f) Der spekulative Kreislauf der absoluten Kritik und die Philosophie des Selbstbewußtseins

[144] Die Kritik, weil sie sich auf einem Gebiete angeblich vollendet und rein durchgeführt hatte, beging also nur ein Versehn, »nur« eine »Inkonsequenz«, wenn sie nicht auf allen Gebieten der Welt »rein« und »vollendet« war. Das »eine« kritische Gebiet ist kein anderes als das Gebiet der Theologie. Die reine Gegend dieses Gebiets erstreckt sich von der »Kritik der Synoptiker« von Bruno Bauer bis zum »Entdeckten Christentum« von Bruno Bauer als der äußersten Grenzfeste.

»Mit dem Spinozismus«, heißt es, »war die neuere Kritik endlich ins reine gekommen; es war also eine Inkonsequenz, wenn sie – war es auch nur an einzelnen falsch auslaufenden Punkten – die Substanz auf einem Gebiet unbefangen voraussetzt.«

Wurde vorhin das Geständnis von der Verwicklung der Kritik in politische Vorurteile sogleich dahin gemildert, daß diese Verwicklung »im Grunde [144] so locker!« gewesen sei, so wird hier das Geständnis der Inkonsequenz temperiert durch das Einschiebsel, daß sie nur an einzelnen, falsch auslaufenden Punkten begangen wurde. Die Schuld lag nicht an Herrn Bauer, sondern an den falschen Punkten, welche, wie widerspenstige Gäule, mit der Kritik durchliefen.

Einige Zitate werden zeigen, daß die Kritik durch die Überwindung des Spinozismus zum Hegelschen Idealismus, von der »Substanz« zu einem andern metaphysischen Ungeheuer, zu dem »Subjekt«, der »Substanz als Prozeß«, dem »unendlichen Selbstbewußtsein« kam und daß das schließliche Resultat der »vollendeten« und »reinen« Kritik die Wiederherstellung der christlichen Kreationstheorie in spekulativer. Hegelscher Form ist.

Schlagen wir zunächst die »Kritik der Synoptiker« auf: »Strauß bleibt dem

Standpunkt getreu, welchem die Substanz das Absolute ist. Die Überlieferung in dieser Form der Allgemeinheit, welche noch nicht die wirkliche und vernünftige Bestimmtheit der Allgemeinheit erreicht hat, die nämlich nur im Selbstbewußtsein, in dessen Einzelheit und Unendlichkeit zu erreichen ist, ist nichts als die Substanz, die aus ihrer logischen Einfachheit herausgetreten und als die Macht der Gemeinde eine bestimmte Form der Existenz angenommen hat.« (»Kritik der Synopt[iker].« Bd. I, Vorrede, p. VI [-VII].)

Überlassen wir »die Allgemeinheit, welche eine Bestimmtheit erreicht«, die »Einzelnheit und Unendlichkeit« – den Hegelschen Begriff – ihrem Schicksal. – Statt zu sagen, daß die Anschauung, welche in der Straußischen Theorie von der »Macht der Gemeinde« und der »Tradition« durchgeführt wird, ihren abstrakten Ausdruck, ihre logisch-metaphysische Hieroglyphe in der spinozistischen Vorstellung der Substanz besitzt, läßt Herr Bauer »die Substanz aus ihrer logischen Einfachheit heraustreten und in der Macht der Gemeinde eine bestimmte Form der Existenz annehmen.« Er wendet den Hegelschen Wunderapparat an, welcher die »metaphysischen Kategorien« – die aus der Wirklichkeit extrahierten Abstraktionen – aus der Logik, wo sie in die »Einfachheit« des Gedankens aufgelöst sind, herausspringen und »eine bestimmte Form« der physischen oder menschlichen Existenz annehmen, sich inkarnieren läßt. Hinrichs hilf!

»Mysteriös«, fährt die Kritik gegen Strauß fort, »mysteriös ist diese Ansicht, weil sie in jedem Augenblicke, wenn sie den Prozeß, welchem die evangelische Geschichte ihren Ursprung verdankt, erklären und zur Anschauung bringen will, immer nur den Schein eines Prozesses hervorbringen kann [...] Der Satz: ›Die evangelische Geschichte habe in der Tradition ihre Quelle und ihren Ursprung‹, setzt zweimal dasselbe: ›die Tradition‹ und die ›evangelische Geschichte‹, setzt beide allerdings auch in Verhältnis, aber sagt uns nicht, welchem innern Prozeß der Substanz die Entwicklung und Auslegung ihren Ursprung verdanke.«[145]

Nach Hegel ist die Substanz als innerer Prozeß zu fassen. Die Entwicklung von dem Standpunkt der Substanz charakterisiert er wie folgt:

»Näher diese Ausbreitung betrachtet, so zeigt sie sich nicht dadurch zustande gekommen, daß ein und dasselbe sich verschieden gestaltet hätte, sondern sie ist die gestaltlose Wiederholung des einen und desselben, das nur... einen langweiligen Schein von Verschiedenheit enthält.« (»Phänomenologie«, Vorrede, p. 12.)

