A) Der Geist (Reine Geistergeschichte)

[131] Das Erste, was wir vom »Geiste« erfahren, ist, daß nicht der Geist, sondern »das Geisterreich ungeheuer groß ist«. Sankt Max weiß sogleich vom Geiste nichts zu sagen, als daß ein »ungeheuer großes Geisterreich« existiert, gerade wie er vom Mittelalter nur weiß, daß es »eine lange Zeit« war. Nachdem dies »Geisterreich« als existierend vorausgesetzt worden ist, wird seine Existenz nachträglich vermittelst zehn Thesen bewiesen.

1. Der Geist ist nicht freier Geist, bevor er sich nicht mit sich allein beschäftigte, bevor er es nicht mit seiner Welt, »der geistigen, allein zu tun hatte« – (erst mit sich allein, dann mit seiner Welt);

2. »Er ist freier Geist erst in einer ihm eignen Welt«;

3. »Nur mittelst einer geistigen Welt ist der Geist wirklich Geist«;

4. »Bevor der Geigt sich seine Geisterwelt erschafft. Ist er nicht Geist« –

5. »Seine Schöpfungen machen ihn zum Geist« –

6. »Seine Schöpfungen sind seine Welt« –

7. »Der Geist ist der Schöpfer einer geistigen Welt« –

8. »Der Geist ist nur, wenn er Geistiges schafft« –

9. »Er ist nur mit dem Geistigen, seinem Geschöpfe, zusammen wirklich« –

10. »Die Werke oder Kinder des Geistes sind aber nichts Andres als – Geister.« p. 38-39.[131]

Die »geistige Welt« wird in These 1 gleich wieder als existierend vorausgesetzt, statt entwickelt zu werden, und diese These 1 uns dann These 2 – 9 in acht neuen Wandlungen wieder vorgepredigt. Am Ende von These 9 sind wir geradeso weit wie am Ende von These 1 – und nun bringt These 10 plötzlich ein »Aber« uns »die Geister« herein, von denen bisher noch keine Rede gewesen war.

»Da der Geist nur ist, indem er Geistiges schafft, so sehen wir uns nach seinen ersten Schöpfungen um.« p.41.-

Nach These 3, 4, 5, 8 und 9 ist aber der Geist seine eigne Schöpfung. Dies wird jetzt so ausgedrückt, daß der Geist, d.h. die erste Schöpfung des Geistes,

»aus dem Nichts hervorgehen muß« – – »er muß sich erst erschaffen« – – »seine erste Schöpfung ist er selber, der Geist« (ibid.). »Hat er diese erst vollbracht, so folgt fortan eine natürliche Fortpflanzung von Schöpfungen, wie nach der Mythe nur die ersten Menschen geschaffen zu werden brauchten, das übrige Geschlecht sich von selbst fortpflanzte.« (ibid.)

»So mystisch dies auch klinge, so erleben Wir's doch als eine alltägliche Erfahrung. Bist Du eher ein Denkender, als Du denkst? Indem Du den ersten Gedanken erschaffst, erschaffst Du Dich, den Denkenden, denn Du denkst nicht, bevor Du einen Gedanken denkst, d.h.« – d.h.- »hast. Macht Dich nicht erst Dein Singen zum Sänger, Dein Sprechen zum sprechenden Menschen? Nun, so macht Dich auch das Hervorbringen von Geistigem erst zum Geiste.«

Der heilige Eskamoteur unterstellt, daß der Geist Geistiges hervorbringt, um zu folgern, daß er sich selbst als Geist hervorbringt, und andrerseits unterstellt er ihn als Geist, um ihn zu seinen geistigen Schöpfungen (die »nach der Mythe sich von selbst fortpflanzen« und Geister werden) kommen zu lassen. Bis hieher altbekannte, rechtgläubig-hegelsche Phrase. Die eigentlich »einzige« Entwicklung Dessen, was Sankt Max sagen will, fängt erst bei seinem Beispiel an. Wenn nämlich Jacques le bonhomme gar nicht weiter kann, wenn selbst »Man« und »Es« nicht imstande sind, das gestrandete Boot wieder flott zu machen, dann ruft »Stirner« seinen dritten Leibeignen zu Hülfe, den »Du«, der ihn nie im Stich läßt und auf den er sich in der höchsten Not verlassen kann. Dieser »Du« ist ein Individuum, das uns nicht zum erstenmal vorkommt, ein frommer und getreuer Knecht, den wir durch Dick und Dünn haben gehen sehen, ein Arbeiter im Weinberge seines Herrn, der sich durch Nichts schrecken läßt – er ist, mit Einem Wort: Szeliga40. Wenn »Stirner« in den höchsten Entwicklungsnöten ist, so ruft er aus: Szeliga, hilf! und der[132] treue Eckart Szeliga setzt sogleich die Schultern an, um den Karren aus dem Dreck zu heben. Wir werden über das Verhältnis von Sankt Max zu Szeliga später noch Mehr zu sagen haben.

