a) Selbstapologie der absoluten Kritik. Ihre »politische« Vergangenheit

[105] Die absolute Kritik beginnt ihren dritten Feldzug gegen die »Masss« mit der Frage:

»Was ist jetzt der Gegenstand der Kritik

In demselben Heft der »Literatur-Zeitung« finden wir die Belehrung:

»Daß die Kritik nichts will als die Dinge kennenlernen.«

Die Kritik hätte hiernach alle Dinge zum Gegenstande. Die Frage nach einem aparten, eigens für die Kritik bestimmten Gegenstand wäre sinnlos. Der Widerspruch löst sich einfach, wenn man bedenkt, daß alle Dinge in kritische Dinge und alle kritischen Dinge in die Masse, als den »Gegenstand« der absoluten Kritik, »zusammenfallen.«

Zunächst schildert Herr Bruno sein unendliches Erbarmen mit der »Masse.« Er macht »die Kluft, die ihn von der Menge scheidet«, zum Gegenstand eines »anhaltenden Studiums.« Er will »die Bedeutung dieser Kluft für die Zukunft kennenlernen« (eben dies ist das obenerwähnte Kennenlernen »aller« Dinge) und zugleich »sie aufheben.« Er kennt also in Wahrheit schon die Bedeutung jener Kluft. Sie besteht eben darin, von ihm aufgehoben zu werden.

Weil nun jeder sich selbst der Nächste ist, beschäftigt sich die »Kritik« zunächst damit, ihre eigene Massenhaftigkeit aufzuheben, gleich den christlichen Asketen, die den Feldzug des Geistes gegen das Fleisch mit der Abtötung ihres eigenen Fleisches beginnen. Das »Fleisch« der absoluten Kritik ist ihre wirklich massenhafte – 20 bis 30 Bände belaufende – literarische Vergangenheit. Herr Bauer muß daher die literarische Lebensgeschichte der »Kritik« – die genau mit seiner eigenen literarischen Lebensgeschichte zusammenfällt – von ihrem massenhaften Schein befreien, nachträglich verbessern und erläutern und durch diesen apologetischen Kommentar »ihre früheren Arbeiten sicherstellen.«

Er beginnt damit, den Irrtum der Masse, die bis zum Untergang der »Deutschen Jahrbücher« und der »Rheinischen Zeitung« Herrn Bauer für einen der Ihrigen hielt, aus einem doppelten Grunde zu erklären. Einmal beging man das Unrecht, daß man die literarische Bewegung nicht »rein als literarische« auffaßte. In demselben Moment beging man das umgekehrte Unrecht, die literarische Bewegung als »eine bloß« oder »rein« literarische[105] Bewegung aufzufassen. Daß die »Masse« jedenfalls im Unrecht war, schon darum, weil sie zwei sich wechselseitig ausschließende Irrtümer in demselben Augenblicke beging, unterliegt keinem Zweifel.

Bei dieser Gelegenheit ruft die absolute Kritik denen, welche die »deutsche Nation« als eine »Literatin« bespöttelt haben, zu:

»Nennt auch die einzige geschichtliche Epoche, die nicht von der ›Feder‹ gebieterisch vorgezeichnet war und ihre Erschütterung nicht mit einem Federstrich beschließen lassen mußte.«

Herr Bruno trennt in seiner kritischen Naivität »die Feder« vom schreibenden Subjekt und das schreibende Subjekt als »abstrakter Schreiber« von dem lebendigen geschichtlichen Menschen, welcher schrieb. Auf diese Weise vermag er sich über die wundertätige Kraft der »Feder« zu exaltieren. Er konnte ebensogut verlangen, man solle ihm eine geschichtliche Bewegung nennen, die nicht vom »Federvieh« und der »Gänsemagd« vorgezeichnet war.