Hinrichs hilf!

Herr Bauer fährt fort:

»Die Kritik hat sich demnach gegen sich selbst zu richten und die mysteriöse Substantialität... dahin aufzulösen, wohin die Entwicklung der Substanz selber treibt, zur Allgemeinheit und Bestimmtheit der Idee und zu deren wirklicher Existenz, dem unendlichen Selbstbewußtsein

Die Kritik Hegels gegen den Substantialitätsstandpunkt fährt fort:

»Die Verschlossenheit der Substanz ist aufzuschließen und diese zum Selbstbewußtsein zu erheben.« (l. c., p. 7.)

Auch bei Bauer ist das Selbstbewußtsein die zum Selbstbewußtsein erhobne Substanz oder das Selbstbewußtsein als die Substanz, das Selbstbewußtsein ist aus einem Prädikate des Menschen in ein selbständiges Subjekt verwandelt. Es ist die metaphysisch-theologische Karikatur des Menschen in seiner Trennung von der Natur. Das Wesen dieses Selbstbewußtseins ist daher nicht der Mensch, sondern die Idee, deren wirkliche Existenz es ist. Es ist die menschgewordne Idee und darum auch unendlich. Alle menschlichen Eigenschaften verwandeln sich daher mysteriöserweise in Eigenschaften des imaginären »unendlichen Selbstbewußtseins.« Herr Bauer sagt daher ausdrücklich von diesem »unendlichen Selbstbewußtsein«, daß alles in ihm seinen Ursprung und seine Erklärung, d.h. seinen Existentialgrund finde. Hinrichs hilf!

Herr Bauer fährt fort:

»Die Kraft des Substantialitätsverhältnisses liegt in seinem Triebe, der uns zum Begriff, zur Idee und zum Selbstbewußtsein führt.«

Hegel sagt:

»So ist der Begriff die Wahrheit der Substanz.« »Der Übergang des Substantialitätsverhältnisses geschieht durch seine eigne immanente Notwendigkeit und ist weiter nichts, als daß der Begriff ihre Wahrheit ist.« »Die Idee ist der adäquate Begriff.« »Der Begriff... zur freien Existenz gediehen... ist nichts anders als das Ich oder das reine Selbstbewußtsein.« (»Logik«, Hegels Werke, 2. Auflage, 5. Band, p. 6, 9, 229. 13.)

Hinrichs hilf![146]

Hochkomisch erscheint es, wenn Herr Bauer in seiner »Literatur-Zeitung« noch sagt:

»Schon Strauß verfiel, weil er die Kritik des Hegelschen Systems nicht zu vollenden vermochte, wenn er auch durch seine halbe Kritik die Notwendigkeit ihrer Vollendung bewies« etc.

Nicht die vollendete Kritik des Hegelschen Systems, sondern höchstens die Vollendung des Hegelschen Systems, wenigstens in ihrer Anwendung auf die Theologie, glaubte Herr Bauer selbst in seiner »Kritik der Synoptiker« zu geben.

Er bezeichnet seine Kritik (Vorrede der »Synopt[iker]«, p. XXI) als »letzte Tat eines bestimmten Systems«, welches kein anderes System als das Hegelsche ist.

Der Kampf zwischen Strauß und Bauer über die Substanz und das Selbstbewußtsein ist ein Kampf innerhalb der Hegelschen Spekulationen. In Hegel sind drei Elemente, die spinozistische Substanz, das Fichtesche Selbstbewußtsein, die Hegelsche notwendig-widerspruchsvolle Einheit von beiden, der absolute Geist. Das erste Element ist die metaphysisch travestierte Natur in der Trennung vom Menschen, das zweite ist der metaphysisch travestierte Geist in der Trennung von der Natur, das dritte ist die metaphysisch travestierte Einheit von beiden, der wirkliche Mensch und die wirkliche Menschengattung.