Es handelt sich um den Geist, der sich selbst aus Nichts erschafft – also um Nichts, das sich aus Nichts zum Geist schafft. Sankt Max macht hieraus die Schöpfung des Szeligaschen Geistes aus Szeliga. Und wem anders als Szeliga könnte »Stirner« es zumuten, sich in der Weise, wie es oben geschieht, dem Nichts unterschieben zu lassen? Wem anders als Szeliga, der sich schon dadurch aufs Höchste geschmeichelt fühlt, daß er überhaupt als handelnde Person auftreten darf, wird eine solche Eskamotage imponieren? Sankt Max mußte beweisen, nicht daß ein gegebenes »Du«, also der gegebne Szeliga, zum Denkenden, Sprechenden, Sänger wird, wenn er zu denken, zu sprechen, zu singen anfängt – sondern: Der Denker schafft sich aus Nichts, Indem er zu denken anfängt, der Sänger schafft sich aus Nichts, indem er zu singen anfängt etc. – und nicht einmal der Denker und Sänger, sondern der Gedanke und der Gesang als Subjekte schaffen sich aus Nichts, Indem sie zu denken und singen anfangen. Sonst »stellt Stirner bloß die höchst einfache Reflexion an« und spricht bloß den »höchst populären« Satz aus (vgl. Wigand, p. 156), daß Szeliga eine seiner Eigenschaften entwickelt, indem er sie entwickelt. Es ist freilich durchaus nicht »zu verwundern«, daß Sankt Max »dergleichen einfache Reflexionen« nicht einmal richtig »anstellt«, sondern sie falsch ausspricht, um dadurch einen noch viel falscheren Satz vermittelst der falschesten Logik von der Welt zu beweisen.

Welt entfernt, daß ich »aus dem Nichts« mich z.B. als »Sprechenden« erschüfe, ist das Nichts, was hier zugrunde liegt, ein sehr mannigfaltiges Etwas, das wirkliche Individuum, seine Sprachorgane, eine bestimmte Stufe der physischen Entwicklung, vorhandene Sprache und Dialekte, hörende Ohren und eine menschliche Umgebung, die etwas zu hören gibt, etc. etc. Es wird also bei der Ausbildung einer Eigenschaft Etwas von Etwas durch Etwas geschaffen, und keineswegs, wie in der Hegelschen Logik, von Nichts durch Nichts zu Nichts gekommen.

Jetzt, nachdem Sankt Max einmal seinen getreuen Szeliga bei der Hand hat, geht die Fahrt wieder flott voran. Wir werden sehen, wie er vermittelst seines »Du« den Geist wieder in den Jüngling verwandelt, gerade wie er früher den Jüngling in den Geist verwandelte; wir werden die ganze Jünglingsgeschichte hier fast wörtlich, nur mit einigen verdeckenden Umstellungen, wiederfinden – wie schon das »ungeheuer große Geisterreich« von p. 37 Nichts andres war als das »Reich des Geistes«, welches der Geist des Jünglings p. 17 zu stiften und auszubreiten »das Absehen« hatte.

[133] »Wie Du indes vom Denker, Sänger, Sprecher Dich unterscheidest, so unterscheidest Du Dich nicht minder vom Geiste und fühlst sehr wohl, daß Du noch etwas Anderes bist als Geist. Allein wie dem denkenden Ich im Enthusiasmus des Denkens leicht Hören und Sehen vergeht, so hat auch Dich der Geist-Enthusiasmus ergriffen, und Du sehnst Dich nun mit aller Gewalt, ganz Geist zu werden und im Geiste aufzugehen. Der Geist ist Dein Ideal, das Unerreichte, das Jenseitige: Geist heißt Dein – Gott, ›Gott ist Geist‹ – – Du eiferst gegen Dich selbst, der Du einen Rest von Nichtgeistigem nicht los wirst. Statt zu sagen: Ich bin mehr als Geist, sagst Du mit Zerknirschung: Ich bin weniger als Geist, und Geist, reinen Geist, oder den Geist, der Nichts als Geist, den kann Ich mir nur denken, bin es aber nicht, und da Ich's nicht bin, so ist's ein Andrer, existiert als ein Andrer, den Ich ›Gott‹ nenne.«