Späterhin werden wir von demselben Herrn Bruno erfahren, daß bisher noch nicht eine, nicht eine einzige geschichtliche Epoche erkannt ist. Wie sollte die »Feder«, welche bisher »keine einzige« geschichtliche Epoche nachzuzeichnen wußte, imstande gewesen sein, sie alle vorzuzeichnen ?

Herr Bruno beweist nichtsdestoweniger die Richtigkeit seiner Ansicht durch die Tat, indem er selbst seine eigene »Vergangenheit« mit apologetischen »Federstrichen« sich »vorzeichnet.«

Die Kritik, welche nach allen Seiten hin nicht nur in die allgemeine Borniertheit der Welt, der Zeitepoche, sondern in ganz aparte, persönliche Borniertheiten verwickelt war, welche nichtsdestoweniger seit Menschengedenken in allen ihren Werken »absolute, vollendete, reine« Kritik zu sein beteuerte, hatte sich nur den Vorurteilen und dem Fassungsvermögen der Masse akkommodiert, wie Gott in seinen Offenbarungen an die Menschen zu tun pflegt.

»Es mußte«, berichtet die absolute Kritik, »zum Bruch der Theorie mit ihrem scheinbar Verbündeten kommen.«

Weil aber die Kritik – die hier zur Abwechslung einmal die Theorie heißt – zu nichts kommt, vielmehr alles von ihr kommt, weil sie nicht innerhalb, sondern außerhalb der Welt sich entwickelt und in ihrem göttlichen, sich stets gleichbleibenden Bewußtsein alles vorherbestimmt hat, so war auch der Bruch mit ihrem ehemaligen Verbündeten nur dem Schein nach, nur für andere, nicht an sich, nicht für sie selbst eine »neue Wendung.«

»Diese Wendung war aber nicht einmal ›eigentlich‹ neu. Die Theorie hatte beständig an der Kritik ihrer selbst gearbeitet« (man weiß, wie auf sie losgearbeitet worden[106] ist, um sie zur Kritik ihrer selbst zu treiben), »sie hatte der Masse nie geschmeichelt« (desto mehr sich selbst), »sie hatte sich immer davor gehütet, sich in die Voraussetzungen ihres Gegners zu verstricken.«

»Der christliche Theologe muß behutsam auftreten.« (»Entdecktes Christentum« von Bruno Bauer, p. 99.) Und wie kam es, daß die »behutsame« Kritik sich dennoch verstrickte und nicht schon damals deutlich und vernehmbar ihre »eigentliche« Meinung aussprach? Warum redete sie nicht frisch von der Leber weg? Warum ließ sie den Wahn der Geschwisterschaft mit der Masse bestehen?

»Warum hast du mir das getan? sagte Pharao zu Abraham, als er ihm sein Weib Sara zurückgab. Warum sprachest du denn, sie sei deine Schwester?« (»Entdeckt[es] Christ[entum]« von B. B[auer], p. 100.)

»Weg mit der Vernunft und Sprache! sagt der Theologe; dann wäre ja Abraham ein Lügner! Die Offenbarung wäre dann tödlich beleidigt!« (l. c.)

»Weg mit der Vernunft und Sprache!« sagt der Kritiker: wäre Herr Bauer wirklich und nicht nur zum Schein mit der Masse verstrickt gewesen, dann wäre ja die absolute Kritik in ihren Offenbarungen nicht absolut, also tödlich beleidigt!

»Man hatte«, fährt die absolute Kritik fort, »ihr« (der absoluten Kritik) »Bemühen nur nicht gemerkt, und es gab außerdem ein Stadium der Kritik, wo sie gezwungen war, sich auf die Voraussetzungen ihres Gegners aufrichtig einzulassen und sie für einen Augenblick ernst zu nehmen, kurz, wo sie noch nicht vollständig die Fähigkeit hatte, der Masse die Überzeugung zu nehmen, daß sie mit ihr eine Sache und ein Interesse habe.«

Man hatte das Bemühen der »Kritik« nur nicht bemerkt; also lag die Schuld auf Seite der Masse. Andrerseits gesteht die Kritik, daß man ihr Bemühen nicht merken konnte, weil sie selbst noch nicht die »Fähigkeit« besaß, es bemerkbar zu machen. Also scheint die Schuld auf Seite der Kritik.

