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§ 261. »Gegen die Sphären des Privatrechts und Privatwohls, der Familie und der bürgerlichen Gesellschaft, ist der Staat einerseits eine äußerliche Notwendigkeit und ihre höhere Macht, deren Natur ihre Gesetze sowie ihre Interessen untergeordnet und davon abhängig sind; aber andererseits ist er ihr immanenter Zweck und hat seine Stärke in der Einheit seines allgemeinen Endzwecks und des besonderen Interesses der Individuen, darin, daß sie insofern Pflichten gegen ihn haben, als sie zugleich Rechte haben (§ 155).«
Der vorige Paragraph belehrt uns dahin, daß die konkrete Freiheit in der Identität (sein sollenden, zwieschlächtigen) des Systems des Sonderinteresses (der Familie und der bürgerlichen Gesellschaft) mit dem System des allgemeinen Interesses (des Staates) bestehe. Das Verhältnis dieser Sphären soll nun näher bestimmt werden.
Einerseits der Staat gegen die Sphäre der Familie und der bürgerlichen Gesellschaft eine »äußerliche Notwendigkeit«, eine Macht, wovon ihm »Gesetze« und »Interessen« »untergeordnet und abhängig« sind. Daß der Staat gegen die Familie und bürgerliche Gesellschaft eine »äußerliche Notwendigkeit« ist, lag schon teils in der Kategorie des »Übergangs«, teils in ihrem bewußten Verhältnis zum Staat. Die »Unterordnung« unter den Staat entspricht noch vollständig diesem Verhältnis der »äußerlichen Notwendigkeit«. Was Hegel aber unter der »Abhängigkeit« versteht, zeigt folgender Satz der Anmerkung zu diesem Paragraphen:
»daß den Gedanken der Abhängigkeit insbesondere auch der privatrechtlichen Gesetze von dem bestimmten Charakter des Staats, und die philosophische Ansicht, den Teil nur in seiner Beziehung auf das Ganze zu betrachten, – vornehmlich Montesquieu [...] ins Auge gefaßt« etc.
Hegel spricht also hier von der innern Abhängigkeit oder der wesentlichen Bestimmung des Privatrechts etc. vom Staate; zugleich aber subsumiert er diese Abhängigkeit unter das Verhältnis der »äußerlichen Notwendigkeit«[203] und stellt sie der andern Beziehung, worin sich Familie und bürgerliche Gesellschaft zum Staate als ihrem »immanenten Zweck« verhalten, als die andere Seite entgegen.
Unter der »äußerlichen Notwendigkeit« kann nur verstanden werden, daß »Gesetze« und »Interessen« der Familie und der Gesellschaft den »Gesetzen« und »Interessen« des Staats im Kollisionsfall weichen müssen, ihm untergeordnet sind, ihre Existenz von der seinigen abhängig ist oder auch sein Wille und seine Gesetze ihrem »Willen« und ihren »Gesetzen« als eine Notwendigkeit erscheint!
Allein Hegel spricht hier nicht von empirischen Kollisionen; er spricht vom Verhältnis der »Sphären des Privatrechts und Privatwohls, der Familie und der bürgerlichen Gesellschaft« zum Staat; es handelt sich vom wesentlichen Verhältnis dieser Sphären selbst. Nicht nur ihre »Interessen«, auch ihre »Gesetze«, ihre »wesentlichen Bestimmungen« sind vom Staat »abhängig« und ihm »untergeordnet«. Er verhält sich als »höhere Macht« zu ihren »Gesetzen und Interessen«. Ihr »Interesse« und »Gesetz« verhalten sich als sein »Untergeordneter«. Sie leben in der »Abhängigkeit« von ihm. Eben weil »Unterordnung« und »Abhängigkeit« äußere, das selbständige Wesen einengende und ihm zuwiderlaufende Verhältnisse sind, ist das Verhältnis der »Familie« und der »bürgerlichen Gesellschaft« zum Staate das der »äußerlichen Notwendigkeit«, einer Notwendigkeit, die gegen das innere Wesen der Sache angeht. Dies selbst, daß »die privatrechtlichen Gesetze von dem bestimmten Charakter des Staats« abhängen, nach ihm sich modifizieren, wird daher unter das Verhältnis der »äußerlichen Notwendigkeit« subsumiert, eben weil »bürgerliche Gesellschaft und Familie« in ihrer wahren, d.i. in ihrer selbständigen und vollständigen Entwicklung dem Staat als besondere »Sphären« vorausgesetzt sind. »Unterordnung« und »Abhängigkeit« sind die Ausdrücke für eine »äußerliche«, erzwungene, scheinbare Identität, als deren logischen Ausdruck Hegel richtig die »äußerliche Notwendigkeit« gebraucht. In der »Unterordnung« und »Abhängigkeit« hat Hegel die eine Seite der zwiespältigen Identität weiter entwickelt, und zwar die Seite der Entfremdung innerhalb der Einheit,
»aber andererseits ist er ihr immanenter Zweck und hat seine Stärke in der Einheit seines allgemeinen Endzwecks und des besonderen Interesses der Individuen, darin, daß sie insofern Pflichten gegen ihn haben, als sie zugleich Rechte haben«
Hegel stellt hier eine ungelöste Antinomie auf. Einerseits äußerliche Notwendigkeit, andrerseits immanenter Zweck. Die Einheit des allgemeinen Endzwecks des Staats und des besonderen Interesses der Individuen soll darin bestehn, daß ihre Pflichten gegen den Staat und ihre Rechte an denselben[204] identisch sind (also z.B. die Pflicht, das Eigentum zu respektieren, mit dem Recht auf Eigentum zusammenfiele).
Diese Identität wird in der Anmerkung [zum § 261] also expliziert:
»Da die Pflicht zunächst das Verhalten gegen etwas für mich Substantielles, an und für sich Allgemeines ist, das Recht dagegen das Dasein überhaupt dieses Substantiellen ist, damit die Seite seiner Besonderheit und meiner besondern Freiheit ist, so erscheint beides auf den formellen Stufen an verschiedene Seiten oder Personen verteilt. Der Staat als Sittliches, als Durchdringung des Substantiellen und des Besonderen, enthält, daß meine Verbindlichkeit gegen das Substantielle zugleich als Dasein meiner besonderen Freiheit, d.i. in ihm Pflicht und Recht in einer und derselben Beziehung vereinigt sind.«
§ 262. »Die wirkliche Idee, der Geist, der sich selbst in die zwei ideellen Sphären seines Begriffs, die Familie und die bürgerliche Gesellschaft, als in seine Endlichkeit scheidet, um aus ihrer Idealität für sich unendlicher wirklicher Geist zu sein, teilt somit diesen Sphären das Material dieser seiner endlichen Wirklichkeit, die Individuen als die Menge zu, so daß diese Zuteilung am Einzelnen durch die Umstände, die Willkür und eigene Wahl seiner Bestimmung vermittelt erscheint.«
Übersetzen wir diesen Satz in Prosa, so folgt:
Die Art und Weise, wie der Staat sich mit der Familie und der bürgerlichen Gesellschaft vermittelt, sind »die Umstände, die Willkür und die eigene Wahl der Bestimmung«. Die Staatsvernunft hat also mit der Zerteilung des Staatsmaterials an Familie und bürgerliche Gesellschaft nichts zu tun. Der Staat geht auf eine unbewußte und willkürliche Weise aus ihnen hervor. Familie und bürgerliche Gesellschaft erscheinen als der dunkle Naturgrund, woraus das Staatsrecht sich entzündet. Unter dem Staatsmaterial sind die Geschäfte des Staats, Familie und bürgerliche Gesellschaft verstanden, insofern sie Teile des Staats bilden, am Staat als solchen teilnehmen.
In doppelter Hinsicht ist diese Entwicklung merkwürdig.
1. Familie und bürgerliche Gesellschaft werden als Begriffssphären des Staats gefaßt, und zwar als die Sphären seiner Endlichkeit, als seine Endlichkeit. Der Staat ist es, der sich in sie scheidet, der sie voraussetzt, und zwar tut er dieses, »um aus ihrer Idealität für sich unendlicher wirklicher Geist zu sein«. »Er scheidet sich, um.« Er »teilt somit diesen Sphären das Material seiner Wirklichkeit zu, so daß diese Zuteilung etc. vermittelt erscheint«. Die sogenannte »wirkliche Idee« (der Geist als unendlicher, wirklicher) wird so dargestellt, als ob sie nach einem bestimmten Prinzip und zu bestimmter Absicht handle. Sie scheidet sich in endliche Sphären, sie tut dies, »um in sich zurückzukehren, für sich zu sein«, und sie tut dies zwar so, daß das grade ist, wie es wirklich ist.[205]
An dieser Stelle erscheint der logische, pantheistische Mystizismus sehr klar.
Das wirkliche Verhältnis ist: »daß die Zuteilung des Staatsmaterials am Einzelnen durch die Umstände, die Willkür und die eigene Wahl seiner Bestimmung vermittelt ist«. Diese Tatsache, dies wirkliche Verhältnis wird von der Spekulation als Erscheinung, als Phänomen ausgesprochen. Diese Umstände, diese Willkür, diese Wahl der Bestimmung, diese wirkliche Vermittlung sind bloß die Erscheinung einer Vermittlung, welche die wirkliche Idee mit sich selbst vornimmt und welche hinter der Gardine vorgeht. Die Wirklichkeit wird nicht als sie selbst, sondern als eine andere Wirklichkeit ausgesprochen. Die gewöhnliche Empirie hat nicht ihren eigenen Geist, sondern einen fremden zum Gesetz, wogegen die wirkliche Idee nicht eine aus ihr selbst entwickelte Wirklichkeit, sondern die gewöhnliche Empirie zum Dasein hat.
Die Idee wird versubjektiviert und das wirkliche Verhältnis von Familie und bürgerlicher Gesellschaft zum Staat wird als ihre innere imaginäre Tätigkeit gefaßt. Familie und bürgerliche Gesellschaft sind die Voraussetzungen des Staats; sie sind die eigentlich Tätigen; aber in der Spekulation wird es umgekehrt. Wenn aber die Idee versubjektiviert wird, werden hier die wirklichen Subjekte, bürgerliche Gesellschaft, Familie, »Umstände, Willkür etc.« zu unwirklichen, anderes bedeutenden, objektiven Momenten der Idee.
Die Zuteilung des Staatsmaterials »am Einzelnen durch die Umstände, die Willkür und die eigene Wahl seiner Bestimmung« werden nicht als das Wahrhafte, das Notwendige, das an und für sich Berechtigte schlechthin ausgesprochen; sie werden nicht als solche für das Vernünftige ausgegeben; aber sie werden es doch wieder andrerseits, nur so, daß sie für eine scheinbare Vermittlung ausgegeben, daß sie gelassen werden, wie sie sind, zugleich aber die Bedeutung einer Bestimmung der Idee erhalten, eines Resultats, eines Produkts der Idee. Der Unterschied ruht nicht im Inhalt, sondern in der Betrachtungsweise oder in der Sprechweise. Es ist eine doppelte Geschichte, eine esoterische und eine exoterische. Der Inhalt liegt im exoterischen Teil. Das Interesse des esoterischen ist immer das, die Geschichte des logischen Begriffs im Staat wiederzufinden. An der exoterischen Seite aber ist es, daß die eigentliche Entwicklung vor sich geht.
Rationell hießen die Sätze von Hegel nur:
Die Familie und die bürgerliche Gesellschaft sind Staatsteile. Das Staatsmaterial ist unter sie verteilt »durch die Umstände, die Willkür und die eigne Wahl der Bestimmung«. Die Staatsbürger sind Familienglieder und Glieder der bürgerlichen Gesellschaft.[206]
»Die wirkliche Idee, der Geist, der sich selbst in die zwei ideellen Sphären seines Begriffs, die Familie und die bürgerliche Gesellschaft, als in seine Endlichkeit scheidet« – also die Teilung des Staats in Familie und bürgerliche Gesellschaft ist ideell, d.h. notwendig, gehört zum Wesen des Staats; Familie und bürgerliche Gesellschaft sind wirkliche Staatsteile, wirkliche geistige Existenzen des Willens, sie sind Daseinswesen des Staates; Familie und bürgerliche Gesellschaft machen sich selbst zum Staat. Sie sind das Treibende. Nach Hegel sind sie dagegen getan von der wirklichen Idee; es ist nicht ihr eigner Lebenslauf, der sie zum Staat vereint, sondern es ist der Lebenslauf der Idee, die sie von sich diszerniert hat; und zwar sind sie [die] Endlichkeit dieser Idee; sie verdanken ihr Dasein einem anderen Geist als dem ihrigen; sie sind von einem Dritten gesetzte Bestimmungen, keine Selbstbestimmungen; deswegen werden sie auch als »Endlichkeit«, als die eigene Endlichkeit der »wirklichen Idee« bestimmt. Der Zweck ihres Daseins ist nicht dies Dasein selbst, sondern die Idee scheidet diese Voraussetzungen von sich ab, »um aus ihrer Idealität für sich unendlicher wirklicher Geist zu sein«, d.h. der politische Staat kann nicht sein ohne die natürliche Basis der Familie und die künstliche Basis der bürgerlichen Gesellschaft; sie sind für ihn eine conditio sine qua non; die Bedingung wird aber als das Bedingte, das Bestimmende wird als das Bestimmte, das Produzierende wird als das Produkt seines Produkts gesetzt; die wirkliche Idee erniedrigt sich nur in die »Endlichkeit« der Familie und der bürgerlichen Gesellschaft, um durch ihre Aufhebung seine Unendlichkeit zu genießen und hervorzubringen; sie »teilt somit« (um seinen Zweck zu erreichen) »diesen Sphären das Material dieser seiner endlichen Wirklichkeit«, (dieser? welcher? diese Sphären sind ja seine »endliche Wirklichkeit«, sein »Material«) »die Individuen als die Menge zu« (das Material des Staats sind hier »die Individuen, die Menge«, »aus ihnen besteht der Staat«, dieses sein Bestehn wird hier als eine Tat der Idee, als eine »Verteilung«, die sie mit ihrem eigenen Material vornimmt, ausgesprochen; das Faktum ist, daß der Staat aus der Menge, wie sie als Familienglieder und Glieder der bürgerlichen Gesellschaft existiere, hervorgehe; die Spekulation spricht dies Faktum als Tat der Idee aus, nicht als die Idee der Menge, sondern als Tat einer subjektiven, von dem Faktum selbst unterschiedenen Idee) »so daß diese Zuteilung am Einzelnen« (früher war nur von der Zuteilung der Einzelnen an die Sphären der Familie und der bürgerlichen Gesellschaft die Rede) »durch die Umstände, die Willkür etc. vermittelt erscheint«. Es wird also die empirische Wirklichkeit aufgenommen, wie sie ist; sie wird auch als vernünftig ausgesprochen,[207] aber sie ist nicht vernünftig wegen ihrer eigenen Vernunft, sondern weil die empirische Tatsache in ihrer empirischen Existenz eine andre Bedeutung hat als sich selbst. Die Tatsache, von der ausgegangen wird, wird nicht als solche, sondern als mystisches Resultat gefaßt. Das Wirkliche wird zum Phänomen, aber die Idee hat keinen andren Inhalt als dieses Phänomen. Auch hat die Idee keinen andren Zweck als den logischen: »für sich unendlicher wirklicher Geist zu sein«. In diesem Paragraphen ist das ganze Mysterium der Rechtsphilosophie niedergelegt und der Hegelschen Philosophie überhaupt.
§ 263. »In diesen Sphären, in denen seine Momente, die Einzelnheit und Besonderheit, ihre unmittelbare und reflektierte Realität haben, ist der Geist als ihre in sie scheinende objektive Allgemeinheit, als die Macht des Vernünftigen in der Notwendigkeit [(§ 184)], nämlich als die im Vorherigen betrachteten Institutionen.«
§ 264. »Die Individuen der Menge, da sie selbst geistige Naturen und damit das gedoppelte Moment, nämlich das Extrem der für sich wissenden und wollenden Einzelnheit und das Extrem der das Substantielle wissenden und wollenden Allgemeinheit in sich enthalten und daher zu dem Rechte dieser beiden Seiten nur gelangen, insofern sie sowohl als Privat- wie als substantielle Personen wirklich sind; – erreichen in jenen Sphären teils unmittelbar das Erstere, teils das Andere so, daß sie in den Institutionen, als dem an sich seienden Allgemeinen ihrer besonderen Interessen, ihr wesentliches Selbstbewußtsein haben, teils daß sie in ihnen ein auf einen allgemeinen Zweck gerichtetes Geschäft und Tätigkeit in der Korporation gewähren.«
§ 265. »Diese Institutionen machen die Verfassung, d.i. die entwickelte und verwirklichte Vernünftigkeit, im Besonderen aus und sind darum die feste Basis des Staats sowie des Zutrauens und der Gesinnung der Individuen für denselben und die Grundsäulen der öffentlichen Freiheit, da in ihnen die besondere Freiheit realisiert und vernünftig, damit in ihnen selbst an sich die Vereinigung der Freiheit und Notwendigkeit vorhanden ist.«
§ 266. »Allein der Geist ist nicht nur als diese« (welche?) »Notwendigkeit [...], sondern als die Idealität derselben, und als ihr inneres sich objektiv und wirklich; so ist diese substantielle Allgemeinheit sich selbst Gegenstand und Zweck, und jene Notwendigkeit hierdurch sich ebensosehr in Gestalt der Freiheit.«
Der Übergang der Familie und der bürgerlichen Gesellschaft in den politischen Staat ist also der, daß der Geist jener Sphären, der an sich der Staatsgeist ist, sich nun auch als solcher zu sich verhält und als ihr inneres sich wirklich ist. Der Übergang wird also nicht aus dem besondern Wesen der Familie etc. und dem besondern Wesen des Staats, sondern aus dem allgemeinen Verhältnis von Notwendigkeit und Freiheit hergeleitet. Es ist ganz derselbe Übergang, der in der Logik aus der Sphäre des Wesens in die[208] Sphäre des Begriffs bewerkstelligt wird. Derselbe Übergang wird in der Naturphilosophie aus der unorganischen Natur in das Leben gemacht. Es sind immer dieselben Kategorien, die bald die Seele für diese, bald für jene Sphäre hergeben. Es kommt nur darauf an, für die einzelnen konkreten Bestimmungen die entsprechenden abstrakten aufzufinden.
§ 267. »Die Notwendigkeit in der Idealität ist die Entwickelung der Idee innerhalb ihrer selbst; sie ist als subjektive Substantialität die politische Gesinnung, als objektive in Unterscheidung von jener der Organismus des Staats, der eigentlich politische Staat und seine Verfassung.«
Subjekt ist hier »die Notwendigkeit in der Idealität«, die »Idee innerhalb ihrer selbst«, Prädikat – die politische Gesinnung und die politische Verfassung. Heißt zu deutsch: Die politische Gesinnung ist die subjektive, die politische Verfassung ist die objektive Substanz des Staats. Die logische Entwicklung von Familie und bürgerlicher Gesellschaft zum Staat ist also reiner Schein, denn es ist nicht entwickelt, wie die Familiengesinnung, die bürgerliche Gesinnung, die Institution der Familie und die sozialen Institutionen als solche sich zur politischen Gesinnung und politischen Verfassung verhalten und mit ihnen zusammenhängen.
Der Übergang, daß der Geist »nicht nur als diese Notwendigkeit und als ein Reich der Erscheinung« ist, sondern als »die Idealität derselben«, als die Seele dieses Reichs für sich wirklich ist und eine besondere Existenz hat. Ist gar kein Übergang, denn die Seele der Familie existiert für sich als Liebe etc. Die reine Idealität einer wirklichen Sphäre könnte aber nur als Wissenschaft existieren.
Wichtig ist, daß Hegel überall die Idee zum Subjekt macht und das eigentliche, wirkliche Subjekt, wie die »politische Gesinnung«, zum Prädikat. Die Entwicklung geht aber immer auf Seite des Prädikats vor.
§ 268 enthält eine schöne Exposition über die politische Gesinnung, den Patriotismus, die mit der logischen Entwicklung nichts gemein hat, nur daß Hegel sie »nur« als »Resultat der im Staate bestehenden Institutionen, als in welchen die Vernünftigkeit wirklich vorhanden ist«, bestimmt, während umgekehrt diese Institutionen ebensosehr eine Vergegenständlichung der politischen Gesinnung sind. Cf. die Anmerkung zu diesem Paragraphen.
§ 269. »Ihren besonders bestimmten Inhalt nimmt die Gesinnung aus den verschiedenen Seiten des Organismus des Staats. Dieser Organismus ist die Entwickelung der Idee zu ihren Unterschieden und zu deren objektiven Wirklichkeit. Diese unterschiedenen Seiten sind so die verschiedenen Gewalten und deren Geschäfte und Wirksamkeiten, wodurch das Allgemeine sich fortwährend, und zwar indem sie durch die Natur des Begriffes bestimmt sind, auf notwendige Weise hervorbringt und, indem es ebenso seiner Produktion vorausgesetzt ist, sich erhält, – dieser Organismus ist die politische Verfassung.«[209]
Die politische Verfassung ist der Organismus des Staats, oder der Organismus des Staats ist die politische Verfassung. Daß die unterschiedenen Seiten eines Organismus in einem notwendigen, aus der Natur des Organismus hervorgehenden Zusammenhang stehn, ist – reine Tautologie. Daß, wenn die politische Verfassung als Organismus bestimmt ist, die verschiedenen Seiten der Verfassung, die verschiedenen Gewalten, sich als organische Bestimmungen verhalten und in einem vernünftigen Verhältnis zueinander stehn, ist ebenfalls – Tautologie. Es ist ein großer Fortschritt, den politischen Staat als Organismus, daher die Verschiedenheit der Gewalten nicht mehr als organische, sondern als lebendige und vernünftige Unterscheidung zu betrachten. Wie stellt Hegel aber diesen Fund dar?
1. »Dieser Organismus ist die Entwicklung der Idee zu ihren Unterschieden und zu deren objektiven Wirklichkeit.« Es heißt nicht: Dieser Organismus des Staats ist seine Entwicklung zu Unterschieden und zu deren objektiven Wirklichkeit. Der eigentliche Gedanke ist: Die Entwicklung des Staats oder der politischen Verfassung zu Unterschieden und deren Wirklichkeit ist eine organische. Die Voraussetzung, das Subjekt sind die wirklichen Unterschiede oder die verschiednen Seiten der politischen Verfassung. Das Prädikat ist ihre Bestimmung als organisch. Statt dessen wird die Idee zum Subjekt gemacht, die Unterschiede und deren Wirklichkeit als ihre Entwicklung, ihr Resultat gefaßt, während umgekehrt aus den wirklichen Unterschieden die Idee entwickelt werden muß. Das Organische ist grade die Idee der Unterschiede, ihre ideelle Bestimmung. Es wird hier aber von der Idee als einem Subjekt gesprochen, die sich zu ihren Unterschieden entwickelt. Außer dieser Umkehrung von Subjekt und Prädikat wird der Schein hervorgebracht, als sei hier von einer andern Idee als dem Organismus die Rede. Es wird von der abstrakten Idee ausgegangen, deren Entwicklung im Staat politische Verfassung ist. Es handelt sich also nicht von der politischen Idee, sondern von der abstrakten Idee im politischen Element. Dadurch, daß ich sage: »dieser Organismus (sc. des Staats, die politische Verfassung) ist die Entwicklung der Idee zu ihren Unterschieden etc.«, weiß ich noch gar nichts von der spezifischen Idee der politischen Verfassung; derselbe Satz kann mit derselben Wahrheit von dem tierischen Organismus als von dem politischen ausgesagt werden. Wodurch unterscheidet sich also der tierische Organismus vom politischen? Aus dieser allgemeinen Bestimmung geht es nicht hervor. Eine Erklärung, die aber nicht die differentia specifica gibt, ist keine Erklärung. Das[210] einzige Interesse ist, »die Idee« schlechthin, die »logische Idee« in jedem Element, sei es des Staates, sei es der Natur, wiederzufinden, und die wirklichen Subjekte, wie hier die »politische Verfassung«, werden zu ihren bloßen Namen, so daß nur der Schein eines wirklichen Erkennens vorhanden ist. Sie sind und bleiben unbegriffene, weil nicht in ihrem spezifischen Wesen begriffene Bestimmungen.
»Diese unterschiedenen Seiten sind so die verschiedenen Geschäfte und deren Geschäfte und Wirksamkeit.« Durch das Wörtchen »so« wird der Schein einer Konsequenz, einer Ableitung und Entwicklung hervorgebracht. Man muß vielmehr fragen »Wie so?«, »daß die verschiedenen Seiten des Organismus des Staats« die »verschiedenen Gewalten« sind und »deren Geschäfte und Wirksamkeit«, ist eine empirische Tatsache, daß sie Glieder eines »Organismus« sind, ist das philosophische »Prädikat«.
Wir machen hier auf eine stilistische Eigentümlichkeit Hegels aufmerksam, die sich oft wiederholt und welche ein Produkt des Mystizismus ist. Der ganze Paragraph lautet:
»Ihren besonders bestimmten Inhalt nimmt die Gesinnung aus den verschiedenen Seiten des Organismus des Staats. Dieser Organismus ist die Entwickelung der Idee zu ihren Unterschieden und zu deren objektiven Wirklichkeit. Diese unterschiedenen Seiten sind so die verschiedenen Gewalten deren Geschäfte und Wirksamkeiten, wodurch das Allgemeine sich fortwährend, und zwar indem sie durch die Natur des Begriffes bestimmt sind, auf notwendige Weises hervorbringt und indem es ebenso seiner Produktion vorausgesetzt ist, sich erhält. – Dieser Organismus ist die politische Verfassung.«
1. »Ihren besonders bestimmten Inhalt nimmt die Gesinnung aus den verschiedenen Seiten des Organismus des Staats.« »Diese unterschiedenen Seiten sind... die verschiedenen Gewalten und deren Geschäfte und Wirksamkeiten.«
2. »Ihren besonders bestimmten Inhalt nimmt die Gesinnung aus den verschiedenen Seiten des Organismus des Staats. Dieser Organismus ist die Entwickelung der Idee zu ihren Unterschieden und zu deren objektiven Wirklichkeit ... wodurch das Allgemeine sich fortwährend, und zwar indem sie durch die Natur des Begriffes bestimmt sind, auf notwendige Weise hervorbringt und, indem es ebenso seiner Produktion vorausgesetzt ist, sich erhält. – Dieser Organismus ist die politische Verfassung«.
Man sieht, Hegel knüpft an zwei Subjekte, an die »verschiedenen Seiten des Organismus« und an den »Organismus«, die weiteren Bestimmungen an. Im dritten Satz werden die »unterschiedenen Seiten« als die »verschiedenen Gewalten« bestimmt. Durch das zwischengeschobene Wort »so« wird der[211] Schein hervorgebracht, als seien diese »verschiedenen Gewalten« aus dem Zwischensatz über den Organismus als die Entwicklung der Idee abgeleitet.
Es wird dann fortgesprochen über die »verschiedenen Gewalten«. Die Bestimmung, daß das Allgemeine sich fortwährend »hervorbringt« und sich dadurch erhält, ist nichts Neues, denn es liegt schon in ihrer Bestimmung als »Seiten des Organismus«, als »organische« Seiten. Oder vielmehr diese Bestimmung der »verschiedenen Gewalten« ist nichts als eine Umschreibung davon, daß der Organismus ist »die Entwicklung der Idee zu ihren Unterschieden etc.«.
Die Sätze: Dieser Organismus ist »die Entwicklung der Idee zu ihren Unterschieden und zu deren objektiven Wirklichkeit« oder zu Unterschieden, wodurch »das Allgemeine« (das Allgemeine ist hier dasselbe wie die Idee) »sich fortwährend, und zwar indem sie durch die Natur des Begriffes bestimmt sind, erhält, auf notwendige Weise hervorbringt und, indem es ebenso seiner Produktion vorausgesetzt ist, sich erhält«, sind identisch. Der letztere ist bloß eine nähere Explikation über »die Entwicklung der Idee zu ihren Unterschieden«. Hegel ist dadurch noch keinen Schritt über den allgemeinen Begriff »der Idee« und höchstens des »Organismus« überhaupt (denn eigentlich handelt es sich nur von dieser bestimmten Idee) hinausgekommen. Wodurch wird er also zum Schlußsatz berechtigt: »Dieser Organismus ist die politische Verfassung«? Warum nicht: »Dieser Organismus ist das Sonnensystem«? Weil er »die verschiedenen Seiten des Staats« später als die »verschiedenen Gewalten« bestimmt hat. Der Satz, daß »die verschiedenen Seiten des Staats die verschiedenen Gewalten sind«, ist eine empirische Wahrheit und kann für keine philosophische Entdeckung ausgegeben werden, ist auch auf keine Weise als Resultat einer früheren Entwicklung hervorgegangen. Dadurch, daß aber der Organismus als die »Entwicklung der Idee« bestimmt, von den Unterschieden der Idee gesprochen, dann das Konkretum der »verschiedenen Gewalten« eingeschoben wird, kommt der Schein herein, als sei ein bestimmter Inhalt entwickelt worden. An den Satz: »Ihren besonders bestimmten Inhalt nimmt die Gesinnung aus den verschiedenen Seiten des Organismus des Staats«, dürfte Hegel nicht anknüpfen: »dieser Organismus«, sondern »der Organismus ist die Entwicklung der Idee etc.«. Wenigstens gilt das, was er sagt, von jedem Organismus, und es ist kein Prädikat vorhanden, wodurch das Subjekt »dieser« gerechtfertigt würde. Das eigentliche Resultat, wo er hin will, ist zur Bestimmung des Organismus als der politischen Verfassung. Es ist aber keine Brücke geschlagen, wodurch man aus der allgemeinen Idee des Organismus zu der bestimmten Idee des Staatsorganismus oder der politischen Verfassung käme, und es wird in Ewigkeit keine solche Brücke geschlagen[212] werden können. In dem Anfangssatz wird gesprochen von »den verschiedenen Seiten des Staatsorganismus«, die später als »die verschiedenen Gewalten« bestimmt werden. Es wird also bloß gesagt: »Die verschiedenen Gewalten des Staatsorganismus« oder »der Staatsorganismus der verschiedenen Gewalten« ist – die »politische Verfassung« des Staats. Nicht aus dem »Organismus« »der Idee«, ihren »Unterschieden« etc., sondern aus dem vorausgesetzten Begriff »verschiedene Gewalten«, »Staatsorganismus« ist die Brücke zur »politischen« Verfassung geschlagen.
Der Wahrheit nach hat Hegel nichts getan, als die »politische Verfassung« in die allgemeine abstrakte Idee des »Organismus« aufgelöst, aber dem Schein und seiner eignen Meinung nach hat er aus der »allgemeinen Idee« das Bestimmte entwickelt. Er hat zu einem Produkt, einem Prädikat der Idee gemacht, was ihr Subjekt ist. Er entwickelt sein Denken nicht aus dem Gegenstand, sondern den Gegenstand nach einem mit sich fertig und in der abstrakten Sphäre der Logik mit sich fertig gewordnen Denken. Es handelt sich nicht darum, die bestimmte Idee der politischen Verfassung zu entwickeln, sondern es handelt sich darum, der politischen Verfassung ein Verhältnis zur abstrakten Idee zu geben, sie als ein Glied ihrer Lebensgeschichte (der Idee) zu rangieren, eine offenbare Mystifikation.
Eine andre Bestimmung ist, daß die »verschiedenen Gewalten« »durch die Natur des Begriffs bestimmt sind« und darum das Allgemeine sie »auf notwendige Weise hervorbringt«. Die verschiedenen Gewalten sind also nicht durch ihre »eigne Natur« bestimmt, sondern durch eine fremde. Ebenso ist die Notwendigkeit nicht aus ihrem eignen Wesen geschöpft, noch weniger kritisch bewiesen. Ihr Schicksal ist vielmehr prädestiniert durch die »Natur des Begriffs«, versiegelt in der Santa Casa (der Logik) heiligen Registern. Die Seele der Gegenstände, hier des Staats, ist fertig, prädestiniert vor ihrem Körper, der eigentlich nur Schein ist. Der »Begriff« ist der Sohn in der »Idee«, dem Gott Vater, das agens, das determinierende, unterscheidende Prinzip. »Idee« und »Begriff« sind hier verselbständigte Abstraktionen.
§ 270. »Daß der Zweck des Staates das allgemeine Interesse als solches und darin als ihrer Substanz die Erhaltung der besonderen Interessen ist, ist 1. seine abstrakte Wirklichkeit oder Substantialität; aber sie ist 2. seine Notwendigkeit, als sie sich in die Begriffsunterschiede seiner Wirksamkeit dirimiert, welche durch jene Substantialität ebenso wirkliche feste Bestimmungen, Gewalten sind; 3. eben diese Substantialität ist aber der als durch die Form der Bildung hindurchgegangne sich wissende und wollende Geist. Der Staat weiß daher, was er will, und weiß es in seiner Allgemeinheit, als Gedachtes; er wirkt und handelt deswegen nach gewußten Zwecken, gekannten Grundsätzen[213] und nach Gesetzen, die es nicht nur an sich, sondern fürs Bewußtsein sind; und ebenso, insofern seine Handlungen sich auf vorhandene Umstände und Verhältnisse beziehen, nach der bestimmten Kenntnis derselben.«
(Die Anmerkung zu diesem Paragraphen über das Verhältnis von Staat und Kirche später.)
Die Anwendung dieser logischen Kategorien verdient ein ganz spezielles Eingehen.
»Daß der Zweck des Staates das allgemeine Interesse als solches und dann als ihrer Substanz die Erhaltung der besonderen Interessen ist, ist 1. seine abstrakte Wirklichkeit oder Substantialität.«
Daß das allgemeine Interesse als solches und als Bestehn der besondern Interessen Staatszweck ist, ist – seine Wirklichkeit, sein Bestehn, abstrakt definiert. Der Staat ist nicht wirklich ohne diesen Zweck. Es ist dies das wesentliche Objekt seines Wollens, aber zugleich nur eine ganz allgemeine Bestimmung dieses Objekts. Dieser Zweck als Sein ist das Element des Bestehns für den Staat.
»Aber sie« (die abstrakte Wirklichkeit, Substantialität) »ist 2. seine Notwendigkeit, als sie sich in die Begriffsunterschiede seiner Wirksamkeit dirimiert, welche durch jene Substantialität ebenso wirkliche feste Bestimmungen, Gewalten sind.«
Sie (die abstrakte Wirklichkeit, die Substantialität) ist seine (des Staats) Notwendigkeit, als seine Wirklichkeit sich in unterschiedene Wirksamkeiten teilt, deren Unterschied ein vernünftig bestimmter, die dabei feste Bestimmungen sind. Die abstrakte Wirklichkeit des Staats, die Substantialität desselben ist Notwendigkeit, insofern der reine Staatszweck und das reine Bestehn des Ganzen nur in dem Bestehn der unterschiedenen Staatsgewalten realisiert ist.
Versteht sich: die erste Bestimmung seiner Wirklichkeit war abstrakt; der Staat kann nicht als einfache Wirklichkeit, er muß als Wirksamkeit, als eine unterschiedne Wirksamkeit betrachtet werden.
»Seine abstrakte Wirklichkeit oder Substantialität [...] ist seine Notwendigkeit, als sie sich in die Begriffsunterschiede seiner Wirksamkeit dirimiert, welche durch jene Substantialität ebenso wirkliche feste Bestimmungen, Gewalten sind.«
Das Substantialitätsverhältnis ist Notwendigkeitsverhältnis; d.h. die Substanz erscheint geteilt in selbständige, aber wesentlich bestimmte Wirklichkeiten oder Wirksamkeiten. Diese Abstraktionen werde ich auf jede Wirklichkeit anwenden können. Insofern ich den Staat zuerst unter dem Schema der »abstrakten«, werde ich ihn nachher unter dem Schema der »konkreten Wirklichkeit«, der »Notwendigkeit«, des erfüllten Unterschieds betrachten müssen.
[214] 3. »Eben diese Substantialität ist aber der als durch die Form der Bildung hindurchgegangene sich wissende und wollende Geist. Der Staat weiß daher, was er will, und weiß es in seiner Allgemeinheit, als Gedachtes; er wirkt und handelt deswegen nach gewußten Zwecken, gekannten Grundsätzen, und nach Gesetzen, die es nicht nur an sich, sondern fürs Bewußtsein sind; und ebenso, insofern seine Handlungen sich auf vorhandene Umstände und Verhältnisse beziehen, nach der bestimmten Kenntnis derselben.«
Übersetzen wir nun diesen ganzen Paragraphen zu deutsch. Also:
1. Der sich wissende und wollende Geist ist die Substanz des Staates; (der gebildete, selbstbewußte Geist ist das Subjekt und das Fundament, ist die Selbständigkeit des Staats).
2. Das allgemeine Interesse und in ihm die Erhaltung der besondern Interessen ist der allgemeine Zweck und Inhalt dieses Geistes, die seiende Substanz des Staats, die Staatsnatur des sich wissenden und wollenden Geistes.
3. Die Verwirklichung dieses abstrakten Inhalts erreicht der sich wissende und wollende Geist, der selbstbewußte, gebildete Geist nur als eine unterschiedene Wirksamkeit, als das Dasein verschiedener Gewalten, als eine gegliederte Macht.
Über die Hegelsche Darstellung ist zu bemerken:
a) Zu Subjekten werden gemacht: die abstrakte Wirklichkeit, die Notwendigkeit (oder der substantielle Unterschied), die Substantialität; also die abstraktlogischen Kategorien. Zwar werden die »abstrakte Wirklichkeit« und »Notwendigkeit«, als »seine«, des Staats, Wirklichkeit und Notwendigkeit bezeichnet, allein 1. ist »sie«, »die abstrakte Wirklichkeit« oder »Substantialität«, seine Notwendigkeit. 2. Sie ist es, »die sich in die Begriffsunterschiede seiner Wirksamkeit dirimiert«. Die »Begriffsunterschiede« sind »durch jene Substantialität ebenso wirkliche feste« Bestimmungen, Gewalten. 3. wird die »Substantialität« nicht mehr als eine abstrakte Bestimmung des Staats, als »seine« Substantialität genommen; sie wird als solche zum Subjekt gemacht, denn es heißt schließlich: »eben diese Substantialität ist aber der durch die Form der Bildung hindurchgegangene, sich wissende und wollende Geist«.
b) Es wird auch schließlich nicht gesagt: »der gebildete etc. Geist ist die Substantialität«, sondern umgekehrt: »die Substantialität ist der gebildete etc. Geist«. Der Geist wird also zum Prädikat seines Prädikates.
c) Die Substantialität, nachdem sie 1. als der allgemeine Staatszweck, dann 2. als die unterschiedenen Gewalten bestimmt war, wird 3. als der gebildete, sich wissende und wollende, wirkliche Geist bestimmt. Der wahre Ausgangspunkt, der sich wissende und wollende Geist, ohne welchen der »Staatszweck« und die »Staatsgewalten« haltungslose Einbildungen, essenzlose,[215] sogar unmögliche Existenzen wären, erscheint nur als das letzte Prädikat der Substantialität, die vorher schon als allgemeiner Zweck und als die verschiedenen Staatsgewalten bestimmt war. Wäre von dem wirklichen Geist ausgegangen worden, so war der »allgemeine Zweck« sein Inhalt, die verschiedenen Gewalten seine Weise, sich zu verwirklichen, sein reelles oder materielles Dasein, deren Bestimmtheit eben aus der Natur seines Zweckes zu entwickeln gewesen wäre. Weil aber von der »Idee« oder der »Substanz« als dem Subjekt, dem wirklichen Wesen ausgegangen wird, so erscheint das wirkliche Subjekt nur als letztes Prädikat des abstrakten Prädikates.
Der »Staatszweck« und die »Staatsgewalten« werden mystifiziert, indem sie als »Daseinsweisen« der »Substanz« dargestellt und getrennt ihrem wirklichen Dasein, dem »sich wissenden und wollenden Geist, dem gebildeten Geist« erscheinen.
d) Der konkrete Inhalt, die wirkliche Bestimmung, erscheint als formell; die ganz abstrakte Formbestimmung erscheint als der konkrete Inhalt. Das Wesen der staatlichen Bestimmungen ist nicht, daß sie staatliche Bestimmungen, sondern daß sie in ihrer abstraktesten Gestalt als logisch-metaphysische Bestimmungen betrachtet werden können. Nicht die Rechtsphilosophie, sondern die Logik ist das wahre Interesse. Nicht daß das Denken sich in politischen Bestimmungen verkörpert, sondern daß die vorhandenen politischen Bestimmungen in abstrakte Gedanken verflüchtigt werden, ist die philosophische Arbeit. Nicht die Logik der Sache, sondern die Sache der Logik ist das philosophische Moment. Die Logik dient nicht zum Beweis des Staats, sondern der Staat dient zum Beweis der Logik.
1. Das allgemeine Interesse und darin die Erhaltung der besonderen Interessen als Staatszweck;
2. die verschiedenen Gewalten als Verwirklichung dieses Staatszwecks;
3. der gebildete, selbstbewußte, wollende und handelnde Geist als das Subjekt des Zwecks und seiner Verwirklichung.
Diese konkreten Bestimmungen sind äußerlich aufgenommen, hors. d'œuvres; ihr philosophischer Sinn ist, daß der Staat in ihnen den logischen Sinn hat:
1. als abstrakte Wirklichkeit oder Substantialität;
2. daß das Substantialitätsverhältnis in das Verhältnis der Notwendigkeit, der substantiellen Wirklichkeit übergeht;
3. daß die substantielle Wirklichkeit in Wahrheit Begriff, Subjektivität ist.[216]
Mit Auslassung der konkreten Bestimmungen, welche ebensogut für eine andere Sphäre, z.B. die Physik, mit andern konkreten Bestimmungen vertauscht werden können, also unwesentlich sind, haben wir ein Kapitel der Logik vor uns.
Die Substanz muß »sich in Begriffsunterschiede dirimieren, welche durch jene Substantialität ebenso wirkliche, feste Bestimmungen sind«. Dieser Satz – das Wesen gehört der Logik und ist vor der Rechtsphilosophie fertig. Daß diese Begriffsunterschiede hier Unterschiede »seiner« (des Staats) »Wirksamkeit« und die »festen Bestimmungen« »Staatsgewalten« sind, diese Parenthese gehört der Rechtsphilosophie, der politischen Empirie. So ist die ganze Rechtsphilosophie nur Parenthese zur Logik. Die Parenthese ist, wie sich von selbst versteht, nur hors d'œuvre der eigentlichen Entwicklung. Cf. zum Beispiel p. 347 [§ 270, Zusatz]:
»Die Notwendigkeit besteht darin, daß das Ganze in die Begriffsunterschiede dirimiert sei und daß dieses Dirimierte eine feste und aushaltende Bestimmtheit abgebe, die nicht totfest ist, sondern in der Auflösung sich immer erzeugt.« Cf. auch die Logik.
§ 271. »Die politische Verfassung ist fürs erste: die Organisation des Staates und der Prozeß seines organischen Lebens in Beziehung auf sich selbst, in welcher er seine Momente innerhalb seiner selbst unterscheidet und sie zum Bestehen entfaltet.
Zweitens ist er als eine Individualität ausschließendes Eins, welches sich damit zu Anderen verhält, seine Unterscheidung also nach Außen kehrt und nach dieser Bestimmung seine bestehenden Unterschiede innerhalb seiner selbst in ihrer Idealität setzt.«
Zusatz: »Der innerliche Staat als solcher ist die Zivilgewalt, die Richtung nach Außen die Militärgewalt, die aber im Staate eine bestimmte Seite in ihm selbst ist.«
§ 272. »Die Verfassung ist vernünftig. Insofern der Staat seine Wirksamkeit nach der Natur des Begriffs in sich unterscheidet und bestimmt, und zwar so, daß jede dieser Gewalten selbst in sich die Totalität dadurch ist, daß sie die anderen Momente in sich wirksam hat und enthält, und daß sie, weil sie den Unterschied des Begriffs ausdrücken, schlechthin in seiner Idealität bleiben und nur Ein individuelles Ganzes ausmachen.«
Die Verfassung ist also vernünftig. Insofern seine Momente in die abstrakt logischen aufgelöst werden können. Der Staat hat seine Wirksamkeit nicht nach seiner spezifischen Natur zu unterscheiden und zu bestimmen, sondern nach der Natur des Begriffs, welcher das mystifizierte Mobile des abstrakten Gedankens ist. Die Vernunft der Verfassung ist also die abstrakte Logik und[217] nicht der Staatsbegriff. Statt des Begriffs der Verfassung erhalten wir die Verfassung des Begriffs. Der Gedanke richtet sich nicht nach der Natur des Staats, sondern der Staat nach einem fertigen Gedanken.
§ 273. »Der politische Staat dirimiert sich somit« (wieso?) »in die substantiellen Unterschiede;
a) die Gewalt, das Allgemeine zu bestimmen und festzusetzen, die gesetzgebende Gewalt;
b) der Subsumtion der besonderen Sphären und einzelnen Fälle unter das Allgemeine – die Regierungsgewalt;
c) der Subjektivität als der letzten Willensentscheidung, die fürstliche Gewalt –, in der die unterschiedenen Gewalten zur individuellen Einheit zusammengefaßt sind, die also die Spitze und der Anfang des Ganzen –, der konstitutionellen Monarchie, ist.«
Wir werden auf diese Einteilung zurückkommen, nachdem wir ihre Ausführung im besonderen geprüft.
§ 274. »Da der Geist nur als das wirklich ist, als was er sich weiß, und der Staat als Geist eines Volkes zugleich das alle seine Verhältnisse durchdringende Gesetz, die Sitte und das Bewußtsein seiner Individuen ist, so hängt die Verfassung eines bestimmten Volkes überhaupt von der Weise und Bildung des Selbstbewußtseins desselben ab; in diesem liegt seine subjektive Freiheit und damit die Wirklichkeit der Verfassung... Jedes Volk hat deswegen die Verfassung, die ihm angemessen ist und für dasselbe gehört.«
Aus Hegels Räsonnement folgt nur, daß der Staat, worin »Weise und Bildung des Selbstbewußtseins« und »Verfassung« sich widersprechen, kein wahrer Staat ist. Daß die Verfassung, welche das Produkt eines vergangnen Bewußtseins war, zur drückenden Fessel für ein fortgeschrittnes werden kann etc. etc., sind wohl Trivialitäten. Es würde vielmehr nur die Forderung einer Verfassung folgern, die in sich selbst die Bestimmung und das Prinzip hat, mit dem Bewußtsein fortzuschreiten; fortzuschreiten mit dem wirklichen Menschen, was erst möglich ist, sobald der »Mensch« zum Prinzip der Verfassung geworden ist. Hegel hier Sophist.
§ 275. »Die fürstliche Gewalt enthält selbst die drei Momente der Totalität in sich [(§ 272)], die Allgemeinheit der Verfassung und der Gesetze, die Beratung als Beziehung des Besondern auf das Allgemeine und das Moment der letzten Entscheidung als der Selbstbestimmung, in welche alles Übrige zurückgeht und wovon es den Anfang der Wirklichkeit nimmt. Dieses absolute Selbstbestimmen macht das unterscheidende Prinzip der fürstlichen Gewalt als solcher aus, welches zuerst zu entwickeln ist.«[218]
Der Anfang dieses Paragraphen heißt zunächst nichts als: »die Allgemeinheit der Verfassung und der Gesetze« sind – die fürstliche Gewalt, die Beratung oder die Beziehung des Besondern auf das Allgemeine ist – die fürstliche Gewalt. Die fürstliche Gewalt steht nicht außerhalb der Allgemeinheit der Verfassung und der Gesetze, sobald unter der fürstlichen Gewalt die des Monarchen (konstitutionellen) verstanden ist.
Was Hegel aber eigentlich will, ist nichts als daß die »Allgemeinheit der Verfassung und der Gesetze« – die fürstliche Gewalt, die Souveränität des Staats ist. Es ist dann unrecht, die fürstliche Gewalt zum Subjekt zu machen und, da unter fürstlicher Gewalt auch die Gewalt des Fürsten verstanden werden kann, den Schein hervorzubringen, als sei er Herr dieses Moments; das Subjekt desselben. Doch wenden wir uns zunächst zu dem, was Hegel als »das unterscheidende Prinzip der fürstlichen Gewalt als solcher« ausgibt, so ist es: »das Moment der letzten Entscheidung, als der Selbstbestimmung, in welche alles Übrige zurückgeht und wovon es den Anfang der Wirklichkeit nimmt«, dieses: »absolute Selbstbestimmen«.