Strauß führt den Hegel auf spinozistischem Standpunkt, Bauer den Hegel auf Fichteschem Standpunkt innerhalb des theologischen Gebietes konsequent durch. Beide kritisierten Hegel, insofern bei ihm jedes der beiden Elemente durch das andere verfälscht wird, während sie jedes derselben zu seiner einseitigen, also konsequenten Ausführung entwickelten. – Beide gehn daher in ihrer Kritik über Hegel hinaus, aber beide bleiben auch innerhalb seiner Spekulation stehen und repräsentieren jeder nur eine Seite seines Systems. Erst Feuerbach, der den Hegel auf Hegelschem Standpunkt vollendete und kritisierte, indem er den metaphysischen absoluten Geist in den »wirklichen Menschen auf der Grundlage der Natur« auflöste, vollendete die Kritik der Religion, indem er zugleich zur Kritik der Hegelschen Spekulation und daher aller Metaphysik die großen und meisterhaften Grundzüge entwarf.

Bei Herrn Bauer ist es zwar nicht mehr der heilige Geist, aber es ist das unendliche Selbstbewußtsein, welches dem Evangelisten in die Feder diktiert.

»Wir dürfen kein Hehl mehr haben, daß die richtige Auffassung der evangelischen Geschichte auch ihre philosophischen Grundlagen habe, nämlich an der Philosophie des Selbstbewußtseins.« (Bruno Bauer, »Krit[ik] der Synopt[iker]«, Vorrede, P. XV.)[147]

Diese Bauersche Philosophie des Selbstbewußtseins, wie die Resultate, welche Herr Bauer aus seiner Kritik der Theologie gewann, sollen durch einige Auszüge aus dem »Entdeckten Christentum«, seiner letzten religions-philosophischen Schrift, charakterisiert werden.

Am angeführten Ort heißt es über die französischen Materialisten:

»Wenn die Wahrheit des Materialismus, die Philosophie des Selbstbewußtseins aufgefunden, und das Selbstbewußtsein als das All, als die Lösung des Rätsels der spinozistischen Substanz und als die wahrhafte causa sui erkannt ist... wozu ist der Geist da? Wozu das Selbstbewußtsein ? Als ob nicht das Selbstbewußtsein, indem es die Welt, den Unterschied setzt, und in dem, was es hervorbringt, sich selbst hervorbringt, da es den Unterschied des Hervorgebrachten von ihm selbst wieder aufhebt, da es also nur [im Hervorbringen und] in der Bewegung es selber ist – als ob es nicht in dieser Bewegung, die es selber ist, seinen Zweck hätte und sich selbst erst besäße!« (»Entdeckt[es] Christ[entum]«, p. 113.)

»Die französischen Materialisten haben die Bewegungen des Selbstbewußtseins allerdings als die Bewegungen des allgemeinen Wesens, der Materie, gefaßt, aber noch nicht sehen können, daß die Bewegung des Universums erst als die Bewegung des Selbstbewußtseins wirklich für sich geworden und zur Einheit mit ihr selbst zusammengegangen ist.« (I.c., p. [l 14-] 115.)

Hinrichs hilf!

Der erste Satz heißt zu deutsch: Die Wahrheit des Materialismus ist das Gegenteil des Materialismus, der absolute, d.h. ausschließliche, überschwengliche Idealismus. Das Selbstbewußtsein, der Geist ist das All. Außer ihm ist nichts. »Das Selbstbewußtsein«, »der Geist« ist der allmächtige Schöpfer der Welt, des Himmels und der Erde. Die Welt ist eine Lebensäußerung des Selbstbewußtseins, das sich entäußern und Knechtsgestalt annehmen muß, aber der Unterschied der Welt vom Selbstbewußtsein ist nur ein Scheinunterschied. Das Selbstbewußtsein unterscheidet nichts Wirkliches von sich. Die Welt ist vielmehr nur eine metaphysische Distinktion, ein Gespinst seines ätherischen Gehirns und eine Einbildung desselben. Es hebt daher den Schein, als wenn etwas außer ihm existiere, den es für einen Augenblick konzessioniert hat, wieder auf und erkennt in seinem »Hervorgebrachten« keinen realen, also keinen realiter sich von ihm unterscheidenden Gegenstand an. Durch diese Bewegung aber bringt das Selbstbewußtsein sich erst als absolut hervor, denn der absolute Idealist muß notwendig, um absoluter Idealist zu sein, beständig den sophistischen Prozeß durchmachen, [er hat] erst die Welt außer ihm in ein Scheinwesen, in einen bloßen Einfall seines Gehirns zu verwandeln und hinterher diese Phantasiegestalt für das, was sie ist, für eine[148] bloße Phantasie zu erklären, um schließlich sein alleiniges, ausschließliches, auch nicht mehr von dem Schein einer Außenwelt geniertes Dasein proklamieren zu können.