Bewahre Gott! Die Kritik war »gezwungen« – es wurde ihr eine Gewalt angetan – »sich auf die Voraussetzungen ihres Gegners aufrichtig einzulassen und sie für einen Augenblick ernst zu nehmen.« Eine schöne Aufrichtigkeit, eine recht theologische Aufrichtigkeit, welcher es nicht wirklicher Ernst mit einer Sache ist, sondern welche sie nur »für einen Augenblick ernst nimmt«, welche sich immer, also jeden Augenblick, davor gehütet hat, sich in die Voraussetzungen ihres Gegners zu verstricken – und dennoch »für einen Augenblick« auf dieselben Voraussetzungen »aufrichtig« eingeht. Die »Aufrichtigkeit« wird noch vergrößert im Nachsatze. In demselben Augenblicke, wo die Kritik »aufrichtig auf die Voraussetzungen der Masse einging, war es auch«,[107] wo sie »noch nicht vollständig die Fähigkeit hatte«, die Illusion über die Einheit ihrer Sache und der massenhaften Sache zu zerstören. Sie hatte noch nicht die Fähigkeit, aber sie hatte schon den Willen und den Gedanken. Sie konnte noch nicht äußerlich mit der Masse brechen, aber der Bruch war schon in ihrem Innern, in ihrem Gemüte vollzogen, vollzogen in demselben Moment, wo sie aufrichtig mit der Masse sympathisierte!

Die Kritik, in ihrer Verwickelung mit den Vorurteilen der Masse, war nicht wirklich in dieselben verwickelt; sie war vielmehr eigentlich frei von ihrer eignen Beschränktheit und besaß nur »noch nicht vollständig« die »Fähigkeit«, dies der Masse kundzutun. Die ganze Beschränktheit »der Kritik« war also purer Schein, ein Schein, der ohne die Beschränktheit der Masse überflüssig und also gar nicht vorhanden gewesen wäre. Die Schuld liegt also wieder auf den Schultern der Masse.

Insofern dieser Schein indessen durch »die Unfähigkeit«, durch die »Impotenz.« der Kritik, sich auszusprechen, unterstützt wurde, war die Kritik selbst unvollkommen. Sie gesteht dies in der ihr eigentümlichen, ebenso aufrichtigen als apologetischen Weise.

»Trotzdem daß sie« (die Kritik) »den Liberalismus selbst einer auflösenden Kritik unterwarf, durfte man sie noch für eine besondere Art desselben, vielleicht für seine extreme Durchführung halten; trotzdem daß ihre wahren und entscheidenden Entwicklungen über die Politik hinausgingen, mußte sie doch noch dem Schein verfallen, daß sie politisiere, und dieser unvollkommene Schein hatte ihr die meisten ihrer oben bezeichneten Freunde gewonnen.«

Die Kritik hatte ihre Freunde durch den unvollkommnen Schein, als politisiere sie, gewonnen. Hätte sie vollkommen zu politisieren geschienen, so hätte sie die politischen Freunde unfehlbar verloren. In ihrer apologetischen Angst, sich von aller Sünde loszuwaschen, klagt sie den falschen Schein an, ein unvollkommner und kein vollkommner falscher Schein gewesen zu sein. Einen Schein für den andern, kann sich »die Kritik« damit vertrösten, daß, wenn sie den »vollkommnen Schein« besaß, politisieren zu wollen, sie dagegen auch nicht einmal den »unvollkommnen Schein« besitzt, irgendwo und irgendwann die Politik aufgelöst zu haben.

