4. Die Neuen

[127] »Darum, ist jemand in Christo, so ist er eine neue Kreatur; das Alte ist vergangen, siehe, es ist Alles neu geworden.« (2. Cor[inther] 5, 17.) (p. 33.)[127]

Vermittelst dieses Bibelspruchs ist die alte Welt nun wirklich »vergangen«, oder, wie Sankt Max eigentlich sagen wollte, »alle jeworden«, und wir sind mit Einem Satze in die neue, christliche, jünglingshafte, mongolenhafte »Welt des Geistes« herübergesprungen. Wir werden auch diese in kürzester Frist »Alle werden« sehen.

»Wurde oben gesagt: ›Den Alten war die Welt eine Wahrheit‹, so müssen wir hier sagen: ›Den Neuen war der Geist eine Wahrheit‹, dürfen aber, wie dort, so hier, den wichtigen Zusatz nicht vergessen: ›eine Wahrheit, hinter deren Unwahrheit sie zu kommen suchten und endlich wirklich kamen‹.« p. 33.

Wenn wir keine Stirnerschen Konstruktionen machen wollen, »so müssen wir hier sagen«: Den Neuen war die Wahrheit ein Geist – nämlich der heilige Geist. Jacques le bonhomme faßt wieder die Neuen nicht in ihrem wirklichen historischen Zusammenhange mit der »Welt der Dinge«, die trotz ihres Allewerdens ja noch immer fortexistiert, sondern in ihrem theoretischen, und zwar religiösen, Verhalten; die Geschichte des Mittelalters und der neueren Zeit existiert für ihn wieder nur als Geschichte der Religion und Philosophie; alle Illusionen dieser Epochen und die philosophischen Illusionen über diese Illusionen werden treulich geglaubt. Nachdem Sankt Max so der Geschichte der Neuen dieselbe Wendung wie der der Alten gegeben hat, kann er in ihr dann leicht »einen ähnlichen Gang, wie ihn das Altertum genommen, nachweisen«, und ebenso rasch, wie er von der alten Philosophie auf die christliche Religion kam, von dieser auf die neuere deutsche Philosophie kommen. Er charakterisiert seine historische Illusion selbst p. 37, Indem er entdeckt, daß »die Alten nichts aufzuweisen haben als Weltweisheit«, und »die Neuen es niemals weiter als bis zur Gottesgelahrtheit brachten und bringen«, und die feierliche Frage aufwirft: »Hinter was suchten die Neuen zu kommen?« Die Alten wie die Neuen tun weiter Nichts in der Geschichte, als daß sie »hinter etwas zu kommen suchen«, die Alten hinter die Welt der Dinge, die Neuen hinter die Welt des Geistes. Die Alten werden am Ende »weltlos«, die Neuen werden »geistlos«, die Alten wollten Idealisten, die Neuen Realisten werden (p. 485), Beiden war es nur um das Göttliche zu tun (p. 488) – »die bisherige Geschichte« ist nur »die Geschichte des geistigen Menschen« (welcher Glaube!) p. 442 – kurz, wir haben hier wieder Kind und Jüngling, Neger und Mongole und wie die ganze Terminologie der »mancherlei Wandlungen« weiter heißt.

Dabei wird dann die spekulative Manier, die Kinder ihren Vater erzeugen und das Frühere durch das Spätere bewirken zu lassen, gläubig nachgeahmt. Die Christen müssen gleich von vornherein »hinter die Unwahrheit ihrer Wahrheit zu kommen suchen«, sie müssen sogleich verborgene Atheisten und[128] Kritiker sein, wie schon bei den Alten angedeutet wurde. Damit nicht zufrieden, gibt Sankt Max noch ein glänzendes Exempel seiner »Virtuosität im« (spekulativen) »Denken«, p. 230:

»Jetzt, nachdem der Liberalismus den Menschen proklamiert hat, kann man es aussprechen, daß damit nur die letzte Konsequenz des Christentums vollzogen wurde, und daß das Christentum sich von Haus aus keine andre Aufgabe stellte, als den Menschen – – – zu realisieren.«

Nachdem angeblich die letzte Konsequenz des Christentums vollzogen wurde, kann »Man« es aussprechen – daß sie vollzogen wurde. Sobald die Späteren das Frühere umgestaltet haben, »kann Man es aussprechen«, daß die Früheren »von Haus aus«, nämlich »in Wahrheit«, im Wesen, im Himmel, als verborgene Juden, »sich keine andere Aufgabe stellten«, als von den Späteren umgestaltet zu werden. Das Christentum ist für Jacques le bonhomme sich selbst setzendes Subjekt, der absolute Geist, der »von Haus aus« sein Ende als seinen Anfang setzt. Vgl. Hegels »Encycl[opädie]« etc.

»Daher« (nämlich weil man dem Christentum eine eingebildete Aufgabe unterlegen kann) »denn die Täuschung« (natürlich, vor Feuerbach konnte man nicht wissen, welche Aufgabe sich das Christentum »von Haus aus gestellt hatte«), »es lege das Christentum dem Ich einen unendlichen Wert bei, wie z.B. in der Unsterblichkeitslehre und Seelsorge an den Tag kommt. Nein, diesen Wert erteilt es allein dem Menschen, nur der Mensch ist unsterblich, und nur weil Ich Mensch bin, bin auch Ich's.«

Wenn auch schon aus der ganzen Stirnerschen Konstruktion und Aufgabenstellung klar genug hervorgeht, daß das Christentum nur »dem Menschen« Feuerbachs die Unsterblichkeit verleihen kann, so erfahren wir hier noch zum Überfluß, daß dies auch deshalb geschieht, weil das Christentum diese Unsterblichkeit – nicht auch den Tieren zuschreibt.

Konstruieren wir auch einmal à la Sankt Max.

»Jetzt, nachdem« der moderne, aus der Parzellierung hervorgegangene große Grundbesitz das Majorat faktisch »proklamiert hat, kann man es aussprechen, daß damit nur die letzte Konsequenz« der Parzellierung des Grundbesitzes »vollzogen wurde« »und daß« die Parzellierung »in Wahrheit sich von Haus aus keine andre Aufgabe stellte, als« das Majorat, das wahre Majorat »zu realisieren.« »Daher denn die Täuschung, es lege« die Parzellierung denn gleichen Rechte der Familienglieder »einen unendlichen Wert bei, wie z.B.« in dem Erbrecht des Code Napoléon »an den Tag kommt. Nein, diesen Wert erteilt sie allein« dem ältesten Sohne; »nur« der älteste Sohn, der zukünftige Majoratsherr, wird großer Grundbesitzer, »und nur weil Ich« ältester Sohn »bin, werde auch Ich's.«[129]

Auf diese Weise ist es unendlich leicht, der Geschichte »einzige« Wendungen zu geben. Indem man stets nur ihr allerneustes Resultat als »die Aufgabe« zu schildern hat, die »sie sich von Haus aus in Wahrheit stellte«. Dadurch treten die früheren Zeiten in einer bizarren und noch nie dagewesenen Gestalt auf. Das frappiert, ohne viele Produktionskosten zu machen. Z.B. wenn man sagt, die eigentliche »Aufgabe«, welche sich die Institution des Grundeigentums »von Haus aus stellte«, sei gewesen, Menschen durch Schafe zu verdrängen, eine Konsequenz, die in Schottland etc. neuerdings hervorgetreten sei; oder auch die Proklamation der Kapetinger habe sich »von Haus aus in Wahrheit die Aufgabe gestellt«, Ludwig XVI. auf die Guillotine und Herrn Guizot ins Ministerium zu bringen. Namentlich muß man dies in einer feierlichen, heiligen, priesterlichen Weise tun, tiefen Atem schöpfen und dann hervorplatzen: »Jetzt endlich kann Man es aussprechen.«