Hegel sagt hier nichts als: der wirkliche, d.h. individuelle Wille ist die fürstliche Gewalt. So heißt es § 12:
»Daß der Wille sich... die Form der Einzelnheit gibt [...] ist er beschließend, und nur als beschließender Wille [überhaupt] ist er wirklicher Wille.«
Insofern dies Moment der »letzten Entscheidung« oder der »absoluten Selbstbestimmung« getrennt ist von der »Allgemeinheit« des Inhalts und der Besonderheit der Beratung, ist es der wirkliche Wille als Willkür. Oder:
»Die Willkür ist die fürstliche Gewalt«, oder: »Die fürstliche Gewalt ist die Willkür«.
§ 276. »Die Grundbestimmung des politischen Staats ist die substantielle Einhalt als Idealität seiner Momente, in welcher:
α) die besonderen Gewalten und Geschäfte desselben ebenso aufgelöst als erhalten und nur so erhalten sind, als sie keine unabhängige, sondern allein eine solche und so weit gehende Berechtigung haben, als in der Idee des Ganzen bestimmt ist, von seiner Macht ausgehen und flüssige Glieder desselben als ihres einfachen Selbsts sind.«
Zusatz: »Mit dieser Idealität der Momente ist es wie mit dem Leben im organischen Körper«.
Versteht sich: Hegel spricht nur von der Idee »der besondern Gewalten und Geschäfte«... Sie sollen nur eine so weit gehende Berechtigung haben, als in der Idee des Ganzen bestimmt ist; sie sollen nur »von seiner Macht ausgehen«. Daß dies so sein soll, liegt in der Idee des Organismus. Es wäre aber eben zu entwickeln gewesen, wie dies zu bewerkstelligen ist. Denn im Staat[221] muß bewußte Vernunft herrschen; die substantielle bloß innere und darum bloß äußere Notwendigkeit, die zufällige [undeutliches Wort: Verschränkung oder Verschlingung ??] der »Gewalten und Geschäfte« kann nicht für das Vernünftige ausgegeben werden.
§ 277. β) »Die besonderen Geschäfte und Wirksamkeiten des Staats sind als die wesentlichen Momente desselben ihm eigen und an die Individuen, durch welche sie gehandhabt und betätigt werden, nicht nach deren unmittelbaren Persönlichkeit, sondern nur nach ihren allgemeinen und objektiven Qualitäten geknüpft und daher mit der besonderen Persönlichkeit als solcher äußerlicher- und zufälligerweise verbunden. Die Staatsgeschäfte und Gewalten können daher nicht Privateigentum sein.«
Es versteht sich von selbst, daß, wenn besondere Geschäfte und Wirksamkeiten als Geschäfte und Wirksamkeit des Staats, als Staatsgeschäfte und Staatsgewalt bezeichnet werden, sie nicht Privateigentum, sondern Staatseigentum sind. Das ist eine Tautologie.
Die Geschäfte und Wirksamkeiten des Staats sind an Individuen geknüpft (der Staat ist nur wirksam durch Individuen), aber nicht an das Individuum als physisches, sondern als staatliches, an die Staatsqualität des Individuums. Es ist daher lächerlich, wenn Hegel sagt, sie seien »mit der besonderen Persönlichkeit als solcher äußerlicher- und zufälligerweise verbunden«. Sie sind vielmehr durch ein vinculum substantiale, durch eine wesentliche Qualität desselben, mit ihm verbunden. Sie sind die natürliche Aktion seiner wesentlichen Qualität. Es kömmt dieser Unsinn dadurch herein, daß Hegel die Staatsgeschäfte und Wirksamkeiten abstrakt für sich und im Gegensatz dazu die besondere Individualität faßt; aber er vergißt, daß die besondere Individualität eine menschliche und die Staatsgeschäfte und Wirksamkeiten menschliche Funktionen sind; er vergißt, daß das Wesen der »besonderen Persönlichkeit« nicht ihr Bart, ihr Blut, ihre abstrakte Physis, sondern ihre soziale Qualität ist, und daß die Staatsgeschäfte etc. nichts als Daseins- und Wirkungsweisen der sozialen Qualitäten des Menschen sind. Es versteht sich also, daß die Individuen, insofern sie die Träger der Staatsgeschäfte und Gewalten sind, ihrer sozialen und nicht ihrer privaten Qualität nach betrachtet werden.
§ 278. »Diese beiden Bestimmungen, daß die besonderen Geschäfte und Gewalten des Staats weder für sich noch in dem besonderen Willen von Individuen selbständig und fest sind, sondern in der Einheit des Staats als ihrem einfachen Selbst ihre letzte Wurzel haben, macht die Souveränität des Staats aus.«
[222] »Der Despotismus bezeichnet überhaupt den Zustand der Gesetzlosigkeit, wo der besondere Wille als solcher, es sei nun eines Monarchen oder eines Volks [.. ], als Gesetz oder vielmehr statt des Gesetzes gilt, da hingegen die Souveränität gerade im gesetzlichen, konstitutionellen Zustande das Moment der Idealität der besondern Sphären und Geschäfte ausmacht, daß nämlich eine solche Sphäre nicht ein Unabhängiges, in ihren Zwecken und Wirkungsweisen Selbständiges und sich nur in sich Vertiefendes, sondern in diesen Zwecken und Wirkungsweisen vom Zwecke des Ganzen (den man im allgemeinen mit einem unbestimmteren Ausdrucke das Wohl des Staats genannt hat) bestimmt und abhängig sei. Diese Idealität kommt auf die gedoppelte Weise zur Erscheinung. – im friedlichen Zustande gehen die besonderen Sphären und Geschäfte den Gang der Befriedigung ihrer besonderen Geschäfte [...] fort, und es ist teils nur die Weise der bewußtlosen Notwendigkeit der Sache, nach welcher ihre Selbstsucht in den Beitrag zur gegenseitigen Erhaltung und zur Erhaltung des Ganzen umschlägt [...], teils aber ist es die direkte Einwirkung von oben, wodurch sie sowohl zu dem Zwecke des Ganzen fortdauernd zurückgeführt und darnach beschränkt [...] als angehalten werden, zu dieser Erhaltung direkte Leistungen zu machen; – im Zustande der Not aber, es sei innerer oder äußerlicher, ist es die Souveränität, in deren einfachen Begriff der dort in seinen Besonderheiten bestehende Organismus zusammengeht und welcher die Rettung des Staats mit Aufopferung dieses sonst Berechtigten anvertraut ist, wo denn jener Idealismus zu seiner eigentümlichen Wirklichkeit kommt.«
Dieser Idealismus ist also nicht entwickelt zu einem gewußten, vernünftigen System. Er erscheint im friedlichen Zustande entweder nur als ein äußerlicher Zwang, der der herrschenden Macht, dem Privatleben durch »direkte Einwirkung von oben« angetan wird, oder als blindes ungewußtes Resultat der Selbstsucht. Seine »eigentümliche Wirklichkeit« hat dieser Idealismus nur im »Kriegs- oder Notzustand« des Staats, so daß sich hier sein Wesen als »Kriegs- und Notzustand« des wirklichen bestehenden Staats ausspricht, während sein »friedlicher« Zustand eben der Krieg und die Not der Selbstsucht ist.
Die Souveränität, der Idealismus des Staats, existiert daher nur als innere Notwendigkeit: als Idee. Auch damit ist Hegel zufrieden, denn es handelt sich nur um die Idee. Die Souveränität existiert also einerseits nur als bewußtlose, blinde Substanz. Wir werden sogleich ihre andere Wirklichkeit kennenlernen.
§ 279. »Die Souveränität zunächst nur der nur der allgemeine Gedanke dieser Idealität, existiert nur als die ihrer selbst gewisse Subjektivität und als die abstrakte, insofern grundlose Selbstbestimmung des Willens, in welcher das Letzte der Entscheidung liegt. Es ist dies das Individuelle des Staats als solches, der selbst nur darin Einer ist. Die Subjektivität aber ist in ihrer Wahrheit nur als Subjekt, die Persönlichkeit nur als Person, und in der zur reelen Vernünftigkeit gediehenen Verfassung hat jedes der drei Momente des Begriffes seine für sich wirkliche ausgesonderte Gestaltung. Dies absolut entscheidende Moment des Ganzen ist daher nicht die Individualität überhaupt, sondern Ein Individuum, der Monarch.«
1. »Die Souveranität, zunächst nur der allgemeine Gedanke dieser Idealität, existiert nur als die ihrer selbst gewisse Subjektivität [...]. Die Subjektivität ist in ihrer Wahrheit nur als Subjekt, die Persönlichkeit nur als Person. In der zur reelen Vernünftigkeit gediehenen Verfassung hat jedes der drei Momente des Begriffes [...] für sich wirkliche ausgesonderte Gestaltung.«
2. Die Souveranität »existiert nur [...] als die abstrakte, insofern grundlose Selbstbestimmung des Willens, in welcher das Letzte der Entscheidung liegt. Es ist dies das Individuelle des Staats als solches, der selbst darin nur Einer ist [...] (und in der zur reelen Vernünftigkeit gediehenen Verfassung hat jedes der drei Momente des Begriffes seine für sich wirkliche ausgesonderte Gestaltung) Dies absolut entscheidende Moment des Ganzen ist daher nicht die Individualität überhaupt sondern Ein Individuum, der Monarch.«[223]
Der erste Satz heißt nichts, als daß der allgemeine Gedanke dieser Idealität, dessen traurige Existenz wir eben gesehn haben, das selbstbewußte Werk der Subjekte sein und als solches für sie und in ihnen existieren müßte.
Wäre Hegel von den wirklichen Subjekten als den Basen des Staats ausgegangen, so hätte er nicht nötig, auf eine mystische Weise den Staat sich versubjektivieren zu lassen. »Die Subjektivität«, sagt Hegel, »aber ist in ihrer Wahrheit nur als Subjekt, die Persönlichkeit nur als Person.« Auch dies ist eine Mystifikation. Die Subjektivität ist eine Bestimmung des Subjekts, die Persönlichkeit eine Bestimmung der Person. Statt sie nun als Prädikate ihrer Subjekte zu fassen, verselbständigt Hegel die Prädikate und läßt sie hinterher auf eine mystische Weise in ihre Subjekte sich verwandeln.
Die Existenz der Prädikate ist das Subjekt: also das Subjekt die Existenz der Subjektivität etc. Hegel verselbständigt die Prädikate, die Objekte, aber er verselbständigt sie getrennt von ihrer wirklichen Selbständigkeit, ihrem Subjekt. Nachher erscheint dann das wirkliche Subjekt als Resultat, während vom wirklichen Subjekt auszugehn und seine Objektivation zu betrachten ist. Zum wirklichen Subjekt wird daher die mystische Substanz, und das reelle Subjekt erscheint als ein andres, als ein Moment der mystischen Substanz. Eben weil Hegel von den Prädikaten der allgemeinen Bestimmung statt von dem reellen Ens (hypokeimenon, Subjekt) ausgeht, und doch ein Träger dieser Bestimmung da sein muß, wird die mystische Idee dieser Träger. Es ist dies der Dualismus, daß Hegel das Allgemeine nicht als das wirkliche Wesen[224] des Wirklich-Endlichen, d.i. Existierenden, Bestimmten betrachtet oder das wirkliche Ens nicht als das wahre Subjekt des Unendlichen.
So wird hier die Souveränität, das Wesen des Staats, zuerst als ein selbständiges Wesen betrachtet, vergegenständlicht. Dann, versteht sich, muß dies Objektive wieder Subjekt werden. Dies Subjekt erscheint aber dann als eine Selbstverkörperung der Souveränität, während die Souveränität nichts anders ist als der vergegenständlichte Geist der Staatssubjekte.
Abgesehn von diesem Grundmangel der Entwicklung, betrachten wir diesen ersten Satz des Paragraphen. Wie er daliegt, so heißt er nichts als: die Souveränität, der Idealismus des Staats als Person, als »Subjekt« existiert, versteht sich, als viele Personen, viele Subjekte, da keine einzelne Person die Sphäre der Persönlichkeit, kein einzelnes Subjekt die Sphäre der Subjektivität in sich absorbiert. Was sollte das auch für ein Staatsidealismus sein, der, statt als das wirkliche Selbstbewußtsein der Staatsbürger, als die gemeinsame Seele des Staats, eine Person, ein Subjekt wäre. Mehr hat Hegel auch nicht an diesem Satz entwickelt. Aber betrachten wir nun den mit diesem Satz verschränkten zweiten Satz. Es ist Hegel darum zu tun, den Monarchen als den wirklichen »Gottmenschen«, als die wirkliche Verkörperung der Idee darzustellen.
»Die Souveränität... existiert nur... als die abstrakte, insofern grundlose Selbstbestimmung des Willens, in welcher das Letzte der Entscheidung liegt. Es ist dies das Individuelle des Staats als solches, der selbst nur darin Einer ist... in der zur reellen Vernünftigkeit gediehenen Verfassung hat jedes der drei Momente des Begriffes seine für sich wirkliche ausgesonderte Gestaltung. Dies absolut entscheidende Moment des Ganzen ist daher nicht die Individualität überhaupt, sondern Ein Individuum, der Monarch.«
Wir haben vorher schon auf den Satz aufmerksam gemacht. Das Moment des Beschließens, der willkürlichen, weil bestimmten Entscheidung ist die fürstliche Gewalt des Willens überhaupt. Die Idee der fürstlichen Gewalt, wie sie Hegel entwickelt, ist nichts anders, als die Idee des Willkürlichen, der Entscheidung des Willens.
Während Hegel aber eben die Souveränität als den Idealismus des Staats, als die wirkliche Bestimmung der Teile durch die Idee des Ganzen auffaßt, macht er sie jetzt zur »abstrakten, insofern grundlosen Selbstbestimmung des Willens, in welcher das Letzte der Entscheidung ist. Es ist dies das Individuelle des Staats als solches.« Vorhin war von der Subjektivität, jetzt ist von der Individualität die Rede. Der Staat als souveräner muß Einer, Ein Individuum sein, Individualität besitzen. Der Staat ist »nicht nur« dann, in dieser Individualität Einer; die Individualität ist nur das natürliche Moment seiner Einheit; die Naturbestimmung des Staats. »Dies absolut entscheidende Moment[225] ist daher nicht die Individualität überhaupt, sondern Ein Individuum, der Monarch.« Woher? Weil »jedes der drei Momente des Begriffes in der zur reellen Vernünftigkeit gediehenen Verfassung seine für sich wirkliche, ausgesonderte Gestaltung« hat. Ein Moment des Begriffes ist die »Einzelnheit«, allein dies ist noch nicht Ein Individuum. Und was sollte das auch für eine Verfassung sein, wo die Allgemeinheit, die Besonderheit, die Einzelnheit, jede »seine für sich wirkliche, ausgesonderte Gestaltung« hätte? Da es sich überhaupt von keinem Abstraktum, sondern vom Staat, von der Gesellschaft handelt, so kann man selbst die Klassifikation Hegels annehmen. Was folgte daraus? Der Staatsbürger als das Allgemeine bestimmend ist Gesetzgeber, als das Einzelne entscheidend, als wirklich wollend. Ist Fürst; was sollte das heißen: Die Individualität des Staatswillens ist »ein Individuum«, ein besonderes, von allen unterschiedenes Individuum? Auch die Allgemeinheit, die Gesetzgebung hat eine »für sich wirkliche, ausgesonderte Gestaltung«. Könnte man daher schließen: »Die Gesetzgebung sind diese besonderen Individuen.«
Der gemeine Mann:
2. Der Monarch hat die souveräne Gewalt, die Souveränität.
Hegel:
2. Die Souveränität des Staats ist der Monarch.
Der gemeine Mann:
3. Die Souveränität tut, was sie will.
Hegel:
3. Die Souveränität ist »die abstrakte, insofern grundlose Selbstbestimmung des Willens, in welcher das Letzte der Entscheidung liegt«.
Alle Attribute des konstitutionellen Monarchen im jetzigen Europa macht Hegel zu absoluten Selbstbestimmungen des Willens. Er sagt nicht: Der Wille des Monarchen ist die letzte Entscheidung, sondern: Die letzte Entscheidung des Willens ist der Monarch. Der erste Satz ist empirisch. Der zweite verdreht die empirische Tatsache in ein metaphysisches Axiom.
Hegel verschränkt die beiden Subjekte, die Souveränität »als die ihrer selbstgewisse Subjektivität« und die Souveränität »als die grundlose Selbstbestimmung des Willens, als den individuellen Willen« durcheinander, um die »Idee« als »Ein Individuum« herauszukonstruieren.
Es versteht sich, daß die selbstgewisse Subjektivität auch wirklich wollen, auch als Einheit, als Individuum wollen muß. Wer hat aber auch je bezweifelt, daß der Staat durch Individuen handelt? Wollte Hegel entwickeln: Der Staat muß ein Individuum als Repräsentanten seiner individuellen Einheit haben, so brachte er den Monarchen nicht heraus. Wir halten als positives Resultat dieses Paragraphen nur fest:[226]
Der Monarch ist im Staate das Moment des individuellen Willens, der grundlosen Selbstbestimmung, der Willkür.
Die Anmerkung Hegels zu diesem Paragraphen ist so merkwürdig, daß wir sie näher beleuchten müssen.
»Die immanente Entwickelung einer Wissenschaft, die Ableitung ihres ganzen Inhalts aus dem einfachen Begriffe... zeigt das Eigentümliche, daß der eine und derselbe Begriff, hier der Wille, der anfangs, weil es der Anfang ist, abstrakt ist, sich erhält, aber seine Bestimmungen und zwar ebenso nur durch sich selbst verdichtet und auf diese Weise einen konkreten Inhalt gewinnt. So ist es das Grundmoment der zuerst im unmittelbaren Rechte abstrakten Persönlichkeit, welches sich durch seine verschiedenen Formen von Subjektivität fortgebildet hat und hier im absoluten Rechte, dem Staate, der vollkommen konkreten Objektivität des Willens, die Persönlichkeit des Staats ist, seine Gewißheit seiner selbst – dieses Letzte, was alle Besonderheiten in dem einfachen Selbst aufhebt, das Abwägen der Gründe und Gegengründe, zwischen denen sich immer herüber und hinüberschwanken läßt, abbricht und sie durch das: Ich will, beschließt, und alle Handlung und Wirklichkeit anfängt.«
Zunächst ist es nicht die »Eigentümlichkeit der Wissenschaft«, daß der Fundamentalbegriff der Sache immer wiederkehrt.
Dann hat aber auch kein Fortschritt stattgefunden. Die abstrakte Persönlichkeit war das Subjekt des abstrakten Rechts; sie hat sich nicht verändert; sie ist wieder als abstrakte Persönlichkeit die Persönlichkeit des Staats. Hegel hätte sich nicht darüber verwundern sollen, daß die wirkliche Person – und die Personen machen den Staat – überall als sein Wesen wiederkehrt. Er hätte sich über das Gegenteil wundern müssen, noch mehr aber darüber, daß die Person als Staatsperson in derselben dürftigen Abstraktion wiederkehrt wie die Person des Privatrechts.
Hegel definiert hier den Monarchen als »die Persönlichkeit des Staats, seine Gewißheit seiner selbst«. Der Monarch ist die »personifizierte Souveränität«, die »menschgewordene Souveränität«, das leibliche Staatsbewußtsein, wodurch also alle andern von dieser Souveränität und von der Persönlichkeit und vom Staatsbewußtsein ausgeschlossen sind. Zugleich weiß aber Hegel dieser »Souveraineté Personne« keinen andern Inhalt zu geben als das »Ich will«, das Moment der Willkür im Willen. Die »Staatsvernunft« und das »Staatsbewußtsein« ist eine »einzige« empirische Person mit Ausschluß aller anderen, aber diese personifizierte Vernunft hat keinen anderen Inhalt als die Abstraktion des »Ich will«. L'Etat c'est moi.
»Die Persönlichkeit und die Subjektivität überhaupt hat aber ferner, als unendliches sich auf sich Beziehendes, schlechthin nur Wahrheit, und zwar seine nächste[227] unmittelbare Wahrheit als Person, für sich seiendes Subjekt, und das für sich Seiende ist ebenso schlechthin Eines.«
Es versteht sich von selbst, da Persönlichkeit und Subjektivität nur Prädikate der Person und des Subjekts sind, so existieren sie nur als Person und Subjekt, und zwar ist die Person Eins. Aber, mußte Hegel fortfahren, das Eins hat schlechthin nur Wahrheit als viele Eins. Das Prädikat, das Wesen erschöpft die Sphären seiner Existenz nie in einem Eins, sondern in den vielen Eins.
Statt dessen schließt Hegel:
»Die Persönlichkeit des Staates ist nur als eine Person, der Monarch, wirklich.«
Also weil die Subjektivität nur als Subjekt und das Subjekt nur als Eins, ist die Persönlichkeit des Staats nur als eine Person wirklich. Ein schöner Schluß. Hegel könnte ebensogut schließen: Weil der einzelne Mensch ein Eins ist, ist die Menschengattung nur ein einziger Mensch.
»Persönlichkeit drückt den Begriff als solchen aus, die Person enthält zugleich die Wirklichkeit desselben, und der Begriff ist nur mit dieser Bestimmung Idee, Wahrheit.«
Die Persönlichkeit ist allerdings nur eine Abstraktion ohne die Person, aber die Person ist nur die wirkliche Idee der Persönlichkeit in ihrem Gattungsdasein, als die Personen.
»Eine sogenannte moralische Person, Gesellschaft, Gemeinde, Familie, so konkret sie in sich ist, hat die Persönlichkeit nur als Moment, abstrakt in ihr; sie ist darin nicht zur Wahrheit ihrer Existenz gekommen, der Staat aber ist eben diese Totalität, in welcher die Momente des Begriffs zur Wirklichkeit nach ihrer eigentümlichen Wahrheit gelangen.«
Es herrscht eine große Konfusion in diesem Satz. Die moralische Person, Gesellschaft etc. wird abstrakt genannt, also eben die Gattungsgestaltungen, in welchen die wirkliche Person ihren wirklichen Inhalt zum Dasein bringt, sich verobjektiviert und die Abstraktion der »Person quand même« aufgibt. Statt diese Verwirklichung der Person als das Konkreteste anzuerkennen, soll der Staat den Vorzug haben, daß »das Moment des Begriffs«, die »Einzelnheit« zu einem mystischen »Dasein« gelangt. Das Vernünftige besteht nicht darin, daß die Vernunft der wirklichen Person, sondern darin, daß die Momente des abstrakten Begriffs zur Wirklichkeit gelangen.
»Der Begriff des Monarchen ist deswegen der schwerste Begriff für das Räsonnement, d.h. für die reflektierende Verstandesbetrachtung, weil es in den vereinzelten[228] Bestimmungen stehenbleibt und darum dann auch nur Gründe, endliche Gesichtspunkte und das Ableiten aus Gründen kennt. So stellt es dann die Würde des Monarchen als etwas nicht nur der Form, sondern ihrer Bestimmung nach Abgeleitetes dar; vielmehr ist sein Begriff, nicht ein Abgeleitetes, sondern das schlechthin aus sich Anfangende zu sein. Am nächsten« (freilich!) »trifft daher hiermit die Vorstellung zu, das Recht des Monarchen als auf göttliche Autorität gegründet zu betrachten, denn darin ist das Unbedingte desselben enthalten.«
»Schlechthin aus sich anfangend« ist in gewissem Sinn jedes notwendige Dasein; in dieser Hinsicht die Laus des Monarchen so gut als der Monarch. Hegel hatte damit also nicht Besondres über den Monarchen gesagt. Soll aber etwas von allen übrigen Objekten der Wissenschaft und der Rechtsphilosophie spezifisch Verschiedenes vom Monarchen gelten, so ist das eine wirkliche Narrheit; bloß insofern richtig, als die »eine Person-Idee« allerdings etwas nur aus der Imagination und nicht aus dem Verstande Abzuleitendes ist.
»Volkssouveränität kann in dem Sinn gesagt werden, daß ein Volk überhaupt nach Außen ein Selbständiges sei und einen eigenen Staat ausmache« etc.
Das ist eine Trivialität. Wenn der Fürst die »wirkliche Staatssouveränität« ist, so müßte auch nach außen »der Fürst« für einen »selbständigen Staat« gelten können, auch ohne das Volk. Ist er aber souverän. Insofern er die Volkseinheit repräsentiert, so ist er also selbst nur Repräsentant, Symbol der Volkssouveränität. Die Volkssouveränität ist nicht durch ihn, sondern umgekehrt er durch sie.
»Man kann so auch von der Souveränität nach innen sagen, daß sie im Volke residiere, wenn man nur überhaupt vom Ganzen spricht, ganz so wie vorhin (§ 277, 278) gezeigt ist, daß dem Staate Souveränität zukomme.«
Als wäre nicht das Volk der wirkliche Staat. Der Staat ist ein Abstraktum. Das Volk allein ist das Konkretum. Und es ist merkwürdig, daß Hegel, der ohne Bedenken dem Abstraktum, nur mit Bedenken und Klauseln dem Konkretum eine lebendige Qualität wie die der Souveränität beilegt.
»Aber Volkssouveränität, als im Gegensatze gegen die im Monarchen existierende Souveränität genommen. Ist der gewöhnliche Sinn. in welchem man in neueren Zeiten von Volkssouveränität zu sprechen angefangen hat –, in diesem Gegensatze gehört die Volkssouveränität zu den verworrenen Gedanken, denen die wüste Vorstellung des Volkes zugrunde liegt.«
Die »verworrenen Gedanken« und die »wüste Vorstellung« befindet sich hier allein auf der Seite Hegels. Allerdings: wenn die Souveränität im Monarchen existiert, so ist es eine Narrheit, von einer gegensätzlichen Souveränität[229] im Volke zu sprechen; denn es liegt im Begriff der Souveränität, daß sie keine doppelte und gar entgegengesetzte Existenz haben kann. Aber:
1. ist grade die Frage: Ist die Souveränität, die im Monarchen absorbiert ist, nicht eine Illusion? Souveränität des Monarchen oder des Volkes, das ist die question;
2. kann auch von einer Souveränität des Volkes im Gegensatz gegen die im Monarchen existierende Souveränität gesprochen werden. Aber dann handelt es sich nicht um eine und dieselbe Souveränität, die auf zwei Seiten entstanden, sondern es handelt sich um zwei ganz entgegengesetzte Begriffe der Souveränität, von denen die eine eine solche ist, die in einem Monarchen, die andre eine solche, die nur in einem Volke zur Existenz kommen kann. Ebenso wie es sich fragt: Ist Gott der Souverän, oder ist der Mensch der Souverän? Eine von beiden ist eine Unwahrheit, wenn auch eine existierende Unwahrheit.
»Das Volk, ohne seinen Monarchen und die eben damit notwendig und unmittelbar zusammenhängende Gegliederung des Ganzen genommen, ist die formlose Masse, die kein Staat mehr ist und der keine der Bestimmungen, die nur in dem in sich geformten Ganzen vorhanden sind, – Souveränität, Regierung, Gerichte, Obrigkeit, Stände und was es sei, mehr zukommt. Damit, daß solche auf eine Organisation, das Staatsleben, sich beziehende Momente in einem Volke hervortreten, hört es auf, dies unbestimmte Abstraktum zu sein, das in der bloß allgemeinen Vorstellung Volk heißt.«
Dies Ganze eine Tautologie. Wenn ein Volk einen Monarchen und eine mit ihm notwendig und unmittelbar zusammenhängende Gliederung hat, d.h., wenn es als Monarchie gegliedert ist, so ist es allerdings, aus dieser Gliederung herausgenommen, eine formlose Masse und bloß allgemeine Vorstellung.
»Wird unter der Volkssouveränität die Form der Republik und zwar bestimmter der Demokratie verstanden [...], so [...] kann gegen die entwickelte Idee nicht mehr von solcher Vorstellung die Rede sein.«
Das ist allerdings richtig, wenn man nur eine »solche Vorstellung« und keine »entwickelte Idee« von der Demokratie hat.
Die Demokratie ist die Wahrheit der Monarchie, die Monarchie ist nicht die Wahrheit der Demokratie. Die Monarchie ist notwendig Demokratie als Inkonsequenz gegen sich selbst, das monarchische Moment ist keine Inkonsequenz in der Demokratie. Die Monarchie kann nicht, die Demokratie kann aus sich selbst begriffen werden. In der Demokratie erlangt keines der Momente eine andere Bedeutung, als ihm zukommt. Jedes ist wirklich nur Moment des ganzen Demos. In der Monarchie bestimmt ein Teil den Charakter des Ganzen. Die ganze Verfassung muß sich nach dem festen Punkt modifizieren. Die Demokratie ist die Verfassungsgattung. Die Monarchie ist eine[230] Art, und zwar eine schlechte Art. Die Demokratie ist Inhalt und Form. Die Monarchie soll nur Form sein, aber sie verfälscht den Inhalt.
In der Monarchie ist das Ganze, das Volk, unter eine seiner Daseinsweisen, die politische Verfassung, subsumiert; in der Demokratie erscheint die Verfassung selbst nur als eine Bestimmung, und zwar Selbstbestimmung des Volks. In der Monarchie haben wir das Volk der Verfassung; in der Demokratie die Verfassung des Volks. Die Demokratie ist das aufgelöste Rätsel aller Verfassungen. Hier ist die Verfassung nicht nur an sich, dem Wesen nach, sondern der Existenz, der Wirklichkeit nach in ihren wirklichen Grund, den wirklichen Menschen, das wirkliche Volk, stets zurückgeführt und als sein eignes Werk gesetzt. Die Verfassung erscheint als das, was sie ist, freies Produkt des Menschen; man könnte sagen, daß dies in gewisser Beziehung auch von der konstitutionellen Monarchie gelte, allein der spezifische Unterschied der Demokratie ist, daß hier die Verfassung überhaupt nur ein Daseinsmoment des Volkes, daß nicht die politische Verfassung für sich den Staat bildet.
Hegel geht vom Staat aus und macht den Menschen zum versubjektivierten Staat; die Demokratie geht vom Menschen aus und macht den Staat zum verobjektivierten Menschen. Wie die Religion nicht den Menschen, sondern wie der Mensch die Religion schafft, so schafft nicht die Verfassung das Volk, sondern das Volk die Verfassung. Die Demokratie verhält sich in gewisser Hinsicht zu allen übrigen Staatsformen, wie das Christentum sich zu allen übrigen Religionen verhält. Das Christentum ist die Religion kat' exochên das Wesen der Religion, der deifizierte Mensch als eine besondre Religion. So ist die Demokratie das Wesen aller Staatsverfassung, der sozialisierte Mensch, als eine besondre Staatsverfassung; sie verhält sich zu den übrigen Verfassungen, wie die Gattung sich zu ihren Arten verhält, nur daß hier die Gattung selbst als Existenz, darum gegenüber den dem Wesen nicht entsprechenden Existenzen selbst als eine besondre Art erscheint. Die Demokratie verhält sich zu allen übrigen Staatsformen als ihrem alten Testament. Der Mensch ist nicht des Gesetzes, sondern das Gesetz ist des Menschen wegen da, es ist menschliches Dasein, während in den andern der Mensch das gesetzliche Dasein ist. Das ist die Grunddifferenz der Demokratie.
Alle übrigen Staatsbildungen sind eine gewisse, bestimmte, besondere Staatsform. In der Demokratie ist das formelle Prinzip zugleich das materielle Prinzip. Sie ist daher erst die wahre Einheit des Allgemeinen und Besondern. In der Monarchie z.B., in der Republik als einer nur besondern[231] Staatsform, hat der politische Mensch sein besonderes Dasein neben dem unpolitischen, dem Privatmenschen. Das Eigentum, der Vertrag, die Ehe, die bürgerliche Gesellschaft erscheinen hier (wie dies Hegel für diese abstrakten Staatsformen ganz richtig entwickelt, nur daß er die Idee des Staats zu entwickeln meint) als besondre Daseinsweisen neben dem politischen Staat, als der Inhalt, zu dem sich der politische Staat als die organisierende Form verhält, eigentlich nur als der bestimmende, beschränkende, bald bejahende, bald verneinende, in sich selbst inhaltslose Verstand. In der Demokratie ist der politische Staat, so wie er sich neben diesen Inhalt stellt und von ihm unterscheidet, selbst nur ein besondrer Inhalt, wie eine besondre Daseinsform des Volkes. In der Monarchie z.B. hat dies Besondre, die politische Verfassung, die Bedeutung des alles Besondern beherrschenden und bestimmenden Allgemeinen. In der Demokratie ist der Staat als Besondres nur Besondres, als Allgemeines das wirkliche Allgemeine, d.h. keine Bestimmtheit im Unterschied zu dem andern Inhalt. Die neueren Franzosen haben dies so aufgefaßt, daß in der wahren Demokratie der politische Staat untergehe. Dies ist insofern richtig, als er qua politischer Staat, als Verfassung, nicht mehr für das Ganze gilt.
In allen von der Demokratie unterschiednen Staaten ist der Staat, das Gesetz, die Verfassung das Herrschende, ohne daß er wirklich herrschte, d.h. den Inhalt der übrigen nicht politischen Sphären materiell durchdringe. In der Demokratie ist die Verfassung, das Gesetz, der Staat selbst nur eine Selbstbestimmung des Volks und ein bestimmter Inhalt desselben, soweit er politische Verfassung ist.
Es versteht sich übrigens von selbst, daß alle Staatsformen zu ihrer Wahrheit die Demokratie haben und daher eben, soweit sie nicht die Demokratie sind, unwahr sind.
In den alten Staaten bildet der politische Staat den Staatsinhalt mit Ausschließung der andern Sphären; der moderne Staat ist eine Akkommodation zwischen dem politischen und dem unpolitischen Staat.
In der Demokratie hat der abstrakte Staat aufgehört, das herrschende Moment zu sein. Der Streit zwischen Monarchie und Republik ist selbst noch ein Streit innerhalb des abstrakten Staats. Die politische Republik ist die Demokratie innerhalb der abstrakten Staatsform. Die abstrakte Staatsform der Demokratie ist daher die Republik; sie hört hier aber auf, die nur politische Verfassung zu sein.
Das Eigentum etc., kurz der ganze Inhalt des Rechts und des Staats, ist mit wenigen Modifikationen in Nordamerika dasselbe wie in Preußen. Dort ist also die Republik eine bloße Staatsform wie hier die Monarchie. Der Inhalt[232] des Staats liegt außerhalb dieser Verfassungen. Hegel hat daher recht, wenn er sagt: Der politische Staat ist die Verfassung, d.h. der materielle Staat ist nicht politisch. Es findet hier nur eine äußere Identität, eine Wechselbestimmung statt. Von den verschiedenen Momenten des Volkslebens war es am schwersten, den politischen Staat, die Verfassung, herauszubilden. Sie entwickelte sich als die allgemeine Vernunft gegenüber den andern Sphären, als ein Jenseitiges derselben. Die geschichtliche Aufgabe bestand dann in ihrer Revindikation, aber die besondern Sphären haben dabei nicht das Bewußtsein, daß ihr privates Wesen mit dem jenseitigen Wesen der Verfassung oder des politischen Staates fällt, und daß sein jenseitiges Dasein nichts andres als der Affirmativ ihrer eignen Entfremdung ist. Die politische Verfassung war bisher die religiöse Sphäre, die Religion des Volkslebens, der Himmel seiner Allgemeinheit gegenüber dem irdischen Dasein seiner Wirklichkeit. Die politische Sphäre war die einzige Staatssphäre im Staat, die einzige Sphäre, worin der Inhalt wie die Form Gattungsinhalt, das wahrhaft Allgemeine war, aber zugleich so, daß, weil diese Sphäre den andern gegenüberstand, auch ihr Inhalt zu einem formellen und besondern wurde. Das politische Leben im modernen Sinn ist der Scholastizismus des Volkslebens. Die Monarchie ist der vollendete Ausdruck dieser Entfremdung. Die Republik ist die Negation derselben innerhalb ihrer eignen Sphäre. Es versteht sich, daß da erst die politische Verfassung als solche ausgebildet ist, wo die Privatsphären eine selbständige Existenz erlangt haben. Wo Handel und Grundeigentum unfrei, noch nicht verselbständigt sind, ist es auch noch nicht die politische Verfassung. Das Mittelalter war die Demokratie der Unfreiheit.
Die Abstraktion des Staats als solchen gehört erst der modernen Zeit, weil die Abstraktion des Privatlebens erst der modernen Zeit gehört. Die Abstraktion des politischen Staats ist ein modernes Produkt.
Im Mittelalter gab es Leibeigene, Feudalgut, Gewerbekorporation, Gelehrtenkorporation etc., d.h. im Mittelalter ist Eigentum, Handel, Sozietät, Mensch politisch; der materielle Inhalt des Staates ist durch seine Form gesetzt; jede Privatsphäre hat einen politischen Charakter oder ist eine politische Sphäre, oder die Politik ist auch der Charakter der Privatsphären. Im Mittelalter ist die politische Verfassung die Verfassung des Privateigentums, aber nur, weil die Verfassung des Privateigentums politische Verfassung ist. Im Mittelalter ist Volksleben und Staatsleben identisch. Der Mensch ist das wirkliche Prinzip des Staats, aber der unfreie Mensch. Er ist also die Demokratie der Unfreiheit, die durchgeführte Entfremdung. Der abstrakte reflektierte Gegensatz gehört erst der modernen Welt. Das Mittelalter ist der wirkliche, die moderne Zeit ist abstrakter Dualismus.
[233] »Auf der vorhin bemerkten Stufe, auf welcher die Einteilung der Verfassungen in Demokratie, Aristokratie und Monarchie gemacht worden ist, dem Standpunkte der noch in sich bleibenden substantiellen Einheit, die noch nicht zu ihrer unendlichen Unterscheidung und Vertiefung in sich gekommen ist, tritt das Moment der letzten sich selbst bestimmenden Willensentscheidung nicht als immanentes organisches Moment des Staates für sich in eigentümliche Wirklichkeit heraus.«
In der unmittelbaren Monarchie, Demokratie, Aristokratie gibt es noch keine politische Verfassung im Unterschied zu dem wirklichen, materiellen Staat oder dem übrigen Inhalt des Volkslebens. Der politische Staat erscheint noch nicht als die Form des materiellen Staates. Entweder ist, wie in Griechenland, die res publica die wirkliche Privatangelegenheit, der wirkliche Inhalt der Bürger, und der Privatmensch ist Sklave; der politische Staat als politischer ist der wahre einzige Inhalt ihres Lebens und Wollens; oder, wie in der asiatischen Despotie, der politische Staat ist nichts als die Privatwillkür eines einzelnen Individuums oder der politische Staat, wie der materielle, ist Sklave. Der Unterschied des modernen Staats von diesen Staaten der substantiellen Einheit zwischen Volk und Staat besteht nicht darin, daß die verschiedenen Momente der Verfassung zu besonderer Wirklichkeit ausgebildet sind, wie Hegel will, sondern darin, daß die Verfassung selbst zu einer besondern Wirklichkeit neben dem wirklichen Volksleben ausgebildet ist, daß der politische Staat zur Verfassung des übrigen Staats geworden ist.
§ 280. »Dieses letzte Selbst des Staatswillens ist in dieser seiner Abstraktion einfach und daher unmittelbare Einzelnheit; in seinem Begriffe selbst liegt hiermit die Bestimmung der Natürlichkeit; der Monarch ist daher wesentlich als dieses Individuum, abstrahiert von allem anderen Inhalte, und dieses Individuum auf unmittelbare natürliche Weise, durch die natürliche Geburt, zur Würde des Monarchen bestimmt.«
Wir haben schon gehört, daß die Subjektivität Subjekt und das Subjekt notwendig empirisches Individuum, Eins ist. Wir erfahren jetzt, daß im Begriff der unmittelbaren Einzelnheit die Bestimmung der Natürlichkeit, der Leiblichkeit liegt. Hegel hat nichts bewiesen, als was von selbst spricht, daß die Subjektivität nur als leibliches Individuum existiert, und, versteht sich, zum leiblichen Individuum gehört die natürliche Geburt.
Hegel meint, bewiesen zu haben, daß die Staatssubjektivität, die Souveränität, der Monarch »wesentlich« ist, »als dieses Individuum, abstrahiert von allem andern Inhalte und dieses Individuum, auf unmittelbare natürliche Weise, durch die natürliche Geburt, zur Würde des Monarchen bestimmt«.[234] Die Souveränität, die monarchische Würde, würde also geboren. Der Leib des Monarchen bestimmte seine Würde. Auf der höchsten Spitze des Staats entschiede also statt der Vernunft die bloße Physis. Die Geburt bestimmte die Qualität des Monarchen, wie sie die Qualität des Viehs bestimmt.
Hegel hat bewiesen, daß der Monarch geboren werden muß, woran niemand zweifelt, aber er hat nicht bewiesen, daß die Geburt zum Monarchen macht.
Die Geburt des Menschen zum Monarchen läßt sich ebensowenig zu einer metaphysischen Wahrheit machen wie die unbefleckte Empfängnis der Mutter Maria. So gut sich aber die letztere Vorstellung, dies Faktum des Bewußtseins, so gut läßt sich jenes Faktum der Empirie aus der menschlichen Illusion und den Verhältnissen begreifen.
In der Anmerkung, die wir näher betrachten, überläßt sich Hegel dem Vergnügen, das Unvernünftige als absolut vernünftig demonstriert zu haben.
»Dieser Übergang vom Begriff der reinen Selbstbestimmung in die Unmittelbarkeit des Seins und damit in die Natürlichkeit ist rein spekulativer Natur, seine Erkenntnis gehört daher der logischen Philosophie an.«
Allerdings ist das rein spekulativ, nicht daß aus der reinen Selbstbestimmung, einer Abstraktion, in die reine Natürlichkeit (den Zufall der Geburt), in das andere Extrem übergesprungen wird, car les extrêmes se touchent. Das Spekulative besteht darin, daß dies ein »Übergang des Begriffs« genannt und der vollkommne Widerspruch als Identität, die höchste Inkonsequenz für Konsequenz ausgegeben wird.
Als positives Bekenntnis Hegels kann angesehn werden, daß mit dem erblichen Monarchen an die Stelle der sich selbst bestimmenden Vernunft die abstrakte Naturbestimmtheit nicht als das, was sie ist, als Naturbestimmtheit, sondern als höchste Bestimmung des Staats tritt, daß dies der positive Punkt ist, wo die Monarchie den Schein nicht mehr retten kann, die Organisation des vernünftigen Willens zu sein.
»Es ist übrigens im Ganzen derselbe (?) Übergang, welcher als die Natur des Willens überhaupt bekannt und der Prozeß ist einen Inhalt aus der Subjektivität (als vorgestellten Zweck) in das Dasein zu übersetzen [...]. Aber die eigentümliche Form der Idee und des Überganges, der hier betrachtet wird, ist das unmittelbare Umschlagen der reinen Selbstbestimmung des Willens (des einfachen Begriffes selbst) in ein Dieses und natürliches Dasein, ohne die Vermittelung durch einen besondern Inhalt (einen Zweck im Handeln).«
Hegel sagt, daß das Umschlagen der Souveränität des Staats (einer Selbst denn Gegensätze ziehen sich an,[235] Bestimmung des Willens) in den Körper des gebornen Monarchen (in das Dasein) im Ganzen der Übergang des Inhalts überhaupt ist, den der Wille macht, um einen gedachten Zweck zu verwirklichen, ins Dasein zu übersetzen. Aber Hegel sagt: im Ganzen. Der eigentümliche Unterschied, den er angibt, ist so eigentümlich, alle Analogie aufzuheben, und die Magie an die Stelle der »Natur des Willens überhaupt« zu setzen.
Erstens ist das Umschlagen des vorgestellten Zwecks in das Dasein hier unmittelbar, magisch. Zweitens ist hier das Subjekt: die reine Selbstbestimmung des Willens, der einfache Begriff selbst; es ist das Wesen des Willens, was als mystisches Subjekt bestimmt; es ist kein wirkliches, individuelles, bewußtes Wollen, es ist die Abstraktion des Willens, die in ein natürliches Dasein umschlägt, die reine Idee, die sich als ein Individuum verkörpert.
Drittens, wie die Verwirklichung des Wollens in natürliches Dasein unmittelbar, d.h. ohne Mittel, geschieht, die sonst der Wille bedarf, um sich zu vergegenständlichen, so fehlt sogar ein besondrer, d.i. bestimmter Zweck, es findet nicht statt »die Vermittlung durch einen besondern Inhalt, einen Zweck im Handeln«, versteht sich, denn es ist kein handelndes Subjekt vorhanden, und die Abstraktion, die reine Idee des Willens, um zu handeln, muß sie mystisch handeln. Ein Zweck, der kein besondrer ist, ist kein Zweck, wie ein Handeln ohne Zweck ein zweckloses, sinnloses Handeln ist. Die ganze Vergleichung mit dem ideologischen Akt des Willens gesteht sich also zu guter Letzt selbst als eine Mystifikation ein. Ein inhaltsloses Handeln der Idee.
Das Mittel ist der absolute Wille und das Wort des Philosophen, der besondre Zweck ist wieder der Zweck des philosophierenden Subjekts, den erblichen Monarchen aus der reinen Idee zu konstruieren. Die Verwirklichung des Zwecks ist die einfache Versicherung Hegels.
»Im sogenannten ontologischen Beweise vom Dasein Gottes ist es dasselbe Umschlagen des absoluten Begriffes in das Sein« (dieselbe Mystifikation), »was die Tiefe der Idee in der neuem Zeit ausgemacht hat, was aber in der neuesten Zeit für das Unbegreifliche« (mit Recht) »ausgegeben worden ist.«
»Aber indem die Vorstellung des Monarchen als dem gewöhnlichen« (sc. dem verständigen) »Bewußtsein ganz anheimfallend angesehen wird. so bleibt hier um so mehr der Verstand bei seiner Trennung und den daraus fließenden Ergebnissen seiner räsonierenden Gescheutheit stehen und leugnet dann, daß das Moment der letzten Entscheidung im Staate an und für sich (d.i. im Vernunftbegriff) mit der unmittelbaren Natürlichkeit verbunden sei.«
Man leugnet, daß die letzte Entscheidung geboren werde, und Hegel behauptet, daß der Monarch die geborene letzte Entscheidung sei; aber wer hat je gezweifelt, daß die letzte Entscheidung im Staate an wirkliche leibliche[236] Individuen geknüpft sei, also »mit der unmittelbaren Natürlichkeit verbunden sei«?
§ 281. »Beide Momente in ihrer ungetrennten Einheit, das letzte grundlose Selbst des Willens und die damit ebenso grundlose Existenz, als der Natur anheimgestellte Bestimmung – diese Idee des von der Willkür Unbewegten macht die Majestät des Monarchen aus. In dieser Einheit liegt die wirkliche Einheit des Staats, welche nur durch diese ihre innere und äußere Unmittelbarkeit der Möglichkeit, in die Sphäre der Besonderheit, deren Willkür, Zwecke und Ansichten herabgezogen zu werden, dem Kampf der Faktionen gegen Faktionen um den Thron, und der Schwächung und Zertrümmerung der Staatsgewalt entnommen ist.«
Die beiden Momente sind: der Zufall des Willens, die Willkür, und der Zufall der Natur, die Geburt, also Seine Majestät der Zufall. Der Zufall ist also die wirkliche Einheit des Staats.
Inwiefern eine »innere und äußere Unmittelbarkeit« der Kollision etc. entnommen sein soll, ist von Hegel eine unbegreifliche Behauptung, da grade sie das Preisgegebne ist.