Die absolute Kritik, nicht vollständig befriedigt von dem »unvollkommnen Schein«, fragt sich noch einmal:

»Wie kam es, daß die Kritik damals in die ›massenhaften, politischen‹ Interessen hineingezogen wurde, daß sie – sogar! – politisieren! – mußte!«

Dem Theologen Bauer versteht es sich ganz von selbst, daß die Kritik unendlich lang spekulative Theologie treiben mußte, denn er, die »Kritik«, ist[108] ja Theologe ex professo. Aber politisieren? Das muß durch ganz besondere, politische, persönliche Umstände motiviert sein!

Warum mußte also die »Kritik« sogar politisieren? »Sie war angeklagt – damit ist die Frage beantwortet.« Wenigstens ist damit das »Geheimnis« der »Bauerschen Politik« enthüllt, und man wird den Schein, der in der »Guten Sache der Freiheit und meiner eignen Sache«, von Bruno Bauer an die massenhafte »Sache der Freiheit« die »eigne Sache« durch ein »und« anschließt, wenigstens nicht unpolitisch nennen. Wenn aber die Kritik ihre »eigne Sache« nicht im Interesse der Politik, sondern die Politik im Interesse ihrer eignen Sache betrieb, so muß zugegeben werden, daß nicht die Kritik von der Politik, sondern vielmehr die Politik von der Kritik angeführt wurde.

Bruno Bauer also sollte von seinem theologischen Lehrstuhl entfernt werden: er war angeklagt; die »Kritik« mußte politisieren, d.h. »ihren«, d.h. Bruno Bauers Prozeß führen. Herr Bauer führte nicht den Prozeß der Kritik, die »Kritik« führte den Prozeß des Herrn Bauer. Warum mußte »die Kritik« ihren Prozeß führen?

»Um sich zu verantworten!« Wohl auch; allein die »Kritik« ist weit entfernt, sich auf einen so persönlichen, profanen Grund zu beschränken. Wohl auch; aber nicht allein deswegen, »sondern hauptsächlich, um die Widersprüche ihrer Gegner zu entwickeln«, und, konnte die Kritik hinzufügen, um überdem alte Aufsätze gegen verschiedene Theologen – siehe u. a. die weltläufige Zänkerei mit Planck, diese Familienangelegenheit zwischen der Theologie-Bauer und der Theologie-Strauß – in ein Buch binden zu lassen.

Nachdem die absolute Kritik durch das Geständnis über das wahre Interesse ihrer »Politik« ihr Herz erleichtert hat, kaut sie abermals, bei der Erinnerung an ihren »Prozeß«, den alten Hegelschen (siehe in der »Phänomenologie« den Kampf der Aufklärung und des Glaubens, siehe die ganze »Phänomenologie«), in der »Guten Sache der Freiheit« schon weitläufig wiedergekauten Kohl wieder, daß »das Alte, welches sich dem Neuen widersetzt, nicht mehr wirklich das Alte ist.« Die kritische Kritik ist ein wiederkäuendes Tier. Einige abgefallene Hegelsche Brocken wie der oben erwähnte Satz vom »Alten« und »Neuen« oder auch wie »die Entwicklung des Extrems aus seinem gegenteiligen Extrem« u. dgl. werden unaufhörlich aufgewärmt, ohne daß sie jemals auch nur das Bedürfnis empfände, sich mit der »spekulativen Dialektik« anders als durch die Ermattung des Prof. Hinrichs auseinanderzusetzen. Dagegen geht sie aber beständig »kritisch« über Hegel hinaus, indem sie ihn wiederholt, zum Beispiel:

[109] »Indem die Kritik auftritt und der Forschung eine neue Form, d.h. die Form gibt, die sich nicht mehr zu einer äußern Begrenzung umwandeln läßt« etc.

Wenn ich etwas umwandle, mache ich es zu einem wesentlich andern. Da eine jede Form nun auch eine »äußere Begrenzung« ist, so »läßt« sich keine Form in eine »äußere Begrenzung« umwandeln, so wenig als sich ein Apfel in einen Apfel »umwandeln« läßt. Die Form allerdings, welche »die Kritik« der Forschung gibt, läßt sich aus einem andern Grunde in keine »äußere Begrenzung« umwandeln. Über jede »äußere Begrenzung« hinaus, ist sie ein Verschwimmen im aschgrauen, dunkelblauen Dunst des Unsinns.

