daß ohne den Heimfall von Louisiana, Missouri und Arkansas an die Vereinigten Staaten die Sklaverei in Virginia und Maryland längst erloschen wäre. Einer der Stimmführer des Südens, Senator Toombs, hat das ökonomische Gesetz, das die beständige Erweiterung des Territoriums der Sklaverei gebietet, schlagend formuliert auf dem Sezessionistenkongreß von Montgomery:
»Wenn« – sagte er, »kein großer Zuwachs des Sklaventerritoriums stattfindet, wird man fünfzehn Jahre später den Sklaven erlauben müssen, den Weißen fortzulaufen, oder werden die Weißen vor den Sklaven davonlaufen müssen.«
Die Repräsentation der einzelnen Staaten im Repräsentantenhause des Kongresses hängt bekanntlich von der Kopfzahl ihrer respektiven Bevölkerung ab. Da die Bevölkerung der freien Staaten ungleich schneller wächst als die der Sklavenstaaten, mußte die Zahl der nördlichen Repräsentanten sehr rasch die der südlichen überflügeln. Der eigentliche Sitz der politischen Macht des Südens wird daher mehr und mehr in den amerikanischen Senat verlegt, wo jeder Staat, seine Bevölkerung sei groß oder klein, durch zwei Senatoren repräsentiert ist. Um seinen Einfluß im Senat und durch den Senat seine Hegemonie über die Vereinigten Staaten zu behaupten, bedurfte der Süden also einer fortwährenden Bildung neuer Sklavenstaaten. Diese war aber nur möglich durch Eroberung von fremden Ländern, wie im Falle von Texas, oder durch Verwandlung der den Vereinigten[336] Staaten angehörigen Territorien erst in Sklaventerritorien, später in Sklavenstaaten, wie im Falle von Missouri, Arkansas usw. John Calhoun, den die Sklavenhalter als ihren Staatsmann par exellence bewundern, erklährte schon am 19. Februar 1847 im Senat, daß der Senat allein eine Machtbilanz in die Hand des Südens gäbe, das Ausdehnung des Sklaventerritoriums, um dies Gleichgewicht zwischen Süd und Nord im Senat zu erhalten, daß die Versuche des Südens zur gewaltsamen Schöpfung neuer Sklavenstaaten daher gerechtfertigt seien.
Endlich beträgt die Zahl der eigentlichen Sklavenhalter im Süden der Union nicht über 300000, eine enge Oligarchie, der viele Millionen sogenannter »armer Wießen« (poor whites) gegenüberstehen, deren Masse durch Konzentration des Grundbesitzes ständig wuchs, und deren Lage nur mit der der römischen Plebejer in den Zeiten des äußersten Verfalls Roms zu vergleichen ist. Nur durch Erwerb und Aussicht auf Erwerb von neuen Territorien sowie durch Flibustierzüge gelingt es, das Interesse dieser »armen Weißen« mit dem der Sklavenhalter auszugleichen, ihrem unruhigen Tatendrang eine gefahrlose Richtung zu geben, und sie mit der Aussicht, einst selbst Sklavenhalter zu werden, zu kirren.
Eine Festbannung der Sklaverei innerhalb ihres alten Terrains mußte also nach ökonomischem Gesetz zu ihrem allmählichen Erlöschen führen, politisch die Hegemonie, die die Sklavenstaaten durch den Senat ausgeübt, vernichten, endlich die sklavenhaltende Oligarchie innerhalb ihrer eigenen Staaten drohenden Gefahren von seiten der »armen Weißen« aussetzen. Mit dem Grundsatz, daß jede weitere Ausdehnung von Sklaventerritorien gesetzlich zu verbieten sei, griffen also die Republikaner die Herrschaft der Sklavenhalter an der Wurzel an. Der republikanische Wahlsieg mußte daher zum offenen Kampf zwischen Nord und Süd treiben. Indes war dieser Wahlsieg selbst, wie schon erwähnt, durch die Spaltung im demokratischen Heerlager bedingt.