Was Sankt Max in dem vorliegenden Abschnitte p. 33 – 37 über die Neuen sagt, ist nur der Prolog der uns bevorstehenden Geistergeschichte. Wir sehen auch hier, wie er sich von den empirischen Tatsachen »nicht zeitig genug losmachen kann« und dieselben Parteien wie bei den Alten: Verstand, Herz, Geist, etc. wieder auftreten läßt – nur daß sie andere Namen erhalten. Aus den Sophisten werden sophistische Scholastiker, »Humanisten, Machiavellismus (Buchdruckerkunst, Neue Welt« etc., vgl. Hegel, »Geschichte der Philosophie«, III, p. 128), die den Verstand repräsentieren, Sokrates verwandelt sich in Luther, der das Herz proklamiert (Hegel, l. c. p. 227), und von der nachreformatorischen Zeit erfahren wir, daß es sich in ihr um die »leere Herzlichkeit« (die bei den Alten »Herzensreinheit« hieß, vgl. Hegel, l. c. p. 241) handelte. Alles das auf p. 34. Auf diese Weise »weist« der heilige Max »im Christentum einen ähnlichen Gang wie im Altertum nach«. Nach Luther gibt er sich nun gar nicht mehr die Mühe, seine Kategorien mit Namen zu bekleiden; mit Meilenstiefeln eilt er der neueren deutschen Philosophie zu – vier Appositionen (»bis Nichts als die leere Herzlichkeit übrigbleibt, die ganze allgemeine Menschenliebe, die Liebe des Menschen, das Freiheitsbewußtsein, das ›Selbst bewußtsein‹«, p. 34; Hegel, l. c. p. 228, 229), vier Worte füllen die Kluft zwischen Luther und Hegel aus, und »so erst ist das Christentum vollendet«. Diese ganze Entwicklung wird in einem meisterhaften Satze und mit Hebebäumen wie »endlich« – »und seitdem« – »indem man« –»auch« – »von Tag zu Tag« – »bis zuletzt« usw. fertiggebracht, einem Satze, den der Leser auf der erwähnten klassischen Seite 34 selbst nachsehen mag.

Zu guter Letzt gibt Sankt Max noch ein paar Proben seines Glaubens, indem er sich des Evangeliums so wenig schämt, daß er behauptet: »und[130] Geist sind wir doch allein wirklich« – und darauf besteht, daß »der Geist« am Ende der alten Welt »nach langem Mühen die Welt« wirklich »losgeworden ist« – und hiernächst noch einmal das Geheimnis seiner Konstruktion verrät, indem er von dem christlichen Geiste aussagt, daß er »wie ein Jüngling mit Weltverbesserungs- oder Welterlösungsplänen umgehe«. Alles p. 36.

»Und er brachte mich im Geist in die Wüste. Und ich sahe das Weib sitzen auf einem rosinfarbenen Tier, das war voll Namen der Lästerung –. Und an ihrer Stirn geschrieben den Namen, das Geheimnis, die große Babylon – – und ich sahe das Weib trunken von dem Blute der Heiligen pp.« Off[enbarung] Joh[annis] 17, v. 3, 5, 6.-

Der Apokalyptiker hat diesmal nicht genau geweissagt. Jetzt endlich, nachdem Stirner den Mann proklamiert hat, kann man es aussprechen, daß er so hätte sagen müssen: Und er brachte Mich in die Wüste des Geistes. Und Ich sahe den Mann sitzen auf einem rosinfarbenen Tier, das war voll Lästerung der Namen – – und an seiner Stirn geschrieben den Namen, das Geheimnis, den Einzigen – – und Ich sahe den Mann trunken von dem Blute des Heiligen etc.

Wir geraten also jetzt in die Wüste des Geistes.

Quelle:
Karl Marx, Friedrich Engels: Werke. Berlin 1958, Band 3, S. 127-131.
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