»Er« (der Kampf des Alten und Neuen) »wäre aber auch da« (nämlich im Augenblicke, wo die Kritik der Forschung »die neue Form gibt«) – »nicht einmal möglich, wenn das Alte die Frage nach der Verträglichkeit oder Unverträglichkeit... theoretisch behandelte.«

Warum behandelt das Alte diese Frage nun nicht theoretisch? Weil »dies ihm aber im Anfang am wenigsten möglich ist, da es im Augenblick der Überraschung«, d.h. im Anfang, »weder sich noch das Neue kennt«, d.h. weder sich noch das Neue theoretisch behandelt. Nicht einmal möglich, wenn die »Unmöglichkeit« leider nicht unmöglich wäre!

Wenn der »Kritiker« der theologischen Fakultät weiter »gesteht, daß er absichtlich gefehlt, mit freiem Vorbedacht und nach reiflicher Überlegung den Irrtum begangen« – alles, was die Kritik erlebt, erfahren, getan hat, wandelt sich ihr in ein freies, reines, beabsichtigtes Produkt ihrer Reflexion um –, so hat dies Geständnis des Kritikers nur einen »unvollkommnen Schein« von Wahrheit. Da die »Kritik der Synoptiker« durch und durch auf theologischem Grund und Boden steht, da sie durchaus theologische Kritik ist, so konnte Herr Bauer, der Privatdozent der Theologie, sie schreiben und lehren, »ohne Fehl und Irrtum« zu begehen. Der Fehler und der Irrtum waren vielmehr auf Seite der theologischen Fakultäten, welche nicht einsahen, wie streng Herr Bauer sein Versprechen gehalten hatte, sein in der »Krit[ik] d[er] Synopt[iker]«, Bd. I., Vorrede, p. XXIII gegebenes Versprechen.

»Wenn die Negation auch in diesem ersten Bande noch zu kühn und weitgreifend erscheinen möchte, so erinnern wir daran, daß das wahrhaft Positive erst dann geboren werden kann, wenn die Negation ernstlich und allgemein war... Am Ende wird sich zeigen, daß erst die verzehrendste Kritik der Welt die schöpferische Kraft Jesu und seines Prinzips lehren wird.«

Herr Bauer trennt absichtlich den Herrn »Jesum« und sein »Prinzip«, um den positiven Sinn seines Versprechens über jeden Schein der Zweideutigkeit[110] zu erheben. Und Herr Bauer hat wirklich die »schöpferische« Kraft des Herrn Jesus und seines Prinzips so augenfällig gelehrt, daß sein »unendliches Selbstbewußtsein« und der »Geist« nichts anderes als christliche Geschöpfe sind.

So sehr der Streit der kritischen Kritik mit der theologischen Fakultät zu Bonn ihre damalige »Politik« erklärt, warum fuhr sie fort, nach der Entscheidung dieses Streits zu politisieren? Man höre:

»An diesem Punkte hätte ›die Kritik‹ entweder stehenbleiben oder sogleich weiter vorschreiten, das politische Wesen untersuchen und als ihren Gegner darstellen sollen – wenn es nur möglich gewesen wäre, daß sie im damaligen Kampfe hätte stehenbleiben können, und wenn es nur auf der andern Seite nicht ein gar zu strenges geschichtliches Gesetz wäre, daß ein Prinzip, indem es sich mit seinem Gegensatze zum erstenmal mißt, sich von ihm herabdrücken lassen... muß.«

