a) Hinrichs Nr. II. Die »Kritik« und »Feuerbach.« Verdammung der Philosophie

[97] Nach dem Ergebnis des ersten Feldzugs kann die absolute Kritik die »Philosophie« als abgemacht betrachten und gradezu als einen Bundesgenossen der »Masse« bezeichnen.

»Die Philosophen waren dazu prädestiniert, den Herzenswunsch der ›Masse‹ zu erfüllen.« »Die Masse will« nämlich »einfache Begriffe, um mit der Sache nichts zu tun zu haben, Schibboleths, um mit allem von vornherein fertig zu sein, Redensarten, um mit ihnen die Kritik zu vernichten.«

Und die »Philosophie« erfüllt dieses Gelüste der »Masse«!

Taumelnd von ihren Siegertaten bricht die absolute Kritik in eine pythische Raserei gegen die Philosophie aus. Der verborgene Feuerkessel, dessen Dämpfe das siegestrunkene Haupt der absoluten Kritik zur Raserei begeistern, ist Feuerbachs »Philosophie der Zukunft«, im Monat März hatte sie Feuerbachs Schrift gelesen. Die Frucht dieser Lektüre, zugleich das Kriterium des Ernstes, womit sie betrieben wurde, ist der Artikel Nr. II gegen den Prof. Hinrichs.

Die absolute Kritik, die nie aus dem Käfig der Hegelschen Anschauungsweise herausgekommen ist, tobt hier gegen die Eisenstange und Wände des Gefängnisses. Der »einfache Begriff«, die Terminologie, die ganze »Denkweise der Philosophie«, ja alle Philosophie wird mit Abscheu zurückgestoßen. An ihre Stelle treten plötzlich »der wirkliche Reichtum der menschlichen Verhältnisse«, der »ungeheure Inhalt der Geschichte«, »die Bedeutung des Menschen« etc. »Das Geheimnis des Systems« wird für »aufgedeckt« erklärt.[97]

Aber wer hat denn das Geheimnis des »Systems« aufgedeckt? Feuerbach. Wer hat die Dialektik der Begriffe, den Götterkrieg, den die Philosophen allein kannten, vernichtet? Feuerbach. Wer hat, zwar nicht »die Bedeutung des Menschen« – als ob der Mensch noch eine andere Bedeutung habe, als die, daß er Mensch ist! – aber doch »den Menschen« an die Stelle des alten Plunders, auch des »unendlichen Selbstbewußtseins«, gesetzt? Feuerbach und nur Feuerbach. Er hat noch mehr getan. Er hat dieselben Kategorien, womit die »Kritik« jetzt um sich wirft, den »wirklichen Reichtum der menschlichen Verhältnisse, den ungeheuren Inhalt der Geschichte, den Kampf der Geschichte, den Kampf der Masse mit dem Geist« etc. etc. längst vernichtet.

Nachdem der Mensch einmal als das Wesen, als die Basis aller menschlichen Tätigkeit und Zustände erkannt ist, kann nur noch die »Kritik« neue Kategorien erfinden und den Menschen selbst, wie sie es eben tut, wieder in eine Kategorie und in das Prinzip einer ganzen Kategorienreihe verwandeln, womit sie allerdings den letzten Rettungsweg einschlägt, der der geängsteten und verfolgten theologischen Unmenschlichkeit noch übrigblieb. Die Geschichte tut nichts, sie »besitzt keinen ungeheuren Reichtum«, sie »kämpft keine Kämpfe«! Es ist vielmehr der Mensch, der wirkliche, lebendige Mensch, der das alles tut, besitzt und kämpft; es ist nicht etwa die »Geschichte«, die den Menschen zum Mittel braucht, um ihre – als ob sie eine aparte Person wäre – Zwecke durchzuarbeiten, sondern sie ist nichts als die Tätigkeit des seine Zwecke verfolgenden Menschen. Wenn die absolute Kritik sich nach Feuerbachs genialen Entwickelungen noch untersteht, uns den ganzen alten Kram in neuer Gestalt wieder herzustellen, und zwar in demselben Augenblick, wo sie auf ihn als »massenhaften« Kram losschimpft, wozu sie um so weniger ein Recht hat, als sie zur Auflösung der Philosophie nie einen Finger rührte, so reicht diese einzige Tatsache hin, um das »Geheimnis« der Kritik zutage zu fördern, um die kritische Naivität zu würdigen, womit sie dem Prof. Hinrichs, dessen Ermattung ihr schon einmal einen so großen Dienst erwiesen, sagen kann:

»Den Schaden tragen diejenigen, die keine Entwickelung durchgemacht haben, also auch selbst wenn sie willen sich nicht ändern können, und wenn es hoch kommt, das neue Prinzip – doch nein! das Neue kam nicht einmal zur Redensart gemacht, es können ihn nicht einzelne Wendungen entlehnt werden.«

Die absolute Kritik brüstet sich dem Prof. Hinrichs gegenüber mit der Auflösung »des Geheimnisses der Fakultätswissenschaften.« Hat sie etwa das »Geheimnis« der Philosophie, der Jurisprudenz, der Politik, der Medizin,[98] der Nationalökonomie usw. aufgelöst? Keineswegs. Sie hat – man merke auf! – sie hat in der »Guten Sache der Freiheit« gezeigt, daß Brotstudium und freie Wissenschaft, Lehrfreiheit und Fakultäts-Statute sich widersprechen.

Wäre »die absolute Kritik« ehrlich, sie hätte gestanden, woher ihre angebliche Erleuchtung über das »Geheimnis der Philosophie« herstammt, obwohl es wieder gut ist, daß sie nicht, wie sie es andern Leuten getan hat, dem Feuerbach solchen Unsinn, wie die mißverstandenen und entstellten Sätze, die sie ihm abborgte, in den Mund legt. Bezeichnend ist es übrigens für den theologischen Standpunkt der »absoluten Kritik«, daß, während jetzt die deutschen Philister den Feuerbach zu verstehen und seine Resultate sich anzueignen beginnen, sie dagegen außerstande ist, einen einzigen Satz aus ihm richtig aufzufassen und geschickt zu benutzen.

Den wahren Fortschritt über ihre Taten des ersten Feldzugs vollbringt die Kritik, wenn sie den Kampf »der Masse« mit dem »Geist« als »das Ziel« der ganzen bisherigen Geschichte »bestimmt«, wenn sie »die Masse« für »das reine Nichts« der »Erbärmlichkeit« erklärt, wenn sie geradezu die Masse die »Materie« nennt und »den Geist« als das Wahre »der Materie« gegenüberstellt. Ist also die absolute Kritik nicht echt christlich-germanisch? Nachdem der alte Gegensatz des Spiritualismus und Materialismus nach allen Seiten hin ausgekämpft und von Feuerbach ein für allemal überwunden ist, macht »die Kritik« ihn wieder in der ekelhaftesten Form zum Grunddogma und läßt den »christlich-germanischen Geist« siegen.

Als eine Entwickelung ihres im ersten Feldzug noch versteckten Geheimnisses ist es endlich zu betrachten, wenn sie hier den Gegensatz von Geist und Masse mit dem Gegensatz »der Kritik« und der Masse identifiziert. Sie wird später dazu fortgehen, sich selbst mit »der Kritik« zu identifizieren und sich damit als »den Geist«, als das Absolute und Unendliche, die Masse dagegen als endlich, roh, brutal, tot und unorganisch – denn das versteht »die Kritik« unter Materie – hinzustellen.

Welch ungeheurer Reichtum der Geschichte, der in dem Verhältnis der Menschheit zu Herrn Bauer sich erschöpft!

Quelle:
Karl Marx, Friedrich Engels: Werke. Berlin 1957, Band 2, S. 97-99.
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