Was Hegel vom Wahlreich behauptet, gilt in noch höherem Grade vom erblichen Monarchen:
»Die Verfassung wird nämlich in einem Wahlreich durch die Natur des Verhältnisses, daß in ihm der partikuläre Wille zum letzten Entscheidenden gemacht ist, zu einer Wahl-Kapitulation« etc. etc. »zu einer Ergebung der Staatsgewalt auf die Diskretion des partikulären Willens, woraus die Verwandlung der besonderen Staatsgewalten in Privateigentum« etc. »hervorgeht.«
§ 282. »Aus der Souveränität des Monarchen fließt das Begnadigungsrecht der Verbrecher, denn ihr nur kommt die Verwirklichung der Macht des Geistes zu, das Geschehene ungeschehen zu machen, und im Vergeben und Vergessen das Verbrechen zu vernichten.«
Das Begnadigungsrecht ist das Recht der Gnade. Die Gnade ist der höchste Ausdruck der zufälligen Willkür, die Hegel sinnvoll zum eigentlichen Attribut des Monarchen macht. Hegel bestimmt im Zusatz selbst als ihren Ursprung »die grundlose Entscheidung«.
§ 283. »Das zweite in der Fürstengewalt Enthaltene ist das Moment der Besonderheit oder des bestimmten Inhalts und der Subsumtion desselben unter das Allgemeine. Insofern es eine besondere Existenz erhält, sind es oberste beratende Stellen und Individuen, die den Inhalt der vorkommenden Staatsangelegenheiten oder der aus vorhandenen Bedürfnissen nötig werdenden gesetzlichen Bestimmungen, mit ihren objektiven Seiten, den Entscheidungsgründen, darauf sich beziehenden Gesetzen, Umständen usf. zur Entscheidung vor den Monarchen bringen. Die Erwählung der Individuen zu diesem Geschäfte wie deren Entfernung fällt, da sie es mit der unmittelbaren Person des Monarchen zu tun haben, in seine unbeschränkte Willkür.«
[237] § 284. »Insofern das Objektive der Entscheidung, die Kenntnis des Inhalts und der Umstände, die gesetzlichen und andere Bestimmungsgründe, allein der Verantwortung, d.i. des Beweises der Objektivität fähig ist und daher einer von dem persönlichen Willen des Monarchen als solchem unterschiedenen Beratung zukommen kann, sind diese beratenden Stellen oder Individuen allein der Verantwortung unterworfen, die eigentümliche Majestät des Monarchen, als die letzte entscheidende Subjektivität, ist aber über alle Verantwortlichkeit für die Regierungshandlungen erhoben.«
Hegel beschreibt hier ganz empirisch die Ministergewalt, wie sie in konstitutionellen Staaten meistens bestimmt ist. Das einzige, was die Philosophie hinzutut. Ist, daß sie dieses »empirische Faktum« zur Existenz, zum Prädikat des »Momentes der Besonderheit in der fürstlichen Gewalt« macht.
(Die Minister repräsentieren die vernünftige objektive Seite des souveränen Willens. Ihnen kommt daher auch die Ehre der Verantwortung zu, während der Monarch mit der eigentümlichen Imagination der »Majestät« abgefunden wird.) Das spekulative Moment ist also sehr dürftig. Dagegen beruht die Entwicklung im besondern auf ganz empirischen, und zwar sehr abstrakten, sehr schlechten empirischen Gründen.
So ist z.B. die Wahl der Minister in »die unbeschränkte Willkür« des Monarchen gestellt, »da sie es mit der unmittelbaren Person des Monarchen zu tun haben«, d.h. da sie Minister sind. Ebenso kann die »unbeschränkte Wahl« des Kammerdieners des Monarchen aus der absoluten Idee entwickelt werden.
Besser ist schon der Grund für die Verantwortlichkeit der Minister, »Insofern das Objektive der Entscheidung, die Kenntnis des Inhalts und der Umstände, die gesetzlichen und anderen Bestimmungsgründe allein der Verantwortung, d.i. des Beweises der Objektivität, fähig ist«. Versteht sich, »die letzte entscheidende Subjektivität«, die reine Subjektivität, die reine Willkür ist nicht objektiv, also auch keines Beweises der Objektivität, also keiner Verantwortung fähig, sobald ein Individuum die geheiligte, sanktionierte Existenz der Willkür ist. Hegels Beweis ist schlagend, wenn man von den konstitutionellen Voraussetzungen ausgeht, aber Hegel hat diese Voraussetzungen damit nicht bewiesen, daß er sie in ihrer Grundvorstellung analysiert. In dieser Verwechslung liegt die ganze Unkritik der Hegelschen Rechtsphilosophie.
§ 285. »Das dritte Moment der fürstlichen Gewalt betrifft das an und für sich Allgemeine, welches in subjektiver Rücksicht in dem Gewissen des Monarchen, in objektiver Rücksicht im Ganzen der Verfassung und in den Gesetzen besteht; die fürstliche Gewalt setzt insofern die anderen Momente voraus, wie jedes von diesen sie voraussetzt.«
[238] § 286. »Die objektive Garantie der fürstlichen Gewalt, der rechtlichen Sukzession nach der Erblichkeit des Thrones usf. liegt darin, daß, wie diese Sphäre ihre von den anderen durch die Vernunft bestimmten Momenten ausgeschiedene Wirklichkeit hat, ebenso die anderen für sich die eigentümlichen Rechte und Pflichten ihrer Bestimmung haben; jedes Glied, indem es sich für sich erhält, erhält im vernünftigen Organismus eben damit die anderen in ihrer Eigentümlichkeit.«
Hegel sieht nicht, daß er mit diesem dritten Moment, dem »an und für sich Allgemeinen«, die beiden ersten in die Luft sprengt oder umgekehrt. »Die fürstliche Gewalt setzt insofern die anderen Momente voraus, wie jedes von diesen sie voraussetzt.« Wird dieses Setzen nicht mystisch, sondern realiter genommen, so ist die fürstliche Gewalt nicht durch die Geburt, sondern durch die andern Momente gesetzt, also nicht erblich, sondern fließend, d.h. eine Bestimmung des Staats, die abwechselnd an Staatsindividuen nach dem Organismus der andern Momente verteilt wird. In einem vernünftigen Organismus kann nicht der Kopf von Eisen und der Körper von Fleisch sein. Damit die Glieder sich erhalten, müssen sie ebenbürtig, von einem Fleisch und Blut sein. Aber der erbliche Monarch ist nicht ebenbürtig, er ist aus anderm Stoff. Der Prosa des rationalistischen Willens der andern Staatsglieder tritt hier die Magie der Natur gegenüber. Zudem, Glieder können sich nur insofern wechselseitig erhalten, als der ganze Organismus flüssig und jedes derselben in dieser Flüssigkeit aufgehoben, also keines, wie hier der Staatskopf, »unbewegt«, »inalterabel« ist. Hegel hebt durch diese Bestimmung also die »geborene Souveränität« auf.
Zweitens die Unverantwortlichkeit. Wenn der Fürst das »Ganze der Verfassung«, die »Gesetze«, verletzt, hört seine Unverantwortlichkeit, weil sein verfassungsmäßiges Dasein, auf; aber eben diese Gesetze, diese Verfassung, machen ihn unverantwortlich. Sie widersprechen also sich selbst, und diese eine Klausel hebt Gesetz und Verfassung auf. Die Verfassung der konstitutionellen Monarchie ist die Unverantwortlichkeit.
Begnügt sich Hegel aber damit, »daß, wie diese Sphäre ihre von den anderen durch die Vernunft bestimmten Momenten ausgeschiedene Wirklichkeit [hat], ebenso die anderen für sich die eigentümlichen Rechte und Pflichten ihrer Bestimmung haben«, so müßte er die Verfassung des Mittelalters eine Organisation nennen; so hat er bloß mehr eine Masse besonderer Sphären, die in dem Zusammenhang einer äußern Notwendigkeit zusammenstehn, und allerdings paßt auch nur hierhin ein leiblicher Monarch. In einem Staate, worin jede Bestimmung für sich existiert, muß auch die Souveränität des Staats als ein besondres Individuum befestigt sein.
[239] § 279. Anmerkung S. 367 heißt es:
»Volkssouveränität kann in dem Sinn gesagt werden, daß ein Volk überhaupt nach Außen ein Selbständiges sei und einen eigenen Staat ausmache, wie das Volk von Großbritannien, aber das Volk von England oder Schottland, Irland oder von Venedig, Genua, Ceylon usf. kein souveränes Volk mehr sei, seitdem sie aufgehört haben, eigene Fürsten oder oberste Regierungen für sich zu haben.«
Die Volkssouveränität ist also hier die Nationalität, die Souveränität des Fürsten ist die Nationalität, oder das Prinzip des Fürstentums ist die Nationalität, die für sich und ausschließlich die Souveränität eines Volkes bildet. Ein Volk, dessen Souveränität nur in der Nationalität besteht, hat einen Monarchen. Die verschiedne Nationalität der Völker kann sich nicht besser befestigen und ausdrücken als durch verschiedne Monarchen. Die Kluft, die zwischen einem absoluten Individuum und dem andern, ist zwischen diesen Nationalitäten.
Die Griechen (und Römer) waren national, weil und insofern sie das souveräne Volk waren. Die Germanen sind souverän, weil und insofern sie national sind.
»Eine sogenannte moralische Person«, heißt es ferner in derselben Anmerkung, »Gesellschaft, Gemeinde, Familie, so konkret sie in sich ist, hat die Persönlichkeit nur als Moment, abstrakt in ihr; sie ist darin nicht zur Wahrheit ihrer Existenz gekommen, der Staat aber ist eben diese Totalität, in welcher die Momente des Begriffs zur Wirklichkeit nach ihrer eigentümlichen Wahrheit gelangen.«
Die moralische Person, Gesellschaft, Familie etc. hat die Persönlichkeit nur abstrakt in ihr; dagegen im Monarchen hat die Person den Staat in sich.
In Wahrheit hat die abstrakte Person erst in der moralischen Person, Gesellschaft, Familie etc. Ihre Persönlichkeit zu einer wahren Existenz gebracht. Aber Hegel faßt Gesellschaft, Familie etc., überhaupt die moralische Person, nicht als die Verwirklichung der wirklichen, empirischen Person, sondern als wirkliche Person, die aber das Moment der Persönlichkeit erst abstrakt in ihr hat. Daher kommt bei ihm auch nicht die wirkliche Person zum Staat, sondern der Staat muß erst zur wirklichen Person kommen. Statt daß daher der Staat als die höchste Wirklichkeit der Person, als die höchste soziale Wirklichkeit des Menschen, wird ein einzelner empirischer Mensch, wird die empirische Person als die höchste Wirklichkeit des Staats hervorgebracht. Diese Verkehrung des Subjektiven in das Objektive und des Objektiven in das Subjektive (die daher rührt, daß Hegel die Lebensgeschichte der abstrakten Substanz,[240] der Idee, schreiben will, daß also die menschliche Tätigkeit etc. als Tätigkeit und Resultat eines andern erscheinen muß, daß Hegel das Wesen des Menschen für sich, als eine imaginäre Einzelnheit, statt in seiner wirklichen, menschlichen Existenz wirken lassen will) hat notwendig das Resultat, daß unkritischerweise eine empirische Existenz als die wirkliche Wahrheit der Idee genommen wird; denn es handelt sich nicht davon, die empirische Existenz zu ihrer Wahrheit, sondern die Wahrheit zu einer empirischen Existenz zu bringen, und da wird denn die zunächstliegende als ein reales Moment der Idee entwickelt. (Über dieses notwendige Umschlagen von Empirie in Spekulation und von Spekulation in Empirie später mehr.)
Auf diese Weise wird denn auch der Eindruck des Mystischen und Tiefen hervorgebracht. Es ist sehr vulgär, daß der Mensch geboren worden ist; und daß dies durch die physische Geburt gesetzte Dasein zum sozialen Menschen etc. wird bis zum Staatsbürger herauf; der Mensch wird durch seine Geburt alles, was er wird. Aber es ist sehr tief, es ist frappant, daß die Staatsidee unmittelbar geboren wird, in der Geburt des Fürsten sich selbst zum empirischen Dasein herausgeboren hat. Es ist auf diese Weise kein Inhalt gewonnen, sondern nur die Form des alten Inhalts verändert. Er hat eine philosophische Form erhalten, ein philosophisches Attest.
Eine andere Konsequenz dieser mystischen Spekulation ist, daß ein besondres empirisches Dasein, ein einzelnes empirisches Dasein im Unterschied von den andern als das Dasein der Idee gefaßt wird. Es macht wieder einen tiefen mystischen Eindruck, ein besondres empirisches Dasein von der Idee gesetzt zu sehen und so auf allen Stufen einer Menschwerdung Gottes zu begegnen.
Würden z.B. bei der Entwicklung von Familie, bürgerlicher Gesellschaft, Staat etc. diese sozialen Existentialweisen des Menschen als Verwirklichung, Verobjektivierung seines Wesens betrachtet, so erscheinen Familie etc. als einem Subjekt inhärente Qualitäten. Der Mensch bleibt immer das Wesen aller dieser Wesen, aber diese Wesen erscheinen auch als seine wirkliche Allgemeinheit, daher auch als das Gemeinsame. Sind dagegen Familie, bürgerliche Gesellschaft, Staat etc. Bestimmungen der Idee, der Substanz als Subjekt, so müssen sie eine empirische Wirklichkeit erhalten und die Menschenmasse, in der sich die Idee der bürgerlichen Gesellschaft entwickelt, ist Bürger, die andere Staatsbürger. Da es eigentlich nur um eine Allegorie, nur darum zu tun ist, irgendeiner empirischen Existenz die Bedeutung der verwirklichten Idee beizulegen, so versteht es sich, daß diese Gefäße ihre Bestimmung erfüllt haben, sobald sie zu einer bestimmten Inkorporation eines Lebensmomentes der Idee geworden sind. Das Allgemeine erscheint daher überall[241] als ein Bestimmtes, Besonderes, wie das Einzelne nirgends zu seiner wahren Allgemeinheit kommt.
Am tiefsten, spekulativsten erscheint es daher notwendig, wenn die abstraktesten, noch durchaus zu keiner wahren sozialen Verwirklichung gereiften Bestimmungen, die Naturbasen des Staats, wie die Geburt (beim Fürsten) oder das Privateigentum (im Majorat) als die höchsten, unmittelbar Mensch gewordenen Ideen erscheinen.
Und es versteht sich von selbst. Der wahre Weg wird auf den Kopf gestellt. Das Einfachste ist das Verwickeltste und das Verwickeltste das Einfachste. Was Ausgang sein sollte, wird zum mystischen Resultat, und was rationelles Resultat sein sollte, wird zum mystischen Ausgangspunkt.
Wenn aber der Fürst die abstrakte Person ist, die den Staat in sich hat, so heißt das überhaupt nichts, als daß das Wesen des Staats die abstrakte, die Privatperson ist. Bloß in seiner Blüte spricht er sein Geheimnis aus. Der Fürst ist die einzige Privatperson, in der sich das Verhältnis der Privatperson überhaupt zum Staat verwirklicht.
Die Erblichkeit des Fürsten ergibt sich aus seinem Begriff. Er soll die spezifisch von der ganzen Gattung, von allen andern Personen unterschiedene Person sein. Welches ist nun der letzte feste Unterschied einer Person von allen andern? Der Leib. Die höchste Funktion des Leibes ist die Geschlechtstätigkeit. Der höchste konstitutionelle Akt des Königs ist daher seine Geschlechtstätigkeit, denn durch diese macht er einen König und setzt seinen Leib fort. Der Leib seines Sohnes ist die Reproduktion seines eigenen Leibes, die Schöpfung eines königlichen Leibes.
§ 287. »Von der Entscheidung ist die Ausführung und Anwendung der fürstlichen Entscheidungen, überhaupt das Fortführen und Im-Stande-Erhalten des bereits Entschiedenen, der vorhandenen Gesetze, Einrichtungen, Anstalten für gemeinschaftliche Zwecke und dergleichen unterschieden. Dies Geschäft der Subsumtion [...] begreift die Regierungsgewalt in sich, worunter ebenso die richterlichen und polizeilichen Gewalten begriffen sind, welche unmittelbarer auf das Besondere der bürgerlichen Gesellschaft Beziehung haben und das allgemeine Interesse in diesen Zwecken geltend machen.«
Die gewöhnliche Erklärung der Regierungsgewalt. Als Hegel eigentümlich kann nur angegeben werden, daß er Regierungsgewalt, polizeiliche Gewalt und richterliche Gewalt koordiniert, während sonst administrative und richterliche Gewalt als Gegensätze behandelt werden.
[242] § 288. »Die gemeinschaftlichen besonderen Interessen, die in die bürgerliche Gesellschaft fallen und außerdem an und für sich seienden Allgemeinen des Staats selbst liegen (§ 256), haben ihre Verwaltung in den Korporationen (§ 251) der Gemeinden und sonstiger Gewerbe und Stände und deren Obrigkeiten, Vorsteher, Verwalter und dergleichen. Insofern diese Angelegenheiten, die sie besorgen, einerseits das Privateigentum und Interesse dieser besondern Sphären sind und nach dieser Seite ihre Autorität mit auf dem Zutrauen ihrer Standesgenossen und Bürgerschaften beruht, andererseits diese Kreise den höheren Interessen des Staats untergeordnet sein müssen, wird sich für die Besetzung dieser Stellen im allgemeinen eine Mischung von gemeiner Wahl dieser Interessenten und von einer höheren Bestätigung und Bestimmung ergeben.«
Einfache Beschreibung des empirischen Zustandes in einigen Ländern.
§ 289. »Die Festhaltung des allgemeinen Staatsinteresses und des Gesetzlichen in diesen besonderen Rechten und die Zurückführung derselben auf jenes erfordert eine Besorgung durch Abgeordnete der Regierungsgewalt, die exekutiven Staatsbeamten und die höheren beratenden, insofern kollegialisch konstituierten Behörden, welche in den obersten, den Monarchen berührenden Spitzen zusammenlaufen.«
Hegel hat die Regierungsgewalt nicht entwickelt. Aber selbst dies unterstellt, so hat er nicht bewiesen, daß sie mehr als eine Funktion, eine Bestimmung des Staatsbürgers überhaupt ist, er hat sie als eine besondere, separierte Gewalt nur dadurch deduziert, daß er die »besonderen Interessen der bürgerlichen Gesellschaft« als solche betrachtet, die »außer dem an und für sich seienden Allgemeinen des Staats liegen«.
»Wie die bürgerliche Gesellschaft der Kampfplatz des individuellen Privatinteresses Aller gegen Alle ist, so hat hier der Konflikt desselben gegen die gemeinschaftlichen besonderen Angelegenheiten und dieser zusammen mit jenem gegen die höheren Gesichtspunkte und Anordnungen des Staats seinen Sitz. Der Korporationsgeist, der sich in der Berechtigung der besondern Sphären erzeugt, schlägt in sich selbst zugleich in den Geist des Staats um, indem er an dem Staate das Mittel der Erhaltung der besonderen Zwecke hat. Dies ist das Geheimnis des Patriotismus der Bürger nach dieser Seite, daß sie den Staat als ihre Substanz wissen, weil er ihre besondern Sphären, deren Berechtigung und Autorität wie deren Wohlfahrt erhält. In dem Korporationsgeist, da er die Einwurzelung des Besonderen in das Allgemeine unmittelbar enthält, ist insofern die Tiefe und die Stärke des Staates, die er in der Gesinnung hat.«
Merkwürdig
1. wegen der Definition der bürgerlichen Gesellschaft als des bellum omnium contra omnes;[243]
2. weil der Privategoismus als das »Geheimnis des Patriotismus der Bürger« verraten wird und als die »Tiefe und Stärke des Staats in der Gesinnung«:
3. weil der »Bürger«, der Mann des besonderen Interesses im Gegensatz zum Allgemeinen, das Mitglied der bürgerlichen Gesellschaft als »fixes Individuum« betrachtet wird, wogegen ebenso der Staat in »fixen Individuen« den »Bürgern« gegenübertritt.
Hegel, sollte man meinen, mußte die »bürgerliche Gesellschaft« wie die »Familie« als Bestimmung jedes Staatsindividuums, also auch die späteren »Staatsqualitäten« ebenso als Bestimmung des Staatsindividuums überhaupt bestimmen. Aber es ist nicht dasselbe Individuum, welches eine neue Bestimmung seines sozialen Wesens entwickelt. Es ist das Wesen des Willens, welches seine Bestimmungen angeblich aus sich selbst entwickelt. Die bestehenden verschiedenen und getrennten, empirischen Existenzen des Staates werden als unmittelbare Verkörperungen einer dieser Bestimmungen betrachtet.
Wie das Allgemeine als solches verselbständigt wird, wird es unmittelbar mit der empirischen Existenz konfundiert, wird das Beschränkte unkritischerweise sofort für den Ausdruck der Idee genommen.
Mit sich selbst gerät Hegel hier nur insofern in Widerspruch, als er den »Familienmenschen« nicht gleichmäßig wie den Bürger als eine fixe, von den übrigen Qualitäten ausgeschlossene Rasse betrachtet.
§ 290. »Indem Geschäfte der Regierung findet sich gleichfalls die Teilung der Arbeit [...] ein. Die Organisation der Behörden hat insofern die formelle, aber schwierige Aufgabe, daß von unten, wo das bürgerliche Leben konkret ist, dasselbe auf konkrete Weise regiert werde, daß dies Geschäft aber in seine abstrakte Zweige geteilt sei, die von eigentümlichen Behörden als unterschiedenen Mittelpunkten behandelt werden, deren Wirksamkeit nach unten sowie in der obersten Regierungsgewalt in eine konkrete Übersicht wieder zusammenlaufe.«
Der Zusatz hierzu später zu betrachten.
§ 291. »Die Regierungsgeschäfte sind objektiver, für sich ihrer Substanz nach bereits entschiedener Natur (§ 287) und durch Individuen zu vollführen und zu verwirklichen. Zwischen beiden liegt keine unmittelbare natürliche Verknüpfung; die Individuen sind daher nicht durch die natürliche Persönlichkeit und die Geburt dazu bestimmt. Für ihre Bestimmung zu demselben ist das objektive Moment die Erkenntnis und der Erweis ihrer Befähigung –, ein Erweis, der dem Staate sein Bedürfnis und als die einzige Bedingung zugleich jedem Bürger die Möglichkeit, sich dem allgemeinen Stande zu widmen, sichert.«
§ 292. »Die subjektive Seite, daß dieses Individuum aus Mehreren, deren es, da hier das Objektive nicht (wie z.B. bei der Kunst) in Genialität liegt, notwendig unbestimmt Mehrere gibt, unter denen der Vorzug nichts absolut Bestimmbares ist,[244] zu einer Stelle gewählt und ernannt und zur Führung des öffentlichen Geschäftes bevollmächtigt wird, diese Verknüpfung des Individuums und des Amtes, als zweier für sich gegeneinander immer zufälligen Seiten, kommt der fürstlichen als der entscheidenden und souveränen Staatsgewalt zu.«
§ 293. »Die besonderen Staatsgeschäfte, welche die Monarchie den Behörden übergibt, machen einen Teil der objektiven Seite der dem Monarchen innewohnenden Souveränität aus; ihr bestimmter Unterschied ist ebenso durch die Natur der Sache gegeben; und wie die Tätigkeit der Behörden eine Pflichterfüllung, so ist ihr Geschäft auch ein der Zufälligkeit entnommenes Recht.«
Nur aufzumerken auf die »objektive Seite der dem Monarchen innewohnenden Souveränität«.
§ 294. »Das Individuum, das durch den souveränen Akt (§ 292) einem amtlichen Berufe verknüpft ist, ist auf seine Pflichterfüllung, das Substantielle seines Verhältnisses, als Bedingung dieser Verknüpfung angewiesen, in welcher es als Folge dieses substantiellen Verhältnisses das Vermögen und die gesicherte Befriedigung seiner Besonderheit (§ 264) und Befreiung seiner äußern Lage und Amtstätigkeit von sonstiger subjektiver Abhängigkeit und Einfluß findet.«
»Der Staatsdienst«, heißt es in der Anmerkung, »fordert [...] die Aufopferung selbständiger und beliebiger Befriedigung subjektiver Zwecke und gibt eben damit das Recht, sie in der pflichtmäßigen Leistung, aber nur in ihr zu finden. Hierin liegt nach dieser Seite die Verknüpfung des allgemeinen und besonderen Interesses, welche den Begriff und die innere Festigkeit des Staats ausmacht (§ 260).« »Durch die gesicherte Befriedigung des besonderen Bedürfnisses ist die äußere Not gehoben, welche die Mittel dazu auf Kosten der Amtstätigkeit und Pflicht zu suchen veranlassen kann. In der allgemeinen Staatsgewalt finden die mit seinen Geschäften Beauftragten Schutz gegen die andere subjektive Seite, gegen die Privatleidenschaften der Regierten, deren Privatinteresse usf. durch das Geltendmachen des Allgemeinen dagegen beleidigt wird.«
§ 295. »Die Sicherung des Staats und der Regierten gegen den Mißbrauch der Gewalt von seiten der Behörden und ihrer Beamten liegt einerseits unmittelbar in ihrer Hierarchie und Verantwortlichkeit, andererseits in der Berechtigung der Gemeinden, Korporationen, als wodurch die Einmischung subjektiver Willkür in die den Beamten anvertraute Gewalt für sich gehemmt und die in das einzelne Benehmen nicht reichende Kontrolle von Oben, von Unten ergänzt wird.«
§ 296. »Daß aber die Leidenschaftlosigkeit, Rechtlichkeit und Milde des Benehmens Sitte werde, hängt teils mit der direkten sittlichen und Gedankenbildung zusammen, welche dem, was die Erlernung der sogenannten Wissenschaften der Gegenstände dieser Sphären, die erforderliche Geschäftseinübung, die wirkliche Arbeit usf. von Mechanismus und dergleichen in sich hat, das geistige Gleichgewicht hält; teils ist die Größe des Staats ein Hauptmoment, wodurch sowohl das Gewicht von Familien- und anderen Privatverbindungen geschwächt, als auch Rache, Haß und andere solche Leidenschaften ohnmächtiger und damit stumpfer werden; in der Beschäftigung mit den [in dem] großen Staate vorhandenen großen Interessen gehen für sich diese subjektiven[245] Seiten unter und erzeugt sich die Gewohnheit allgemeiner Interessen, Ansichten und Geschäfte.«
§ 297. »Die Mitglieder der Regierung und die Staatsbeamten machen den Hauptteil des Mittelstandes aus. In welchen die gebildete Intelligenz und das rechtliche Bewußtsein der Masse eines Volkes fällt. Daß er nicht die isolierte Stellung einer Aristokratie nehme und Bildung und Geschicklichkeit nicht zu einem Mittel der Willkür und einer Herrenschaft werde wird durch die Institutionen der Souveränität von oben herab und der Korporationsrechte von unten herauf bewirkt.«
»Zusatz. In dem Mittelstande, zu dem die Staatsbeamten gehören, ist das Bewußtsein des Staates und die hervorstechendste Bildung. Deswegen macht er auch die Grundsäule desselben in Beziehung auf Rechtlichkeit und Intelligenz aus.« »Daß dieser Mittelstand gebildet werde, ist ein Hauptinteresse des Staates, aber dies kann nur in einer Organisation, wie die ist, welche wir gesehen haben, geschehen, nämlich durch die Berechtigung besonderer Kreise, die relativ unabhängig sind, und durch eine Beamtenwelt, deren Willkür sich an solchen Berechtigten bricht. Das Handeln nach allgemeinem Rechte und die Gewohnheit dieses Handelns ist eine Folge des Gegensatzes, den die für sich selbständigen Kreise bilden.«
Was Hegel über die »Regierungsgewalt« sagt, verdient nicht den Namen einer philosophischen Entwicklung. Die meisten Paragraphen könnten wörtlich im preußischen Landrecht stehn, und doch ist die eigentliche Administration der schwierigste Punkt der Entwicklung.
Da Hegel die »polizeiliche« und die »richterliche« Gewalt schon der Sphäre der bürgerlichen Gesellschaft vindiziert hat, so ist die Regierungsgewalt nichts anderes als die Administration, die er als Bürokratie entwickelt.
Der Bürokratie sind zunächst vorausgesetzt die »Selbstverwaltung« der bürgerlichen Gesellschaft in »Korporationen«. Die einzige Bestimmung, die hinzukommt. Ist, daß die Wahl der Verwalter, Obrigkeiten derselben etc. eine gemischte ist, ausgehend von den Bürgern, bestätigt von der eigentlichen Regierungsgewalt; (»höhere Bestätigung«, wie Hegel sagt).
Über dieser Sphäre zur »Festhaltung des allgemeinen Staatsinteresses und des Gesetzlichen« stehn »Abgeordnete der Regierungsgewalt«, die »exekutiven Staatsbeamten« und die »kollegialischen Behörden«, welche im »Monarchen« zusammenlaufen.
In dem »Geschäfte der Regierung« findet »Teilung der Arbeit« statt. Die Individuen müssen ihre Fähigkeit zu Regierungsgeschäften beweisen, d.h. Examina ablegen. Die Wahl der bestimmten Individuen zu Staatsämtern kommt der fürstlichen Staatsgewalt zu. Die Einteilung dieser Geschäfte ist »durch die Natur der Sache gegeben«. Das Amtsgeschäft ist die Pflicht, der Lebensberuf der Staatsbeamten. Sie müssen daher besoldet werden vom Staat. Die Garantie gegen den Mißbrauch der Bürokratie ist teils ihre Hierarchie[246] und Verantwortlichkeit, andrerseits die Berechtigung der Gemeinden, Korporationen; ihre Humanität hängt teils mit der »direkten sittlichen und Gedankenbildung«, teils mit der »Größe des Staats« zusammen. Die Beamten bilden den »Hauptteil des Mittelstandes«. Gegen ihn als »Aristokratie Und Herrenschaft« schützen teils die »Institutionen der Souveränität von oben herab«, teils »die der Korporationsrechte von unten herauf«. Der »Mittelstand« ist der Stand der »Bildung«. Voilà tout. Hegel gibt uns eine empirische Beschreibung der Bürokratie, teils wie sie wirklich ist, teils der Meinung, die sie selbst von ihrem Sein hat. Und damit ist das schwierige Kapitel von der »Regierungsgewalt« erledigt.
Hegel geht von der Trennung des »Staats« und der »bürgerlichen« Gesellschaft, den »besondren Interessen« und dem »an und für sich seienden Allgemeinen« aus, und allerdings basiert die Bürokratie auf dieser Trennung. Hegel geht von der Voraussetzung der »Korporationen« aus, und allerdings setzt die Bürokratie die Korporationen voraus, wenigstens den »Korporationsgeist«. Hegel entwickelt keinen Inhalt der Bürokratie, sondern nur einige allgemeine Bestimmungen ihrer »formellen« Organisation, und allerdings ist die Bürokratie nur der »Formalismus« eines Inhalts, der außerhalb derselben liegt.
Die Korporationen sind der Materialismus der Bürokratie, und die Bürokratie ist der Spiritualismus der Korporationen. Die Korporation ist die Bürokratie der bürgerlichen Gesellschaft; die Bürokratie ist die Korporation des Staats. In der Wirklichkeit tritt sie daher als die »bürgerliche Gesellschaft des Staats« dem »Staat der bürgerlichen Gesellschaft«, den Korporationen gegenüber. Wo die »Bürokratie« neues Prinzip ist, wo das allgemeine Staatsinteresse anfängt, für sich ein »apartes«, damit ein »wirkliches« Interesse zu werden, kämpft sie gegen die Korporationen, wie jede Konsequenz gegen die Existenz ihrer Voraussetzungen kämpft. Sobald dagegen das wirkliche Staatsleben erwacht und die bürgerliche Gesellschaft sich von den Korporationen aus eignem Vernunfttrieb befreit, sucht die Bürokratie sie zu restaurieren; denn sobald der »Staat der bürgerlichen Gesellschaft« fällt, fällt die »bürgerliche Gesellschaft des Staats«. Der Spiritualismus verschwindet mit dem ihm gegenüberstehenden Materialismus. Die Konsequenz kämpft für die Existenz ihrer Voraussetzungen, sobald ein neues Prinzip nicht gegen die Existenz, sondern gegen das Prinzip dieser Existenz kämpft. Derselbe Geist, der in der Gesellschaft die Korporation, schafft im Staat die Bürokratie. Sobald also der Korporationsgeist, wird der Geist der Bürokratie[247] angegriffen, und wenn sie früher die Existenz der Korporationen bekämpfte, um ihrer eignen Existenz Raum zu schaffen, so sucht sie jetzt gewaltsam die Existenz der Korporationen zu halten, um den Korporationsgeist, ihren eigenen Geist zu retten.
Die »Bürokratie« ist der »Staatsformalismus« der bürgerlichen Gesellschaft. Sie ist das »Staatsbewußtsein«, der »Staatswille«, die »Staatsmacht«, als eine Korporation (das »allgemeine Interesse« kann sich dem Besondern gegenüber nur als ein »Besonderes« halten, solange sich das Besondere dem Allgemeinen gegenüber als ein »Allgemeines« hält. Die Bürokratie muß also die imaginäre Allgemeinheit des besondren Interesses, den Korporationsgeist, beschützen, um die imaginäre Besonderheit des allgemeinen Interesses, ihren eigenen Geist, zu beschützen. Der Staat muß Korporation sein, solange die Korporation Staat sein will), also eine besondere, geschlossene Gesellschaft im Staat. Die Bürokratie will aber die Korporation als eine imaginäre Macht. Allerdings hat auch die einzelne Korporation diesen Willen für ihr besonderes Interesse gegen die Bürokratie, aber sie will die Bürokratie gegen die andere Korporation, gegen das andere besondere Interesse. Die Bürokratie als die vollendete Korporation trägt daher den Sieg davon über die Korporation als die unvollendete Bürokratie. Sie setzt dieselbe zum Schein herab oder will sie zum Schein herabsetzen, aber sie will, daß dieser Schein existiere und an seine eigene Existenz glaube. Die Korporation ist der Versuch der bürgerlichen Gesellschaft, Staat zu werden; aber die Bürokratie ist der Staat, der sich wirklich zur bürgerlichen Gesellschaft gemacht hat.
Der »Staatsformalismus«, der die Bürokratie ist, ist der »Staat als Formalismus«, und als solchen Formalismus hat sie Hegel beschrieben. Da dieser »Staatsformalismus« sich als wirkliche Macht konstituiert und sich selbst zu einem eignen materiellen Inhalt wird, so versteht es sich von selbst, daß die »Bürokratie« ein Gewebe von praktischen Illusionen oder die »Illusion des Staats« ist. Der bürokratische Geist ist ein durch und durch jesuitischer, theologischer Geist. Die Bürokraten sind die Staatsjesuiten und Staatstheologen. Die Bürokratie ist la république prêtre.
Da die Bürokratie der »Staat als Formalismus« ihrem Wesen nach ist, so ist sie es auch ihrem Zweck nach. Der wirkliche Staatszweck erscheint also der Bürokratie als ein Zweck wider den Staat. Der Geist der Bürokratie ist der »formelle Staatsgeist«. Sie macht daher den »formellen Staatsgeist« oder die wirkliche Geistlosigkeit des Staats zum kategorischen Imperativ. Die Bürokratie gilt sich selbst als der letzte Endzweck des Staats. Da die Bürokratie[248] ihre »formellen« Zwecke zu ihrem Inhalt macht, so gerät sie überall in Konflikt mit den »reellen« Zwecken. Sie ist daher genötigt, das Formelle für den Inhalt und den Inhalt für das Formelle auszugeben. Die Staatszwecke verwandeln sich in Bürozwecke oder die Bürozwecke in Staatszwecke. Die Bürokratie ist ein Kreis, aus dem niemand herausspringen kann. Ihre Hierarchie ist eine Hierarchie des Wissens. Die Spitze vertraut den untern Kreisen die Einsicht ins Einzelne zu, wogegen die untern Kreise der Spitze die Einsicht in das Allgemeine zutrauen, und so tauschen sie sich wechselseitig.
Die Bürokratie ist der imaginäre Staat neben dem reellen Staat, der Spiritualismus des Staats. Jedes Ding hat daher eine doppelte Bedeutung, eine reelle und eine bürokratische, wie das Wissen ein doppeltes ist, ein reelles und ein bürokratisches (so auch der Wille). Das reelle Wesen wird aber behandelt nach seinem bürokratischen Wesen, nach seinem jenseitigen, spirituellen Wesen. Die Bürokratie hat das Staatswesen, das spirituelle Wesen der Gesellschaft in ihrem Besitze, es ist ihr Privateigentum. Der allgemeine Geist der Bürokratie ist das Geheimnis, das Mysterium, innerhalb ihrer selbst durch die Hierarchie, nach außen als geschlossene Korporation bewahrt. Der offenbare Staatsgeist, auch die Staatsgesinnung, erscheinen daher der Bürokratie als ein Verrat an ihrem Mysterium. Die Autorität ist daher das Prinzip ihres Wissens, und die Vergötterung der Autorität ist ihre Gesinnung. Innerhalb ihrer selbst aber wird der Spiritualismus zu einem krassen Materialismus, dem Materialismus des passiven Gehorsams, des Autoritätsglaubens, des Mechanismus eines fixen formellen Handelns, fixer Grundsätze, Anschauungen, Überlieferungen. Was den einzelnen Bürokraten betrifft, so wird der Staatszweck zu seinem Privatzweck, zu einem Jagen nach höheren Posten, zu einem Machen von Karriere. Erstens betrachtet er das wirkliche Leben als ein materielles, denn der Geist dieses Lebens hat seine für sich abgesonderte Existenz in der Bürokratie. Die Bürokratie muß daher dahin gehn, das Leben so materiell wie möglich zu machen. Zweitens ist es für ihn selbst, d.h. soweit es zum Gegenstand der bürokratischen Behandlung wird, materiell, denn sein Geist ist ihm vorgeschrieben, sein Zweck liegt außer ihm, sein Dasein ist das Dasein des Büros. Der Staat existiert nur mehr als verschiedene fixe Bürogeister, deren Zusammenhang die Subordination und der passive Gehorsam ist. Die wirkliche Wissenschaft erscheint als inhaltslos, wie das wirkliche Leben als tot, denn dies imaginäre Wissen und dies imaginäre Leben gelten für das Wesen. Der Bürokrat muß daher Jesuitisch mit dem wirklichen Staat verfahren, sei dieser Jesuitismus nun ein bewußter oder bewußtloser. Es ist aber notwendig, daß er, sobald sein Gegensatz Wissen ist, ebenfalls zum Selbstbewußtsein gelangt und nun absichtlicher Jesuitismus wird.[249]
Während die Bürokratie einerseits dieser krasse Materialismus ist, zeigt sich ihr krasser Spiritualismus darin, daß sie Alles machen will, d.h., daß sie den Willen zur causa prima macht, weil sie bloß tätiges Dasein ist und ihren Inhalt von außen empfängt. Ihre Existenz also nur durch Formieren, Beschränken dieses Inhalts beweisen kann. Der Bürokrat hat in der Welt ein bloßes Objekt seiner Behandlung.
Wenn Hegel die Regierungsgewalt die objektive Seite der dem Monarchen innewohnenden Souveränität nennt, so ist das richtig in demselben Sinn, wie die katholische Kirche das reelle Dasein der Souveränität, des Inhalts und Geistes der heiligen Dreieinigkeit war. In der Bürokratie ist die Identität des Staatsinteresses und des besonderen Privatzwecks so gesetzt, daß das Staatsinteresse zu einem besonderen Privatzweck gegenüber den anderen Privatzwecken wird.
Die Aufhebung der Bürokratie kann nur sein, daß das allgemeine Interesse wirklich und nicht, wie bei Hegel, bloß im Gedanken, in der Abstraktion zum besondren Interesse wird, was nur dadurch möglich ist, daß das besondere Interesse wirklich zum allgemeinen wird. Hegel geht von einem unwirklichen Gegensatz aus und bringt es daher nur zu einer imaginären, in Wahrheit selbst wieder gegensätzlichen Identität. Eine solche Identität ist die Bürokratie.
Verfolgen wir nun im einzelnen seine Entwicklung.
Die einzige philosophische Bestimmung, die Hegel über die Regierungsgewalt gibt, ist die der »Subsumtion« des Einzelnen und Besonderen unter das Allgemeine etc.
Hegel begnügt sich damit. Auf der einen Seite: Kategorie »Subsumtion« des Besondern etc. Die muß verwirklicht werden. Nun nimmt er irgendeine der empirischen Existenzen des preußischen oder modernen Staats (wie sie ist mit Haut und Haar), welche unter anderm auch diese Kategorie verwirklicht, obgleich mit derselben nicht ihr spezifisches Wesen ausgedrückt ist. Die angewandte Mathematik ist auch Subsumtion etc. Hegel fragt nicht. Ist dies die vernünftige, die adäquate Weise der Subsumtion? Er hält nur die eine Kategorie fest und begnügt sich damit, eine entsprechende Existenz für sie zu finden. Hegel gibt seiner Logik einen politischen Körper, er gibt nicht die Logik des politischen Körpers (§ 287).
Über das Verhältnis der Korporationen, Gemeinden zu der Regierung erfahren wir zunächst, daß ihre Verwaltung (die Besetzung ihrer Magistratur) »im allgemeinen eine Mischung von gemeiner Wahl dieser Interessenten[250] und von einer höheren Bestätigung und Bestimmung« erheischt. Die gemischte Wahl der Gemeinde- und Korporationsvorsteher wäre also das erste Verhältnis zwischen bürgerlicher Gesellschaft und Staat oder Regierungsgewalt, ihre erste Identität (§ 288). Diese Identität ist nach Hegel selbst sehr oberflächlich, ein mixtum compositum, eine »Mischung«. So oberflächlich diese Identität ist, so scharf ist der Gegensatz. »Insofern diese Angelegenheiten« (sc. der Korporation, Gemeinde etc.) »einerseits Privateigentum und Interesse dieser besondern Sphären sind und nach dieser Seite ihre Autorität mit auf dem Vertrauen ihrer Standesgenossen und Bürgerschaften beruht, andererseits diese Kreise dem höheren Interesse des Staats untergeordnet sein müssen«, ergibt sich die bezeichnete »gemischte Wahl«.
Die Verwaltung der Korporation hat also den Gegensatz:
Privateigentum und Interesse der besondren Sphären gegen das höhere Interesse des Staats: Gegensatz zwischen Privateigentum und Staat.
Es braucht nicht bemerkt zu werden, daß die Auflösung dieses Gegensatzes in der gemischten Wahl eine bloße Akkommodation, ein Traktat, ein Geständnis des unaufgelösten Dualismus, selbst ein Dualismus, »Mischung« ist. Die besonderen Interessen der Korporation und Gemeinden haben innerhalb ihrer eignen Sphäre einen Dualismus, der ebensosehr den Charakter ihrer Verwaltung bildet.
Der entschiedene Gegensatz tritt aber erst hervor in dem Verhältnis dieser »gemeinschaftlichen besondern Interessen« etc., die »außer dem an und für sich seienden Allgemeinen des Staates liegen« und diesem »an und für sich seienden Allgemeinen des Staats«. Zunächst wieder innerhalb dieser Sphäre.
»Die Festhaltung des allgemeinen Staatsinteresses und des Gesetzlichen in diesen besonderen Rechten und die Zurückführung derselben auf jenes erfordert eine Besorgung durch Abgeordnete der Regierungsgewalt, die exekutiven Staatsbeamten und die höheren beratenden. Insofern kollegialisch konstituierten Behörden, welche in den obersten, den Monarchen berührenden Spitzen zusammenlaufen.« (§ 289.)
Beiläufig machen wir aufmerksam auf die Konstruktion der Regierungskollegien, die man z.B. in Frankreich nicht kennt. »Insofern« Hegel diese Behörden als »beratende« anführt, »insofern« versteht es sich allerdings von selbst, daß sie »kollegialisch konstituiert« sind.
Hegel läßt den »Staat selbst«, die »Regierungsgewalt« zur »Besorgung« des »allgemeinen Staatsinteresses und des Gesetzlichen etc.« innerhalb der[251] bürgerlichen Gesellschaft per »Abgeordnete« hineintreten, und nach ihm sind eigentlich diese »Regierungsabgeordneten«, die »exekutiven Staatsbeamten«, die wahre »Staatsrepräsentation«, nicht »der«, sondern »gegen« die »bürgerliche Gesellschaft«. Der Gegensatz von Staat und bürgerlicher Gesellschaft ist also fixiert; der Staat residiert nicht in, sondern außerhalb der bürgerlichen Gesellschaft; er berührt sie nur durch seine »Abgeordneten«, denen die »Besorgung des Staats« innerhalb dieser Sphären anvertraut ist. Durch diese »Abgeordneten« ist der Gegensatz nicht aufgehoben, sondern zu einem »gesetzlichen«, »fixen« Gegensatz geworden. Der »Staat« wird als ein dem Wesen der bürgerlichen Gesellschaft Fremdes und Jenseitiges von Deputierten dieses Wesens gegen die bürgerliche Gesellschaft geltend gemacht. Die »Polizei« und das »Gericht« und die »Administration« sind nicht Deputierte der bürgerlichen Gesellschaft selbst, die in ihnen und durch sie ihr eignes allgemeines Interesse verwaltet, sondern Abgeordnete des Staats, um den Staat gegen die bürgerliche Gesellschaft zu verwalten. Hegel expliziert diesen Gegensatz weiter in der mehr oben betrachteten offenherzigen Anmerkung.
»Die Regierungsgeschäfte sind objektiver, für sich [...] bereits entschiedener Natur.« (§ 291.)
Schließt Hegel daraus, daß sie deswegen um so leichter keine »Hierarchie des Wissens« erfordern, daß sie vollständig von der »bürgerlichen Gesellschaft selbst« exekutiert werden können? Im Gegenteil.
Er macht die tiefsinnige Anmerkung, daß sie durch »Individuen« zu vollführen sind und daß zwischen »ihnen und diesen Individuen keine unmittelbare natürliche Verknüpfung liegt«. Anspielung auf die Fürstengewalt, welche nichts anders ist als die »natürliche Gewalt der Willkür«, also »geboren« werden kann. Die »fürstliche Gewalt« ist nichts als der Repräsentant des Naturmoments im Willen, der »Herrschaft der physischen Natur im Staat«.
Die »exekutiven Staatsbeamten« unterscheiden sich in der Erwerbung ihrer Ämter daher wesentlich vom »Fürsten«.
»Für ihre Bestimmung zu demselben« (sc. dem Staatsgeschäft) »ist das objektive Moment die Erkenntnis« (die subjektive Willkür entbehrt dieses Moments) »und der Erweis ihrer Befähigung –, ein Erweis, der dem Staate sein Bedürfnis und als die einzige Bedingung zugleich jedem Bürger die Möglichkeit, sich dem allgemeinen Stande zu widmen, sichert.«
Diese Möglichkeit jedes Bürgers, Staatsbeamter zu werden, ist also das zweite affirmative Verhältnis zwischen bürgerlicher Gesellschaft und Staat,[252] die zweite Identität. Sie ist von sehr oberflächlicher und dualistischer Natur. Jeder Katholik hat die Möglichkeit, Priester zu werden (d.h. sich von den Laien wie der Welt zu trennen). Steht darum weniger das Pfaffentum dem Katholiken als eine jenseitige Macht gegenüber? Daß jeder die Möglichkeit hat, das Recht einer widern Sphäre zu erwerben, beweist nur, daß seine eigne Sphäre nicht die Wirklichkeit dieses Rechts ist.
Im wahren Staat handelt es sich nicht um die Möglichkeit jedes Bürgers, sich dem allgemeinen als einem besondern Stand zu widmen, sondern um die Fähigkeit des allgemeinen Standes wirklich allgemein, d.h. der Stand Jedes Bürgers zu sein. Aber Hegel geht von der Voraussetzung des pseudo-allgemeinen, des illusorisch-allgemeinen Standes, der besonderen ständigen Allgemeinheit aus.
Die Identität, die er zwischen bürgerlicher Gesellschaft und Staat konstruiert hat, ist die Identität zweier feindlicher Heere, wo jeder Soldat die »Möglichkeit« hat, durch »Desertion« Mitglied des »feindlichen« Heeres zu werden, und allerdings beschreibt Hegel damit richtig den jetzigen empirischen Zustand.
Ebenso verhält es sich mit seiner Konstruktion der »Examina«. In einem vernünftigen Staat gehört eher ein Examen dazu, Schuster zu werden, als exekutiver Staatsbeamter; denn die Schusterei ist eine Fertigkeit, ohne die man ein guter Staatsbürger, ein sozialer Mensch sein kann; aber das nötige »Staatswissen« ist eine Bedingung, ohne die man im Staat außer dem Staat lebt, von sich selbst, von der Luft abgeschnitten ist. Das »Examen« ist nichts als eine Freimaurereiformel, die gesetzliche Anerkennung des staatsbürgerlichen Wissens als eines Privilegiums.