Der zweite Satz heißt zu deutsch: Die französischen Materialisten haben allerdings die Bewegungen der Materie als geistvolle Bewegungen gefaßt, aber sie haben noch nicht sehen können, daß sie keine materiellen, sondern ideelle Bewegungen, Bewegungen des Selbstbewußtseins, also pure Gedankenbewegungen sind. Sie haben noch nicht sehn können, daß die wirkliche Bewegung des Universums erst als die von der Materie, d.h. von der Wirklichkeit freie und befreite ideale Bewegung des Selbstbewußtseins wahrhaft und wirklich geworden ist, d.h. daß eine von der Idealen Hirnbewegung unterschiedne materielle Bewegung nur zum Schein existiert. Hinrichs hilf!

Diese spekulative Kreationstheorie findet man fast wörtlich bei Hegel; und man kann sie schon in seinem ersten Werke, in seiner »Phänomenologie«, finden.

»Die Entäußerung des Selbstbewußtseins ist es, welche die Dingheit setzt... In dieser Entäußerung setzt es sich als Gegenstand oder den Gegenstand als sich selbst. Andrerseits liegt hierin zugleich dies andre Moment, daß es diese Entäußerung und Gegenständlichkeit ebensosehr aufgehoben und in sich zurückgenommen hat... Dieses ist die Bewegung des Bewußtseins.« (Heg[el], »Phänomen[ologie]«, p. 1574-1573.)

»Das Selbstbewußtsein hat einen Inhalt, den es von sich unterscheidet... Dieser Inhalt ist in seinem Unterschiede selbst das Ich, denn er ist die Bewegung des Sich-selbst-Aufhebens... Dieser Inhalt, bestimmter angegeben, ist nichts anderes als die soeben ausgesprochene Bewegung selbst; denn er ist der Geist, der sich selbst und zwar für sich als Geist durchläuft.« (l. c., p. [582-]583.)

In bezug auf diese Kreationstheorie Hegels bemerkt Feuerbach:

»Die Materie ist die Selbstentäußerung des Geistes. Damit bekommt die Materie selbst Geist und Verstand – zugleich ist sie aber doch wieder als ein nichtiges, unwahres Wesen gesetzt, indem erst das aus dieser Entäußerung sich herstellende, d.h. die Materie, die Sinnlichkeit von sich abstreifende Wesen als das Wesen in seiner Vollendung, in seiner wahren Gestalt und Form ausgesprochen wird. Das Natürliche, Materielle, Sinnliche ist also auch hier das zu Negierende, wie in der Theologie die durch die Erbsünde vergiftete Natur.« (»Philosophie der Zukunft«, p. 35.)

Herr Bauer verteidigt also den Materialismus gegen die unkritische Theologie, indem er ihm zugleich vorwirft, »noch nicht« kritische Theologie, Verstandestheologie, Hegelsche Spekulation zu sein. Hinrichs! Hinrichs!

Herr Bauer, der nun auf allen Gebieten seinen Gegensatz gegen die Substanz, seine Philosophie des Selbstbewußtseins oder des Geistes durchführt,[149] muß daher auf allen Gebieten nur mit seinen eignen Hirngespinsten zu tun haben. Die Kritik ist in seiner Hand das Instrument, um alles, was außer dem unendlichen Selbstbewußtsein noch eine endliche materielle Existenz behauptet, in bloßen Schein und in reine Gedanken zu sublimieren. Er bekämpft in der Substanz nicht die metaphysische Illusion, sondern den weltlichen Kern – die Natur, die Natur sowohl wie sie außer dem Menschen existiert, als wie sie seine eigne Natur ist. Auf keinem Gebiete die Substanz voraussetzen – er spricht noch in dieser Sprache – heißt ihm also: kein vom Denken unterschiedenes Sein, keine von der geistigen Spontaneität unterschiedene Naturenergie, keine vom Verstand unterschiedene menschliche Wesenskraft, kein von der Tätigkeit unterschiedenes Leiden, keine von der eignen Wirkung unterschiedene Einwirkung von andern, kein vom Wissen unterschiedenes Fühlen und Wollen, kein vom Kopf unterschiedenes Herz, kein vom Subjekt unterschiedenes Objekt, keine von der Theorie unterschiedene Praxis, keinen vom Kritiker unterschiedenen Menschen, keine von der abstrakten Allgemeinheit unterschiedene wirkliche Gemeinschaft, kein vom Ich unterschiedenes Da anerkennen. Es ist daher konsequent, wenn Herr Bauer dazu fortgeht, sich selbst mit dem unendlichen Selbstbewußtsein, mit dem Geist zu identifizieren, d.h. an die Stelle dieser seiner Geschöpfe ihren Schöpfer zu setzen. Es ist ebenso konsequent, die übrige Welt, welche eigensinnig darauf beharrt, etwas von seinem Hervorgebrachten Unterschiedenes zu sein, als halsstarrige Masse und Materie zu verwerfen. Und nun, so hofft er,


dauert es nicht lange,

und mit den Körpern wird's zugrunde gehn.