Köstliche apologetische Phrase! »Die Kritik hätte stehnbleiben sollen«, wenn es nur möglich gewesen wäre... »stehnbleiben zu können«! Wer »soll« stehenbleiben? Und wer hätte sollen, was nicht »möglich gewesen wäre... zu können«? Andrerseits! Die Kritik hätte vorschreiten sollen, »wenn es nur auf der andern Seite nicht ein gar zu strenges, geschichtliches Gesetz wäre etc.« Die geschichtlichen Gesetze sind gegen die absolute Kritik auch »gar zu streng« ! Ständen sie nur nicht auf einer andern Seite als die kritische Kritik, wie glänzend würde sie weiter vorschreiten! Aber à la guerre comme à la guerre! In der Geschichte muß sie eine traurige »Geschichte« aus sich machen lassen!

»Wenn die Kritik« (immer Herr Bauer) »... mußte, so wird man doch zugleich zugeben, daß sie sich immer unsicher fühlte, wenn sie sich auf Forderungen dieser« (politischen) »Art einließ, und daß sie durch diese Forderungen mit ihren wahren Elementen in einen Widerspruch trat, der in jenen Elementen bereits seine Auflösung gefunden hatte.«

Die Kritik war durch die allzustrengen Gesetze der Geschichte zu politischen Schwächen gezwungen worden, aber – fleht sie – man wird doch zugleich zugeben, daß sie, wenn auch nicht wirklich, doch an sich über jene Schwächen erhaben war. Einmal hatte sie dieselben »im Gefühl« überwunden, denn »sie fühlte sich immer unsicher in ihren Forderungen«, es war ihr in der Politik übel zumute, sie wußte nicht, wie ihr war. Noch mehr! Sie trat mit ihren wahren Elementen in Widerspruch. Endlich das Allergrößeste! Der Widerspruch, in den sie mit ihren wahren Elementen trat, fand seine Auflösung nicht im Lauf ihrer Entwicklung, sondern »hatte« vielmehr »bereits« in ihren unabhängig von dem Widerspruch existierenden wahren Elementen[111] seine Auflösung gefunden! Diese kritischen Elemente dürfen von sich rühmen: Ehe denn Abraham war, waren wir. Ehe die Entwicklung den Gegensatz zu uns erzeugte, lag der ungeborne in unserem chaotischen Schoß aufgelöst, gestorben, verdorben. Da nun in den wahren Elementen der Kritik ihr Widerspruch gegen ihre wahren Elemente »bereits seine Auflösung gefunden hatte«, da aber ein aufgelöster Widerspruch kein Widerspruch ist, befand sie sich also, genau zu reden, in keinem Widerspruch mit ihren wahren Elementen, in keinem Widerspruch mit sich selbst, und – der allgemeine Zweck der Selbstapologie wäre erreicht.

Die Selbstapologie der absoluten Kritik verfügt über ein ganzes apologetisches Wörterbuch:

»nicht einmal eigentlich«, »nur nicht gemerkt«, »es gab außerdem«, »noch nicht vollständig«, »trotzdem – dennoch«, »nicht nur – sondern hauptsächlich«, »ebensosehr eigentlich erst«, »die Kritik hätte sollen, wenn es nur möglich gewesen wäre und wenn es auf der andern Seite...«, »wenn... so wird man doch zugleich zugeben«, »war es nun nicht natürlich, war es nicht unvermeidlich«, »auch nicht« etc.

Vor nicht gar zu langer Zeit äußerte sich die absolute Kritik über ähnliche apologetische Wendungen wie folgt:

»›Obgleich‹ und ›dennoch‹, ›zwar‹ und ›aber‹, ein himmlisches Nein und ein irdisches Ja sind die Grundsäulen der neueren Theologie, die Stelzen, auf denen sie einherschreitet, der Kunstgriff, auf den sich ihre ganze Weisheit beschränkt, die Wendung, die in allen ihren Wendungen wiederkehrt, ihr A und O.« (»Entdeckt[es] Christ[entum]« p. 102.)

Quelle:
Karl Marx, Friedrich Engels: Werke. Berlin 1957, Band 2, S. 105-112.
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