Die »Verknüpfung« des »Staatsamts« und des »Individuums«, dieses objektive Band zwischen dem Wissen der bürgerlichen Gesellschaft und dem Wissen des Staats, das Examen ist nichts anders als die bürokratische Taufe des Wissens, die offizielle Anerkenntnis von der Transsubstantiation des profanen Wissens in das heilige (es versteht sich bei jedem Examen von selbst, daß der Examinator alles weiß). Man hört nicht, daß die griechischen oder römischen Staatsleute Examina abgelegt. Aber allerdings, was ist auch ein römischer Staatsmann contra einen preußischen Regierungsmann!
Neben dem objektiven Band des Individuums mit dem Staatsamt, neben dem Examen, findet sich ein andres Band – die fürstliche Willkür.
»Die subjektive Seite, daß dieses Individuum aus Mehreren, deren es, da hier das Objektive nicht (wie z.B. bei der Kunst) in Genialität liegt, notwendig unbestimmt Mehrere gibt, unter denen der Vorzug nichts absolut Bestimmbares ist, zu einer[253] Stelle gewählt und ernannt und zur Führung des öffentlichen Geschäfts bevollmächtigt wird, diese Verknüpfung des Individuums und des Amtes, als zweier sich gegeneinander immer zufälligen Seiten, kommt der fürstlichen als der entscheidenden und souveränen Staatsgewalt zu.«
Der Fürst ist überall der Repräsentant des Zufalls. Außer dem objektiven Moment des bürokratischen Glaubensbekenntnisses (Examens) gehört noch das subjektive der fürstlichen Gnade hinzu, damit der Glaube Früchte trage.
»Die besonderen Staatsgeschäfte, welche die Monarchie den Behörden übergibt« (die Monarchie verteilt, übergibt die besonderen Staatstätigkeiten als Geschäfte an die Behörden, verteilt den Staat unter die Bürokraten; sie übergibt das, wie die heilige römische Kirche die Weihen; die Monarchie. Ist ein System der Emanation; die Monarchie verpachtet die Staatsfunktionen), »machen einen Teil der objektiven Seite der dem Monarchen innewohnenden Souveränität aus«. Hegel unterscheidet hier zuerst die objektive Seite der dem Monarchen innewohnenden Souveränität von der subjektiven. Früher warf er beide zusammen. Die dem Monarchen innewohnende Souveränität wird hier förmlich mystisch genommen, so wie die Theologen den persönlichen Gott in der Natur finden. [Früher] hieß es noch, der Monarch ist die subjektive Seite der dem Staate innewohnenden Souveränität. (§ 293.)
Im § 294 entwickelt Hegel die Besoldung der Beamten aus der Idee. Hier in der Besoldung der Beamten, oder daß der Staatsdienst zugleich die Sicherheit der empirischen Existenz garantiert, ist die wirkliche Identität der bürgerlichen Gesellschaft und des Staats gesetzt. Der Sold des Beamten ist die höchste Identität, welche Hegel herauskonstruiert. Die Verwandlung der Staatstätigkeiten in Ämter, die Trennung des Staats von der Gesellschaft vorausgesetzt. Wenn Hegel sagt:
»Der Staatsdienst fordert [...] die Aufopferung selbständiger und beliebiger Befriedigung subjektiver Zwecke«, so erfordert das jeder Dienst »und gibt damit eben das Recht, sie in der pflichtmäßigen Leistung, aber nur in ihr zu finden. Hierin liegt nach dieser Seite die Verknüpfung des allgemeinen und besonderen Interesses, welche den Begriff und die innere Festigkeit des Staats ausmacht«
so gilt das 1. von jedem Bedienten, 2. ist es richtig, daß die Besoldung der Beamten die innere Festigkeit der tiefen modernen Monarchien ausmacht. Nur die Existenz der Beamten ist garantiert, im Gegensatz zu dem Mitglied der bürgerlichen Gesellschaft.
Es kann Hegel nun nicht entgehn, daß er die Regierungsgewalt als einen Gegensatz zur bürgerlichen Gesellschaft, und zwar als ein herrschendes Extrem konstruiert hat. Wie stellt er nun ein identisches Verhältnis her?[254]
Nach § 295 liegt »die Sicherung des Staats und der Regierten gegen den Mißbrauch der Gewalt von seiten der Behörden und ihrer Beamten« teils in ihrer »Hierarchie« (als wenn nicht die Hierarchie der Hauptmißbrauch wäre und die paar persönlichen Sünden der Beamten gar nicht mit ihren notwendigen hierarchischen Sünden zu vergleichen wären; die Hierarchie straft den Beamten, insoweit er gegen die Hierarchie sündigt oder eine der Hierarchie überflüssige Sünde begeht; aber sie nimmt ihn in Schutz, sobald die Hierarchie in ihm sündigt; zudem überzeugt sich die Hierarchie schwer von den Sünden ihrer Glieder) und »in der Berechtigung der Gemeinden, Korporationen, als wodurch die Einmischung subjektiver Willkür in die den Beamten anvertraute Gewalt für sich gehemmt und die in das einzelne Benehmen nicht reichende Kontrolle« (als wenn diese Kontrolle nicht aus dem Gesichtspunkt der Bürokratie-Hierarchie geschähe) »von oben, von unten ergänzt wird«.
Die zweite Garantie gegen die Willkür der Bürokratie sind also die Korporationsprivilegien.
Fragen wir also Hegel, was ist der Schutz der bürgerlichen Gesellschaft gegen die Bürokratie, so antwortet er:
1. Die »Hierarchie« der Bürokratie. Die Kontrolle. Dies, daß der Gegner selbst an Händen und Füßen gebunden wird, und wenn er nach unten Hammer, nach oben Amboß ist. Wo ist nun der Schutz gegen die »Hierarchie«? Das kleinere Übel wird durch das größere allerdings insofern aufgehoben, als es dagegen verschwindet.
2. Der Konflikt, der unaufgelöste Konflikt zwischen Bürokratie und Korporation. Der Kampf, die Möglichkeit des Kampfes, ist die Garantie gegen das Unterliegen. Später (§ 297) fügt Hegel als Garantie noch die »Institutionen der Souveränität von oben herab« hinzu, worunter wieder die Hierarchie verstanden ist.
Aber Hegel bringt noch zwei Momente bei (§ 296).
In dem Beamten selbst – und dies soll ihn humanisieren, die »Leidenschaftlosigkeit, Rechtlichkeit und Milde des Benehmens« zur »Sitte« machen – sollen die »direkte sittliche und Gedankenbildung« dem Mechanismus seines Wissens und seiner »wirklichen Arbeit« »das geistige Gleichgewicht« halten. Als wenn nicht der »Mechanismus« seines »bürokratischen« Wissens und seiner »wirklichen Arbeit« seiner »sittlichen und Gedankenbildung« das »Gleichgewicht« hielte? Und wird nicht sein wirklicher Geist und seine wirkliche Arbeit als Substanz über das Akzidens seiner sonstigen Begabung siegen? Sein »Amt« ist ja sein »substantielles« Verhältnis und sein »Brot«. Schön nur, daß Hegel die »direkte sittliche und Gedankenbildung« dem[255] »Mechanismus des bürokratischen Wissens und Arbeitens« entgegenstellt! Der Mensch im Beamten soll den Beamten gegen sich selbst sichern. Aber welche Einheit! Geistiges Gleichgewicht. Welche dualistische Kategorie!
Hegel führt noch die »Größe des Staats« an, welche in Rußland nicht gegen die Willkür der »exekutiven Staatsbeamten« garantiert, jedenfalls ein Umstand ist, der »außer« dem »Wesen« der Bürokratie liegt.
Hegel hat die »Regierungsgewalt« als »Staatsbediententum« entwickelt.
Hier in der Sphäre des »an und für sich seienden Allgemeinen des Staates selbst« finden wir nichts als unaufgelöste Konflikte. Examen und Brot der Beamten sind die letzten Synthesen.
Die Ohnmacht der Bürokratie, ihren Konflikt mit der Korporation führt Hegel als letzte Weihe derselben an.
In § 297 wird eine Identität gesetzt, insofern »die Mitglieder der Regierung und die Staatsbeamten den Hauptteil des Mittelstandes« ausmachen. Diesen »Mittelstand« rühmt Hegel als die »Grundsäule« des Staats »in Beziehung auf Rechtlichkeit und Intelligenz«. (Zusatz zum zitierten Paragraphen.)
»Daß dieser Mittelstand gebildet werde, ist ein Hauptinteresse des Staates, aber dies kann nur in einer Organisation, wie die ist, welche wir gesehen haben, geschehen, nämlich durch die Berechtigung besonderer Kreise, die relativ unabhängig sind, und durch eine Beamtenwelt, deren Willkür sich an solchen Berechtigten bricht.«
Allerdings kann nur in einer solchen Organisation das Volk als ein Stand, der Mittelstand, erscheinen, aber ist das eine Organisation, die durch das Gleichgewicht der Privilegien sich in Gang hält? Die Regierungsgewalt ist am schwersten zu entwickeln. Sie gehört noch in viel höherem Grad als die gesetzgebende dem ganzen Volk.
Hegel spricht später (§ 308 Anmerkung) den eigentlichen Geist der Bürokratie aus, wenn er ihn als »Geschäftsroutine« und den »Horizont einer beschränkten Sphäre« bezeichnet.
§ 298. »Die gesetzgebende Gewalt betrifft die Gesetze als solche, insofern sie weiterer Fortbestimmung bedürfen, und die ihrem Inhalte nach ganz allgemeinen« (sehr allgemeiner Ausdruck) »inneren Angelegenheiten. Diese Gewalt ist selbst ein Teil der Verfassung, welche ihr vorausgesetzt ist und insofern an und für sich außer deren direkten Bestimmung liegt, aber in der Fortbildung der Gesetze und in dem fortschreitenden Charakter der allgemeinen Regierungsangelegenheiten ihre weitere Entwickelung erhält.«[256]
Zunächst fällt es auf, daß Hegel hervorhebt, wie »diese Gewalt selbst ein Teil der Verfassung« ist, »welche ihr vorausgesetzt ist und an und für sich außer deren direkter Bestimmung liegt«, da Hegel diese Bemerkung weder bei der fürstlichen noch der Regierungsgewalt, wo sie ebenso wahr ist, angebracht hatte. Dann aber konstruiert Hegel erst das Ganze der Verfassung und kann es insofern nicht voraussetzen; allein darin eben erkennen wir die Tiefe bei ihm, daß er überall mit dem Gegensatz der Bestimmungen (wie sie in unsren Staaten sind) beginnt und den Akzent darauf legt.
Die »gesetzgebende Gewalt ist selbst ein Teil der Verfassung«, welche »an und für sich außer deren direkter Bestimmung liegt«. Aber die Verfassung hat sich doch auch nicht von selbst gemacht. Die Gesetze, die »weiterer Fortbestimmung bedürfen«, müssen doch formiert worden sein. Es muß eine gesetzgebende Gewalt vor der Verfassung und außer der Verfassung bestehen oder bestanden haben. Es muß eine gesetzgebende Gewalt bestehn außer der wirklichen, empirischen, gesetzten gesetzgebenden Gewalt. Aber, wird Hegel antworten: Wir setzen einen bestehenden Staat voraus. Allein Hegel ist Rechtsphilosoph und entwickelt die Staatsgattung. Er darf nicht die Idee am Bestehenden, er muß das Bestehende an der Idee messen.
Die Kollision ist einfach. Die gesetzgebende Gewalt ist die Gewalt, das Allgemeine zu organisieren. Sie ist die Gewalt der Verfassung. Sie greift über über die Verfassung.
Allein anderseits ist die gesetzgebende Gewalt eine verfassungsmäßige Gewalt. Sie ist also unter die Verfassung subsumiert. Die Verfassung ist Gesetz für die gesetzgebende Gewalt. Sie hat der gesetzgebenden Gewalt Gesetze gegeben und gibt sie ihr beständig. Die gesetzgebende Gewalt ist nur gesetzgebende Gewalt innerhalb der Verfassung, und die Verfassung stände hors de loi! wenn sie außerhalb der gesetzgebenden Gewalt stände. Voilà la collision! Innerhalb der jüngsten französischen Geschichte ist mancherlei herumgeknuspert worden.
Wie löst Hegel diese Antinomie?
Zunächst heißt es:
Die Verfassung ist der gesetzgebenden Gewalt »vorausgesetzt«, sie liegt »insofern an und für sich außer deren direkten Bestimmung«.
»Aber« – aber »in der Fortbildung der Gesetze« »und in dem fortschreitenden Charakter der allgemeinen Regierungsangelegenheiten« »erhält« sie »ihre weitere Entwicklung«.
D.h. also: Direkt liegt die Verfassung außerhalb dem Bereich der[257] gesetzgebenden Gewalt; aber indirekt verändert die gesetzgebende Gewalt die Verfassung. Sie tut auf einem Wege, was sie nicht auf gradem Wege tun kann und darf. Sie zerpflückt sie en détail, weil sie dieselbe nicht en gros verändern kann. Sie tut durch die Natur der Dinge und der Verhältnisse, was sie nach der Natur der Verfassung nicht tun sollte. Sie tut materiell, faktisch, was sie nicht formell, gesetzlich, verfassungsmäßig tut.
Hegel hat damit die Antinomie nicht gehoben, er hat sie in eine andre Antinomie verwandelt; er hat das Wirken der gesetzgebenden Gewalt, ihr verfassungsmäßiges Wirken in Widerspruch gestellt mit ihrer verfassungsmäßigen Bestimmung. Es bleibt der Gegensatz zwischen der Verfassung und der gesetzgebenden Gewalt. Hegel hat das faktische und das legale Tun der gesetzgebenden Gewalt als Widerspruch definiert oder auch den Widerspruch zwischen dem, was die gesetzgebende Gewalt sein soll, und dem, was sie wirklich ist, zwischen dem, was sie zu tun meint, und dem, was sie wirklich tut.
Wie kann Hegel diesen Widerspruch für das Wahre ausgeben? »Der fortschreitende Charakter der allgemeinen Regierungsangelegenheiten« erklärt ebensowenig, denn eben dieser fortschreitende Charakter soll erklärt werden.
In dem Zusatz trägt Hegel zwar nichts zur Lösung der Schwierigkeiten bei. Wohl aber stellt er sie noch klarer heraus.
»Die Verfassung muß an und für sich der feste geltende Boden sein, auf dem die gesetzgebende Gewalt steht, und sie muß deswegen nicht erst gemacht werden. Die Verfassung ist also, aber ebenso wesentlich wird sie, das heißt, sie schreitet in der Bildung fort. Dieses Fortschreiten ist eine Veränderung, die unscheinbar ist und nicht die Form der Veränderung hat.«
Das heißt die Verfassung ist dem Gesetz (der Illusion) nach, aber sie wird der Wirklichkeit (der Wahrheit) nach. Sie ist ihrer Bestimmung nach unveränderlich, aber sie verändert sich wirklich, nur ist diese Veränderung unbewußt, sie hat nicht die Form der Veränderung. Der Schein widerspricht dem Wesen. Der Schein ist das bewußte Gesetz der Verfassung, und das Wesen ist ihr bewußtloses, dem ersten widersprechendes Gesetz. Es ist nicht im Gesetz, was in der Natur der Sache ist. Es ist vielmehr das Gegenteil im Gesetz.
Ist das nun das Wahre, daß im Staat, nach Hegel dem höchsten Dasein der Freiheit, dem Dasein der selbstbewußten Vernunft, nicht das Gesetz, das Dasein der Freiheit, sondern die blinde Naturnotwendigkeit herrscht? Und wenn nun das Gesetz der Sache als widersprechend der gesetzlichen Definition erkannt wird, warum nicht das Gesetz der Sache, der Vernunft auch[258] als das Staatsgesetz anerkennen, wie nun den Dualismus mit Bewußtsein festhalten? Hegel will überall den Staat als die Verwirklichung des freien Geistes darstellen, aber re vera löst er alle schwierigen Kollisionen durch eine Naturnotwendigkeit, die im Gegensatz zur Freiheit steht. So ist auch der Übergang des Sonderinteresses in das Allgemeine kein bewußtes Staatsgesetz, sondern per Zufall vermittelt, wider das Bewußtsein sich vollziehend, und Hegel will überall im Staat die Realisation des freien Willens! (Hierin zeigt sich der substantielle Standpunkt Hegels.)
Die Beispiele, die Hegel über die allmähliche Veränderung der Verfassung anführt, sind unglücklich gewählt. So, daß das Vermögen der deutschen Fürsten und ihrer Familien aus Privatgut in Staatsdomäne, das persönliche Rechtsprechen der deutschen Kaiser in Rechtsprechen durch Abgeordnete sich verwandelt hat. Der erste Übergang hat sich nur so gemacht, daß alles Staatseigentum sich in fürstliches Privateigentum umsetzte.
Dabei sind diese Veränderungen partikular. Ganze Staatsverfassungen haben sich allerdings so verändert, daß nach und nach neue Bedürfnisse entstanden, daß das Alte zerfiel etc.; aber zu der neuen Verfassung hat es immer einer förmlichen Revolution bedurft.
»So ist also die Fortbildung eines Zustandes«, schließt Hegel, »eine scheinbar ruhige und unbemerkte. Nach langer Zeit kommt auf diese Weise eine Verfassung zu einem ganz anderen Zustande als vorher.«
Die Kategorie des allmählichen Überganges ist erstens historisch falsch, und zweitens erklärt sie nichts.
Damit der Verfassung nicht nur die Veränderung angetan wird, damit also dieser Illusorische Schein nicht zuletzt gewaltsam zertrümmert wird, damit der Mensch mit Bewußtsein tut, was er sonst ohne Bewußtsein durch die Natur der Sache gezwungen wird zu tun, ist es notwendig, daß die Bewegung der Verfassung, daß der Fortschritt zum Prinzip der Verfassung gemacht wird, daß also der wirkliche Träger der Verfassung, das Volk, zum Prinzip der Verfassung gemacht wird. Der Fortschritt selbst ist dann die Verfassung.
Soll also die »Verfassung« selbst in den Bereich der »gesetzgebenden Gewalt« gehören? Diese Frage kann nur aufgeworfen werden, 1. wenn der politische Staat als bloßer Formalismus des wirklichen Staats existiert, wenn der politische Staat eine aparte Domäne ist, wenn der politische Staat als »Verfassung« existiert; 2. wenn die gesetzgebende Gewalt anderen Ursprungs ist als die Regierungsgewalt etc.[259]
Die gesetzgebende Gewalt hat die französische Revolution gemacht; sie hat überhaupt, wo sie in ihrer Besonderheit als das Herrschende auftrat, die großen organischen allgemeinen Revolutionen gemacht; sie hat nicht die Verfassung, sondern eine besondre antiquierte Verfassung bekämpft, eben weil die gesetzgebende Gewalt der Repräsentant des Volkes, des Gattungswillens war. Die Regierungsgewalt dagegen hat die kleinen Revolutionen, die retrograden Revolutionen, die Reaktionen gemacht; sie hat nicht für eine neue Verfassung gegen eine alte, sondern gegen die Verfassung revolutioniert, eben weil die Regierungsgewalt der Repräsentant des besonderen Willens, der subjektiven Willkür, des magischen Teils des Willens war.
Wird die Frage richtig gestellt, so heißt sie nur: Hat das Volk das Recht, sich eine neue Verfassung zu geben? Was unbedingt bejaht werden muß, indem die Verfassung, sobald sie aufgehört hat, wirklicher Ausdruck des Volkswillens zu sein, eine praktische Illusion geworden ist.
Die Kollision zwischen der Verfassung und der gesetzgebenden Gewalt ist nichts als ein Konflikt der Verfassung mit sich selbst, ein Widerspruch im Begriff der Verfassung.
Die Verfassung ist nichts als eine Akkommodation zwischen dem politischen und unpolitischen Staat: sie ist daher notwendig in sich selbst ein Traktat wesentlich heterogener Gewalten. Hier ist es also dem Gesetz unmöglich, auszusprechen, daß eine dieser Gewalten, ein Teil der Verfassung, das Recht haben solle, die Verfassung selbst, das Ganze, zu modifizieren.
Soll von der Verfassung als einem Besondern gesprochen werden, so muß sie vielmehr als ein Teil des Ganzen betrachtet werden.
Wurden unter der Verfassung die allgemeinen Bestimmungen, die Fundamentalbestimmungen des vernünftigen Willens, verstanden, so versteht sich, daß jedes Volk (Staat) dies zu seiner Voraussetzung hat und daß sie sein politisches Credo bilden müssen. Das ist eigentlich Sache des Wissens und nicht des Willens. Der Wille eines Volks kann ebensowenig über die Gesetze der Vernunft hinaus als der Wille eines Individuums. Bei einem unvernünftigen Volk kann überhaupt nicht von einer vernünftigen Staatsorganisation die Rede sein. Hier in der Rechtsphilosophie ist überdem der Gattungswille unser Gegenstand.
Die gesetzgebende Gewalt macht das Gesetz nicht, sie entdeckt und formuliert es nur.
Man hat diese Kollision zu lösen gesucht durch die Unterscheidung zwischen assemblée constituante und assemblée constituée.[260]
§ 299. »Diese Gegenstände« (die Gegenstände der gesetzgebenden Gewalt) »bestimmen sich in Beziehung auf die Individuen näher nach den zwei Seiten: α was durch den Staat ihnen zugute kommt und sie zu genießen und β was sie demselben zu leisten haben. Unter jenem sind die privatrechtlichen Gesetze überhaupt, die Rechte der Gemeinden und Korporationen und ganz allgemeine Veranstaltungen und Indirekt (§ 298) das Ganze der Verfassung begriffen. Das zu Leistende aber kann nur, indem es auf Geld, als den existierenden allgemeinen Wert der Dinge und der Leistungen, reduziert wird, auf eine gerechte Weise und zugleich auf eine Art bestimmt werden, daß die besonderen Arbeiten und Dienste, die der Einzelne leisten kann, durch seine Willkür vermittelt werden.«
Über diese Bestimmung der Gegenstände der gesetzgebenden Gewalt bemerkt Hegel selbst in der Anmerkung zu diesem Paragraphen:
»Was Gegenstand der allgemeinen Gesetzgebung und was der Bestimmung der Administrativbehörden und der Regulierung der Regierung überhaupt anheimzustellen sei, läßt sich zwar im Allgemeinen so unterscheiden, daß in jene nur das dem Inhalte nach ganz Allgemeine die gesetzlichen Bestimmungen, in diese aber das Besondere und die Art und Weise der Exekution falle. Aber völlig bestimmt ist diese Unterscheidung schon dadurch nicht, daß das Gesetz, damit es Gesetz, nicht ein bloßes Gebot überhaupt sei (wie: ›du sollst nicht töten‹ [...]), in sich bestimmt sein muß; je bestimmter es aber ist, desto mehr nähert sich sein Inhalt der Fähigkeit, so wie es ist, ausgeführt zu werden. Zugleich aber würde die so weit gehende Bestimmung den Gesetzen eine empirische Seite geben, welche in der wirklichen Ausführung Abänderungen unterworfen werden müßte, was dem Charakter von Gesetzen Abbruch täte. In der organischen Einheit der Staatsgewalten liegt es selbst, daß es Ein Geist ist, der das Allgemeine festsetzt, und der es zu seiner bestimmten Wirklichkeit bringt und ausführt.«
Aber eben diese organische Einheit ist es, die Hegel nicht konstruiert hat. Die verschiedenen Gewalten haben ein verschiedenes Prinzip. Sie sind dabei feste Wirklichkeit. Von ihrem wirklichen Konflikt an die imaginäre »organische Einheit« sich flüchten, statt sie als Momente einer organischen Einheit entwickelt zu haben, ist daher eine leere mystische Ausflucht.
Die erste ungelöste Kollision war die zwischen der ganzen Verfassung und der gesetzgebenden Gewalt. Die zweite ist die zwischen der gesetzgebenden und der Regierungsgewalt, zwischen dem Gesetz und der Exekution.
Die zweite Bestimmung des Paragraphen ist, daß die einzige Leistung, die der Staat von den Individuen fordert, das Geld ist.
Die Gründe, die Hegel dafür anführt, sind:
1. das Geld ist der existierende allgemeine Wert der Dinge und der Leistungen;
2. das zu Leistende kann nur durch diese Reduktion auf eine gerechte Art bestimmt werden;[261]
3. nur dadurch kann die Leistung auf eine solche Art bestimmt werden, daß die besonderen Arbeiten und Dienste, die der Einzelne leisten kann, durch seine Willkür vermittelt werden.
Hegel bemerkt in der Anmerkung:
ad 1. »Es kann im Staate zunächst auffallen, daß von den vielen Geschicklichkeiten, Besitztümern, Tätigkeiten, Talenten und darin liegenden unendlich mannigfaltigen lebendigen Vermögen, die zugleich mit Gesinnung verbunden sind, der Staat keine direkte Leistung fordert, sondern nur das eine Vermögen in Anspruch nimmt, das als Geld erscheint. – Die Leistungen, die sich auf die Verteidigung des Staats gegen Feinde beziehen, gehören erst zu der Pflicht der folgenden Abteilung« (nicht der folgenden Abteilung, aber anderer Gründe wegen werden wir erst später auf die persönliche Pflicht zum Militärdienst kommen).
»In der Tat ist das Geld aber nicht ein besonderes Vermögen neben den übrigen, sondern es ist das Allgemeine derselben, insofern sie sich zu der Äußerlichkeit des Daseins produzieren, in der sie als eine Sache gefaßt werden können.« »Bei uns«, heißt es weiter in dem Zusatz, »kauft der Staat, was er braucht.«
ad. 2. »Nur an dieser äußerlichsten Spitze« (sc. worin die Vermögen sich zu der Äußerlichkeit des Daseins produzieren, in der sie als eine Sache gefaßt werden können) »ist die quantitative Bestimmtheit und damit die Gerechtigkeit und Gleichheit der Leistungen möglich.« Im Zusatz heißt es: »Durch Geld kann aber die Gerechtigkeit der Gleichheit weit besser durchgeführt werden.« »Der Talentvolle würde sonst mehr besteuert sein als der Talentlose, wenn es auf die konkrete Fähigkeit ankäme.«
ad. 3. »Plato läßt in seinem Staate die Individuen den besonderen Ständen durch die Obern zuteilen und ihnen ihre besonderen Leistungen auflegen [...]; in der Feudalmonarchie hatten Vasallen ebenso unbestimmte Dienste, aber auch in ihrer Besonderheit, z.B. das Richteramt usf. zu leisten; die Leistungen im Orient, Ägypten für die unermeßlichen Architekturen usf. sind ebenso von besonderer Qualität usf. In diesen Verhältnissen mangelt das Prinzip der subjektiven Freiheit, daß das substantielle Tun des Individuums, das in solchen Leistungen ohnehin seinem Inhalte nach ein Besonderes ist, durch seinen besonderen Willen vermittelt sei; – ein Recht, das allein durch die Forderung der Leistungen in der Form des allgemeinen Wertes möglich und das der Grund ist, der diese Verwandelung herbeigeführt hat.« Im Zusatz heißt es: »Bei uns kauft der Staat, was er braucht, und dies kann zunächst als abstrakt, tot und gemütlos erscheinen, und es kann auch aussehen, als wenn der Staat dadurch heruntergesunken wäre, daß er sich mit abstrakten Leistungen befriedigt. Aber es liegt in dem Prinzipe des neueren Staates, das Alles, was das Individuum tut, durch seinen Willen vermittelt sei.«... »Nun aber wird eben dadurch Respekt vor der subjektiven Freiheit an den Tag gelegt, daß man jemanden nur an dem ergreift, an welchem er ergriffen werden kann.«
Tut, was ihr wollt. Bezahlt, was ihr sollt.[262]
Der Eingang des Zusatzes lautet:
»Die zwei Seiten der Verfassung beziehen sich auf die Rechte und Leistungen der Individuen. Was nun die Leistungen betrifft, so reduzieren sie sich jetzt fast alle auf Geld. Die Militärpflicht ist jetzt fast nur die einzige persönliche Leistung.«
§ 300. »In der gesetzgebenden Gewalt als Totalität sind zunächst die zwei andern Momente wirksam, das monarchische, als dem die höchste Entscheidung zukommt –, die Regierungsgewalt als das mit der konkreten Kenntnis und Übersicht des Ganzen in seinen vielfachen Seiten und den darin festgewordenen wirklichen Grundsätzen, sowie mit der Kenntnis der Bedürfnisse der Staatsgewalt insbesondere, beratende Moment –, endlich das ständische Element.«
Die monarchische Gewalt und die Regierungsgewalt sind... gesetzgebende Gewalt. Wenn aber die gesetzgebende Gewalt die Totalität ist, müßten vielmehr monarchische Gewalt und Regierungsgewalt Momente der gesetzgebenden Gewalt sein. Das hinzutretende ständische Element ist nur gesetzgebende Gewalt oder die gesetzgebende Gewalt im Unterschied zu der monarchischen und Regierungsgewalt.
§ 301. »Das ständische Element hat die Bestimmung, daß die allgemeine Angelegenheit nicht nur an sich, sondern auch für sich, d.i. daß das Moment der subjektiven formellen Freiheit, das öffentliche Bewußtsein als empirische Allgemeinheit der Ansichten und Gedanken der Vielen, darin zur Existenz komme.«
Das ständische Element ist eine Deputation der bürgerlichen Gesellschaft an den Staat, dem sie als die »Vielen« gegenüberstehn. Die Vielen sollen einen Augenblick die allgemeinen Angelegenheiten mit Bewußtsein als ihre eigenen behandeln, als Gegenstände des öffentlichen Bewußtseins, welches nach Hegel nichts ist als die »empirische Allgemeinheit der Ansichten und Gedanken der Vielen« (und in Wahrheit ist es in den modernen, auch den konstitutionellen, Monarchien nichts anders). Es ist bezeichnend, daß Hegel, der so großen Respekt vor dem Staatsgeist, dem sittlichen Geist, dem Staatsbewußtsein hat, es da, wo es ihm in wirklicher empirischer Gestalt gegenübertritt, förmlich verachtet.
Dies ist das Rätsel des Mystizismus. Dieselbe phantastische Abstraktion, die das Staatsbewußtsein in der unangemeßnen Form der Bürokratie, einer Hierarchie des Wissens, wiederfindet und diese unangemeßne Existenz unkritisch für die wirkliche Existenz hinnimmt als vollgültig, dieselbe mystische Abstraktion gesteht ebenso unbefangen, daß der wirkliche empirische Staatsgeist, das öffentliche Bewußtsein, ein bloßes Potpourri von »Gedanken und Ansichten der Vielen« sei. Wie sie der Bürokratie ein fremdes Wesen unterschiebt, so läßt sie dem wahren Wesen die unangemeßne Form der Erscheinung. Hegel idealisiert die Bürokratie und empirisiert das öffentliche[263] Bewußtsein. Hegel kann das wirkliche öffentliche Bewußtsein sehr á part behandeln, eben weil er das á part Bewußtsein als das öffentliche behandelt hat. Er braucht sich um so weniger um die wirkliche Existenz des Staatsgeistes zu kümmern, als er schon in seinen soi-disant Existenzen ihn gehörig realisiert zu haben meint. Solange der Staatsgeist mystisch im Vorhof spukte, wurden ihm viel Reverenzen gemacht. Hier, wo wir ihn [in] persona gehascht, wird er kaum angesehn.
»Das ständische Element hat die Bestimmung, daß die allgemeine Angelegenheit nicht nur an sich, sondern auch für sich darin zur Existenz komme.« Und zwar kommt sie für sich zur Existenz als das »öffentliche Bewußtsein«, als »empirische Allgemeinheit der Ansichten und Gedanken der Vielen«.
Das Subjektwerden der »allgemeinen Angelegenheit«, die auf diese Weise verselbständigt wird, wird hier als ein Moment des Lebensprozesses der »allgemeinen Angelegenheit« dargestellt. Statt daß die Subjekte sich in der »allgemeinen Angelegenheit« vergegenständlichten, läßt Hegel die »allgemeine Angelegenheit« zum »Subjekt« kommen. Die Subjekte bedürfen nicht der »allgemeinen Angelegenheit« als ihrer wahren Angelegenheit, sondern die allgemeine Angelegenheit bedarf der Subjekte zu ihrer formellen Existenz. Es ist eine Angelegenheit der »allgemeinen Angelegenheit«, daß sie auch als Subjekt existiere.
Es ist hier besonders der Unterschied zwischen dem »Ansichsein« und dem »Fürsichsein« der allgemeinen Angelegenheit ins Auge zu fassen.
Die »allgemeine Angelegenheit« existiert schon »an sich« als das Geschäft der Regierung etc.; sie existiert, ohne wirklich die allgemeine Angelegenheit zu sein; sie ist nichts weniger als dies, denn sie ist nicht die Angelegenheit der »bürgerlichen Gesellschaft«. Sie hat schon ihre wesentliche an sich seiende Existenz gefunden. Daß sie nun auch wirklich »öffentliches Bewußtsein«, »empirische Allgemeinheit« wird. Ist rein formell und kommt gleichsam nur symbolisch zur Wirklichkeit. Die »formelle« Existenz oder die »empirische« Existenz der allgemeinen Angelegenheit ist getrennt von ihrer substantiellen Existenz. Die Wahrheit davon ist: Die an sich seiende »allgemeine Angelegenheit« ist nicht wirklich allgemein, und die wirkliche empirische allgemeine Angelegenheit ist nur formell.
Hegel trennt Inhalt und Form, Ansichsein und Fürsichsein und läßt das letztere als ein formelles Moment äußerlich hinzutreten. Der Inhalt ist fertig und existiert in vielen Formen, die nicht die Formen dieses Inhaltes sind;[264] wogegen es sich von selbst versteht, daß die Form, die nun für die wirkliche Form des Inhalts gelten soll, nicht den wirklichen Inhalt zu ihrem Inhalt hat.
Die allgemeine Angelegenheit ist fertig, ohne daß sie wirkliche Angelegenheit des Volks wäre. Die wirkliche Volkssache ist ohne Tun des Volks zustande gekommen. Das ständische Element ist die illusorische Existenz der Staatsangelegenheiten als einer Volkssache. Die Illusion, daß die allgemeine Angelegenheit allgemeine Angelegenheit, öffentliche Angelegenheit sei, oder die Illusion, daß die Sache des Volks allgemeine Angelegenheit sei. So weit ist es sowohl in unseren Staaten als in der Hegelschen Rechtsphilosophie gekommen, daß der tautologische Satz: »Die allgemeine Angelegenheit ist die allgemeine Angelegenheit«, nur als eine Illusion des praktischen Bewußtseins erscheinen kann. Das ständische Element ist die politische Illusion der bürgerlichen Gesellschaft. Die subjektive Freiheit erscheint bei Hegel als formelle Freiheit (es ist allerdings wichtig, daß das Freie auch frei getan werde, daß die Freiheit nicht als bewußtloser Naturinstinkt der Gesellschaft herrsche), eben weil er die objektive Freiheit nicht als Verwirklichung, als Betätigung der subjektiven hingestellt hat. Weil er dem präsumtiven oder wirklichen Inhalt der Freiheit einen mystischen Träger gegeben hat, so bekommt das wirkliche Subjekt der Freiheit eine formelle Bedeutung.
Die Trennung des Ansichs und des Fürsichs, der Substanz und des Subjekts, ist abstrakter Mystizismus.
Hegel setzt in der Anmerkung das »ständische Element« recht sehr als ein »Formelles«, »Illusorisches« auseinander.
Sowohl das Wissen als der Wille des »ständischen Elementes« sind teils unbedeutend, teils verdächtig; d.h. das ständische Element ist kein inhaltsvolles Komplement.
1. »Die Vorstellung, die das gewöhnliche Bewußtsein über die Notwendigkeit oder Nützlichkeit der Konkurrenz von Ständen zunächst vor sich zu haben pflegt, ist vornehmlich etwa, daß die Abgeordneten aus dem Volk oder gar das Volk es am besten verstehen müsse, was zu seinem Besten diene, und daß es den ungezweifelt besten Willen für dieses Beste habe. Was das erstere betrifft, so ist vielmehr der Fall, daß das Volk, insofern mit diesem Worte ein besonderer Teil der Mitglieder eines Staats bezeichnet ist, den Teil ausdrückt, der nicht weiß, was er will. Zu wissen, was man will, und noch mehr was der an und für sich seiende Wille, die Vernunft, will, ist die Frucht tiefer Erkenntnis« (die wohl in den Büros steckt) »und Einsicht, welche eben nicht die Sache des Volks ist.«
Mehr unten heißt es in bezug auf die Stände selbst:
»Die höchsten Staatsbeamten haben notwendig tiefere und umfassendere Einsicht in die Natur der Einrichtungen und Bedürfnisse des Staats sowie die größere[265] Geschicklichkeit und Gewohnheit dieser Geschäfte und können ohne Stände das Beste tun, wie sie auch fortwährend bei den ständischen Versammlungen das Beste tun müssen.«
Und es versteht sich, daß bei der von Hegel beschriebnen Organisation dies vollständig wahr ist.
2. »Was aber den vorzüglich guten Willen der Stände für das allgemeine Beste betrifft, so ist schon oben [...] bemerkt worden, daß es zu der Ansicht des Pöbels, dem Standpunkte des Negativen überhaupt gehört, bei der Regierung einen bösen oder weniger guten Willen vorauszusetzen; – eine Voraussetzung, die zunächst, wenn in gleicher Form geantwortet werden sollte, die Rekrimination zur Folge hätte, daß die Stände, da sie von der Einzelnheit, dem Privatstandpunkt und den besonderen Interessen herkommen, für diese auf Kosten des allgemeinen Interesses ihre Wirksamkeit zu gebrauchen geneigt seien, dahingegen die anderen Momente der Staatsgewalt schon für sich auf den Standpunkt des Staates gestellt und dem allgemeinen Zwecke gewidmet sind.«
Also Wissen und Willen der Stände sind teils überflüssig, teils verdächtig. Das Volk weiß nicht, was es will. Die Stände besitzen nicht die Staatswissenschaft im Maße der Beamten, deren Monopol sie ist. Die Stände sind überflüssig zum Vollbringen der »allgemeinen Angelegenheit«. Die Beamten können sie ohne Stände vollbringen, ja sie müssen trotz der Stände das Beste tun. Was also den Inhalt betrifft, so sind die Stände reiner Luxus. Ihr Dasein ist daher im wörtlichsten Sinne eine bloße Form.
Was ferner die Gesinnung, den Willen der Stände betrifft, so ist er verdächtig, denn sie kommen vom Privatstandpunkt und den Privatinteressen her. In Wahrheit ist das Privatinteresse ihre allgemeine Angelegenheit und nicht die allgemeine Angelegenheit ihr Privatinteresse. Aber welche Manier der »allgemeinen Angelegenheit«, Form zu gewinnen als allgemeine Angelegenheit in einem Willen, der nicht weiß, was er will, wenigstens nicht ein besondres Wissen des Allgemeinen besitzt, und in einem Willen, dessen eigentlicher Inhalt ein entgegenstehendes Interesse ist!
In den modernen Staaten, wie in Hegels Rechtsphilosophie, ist die bewußte, die wahre Wirklichkeit der allgemeinen Angelegenheit nur formell, oder nur das Formelle ist wirkliche allgemeine Angelegenheit.
Hegel ist nicht zu tadeln, weil er das Wesen des modernen Staats schildert, wie es ist, sondern weil er das, was ist, für das Wesen des Staats ausgibt. Daß das Vernünftige wirklich ist, beweist sich eben im Widerspruch der unvernünftigen Wirklichkeit, die an allen Ecken das Gegenteil von dem ist, was sie aussagt, und das Gegenteil von dem aussagt, was sie ist.
Statt daß Hegel zeigte, wie die »allgemeine Angelegenheit« für sichs[266] »subjektiv, daher wirklich als solche existiere«, daß sie auch die Form der allgemeinen Angelegenheit hat, zeigt er nur, daß die Formlosigkeit ihre Subjektivität ist, und eine Form ohne Inhalt muß formlos sein. Die Form, welche die allgemeine Angelegenheit in einem Staat gewinnt, der nicht der Staat der allgemeinen Angelegenheit ist, kann nur eine Unform, eine sich selbsttäuschende, eine sich selbst widersprechende Form sein, eine Scheinform, die sich als dieser Schein ausweisen wird.
Hegel will den Luxus des ständischen Elements nur der Logik zulieb.
Das Fürsichsein der allgemeinen Angelegenheit als empirische Allgemeinheit soll ein Dasein haben. Hegel sucht nicht nach einer adäquaten Verwirklichung des »Fürsichseins der allgemeinen Angelegenheit«, er begnügt sich, eine empirische Existenz zu finden, die in diese logische Kategorie aufgelöst werden kann; das ist dann das ständische Element: wobei er nicht verfehlt, selbst anzumerken, wie erbärmlich und widerspruchsvoll diese Existenz ist. Und dann wirft er noch dem gewöhnlichen Bewußtsein vor, daß es sich mit dieser logischen Satisfaktion nicht begnügt, daß es sich nicht die Wirklichkeit durch willkürliche Abstraktion in Logik aufgelöst, sondern die Logik in wahre Gegenständlichkeit verwandelt sehn will.
Ich sage: willkürliche Abstraktion. Denn da die Regierungsgewalt die allgemeine Angelegenheit will, weiß, verwirklicht, aus dem Volk hervorgeht und eine empirische Vielheit ist (daß es sich nicht um Allheit handelt, belehrt uns Hegel ja selbst), warum sollte die Regierungsgewalt nicht als das »Fürsichsein der allgemeinen Angelegenheit« bestimmt werden können? Oder warum nicht die »Stände« als ihr Ansichsein, da die Sache erst in der Regierung Licht und Bestimmtheit und Ausführung und Selbständigkeit gewinnt?
Aber der wahre Gegensatz ist: »Die allgemeine Angelegenheit« muß doch irgendwo im Staat als »wirkliche«, also »empirische allgemeine Angelegenheit« repräsentiert sein; sie muß irgendwo in der Krone und dem Talar des Allgemeinen erscheinen, wodurch es von selbst zu einer Rolle, einer Illusion wird.
Es handelt sich hier um den Gegensatz des »Allgemeinen« als »Form«, in der »Form der Allgemeinheit«, und des »Allgemeinen als Inhalt«.
Z.B. in der Wissenschaft kann ein »Einzelner« die allgemeine Angelegenheit vollbringen, und es sind immer Einzelne, die sie vollbringen. Aber wirklich allgemein wird sie erst, wenn sie nicht mehr die Sache des Einzelnen, sondern die der Gesellschaft ist. Das verändert nicht nur die Form, sondern auch den Inhalt. Hier aber handelt es sich um den Staat, wo das Volk selbst die allgemeine Angelegenheit ist; hier handelt es sich um den[267] Willen, der sein wahres Dasein als Gattungswille nur im selbstbewußten Willen des Volkes hat. Und hier handelt es sich überdem von der Idee des Staats.
Der moderne Staat, in dem die »allgemeine Angelegenheit« wie die Beschäftigung mit derselben ein Monopol ist und dagegen die Monopole die wirklichen allgemeinen Angelegenheiten sind, hat die sonderbare Erfindung gemacht, die »allgemeine Angelegenheit« als eine bloße Form sich anzueignen. (Das Wahre ist, daß nur die Form allgemeine Angelegenheit ist.) Er hat damit die entsprechende Form für seinen Inhalt gefunden, der nur scheinbar die wirkliche allgemeine Angelegenheit ist.
Der konstitutionelle Staat ist der Staat, in dem das Staatsinteresse als wirkliches Interesse des Volkes nur formell, aber als eine bestimmte Form neben dem wirklichen Staat vorhanden ist; das Staatsinteresse hat hier formell wieder Wirklichkeit erhalten als Volksinteresse, aber es soll auch nur diese formelle Wirklichkeit haben. Es ist zu einer Formalität, zu dem haut goût des Volkslebens geworden, eine Zeremonie. Das ständische Element ist die sanktionierte, gesetzliche Lüge der konstitutionellen Staaten, daß der Staat das Interesse des Volks oder daß das Volk das Staatsinteresse ist. Im Inhalt wird sich diese Lüge enthüllen. Als gesetzgebende Gewalt hat sie sich etabliert, eben weil die gesetzgebende Gewalt das Allgemeine zu ihrem Inhalt hat, mehr Sache des Wissens als des Willens, die metaphysische Staatsgewalt ist, während dieselbe Lüge als Regierungsgewalt etc. entweder sich sofort auflösen oder in eine Wahrheit verwandeln müßte. Die metaphysische Staatsgewalt war der geeignetste Sitz der metaphysischen, allgemeinen Staatsillusion.
»Die Gewährleistung, die für das allgemeine Beste und die öffentliche Freiheit in den Ständen liegt, findet sich bei einigem Nachdenken nicht in der besonderen Einsicht derselben [...], sondern sie liegt teils wohl in einer Zutat (!!) von Einsicht der Abgeordneten, vornehmlich in das Treiben der den Augen der höheren Stellen ferner stehenden Beamten, und insbesondere in dringendere und speziellere Bedürfnisse und Mängel, die [sie] in konkreter Anschauung vor sich haben, teils aber in derjenigen Wirkung, welche die zu erwartende Zensur Vieler und zwar eine öffentliche Zensur mit sich führt, schon im voraus die beste Einsicht auf die Geschäfte und vorzulegenden Entwürfe zu verwenden und sie nur den reinsten Motiven gemäß einzurichten – eine Nötigung, die ebenso für die Mitglieder der Stände selbst wirksam ist.«
»Was hiermit die Garantie überhaupt betrifft, welche besonders in den Ständen liegen soll, so teilt auch jede andere der Staatsinstitutionen dies mit ihnen, eine Garantie des öffentlichen Wohls und der vernünftigen Freiheit zu sein, und es[268] gibt darunter Institutionen, wie die Souveränität des Monarchen, die Erblichkeit der Thronfolge, Gerichtsverfassung usf., in welchen diese Garantie noch in viel stärkerem Grade liegt. Die eigentümliche Begriffsbestimmung der Stände ist deshalb darin zu suchen, daß in ihnen das subjektive Moment der allgemeinen Freiheit, die eigene Einsicht und der eigene Wille der Sphäre, die in dieser Darstellung bürgerliche Gesellschaft genannt worden ist, in Beziehung auf den Staat zur Existenz kommt. Daß dies Moment eine Bestimmung der zur Totalität entwickelten Idee ist, diese innere Notwendigkeit, welche nicht mit äußeren Notwendigkeiten und Nützlichkeiten zu verwechseln ist, folgt, wie überall, aus dem philosophischen Gesichtspunkt.«
Die öffentliche, allgemeine Freiheit ist in den andern Staatsinstitutionen angeblich garantiert; die Stände sind ihre angebliche Selbstgarantierung. Daß das Volk auf die Stände, in denen es selbst sich zu versichern glaubt, mehr Gewicht legt als auf die Institutionen, die ohne sein Tun die Assekuranzen seiner Freiheit sein soll[en], Bestätigungen seiner Freiheit, ohne Betätigungen seiner Freiheit zu sein. Die Koordination, welche Hegel den Ständen neben den andern Institutionen anweist, widerspricht ihrem Wesen.
Hegel löst das Rätsel, wenn er die »eigentümliche Begriffsbestimmung der Stände« darin findet, daß in ihnen »die eigene Einsicht und der eigene Wille der bürgerlichen Gesellschaft in Beziehung auf den Staat zur Existenz kommt«. Es ist die Reflexion der bürgerlichen Gesellschaft auf den Staat. Wie die Bürokraten Abgeordnete des Staats an die bürgerliche Gesellschaft, so sind die Stände Abgeordnete der bürgerlichen Gesellschaft an den Staat. Es sind also immer Transaktionen zweier gegensätzlicher Willen.
Im Zusatz zu diesem Paragraphen heißt es:
»Die Stellung der Regierung zu den Ständen soll keine wesentlich feindliche sein, und der Glaube an die Notwendigkeit dieses feindseligen Verhältnisses ist ein trauriger Irrtum«,
ist eine »traurige Wahrheit«.