Der Kansaskampf hatte bereits eine Spaltung zwischen der Sklavenpartei und der ihr alliirten Demokratie des Nordens hervorgerufen. Derselbe Streit brach jetzt, bei der Präsidentenwahl von 1860, in einer allgemeineren Form wieder aus. Die Demokratie des Nordens mit Douglas als ihrem Kandidaten machte die Einführung der Sklaverei in Territorien vom Willen der Majorität der Ansiedler abhängig. Die Sklavenhalterpartei, mit Breckinridge als ihrem Kandidaten behauptete, die Konstitution der Vereinigten Staaten, wie auch der höchste Gerichtshof erklährt habe, führe Sklaverei gänzlich in ihrem Gefolge; Sklaverei sei bereits an und für sich in allen Territorien legal und bedürfe keiner besonderen Naturalisation.[337] Während also die Republikaner jeden Zuwachs von Sklaventerritorien verboten, nahm die südliche Partei alle Territorien der Republik als gesetzlich verbürgte Domänen in Anspruch. Was sie mit Kansas beispielsweise versucht hatten, die Sklaverei durch die Zentralregierung, gegen den Willen der Ansiedler selbst, einem Territorium aufzuzwingen, stellten sie nun als Gesetz für alle Territorien der Union hin. Eine solche Konzession lag außer der Macht der demokratischen Führer und würde nur die Desertion ihrer Armee ins republikanische Lager veranlaßt haben. Andererseits konnte der Sklavenhalterpartei Douglas' »Ansiedler-Souveränetät« nicht genügen. Was sie durchsetzen wollte, mußte in den nächsten vier Jahren unter dem neuen Präsidenten durchgesetzt werden, konnte nur durchgesetzt werden aus den Mitteln der Zentralregierung und erlaubte keinen ferneren Aufschub. Es entging den Sklavenhaltern nicht, daß sich eine neue Macht gebildet, der Nordwesten, dessen Bevölkerung, von 1850-1860 beinahe verdoppelt, der weißen Bevölkerung der Sklavenstaaten schon ziemlich gleich stand – eine Macht, die weder durch Tradition, Temperament, noch Lebensweise geneigt war, in der Weise der alten Nordoststaaten von Kompromiß zu Kompromiß sich zerren zu lassen. Die Union hatte nur noch Wert für den Süden, sofern sie ihm die Föderalmacht als Mittel zur Durchführung der Sklavenpolitik überlieferte. Wenn nicht, so war es besser, jetzt zu brechen, als vier Jahre länger der Entwicklung der Republikanischen Partei und dem Aufschwung des Nordwestens zuzusehen und unter ungünstigeren Bedingungen den Kampf zu beginnen. Die Sklavenhalterpartei spielte also va banque! Als die Demokratie des Nordens verweigerte, die Rolle der »armen Weißen« des Südens fortzuspielen, verschaffte der Süden durch Zersplitterung der Stimmen Lincoln den Sieg, und nahm er diesen Sieg dann zum Vorwand, um das Schwert aus der Scheide zu ziehen.
Die ganze Bewegung beruhte und beruht, wie man sieht, auf der Sklavenfrage. Nicht in dem Sinne, ob die Sklaven innerhalb der bestehenden Sklavenstaaten direkt emanzipiert werden sollten oder nicht, sondern ob die 20 Millionen Freien des Nordens sich länger einer Oligarchie von 300000 Sklavenhaltern unterordnen sollten; ob die ungeheuren Territorien der Republik Pflanzstätten freier Staaten oder der Sklaverei werden sollten; endlich, ob die nationale Politik der Union bewaffnete Propaganda der Sklaverei über Mexiko, Zentral- und Südamerika zu ihrem Wahlspruch machen sollte.
In einem andern Artikel werden wir die Behauptung der Londoner Presse prüfen, daß der Norden die Sezession als günstigste und einzig mögliche Lösung des Streites gutheißen müsse.[338]
Buchempfehlung
Inspiriert von den Kupferstichen von Jacques Callot schreibt E. T. A. Hoffmann die Geschichte des wenig talentierten Schauspielers Giglio der die seltsame Prinzessin Brambilla zu lieben glaubt.
110 Seiten, 4.40 Euro
Buchempfehlung
Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Für den dritten Band hat Michael Holzinger neun weitere Meistererzählungen aus dem Biedermeier zusammengefasst.
444 Seiten, 19.80 Euro