Seine eigne Verstimmung, bisher dem


Etwas dieser plumpen Welt


nicht beikommen zu können, konstruiert er sich ebenfalls konsequent als Selbstverstimmung dieser Welt, und die Empörung seiner Kritik über die Entwickelung der Menschheit als massenhafte Empörung der Menschheit gegen seine Kritik, gegen den Geist, gegen Herrn Bruno Bauer und Konsorten.

Herr Bauer war ein Theologe von Urbeginn an, aber kein gewöhnlicher, sondern ein kritischer Theologe oder theologischer Kritiker. Schon als das äußerste Extrem der althegelschen Orthodoxie, als spekulativer Zurechtmacher alles religiösen und theologischen Unsinns, erklärte er beständig die Kritik für sein Privateigentum. Er bezeichnete damals die Straußische Kritik als menschliche Kritik und machte ausdrücklich im Gegensatz zu derselben das Recht der göttlichen Kritik geltend. Das große Selbstgefühl oder Selbstbewußtsein, welches der versteckte Kern dieser Göttlichkeit war, schälte er[150] später aus der religiösen Vermummung heraus, verselbständigte es als ein eignes Wesen und erhob es unter der Firma »das unendliche Selbstbewußtsein« zum Prinzipe der Kritik. In seiner eignen Bewegung vollzog er sodann die Bewegung, welche die »Philosophie des Selbstbewußtseins« als absoluten Lebensakt beschreibt. Er hob den »Unterschied des Hervorgebrachten«, des unendlichen Selbstbewußtseins, von dem Hervorbringenden, ihm selber, wieder auf, und erkannte, daß es in seiner Bewegung »nur er selber war«, daß also die Bewegung des Universums erst in seiner idealen Selbstbewegung wahrhaft und wirklich wird.

Die göttliche Kritik in ihrer Rückkehr in sich ist auf rationelle, bewußte, kritische Weise wiederhergestellt, das Ansichsein ist zum An- und Fürsichsein, und erst im Schluß ist der erfüllte, verwirklichte, offenbarte Anfang geworden. Die göttliche Kritik im Unterschied von der menschlichen hat sich offenbart als die Kritik, als die reine Kritik, als die kritische Kritik. An die Stelle der Apologie des Alten und Neuen Testaments ist die Apologie der alten und neuen Werke des Herrn Bauer getreten. Der theologische Gegensatz von Gott und Mensch, von Geist und Fleisch, von Unendlichkeit und Endlichkeit ist in den kritisch-theologischen Gegensatz des Geistes, der Kritik oder des Herrn Bauer, und der Materie der Masse oder der profanen Welt verwandelt. Der theologische Gegensatz von Glauben und Vernunft hat sich gelöst in den kritisch-theologischen Gegensatz des gesunden Menschenverstandes und des rein kritischen Denkens. Die »Zeitschrift für spekulative Theologie« hat sich in die kritische »Literatur-Zeitung« verwandelt. Der religiöse Welterlöser endlich ist verwirklicht in dem kritischen Welterlöser, Herrn Bauer.

Das letzte Stadium Herrn Bauers ist keine Anomalie in seiner Entwickelung, es ist ihre Rückkehr in sich aus ihrer Entäußerung. Es versteht sich, daß das Moment, worin die göttliche Kritik sich entäußerte und aus sich heraustrat, mit dem Moment zusammenfällt, wo sie teilweise sich untreu wurde und Menschliches schuf.

Die absolute Kritik, in ihren Anfangspunkt zurückgekehrt, hat den spekulativen Kreislauf und damit ihren Lebenslauf beendigt. Ihre weitere Bewegung ist reines – über alles massenhafte Interesse erhabnes Kreisen in sich selbst und darum ohne alles weitere Interesse für die Masse.[151]

Quelle:
Karl Marx, Friedrich Engels: Werke. Berlin 1957, Band 2, S. 144-152.
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