»Die Regierung ist keine Partei, der eine andere gegenübersteht.«
Umgekehrt.
»Die Steuern, die die Stände bewilligen, sind ferner nicht wie ein Geschenk anzusehen, das dem Staate gegeben wird, sondern sie werden zum Besten der Bewilligenden selbst bewilligt.«
Die Steuerbewilligung ist im konstitutionellen Staat der Meinung nach notwendig ein Geschenk.
»Was die eigentliche Bedeutung der Stände ausmacht, ist, daß der Staat dadurch in das subjektive Bewußtsein des Volks tritt, und daß es an demselben teilzuhaben anfängt.«[269]
Das letztere ist ganz richtig. Das Volk in den Ständen fängt an, teilzuhaben am Staat, ebenso tritt er als ein Jenseitiger in sein subjektives Bewußtsein. Wie kann Hegel diesen Anfang aber für die volle Realität ausgeben?
§ 302. »Als vermittelndes Organ betrachtet, stehen die Stände zwischen der Regierung überhaupt einerseits, und dem in die besonderen Sphären und Individuen aufgelösten Volke andererseits. Ihre Bestimmung fordert an sie so sehr den Sinn und die Gesinnung des Staats und der Regierung, als der Interessen der besonderen Kreise und der Einzelnen. Zugleich hat diese Stellung die Bedeutung einer mit der organisierten Regierungsgewalt gemeinschaftlichen Vermittelung, daß weder die fürstliche Gewalt als Extrem isoliert und dadurch als bloße Herrschergewalt und Willkür erscheine, noch daß die besonderen Interessen der Gemeinden, Korporationen und der Individuen sich isolieren, oder noch mehr, daß die Einzelnen nicht zur Darstellung einer Menge und eines Haufens, zu einem somit unorganischen Meinen und Wollen und zur bloß massenhaften Gewalt gegen den organischen Staat kommen.«
Staat und Regierung werden immer als identisch auf die eine Seite, das in die besondren Sphären und Individuen aufgelöste Volk auf die andere Seite gesetzt. Die Stände stehn als vermittelndes Organ zwischen beiden. Die Stände sind die Mitte, worin »Sinn und Gesinnung des Staats und der Regierung« zusammentreffen, vereinigt sein sollen mit »Sinn und Gesinnung der besonderen Kreise und der Einzelnen«. Die Identität dieser beiden entgegengesetzten Sinne und Gesinnungen, in deren Identität eigentlich der Staat liegen sollte, erhält eine symbolische Darstellung in den Ständen. Die Transaktion zwischen Staat und bürgerlicher Gesellschaft erscheint als eine besondre Sphäre. Die Stände sind die Synthese zwischen Staat und bürgerlicher Gesellschaft. Wie die Stände es aber anfangen sollen, zwei widersprechende Gesinnungen in sich zu vereinen, ist nicht angegeben. Die Stände sind der gesetzte Widerspruch des Staates und der bürgerlichen Gesellschaft im Staate. Zugleich sind sie die Forderung der Auflösung dieses Widerspruches.
»Zugleich hat diese Stellung die Bedeutung einer mit der organisierten Regierungsgewalt gemeinschaftlichen Vermittelung etc.«
Die Stände vermitteln nicht nur Volk und Regierung. Sie verhindern die »fürstliche Gewalt« als isoliertes »Extrem«, die damit als »bloße Herrschergewalt und Willkür« erscheinen würde, ebenso die »Isolierung« der »besonderen« Interessen etc., ebenso die »Darstellung der Einzelnen als Menge und Haufen«. Diese Vermittelung ist den Ständen mit der organisierten Regierungsgewalt gemeinschaftlich. In einem Staat, worin die »Stellung« der »Stände« verhindert, »daß die Einzelnen nicht zur Darstellung einer Menge oder eines Haufens, zu einem somit unorganischen Meinen und Wollen,[270] zur bloß massenhaften Gewalt gegen den organischen Staat kommen«, existiert der »organische Staat« außer der »Menge« und dem »Haufen«, oder da gehört die »Menge« und der »Haufen« zur Organisation des Staats; bloß soll sein »unorganisches Meinen und Wollen« nicht zum »Meinen und Wollen gegen den Staat« kommen, durch welche bestimmte Richtung es »organisches« Meinen und Wollen würde. Ebenso soll diese »massenhafte Gewalt« nur »massenhaft« bleiben, so daß der Verstand außer der Masse ist und sie daher nicht sich selbst in Bewegung setzen, sondern nur von den Monopolisten des »organischen Staates« in Bewegung gesetzt und als massenhafte Gewalt exploitiert werden kann. Wo nicht »die besondern Interessen der Gemeinden, Korporationen und der Einzelnen« sich gegen den Staat isolieren, sondern die »Einzelnen zur Darstellung einer Menge und eines Haufens, zu einem somit unorganischen Meinen und Wollen und zur bloß massenhaften Gewalt gegen den Staat kommen«, da zeigt es sich eben, daß kein »besonderes Interesse« dem Staat widerspricht, sondern daß der »wirkliche organische allgemeine Gedanke der Menge und des Haufens« nicht der »Gedanke des organischen Staats« ist, der nicht in ihm seine Realisation findet. Wodurch erscheinen nun die Stände als Vermittelung gegen dies Extrem? Nur dadurch, »daß die besonderen Interessen der Gemeinden, Korporationen und der Individuen sich Isolieren«, oder dadurch, daß ihre isolierten Interessen ihre Rechnung mit dem Staat durch die Stände abschließen, zugleich dadurch, daß das »unorganische Meinen und Wollen der Menge und des Haufens« in der Schöpfung der Stände seinen Willen (seine Tätigkeit) und in der Beurteilung der Tätigkeit der Stände sein »Meinen« beschäftigt und die Täuschung seiner Vergegenständlichung genossen hat. Die »Stände« präservieren den Staat vor dem unorganischen Haufen nur durch die Desorganisation dieses Haufens.
Zugleich aber sollen die Stände dagegen vermitteln, »daß die besonderen Interessen der Gemeinden, Korporationen und der Individuen sich« nicht »isolieren«. Sie vermitteln dagegen, 1. indem sie mit dem »Staatsinteresse« transigieren, 2. indem sie selbst die »politische Isolierung« dieser besondern Interessen sind; diese Isolierung als politischer Akt, indem durch sie diese »isolierten Interessen« den Rang des »Allgemeinen« erhalten.
Endlich sollen die Stände gegen die »Isolierung« der fürstlichen Gewalt als eines »Extrems« (die »dadurch als bloße Herrschergewalt und Willkür erschiene«) vermitteln. Dies ist insofern richtig, als das Prinzip der fürstlichen Gewalt (die Willkür) durch sie begrenzt ist, wenigstens nur in Fesseln sich bewegen kann, und als sie selbst Teilnehmer, Mitschuldige der fürstlichen Gewalt werden.[271]
Die fürstliche Gewalt hört entweder wirklich dadurch auf, das Extrem der fürstlichen Gewalt zu sein (und die fürstliche Gewalt existiert nur als ein Extrem, als eine Einseitigkeit, weil sie kein organisches Prinzip ist), sie wird zu einer Scheingewalt, einem Symbol, oder sie verliert nur den Schein der Willkür und bloßer Herrschergewalt. Sie vermitteln gegen die »Isolierung« der Sonderinteressen, indem sie diese Isolierung als politischen Akt vorstellen. Sie vermitteln gegen die Isolierung der fürstlichen Gewalt als eines Extrems, teils indem sie selbst zu einem Teil der fürstlichen Gewalt werden, teils indem sie die Regierungsgewalt zu einem Extrem machen.
In den »Ständen« laufen alle Widersprüche der modernen Staatsorganisationen zusammen. Sie sind die »Mittler« nach allen Seiten hin, weil sie nach allen Seiten hin »Mitteldinge« sind.
Zu bemerken ist, daß Hegel weniger den Inhalt der ständischen Tätigkeit, die gesetzgebende Gewalt, als die Stellung der Stände, ihren politischen Rang entwickelt.
Zu bemerken ist noch, daß, während nach Hegel zunächst die Stände »zwischen der Regierung überhaupt einerseits und dem in die besonderen Sphären und Individuen aufgelösten Volk andrerseits« stehn. Ihre Stellung, wie sie oben entwickelt »die Bedeutung einer mit der organisierten Regierungsgewalt gemeinschaftlichen Vermittelung hat«.
Was die erste Stellung betrifft, so sind die Stände das Volk gegen die Regierung, aber das Volk en miniature. Das ist ihre oppositionelle Stellung.
Was die zweite betrifft, so sind sie die Regierung gegen das Volk, aber die amplifizierte Regierung. Das ist ihre konservative Stellung. Sie sind selbst ein Teil der Regierungsgewalt gegen das Volk, aber so, daß sie zugleich die Bedeutung haben, das Volk gegen die Regierung zu sein.
Hegel hat oben die »gesetzgebende Gewalt als Totalität« (§ 300) bezeichnet, die Stände sind wirklich diese Totalität, der Staat im Staate, aber eben in ihnen erscheint es, daß der Staat nicht die Totalität, sondern ein Dualismus ist. Die Stände stellen den Staat in einer Gesellschaft vor, die kein Staat ist. Der Staat ist eine bloße Vorstellung.
In der Anmerkung sagt Hegel:
»Es gehört zu den wichtigsten logischen Einsichten, daß ein bestimmtes Moment, das als im Gegensatze stehend die Stellung eines Extrems hat, es dadurch zu sein aufhört und organisches Moment ist, daß es zugleich Mitte ist.«
(So ist das ständische Element 1. das Extrem des Volks gegen die Regierung, aber 2. zugleich Mitte zwischen Volk und Regierung, oder es ist der [272] Gegensatz im Volk selbst. Der Gegensatz von Regierung und Volk vermittelt sich durch den Gegensatz zwischen Ständen und Volk. Die Stände haben nach der Seite der Regierung hin die Stellung des Volks, aber nach der Seite des Volks hin die Stellung der Regierung. Indem das Volk als Vorstellung, als Phantasie, Illusion, Repräsentation zustande kommt – das vorgestellte Volk oder die Stände, das sich als eine besondre Gewalt sogleich in der Trennung vom wirklichen Volk befindet – hebt [es] den wirklichen Gegensatz zwischen Volk und Regierung auf. Das Volk ist hier schon so zubereitet, wie es in dem betrachteten Organismus zubereitet sein muß, um keinen entschiedenen Charakter zu haben.)
»Bei dem hier betrachteten Gegenstand ist es um so wichtiger, diese Seite herauszuheben, weil es zu den häufigen, aber höchst gefährlichen Vorurteilen gehört. Stände hauptsächlich im Gesichtspunkte des Gegensatzes gegen die Regierung, als ob dies ihre wesentliche Stellung wäre, vorzustellen. Organisch, d.i. In die Totalität aufgenommen, beweist sich das ständische Element nur durch die Funktion der Vermittelung. Damit ist der Gegensatz selbst zu einem Schein herabgesetzt. Wenn er. Insofern er seine Erscheinung hat, nicht bloß die Oberfläche beträfe, sondern wirklich ein substantieller Gegensatz würde, so wäre der Staat in seinem Untergange begriffen. – Das Zeichen, daß der Widerstreit nicht dieser Art ist, ergibt sich der Natur der Sache nach dadurch, wenn die Gegenstände desselben nicht die wesentlichen Elemente des Staatsorganismus, sondern speziellere und gleichgültigere Dinge betreffen, und die Leidenschaft, die sich doch an diesen Inhalt knüpft, zur Parteisucht um ein bloß subjektives Interesse, etwa um die höheren Staatsstellen, wird.«
Im Zusatz heißt es:
»Die Verfassung ist wesentlich ein System der Vermittelung.«
§ 303. »Der allgemeine, näher dem Dienst der Regierung sich widmende Stand hat unmittelbar in seiner Bestimmung, das Allgemeine zum Zwecke seiner wesentlichen Tätigkeit zu haben; in dem ständischen Elemente der gesetzgebenden Gewalt kommt der Privatstand zu einer politischen Bedeutung und Wirksamkeit. Derselbe kann nun dabei weder als bloße ungeschiedene Masse noch als eine in ihre Atome aufgelöste Menge erscheinen, sondern als das, was er bereits ist, nämlich unterschieden in den auf das substantielle Verhältnis und in den auf die besonderen Bedürfnisse und die sie vermittelnde Arbeit sich gründenden Stand [...]. Nur so knüpft sich in dieser Rücksicht wahrhaft das im Staate wirkliche Besondere an das Allgemeine an.«
Hier haben wir die Lösung des Rätsels. »In dem ständischen Elemente der gesetzgebenden Gewalt kommt der Privatstand zu einer politischen Bedeutung.« Versteht sich, daß der Privatstand nach dem, was er ist, nach seiner Gliederung in der bürgerlichen Gesellschaft (den allgemeinen Stand hat Hegel schon als den der Regierung sich widmenden bezeichnet; der allgemeine[273] Stand ist also durch die Regierungsgewalt in der gesetzgebenden Gewalt vertreten) zu dieser Bedeutung kommt.
Das ständische Element ist die politische Bedeutung des Privatstandes, des unpolitischen Standes, eine contradictio in adjecto. Oder in dem von Hegel beschriebenen Stand hat der Privatstand (weiter überhaupt der Unterschied des Privatstandes) eine politische Bedeutung. Der Privatstand gehört zum Wesen, zur Politik dieses Staates. Er gibt ihm daher auch eine politische Bedeutung, d.h. eine andere Bedeutung als seine wirkliche Bedeutung.
In der Anmerkung heißt es:
»Dies gehet gegen eine andere gangbare Vorstellung, daß, indem der Privatstand zur Teilnahme an der allgemeinen Sache in der gesetzgebenden Gewalt erhoben wird, er dabei in Form der Einzelnen erscheinen müsse, sei es, daß sie Stellvertreter für diese Funktion wählen, oder daß gar selbst jeder eine Stimme dabei exerzieren solle. Diese atomistische, abstrakte Ansicht verschwindet schon in der Familie wie in der bürgerlichen Gesellschaft, wo der Einzelne nur als Mitglied eines Allgemeinen zur Erscheinung kommt. Der Staat aber ist wesentlich eine Organisation von solchen Gliedern, die für sich Kreise sind, und in ihm soll sich kein Moment als eine unorganische Menge zeigen. Die Vielen als Einzelne, was man gerne unter Volk versteht, sind wohl ein Zusammen, aber nur als die Menge, – eine formlose Masse, deren Bewegung und Tun eben damit nur elementarisch, vernunftlos, wild und fürchterlich wäre.«
»Die Vorstellung, welche die in jenen Kreisen schon vorhandenen Gemeinwesen, wo sie ins Politische, d.i. in den Standpunkt der höchsten konkreten Allgemeinheit eintreten, wieder in eine Menge von Individuen auflöst, hält eben damit das bürgerliche und das politische Leben voneinander getrennt und stellt dieses sozusagen in die Luft, da seine Basis nur die abstrakte Einzelnheit der Willkür und Meinung, somit das Zufällige, nicht eine an und für sich feste und berechtigte Grundlage sein würde.«
»Obgleich in den Vorstellungen sogenannter Theorien die Stände der bürgerlichen Gesellschaft überhaupt und die Stände in politischer Bedeutungwelt auseinander liegen, so hat doch die Sprache noch diese Vereinigung erhalten, die früher ohnehin vorhanden war.«
»Der allgemeine, näher dem Dienst der Regierung sich widmende Stand.«
Hegel geht von der Voraussetzung aus, daß der allgemeine Stand im »Dienst der Regierung« steht. Er unterstellt die allgemeine Intelligenz als »ständisch und ständig«.
»In dem ständischen Elemente etc.« Die »politische Bedeutung und Wirksamkeit« des Privatstandes ist eine besondere Bedeutung und Wirksamkeit desselben. Der Privatstand verwandelt sich nicht in den politischen Stand sondern als Privatstand tritt er in seine politische Wirksamkeit und Bedeutung. Er hat[274] nicht politische Wirksamkeit und Bedeutung schlechthin. Seine politische Wirksamkeit und Bedeutung ist die politische Wirksamkeit und Bedeutung des Privatstandes ab Privatstand. Der Privatstand kann also nur nach dem Ständeunterschied der bürgerlichen Gesellschaft in die politische Sphäre treten. Der Ständeunterschied der bürgerlichen Gesellschaft wird zu einem politischen Unterschied.
Schon die Sprache, sagt Hegel, drückt die Identität der Stände der bürgerlichen Gesellschaft und der Stände in politischer Bedeutung aus, eine »Vereinigung«, »die früher ohnehin vorhanden war«, also, sollte man schließen, jetzt nicht mehr vorhanden ist.
Hegel findet, daß »sich in dieser Rücksicht wahrhaft das im Staate wirklich Besondere an das Allgemeine anknüpft«. Die Trennung des »bürgerlichen und des politischen Lebens« soll auf diese Weise aufgehoben und ihre »Identität« gesetzt sein.
Hegel stützt sich darauf:
»In jenen Kreisen« (Familie und bürgerliche Gesellschaft) »sind schon Gemeinwesen vorhanden.« Wie kann man diese da, »wo sie ins Politische, d.i. in den Standpunkt der höchsten konkreten Allgemeinheit eintreten«, »wieder in eine Menge von Individuen auflösen« wollen?
Es ist wichtig, diese Entwicklung genau zu verfolgen.
Die Spitze der Hegelschen Identität war, wie er selbst gesteht, das Mittelalter. Hier waren die Stände der bürgerlichen Gesellschaft überhaupt und die Stände in politischer Bedeutung identisch. Man kann den Geist des Mittelalters so aussprechen: Die Stände der bürgerlichen Gesellschaft und die Stände in politischer Bedeutung waren identisch, weil die bürgerliche Gesellschaft die politische Gesellschaft war: weil das organische Prinzip der bürgerlichen Gesellschaft das Prinzip des Staats war.
Allein Hegel geht von der Trennung der »bürgerlichen Gesellschaft« und des »politischen Staates« als zweier fester Gegensätze, zweier wirklich verschiedner Sphären aus. Diese Trennung ist allerdings wirklich im modernen Staat vorhanden. Die Identität der bürgerlichen und politischen Stände war der Ausdruck der Identität der bürgerlichen und politischen Gesellschaft. Diese Identität ist verschwunden. Hegel setzt sie als verschwunden voraus. »Die Identität der bürgerlichen und politischen Stände«, wenn sie die Wahrheit ausdrückte, könnte also nur mehr ein Ausdruck der Trennung der bürgerlichen und politischen Gesellschaft sein! oder vielmehr: nur die Trennung der bürgerlichen und politischen Stände drückt das wahre Verhältnis der bürgerlichen und politischen modernen Gesellschaft aus.[275]
Zweitens: Hegel handelt hier von politischen Ständen in einem ganz anderen Sinne, – als jene politischen Stände des Mittelalters waren, von denen die Identität mit den Ständen der bürgerlichen Gesellschaft ausgesagt wird.
Ihr ganzes Dasein war politisch; ihr Dasein war das Dasein des Staats. Ihre gesetzgebende Tätigkeit, ihre Steuerbewilligung für das Reich war nur ein besonderer Ausfluß ihrer allgemeinen politischen Bedeutung und Wirksamkeit. Ihr Stand war ihr Staat. Das Verhältnis zum Reich war nur ein Transaktionsverhältnis dieser verschiedenen Staaten mit der Nationalität, denn der politische Staat im Unterschied von der bürgerlichen Gesellschaft war nichts andres als die Repräsentation der Nationalität. Die Nationalität war der point d'honneur der kat' exochên politische Sinn dieser verschiedenen Korporationen etc., und nur auf sie bezogen sich die Steuern etc. Das war das Verhältnis der gesetzgebenden Stände zum Reich. Ähnlich verhielten sich die Stände innerhalb der besonderen Fürstentümer. Das Fürstentum, die Souveränität war hier ein besonderer Stand, der gewisse Privilegien hatte, aber ebensosehr von den Privilegien der anderen Stände geniert wurde. (Bei den Griechen war die bürgerliche Gesellschaft Sklave der politischen.) Die allgemeine gesetzgebende Wirksamkeit der Stände der bürgerlichen Gesellschaft war keineswegs ein Kommen des Privatstandes zu einer politischen Bedeutung und Wirksamkeit, sondern vielmehr ein bloßer Ausfluß ihrer wirklichen und allgemeinen politischen Bedeutung und Wirksamkeit. Ihr Auftreten als gesetzgebende Macht war bloß ein Komplement ihrer souveränen und regierenden (exekutiven) Macht; es war vielmehr ihr Kommen zu der ganz allgemeinen Angelegenheit als einer Privatsache, ihr Kommen zur Souveränität als einem Privatstand. Die Stände der bürgerlichen Gesellschaft waren im Mittelalter als solche Stände zugleich gesetzgebend, weil sie keine Privatstände oder weil die Privatstände politische Stände waren. Die mittelalterlichen Stände kamen als politisch-ständisches Element zu keiner neuen Bestimmung. Sie wurden nicht politisch-ständisch, weil sie teil an der Gesetzgebung hatten; sondern sie hatten teil an der Gesetzgebung, weil sie politisch-ständisch waren. Was hat das nun mit Hegels Privatstand gemein, der als gesetzgebendes Element zu einer politischen Bravourarie, zu einem ekstatischen Zustand, zu einer aparten, frappanten, ausnahmsweisen politischen Bedeutung und Wirksamkeit kommt?
In dieser Entwicklung findet man alle Widersprüche der Hegelschen Darstellung zusammen.
1. hat er die Trennung der bürgerlichen Gesellschaft und des politischen[276] Staats (einen modernen Zustand) vorausgesetzt und als notwendiges Moment der Idee entwickelt, als absolute Vernunftwahrheit. Er hat den politischen Staat in seiner modernen Gestalt der Trennung der verschiedenen Gewalten dargestellt. Er hat dem wirklichen handelnden Staat die Bürokratie zu seinem Leib gegeben und sie als den wissenden Geist dem Materialismus der bürgerlichen Gesellschaft supraordiniert. Er hat das an und für sich seiende Allgemeine des Staats dem besonderen Interesse und dem Bedürfnis der bürgerlichen Gesellschaft gegenübergestellt. Mit einem Wort: Er stellt überall den Konflikt der bürgerlichen Gesellschaft und des Staates dar.
2. Hegel stellt die bürgerliche Gesellschaft als Privatstand dem politischen Staat gegenüber.
3. Er bezeichnet das ständische Element der gesetzgebenden Gewalt als den bloßen politischen Formalismus der bürgerlichen Gesellschaft. Er bezeichnet es als ein Reflexionsverhältnis der bürgerlichen Gesellschaft auf den Staat und als ein Reflexionsverhältnis, was das Wesen des Staates nicht alteriert. Ein Reflexionsverhältnis ist auch die höchste Identität zwischen wesentlich Verschiedenen.
Andrerseits will Hegel:
1. die bürgerliche Gesellschaft bei ihrer Selbstkonstituierung als gesetzgebendes Element weder als bloße, ungeschiedene Masse, noch als eine in ihre Atome aufgelöste Menge erscheinen lassen. Er will keine Trennung des bürgerlichen und politischen Lebens.
2. Er vergißt, daß es sich um ein Reflexionsverhältnis handelt, und macht die bürgerlichen Stände als solche zu politischen Ständen, aber wieder nur nach der Seite der gesetzgebenden Gewalt hin, so daß ihre Wirksamkeit selbst der Beweis der Trennung ist.
Er macht das ständische Element zum Ausdruck der Trennung, aber zugleich soll es der Repräsentant einer Identität sein, die nicht vorhanden ist. Hegel weiß die Trennung der bürgerlichen Gesellschaft und des politischen Staats, aber er will, daß innerhalb des Staats die Einheit desselben ausgedrückt sei, und zwar soll dies dergestalt bewerkstelligt werden, daß die Stände der bürgerlichen Gesellschaft zugleich als solche das ständische Element der gesetzgebenden Gesellschaft bilden. (cf. XIV. X).
§ 304. »Den in den früheren Sphären bereits vorhandenen Unterschied der Stände enthält das politisch-ständische Element zugleich in seiner eigenen Bestimmung. Seine zunächst abstrakte Stellung, nämlich des Extrems der empirischen Allgemeinheit gegen das fürstliche oder monarchische Prinzip überhaupt – in der nur die Möglichkeit der Übereinstimmung und damit ebenso die Möglichkeit feindlicher Entgegensetzung liegt –, diese abstrakte Stellung wird nur dadurch zum vernünftigen[277] Verhältnisse (zum Schlusse, vergleiche Anmerkung zu § 302), daß ihre Vermittelung zur Existenz kommt. Wie von seiten der fürstlichen Gewalt die Regierungsgewalt (§ 300) schon diese Bestimmung hat, so muß auch von der Seite der Stände aus ein Moment derselben nach der Bestimmung gekehrt sein, wesentlich als das Moment der Mitte zu existieren.«
§ 305. »Der eine der Stände der bürgerlichen Gesellschaft enthält das Prinzip, das für sich fähig ist, zu dieser politischen Beziehung konstituiert zu werden, der Stand der natürlichen Sittlichkeit nämlich, der das Familienleben und in Rücksicht der Subsistenz den Grundbesitz zu seiner Basis, somit in Rücksicht seiner Besonderheit ein auf sich beruhendes Wollen und die Naturbestimmung, welche das fürstliche Element in sich schließt, mit diesem gemein hat.«
§ 306. »Für die politische Stellung und Bedeutung wird er näher konstituiert, insofern sein Vermögen ebenso unabhängig vom Staatsvermögen als von der Unsicherheit des Gewerbes, der Sucht des Gewinns und der Veränderlichkeit des Besitzes überhaupt –, wie von der Gunst der Regierungsgewalt, so von der Gunst der Menge –, und selbst gegen die eigene Willkür dadurch festgestellt ist, daß die für diese Bestimmung berufenen Mitglieder dieses Standes des Rechts der anderen Bürger, teils über ihr ganzes Eigentum frei zu disponieren, teils es nach der Gleichheit der Liebe zu den Kindern an sie übergehend zu wissen, entbehren; das Vermögen wird so ein unveräußerliches, mit dem Majorate belastetes Erbgut.«
Zusatz. »Dieser Stand hat ein mehr für sich bestehendes Wollen. Im ganzen wird der Stand der Güterbesitzer sich in den gebildeten Teil desselben und in den Bauernstand unterscheiden. Indessen beiden Arten steht der Stand des Gewerbes, als der vom Bedürfnis abhängige und darauf hingewiesene, und der allgemeine Stand, als vom Staat wesentlich abhängig, gegenüber. Die Sicherheit und Festigkeit dieses Standes kann noch durch die Institution des Majorats vermehrt werden, welche jedoch nur in politischer Rücksicht wünschenswert ist, denn es ist damit ein Opfer für den politischen Zweck verbunden, daß der Erstgeborene unabhängig leben könne. Die Begründung des Majorats liegt darin, daß der Staat nicht auf bloße Möglichkeit der Gesinnung, sondern auf ein Notwendiges rechnen soll. Nun ist die Gesinnung freilich an ein Vermögen nicht gebunden, aber der relativ notwendige Zusammenhang ist, daß, wer ein selbständiges Vermögen hat, von äußeren Umständen nicht beschränkt ist und so ungehemmt auftreten und für den Staat handeln kann. Wo indessen politische Institutionen fehlen, ist die Gründung und Begünstigung von Majoraten nichts als eine Fessel, die der Freiheit des Privatrechts angelegt ist, zu welcher entweder der politische Sinn hinzutreten muß, oder die ihrer Auflösung entgegengeht.«
§ 307. »Das Recht dieses Teils des substantiellen Standes ist auf diese Weise zwar einerseits auf das Naturprinzip der Familie gegründet, dieses aber zugleich durch harte Aufopferungen für den politischen Zweck verkehrt, womit dieser Stand wesentlich an die Tätigkeit für diesen Zweck angewiesen und gleichfalls in Folge hiervon ohne die Zufälligkeit einer Wahl durch die Geburt dazu berufen und berechtigt ist. Damit hat er die feste, substantielle Stellung zwischen der subjektiven Willkür[278] oder Zufälligkeit der beiden Extreme, und wie er [...] ein Gleichnis des Moments der fürstlichen Gewalt in sich trägt, so teilt er auch mit dem anderen Extreme die im übrigen gleichen Bedürfnisse und gleichen Rechte, und wird so zugleich Stütze des Thrones und der Gesellschaft.«
Hegel hat das Kunststück fertiggebracht, die geborenen Pairs, das Erbgut etc. etc., diese »Stütze des Throns und der Gesellschaft«, aus der absoluten Idee entwickelt.
Das Tiefere bei Hegel liegt darin, daß er die Trennung der bürgerlichen Gesellschaft und der politischen als einen Widerspruch empfindet. Aber das Falsche ist, daß er sich mit dem Schein dieser Auflösung begnügt und ihn für die Sache selbst ausgibt, wogegen die von ihm verachteten »sogenannten Theorien« die »Trennung« der bürgerlichen und politischen Stände fordern, und mit Recht, denn sie sprechen eine Konsequenz der modernen Gesellschaft aus, indem hier das politisch-ständische Element eben nichts anders ist als der faktische Ausdruck des wirklichen Verhältnisses von Staat und bürgerlicher Gesellschaft, ihre Trennung.
Hegel hat die Sache, worum es sich hier handelt, nicht bei ihrem bekannten Namen genannt. Es ist die Streitfrage zwischen repräsentativer und ständischer Verfassung. Die repräsentative Verfassung ist ein großer Fortschritt, weil sie der offene, unverfälschte, konsequente Ausdruck des modernen Staatszustandes ist. Sie ist der unverhohlene Widerspruch.
Ehe wir auf die Sache selbst eingehen, werfen wir noch einmal einen Blick auf die Hegelsche Darstellung.
»In dem ständischen Element der gesetzgebenden Gewalt kommt der Privatstand zu einer politischen Bedeutung.«
Früher (§ 301 Anmerkung) hieß es:
»Die eigentümliche Begriffsbestimmung der Stände ist deshalb darin zu suchen, daß in ihnen... die eigene Einsicht und der eigene Wille der Sphäre, die in dieser Darstellung bürgerliche Gesellschaft genannt worden ist, in Beziehung auf den Staat zur Existenz kommt.«
Fassen wir diese Bestimmung zusammen, so folgt: »Die bürgerliche Gesellschaft ist der Privatstand,« oder der Privatstand ist der unmittelbare, wesentliche, konkrete Stand der bürgerlichen Gesellschaft. Erst in dem ständischen Element der gesetzgebenden Gewalt erhält sie »politische Bedeutung und Wirksamkeit«. Es ist dies etwas Neues, was zu ihr hinzukommt, eine besondere Funktion, denn eben ihr Charakter als Privatstand drückt ihren Gegensatz zur politischen Bedeutsamkeit und Wirksamkeit, die Privation des politischen Charakters aus, drückt aus, daß die bürgerliche Gesellschaft an und für sich ohne politische Bedeutung und Wirksamkeit ist. Der Privatstand[279] ist der Stand der bürgerlichen Gesellschaft, oder die bürgerliche Gesellschaft ist der Privatstand. Hegel schließt daher auch konsequent den »allgemeinen Stand« von dem »ständischen Element der gesetzgebenden Gewalt« aus.
»Der allgemeine, näher dem Dienst der Regierung sich widmende Stand hat unmittelbar in seiner Bestimmung, das Allgemeine zum Zweck seiner wesentlichen Tätigkeit zu haben.«
Die bürgerliche Gesellschaft oder der Privatstand hat dies nicht zu seiner Bestimmung; seine wesentliche Tätigkeit hat nicht die Bestimmung, das Allgemeine zum Zweck zu haben, oder seine wesentliche Tätigkeit ist keine Bestimmung des Allgemeinen, keine allgemeine Bestimmung. Der Privatstand ist der Stand der bürgerlichen Gesellschaft gegen den Staat. Der Stand der bürgerlichen Gesellschaft ist kein politischer Stand.
Indem Hegel die bürgerliche Gesellschaft als Privatstand bezeichnet, hat er die Ständeunterschiede der bürgerlichen Gesellschaft für nichtpolitische Unterschiede erklärt, hat er das bürgerliche Leben und das politische für heterogen, sogar für Gegensätze erklärt. Wie fährt er nun fort?
»Derselbe kann nun dabei weder als bloße ungeschiedene Masse noch als eine in ihre Atome aufgelöste Menge erscheinen, sondern als das, was er bereits ist, nämlich unterschieden in den auf das substantielle Verhältnis und in den auf die besonderen Bedürfnisse und die sie vermittelnde Arbeit sich gründenden Stand (§ 201 ff.). Nur so knüpft sich in dieser Rücksicht wahrhaft das im Staate wirkliche Besondere an das Allgemeine an.« [§ 303.]
Als eine »bloße ungeschiedene Masse« kann die bürgerliche Gesellschaft (der Privatstand) in ihrer gesetzgeberisch-ständischen Tätigkeit allerdings nicht erscheinen, weil die »bloße ungeschiedene Masse« nur in der »Vorstellung«, der »Phantasie«, nicht aber in der Wirklichkeit existiert. Hier gibt es nur größere und kleinere zufällige Massen (Städte, Flecken etc.). Diese Massen oder diese Masse erscheint nicht nur, sondern ist überall realiter »eine in ihre Atome aufgelöste Menge«, und als diese Atomistik muß sie in ihrer politisch-ständischen Tätigkeit erscheinen und auftreten. »Als das, was er bereits ist«, kann der Privatstand, die bürgerliche Gesellschaft, nicht hier erscheinen. Denn was ist er bereits? Privatstand, d.h. Gegensatz und Trennung vom Staat. Um zur »politischen Bedeutung und Wirksamkeit« zu kommen, muß er sich vielmehr aufgeben als das, was er bereits ist, als Privatstand. Dadurch erhält er eben erst seine »politische Bedeutung und Wirksamkeit«. Dieser politische Akt ist eine völlige Transsubstantiation. In ihm muß sich die bürgerliche Gesellschaft völlig von sich als bürgerlicher Gesellschaft, als Privatstand lossagen, eine Partie seines Wesens geltend[280] machen, die mit der wirklichen bürgerlichen Existenz seines Wesens nicht nur keine Gemeinschaft hat, sondern ihr direkt gegenübersteht.
Am Einzelnen erscheint hier, was das allgemeine Gesetz ist. Bürgerliche Gesellschaft und Staat sind getrennt. Also ist auch der Staatsbürger und der Bürger, das Mitglied der bürgerlichen Gesellschaft, getrennt. Er muß also eine wesentliche Diremption mit sich selbst vornehmen. Als wirklichen Bürger findet er sich in einer doppelten Organisation, der bürokratischen – die ist eine äußere formelle Bestimmung des jenseitigen Staats, der Regierungsgewalt, die ihn und seine selbständige Wirklichkeit nicht tangiert – der sozialen, der Organisation der bürgerlichen Gesellschaft. Aber in dieser steht er als Privatmann außer dem Staat; die tangiert den politischen Staat als solchen nicht. Die erste ist eine Staatsorganisation, zu der er immer die Materie abgibt. Die zweite ist eine bürgerliche Organisation, deren Materie nicht der Staat ist. In der ersten verhält sich der Staat als formeller Gegensatz zu ihm, in der zweiten verhält er sich selbst als materieller Gegensatz zum Staat. Um also als wirklicher Staatsbürger sich zu verhalten, politische Bedeutsamkeit und Wirksamkeit zu erhalten, muß er aus seiner bürgerlichen Wirklichkeit heraustreten, von ihr abstrahieren, von dieser ganzen Organisation in seine Individualität sich zurückziehn; denn die einzige Existenz, die er für sein Staatsbürgertum findet, ist seine pure, blanke Individualität, denn die Existenz des Staats als Regierung ist ohne ihn fertig, und seine Existenz in der bürgerlichen Gesellschaft ist ohne den Staat fertig. Nur im Widerspruch mit diesen einzig vorhandenen Gemeinschaften, nur als Individuum kann er Staatsbürger sein. Seine Existenz als Staatsbürger ist eine Existenz, die außer seinen gemeinschaftlichen Existenzen liegt, die also rein individuell ist. Die »gesetzgebende Gewalt« als »Gewalt« ist ja erst die Organisation, der Gemeinkörper, den sie erhalten soll. Vor der »gesetzgebenden Gewalt« existiert die bürgerliche Gesellschaft, der Privatstand nicht als Staatsorganisation, und damit er als solche zur Existenz komme, muß seine wirkliche Organisation, das wirkliche bürgerliche Leben, als nicht vorhanden gesetzt werden, denn das ständische Element der gesetzgebenden Gewalt hat eben die Bestimmung, den Privatstand, die bürgerliche Gesellschaft, als nicht vorhanden zu setzen. Die Trennung der bürgerlichen Gesellschaft und des politischen Staates erscheint notwendig als eine Trennung des politischen Bürgers, des Staatsbürgers, von der bürgerlichen Gesellschaft, von seiner eignen wirklichen, empirischen Wirklichkeit, denn als Staatsidealist ist er ein ganz anderes, von seiner Wirklichkeit verschiedenes, unterschiedenes, entgegengesetztes Wesen. Die bürgerliche Gesellschaft bewerkstelligt hier innerhalb ihrer selbst das Verhältnis des Staats und der bürgerlichen Gesellschaft,[281] welches andrerseits schon als Bürokratie existiert. In dem ständischen Element wird das Allgemeine wirklich für sich, was es an sich ist, nämlich Gegensatz zum Besondern. Der Bürger muß seinen Stand, die bürgerliche Gesellschaft, den Privatstand, von sich abtun, um zu politischer Bedeutung und Wirksamkeit zu kommen; denn eben dieser Stand steht zwischen dem Individuum und dem politischen Staat.
Wenn Hegel schon das Ganze der bürgerlichen Gesellschaft als Privatstand dem politischen Staat entgegenstellt, so versteht es sich von selbst, daß die Unterscheidungen innerhalb des Privatstandes, die verschiedenen bürgerlichen Stände, nur eine Privatbedeutung in bezug auf den Staat, keine politische Bedeutung haben. Denn die verschiedenen bürgerlichen Stände sind bloß die Verwirklichung, die Existenz des Prinzips, des Privatstandes als des Prinzips der bürgerlichen Gesellschaft. Wenn aber das Prinzip aufgegeben werden muß, so versteht es sich von selbst, daß noch mehr die Diremptionen innerhalb dieses Prinzips nicht vorhanden sind für den politischen Staat.
»Nur so«, schließt Hegel den Paragraphen, »knüpft sich in dieser Rücksicht das im Staate wirkliche Besondere an das Allgemeine an.«
Aber Hegel verwechselt hier den Staat als das Ganze des Daseins eines Volkes mit dem politischen Staat. Jenes Besondere ist nicht das »Besondere im«, sondern vielmehr »außer dem Staate«, nämlich dem politischen Staate. Es ist nicht nur nicht »das im Staate wirkliche Besondere«, sondern auch die »Unwirklichkeit des Staates«. Hegel will entwickeln, daß die Stände der bürgerlichen Gesellschaft die politischen Stände sind, und um dies zu beweisen, unterstellt er, daß die Stände der bürgerlichen Gesellschaft die »Besonderung des politischen Staates«, d.i., daß die bürgerliche Gesellschaft die politische Gesellschaft ist. Der Ausdruck: »Das Besondere im Staate« kann hier nur Sinn haben als: »Die Besonderung des Staates«. Hegel wählt aus einem bösen Gewissen den unbestimmten Ausdruck. Er selbst hat nicht nur das Gegenteil entwickelt, er bestätigt es noch selbst in diesem Paragraphen, indem er die bürgerliche Gesellschaft als »Privatstand« bezeichnet. Sehr vorsichtig ist auch die Bestimmung, daß sich das Besondere an das Allgemeine »anknüpft«. Anknüpfen kann man die heterogensten Dinge. Es handelt sich hier aber nicht um einen allmählichen Übergang, sondern um eine Transsubstantiation, und es nützt nichts, diese Kluft, die übersprungen und durch den Sprung selbst demonstriert wird, nicht sehn zu wollen.
Hegel sagt in der Anmerkung:
»Dies geht gegen eine andere gangbare Vorstellung« etc. Wir haben eben gezeigt, wie diese gangbare Vorstellung konsequent, notwendig, eine »notwendige Vorstellung der jetzigen Volksentwicklung« und wie Hegels Vorstellung,[282] obgleich sie auch in gewissen Kreisen sehr gangbar, nichtsdestoweniger eine Unwahrheit ist. Auf die gangbare Vorstellung zurückkommend, sagt Hegel:
»Diese atomistische, abstrakte Ansicht verschwindet schon in der Familie« etc. etc. »Der Staat aber ist« etc. Abstrakt ist diese Ansicht allerdings, aber sie ist die »Abstraktion« des politischen Staates, wie ihn Hegel selbst entwickelt. Atomistisch ist sie auch, aber sie ist die Atomistik der Gesellschaft selbst. Die »Ansicht« kann nicht konkret sein, wenn der Gegenstand der Ansicht »abstrakt« ist. Die Atomistik, in die sich die bürgerliche Gesellschaft in ihrem politischen Akt stürzt, geht notwendig daraus hervor, daß das Gemeinwesen, das kommunistische Wesen, worin der Einzelne existiert, die bürgerliche Gesellschaft getrennt vom Staat oder der politische Staat eine Abstraktion von ihr ist.
Diese atomistische Ansicht, obschon [sie] bereits in der Familie und vielleicht (??) auch in der bürgerlichen Gesellschaft verschwindet, kehrt im politischen Staate wieder, eben weil er eine Abstraktion von der Familie und der bürgerlichen Gesellschaft ist. Ebenso verhält es sich umgekehrt. Dadurch, daß Hegel das Befremdliche dieser Erscheinung ausspricht, hat er die Entfremdung nicht gehoben.
»Die Vorstellung«, heißt es weiter, »welche die in jenen Kreisen schon vorhandenen Gemeinwesen, wo sie ins Politische, d.i. in den Standpunkt der höchsten konkreten Allgemeinheit eintreten, wieder in eine Menge von Individuen auflöst, hält eben damit das bürgerliche und das politische Leben voneinander getrennt und stellt dieses sozusagen in die Luft, da seine Basis nur die abstrakte Einzelnheit der Willkür und Meinung, somit das Zufällige, nicht eine an und für sich feste und berechtigte Grundlage sein würde.« [§ 303.]
Jene Vorstellung hält nicht das bürgerliche und politische Leben getrennt; sie ist bloß die Vorstellung einer wirklich vorhandenen Trennung.
Jene Vorstellung stellt nicht das politische Leben in die Luft, sondern das politische Leben ist das Luftleben, die ätherische Region der bürgerlichen Gesellschaft.
Wir betrachten nun das ständische und das repräsentative System.
Es ist ein Fortschritt der Geschichte, der die politischen Stände in soziale Stände verwandelt hat, so daß, wie die Christen gleich im Himmel, ungleich auf der Erde, so die einzelnen Volksglieder gleich in dem Himmel ihrer politischen Welt, ungleich in dem irdischen Dasein der Sozietät sind. Die eigentliche Verwandlung der politischen Stände in bürgerliche ging vor sich in der absoluten Monarchie. Die Bürokratie machte die Idee der Einheit gegen die verschiedenen Staaten im Staate geltend. Indessen blieb selbst neben der Bürokratie der absoluten Regierungsgewalt der soziale Unterschied der Stände[283] ein politischer, ein politischer innerhalb und neben der Bürokratie der absoluten Regierungsgewalt. Erst die französische Revolution vollendete die Verwandlung der politischen Stände in soziale oder machte die Ständeunterschiede der bürgerlichen Gesellschaft zu nur sozialen Unterschieden, zu Unterschieden des Privatlebens, welche in dem politischen Leben ohne Bedeutung sind. Die Trennung des politischen Lebens und der bürgerlichen Gesellschaft war damit vollendet.
Die Stände der bürgerlichen Gesellschaft verwandelten sich ebenfalls damit: die bürgerliche Gesellschaft war durch ihre Trennung von der politischen eine andere geworden. Stand im mittelaltrigen Sinn blieb nur mehr innerhalb der Bürokratie selbst, wo die bürgerliche und die politische Stellung unmittelbar identisch sind. Demgegenüber steht die bürgerliche Gesellschaft als Privatstand. Der Ständeunterschied ist hier nicht mehr ein Unterschied des Bedürfnisses und der Arbeit als selbständiger Körper. Der einzige allgemeine, oberflächliche und formelle Unterschied ist hier nur noch der von Stadt und Land. Innerhalb der Gesellschaft selbst aber bildete sich der Unterschied aus in beweglichen, nicht festen Kreisen, deren Prinzip die Willkür ist. Geld und Bildung sind die Hauptkriterien. Doch wir haben dies nicht hier, sondern in der Kritik von Hegels Darstellung der bürgerlichen Gesellschaft zu entwickeln. Genug. Der Stand der bürgerlichen Gesellschaft hat weder das Bedürfnis, also ein natürliches Moment, noch die Politik zu seinem Prinzip. Es ist eine Teilung von Massen, die sich flüchtig bilden, deren Bildung selbst eine willkürliche und keine Organisation ist.
Das Charakteristische ist nur, daß die Besitzlosigkeit und der Stand der unmittelbaren Arbeit, der konkreten Arbeit, weniger einen Stand der bürgerlichen Gesellschaft als den Boden bilden, auf dem ihre Kreise ruhen und sich bewegen. Der eigentliche Stand, wo politische und bürgerliche Stellung zusammenfallen, ist nur der der Mitglieder der Regierungsgewalt. Der jetzige Stand der Sozietät zeigt schon dadurch seinen Unterschied von dem ehemaligen Stand der bürgerlichen Gesellschaft, daß er nicht wie ehemals als ein Gemeinschaftliches, als ein Gemeinwesen das Individuum hält, sondern daß es teils Zufall, teils Arbeit etc. des Individuums ist, ob es sich in seinem Stande hält oder nicht, ein Stand, der selbst wieder nur eine äußerliche Bestimmung des Individuums, denn weder ist er seiner Arbeit inhärent, noch verhält er sich zu ihm als ein nach festen Gesetzen organisiertes und in festen Beziehungen zu ihm stehendes objektives Gemeinwesen. Er steht vielmehr in gar keiner wirklichen Beziehung zu seinem substantiellen Tun, zu seinem wirklichen Stand. Der Arzt bildet keinen besonderen Stand in der bürgerlichen Gesellschaft. Der eine Kaufmann gehört einem andern Stand an als der andere, einer[284] andren sozialen Stellung. Wie nämlich die bürgerliche Gesellschaft sich von der politischen, so hat sich die bürgerliche Gesellschaft innerhalb ihrer selbst getrennt in den Stand und die soziale Stellung, so manche Relationen auch zwischen beiden stattfinden. Das Prinzip des bürgerlichen Standes oder der bürgerlichen Gesellschaft ist der Genuß und die Fähigkeit zu genießen. In seiner politischen Bedeutung macht sich das Glied der bürgerlichen Gesellschaft los von seinem Stande, seiner wirklichen Privatstellung; hier ist es allein, daß es als Mensch zur Bedeutung kommt, oder daß seine Bestimmung als Staatsglied, als soziales Wesen, als seine menschliche Bestimmung erscheint. Denn alle seine anderen Bestimmungen in der bürgerlichen Gesellschaft erscheinen als dem Menschen, dem Individuum unwesentlich, als äußere Bestimmungen, die zwar notwendig sind zu seiner Existenz im Ganzen, d.h. als ein Band mit dem Ganzen, ein Band, das es aber ebensosehr wieder fortwerfen kann. (Die jetzige bürgerliche Gesellschaft ist das durchgeführte Prinzip des Individualismus; die individuelle Existenz ist der letzte Zweck; Tätigkeit, Arbeit, Inhalt etc. sind nur Mittel.)
Die ständische Verfassung, wo sie nicht eine Tradition des Mittelalters ist, ist der Versuch, teils in der politischen Sphäre selbst den Menschen in die Beschränktheit seiner Privatsphäre zurückzustürzen, seine Besonderheit zu seinem substantiellen Bewußtsein zu machen und dadurch, daß politisch der Ständeunterschied existiert. Ihn auch wieder zu einem sozialen zu machen.
Der wirkliche Mensch ist der Privatmensch der jetzigen Staatsverfassung.