Nachdem wir vorher uns eine lange Zeit mit dem Kunststück beschäftigten, aus Nichts Etwas zu machen, kommen wir jetzt plötzlich ganz »natürlich« zu einem Individuum, das noch etwas Anderes als Geist, also Etwas ist, und reiner Geist, d.h. Nichts, werden will. Wir haben mit diesem viel leichteren Problem (aus Etwas Nichts zu machen) sogleich wieder die ganze Geschichte vom Jüngling, der »den vollendeten Geist erst suchen muß«, und brauchen jetzt nur wieder die alten Phrasen von p. 17 bis 18 hervorzuholen, um aller Not überhoben zu sein. Besonders, wenn man einen so gehorsamen und gläubigen Diener hat wie Szeliga, dem »Stirner« aufbinden kann, wie ihm, »Stirner«, »im Enthusiasmus des Denkens leicht« (!) »Hören und Sehen vergehe«, so habe auch ihn, Szeliga, »der Geist-Enthusiasmus ergriffen«, und er, Szeliga, »sehne sich nun mit aller Gewalt danach, Geist zu werden«, statt Geist zu bekommen, d.h., er habe jetzt die Rolle des Jünglings von p. 18 zu spielen. Szeliga glaubt das und gehorcht in Furcht und Zittern; er gehorcht, wenn ihm Sankt Max zudonnert: Der Geist ist Dein Ideal – Dein Gott, Du tust mir dies, Du tust mir Das, jetzt »eiferst Du«, jetzt »sagst Du«, jetzt »kannst Du Dir denken« usw. Wenn »Stirner« ihm aufbindet, daß »der reine Geist ein Andrer sei, da er« (Szeliga) »es nicht sei«, so ist doch wirklich nur Szeliga imstande, ihm dies zu glauben und den ganzen Unsinn Wort für Wort nachzuplappern. Die Methode übrigens, mit der Jacques le bonhomme diesen Unsinn zusammenbringt, ist bereits bei Gelegenheit des Jünglings ausführlich analysiert. Weil Du sehr wohl fühlst, daß Du noch etwas andres als Mathematiker bist so sehnst Du Dich, ganz Mathematiker zu werden, in der Mathematik aufzugehen, der Mathematiker ist Dein Ideal, Mathematiker heißt Dein – Gott – – Du sagst mit Zerknirschung: Ich bin weniger als Mathematiker, und den Mathematiker kann Ich mir nur vorstellen, und da Ich's nicht bin, so ist's ein Andrer, existiert als ein Andrer, den Ich »Gott« nenne. Ein Andrer als Szeliga würde sagen Arago.[134]

»Jetzt endlich, nachdem« wir den Stirnerschen Satz als die Wiederholung des »Jünglings« nachgewiesen haben, »kann man es aussprechen«, daß er »in Wahrheit von Haus aus sich keine andre Aufgabe stellte«, als den Geist der christlichen Askese mit Geist überhaupt und die frivole Geistreichheit z.B. des achtzehnten Jahrhunderts mit der christlichen Geistlosigkeit zu Identifizieren.

Also nicht, wie Stirner behauptet, »weil Ich und Geist verschiedne Namen für Verschiednes sind, weil Ich nicht Geist und Geist nicht Ich ist« (p. 42), erklärt sich die Notwendigkeit, daß der Geist im Jenseits haust, d.h. Gott ist – sondern aus dem dem Szeliga ganz grundlos zugemuteten »Geistesenthusiasmus«, der ihn zum Asketen macht, d.h. zu Einem, der Gott (reiner Geist) werden will, und, weil er dies nicht kann, den Gott außer sich setzt. Es handelte sich aber darum, daß der Geist erst sich aus Nichts und dann aus sich Geister schaffen sollte. Statt dessen produziert jetzt Szeliga Gott (den einzigen Geist, der hier vorkommt) – nicht weil er, Szeliga, der Geist, sondern weil er Szeliga, – d.h. unvollendeter Geist, ungeistiger Geist, also zugleich der Nichtgeist ist. Wie aber die christliche Vorstellung vom Geiste als Gott entsteht, darüber sagt der heilige Max kein Wort; obwohl dies jetzt kein so großes Kunststück mehr ist; er setzt ihre Existenz voraus, um sie zu erklären.

Die Schöpfungsgeschichte des Geistes »stellt sich in Wahrheit von Haus aus keine andre Aufgabe«, als Stirners Magen unter die Sterne zu versetzen.


»Gerade weil Wir nicht der Geist

sind, der in Uns wohnt, gerade

darum mußten Wir ihn außer

Gerade weil Wir nicht der Magen sind, der in Uns wohnt, gerade darum mußten Wir ihn außer

Uns versetzen, er war nicht Wir, und darum konnten Wir ihn nicht anders existierend denken als außer Uns, jenseits von Uns, im Jenseits.« p. 43.


Es handelte sich darum, daß der Geist erst sich und dann etwas Andres als sich aus sich schaffen sollte; die Frage war, was dieses Andre sei? Diese Frage wird nicht beantwortet, sondern nach den obigen »mancherlei Wandlungen« und Wendungen in die folgende neue Frage verdreht:

»Der Geist ist etwas Andres als Ich. Dieses Andre aber, was ist's?« (p. 45.)

Jetzt fragt es sich also: Was ist der Geist anderes als Ich? während die ursprüngliche Frage war: Was ist der Geist durch seine Schöpfung aus Nichts anderes als er selbst? Hiermit springt Sankt Max in die nächste »Wandlung« über.[135]

40

Vgl. »Die heilige Familie oder Kritik der kritischen Kritik«, wo die früheren Heldentaten dieses Mannes Gottes bereits besungen worden sind.

Quelle:
Karl Marx, Friedrich Engels: Werke. Berlin 1958, Band 3, S. 131-136.
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