Der Stand hat überhaupt die Bedeutung, daß der Unterschied, die Trennung, das Bestehn des Einzelnen ist. Die Weise seines Lebens, Tätigkeit etc., statt ihn zu einem Glied, zu einer Funktion der Gesellschaft zu machen, macht ihn zu einer Ausnahme von der Gesellschaft, ist sein Privilegium. Daß dieser Unterschied nicht nur ein individueller ist, sondern sich als Gemeinwesen, Stand, Korporation befestigt, hebt nicht nur nicht seine exklusive Natur auf, sondern ist vielmehr nur ihr Ausdruck. Statt daß die einzelne Funktion Funktion der Sozietät wäre, macht sie vielmehr die einzelne Funktion zu einer Sozietät für sich.
Nicht nur basiert der Stand auf der Trennung der Sozietät als dem herrschenden Gesetz, er trennt den Menschen von seinem allgemeinen Wesen, er macht ihn zu einem Tier, das unmittelbar mit seiner Bestimmtheit zusammenfällt. Das Mittelalter ist die Tiergeschichte der Menschheit, ihre Zoologie.
Die moderne Zeit, die Zivilisation, begeht den umgekehrten Fehler. Sie trennt das gegenständliche Wesen des Menschen als ein nur äußerliches, materielles von ihm. Sie nimmt nicht den Inhalt des Menschen als seine wahre Wirklichkeit.[285]
Das Weitere hierüber ist in dem Abschnitt: »bürgerliche Gesellschaft« zu entwickeln. Wir kommen zu
§ 304. »Den in den früheren Sphären bereits vorhandenen Unterschied der Stände enthält das politisch-ständische Element zugleich in seiner eigenen Bedeutung.«
Wir haben bereits gezeigt, daß der »in den früheren Sphären bereits vorhandene Unterschied der Stände« gar keine Bedeutung für die politische Sphäre oder nur die Bedeutung eines privaten, also eines nicht politischen, Unterschiedes hat. Allein er hat nach Hegel hier auch nicht seine »bereits vorhandene Bedeutung« (die Bedeutung, die er in der bürgerlichen Gesellschaft hat), sondern das »politisch-ständische Element« affirmiert, indem es ihn aufnimmt, sein Wesen, und, in die politische Sphäre eingetaucht, erhält er eine »eigene«, diesem Element und nicht ihm angehörige Bedeutung.
Als noch die Gliederung der bürgerlichen Gesellschaft politisch und der politische Staat die bürgerliche Gesellschaft war, war diese Trennung, die Verdopplung der Bedeutung der Stände, nicht vorhanden. Sie bedeuteten nicht dieses in der bürgerlichen und ein anderes in der politischen Welt. Sie erhielten keine Bedeutung in der politischen Welt, sondern sie bedeuteten sich selbst. Der Dualismus der bürgerlichen Gesellschaft und des politischen Staates, den die ständische Verfassung durch eine Reminiszenz zu lösen meint, tritt in ihr selbst so hervor, daß der Unterschied der Stände (das Unterschiedensein der bürgerlichen Gesellschaft in sich) in der politischen Sphäre eine andre Bedeutung erhält als in der bürgerlichen. Es ist hier anscheinend Identität, dasselbe Subjekt, aber in einer wesentlich verschiedenen Bestimmung, also in Wahrheit ein doppeltes Subjekt, und diese illusorische Identität (sie ist schon deshalb illusorisch, weil zwar das wirkliche Subjekt, der Mensch, in den verschiedenen Bestimmungen seines Wesens sich selbst gleichbleibt, seine Identität nicht verliert; aber hier ist nicht der Mensch Subjekt, sondern der Mensch ist mit einem Prädikat – dem Stand – identifiziert, und zugleich wird behauptet, daß er in dieser bestimmten Bestimmtheit und in einer andern Bestimmtheit, daß er als dies bestimmte ausschließende Beschränkte ein anderes als dieses Beschränkte ist) wird dadurch künstlich durch die Reflexion aufrechterhalten, daß einmal der bürgerliche Ständeunterschied als solcher eine Bestimmung erhält, die ihm erst aus der politischen Sphäre erwachsen soll, das andere Mal umgekehrt der Ständeunterschied in der politischen Sphäre eine Bestimmung erhält, die nicht aus der politischen Sphäre, sondern aus dem Subjekt der bürgerlichen hervorgeht. Um das eine beschränkte Subjekt, den bestimmten Stand (den Ständeunterschied) als das wesentliche Subjekt[286] beider Prädikate darzustellen, oder um die Identität beider Prädikate zu beweisen, werden sie beide mystifiziert und in illusorischer unbestimmter Doppelgestalt entwickelt.
Es wird hier dasselbe Subjekt in verschiedenen Bedeutungen genommen, aber die Bedeutung ist nicht die Selbstbestimmung, sondern eine allegorische, untergeschobene Bestimmung. Man könnte für dieselbe Bedeutung ein andres konkretes Subjekt, man könnte für dasselbe Subjekt eine andere Bedeutung nehmen. Die Bedeutung, die der bürgerliche Ständeunterschied in der politischen Sphäre erhält, geht nicht aus ihm, sondern aus der politischen Sphäre hervor, und er könnte hier auch eine andere Bedeutung haben, was denn auch historisch der Fall war. Ebenso umgekehrt. Es ist dies die unkritische, die mystische Weise, eine alte Weltanschauung im Sinne einer neuen zu interpretieren, wodurch sie nichts als ein unglückliches Zwitterding wird, worin die Gestalt die Bedeutung und die Bedeutung die Gestalt belügt und weder die Gestalt zu ihrer Bedeutung und zur wirklichen Gestalt, noch die Bedeutung zur Gestalt und zur wirklichen Bedeutung wird. Diese Unkritik, dieser Mystizismus ist sowohl das Rätsel der modernen Verfassungen (kat' exochên der ständischen) wie auch das Mysterium der Hegelschen Philosophie, vorzugsweise der Rechts– und Religionsphilosophie.
Am besten befreit man sich von dieser Illusion, wenn man die Bedeutung als das nimmt, was sie ist, als die eigentliche Bestimmung, sie als solche zum Subjekt macht und nun vergleicht, ob das ihr angeblich zugehörige Subjekt ihr wirkliches Prädikat ist, ob es ihr Wesen und wahre Verwirklichung darstellt.
»Seine« (des politisch-ständischen Elements) »zunächst abstrakte Stellung, nämlich des Extrems der empirischen Allgemeinheit gegen das fürstliche oder monarchische Prinzip überhaupt, – in der nur die Möglichkeit der Übereinstimmung und damit ebenso die Möglichkeit feindlicher Entgegensetzung liegt, – diese abstrakte Stellung wird nur dadurch zum vernünftigen Verhältnisse (zum Schlusse, vergleiche Anmerkung zu § 302), daß ihre Vermittelung zur Existenz kommt.«
Wir haben schon gesehn, daß die Stände gemeinschaftlich mit der Regierungsgewalt die Mitte zwischen dem monarchischen Prinzip und dem Volk bilden, zwischen dem Staatswillen, wie er als ein empirischer Wille und wie er als viele empirische Willen existiert, zwischen der empirischen Einzelnheit und der empirischen Allgemeinheit. Hegel mußte, wie er den Willen der bürgerlichen Gesellschaft als empirische Allgemeinheit, so den fürstlichen als empirische Einzelnheit bestimmen; aber er spricht den Gegensatz nicht in seiner ganzen Schärfe aus.[287]
Hegel fährt fort:
»Wie von seiten der fürstlichen Gewalt die Regierungsgewalt (§ 300) schon diese Bestimmung hat, so muß auch von der Seite der Stände aus ein Moment derselben nach der Bestimmung gekehrt sein, wesentlich als das Moment der Mitte zu existieren.«
Allein die wahren Gegensätze sind Fürst und bürgerliche Gesellschaft. Und wir haben schon gesehn, dieselbe Bedeutung, welche die Regierungsgewalt von seiten des Fürsten, hat das ständische Element von seiten des Volkes. Wie jene in einem verzweigten Kreislauf emaniert, so kondensiert sich dieses in eine Miniaturausgabe, denn die konstitutionelle Monarchie kann sich bloß mit dem Volk en miniature vertragen. Das ständische Element ist ganz dieselbe Abstraktion des politischen Staates von seiten der bürgerlichen Gesellschaft, welche die Regierungsgewalt von seiten des Fürsten ist. Es scheint also die Vermittelung vollständig zustande gekommen zu sein. Beide Extreme haben von ihrer Sprödigkeit abgelassen, das Feuer ihres besondren Wesens entgegengeschickt, und die gesetzgebende Gewalt, deren Elemente ebensowohl die Regierungsgewalt als die Stände sind, scheint nicht erst die Vermittelung zur Existenz kommen lassen zu müssen, sondern selbst schon die zur Existenz gekommene Vermittelung zu sein. Auch hat Hegel schon dies ständische Element gemeinschaftlich mit der Regierungsgewalt als die Mitte zwischen Volk und Fürst (ebenso das ständische Element als die Mitte zwischen bürgerlicher Gesellschaft und Regierung etc.) bezeichnet. Das vernünftige Verhältnis, der Schluß, scheint also fertig zu sein. Die gesetzgebende Gewalt, die Mitte, ist ein mixtum compositum der beiden Extreme, des fürstlichen Prinzips und der bürgerlichen Gesellschaft, der empirischen Einzelnheit und der empirischen Allgemeinheit, des Subjekts und des Prädikats. Hegel faßt überhaupt den Schluß als Mitte, als ein mixtum compositum. Man kann sagen, daß in seiner Entwicklung des Vernunftschlusses die ganze Transzendenz und der mystische Dualismus seines Systems zur Erscheinung kommt. Die Mitte ist das hölzerne Eisen, der vertuschte Gegensatz zwischen Allgemeinheit und Einzelnheit.
Zunächst bemerken wir über diese ganze Entwicklung, daß die »Vermittelung«, die Hegel hier zustande bringen will, keine Forderung ist, die er aus dem Wesen der gesetzgebenden Gewalt, aus ihrer eignen Bestimmung, sondern vielmehr aus Rücksicht auf eine außer ihrer wesentlichen Bestimmung liegende Existenz herleitet. Es ist eine Konstruktion der Rücksicht. Die gesetzgebende Gewalt vorzugsweise wird nur mit Rücksicht auf ein Drittes entwickelt. Es ist daher vorzugsweise die Konstruktion ihres formellen Daseins, welche alle[288] Aufmerksamkeit in Anspruch nimmt. Die gesetzgebende Gewalt wird sehr diplomatisch konstruiert. Es folgt dies aus der falschen, illusorischen kat' exochên politischen Stellung, die die gesetzgebende Gewalt im modernen Staat (dessen Interpret Hegel ist) hat. Es folgt daraus von selbst, daß dieser Staat kein wahrer Staat ist, weil in ihm die staatlichen Bestimmungen, deren eine die gesetzgebende Gewalt ist, nicht an und für sich, nicht theoretisch, sondern praktisch betrachtet werden müssen, nicht als selbständige, sondern als mit einem Gegensatz behaftete Mächte, nicht aus der Natur der Sache, sondern nach den Regeln der Konvention.
Also das ständische Element sollte eigentlich »gemeinschaftlich mit der Regierungsgewalt« die Mitte zwischen dem Willen der empirischen Einzelnheit, dem Fürsten, und dem Willen der empirischen Allgemeinheit, der bürgerlichen Gesellschaft, sein, allein in Wahrheit, realiter ist »seine Stellung« eine »zunächst abstrakte Stellung, nämlich des Extrems der empirischen Allgemeinheit gegen das fürstliche oder monarchische Prinzip überhaupt, in der nur die Möglichkeit der Übereinstimmung und damit ebenso die Möglichkeit feindlicher Entgegensetzung liegt«, eine, wie Hegel richtig bemerkt, »abstrakte Stellung«.
Zunächst scheint es nun, daß hier weder das »Extrem der empirischen Allgemeinheit«, noch das »fürstliche oder monarchische Prinzip«, das Extrem der empirischen Einzelnheit, sich gegenüberstehn. Denn von seiten der bürgerlichen Gesellschaft sind die Stände, wie von seiten des Fürsten die Regierungsgewalt deputiert. Wie das fürstliche Prinzip in der deputierten Regierungsgewalt aufhört, das Extrem der empirischen Einzelnheit zu sein, und vielmehr in ihr den »grundlosen« Willen aufgibt, sich zu der »Endlichkeit« des Wissens und der Verantwortlichkeit und des Denkens herabläßt, so scheint in dem ständischen Element die bürgerliche Gesellschaft nicht mehr empirische Allgemeinheit, sondern ein sehr bestimmtes Ganzes zu sein, das ebensosehr den »Sinn und die Gesinnung des Staates und der Regierung, als der Interessen der besonderen Kreise und der Einzelnen« hat (§ 302). Die bürgerliche Gesellschaft hat in ihrer ständischen Miniaturausgabe aufgehört, die »empirische Allgemeinheit« zu sein. Sie ist vielmehr zu einem Ausschuß, zu einer sehr bestimmten Zahl herabgesunken, und wenn der Fürst in der Regierungsgewalt sich empirische Allgemeinheit, so hat sich die bürgerliche Gesellschaft in den Ständen empirische Einzelnheit oder Besonderheit gegeben. Beide sind zu einer Besonderheit geworden.
Der einzige Gegensatz, der hier noch möglich ist, scheint der zwischen[289] den beiden Repräsentanten der beiden Staatswillen, zwischen den beiden Emanationen, zwischen dem Regierungselement und dem ständischen Element der gesetzgebenden Gewalt, scheint also ein Gegensatz innerhalb der gesetzgebenden Gewalt selbst zu sein. Die »gemeinschaftliche« Vermittelung scheint auch recht geeignet, sich wechselseitig in die Haare zu fallen. In dem Regierungselement der gesetzgebenden Gewalt hat sich die empirische, unzugängliche Einzelnheit des Fürsten verirdischt in einer Zahl beschränkter, faßbarer, verantwortlicher Personalitäten, und in dem ständischen Element hat sich die bürgerliche Gesellschaft verhimmlischt in eine Zahl politischer Männer. Beide Seiten haben ihre Unfaßbarkeit verloren. Die fürstliche Gewalt das unzugängliche, ausschließliche empirische Eins, die bürgerliche Gesellschaft das unzugängliche, verschwimmende empirische All, die eine ihre Sprödigkeit, die andere ihre Flüssigkeit. In dem ständischen Element einerseits, in dem Regierungselement der gesetzgebenden Gewalt andrerseits, welche zusammen bürgerliche Gesellschaft und Fürst vermitteln wollten, scheint also erst der Gegensatz zu einem kampfgerechten Gegensatz, aber auch zu einem unversöhnlichen Widersprach gekommen zu sein.
Diese »Vermittelung« hat es also auch erst recht nötig, wie Hegel richtig entwickelt, »daß ihre Vermittelung zur Existenz kommt«. Sie selbst ist vielmehr die Existenz des Widerspruches als der Vermittelung.
Daß diese Vermittelung von seiten des ständischen Elementes bewirkt werde, scheint Hegel ohne Grund zu behaupten. Er sagt:
»Wie von seiten der fürstlichen Gewalt die Regierungsgewalt (§ 300) schon diese Bestimmung hat, so muß auch von der Seite der Stände aus ein Moment derselben nach der Bestimmung gekehrt sein, wesentlich als das Moment der Mitte zu existieren.«
Allein wir haben schon gesehen, Hegel stellt hier willkürlich und Inkonsequent Fürst und Stände als Extreme gegenüber. Wie von seiten der fürstlichen Gewalt die Regierungsgewalt, so hat von seiten der bürgerlichen Gesellschaft das ständische Element diese Bestimmung. Sie stehn nicht nur mit der Regierungsgewalt gemeinschaftlich zwischen Fürst und bürgerlicher Gesellschaft, sie stehn auch zwischen der Regierung überhaupt und dem Volk (§ 302). Sie tun von seiten der bürgerlichen Gesellschaft mehr, als die Regierungsgewalt von seiten der fürstlichen Gewalt tut, da diese ja sogar selbst als Gegensatz dem Volke gegenübersteht. Sie hat also das Maß der Vermittelung vollgemacht. Warum also diese Esel mit noch mehr Säcken bepacken? Warum soll denn das ständische Element überall die Eselsbrücke bilden, sogar zwischen sich selbst und seinem Gegner? Warum ist es überall die Aufopferung selbst? Soll es sich selbst eine Hand abhauen, damit es nicht mit beiden seinem Gegner, dem Regierungselement der gesetzgebenden Gewalt, Widerpart halten kann?[290]
Es kömmt noch hinzu, daß Hegel zuerst die Stände aus den Korporationen, Standesunterschieden etc. hervorgehn ließ, damit sie keine »bloße empirische Allgemeinheit« seien, und daß er sie jetzt umgekehrt zur »bloßen empirischen Allgemeinheit« macht, um den Standesunterschied aus ihnen hervorgehn [zu] lassen! Wie der Fürst durch die Regierungsgewalt als ihren Christus mit der b[ürgerlichen] Gesellschaft, so vermittelt sich die Gesellschaft durch die Stände als ihre Priester mit dem Fürsten.
Es scheint nun vielmehr die Rolle der Extreme, der fürstlichen Gewalt (empirischen Einzelnheit) und der bürgerlichen Gesellschaft (empirischen Allgemeinheit) sein zu müssen, vermittelnd zwischen »ihre Vermittelungen zu treten«, um so mehr, da es »zu den wichtigsten logischen Einsichten gehört, daß ein bestimmtes Moment, das als im Gegensatz stehend die Stellung eines Extrems hat, es dadurch zu sein aufhört und organisches Moment ist, daß es zugleich Mitte ist« (§ 302 Anmerkung). Die bürgerliche Gesellschaft scheint diese Rolle nicht übernehmen zu können, da sie in der »gesetzgebenden Gewalt« als sie selbst, als Extrem keinen Sitz hat. Das andere Extrem, das sich als solches inmitten der gesetzgebenden Gewalt befindet, das fürstliche Prinzip, scheint also den Mittler zwischen dem ständischen und dem Regierungselement bilden zu müssen. Es scheint auch dazu qualifiziert [zu] sein. Denn einerseits ist in ihm das Ganze des Staates, also auch die bürgerliche Gesellschaft, repräsentiert, und speziell hat es mit den Ständen die »empirische Einzelnheit« des Willens gemein, da die empirische Allgemeinheit nur wirklich ist als empirische Einzelnheit. Es steht ferner der bürgerlichen Gesellschaft nicht nur als Formel, als Staatsbewußtsein gegenüber wie die Regierungsgewalt. Es ist selbst Staat, es hat das materielle, natürliche Moment mit der bürgerlichen Gesellschaft gemein. Andrerseits ist der Fürst die Spitze und der Repräsentant der Regierungsgewalt. (Hegel, der alles umkehrt, macht die Regierungsgewalt zum Repräsentanten, zur Emanation des Fürsten. Weil er bei der Idee, deren Dasein der Fürst sein soll, nicht die wirkliche Idee der Regierungsgewalt, nicht die Regierungsgewalt als Idee, sondern das Subjekt der absoluten Idee vor Augen hat, die im Fürsten körperlich existiert, so wird die Regierungsgewalt zu einer mystischen Fortsetzung der in seinem Körper – dem fürstlichen Körper – existierenden Seele.)
Der Fürst mußte also in der gesetzgebenden Gewalt die Mitte zwischen der Regierungsgewalt und dem ständischen Element bilden, allein die Regierungsgewalt ist ja die Mitte zwischen ihm und der ständischen und die ständische zwischen ihm und der bürgerlichen Gesellschaft. Wie sollte er das untereinander vermitteln, dessen er zu seiner Mitte nötig hat, um kein einseitiges[291] Extrem zu sein? Hier tritt das ganze Ungereimte dieser Extreme, die abwechselnd bald die Rolle des Extrems, bald die Mitte spielen, hervor. Es sind Janusköpfe, die sich bald von vorn, bald von hinten zeigen und vorn einen anderen Charakter haben als hinten. Das, was zuerst als Mitte zwischen zwei Extremen bestimmt, tritt nun selbst als Extrem auf, und das eine der zwei Extreme, das durch es mit dem anderen vermittelt war, tritt nun wieder als Mitte (weil in seiner Unterscheidung von dem anderen Extrem) zwischen sein Extrem und seine Mitte. Es ist eine wechselseitige Bekomplimentierung. Wie wenn ein Mann zwischen zwei Streitende tritt und nun wieder einer der Streitenden zwischen den vermittelnden Mann und den Streitenden. Es ist die Geschichte von dem Mann und der Frau, die sich stritten, und von dem Arzt, der als Vermittler zwischen sie treten wollte, wo nun wieder die Frau den Arzt mit ihrem Mann und der Mann seine Frau mit dem Arzt vermitteln mußte. Es ist wie der Löwe im Sommernachtstraum, der ausruft: »Ich bin Löwe, und ich bin nicht Löwe, sondern Schnock.« So ist hier jedes Extrem bald der Löwe des Gegensatzes, bald der Schnock der Vermittelung. Wenn das eine Extrem ruft: »jetzt bin ich Mitte«, so dürfen es die beiden anderen nicht anrühren, sondern nur nach dem andren schlagen, das eben Extrem war. Man sieht, es ist eine Gesellschaft, die kampflustig im Herzen ist, aber zu sehr die blauen Flecke fürchtet, um sich wirklich zu prügeln, und die beiden, die sich schlagen wollen, richten es so ein, daß der Dritte, der dazwischentritt, die Prügel bekommen soll, aber nun tritt wieder einer der beiden als der Dritte auf, und so kommen sie vor lauter Behutsamkeit zu keiner Entscheidung. Dieses System der Vermittelung kommt auch so zustande, daß derselbe Mann, der seinen Gegner prügeln will. Ihn nach den andren Seiten gegen andre Gegner vor Prügeln beschützen muß und so in dieser doppelten Beschäftigung nicht zur Ausführung seines Geschäftes kommt. Es ist merkwürdig, daß Hegel, der diese Absurdität der Vermittelung auf ihren abstrakten, logischen, daher unverfälschten, untransigierbaren Ausdruck reduziert, sie zugleich als spekulatives Mysterium der Logik, als das vernünftige Verhältnis, als den Vernunftschluß bezeichnet. Wirkliche Extreme können nicht miteinander vermittelt werden, eben weil sie wirkliche Extreme sind. Aber sie bedürfen auch keiner Vermittelung, denn sie sind entgegengesetzten Wesens. Sie haben nichts miteinander gemein, sie verlangen einander nicht, sie ergänzen einander nicht. Das eine hat nicht in seinem eigenen Schoß die Sehnsucht, das Bedürfnis, die Antizipation des andern. (Wenn aber Hegel Allgemeinheit und Einzelnheit, die abstrakten Momente des Schlusses, als wirkliche Gegensätze behandelt, so ist das eben der Grunddualismus seiner Logik. Das Weitere hierüber gehört in die Kritik der Hegelschen Logik.)[292]
Dem scheint entgegenzustehn: Les extrêmes se touchent. Nordpol und Südpol ziehen sich an; weibliches Geschlecht und männliches ziehen sich ebenfalls an, und erst durch die Vereinigung ihrer extremen Unterschiede wird der Mensch.
Andrerseits. Jedes Extrem ist sein andres Extrem. Der abstrakte Spiritualismus ist abstrakter Materialismus; der abstrakte Materialismus ist der abstrakte Spiritualismus der Materie.
Was das erste betrifft, so sind Nordpol und Südpol beide Pol; ihr Wesen ist identisch; ebenso sind weibliches und männliches Geschlecht beide eine Gattung, ein Wesen, menschliches Wesen. Nord und Süd sind entgegengesetzte Bestimmungen eines Wesens; der Unterschied eines Wesens auf seiner höchsten Entwicklung. Sie sind das differenzierte Wesen. Sie sind, was sie sind, nur als eine unterschiedne Bestimmung, und zwar als diese unterschiedne Bestimmung des Wesens. Wahre wirkliche Extreme wären Pol und Nichtpol, menschliches und unmenschliches Geschlecht. Der Unterschied ist hier ein Unterschied der Existenz, dort ein Unterschied der Wesen, zweier Wesen. Was das zweite betrifft, so liegt hier die Hauptbestimmung darin, daß ein Begriff (Dasein etc.) abstrakt gefaßt wird, daß er nicht als selbständig, sondern als eine Abstraktion von einem anderen und nur als diese Abstraktion Bedeutung hat; also z.B. der Geist nur die Abstraktion von der Materie ist. Es versteht sich dann von selbst, daß er eben, weil diese Form seinen Inhalt ausmachen soll, vielmehr das abstrakte Gegenteil, der Gegenstand, von dem er abstrahiert. In seiner Abstraktion, also hier der abstrakte Materialismus, sein reales Wesen ist. Wäre die Differenz innerhalb der Existenz eines Wesens nicht verwechselt worden teils mit der verselbständigten Abstraktion (versteht sich, nicht von einem andern, sondern eigentlich von sich selbst), teils mit dem wirklichen Gegensatz sich wechselseitig ausschließender Wesen, so wäre ein dreifacher Irrtum verhindert worden: 1. daß, weil nur das Extrem wahr sei, jede Abstraktion und Einseitigkeit sich für wahr hält, wodurch ein Prinzip statt als Totalität in sich selbst nur als Abstraktion von einem andern erscheint; 2. daß die Entschiedenheit wirklicher Gegensätze, ihre Bildung zu Extremen, die nichts anderes ist als sowohl ihre Selbsterkenntnis wie ihre Entzündung zur Entscheidung des Kampfes, als etwas möglicherweise zu Verhinderndes oder Schädliches gedacht wird; 3. daß man ihre Vermittelung versucht. Denn so sehr beide Extreme in ihrer Existenz als wirklich auftreten und als Extreme, so liegt es doch nur in dem Wesen des einen, Extrem zu sein, und es hat für das andre nicht die Bedeutung der wahren Wirklichkeit.[293] Das eine greift über das andre über. Die Stellung ist keine gleiche. Z.B. Christentum oder Religion überhaupt und Philosophie sind Extreme. Aber in Wahrheit bildet die Religion zur Philosophie keinen wahren Gegensatz. Denn die Philosophie begreift die Religion in ihrer illusorischen Wirklichkeit. Sie ist also für die Philosophie – sofern sie eine Wirklichkeit sein will – in sich selbst aufgelöst. Es gibt keinen wirklichen Dualismus des Wesens. Später mehr hierüber.
Es fragt sich, wie kommt Hegel überhaupt zu dem Bedürfnis einer neuen Vermittelung von seiten des ständischen Elements? Oder teilt Hegel mit »das häufige, aber höchst gefährliche Vorurteil, Stände hauptsächlich im Gesichtspunkte des Gegensatzes gegen die Regierung, als ob dies ihre wesentliche Stellung wäre, vorzustellen«? (§ 302 Anmerk.)
Die Sache ist einfach die: Einerseits haben wir gesehn, daß in der »gesetzgebenden Gewalt« die bürgerliche Gesellschaft als »ständisches« Element und die fürstliche Macht als »Regierungselement« sich erst zum wirklichen unmittelbar praktischen Gegensatz begeistet haben.
Andrerseits: Die gesetzgebende Gewalt ist Totalität. Wir finden in ihr die Deputation des fürstlichen Prinzips, »die Regierungsgewalt«; 2. die Deputation der bürgerlichen Gesellschaft, das »ständische« Element; aber außerdem befindet sich in ihr 3. das eine Extrem als solches, das fürstliche Prinzip, während das andere Extrem, die bürgerliche Gesellschaft, als solches sich nicht in ihr befindet. Dadurch wird erst das »ständische« Element zu dem Extrem des »fürstlichen« Prinzips, das eigentlich die bürgerliche Gesellschaft sein sollte. Erst als »ständisches« Element organisiert sich, wie wir gesehn haben, die bürgerliche Gesellschaft zu einem politischen Dasein. Das »ständische« Element ist ihr politisches Dasein, ihre Transsubstantiation in den politischen Staat. Die »gesetzgebende Gewalt« ist daher, wie wir gesehn, erst der eigentliche politische Staat in seiner Totalität. Hier ist also 1. fürstliches Prinzip, 2. Regierungsgewalt, 3. bürgerliche Gesellschaft. Das »ständische« Element ist »die bürgerliche Gesellschaft des politischen Staates«, der »gesetzgebenden Gewalt«. Das Extrem, das die bürgerliche Gesellschaft zum Fürsten bilden sollte, ist daher das »ständische« Element. (Weil die bürgerliche Gesellschaft die Unwirklichkeit des politischen Daseins, so ist das politische Dasein der bürgerlichen Gesellschaft ihre eigne Auflösung, ihre Trennung von sich selbst.) Ebenso bildet es daher einen Gegensatz zur Regierungsgewalt.
Hegel bezeichnet daher auch das »ständische« Element wieder als das[294] »Extrem der empirischen Allgemeinheit«, das eigentlich die bürgerliche Gesellschaft selbst ist. (Hegel hat daher unnützerweise das politisch-ständische Element aus den Korporationen und unterschiednen Ständen hervorgehn lassen. Dies hätte bloß Sinn, wenn nun die unterschiednen Stände als solche die gesetzgebenden Stände wären, also der Unterschied der bürgerlichen Gesellschaft, die bürgerliche Bestimmung re vera die politische Bestimmung. Wir hätten dann nicht eine gesetzgebende Gewalt des Staatsganzen, sondern die gesetzgebende Gewalt der verschiednen Stände und Korporationen und Klassen über das Staatsganze. Die Stände der bürgerlichen Gesellschaft empfingen keine politische Bestimmung, sondern sie bestimmten den politischen Staat. Sie machten ihre Besonderheit zur bestimmenden Gewalt des Ganzen. Sie wären die Macht des Besonderen über das Allgemeine. Wir hätten auch nicht eine gesetzgebende Gewalt, sondern mehrere gesetzgebende Gewalten, die unter sich und mit der Regierung transigierten. Allein Hegel hat die moderne Bedeutung des ständischen Elements, die Verwirklichung des Staatsbürgertums, des bourgeois zu sein vor Augen. Er will, daß das »an und für sich Allgemeine«, der politische Staat, nicht von der bürgerlichen Gesellschaft bestimmt wird, sondern umgekehrt sie bestimmt. Während er also die Gestalt des mittelaltrig-ständischen Elements aufnimmt, gibt er ihm die entgegengesetzte Bedeutung, von dem Wesen des politischen Staates bestimmt zu werden. Die Stände als Repräsentanten der Korporationen etc. wären nicht die »empirische Allgemeinheit«, sondern die »empirische Besonderheit«, die »Besonderheit der Empirie«!) Die »gesetzgebende Gewalt« bedarf daher in sich selbst der Vermittelung, d.h. einer Vertuschung des Gegensatzes, und diese Vermittelung muß vom »ständischen Element« ausgehn, weil das ständische Element innerhalb der gesetzgebenden Gewalt die Bedeutung der Repräsentation der bürgerlichen Gesellschaft verliert und zum primären Element wird, selbst die bürgerliche Gesellschaft der gesetzgebenden Gewalt ist. Die »gesetzgebende Gewalt« ist die Totalität des politischen Staates, eben daher der zur Erscheinung getriebene Widerspruch desselben. Sie ist daher ebensosehr seine gesetzte Auflösung. Ganz verschiedene Prinzipien karambolieren in ihr. Es erscheint dies allerdings als Gegensatz der Elemente des fürstlichen Prinzips und des Prinzips des ständischen Elements etc. In Wahrheit aber ist es die Antinomie des politischen Staates und der bürgerlichen Gesellschaft, der Widerspruch des abstrakten politischen Staates mit sich selbst. Die gesetzgebende Gewalt ist die gesetzte Revolte. (Hegels Hauptfehler besteht darin, daß er den Widerspruch der Erscheinung als Einheit im[295] Wesen, in der Idee faßt, während er allerdings ein Tieferes zu seinem Wesen hat, nämlich einen wesentlichen Widersprach, wie z.B. hier der Widerspruch der gesetzgebenden Gewalt in sich selbst nur der Widerspruch des politischen Staats, also auch der bürgerlichen Gesellschaft mit sich selbst ist.
Die vulgäre Kritik verfällt in einen entgegengesetzten dogmatischen Irrtum. So kritisiert sie z.B. die Konstitution. Sie macht auf die Entgegensetzung der Gewalten aufmerksam etc. Sie findet überall Widersprüche. Das ist selbst noch dogmatische Kritik, die mit ihrem Gegenstand kämpft, so wie man früher etwa das Dogma der heiligen Dreieinigkeit durch den Widerspruch von eins und drei beseitigte. Die wahre Kritik dagegen zeigt die innere Genesis der heiligen Dreieinigkeit im menschlichen Gehirn. Sie beschreibt ihren Geburtsakt. So weist die wahrhaft philosophische Kritik der jetzigen Staatsverfassung nicht nur Widersprüche als bestehend auf, sie erklärt sie, sie begreift ihre Genesis, ihre Notwendigkeit. Sie faßt sie in ihrer eigentümlichen Bedeutung. Dies Begreifen besteht aber nicht, wie Hegel meint, darin, die Bestimmungen des logischen Begriffs überall wiederzuerkennen, sondern die eigentümliche Logik des eigentümlichen Gegenstandes zu fassen.)
Hegel drückt dies so aus, daß in der Stellung des politisch-ständischen Elementes zum fürstlichen »nur die Möglichkeit der Übereinstimmung und damit ebenso die Möglichkeit feindlicher Entgegensetzung liegt«.
Die Möglichkeit der Entgegensetzung liegt überall, wo verschiedene Willen zusammentreffen. Hegel sagt selbst, daß die »Möglichkeit der Übereinstimmung« die »Möglichkeit der Entgegensetzung« ist. Er muß also jetzt ein Element bilden, was die »Unmöglichkeit der Entgegensetzung« und die »Wirklichkeit der Übereinstimmung« ist. Ein solches Element wäre also ihm die Freiheit der Entschließung und des Denkens dem fürstlichen Willen und der Regierung gegenüber. Es gehörte also nicht mehr zum »ständisch-politischen« Element. Es wäre vielmehr ein Element des fürstlichen Willens und der Regierung und befände sich in demselben Gegensatz zum wirklichen ständischen Element wie die Regierung selbst.
Sehr wird diese Forderung schon herabgestimmt durch den Schluß des Paragraphen:
»Wie von seiten der fürstlichen Gewalt die Regierungsgewalt (§ 300) schon diese Bestimmung hat, so muß auch von der Seite der Stände aus ein Moment derselben nach der Bestimmung gekehrt sein, wesentlich als das Moment der Mitte zu existieren.«
Das Moment, was von Seite der Stände abgeschickt wird, muß die umgekehrte Bestimmung haben, als die Regierungsgewalt von seiten der Fürsten hat, da fürstliches und ständisches Element entgegengesetzte Extreme sind.[296] Wie der Fürst sich in der Regierungsgewalt demokratisiert, so muß sich dies »ständische« Element in seiner Deputation monarchisieren. Was Hegel also will, ist ein fürstliches Moment von Seiten der Stände. Wie die Regierungsgewalt ein ständisches Moment von seiten des Fürsten, so soll es auch ein fürstliches Moment von seiten der Stände geben.
Die »Wirklichkeit der Übereinstimmung« und die »Unmöglichkeit der Entgegensetzung« verwandelt sich in folgende Forderung: [Es] »muß von seiten der Stände aus ein Moment derselben nach der Bestimmung gekehrt sein, wesentlich als das Moment der Mitte zu existieren«. Nach der Bestimmung gekehrt sein! Diese Bestimmung haben nach § 302 die Stände überhaupt. Es müßte hier nicht mehr »Bestimmung«, sondern »Bestimmtheit« sein.
Und was ist das überhaupt für eine Bestimmung, »wesentlich als das Moment der Mitte zu existieren«? Seinem »Wesen« nach »Buridans Esel« sein.
Die Sache ist einfach die:
Die Stände sollen »Vermittelung« zwischen Fürst und Regierung einerseits und Volk andrerseits sein, aber sie sind es nicht, sie sind vielmehr der organisierte politische Gegensatz der bürgerlichen Gesellschaft. Die »gesetzgebende Gewalt« bedarf in sich selbst der Vermittelung, und zwar, wie gezeigt, einer Vermittelung von seiten der Stände aus. Die vorausgesetzte moralische Übereinstimmung der beiden Willen, von denen der eine der Staatswille als fürstlicher Wille und der andere der Staatswille als der Wille der bürgerlichen Gesellschaft ist, reicht nicht aus. Die gesetzgebende Gewalt ist zwar erst der organisierte, totale politische Staat, aber eben in ihr erscheint, weil in seiner höchsten Entwicklung, auch der unverhüllte Widerspruch des politischen Staates mit sich selbst. Es muß also der Schein einer wirklichen Identität zwischen fürstlichem und ständischem Willen gesetzt werden. Das ständische Element muß als fürstlicher Wille oder der fürstliche Wille muß als ständisches Element gesetzt werden. Das ständische Element muß sich als die Wirklichkeit eines Willens setzen, der nicht der Wille des ständischen Elementes ist. Die Einheit, die nicht im Wesen vorhanden ist (sonst müßte sie sich durch die Wirksamkeit und nicht durch die Daseinsweise des ständischen Elementes beweisen), muß wenigstens als eine Existenz vorhanden sein, oder eine Existenz der gesetzgebenden Gewalt (des ständischen Elements) hat die Bestimmung, diese Einheit des Nichtvereinten zu sein. Dieses Moment des ständischen Elements, Pairskammer, Oberhaus etc., ist die höchste Synthese des politischen Staates in der betrachteten Organisation. Es ist zwar nicht damit erreicht, was Hegel will, »die Wirklichkeit der Übereinstimmung« und die »Unmöglichkeit feindlicher Entgegensetzung«, vielmehr bleibt es bei der[297] »Möglichkeit der Übereinstimmung«. Allein es ist die gesetzte Illusion von der Einheit des politischen Staates mit sich selbst (des fürstlichen und ständischen Willens, weiter dem Prinzip des politischen Staates und der bürgerlichen Gesellschaft), von dieser Einheit als materiellem Prinzip, d.h. so, daß nicht nur zwei entgegengesetzte Prinzipien sich vereinen, sondern daß die Einheit derselben Natur, Existentialgrund ist. Dieses Moment des ständischen Elementes ist die Romantik des politischen Staats, die Träume seiner Wesenhaftigkeit oder seiner Übereinstimmung mit sich selbst. Es ist eine allegorische Existenz.
Es hängt nun von dem wirklichen Status quo des Verhältnisses zwischen ständischem Element und fürstlichem ab, ob diese Illusion wirksame Illusion oder bewußte Selbsttäuschung ist. Solange Stände und fürstliche Gewalt faktisch übereinstimmen, sich vertragen, ist die Illusion ihrer wesentlichen Einheit eine wirkliche, also wirksame Illusion. Im Gegenfall, wo sie ihre Wahrheit betätigen sollte, wird sie zur bewußten Unwahrheit und ridicule.
§ 305. »Der eine der Stände der bürgerlichen Gesellschaft enthält das Prinzip, das für sich fähig ist, zu dieser politischen Beziehung konstituiert zu werden, der Stand der natürlichen Sittlichkeit nämlich, der das Familienleben und in Rücksicht der Subsistenz den Grundbesitz zu seiner Basis, somit in Rücksicht seiner Besonderheit ein auf sich beruhendes Wollen und die Naturbestimmung, welche das fürstliche Element in sich schließt, mit diesem gemein hat.«
Wir haben schon die Inkonsequenz Hegels nachgewiesen, 1. das politisch-ständische Element in seiner modernen Abstraktion von der bürgerlichen Gesellschaft etc. zu fassen, nachdem er es aus den Korporationen hat hervorgehn lassen; 2. es jetzt wieder nach dem Ständeunterschied der bürgerlichen Gesellschaft zu bestimmen, nachdem er die politischen Stände als solche als das »Extrem der empirischen Allgemeinheit« schon bestimmt hat.
Die Konsequenz wäre nun: Die politischen Stände für sich zu betrachten, als neues Element, und nun aus Ihnen jetzt die § 304 geforderte Vermittelung zu konstruieren.
Allein sehn wir nun, wie Hegel den bürgerlichen Ständeunterschied wieder hereinzieht und zugleich den Schein hervorbringt, daß nicht die Wirklichkeit und das besondere Wesen des bürgerlichen Ständeunterschieds die höchste politische Sphäre, die gesetzgebende Gewalt bestimmt, sondern umgekehrt zu einem bloßen Material herabsinkt, das die politische Sphäre nach ihrem, aus ihr selbst hervorgehenden Bedürfnis formiert und konstruiert.
»Der eine der Stände der bürgerlichen Gesellschaft enthält das Prinzip, das für sich fähig ist, zu dieser politischen Beziehung konstituiert zu werden, der Stand der natürlichen Sittlichkeit nämlich.« (Der Bauernstand.)[298]
Worin besteht nun diese prinzipielle Fähigkeit oder diese Fähigkeit des Prinzips des Bauernstandes? Er hat
»das Familienleben und in Rücksicht der Subsistenz den Grundbesitz zu seiner Basis, somit in Rücksicht seiner Besonderheit ein auf sich beruhendes Wollen und die Naturbestimmung, welche das fürstliche Element in sich schließt, mit diesem gemein.«
Das »auf sich beruhende Wollen« bezieht sich auf die Subsistenz, den »Grundbesitz«, die mit dem fürstlichen Element gemeinschaftliche »Naturbestimmung« auf das »Familienleben« als Basis.
Die Subsistenz des »Grundbesitzes« und ein »auf sich beruhendes Wollen« sind zwei verschiedne Dinge. Es müßte vielmehr von einem auf »Grund und Boden ruhenden Wollen« die Rede sein. Es müßte aber vielmehr von einem »auf der Staatsgesinnung«, nicht von einem auf sich, sondern von einem im Ganzen ruhenden Willen die Rede sein.
An die Stelle der »Gesinnung«, des »Besitzes des Staatsgeistes« tritt der »Grundbesitz«.
Was ferner das »Familienleben« als Basis angeht, so scheint die »soziale« Sittlichkeit der bürgerlichen Gesellschaft höher zu stehn als diese »natürliche Sittlichkeit«. Ferner ist das »Familienleben« die »natürliche Sittlichkeit« der anderen Stände oder des Bürgerstandes der bürgerlichen Gesellschaft ebensowohl als des Bauernstandes. Daß aber das »Familienleben« bei denn Bauernstande nicht nur das Prinzip der Familie, sondern die Basis seines sozialen Daseins überhaupt ist, scheint ihn vielmehr für die höchste politische Aufgabe unfähig zu machen, indem er patriarchalische Gesetze auf eine nicht patriarchalische Sphäre anwenden wird und das Kind oder den Vater, den Herrn und den Knecht da geltend macht, wo es sich um den politischen Staat, um das Staatsbürgertum handelt.
Was die Naturbestimmung des fürstlichen Elements betrifft, so hat Hegel keinen patriarchalischen, sondern einen modern konstitutionellen König entwickelt. Seine Naturbestimmung besteht darin, daß er der körperliche Repräsentant des Staates ist und als König geboren, oder das Königtum seine Familienerbschaft ist, aber was hat das mit dem Familienleben als der Basis des Bauernstandes, was hat die natürliche Sittlichkeit mit der Naturbestimmung der Geburt als solcher gemein? Der König teilt das mit dem Pferd, daß, wie dieses als Pferd, der König als König geboren wird.
Hätte Hegel den von ihm angenommenen Ständeunterschied als solchen zum politischen gemacht, so war ja schon der Bauernstand als solcher ein selbständiger Teil des ständischen Elements, und wenn er als solcher ein Moment der Vermittelung mit dem Fürstentum ist, was bedürfte es dann der[299] Konstruktion einer neuen Vermittelung? Und warum ihn aus dem eigentlich ständischen Moment herausscheiden, da dieses ja nur durch die Scheidung von ihm in die »abstrakte« Stellung zum fürstlichen Element gerät? Nachdem Hegel aber eben das politisch-ständische Element als ein eigentümliches Element, als eine Transsubstantiation des Privatstandes in das Staatsbürgertum entwickelt hat und eben deswegen der Vermittelung bedürftig gefunden hat, wie darf Hegel nun diesen Organismus wieder auflösen in den Unterschied des Privatstandes, also in den Privatstand, und aus diesem die Vermittelung des politischen Staates mit sich selbst herholen?
Überhaupt welche Anomalie, daß die höchste Synthese des politischen Staates nichts andres ist als die Synthese von Grundbesitz und Familienleben! Mit einem Wort:
Sobald die bürgerlichen Stände als solche politische Stände sind, bedarf es jener Vermittelung nicht, und sobald es jener Vermittelung bedarf, ist der bürgerliche Stand nicht politisch, also auch nicht jene Vermittelung. Der Bauer ist dann nicht als Bauer, sondern als Staatsbürger ein Teil des politisch-ständischen Elements, während umgekehrt ([wo er] als Bauer Staatsbürger oder als Staatsbürger Bauer ist) sein Staatsbürgertum das Bauerntum, er nicht als Bauer Staatsbürger, sondern als Staatsbürger Bauer ist!
Es ist hier also eine Inkonsequenz Hegels innerhalb seiner eignen Anschauungsweise, und eine solche Inkonsequenz ist Akkommodation. Das politisch-ständische Element ist im modernen Sinne, in dem von Hegel entwickelten Sinne, die vollzogene gesetzte Trennung der bürgerlichen Gesellschaft von ihrem Privatstand und seinen Unterschieden. Wie kann Hegel den Privatstand zur Lösung der Antinomien der gesetzgebenden Gewalt in sich selbst machen? Hegel will das mittelalterliche ständische System, aber in dem modernen Sinn der gesetzgebenden Gewalt, und er will die moderne gesetzgebende Gewalt, aber in dem Körper des mittelalterlich-ständischen Systems! Es ist schlechtester Synkretismus.
Anfang § 304 heißt es:
»Den in den früheren Sphären bereits vorhandenen Unterschied der Stände enthält das politisch-ständische Element zugleich in seiner eigenen Bestimmung.«
Aber in seiner eigenen Bestimmung enthält das politisch-ständische Element diesen Unterschied nur dadurch, daß es ihn annulliert, daß es ihn in sich vernichtigt, von ihm abstrahiert.
Wird der Bauernstand oder, wie wir weiter hören werden, der potenzierte Bauernstand, der adlige Grundbesitz, als solcher auf die beschriebene Weise zur Vermittelung des totalen politischen Staates, der gesetzgebenden Gewalt[300] in sich selbst gemacht, so ist das allerdings die Vermittelung des ständisch-politischen Elements mit der fürstlichen Gewalt in dem Sinn, als es die Auflösung des politisch-ständischen Elementes als eines wirklichen politischen Elementes ist. Nicht der Bauernstand, sondern der Stand, der Privatstand, die Analyse (Reduktion) des politisch-ständischen Elementes in den Privatstand ist hier die wiederhergestellte Einheit des politischen Staats mit sich selbst. (Nicht der Bauernstand als solcher ist hier die Vermittelung, sondern seine Trennung von dem politisch-ständischen Element in seiner Qualität als bürgerlicher Privatstand; dies, daß sein Privatstand ihm eine gesonderte Stellung in dem politisch-ständischen Element gibt, also auch der andre Teil des politisch-ständischen Elements die Stellung eines besondren Privatstandes erhält, also aufhört, das Staatsbürgertum der bürgerlichen Gesellschaft zu repräsentieren.) Es ist hier nun nicht mehr der politische Staat als zwei entgegengesetzte Willen vorhanden, sondern auf der einen Seite steht der politische Staat (Regierung und Fürst) und auf der andern die bürgerliche Gesellschaft in ihrem Unterschied vom politischen Staat. (Die verschiedenen Stände.) Damit ist denn auch der politische Staat als Totalität aufgehoben.
Der nächste Sinn der Verdoppelung des politisch-ständischen Elementes in sich selbst als einer Vermittelung mit der fürstlichen Gewalt ist überhaupt, daß die Trennung dieses Elementes in sich selbst, sein eigner Gegensatz in sich selbst seine wiederhergestellte Einheit mit der fürstlichen Gewalt ist. Der Grunddualismus zwischen dem fürstlichen und dem ständischen Element der gesetzgebenden Gewalt wird neutralisiert durch den Dualismus des ständischen Elementes in sich selbst. Bei Hegel aber geschieht diese Neutralisation dadurch, daß das politisch-ständische Element sich von seinem politischen Element selbst trennt.
Was den Grundbesitz als Subsistenz, welche der Souveränität des Willens, der fürstlichen Souveränität, und das Familienleben als Basis des Bauernstandes, welche der Naturbestimmung der fürstlichen Gewalt entsprechen soll, betrifft, so kommen wir später darauf zurück. Hier im § 305 ist das »Prinzip« des Bauernstandes entwickelt, »das für sich fähig ist, zu dieser politischen Beziehung konstituiert zu werden«.
Im § 306 wird die »Konstituierung« »für die politische Stellung und Bedeutung« vorgenommen. Sie reduziert sich darauf: »Das Vermögen wird« »ein unveräußerliches, mit dem Majorat belastetes Erbgut«. Das »Majorat« wäre also die politische Konstituierung des Bauernstandes.
»Die Begründung des Majorats«, heißt es im Zusatz, »liegt darin, daß der Staat nicht auf bloße Möglichkeit der Gesinnung, sondern auf ein Notwendiges rechnen soll. Nun ist die Gesinnung freilich an ein Vermögen nicht gebunden, aber [301] der relativ notwendige Zusammenhang ist, daß, wer ein selbständiges Vermögen hat, von äußeren Umständen nicht beschränkt ist und so ungehemmt auftreten und für den Staat handeln kann.«
Erster Satz. Dem Staat genügt nicht »die bloße Möglichkeit der Gesinnung«, er soll auf ein »Notwendiges« rechnen.
Zweiter Satz. »Die Gesinnung ist an ein Vermögen nicht gebunden«, d.h. die Gesinnung des Vermögens ist eine »bloße Möglichkeit«.
Dritter Satz. Aber es findet ein »relativ notwendiger Zusammenhang« statt, nämlich, »daß, wer ein selbständiges Vermögen hat etc., für den Staat handeln kann«, d.h. das Vermögen gibt die »Möglichkeit« der Staatsgesinnung, aber eben die »Möglichkeit« genügt nach dem ersten Satz nicht.
Zudem hat Hegel nicht entwickelt, daß der Grundbesitz das einzige »selbständige Vermögen« ist.
Die Konstituierung seines Vermögens zur Unabhängigkeit ist die Konstituierung des Bauernstandes »für die politische Stellung und Bedeutung«. Oder »die Unabhängigkeit des Vermögens« ist seine »politische Stellung und Bedeutung«.
Diese Unabhängigkeit wird weiter so entwickelt:
Sein »Vermögen« ist »unabhängig vom Staatsvermögen«. Unter Staatsvermögen wird hier offenbar die Regierungskasse verstanden. In dieser Beziehung steht »der allgemeine Stand« »gegenüber« »als vom Staat wesentlich abhängig«, So heißt es in der Vorrede [zu Hegels Rechtsphilosophie] p. 13:
»Ohnehin« wird »bei uns die Philosophie nicht wie etwa bei den Griechen als eine private Kunst exerziert«, »sondern sie« hat »eine öffentliche, das Publikum berührende Existenz, vornehmlich oder allein im Staatsdienste«.
Also auch die Philosophie »wesentlich« von der Regierungskasse abhängig.
Sein Vermögen ist unabhängig »von der Unsicherheit des Gewerbes, der Sucht des Gewinns und der Veränderlichkeit des Besitzes überhaupt«. In dieser Hinsicht steht ihm der »Stand des Gewerbes« »als der vom Bedürfnis abhängige und darauf hingewiesene« gegenüber.
Dies Vermögen ist so »wie von der Gunst der Regierungsgewalt, so von der Gunst der Menge« unabhängig.
Er ist endlich selbst gegen die eigene Willkür dadurch festgestellt, daß die für diese Bestimmung berufenen Mitglieder dieses Standes, »des Rechts der anderen Bürger, teils über ihr ganzes Eigentum frei zu disponieren, teils es nach der Gleichheit der Liebe zu den Kindern, an sie übergehend zu wissen, entbehren.«[302]
Die Gegensätze haben hier eine ganz neue und sehr materielle Gestalt angenommen, wie wir sie in dem Himmel des politischen Staates kaum erwarten dürften.
Der Gegensatz, wie ihn Hegel entwickelt, ist in seiner Schärfe ausgesprochen der Gegensatz von Privateigentum und Vermögen.
Der Grundbesitz ist das Privateigentum kat' exochên das eigentliche Privateigentum. Seine exakte Privatnatur tritt hervor 1. als »Unabhängigkeit vom Staatsvermögen«, der »Gunst der Regierungsgewalt«, dem Eigentum, wie es als »allgemeines Eigentum des politischen Staats« existiert, ein nach der Konstruktion des politischen Staates besonderes Vermögen neben anderen Vermögen; 2. als »Unabhängigkeit vom Bedürfnis« der Sozietät oder dem »sozialen Vermögen«, der »Gunst der Menge«. (Ebenso bezeichnend ist, daß der Anteil am Staatsvermögen als »Gunst der Regierungsgewalt«, wie der Anteil am sozialen Vermögen als »Gunst der Menge« gefaßt wird.) Das Vermögen des »allgemeinen Standes« und des »Gewerbestandes« ist kein eigentliches Privateigentum, weil es dort direkt, hier indirekt durch den Zusammenhang mit dem allgemeinen Vermögen oder dem Eigentum als sozialem Eigentum bedingt ist, eine Partizipation an demselben ist, darum allerdings auf beiden Seiten durch »Gunst«, d.h. durch den »Zufall des Willens« vermittelt ist. Dem gegenüber steht der Grundbesitz als das souveräne Privateigentum, das noch nicht die Gestalt des Vermögens, d.h. eines durch den sozialen Willen gesetzten Eigentums, erreicht hat.
Die politische Verfassung in ihrer höchsten Spitze ist also die Verfassung des Privateigentums. Die höchste politische Gesinnung ist die Gesinnung des Privateigentums. Das Majorat ist bloß die äußere Erscheinung von der innern Natur des Grundbesitzes. Dadurch, daß er unveräußerlich ist, sind ihm die sozialen Nerven abgeschnitten und seine Isolierung von der bürgerlichen Gesellschaft gesichert. Dadurch, daß er nicht nach der »Gleichheit der Liebe zu den Kindern« übergeht, ist er sogar von der kleinem Sozietät, der natürlichen Sozietät der Familie, ihrem Willen und ihren Gesetzen losgesagt, unabhängig, bewahrt also die schroffe Natur des Privateigentums auch vor dem Übergang in das Familienvermögen.
Hegel hatte § 305 den Stand des Grundbesitzes fähig erklärt, zu der »politischen Beziehung« konstituiert zu werden, weil das »Familienleben« seine »Basis« sei. Er hat aber selbst die »Liebe« für die Basis, für das Prinzip, für den Geist des Familienlebens erklärt. In dem Stand, der das Familienleben zu seiner Basis hat, fehlt also die Basis des Familienlebens, die Liebe als das[303] wirkliche, also wirksame und determinierende Prinzip. Es ist das geistlose Familienleben, die Illusion des Familienlebens. In seiner höchsten Entwicklung widerspricht das Prinzip des Privateigentums dem Prinzip der Familie. Es kommt also im Gegensatz zum Stand der natürlichen Sittlichkeit, des Familienlebens, vielmehr erst in der bürgerlichen Gesellschaft das Familienleben zum Leben der Familie, zum Leben der Liebe. Jener ist vielmehr die Barbarei des Privateigentums gegen das Familienleben.
Das wäre also die souveräne Herrlichkeit des Privateigentums, des Grundbesitzes, worüber in neueren Zeiten so viele Sentimentalitäten stattgehabt haben und so viele buntfarbige Krokodilstränen vergossen worden sind.
Es nützt Hegel nichts zu sagen, daß das Majorat bloß eine Forderung der Politik sei und in seiner politischen Stellung und Bedeutung gefaßt werden müsse. Es nützt ihm nichts zu sagen: »Die Sicherheit und Festigkeit dieses Standes kann noch durch die Institution des Majorats vermehrt werden, welche jedoch nur in politischer Rücksicht wünschenswert ist, denn es ist damit ein Opfer für den politischen Zweck verbunden, daß der Erstgeborene unabhängig leben könne.« Es ist bei Hegel eine gewisse Dezenz, der Anstand des Verstandes. Er will nicht das Majorat an und für sich, er will es nur in bezug auf ein andres, nicht als Selbstbestimmung, sondern als Bestimmtheit eines andren, nicht als Zweck, sondern als Mittel zu einem Zweck rechtfertigen und konstruieren. In Wahrheit ist das Majorat eine Konsequenz des exakten Grundbesitzes, das versteinerte Privateigentum, das Privateigentum (quand même) in der höchsten Selbständigkeit und Schärfe seiner Entwicklung, und was Hegel als den Zweck, als das Bestimmende, als die prima causa des Majorats darstellt, ist vielmehr ein Effekt desselben, eine Konsequenz, die Macht des abstrakten Privateigentums über den politischen Staat, während Hegel das Majorat als die Macht des politischen Staates über das Privateigentum darstellt. Er macht die Ursache zur Wirkung und die Wirkung zur Ursache, das Bestimmende zum Bestimmten und das Bestimmte zum Bestimmenden.
Allein was ist der Inhalt der politischen Konstituierung, des politischen Zweckes, was ist der Zweck dieses Zweckes? Was seine Substanz? Das Majorat, der Superlativ des Privateigentums, das souveräne Privateigentum. Welche Macht übt der politische Staat über das Privateigentum im Majorat aus? Daß er es isoliert von der Familie und der Sozietät, daß er es zu seiner abstrakten Verselbständigung bringt. Welches ist also die Macht des politischen Staates über das Privateigentum? Die eigne Macht des Privateigentums, sein zur Existenz gebrachtes Wesen. Was bleibt dem politischen Staat im Gegensatz[304] zu diesem Wesen übrig? Die Illusion, daß er bestimmt, wo er bestimmt wird. Er bricht allerdings den Willen der Familie und der Sozietät, aber nur um dem Willen des familien- und sozietätslosen Privateigentums Dasein zu geben und dieses Dasein als das höchste Dasein des politischen Staates, als das höchste sittliche Dasein anzuerkennen.
Betrachten wir die verschiedenen Elemente, wie sie sich hier in der gesetzgebenden Gewalt, dem totalen, dem zur Wirklichkeit und zur Konsequenz, zum Bewußtsein gekommenen Staat, dem wirklichen politischen Staat verhalten, [im Zusammenhange] mit der ideellen oder sein sollenden, mit der logischen Bestimmung und Gestalt dieser Elemente.
(Das Majorat ist nicht, wie Hegel sagt, »eine Fessel, die der Freiheit des Privatrechts angelegt ist«, es ist vielmehr die »Freiheit des Privatrechts, die sich von allen sozialen und sittlichen Fesseln befreit hat«.) (»Die höchste politische Konstruktion ist hier die Konstruktion des abstrakten Privateigentums.«)
Ehe wir diese Vergleichung anstellen. Ist noch ein näherer Blick auf eine Bestimmung des Paragraphen zu werfen, nämlich darauf, daß durch das Majorat das Vermögen des Bauernstandes, der Grundbesitz, das Privateigentum »selbst gegen die eigene Willkür dadurch festgestellt ist, daß die für diese Bestimmung berufenen Mitglieder dieses Standes des Rechts der andern Bürger, über ihr ganzes Eigentum frei zu disponieren, entbehren«.
Wir haben schon hervorgehoben, wie durch die »Unveräußerlichkeit« des Grundbesitzes die sozialen Nerven des Privateigentums abgeschnitten werden. Das Privateigentum (der Grundbesitz) ist gegen die eigne Willkür des Besitzers dadurch festgestellt, daß die Sphäre seiner Willkür aus einer allgemein menschlichen zur spezifischen Willkür des Privateigentums umgeschlagen, das Privateigentum zum Subjekt des Willens geworden ist; der Wille bloß mehr das Prädikat des Privateigentums ist. Das Privateigentum ist nicht mehr ein bestimmtes Objekt der Willkür, sondern die Willkür ist das bestimmte Prädikat des Privateigentums. Doch vergleichen wir, was Hegel selbst innerhalb der Sphäre des Privatrechts sagt:
§ 65. »Meines Eigentums kann ich mich entäußern, da es das meinige nur ist, insofern ich meinen Willen darin lege [...], aber nur insofern die Sache ihrer Natur nach ein Äußerliches ist.«
§ 66. »Unveräußerlich sind daher diejenigen Güter oder vielmehr substantiellen Bestimmungen, sowie das Recht an sie unverjährbar, welche meine eigenste Person und das allgemeine Wesen meines Selbstbewußtseins aufmachen, wie meine Persönlichkeit überhaupt, meine allgemeine Willensfreiheit, Sittlichkeit, Religion.«
Im Majorat wird also der Grundbesitz, das exakte Privateigentum, ein unveräußerliches Gut, also eine substantielle Bestimmung, welche die »eigenste[305] Person, das allgemeine Wesen des Selbstbewußtseins« des majoratsherrlichen Standes ausmachen, seine »Persönlichkeit überhaupt, seine allgemeine Willensfreiheit, Sittlichkeit, Religion«. Es ist daher auch konsequent, daß, wo das Privateigentum, der Grundbesitz unveräußerlich, dagegen die »allgemeine Willensfreiheit« (wozu auch die freie Disposition über ein Äußerliches, wie der Grundbesitz ist, gehört) und die Sittlichkeit (wozu die Liebe als der wirkliche, auch als das wirkliche Gesetz der Familie sich ausweisende Geist gehört) veräußerlich sind. Die »Unveräußerlichkeit« des Privateigentums ist in einem die »Veräußerlichkeit« der allgemeinen Willensfreiheit und Sittlichkeit. Das Eigentum ist hier nicht mehr, insofern »ich meinen Willen darin lege«, sondern mein Wille ist, »insofern er im Eigentum liegt«. Mein Wille besitzt hier nicht, sondern ist besessen. Das ist eben der romantische Kitzel der Majoratsherrlichkeit, daß hier das Privateigentum, also die Privatwillkür in ihrer abstraktesten Gestalt, daß der ganz bornierte, unsittliche, rohe Willen als die höchste Synthese des politischen Staates, als die höchste Entäußerung der Willkür, als der härteste, aufopferndste Kampf mit der menschlichen Schwäche erscheint, denn als menschliche Schwäche erscheint hier die Humanisierung, die Vermenschlichung des Privateigentums. Das Majorat ist das sich selbst zur Religion gewordene, das in sich selbst versunkene, von seiner Selbständigkeit und Herrlichkeit entzückte Privateigentum. Wie das Majorat der direkten Veräußerung, so ist es auch dem Vertrage entnommen. Hegel stellt den Übergang vom Eigentum zum Vertrage folgendermaßen dar:
§ 71. »Das Dasein ist als bestimmtes Sein wesentlich Sein für anderes; [...] das Eigentum, nach der Seite, daß es ein Dasein als äußerliche Sache ist, ist für andere Äußerlichkeiten und im Zusammenhange dieser Notwendigkeit und Zufälligkeit. Aber als Dasein des Willens ist es als für anderes nur für den Willen einer anderen Person. Diese Beziehung von Willen auf Willen ist der eigentümliche und wahrhafte Boden, in welchem die Freiheit Dasein hat. Diese Vermittelung, Eigentum nicht mehr nur vermittelst einer Sache und meines subjektiven Willens zu haben, sondern ebenso vermittelst eines anderen Willens und hiermit in einem gemeinsamen Willen zu haben, macht die Sphäre des Vertrags aus.«
(Im Majorat ist es zum Staatsgesetz gemacht, das Eigentum nicht in einem gemeinsamen Willen, sondern nur »vermittelst einer Sache und meines subjektiven Willens zu haben«.) Während Hegel hier im Privatrecht die Veräußerlichkeit und die Abhängigkeit des Privateigentums von einem gemeinsamen Willen als seinen wahren Idealismus auffaßt, wird umgekehrt im Staatsrecht die imaginäre Herrlichkeit eines unabhängigen Eigentums im Gegensatz zu der »Unsicherheit des Gewerbes, der Sucht des Gewinns, der Veränderlichkeit des Besitzes, der Abhängigkeit vom Staatsvermögen« gepriesen. Welch[306] ein Staat, der nicht einmal den Idealismus des Privatrechts ertragen kann? Welch eine Rechtsphilosophie, wo die Selbständigkeit des Privateigentums eine andere Bedeutung im Privatrecht als im Staatsrecht hat?
Gegen die rohe Stupidität des unabhängigen Privateigentums ist die Unsicherheit des Gewerbes elegisch, die Sucht des Gewinns pathetisch (dramatisch), die Veränderlichkeit des Besitzes ein ernstes Fatum (tragisch), die Abhängigkeit vom Staatsvermögen sittlich. Kurz, in allen diesen Qualitäten schlägt das menschliche Herz durch das Eigentum durch, es ist Abhängigkeit des Menschen vom Menschen. Wie sie immerhin an und für sich beschaffen sei, sie ist menschlich gegenüber dem Sklaven, der sich frei dünkt, weil die Sphäre, die ihn beschränkt, nicht die Sozietät, sondern die Scholle ist; die Freiheit dieses Willens ist seine Leerheit von anderem Inhalt als dem des Privateigentums.
Solche Mißgeburten wie das Majorat als eine Bestimmung des Privateigentums durch den politischen Staat zu definieren, ist überhaupt unumgänglich, wenn man eine alte Weltanschauung im Sinn einer neuen interpretiert, wenn man einer Sache, wie hier dem Privateigentum, eine doppelte Bedeutung, eine andere im Gerichtshof des abstrakten Rechts, eine entgegengesetzte im Himmel des politischen Staats gibt.
Wir kommen zu der oben angedeuteten Vergleichung.
§ 257 heißt es:
»Der Staat ist die Wirklichkeit der sittlichen Idee – der sittliche Geist als der offenbare, sich selbst deutliche, substantielle Wille... An der Sitte hat er seine unmittelbare und an dem Selbstbewußtsein des Einzelnen... seine vermittelte Existenz, so wie dieses durch die Gesinnung in ihm, als seinem Wesen, Zweck und Produkte seiner Tätigkeit, seine substantielle Freiheit hat.«
§ 268 heißt es:
»Die politische Gesinnung, der Patriotismus überhaupt, als die in Wahrheit stehende Gewißheit [...] und das zur Gewohnheit gewordene Wollen ist nur Resultat der im Staate bestehenden Institutionen, als in welchem die Vernünftigkeit wirklich vorhanden ist, so wie sie durch das ihnen gemäße Handeln ihre Betätigung erhält. – Diese Gesinnung ist überhaupt das Zutrauen (das zu mehr oder weniger gebildeter Einsicht übergehen kann), – das Bewußtsein, daß mein substantielles und besonderes Interesse, im Interesse und Zwecke eines Andern (hier des Staats) als im Verhältnis zu mir als Einzelnen bewahrt und enthalten ist –, womit eben dieser unmittelbar kein Anderer für mich ist und ich in diesem Bewußtsein frei bin.«
Die Wirklichkeit der sittlichen Idee erscheint hier als die Religion des Privateigentums (weil sich im Majorat das Privateigentum zu sich selbst auf religiöse Weise verhält, so kommt es, daß in unseren modernen Zeiten die[307] Religion überhaupt zu einer dem Grundbesitz inhärenten Qualität geworden ist und alle majoratsherrlichen Schriften voll religiöser Salbung sind. Die Religion ist die höchste Denkform dieser Brutalität). Der »offenbare, sich selbst deutliche, substantielle Wille« verwandelt sich in einen dunklen, an der Scholle gebrochenen Willen, der eben von der Undurchdringlichkeit des Elements, an dem er haftet, berauscht ist. »Die in Wahrheit stehende Gewißheit«, welche die »politische Gesinnung ist«, ist die auf »eigenem Boden« (im wörtlichen Sinne) stehende Gewißheit. Das zur »Gewohnheit gewordene« politische »Wollen« ist nicht mehr »nur Resultat« etc., sondern eine außer dem Staat bestehende Institution. Die politische Gesinnung ist nicht mehr das »Zutrauen«, sondern vielmehr das »Vertrauen, das Bewußtsein, daß mein substantielles und besonderes Interesse unabhängig vom Interesse und Zweck eines Andern (hier des Staats) im Verhältnis zu mir als Einzelnen« ist. Das ist das Bewußtsein meiner Freiheit vom Staate.
Die »Festhaltung des allgemeinen Staatsinteresses« etc. war (§ 289) die Aufgabe der »Regierungsgewalt«. In ihr residierte »die gebildete Intelligenz und das rechtliche Bewußtsein der Masse eines Volkes« (§ 297). Sie macht »eigentlich die Stände überflüssig«, denn sie »können ohne Stände das Beste tun, wie sie auch fortwährend bei den ständischen Versammlungen das Beste tun müssen« (§ 301 Anmerkung). Der »allgemeine, näher dem Dienst der Regierung sich widmende Stand hat unmittelbar zu seiner Bestimmung, das Allgemeine zum Zwecke seiner wesentlichen Tätigkeit zu haben« [§ 303].
Und wie erscheint der allgemeine Stand, die Regierungsgewalt jetzt? »Als vom Staat wesentlich abhängig«, als das »Vermögen, abhängig von der Gunst der Regierungsgewalt«. Dieselbe Umwandlung ist mit der bürgerlichen Gesellschaft vorgegangen, die früher in der Korporation ihre Sittlichkeit erreicht hat. Sie ist ein Vermögen, abhängig »von der Unsicherheit des Gewerbes« etc., von »der Gunst der Menge«.
Welches ist also die angeblich spezifische Qualität des Majoratsherrn? Und worin kann überhaupt die sittliche Qualität eines unveräußerlichen Vermögens bestehn? In der Unbestechlichkeit. Die Unbestechlichkeit erscheint als die höchste politische Tugend, eine abstrakte Tugend. Dabei ist die Unbestechlichkeit in dem von Hegel konstruierten Staat etwas so Apartes, daß sie als eine besondre politische Gewalt konstruiert werden muß, also eben dadurch bewußt, daß sie nicht der Geist des politischen Staates, nicht die Regel, sondern die Ausnahme ist, und als solche Ausnahme ist sie konstruiert. Man besticht die Majoratsherren durch ihr unabhängiges Eigentum, um sie vor der Bestechlichkeit zu konservieren. Während nach der Idee die Abhängigkeit[308] vom Staat und das Gefühl dieser Abhängigkeit die höchste politische Freiheit sein sollte, weil sie die Empfindung der Privatperson als einer abstrakten, abhängigen Person ist und diese vielmehr sich erst als Staatsbürger unabhängig fühlt und fühlen soll, wird hier die unabhängige Privatperson konstruiert. »Ihr Vermögen ist [ebenso] unabhängig vom Staatsvermögen als von der Unsicherheit des Gewerbes« etc. Ihr steht gegenüber »der Stand des Gewerbes, als der vom Bedürfnis abhängige und darauf hingewiesene, und der allgemeine Stand, als vom Staat wesentlich abhängig«. Hier ist also Unabhängigkeit vom Staat und der bürgerlichen Gesellschaft, und diese verwirklichte Abstraktion von beiden, die realiter die rohste Abhängigkeit von der Scholle ist, bildet in der gesetzgebenden Gewalt die Vermittelung und die Einheit beider. Das unabhängige Privatvermögen, d.h. das abstrakte Privatvermögen und die ihm entsprechende Privatperson, sind die höchste Konstruktion des politischen Staates. Die politische »Unabhängigkeit« ist konstruiert als das »unabhängige Privateigentum« und die »Person dieses unabhängigen Privateigentums«. Wir werden im nächsten sehn, wie es mit der »Unabhängigkeit« und »Unbestechlichkeit« und der daraus hervorgehenden Staatsgesinnung re vera steht.
Daß das Majorat Erbgut ist, spricht von selbst. Das Nähere hierüber später. Daß es, wie Hegel im Zusatz bemerkt, der Erstgeborne ist, ist rein historisch.
§ 307. »Das Recht dieses Teils des substantiellen Standes ist auf diese Weise zwar einerseits auf das Naturprinzip der Familie gegründet, dieses aber zugleich durch harte Aufopferungen für den politischen Zweck verkehrt, womit dieser Stand wesentlich an die Tätigkeit für diesen Zweck angewiesen und gleichfalls in Folge hiervon ohne die Zufälligkeit einer Wahl durch die Geburt dazu berufen und berechtigt ist.«
Inwiefern das Recht dieses substantiellen Standes auf das Naturprinzip der Familie gegründet ist, hat Hegel nicht entwickelt, es sei denn, daß er hierunter verstehe, daß der Grundbesitz als Erbgut existiert. Damit ist kein Recht dieses Standes im politischen Sinne entwickelt, sondern nur das Recht der Majoratsherrn auf den Grundbesitz per Geburt. »Dieses«, das Naturprinzip der Familie, ist »aber zugleich durch harte Aufopferungen für den politischen Zweck verkehrt«. Wir haben allerdings gesehn, wie hier »das Naturprinzip der Familie verkehrt« wird, wie dies aber »keine harte Aufopferung für den politischen Zweck«, sondern nur die verwirklichte Abstraktion des Privateigentums ist. Vielmehr wird durch diese Verkehrung des Naturprinzipes der Familie ebenso der politische Zweck verkehrt, »womit (?) dieser Stand[309] wesentlich an die Tätigkeit für diesen Zweck angewiesen« – durch die Verselbständigung des Privateigentums? – »und gleichfalls in Folge hiervon ohne die Zufälligkeit einer Wahl durch die Geburt dazu berufen und berechtigt«.
Hier ist also die Partizipation an der gesetzgebenden Gewalt ein angebornes Menschenrecht. Hier haben wir geborene Gesetzgeber, die geborene Vermittelung des politischen Staates mit sich selbst. Man hat sich, besonders von seiten der Majoratsherrn, sehr mokiert über die angebornen Menschenrechte. Ist es nicht komischer, daß einer besondern Menschenrasse das Recht der höchsten Würde der gesetzgebenden Gewalt anvertraut ist? Nichts ist lächerlicher, als daß Hegel die Berufung zum Gesetzgeber, zum Repräsentant des Staatsbürgertums durch die »Geburt« der Berufung durch »die Zufälligkeit einer Wahl« entgegenstellt. Als wenn die Wahl, das bewußte Produkt des bürgerlichen Vertrauens, nicht in einem ganz andern notwendigen Zusammenhang mit dem politischen Zweck stände, als der physische Zufall der Geburt. Hegel sinkt überall von seinem politischen Spiritualismus in den krassesten Materialismus herab. Auf den Spitzen des politischen Staates ist es überall die Geburt, welche bestimmte Individuen zu Inkorporationen der höchsten Staatsaufgaben macht. Die höchsten Staatstätigkeiten fallen mit den Individuen durch die Geburt zusammen, wie die Stelle des Tiers, sein Charakter, Lebensweise etc. unmittelbar ihm angeboren wird. Der Staat in seinen höchsten Funktionen erhält eine tierische Wirklichkeit. Die Natur rächt sich an Hegel wegen der ihr bewiesenen Verachtung. Wenn die Materie nichts für sich mehr sein sollte gegen den menschlichen Willen, so behält hier der menschliche Wille nichts mehr für sich außer der Materie.
Die falsche Identität, die fragmentarische, stellenweise Identität zwischen Natur und Geist, Körper und Seele, erscheint als Inkorporation. Da die Geburt dem Menschen nur das individuelle Dasein gibt und ihn zunächst nur als natürliches Individuum setzt, die staatlichen Bestimmungen wie die gesetzgebende Gewalt etc. aber soziale Produkte, Geburten der Sozietät und nicht Zeugungen des natürlichen Individuums sind, so ist eben die unmittelbare Identität, das unvermittelte Zusammenfallen zwischen der Geburt des Individuums und dem Individuum als Individuation einer bestimmten sozialen Stellung, Funktion etc. das Frappante, das Wunder. Die Natur macht in diesem System unmittelbar Könige, sie macht unmittelbar Pairs etc., wie sie Augen und Nasen macht. Das Frappante ist, als unmittelbares Produkt der physischen Gattung zu sehn, was nur das Produkt der selbstbewußten Gattung ist. Mensch bin ich durch die Geburt ohne die Übereinstimmung der Gesellschaft, Pair oder König wird diese bestimmte Geburt erst durch die allgemeine[310] Übereinstimmung. Die Übereinstimmung macht die Geburt dieses Menschen erst zur Geburt eines Königs: also ist es die Übereinstimmung und nicht die Geburt, die den König macht. Wenn die Geburt, im Unterschied von den andern Bestimmungen, dem Menschen unmittelbar eine Stellung gibt, so macht ihn sein Körper zu diesem bestimmten sozialen Funktionär. Sein Körper ist sein soziales Recht. In diesem System erscheint die körperliche Würde des Menschen oder die Würde des menschlichen Körpers (was weiter ausgeführt lauten kann: die Würde des physischen Naturelements des Staats) so, daß bestimmte, und zwar die höchsten sozialen Würden die Würden bestimmter durch die Geburt prädestinierter Körper sind. Es ist daher bei dem Adel natürlich der Stolz auf das Blut, die Abstammung, kurz die Lebensgeschichte ihres Körpers, es ist natürlich diese zoologische Anschauungsweise, die in der Heraldik die ihr entsprechende Wissenschaft besitzt. Das Geheimnis des Adels ist die Zoologie.
Es sind zwei Momente bei dem erblichen Majorat hervorzuheben:
1. Das Bleibende ist das Erbgut, der Grundbesitz. Es ist das Beharrende in dem Verhältnis – die Substanz. Der Majoratsherr, der Besitzer, ist eigentlich nur Akzidens. Der Grundbesitz anthropomorphisiert sich in den verschiedenen Geschlechtern. Der Grundbesitz erbt gleichsam immer den Erstgebornen des Hauses als das an es gefesselte Attribut. Jeder Erstgeborne in der Reihe der Grundbesitzer ist das Erbteil, das Eigentum des unveräußerlichen Grundbesitzes, die prädestinierte Substanz seines Willens und seiner Tätigkeit. Das Subjekt ist die Sache und das Prädikat der Mensch. Der Wille wird zum Eigentum des Eigentums.
2. Die politische Qualität des Majoratsherren ist die politische Qualität seines Erbguts, eine diesem Erbgut inhärente politische Qualität. Die politische Qualität erscheint hier also ebenfalls als Eigentum des Grundeigentums, als eine Qualität, die unmittelbar der rein physischen Erde (Natur) zukommt.
Was das erste angeht, so folgt daraus, daß der Majoratsherr der Leibeigene des Grundeigentums ist und daß in den Leibeigenen, die ihm Untertan sind, nur die praktische Konsequenz des theoretischen Verhältnisses erscheint, in welchem er selbst sich zu dem Grundbesitz befindet. Die Tiefe der germanischen Subjektivität erscheint überall als die Roheit einer geistlosen Objektivität.
Es ist hier auseinanderzusetzen das Verhältnis 1. zwischen Privateigentum und Erbschaft, 2. zwischen Privateigentum, Erbschaft und dadurch dem Privilegium gewisser Geschlechter auf Teilnahme an der politischen Souveränität, 3. das wirkliche historische Verhältnis oder das germanische Verhältnis.[311]
Wir haben gesehn, daß das Majorat die Abstraktion des »unabhängigen Privateigentums« ist. Es schließt sich eine zweite Konsequenz hieran an. Die Unabhängigkeit, die Selbständigkeit in dem politischen Staat, dessen Konstruktion wir bisher verfolgt haben, ist das Privateigentum, was auf seiner Spitze als unveräußerlicher Grundbesitz erscheint. Die politische Unabhängigkeit fließt daher nicht ex proprio sinu des politischen Staats, sie ist keine Gabe des politischen Staats an seine Glieder, sie ist nicht der ihn beseelende Geist, sondern die Glieder des politischen Staats empfangen ihre Unabhängigkeit von einem Wesen, welches nicht das Wesen des politischen Staats ist, von einem Wesen des abstrakten Privatrechts, vom abstrakten Privateigentum. Die politische Unabhängigkeit ist ein Akzidens des Privateigentums, nicht die Substanz des politischen Staats. Der politische Staat und in ihm die gesetzgebende Gewalt, wie wir gesehn. Ist das enthüllte Mysterium von dem wahren Wert und Wesen der Staatsmomente. Die Bedeutung die das Privateigentum im politischen Staat hat, ist seine wesentliche, seine wahre Bedeutung; die Bedeutung, die der Standesunterschied im politischen Staat hat, ist die wesentliche Bedeutung des Standesunterschiedes. Ebenso kommt das Wesen der fürstlichen [Macht] und der Regierung in der »gesetzgebenden Gewalt« zur Erscheinung. Hier, in der Sphäre des politischen Staates, ist es, daß sich die einzelnen Staatsmomente zu sich als dem Wesen der Gattung, als dem »Gattungswesen« verhalten; weil der politische Staat die Sphäre ihrer allgemeinen Bestimmung, ihre religiöse Sphäre ist. Der politische Staat ist der Spiegel der Wahrheit für die verschiedenen Momente des konkreten Staats.
Wenn also das »unabhängige Privateigentum« im politischen Staat, in der gesetzgebenden Gewalt, die Bedeutung der politischen Unabhängigkeit hat, so ist es die politische Unabhängigkeit des Staats. Das »unabhängige Privateigentum« oder das »wirkliche Privateigentum« ist dann nicht nur die »Stütze der Verfassung«, sondern die »Verfassung selbst«. Und die Stütze der Verfassung ist doch wohl die Verfassung der Verfassungen, die primäre, die wirkliche Verfassung?
Hegel machte bei Konstruierung des erblichen Monarchen, gleichsam selbst überrascht über »die immanente Entwicklung einer Wissenschaft, die Ableitung ihres ganzen Inhaltes aus dem einfachen Begriffe« (§ 279 Anmerkung), die Bemerkung:
»So ist es das Grundmoment der zuerst im unmittelbaren Rechte abstrakten Persönlichkeit, welches sich durch seine verschiedenen Formen von Subjektivität fortgebildet hat und hier im absoluten Rechte, dem Staate, der vollkommen[312] konkreten Objektivität des Willens, die Persönlichkeit des Staats ist, seine Gewißheit seiner selbst.«
D.h. im politischen Staat kommt es zur Erscheinung, daß die »abstrakte Persönlichkeit« die höchste politische Persönlichkeit, die politische Basis des ganzen Staats ist. Ebenso kommt im Majorat das Recht dieser abstrakten Persönlichkeit, ihre Objektivität, das »abstrakte Privateigentum« als die höchste Objektivität des Staates, als sein höchstes Recht zum Dasein.
Der Staat ist erblicher Monarch, abstrakte Persönlichkeit heißt nichts als die Persönlichkeit des Staats ist abstrakt, oder es ist der Staat der abstrakten Persönlichkeit, wie denn auch die Römer das Recht des Monarchen rein innerhalb der Normen des Privatrechts oder das Privatrecht als die höchste Norm des Staatsrechts entwickelt haben.
Die Römer sind die Rationalisten, die Germanen die Mystiker des souveränen Privateigentums.
Hegel bezeichnet das Privatrecht als das Recht der abstrakten Persönlichkeit oder als das abstrakte Recht. Und in Wahrheit muß es als die Abstraktion des Rechts und damit als das illusorische Recht der abstrakten Persönlichkeit entwickelt werden, wie die von Hegel entwickelte Moral das illusorische Dasein der abstrakten Subjektivität ist. Hegel entwickelt das Privatrecht und die Moral als solche Abstraktionen, woraus bei ihm nicht folgt, daß der Staat, die Sittlichkeit, die sie zu Voraussetzungen hat, nichts als die Sozietät (das soziale Leben) dieser Illusionen sein kann, sondern umgekehrt geschlossen wird, daß sie subalterne Momente dieses sittlichen Lebens sind. Aber was ist das Privatrecht anders als das Recht, und die Moral anders als die Moral dieser Staatssubjekte? Oder vielmehr die Person des Privatrechts und das Subjekt der Moral sind die Person und das Subjekt des Staats. Man hat Hegel vielfach angegriffen über seine Entwicklung der Moral. Er hat nichts getan als die Moral des modernen Staats und des modernen Privatrechts entwickelt. Man hat die Moral mehr vom Staat trennen, sie mehr emanzipieren wollen. Was hat man damit bewiesen? Daß die Trennung des jetzigen Staats von der Moral moralisch ist, daß die Moral unstaatlich und der Staat unmoralisch ist. Es ist vielmehr ein großes, obgleich nach einer Seite hin (nämlich nach der Seite hin, daß Hegel den Staat, der eine solche Moral zur Voraussetzung hat, für die reale Idee der Sittlichkeit ausgibt) unbewußtes Verdienst Hegels, der modernen Moral ihre wahre Stellung angewiesen zu haben.
In der Verfassung, worin das Majorat eine Garantie ist, ist das Privateigentum die Garantie der politischen Verfassung. Im Majorat erscheint das so, daß eine besondere Art von Privateigentum diese Garantie ist. Das Majorat[313] ist bloß eine besondere Existenz des allgemeinen Verhältnisses von Privateigentum und politischem Staat. Das Majorat ist der politische Sinn des Privateigentums, das Privateigentum in seiner politischen Bedeutung, d.h. in seiner allgemeinen Bedeutung. Die Verfassung ist also hier Verfassung des Privateigentums.
Wo wir das Majorat in seiner klassischen Ausbildung antreffen, bei den germanischen Völkern, finden wir auch die Verfassung des Privateigentums. Das Privateigentum ist die allgemeine Kategorie, das allgemeine Staatsband. Selbst die allgemeinen Funktionen erscheinen als Privateigentum bald einer Korporation, bald eines Standes.
Handel und Gewerbe sind in ihren besondern Nuancen das Privateigentum besonderer Korporationen. Hofwürden, Gerichtsbarkeit etc. sind das Privateigentum besonderer Stände. Die verschiedenen Provinzen sind das Privateigentum einzelner Fürsten etc. Der Dienst für das Land etc. ist das Privateigentum des Herrschers. Der Geist ist das Privateigentum der Geistlichkeit. Meine pflichtgemäße Tätigkeit ist das Privateigentum eines andern, wie mein Recht wieder ein besondres Privateigentum ist. Die Souveränität, hier die Nationalität, ist das Privateigentum des Kaisers.
Man hat oft gesagt, daß im Mittelalter jede Gestalt des Rechts, der Freiheit, des sozialen Daseins als ein Privilegium, als eine Ausnahme von der Regel erscheint. Man konnte das empirische Faktum dabei nicht übersehn, daß diese Privilegien alle in der Form des Privateigentums erscheinen. Was ist der allgemeine Grund dieses Zusammenfallens? Das Privateigentum ist das Gattungsdasein des Privilegiums, des Rechts als einer Ausnahme.
Wo die Fürsten, wie in Frankreich, die Unabhängigkeit des Privateigentums angriffen, attentierten sie das Eigentum der Korporationen, ehe sie das Eigentum der Individuen attentierten. Aber indem sie das Privateigentum der Korporationen angriffen, griffen sie das Privateigentum als Korporation, als das soziale Band an.
In der Lehensherrschaft erscheint es gradezu, daß die fürstliche Macht die Macht des Privateigentums ist, und in der fürstlichen Macht ist das Mysterium niedergelegt, was die allgemeine Macht, was die Macht aller Staatskreise ist.
(In dem Fürsten als dem Repräsentanten der Staatsmacht ist ausgesprochen, was das Mächtige des Staats ist. Der konstitutionelle Fürst drückt daher die Idee des konstitutionellen Staates in ihrer schärfsten Abstraktion aus. Er ist einerseits die Idee des Staats, die geheiligte Staatsmajestät, und zwar als diese Person. Zugleich ist er eine bloße Imagination, er hat als Person und als Fürst weder wirkliche Macht noch wirkliche Tätigkeit. Es ist hier die Trennung der politischen und wirklichen, der formellen und materiellen, der[314] allgemeinen und individuellen Person, des Menschen und des sozialen Menschen in ihrem höchsten Widerspruch ausgedrückt.)
Das Privateigentum ist römischen Verstandes und germanischen Gemüts. Es wird an diesem Ort belehrend sein, eine Vergleichung zwischen diesen beiden extremen Entwicklungen desselben anzustellen. Es wird uns dies zur Lösung des besprochenen politischen Problems behilflich sein.
Die Römer haben eigentlich erst das Recht des Privateigentums, das abstrakte Recht, das Privatrecht, das Recht der abstrakten Person ausgebildet. Das römische Privatrecht ist das Privatrecht in seiner klassischen Ausbildung. Wir finden aber nirgends bei den Römern, daß das Recht des Privateigentums, wie bei den Deutschen, mystifiziert worden wäre. Es wird auch nirgends zum Staatsrecht.
Das Recht des Privateigentums ist das jus utendi et abutendi, das Recht der Willkür über die Sache. Das Hauptinteresse der Römer besteht darin, die Verhältnisse zu entwickeln und zu bestimmen, welche sich als abstrakte Verhältnisse des Privateigentums ergeben. Der eigentliche Grund des Privateigentums, der Besitz, ist ein Faktum, ein unerklärliches Faktum, kein Recht. Erst durch juristische Bestimmungen, die die Sozietät dem faktischen Besitz gibt, erhält er die Qualität des rechtlichen Besitzes, des Privateigentums.
Was bei den Römern den Zusammenhang zwischen politischer Verfassung und Privateigentum betrifft, so erscheint:
1. Der Mensch (als Sklave), wie bei den alten Völkern überhaupt, als Gegenstand des Privateigentums.
Das ist nichts Spezifisches.
2. Die eroberten Länder werden als Privateigentum behandelt, das jus utendi et abutendi wird in ihnen geltend gemacht.
3. In ihrer Geschichte selbst erscheint der Kampf zwischen Armen und Reichen (Patriziern und Plebejern) etc.
Im übrigen macht sich das Privateigentum im Ganzen, wie bei den alten klassischen Völkern überhaupt, als öffentliches Eigentum geltend, entweder, wie in den guten Zeiten, als Aufwand der Republik, oder als luxuriöse und allgemeine Wohltat (Bäder etc.) gegen den Haufen.
Die Art und Weise, wie die Sklaverei erklärt wird. Ist das Kriegsrecht, das Recht der Okkupation: eben weil ihre politische Existenz vernichtet ist, sind sie Sklaven.
Zwei Verhältnisse heben wir hauptsächlich im Unterschied von den Germanen hervor.[315]
1. Die kaiserliche Gewalt war nicht die Gewalt des Privateigentums, sondern die Souveränität des empirischen Willens als solchen, die weit entfernt war, das Privateigentum als Band zwischen sich und ihren Untertanen zu betrachten, sondern im Gegenteil mit dem Privateigentum schaltete, wie mit allen übrigen sozialen Gütern. Die kaiserliche Gewalt war daher auch nicht anders als faktisch erblich. Die höchste Ausbildung des Rechts des Privateigentums, des Privatrechts, fällt zwar in die Kaiserzeit, aber sie ist vielmehr eine Konsequenz der politischen Auflösung, als daß die politische Auflösung eine Konsequenz des Privateigentums wäre. Zudem, als das Privatrecht in Rom zur vollen Entwicklung gelangt, ist das Staatsrecht aufgehoben, in seiner Auflösung begriffen, während es in Deutschland sich umgekehrt verhielt.
2. Die Staatswürden sind niemals in Rom erblich, d.h. das Privateigentum ist nicht die herrschende Staatskategorie.
3. Im Gegensatz zu dem germanischen Majorat etc. erscheint in Rom die Willkür des Testierens als Ausfluß des Privateigentums. In diesem letzteren Gegensatz liegt der ganze Unterschied der römischen und germanischen Entwicklung des Privateigentums.
(Im Majorat erscheint dies, daß das Privateigentum das Verhältnis zur Staatsfunktion ist, so, daß das Staatsdasein eine Inhärenz, Akzidens des unmittelbaren Privateigentums, des Grundbesitzes ist. Auf den höchsten Spitzen erscheint so der Staat als Privateigentum, während hier das Privateigentum als Staatseigentum erscheinen sollte. Statt das Privateigentum zu einer staatsbürgerlichen Qualität, macht Hegel das Staatsbürgertum und Staatsdasein und Staatsgesinnung zu einer Qualität des Privateigentums.)
§ 308. »In den andern Teil des ständischen Elements fällt die bewegliche Seite der bürgerlichen Gesellschaft, die äußerlich wegen der Menge ihrer Glieder, wesentlich aber wegen der Natur ihrer Bestimmung und Beschäftigung, nur durch Abgeordnete eintreten kann. Insofern diese von der bürgerlichen Gesellschaft abgeordnet werden, liegt es unmittelbar nahe, daß dies diese tut als das, was sie ist - , somit nicht als in die Einzelnen atomistisch aufgelöst und nur für einen einzelnen und temporären Akt sich auf einen Augenblick ohne weitere Haltung versammelnd, sondern als in ihre ohnehin konstituierten Genossenschaften, Gemeinden und Korporationen gegliedert, welche auf diese Weise einen politischen Zusammenhang erhalten. In ihrer Berechtigung zu solcher von der fürstlichen Gewalt aufgerufenen Abordnung, wie in der Berechtigung des ersten Standes zur Erscheinung (§ 307) findet die Existenz der Stände und ihrer Versammlung eine konstituierte, eigentümliche Garantie.«
Wir finden hier einen neuen Gegensatz der bürgerlichen Gesellschaft und der Stände, einen beweglichen, also auch einen unbeweglichen Teil derselben[316] (den des Grundbesitzes). Man hat diesen Gegensatz auch als Gegensatz von Raum und Zeit etc. konservativ und progressiv dargestellt. Darüber siehe den vorigen Paragraphen. Übrigens hat Hegel den beweglichen Teil der Gesellschaft ebenfalls zu einem stabilen durch die Korporationen etc. gemacht.
Der zweite Gegensatz ist, daß der erste, eben entwickelte Teil des ständischen Elements, die Majoratsherrn als solche Gesetzgeber sind; daß die gesetzgebende Gewalt ein Attribut ihrer empirischen Person ist; daß sie keine Abgeordneten, sondern sie selbst sind; während bei dem zweiten Stand Wahl und Abordnung stattfindet.
Hegel gibt zwei Gründe an, warum dieser bewegliche Teil der bürgerlichen Gesellschaft nur durch Abgeordnete in den politischen Staat, die gesetzgebende Gewalt eintreten kann. Den ersten, ihre Menge, bezeichnet er selbst als äußerlich und überhebt uns daher dieser Replik.
Der wesentliche Grund aber sei die »Natur ihrer Bestimmung und Beschäftigung«. Die »politische Tätigkeit« und »Beschäftigung« ist ein »der Natur ihrer Bestimmung und Beschäftigung« Fremdes.
Hegel kommt nun wieder auf sein altes Lied, auf diese Stände als »Abgeordnete der bürgerlichen Gesellschaft«. Diese müsse »dies tun als das, was sie ist«. Sie muß es vielmehr tun als das, was sie nicht ist, denn sie ist unpolitische Gesellschaft, und sie soll hier einen politischen Akt als einen ihr wesentlichen, aus ihr selbst hervorgehenden Akt vollziehn. Damit ist sie in die »Einzelnen atomistisch aufgelöst« »und nur für einen einzelnen und temporären Akt sich auf einen Augenblick ohne weitere Haltung versammelnd«. Erstens ist ihr politischer Akt ein einzelner und temporärer und kann daher in seiner Verwirklichung nur als solcher erscheinen. Er ist ein Eklat machender Akt der politischen Gesellschaft, eine Ekstase derselben, und als solcher muß er auch erscheinen. Zweitens. Hegel hat keinen Anstoß daran genommen, es sogar als notwendig konstruiert, daß die bürgerliche Gesellschaft materiell (nur als eine zweite, von ihr abgeordnete Gesellschaft auftritt) sich von ihrer bürgerlichen Wirklichkeit trennt und das, was sie nicht ist, als sich setzt, wie kann er dies nun formell verwerfen wollen?
Hegel meint, dadurch, daß die Gesellschaft in ihren Korporationen etc. abordnet, erhalten »ihre ohnehin konstituierten Genossenschaften« etc. »auf diese Weise einen politischen Zusammenhang«. Sie erhalten aber entweder eine Bedeutung, die nicht ihre Bedeutung ist, oder ihr Zusammenhang als solcher ist der politische und »erhält« nicht erst die politische Teinture, wie oben entwickelt, sondern die »Politik« erhält aus ihm ihren Zusammenhang. Dadurch, daß Hegel nur diesen Teil des ständischen Elements als das[317] des »Abgeordneten« bezeichnet, hat er unbewußt das Wesen der beiden Kammern (da, wo sie wirklich das von ihm bezeichnete Verhältnis zueinander haben) bezeichnet. Abgeordnetenkammer und Pairskammer (oder wie sie sonst heißen) sind hier nicht verschiedene Existenzen desselben Prinzips, sondern zwei wesentlich verschiedenen Prinzipien und sozialen Zuständen angehörig. Die Abgeordnetenkammer ist hier die politische Konstitution der bürgerlichen Gesellschaft im modernen, die Pairskammer im ständischen Sinn. Pairskammer und Abgeordnetenkammer stehn sich hier gegenüber als ständische und als politische Repräsentation der bürgerlichen Gesellschaft. Die eine ist das existierende ständische Prinzip der bürgerlichen Gesellschaft, die andre ist die Verwirklichung ihres abstrakten politischen Daseins. Es versteht sich daher von selbst, daß die letztere nicht wieder als Repräsentation von Ständen, Korporationen etc. da sein kann, denn sie repräsentiert eben nicht das ständische, sondern das politische Dasein der bürgerlichen Gesellschaft. Es versteht sich dann von selbst, daß in der ersten Kammer nur der ständische Teil der bürgerlichen Gesellschaft, der »souveräne Grundbesitz«, der erbgeseßne Adel Sitz hat, denn er ist nicht ein Stand unter andern Ständen, sondern das ständische Prinzip der bürgerlichen Gesellschaft als wirkliches soziales, also politisches Prinzip, existiert nur mehr in ihm. Er ist der Stand. Die bürgerliche Gesellschaft hat dann in der ständischen Kammer den Repräsentant ihres mittelaltrigen, in der Abgeordnetenkammer ihres politischen (modernen) Daseins. Der Fortschritt besteht hier gegen das Mittelalter nur darin, daß die ständische Politik zu einer besondern politischen Existenz neben der staatsbürgerlichen Politik herabgesetzt ist. Die empirische politische Existenz, die Hegel vor Augen hat (England), hat also einen ganz anderen Sinn, als er ihr unterschiebt.
Die französische Konstitution ist auch hierin ein Fortschritt. Sie hat zwar die Pairskammer zur reinen Nichtigkeit herabgesetzt, aber diese Kammer, innerhalb des Prinzips des konstitutionellen Königstums, wie es Hegel zu entwickeln vorgab, kann seiner Natur [nach] nur eine Nichtigkeit sein, die Fiktion der Harmonie zwischen Fürst und bürgerlicher Gesellschaft oder der gesetzgebenden Gewalt oder des politischen Staats mit sich selbst als eine besondre und dadurch eben wieder gegensätzliche Existenz.
Die Franzosen haben die Lebenslänglichkeit der Pairs bestehn lassen, um ihre gleiche Unabhängigkeit von der Wahl der Regierung und des Volks auszudrücken. Aber sie haben den mittelaltrigen Ausdruck – die Erblichkeit – abgeschafft. Ihr Fortschritt besteht darin, daß sie die Pairskammer ebenfalls nicht mehr aus der wirklichen bürgerlichen Gesellschaft hervorgehen lassen, sondern ebenfalls in der Abstraktion von ihr geschaffen haben ihre Wahl[318] lassen sie von dem existierenden politischen Staat, vom Fürsten, ausgehn, ohne ihn an eine sonstige bürgerliche Qualität gebunden zu haben. Die Pairswürde ist in dieser Konstitution wirklich ein Stand in der bürgerlichen Gesellschaft, der rein politisch ist, vom Standpunkt der Abstraktion des politischen Staates aus geschaffen ist; er erscheint aber mehr als politische Dekoration wie als wirklicher, mit besondern Rechten ausgestatteter Stand. Die Pairskammer unter der Restauration war eine Reminiszenz. Die Pairskammer der Julirevolution ist ein wirkliches Geschöpf der konstitutionellen Monarchie.
Da in der modernen Zeit die Staatsidee nicht anders als in der Abstraktion des »nur politischen Staates« oder der Abstraktion der bürgerlichen Gesellschaft von sich selbst, von ihrem wirklichen Zustande, erscheinen konnte, so ist es ein Verdienst der Franzosen, diese abstrakte Wirklichkeit festgehalten, produziert und damit das politische Prinzip selbst produziert zu haben. Was man ihnen als Abstraktion vorwirft, ist also wahrhafte Konsequenz und das Produkt der, wenn auch erst in einem Gegensatz, aber in einem notwendigen Gegensatz, wiedergefundnen Staatsgesinnung. Das Verdienst der Franzosen ist also hier, die Pairskammer als eigentümliches Produkt des politischen Staats gesetzt oder überhaupt das politische Prinzip in seiner Eigentümlichkeit zum Bestimmenden und Wirksamen gemacht zu haben.
Hegel bemerkt noch, daß bei der von ihm konstruierten Abordnung, in der »Berechtigung der Korporationen etc. zu solcher Abordnung«, »die Existenz der Stände und ihrer Versammlung eine konstituierte, eigentümliche Garantie findet«. Die Garantie der Existenz der ständischen Versammlung, ihre wahre primitive Existenz wird also das Privilegium der Korporationen etc. Hiermit ist Hegel ganz auf den mittelaltrigen Standpunkt herabgesunken und hat seine »Abstraktion des politischen Staats als der Sphäre des Staats als Staats, das an und für sich Allgemeine« gänzlich aufgegeben.
Im modernen Sinn ist die Existenz der ständischen Versammlung die politische Existenz der bürgerlichen Gesellschaft, die Garantie ihres politischen Daseins. Das In-Zweifel-ziehn ihrer Existenz ist also der Zweifel am Dasein des Staats. Wie vorhin bei Hegel die »Staatsgesinnung«, das Wesen der gesetzgebenden Gewalt, ihre Garantie in dem »unabhängigen Privateigentum«, so findet ihre Existenz die Garantie an den »Privilegien der Korporationen«.
Aber das eine ständische Element ist vielmehr das politische Privilegium der bürgerlichen Gesellschaft, oder ihr Privilegium, politisch zu sein. Es kann also nirgends das Privilegium einer besondern, bürgerlichen Weise ihres[319] Daseins sein, noch weniger seine Garantie in ihm finden, da es vielmehr die allgemeine Garantie sein soll.
So sinkt Hegel überall dahin hinab, den »politischen Staat« nicht als die höchste, an und für sich seiende Wirklichkeit des sozialen Daseins zu schildern, sondern ihm eine prekäre, in Beziehung auf andres abhängige Wirklichkeit zu geben: Ihn nicht als das wahre Dasein der andern Sphäre zu schildern, sondern ihn vielmehr in der andern Sphäre sein wahres Dasein finden zu lassen. Er bedarf überall der Garantie der Sphären, die außer ihm liegen. Er ist nicht die verwirklichte Macht. Er ist die gestützte Ohnmacht, er ist nicht die Macht über diese Stützen, sondern die Macht der Stütze. Die Stütze ist das Mächtige.
Was ist das für ein hohes Dasein, dessen Existenz einer Garantie außer sich selbst bedarf, und dabei soll es das allgemeine Dasein dieser Garantie selbst sein; also ihre wirkliche Garantie. Hegel sinkt überhaupt überall in der Entwicklung der gesetzgebenden Gewalt von dem philosophischen Standpunkt auf den andren Standpunkt zurück, der die Sache nicht in bezug auf sich selbst betrachtet.
Wenn die Existenz der Stände einer Garantie bedarf, so sind sie keine wirkliche, sondern nur eine fiktive Staatsexistenz. Die Garantie für die Existenz der Stände ist in den konstitutionellen Staaten das Gesetz. Ihr Dasein ist also gesetzliches Dasein, vom allgemeinen Wesen des Staats und nicht von der Macht oder Ohnmacht einzelner Korporationen, Genossenschaften abhängig, sondern als Wirklichkeit der Genossenschaft des Staats. (Die Korporationen etc., die besondren Kreise der bürgerlichen Gesellschaft, sollen ja eben erst hier ihr allgemeines Dasein erhalten, und nun antizipiert Hegel wieder dies allgemeine Dasein als Privilegium, als das Dasein dieser Besonderheiten.)
Das politische Recht als Recht von Korporationen etc. widerspricht ganz dem politischen Recht als politischem, als Recht des Staats, des Staatsbürgertums; denn es soll ja eben nicht das Recht dieses Daseins als besondern Daseins sein, nicht das Recht als dies besondere Dasein.
Ehe wir nun die Kategorie der Wahl als des politischen Akts, wodurch sich die bürgerliche Gesellschaft in einen politischen Ausschuß sezerniert, übergehn, nehmen wir noch einige Bestimmungen aus der Anmerkung zu diesem Paragraphen hinzu.
»Daß Alle einzeln an der Beratung und Beschließung über die allgemeinen Angelegenheiten des Staats Anteil haben sollen, weil diese Alle Mitglieder des Staats und dessen Angelegenheiten die Angelegenheiten Aller sind, bei denen sie mit ihrem Wissen und Willen zu sein ein Recht haben –, diese Vorstellung, welche das demokratische[320] Element ohne alle vernünftige Form in den Staatsorganismus, der nur durch solche Form es ist, setzen wollte, liegt darum so nahe, weil sie bei der abstrakten Bestimmung, Mitglied des Staats zu sein, stehenbleibt, und das oberflächliche Denken sich an Abstraktionen hält.« [§ 308.]
Zunächst nennt es Hegel eine »abstrakte Bestimmung, Mitglied des Staats zu sein«, obgleich es selbst nach der Idee, der Meinung seiner eignen Entwicklung, die höchste konkreteste soziale Bestimmung der Rechtsperson, des Staatsmitgliedes ist. Bei der »Bestimmung, Mitglied des Staats zu sein«, stehnbleiben und den Einzelnen in dieser Bestimmung fassen, das scheint daher nicht eben das »oberflächliche Denken zu sein, das sich an Abstraktionen hält«. Daß aber die »Bestimmung, Mitglied des Staats zu sein«, eine »abstrakte« Bestimmung ist, das ist nicht die Schuld dieses Denkens, sondern der Hegelschen Entwicklung und der wirklichen modernen Verhältnisse, welche die Trennung des wirklichen Lebens vom Staatsleben voraussetzen und die Staatsqualität zu einer »abstrakten Bestimmung« des wirklichen Staatsmitgliedes machen.
Die unmittelbare Teilnahme Aller an der Beratung und Beschließung über die allgemeinen Staatsangelegenheiten nimmt nach Hegel »das demokratische Element ohne alle vernünftige Form in den Staatsorganismus, der nur durch solche Form ist«, auf; d.h. das demokratische Element kann nur als formelles Element in einen Staatsorganismus aufgenommen werden, der nur der Formalismus des Staats ist. Das demokratische Element muß vielmehr das wirkliche Element sein, das sich in dem ganzen Staatsorganismus seine vernünftige Form gibt. Tritt es dagegen als ein »besondres« Element in den Staatsorganismus oder -formalismus, so ist unter der »vernünftigen Form« seines Daseins die Dressur, die Akkommodation, eine Form verstanden, in der es nicht die Eigentümlichkeit seines Wesens herauskehrt, oder daß es nur als formelles Prinzip hereintritt.
Wir haben schon einmal angedeutet, Hegel entwickelt nur einen Staatsformalismus. Das eigentliche materielle Prinzip ist ihm die Idee, die abstrakte Gedankenform des Staats als ein Subjekt, die absolute Idee, die kein passives, kein materielles Moment in sich hat. Gegen die Abstraktion dieser Idee erscheinen die Bestimmungen des wirklichen, empirischen Staatsformalismus als Inhalt und daher der wirkliche Inhalt als formloser, unorganischer Stoff; (hier der wirkliche Mensch, die wirkliche Sozietät etc.).
Hegel hatte das Wesen des ständischen Elements darin gelegt, daß hierin die »empirische Allgemeinheit« zum Subjekt des an und für sich seienden Allgemeinen wird. Heißt das nun was andres, als daß die Angelegenheiten des Staats »Angelegenheiten Aller sind, bei denen sie mit ihrem Wissen und[321] Willen zu sein das Recht haben«, und sollen nicht eben die Stände dies ihr verwirklichtes Recht sein? Und ist es nun wunderbar, daß die Allen nun auch die »Wirklichkeit« dieses ihres Rechts wollen?
»Daß Alle einzeln an der Beratung und Beschließung über die allgemeinen Angelegenheiten des Staats Anteil haben sollen.«
In einem wirklich vernünftigen Staat könnte man antworten: »Es sollen nicht Alle einzeln an der Beratung und Beschließung über die allgemeinen Angelegenheiten des Staats Anteil haben«, denn die »Einzelnen« haben als »Alle«, d.h. innerhalb der Sozietät und als Glieder der Sozietät, Anteil an der Beratung und Beschließung über die allgemeinen Angelegenheiten. Nicht Alle einzeln, sondern die Einzelnen als Alle.
Hegel stellt sich selbst das Dilemma. Entweder die bürgerliche Gesellschaft (die Vielen, die Menge) nimmt durch Abgeordnete teil an der Beratung und Beschließung über die allgemeinen Staatsangelegenheiten, oder Alle tun dies [als die] Einzelnen. Es ist dies kein Gegensatz des Wesens, als welchen ihn Hegel später darzustellen sucht, sondern der Existenz, und zwar der äußerlichsten Existenz, der Zahl, womit immer der Grund, den Hegel selbst als »äußerlich« bezeichnet hat – die Menge der Glieder -, der beste Grund gegen die unmittelbare Teilnahme Aller bleibt. Die Frage, ob die bürgerliche Gesellschaft so teil an der gesetzgebenden Gewalt nehmen soll, daß sie entweder durch Abgeordnete eintritt oder so, daß »Alle einzeln« unmittelbar teilnehmen, ist selbst eine Frage innerhalb der Abstraktion des politischen Staats oder innerhalb des abstrakten politischen Staats; es ist eine abstrakte politische Frage.
Es ist in beiden Fällen, wie Hegel dies selbst entwickelt hat, die politische Bedeutung der »empirischen Allgemeinheit«.
Der Gegensatz in seiner eigentlichen Form ist: Die Einzelnen tun es Alle, oder die Einzelnen tun es als Wenige, als Nicht-Alle. In beiden Fällen bleibt die Allheit nur als äußerliche Vielheit oder Totalität der Einzelnen. Die Allheit ist keine wesentliche, geistige, wirkliche Qualität des Einzelnen. Die Allheit ist nicht etwas, wodurch er die Bestimmung der abstrakten Einzelnheit verlöre; sondern die Allheit ist nur die volle Zahl der Einzelnheit. Eine Einzelnheit, viele Einzelnheiten, alle Einzelnheiten. Das Eins, Viele, Alle – keine dieser Bestimmungen verwandelt das Wesen des Subjekts, der Einzelnheit.
»Alle« sollen »einzeln« an der »Beratung und Beschließung über die allgemeinen Angelegenheiten des Staats Anteil nehmen«; d.h. also: Alle sollen nicht als Alle, sondern als »einzeln« diesen Anteil nehmen.
Die Frage scheint in doppelter Hinsicht in Widerspruch mit sich zu stehn.[322]
Die allgemeinen Angelegenheiten des Staats sind die Staatsangelegenheit, der Staat als wirkliche Angelegenheit. Die Beratung und Beschließung ist die Effektuierung des Staats als wirklicher Angelegenheit. Daß also alle Staatsglieder ein Verhältnis zum Staat als ihrer wirklichen Angelegenheit haben, scheint sich von selbst zu verstehn. Schon in dem Begriff Staatsglied liegt, daß sie ein Glied des Staats, ein Teil desselben sind, daß er sie als seinen Teil nimmt. Wenn sie aber ein Anteil des Staats, so ist, wie sich von selbst versteht, ihr soziales Dasein schon ihre wirkliche Teilnahme an demselben. Sie sind nicht nur Anteil des Staates, sondern der Staat ist ihr Anteil. Bewußter Anteil von etwas sein, ist, sich mit Bewußtsein einen Teil von ihm nehmen, bewußten Anteil an ihm nehmen. Ohne dies Bewußtsein wäre das Staatsglied ein Tier.
Wenn man sagt: »die allgemeinen Angelegenheiten des Staats«, so wird der Schein hervorgebracht, daß die »allgemeinen Angelegenheiten« und der »Staat« etwas Verschiedenes sind. Aber der Staat ist die »allgemeine Angelegenheit«, also realiter die »allgemeinen Angelegenheiten«.
Teil an den allgemeinen Angelegenheiten des Staats und teil am Staat nehmen, ist also identisch. Daß also ein Staatsglied, ein Staatsteil teil am Staat nimmt und daß dieses Teilnehmen nur als Beratung oder Beschließung oder in ähnlichen Formen erscheinen kann, daß also jedes Staatsglied an der Beratung und Beschließung (wenn diese Funktionen als die Funktionen der wirklichen Teilnahme des Staats gefaßt werden) der allgemeinen Angelegenheiten des Staats teilnimmt. Ist eine Tautologie. Wenn also von wirklichen Staatsgliedern die Rede ist, so kann von dieser Teilnahme nicht als einem Sollen die Rede sein. Es wäre sonst vielmehr von solchen Subjekten die Rede, die Staatsglieder sein sollen und sein wollen, aber es nicht wirklich sind.
Andrerseits: wenn von bestimmten Angelegenheiten die Rede ist, von einem einzelnen Staatsakt, so versteht es sich wieder von selbst, daß nicht Alle einzeln ihn vollbringen. Der Einzelne wäre sonst die wahre Sozietät und machte die Sozietät überflüssig. Der Einzelne müßte alles auf einmal tun, während die Sozietät wie ihn für die andern, so auch die andern für ihn tun läßt.
Die Frage, ob Alle einzeln an der »Beratung und Beschließung der allgemeinen Angelegenheiten des Staats teilnehmen sollen«, ist eine Frage, welche aus der Trennung des politischen Staats und der bürgerlichen Gesellschaft hervorgeht.
Wir haben gesehn. Der Staat existiert nur als politischer Staat. Die Totalität des politischen Staats ist die gesetzgebende Gewalt. Teil an der gesetzgebenden Gewalt nehmen ist daher teil am politischen Staat nehmen, ist sein Dasein als Glied des politischen Staats, als Staatsglied beweisen und verwirklichen.[323] Daß also Alle einzeln Anteil an der gesetzgebenden Gewalt nehmen wollen, ist nichts als der Wille Aller, wirkliche (aktive) Staatsglieder zu sein oder sich ein politisches Dasein zu geben oder ihr Dasein als ein politische zu beweisen und zu effektuieren. Wir haben ferner gesehn, das ständische Element ist die bürgerliche Gesellschaft als gesetzgebende Gewalt, ihr politisches Dasein. Daß also die bürgerliche Gesellschaft massenweise, womöglich ganz, in die gesetzgebende Gewalt eindringe, daß sich die wirkliche bürgerliche Gesellschaft der fiktiven bürgerlichen Gesellschaft der gesetzgebenden Gewalt substituieren will, das ist nichts als das Streben der bürgerlichen Gesellschaft, sich politisches Dasein zu geben oder das politische Dasein zu ihrem wirklichen Dasein zu machen. Das Streben der bürgerlichen Gesellschaft, sich in die politische Gesellschaft zu verwandeln oder die politische Gesellschaft zur wirklichen Gesellschaft zu machen, zeigt sich als das Streben der möglichst allgemeinen Teilnahme an der gesetzgebenden Gewalt.
Die Zahl ist hier nicht ohne Bedeutung. Wenn schon die Vermehrung des ständischen Elements eine physische und intellektuelle Vermehrung einer der feindlichen Streitkräfte ist – und wir haben gesehn, die verschiedenen Elemente der gesetzgebenden Gewalt stehn sich als feindliche Streitkräfte gegenüber –, so ist dagegen die Frage, ob Alle einzeln Glieder der gesetzgebenden Gewalt sein oder ob sie durch Abgeordnete eintreten sollen, die In-Frage-Stellung des repräsentativen Prinzips innerhalb des repräsentativen Prinzips, innerhalb der Grundvorstellung des politischen Staats, der seine Existenz in der konstitutionellen Monarchie findet. 1. Ist es eine Vorstellung der Abstraktion des politischen Staats, daß die gesetzgebende Gewalt die Totalität des politischen Staates ist. Weil dieser eine Akt der einzige politische Akt der bürgerlichen Gesellschaft ist, so sollen und wollen Alle auf einmal an ihm teilnehmen. 2. Alle als Einzelne. Im ständischen Element ist die gesetzgebende Tätigkeit nicht als soziale, als eine Funktion der Sozialität betrachtet, sondern vielmehr als der Akt, wo die Einzelnen erst in wirklich und bewußt soziale Funktion, d.h. in eine politische Funktion treten. Die gesetzgebende Gewalt ist hier kein Ausfluß, keine Funktion der Sozietät, sondern erst ihre Bildung. Die Bildung zur gesetzgebenden Gewalt erheischt, daß alle Mitglieder der bürgerlichen Gesellschaft als einzelne sich betrachten, sie stehn wirklich als einzeln gegenüber. Die Bestimmung, »Mitglieder des Staats zu sein«. Ist ihre »abstrakte Bestimmung«, eine Bestimmung, die in ihrer lebendigen Wirklichkeit nicht verwirklicht ist.
Entweder findet Trennung des politischen Staats und der bürgerlichen Gesellschaft statt, dann können nicht Alle einzeln an der gesetzgebenden Gewalt teilnehmen. Der politische Staat ist eine von der bürgerlichen Gesellschaft [324] getrennte Existenz. Die bürgerliche Gesellschaft würde einerseits sich selbst aufgeben, wenn alle Gesetzgeber wären, andrerseits kann der ihr gegenüberstehende politische Staat sie nur in einer Form ertragen, die seinem Maßstabe angemessen ist. Oder eben die Teilnahme der bürgerlichen Gesellschaft durch Abgeordnete am politischen Staat ist eben der Ausdruck ihrer Trennung und nur dualistischen Einheit.
Oder umgekehrt. Die bürgerliche Gesellschaft ist wirkliche politische Gesellschaft. Dann ist es Unsinn, eine Forderung zu stellen, die nur aus der Vorstellung des politischen Staates als der von der bürgerlichen Gesellschaft getrennten Existenz, die nur aus der theologischen Vorstellung des politischen Staates hervorgegangen ist. In diesem Zustand verschwindet die Bedeutung der gesetzgebenden Gewalt als einer repräsentativen Gewalt gänzlich. Die gesetzgebende Gewalt ist hier Repräsentation in dem Sinne, wie jede Funktion repräsentativ ist, wie z.B. der Schuster, insofern er ein soziales Bedürfnis verrichtet, mein Repräsentant ist, wie jede bestimmte soziale Tätigkeit als Gattungstätigkeit nur die Gattung, d.h. eine Bestimmung meines eignen Wesens repräsentiert, wie jeder Mensch der Repräsentant des anderen ist. Er ist hier Repräsentant nicht durch ein anderes, was er vorstellt, sondern durch das, was er ist und tut.
Die »gesetzgebende« Gewalt wird nicht wegen ihres Inhaltes, sondern wegen ihrer formellen politischen Bedeutung angestrebt. An und für sich mußte z.B. die Regierungsgewalt viel mehr das Ziel der Volkswünsche sein als die gesetzgebende, die metaphysische Staatsfunktion. Die gesetzgebende Funktion ist der Wille, nicht in seiner praktischen, sondern in seiner theoretischen Energie. Der Wille soll hier nicht statt des Gesetzes gelten: sondern es gilt, das wirkliche Gesetz zu entdecken und zu formulieren.
Aus dieser zwiespältigen Natur der gesetzgebenden Gewalt, als wirklicher gesetzgebender Funktion und als repräsentativer, abstrakt-politischer Funktion, geht eine Eigentümlichkeit hervor, die sich vorzugsweise in Frankreich, dem Land der politischen Bildung, geltend macht.
(Wir haben in der Regierungsgewalt immer zwei, das wirkliche Tun und die Staatsräson dieses Tuns, als ein andres wirkliches Bewußtsein, das in seiner totalen Gliederung die Bürokratie ist.)
Der eigentliche Inhalt der gesetzgebenden Gewalt wird (soweit nicht die herrschenden Sonderinteressen in einen bedeutenden Konflikt mit dem objectum quaestionis geraten) sehr à part, als Nebensache behandelt. Besondere Aufmerksamkeit erregt eine Frage erst, sobald sie politisch wird, d.h. entweder[325] sobald eine Ministerfrage, also die Macht der gesetzgebenden Gewalt über die Regierungsgewalt, daran angeknüpft werden kann, oder sobald es sich überhaupt um Rechte handelt, die mit dem politischen Formalismus in Verbindung stehn. Woher diese Erscheinung? Weil die gesetzgebende Gewalt zugleich die Repräsentation des politischen Daseins der bürgerlichen Gesellschaft ist; weil das politische Wesen einer Frage überhaupt in ihrem Verhältnis zu den verschiednen Gewalten des politischen Staats besteht; weil die gesetzgebende Gewalt das politische Bewußtsein repräsentiert und dies sich nur im Konflikt mit der Regierungsgewalt als politisch beweisen kann. Diese wesentliche Forderung, daß jedes soziale Bedürfnis, Gesetz etc. politisch, d.h. als bestimmt durch das Staatsganze, in seinem sozialen Sinn eruiert werde, nimmt im Staat der politischen Abstraktion die Wendung, daß ihr eine formelle Wendung gegen eine andere Macht (Inhalt) außer ihrem wirklichen Inhalt gegeben werde. Das ist keine Abstraktion der Franzosen, sondern das ist die notwendige Konsequenz, weil der wirkliche Staat nur als der betrachtete politische Staatsformalismus existiert. Die Opposition innerhalb der repräsentativen Gewalt ist das kat' exochên politische Dasein der repräsentativen Gewalt. Innerhalb dieser repräsentativen Verfassung nimmt indessen die eruierte Frage eine andre Wendung, als in welcher Hegel sie betrachtet hat. Es handelt sich hier nicht, ob die bürgerliche Gesellschaft durch Abgeordnete oder Alle einzeln die gesetzgebende Gewalt ausüben sollen, sondern es handelt sich um die Ausdehnung und möglichste Verallgemeinerung der Wahl, sowohl des aktiven, als des passiven Wahlrechts. Das ist der eigentliche Streitpunkt der politischen Reform, sowohl in Frankreich als in England.
Man betrachtet die Wahl nicht philosophisch, d.h. nicht in ihrem eigentümlichen Wesen, wenn man sie sogleich in Beziehung auf die fürstliche oder Regierungsgewalt faßt. Die Wahl ist das wirkliche Verhältnis der wirklichen bürgerlichen Gesellschaft zur bürgerlichen Gesellschaft der gesetzgebenden Gewalt, zu dem repräsentativen Element. Oder die Wahl ist das unmittelbare, das direkte, das nicht bloß vorstellende, sondern seiende Verhältnis der bürgerlichen Gesellschaft zum politischen Staat. Es versteht sich daher von selbst, daß die Wahl das hauptsächliche politische Interesse der wirklichen bürgerlichen Gesellschaft bildet. In der unbeschränkten sowohl aktiven als passiven Wahl hat die bürgerliche Gesellschaft sich erst wirklich zu der Abstraktion von sich selbst, zu dem politischen Dasein als ihrem wahren allgemeinen wesentlichen Dasein erhoben. Aber die Vollendung dieser Abstraktion ist[326] zugleich die Aufhebung der Abstraktion. Indem die bürgerliche Gesellschaft ihr politisches Dasein wirklich als ihr wahres gesetzt hat, hat sie zugleich ihr bürgerliches Dasein, in seinem Unterschied von ihrem politischen, als unwesentlich gesetzt; und mit dem einen Getrennten fällt sein Andres, sein Gegenteil. Die Wahlreform ist also innerhalb des abstrakten politischen Staats die Forderung seiner Auflösung, aber ebenso der Auflösung der bürgerlichen Gesellschaft.
Wir werden der Frage der Wahlreform später unter einer anderen Gestalt begegnen, nämlich von der Seite der Interessen. Ebenso werden wir später die andren Konflikte erörtern, die aus der doppelten Bestimmung der gesetzgebenden Gewalt (einmal Abgeordneter, Mandatar der bürgerlichen Gesellschaft, das andere Mal vielmehr erst ihr politisches Dasein und ein eigentümliches Dasein innerhalb des politischen Staatsformalismus zu sein) hervorgehn.
Wir kehren einstweilen zu der Anmerkung zu unserm Paragraphen zurück.
»Die vernünftige Betrachtung, das Bewußtsein der Idee, ist konkret und trifft insofern mit dem wahrhaften praktischen Sinne, der selbst nichts Anderes als der vernünftige Sinn, der Sinn der Idee ist, zusammen.« »Der konkrete Staat ist das in seine besonderen Kreise gegliederte Ganze; das Mitglied des Staates ist ein Mitglied eines solchen Standes; nur in dieser seiner objektiven Bestimmung kann es im Staate in Betracht kommen.« [§ 308.]
Hierüber ist schon oben das Nötige gesagt.
»Seine« (des Staatsmitgliedes) »allgemeine Bestimmung überhaupt enthält das gedoppelte Moment, Privatperson und als denkendes ebensosehr Bewußtsein und Wollen des Allgemeinen zu sein; dieses Bewußtsein und Wollen aber ist nur dann nicht leer, sondern erfüllt und wirklich lebendig, wenn es mit der Besonderheit – und diese ist der besondere Stand und Bestimmung – erfüllt ist; oder das Individuum ist Gattung, hat aber seine immanente allgemeine Wirklichkeit als nächste Gattung.«
Alles das, was Hegel sagt, ist richtig, mit der Beschränkung, 1. daß er besondren Stand und Bestimmung als identisch setzt, 2. daß diese Bestimmung, die Art, die nächste Gattung auch wirklich, nicht nur an sich, sondern für sich, als Art der allgemeinen Gattung, als ihre Besonderung gesetzt sein müßte. Hegel aber begnügt sich im Staate, den er als das selbstbewußte Dasein des sittlichen Geistes demonstriert, daß dieser sittliche Geist nur an sich, der allgemeinen Idee nach, das Bestimmende ist. Zum wirklichen Bestimmen läßt er die Sozietät nicht kommen, weil dazu ein wirkliches Subjekt nötig ist und er nur ein abstraktes, eine Imagination hat.
§ 309. »Da die Abordnung zur Beratung und Beschließung über die allgemeinen Angelegenheiten geschieht, hat sie den Sinn, daß durch das Zutrauen solche Individuen[327] dazu bestimmt werden, die sich besser auf diese Angelegenheiten verstehen als die Abordnenden, wie auch, daß sie nicht das besondere Interesse einer Gemeinde, Korporation gegen das allgemeine, sondern wesentlich dieses geltend machen. Sie haben damit nicht das Verhältnis, kommittierte oder Instruktionen überbringende Mandatarien zu sein, um so weniger als die Zusammenkunft die Bestimmung hat, eine lebendige, sich gegenseitig unterrichtende und überzeugende, gemeinsam beratende Versammlung zu sein.«
Die Abgeordneten sollen 1. keine »kommittierte oder Instruktionen überbringende Mandataren sein«, weil »sie nicht das besondere Interesse einer Gemeinde, Korporation gegen das allgemeine, sondern wesentlich dies geltend machen« sollen. Hegel hat die Repräsentanten erst als Repräsentanten der Korporationen etc. konstruiert, um dann wieder die andere politische Bestimmung hereinzubringen, daß sie nicht das besondre Interesse der Korporation etc. geltend zu machen haben. Er hebt damit seine eigene Bestimmung auf, denn er trennt sie in ihrer wesentlichen Bestimmung als Repräsentanten gänzlich von ihrem Korporationsdasein. Er trennt damit auch die Korporation von sich als ihrem wirklichen Inhalt, denn sie soll nicht aus ihrem Gesichtspunkt, sondern aus dem Staatsgesichtspunkt wählen, d.h. sie soll in ihrem Nicht-Dasein als Korporation wählen. In der materiellen Bestimmung erkennt er also an, was er in ihrer formellen verkehrte, die Abstraktion der bürgerlichen Gesellschaft von sich selbst in ihrem politischen Akt, und ihr politisches Dasein ist nichts als diese Abstraktion. Hegel gibt als Grund an, weil sie eben zur Betätigung der »allgemeinen Angelegenheiten« gewählt werden; aber die Korporationen sind keine Existenzen der allgemeinen Angelegenheiten.
2. soll die »Abordnung den Sinn« haben, »daß durch das Zutrauen solche Individuen dazu bestimmt werden, die sich besser auf diese Angelegenheiten verstehen als die Abordnenden«, woraus abermals folgen soll, daß die Deputierten also nicht das Verhältnis der »Mandatarien« haben.
Daß sie dieses »besser« verstehn und nicht »einfach« verstehn, kann Hegel nur durch ein Sophisma herausbringen. Es könnte dies nur dann geschlossen werden, wenn die Abordnenden die Wahl hätten, die allgemeinen Angelegenheiten selbst zu beraten und zu beschließen oder bestimmte Individuen zu ihrer Vollziehung abzuordnen; d.h. eben wenn die Abordnung, die Repräsentation, nicht wesentlich zum Charakter der gesetzgebenden Gewalt der bürgerlichen Gesellschaft gehörte, was eben ihr eigentümliches Wesen, wie eben ausgeführt. In dem von Hegel konstruierten Staate ausmacht.
Es ist dies Beispiel sehr bezeichnend dafür, wie Hegel die Sache innerhalb ihrer Eigentümlichkeit halb absichtlich aufgibt und ihr in ihrer[328] bornierten Gestalt den entgegengesetzten Sinn dieser Borniertheit unterschiebt.
Den eigentlichen Grund gibt Hegel zuletzt. Die Deputierten der bürgerlichen Gesellschaft konstituieren sich zu einer »Versammlung«, und diese Versammlung ist erst das wirkliche politische Dasein und Wollen der bürgerlichen Gesellschaft. Die Trennung des politischen Staats von der bürgerlichen Gesellschaft erscheint als die Trennung der Deputierten von ihren Mandataren. Die Gesellschaft ordnet bloß die Elemente zu ihrem politischen Dasein von sich ab.
Der Widerspruch erscheint doppelt:
1. formell. Die Abgeordneten der bürgerlichen Gesellschaft sind eine Gesellschaft, die nicht durch die Form der »Instruktion«, des Auftrages mit ihren Kommittenten in Verbindung stehn. Sie sind formell kommittiert, aber sobald sie wirklich sind, sind sie nicht mehr kommittierte. Sie sollen Abgeordnete sein und sind es nicht.
2. materiell. In bezug auf die Interessen. Darüber hernach. Hier findet das Umgekehrte statt. Sie sind als Repräsentanten der allgemeinen Angelegenheiten kommittiert, aber sie repräsentieren wirklich besondre Angelegenheiten.
Bezeichnend ist, daß Hegel hier das Zutrauen als die Substanz der Abordnung bezeichnet, als das substantielle Verhältnis zwischen Abordnenden und Abgeordneten. Zutrauen ist ein persönliches Verhältnis. Es heißt darüber weiter in dem Zusatz:
»Repräsentation gründet sich auf Zutrauen, Zutrauen aber ist etwas Anderes, als ob ich als dieser meine Stimme gebe. Die Majorität der Stimmen ist ebenso dem Grundsatze zuwider, daß bei dem, was mich verpflichten muß, ich als dieser zugegen sein soll. Man hat Zutrauen zu einem Menschen, indem man seine Einsicht dafür ansieht, daß er meine Sache als seine Sache, nach seinem besten Wissen und Gewissen, behandeln wird.«
§ 310. »Die Garantie der diesem Zweck entsprechenden Eigenschaften und der Gesinnung – da das unabhängige Vermögen schon in dem ersten Teile der Stände sein Recht verlangt - , zeigt sich bei dem zweiten Teile, der aus dem beweglichen und veränderlichen Elemente der bürgerlichen Gesellschaft hervorgeht, vornehmlich in der durch wirkliche Geschäftsführung in obrigkeitlichen oder Staatsämtern erworbenen und durch die Tat bewährten Gesinnung, Geschicklichkeit und Kenntnis der Einrichtungen und Interessen des Staats und der bürgerlichen Gesellschaft und dem dadurch gebildeten und erprobten obrigkeitlichen Sinn und Sinn des Staats.«
Erst wurde die erste Kammer, die Kammer des unabhängigen Privateigentums für den Fürsten und die Regierungsgewalt als Garantie gegen die Gesinnung der zweiten Kammer als dem politischen Dasein der empirischen[329] Allgemeinheit konstruiert, und jetzt verlangt Hegel wieder eine neue Garantie, welche die Gesinnung etc. der zweiten Kammer selbst garantieren soll.
Erst war das Zutrauen – die Garantie der Abordner – die Garantie der Abgeordneten. Jetzt bedarf dies Zutrauen selbst wieder der Garantie seiner Tüchtigkeit.
Hegel hätte nicht übel Lust, die zweite Kammer zur Kammer der pensionierten Staatsbeamten zu machen. Er verlangt nicht nur »den Sinn des Staats«, sondern auch »obrigkeitlichen«, bürokratischen Sinn.
Was er hier wirklich verlangt, ist, daß die gesetzgebende Gewalt die wirkliche regierende Gewalt sein soll. Er drückt dies so aus, daß er die Bürokratie zweimal verlangt, einmal als Repräsentation der Fürsten und das andere Mal als Repräsentanten des Volkes.
Wenn in konstitutionellen Staaten auch Beamte zulässig sind als Deputierte, so ist dies nur, weil überhaupt vom Stand, von der bürgerlichen Qualität abstrahiert und die Abstraktion des Staatsbürgertums das Herrschende ist.
Hegel vergißt dabei, daß er die Repräsentation von den Korporationen ausgehn ließ und daß diesen direkt die Regierungsgewalt gegenübersteht. Er geht in diesem Vergessen, was er gleich in dem folgenden Paragraphen wieder vergißt, so weit, daß er einen wesentlichen Unterschied zwischen den Abgeordneten der Korporation und den ständischen Abgeordneten kreiert.
In der Anmerkung zu diesem Paragraphen heißt es:
»Die subjektive Meinung von sich findet leicht die Forderung solcher Garantien, wenn sie in Rücksicht auf das sogenannte Volk gemacht wird, überflüssig, ja selbst etwa beleidigend. Der Staat hat aber das Objektive, nicht eine subjektive Meinung und deren Selbstzutrauen zu seiner Bestimmung; die Individuen können nur das für ihn sein, was an ihnen objektiv erkennbar und erprobt ist, und er hat hierauf bei diesem Teile des ständischen Elements um so mehr zu sehen, als derselbe seine Wurzel in den auf das Besondere gerichteten Interessen und Beschäftigungen hat, wo die Zufälligkeit, Veränderlichkeit und Willkür ihr Recht sich zu ergehen hat.«
Hier wird die gedankenlose Inkonsequenz und der »obrigkeitliche« Sinn Hegels wirklich ekelhaft. Am Schlusse des Zusatzes zum früheren Paragraphen heißt es:
»Daß dieses« (sc. ihre oben beschriebene Aufgabe) »der Abgeordnete vollbringe und befördere, dazu bedarf es für die Wählenden der Garantie.«
Diese Garantie für die Wählenden hat sich unter der Hand in eine Garantie gegen die Wählenden, gegen ihr »Selbstzutrauen« entwickelt. In dem ständischen Element sollte die »empirische Allgemeinheit zum Moment« der »subjektiven formellen Freiheit« kommen. »Das öffentliche Bewußtsein«[330] sollte in ihm »als empirische Allgemeinheit der Ansichten und Gedanken der Vielen zur Existenz« kommen. (§ 301.)
Jetzt sollen diese »Ansichten und Gedanken« zuvor der Regierung eine Probe ablegen, daß sie »ihre« Ansichten und Gedanken sind. Hegel spricht hier nämlich dummerweise vom Staat als einer fertigen Existenz, obgleich er eben erst daran ist, im ständischen Element den Staat fertig zu konstruieren. Er spricht vom Staat als konkretem Subjekt, das »sich nicht an die subjektive Meinung und deren Selbstzutrauen stößt«, für den die Individuen erst sich »erkennbar« gemacht und »erprobt« haben. Es fehlt nur noch, daß Hegel ein Examen der Stände abzulegen bei der Wohllöblichen Regierung verlangt. Hegel geht hier fast bis zur Servilität. Man sieht ihn durch und durch angesteckt von dem elenden Hochmut der preußischen Beamtenwelt, die vornehm in ihrer Büroborniertheit auf das »Selbstzutrauen« der »subjektiven Meinung des Volks zu sich« herabsieht. Der »Staat« ist hier überall für Hegel identisch mit der »Regierung«.
Allerdings kann in einem wirklichen Staate das »bloße Zutrauen«, die »subjektive Meinung« nicht genügen. Aber in dem von Hegel konstruierten Staate ist die politische Gesinnung der bürgerlichen Gesellschaft eine bloße Meinung, eben weil ihr politisches Dasein eine Abstraktion von ihrem wirklichen Dasein ist; eben weil das Ganze des Staats nicht die Objektivierung der politischen Gesinnung ist. Wollte Hegel konsequent sein, so müßte er vielmehr alles aufbieten, um das ständische Element seiner wesentlichen Bestimmung gemäß (§ 301) als das Fürsichsein der allgemeinen Angelegenheit in den Gedanken etc. der Vielen, also eben ganz unabhängig von den andern Voraussetzungen des politischen Staats zu konstruieren.
Ebenso wie Hegel es früher als die Ansicht des Pöbels bezeichnete, den schlechten Willen bei der Regierung etc. vorauszusetzen, ebensosehr und noch mehr ist es die Ansicht des Pöbels, den schlechten Willen beim Volke vorauszusetzen. Hegel darf es dann auch bei den von ihm verachteten Theoretikern weder »überflüssig« noch »beleidigend« finden, wenn Garantien in Rücksicht auf den sogenannten Staat, den soi-disant Staat, die Regierung verlangt, Garantien verlangt werden, daß die Gesinnung der Bürokratie die Staatsgesinnung sei.
§ 311. »Die Abordnung, als von der bürgerlichen Gesellschaft ausgehend, hat ferner den Sinn, daß die Abgeordneten mit deren speziellen Bedürfnissen, Hindernissen, besonderen Interessen bekannt seien und ihnen selbst angehören. Indem sie nach der Natur der bürgerlichen Gesellschaft von ihren verschiedenen Korporationen ausgeht (§ 308) und die einfache Weise dieses Ganges nicht durch Abstraktionen und die atomistischen Vorstellungen gestört wird, so erfüllt sie damit unmittelbar jenen[331] Gesichtspunkt, und Wählen ist entweder überhaupt etwas Überflüssiges oder reduziert sich auf ein geringes Spiel der Meinung und der Willkür.«
Zunächst knüpft Hegel die Abordnung in ihrer Bestimmung als »gesetzgebende Gewalt« (§ 309, 310) an die Abordnung »als von der bürgerlichen Gesellschaft ausgehend«, d.h. an ihre repräsentative Bestimmung, durch ein einfaches »ferner« an. Die ungeheuren Widersprüche, die in diesem »ferner« liegen, spricht er ebenso gedankenlos aus.
Nach § 309 sollen die Abordnenden »nicht das besondere Interesse einer Gemeinde, Korporation gegen das allgemeine, sondern wesentlich dieses geltend machen«.
Nach § 311 gehn sie von den Korporationen aus, repräsentieren diese besondern Interessen und Bedürfnisse und lassen sich nicht durch »Abstraktionen« stören, als wenn das »allgemeine Interesse« nicht auch eine solche Abstraktion wäre, eine Abstraktion eben von ihren Korporations- etc. Interessen.
Nach § 310 wird verlangt, »daß sie durch wirkliche Geschäftsführung etc. sich obrigkeitlichen Sinn und den Sinn des Staats« erworben und bewährt haben. Im § 311 wird Korporations- und bürgerlicher Sinn verlangt.
In dem Zusatz zu § 309 heißt es: »Repräsentation gründet sich auf Zutrauen.« Nach § 311 ist »Wählen«, diese Realisierung des Zutrauens, diese Betätigung, Erscheinung desselben, »entweder überhaupt etwas Überflüssiges oder reduziert sich auf ein geringes Spiel der Meinung und der Willkür«.
Das, worauf sich die Repräsentation gründet. Ihr Wesen, ist also der Repräsentation »entweder überhaupt etwas Überflüssiges« etc. Hegel stellt also in einem Atem die absoluten Widersprüche auf: Die Repräsentation gründet sich auf Zutrauen, auf das Vertrauen des Menschen zum Menschen, und sie gründet sich nicht auf das Zutrauen. Das ist vielmehr eine bloße formelle Spielerei.
Das besondere Interesse ist nicht das Objekt der Vertretung, sondern der Mensch und sein Staatsbürgertum, das allgemeine Interesse. Andrerseits: Das besondere Interesse ist der Stoff der Vertretung, der Geist dieses Interesses ist der Geist des Repräsentanten.
In der Anmerkung zu diesem Paragraphen, den wir nun betrachten, werden diese Widersprüche noch greller durchgeführt. Das eine Mal ist die Repräsentation die Vertretung des Menschen, das andere Mal des besonderen Interesses, des besonderen Stoffes.
»Es bietet sich von selbst das Interesse dar, daß unter den Abgeordneten sich für jeden besonderen großen Zweig der Gesellschaft, z.B. für den Handel, für die Fabriken usf. Individuen befinden, die ihn gründlich kennen und ihm selbst angehören;[332] – in der Vorstellung eines losen, unbestimmten Wählens ist dieser wichtige Umstand nur der Zufälligkeit preisgegeben. Jeder solcher Zweig hat aber gegen den andern gleiches Recht, repräsentiert zu werden. Wenn die Abgeordneten als Repräsentanten betrachtet werden, so hat dies einen organisch vernünftigen Sinn nur dann, daß sie nicht Repräsentanten als von Einzelnen, von einer Menge seien, sondern Repräsentanten einer der wesentlichen Sphären der Gesellschaft, Repräsentanten ihrer großen Interessen. Das Repräsentieren hat damit auch nicht mehr die Bedeutung, daß Einer an der Stelle eines Andern sei, sondern das Interesse selbst ist in seinem Repräsentanten wirklichen gegenwärtig, so wie der Repräsentant für sein eigenes objektives Element da ist.
Von dem Wählen durch die vielen Einzelnen kann noch bemerkt werden, daß notwendig besonders in großen Staaten die Gleichgültigkeit gegen das Geben seiner Stimme, als die in der Menge eine unbedeutende Wirkung hat, eintritt, und die Stimmberechtigten, diese Berechtigung mag ihnen als etwas noch so Hohes angeschlagen und vorgestellt werden, eben zum Stimmgeben nicht erscheinen; – so daß aus solcher Institution vielmehr das Gegenteil ihrer Bestimmung erfolgt und die Wahl in die Gewalt Weniger, einer Partei, somit des besondern, zufälligen Interesses fällt, das gerade neutralisiert werden sollte.«
Die beiden Paragraphen 312 und 313 sind im früheren erledigt und keiner besonderen Besprechung wert. Wir setzen sie daher hierhin:
§ 312. »Von den zwei im ständischen Elemente enthaltenen Seiten (§ 305, 308) bringt jede in die Beratung eine besondere Modifikation; und weil überdem das eine Moment die eigentümliche Funktion der Vermittelung innerhalb dieser Sphäre und zwar zwischen Existierenden hat, so ergibt sich für dasselbe gleichfalls eine abgesonderte Existenz; die ständische Versammlung wird sich somit in zwei Kammern teilen.«
O Jerum!
§ 313. »Durch diese Sonderung erhält nicht nur die Reife der Entschließung vermittelst einer Mehrheit von Instanzen ihre größere Sicherung, und wird die Zufälligkeit einer Stimmung des Augenblicks, wie die Zufälligkeit, welche die Entscheidung durch die Mehrheit der Stimmenanzahl annehmen kann, entfernt, sondern vornehmlich kommt das ständische Element weniger in den Fall, der Regierung direkt gegenüber zu stehen, oder im Falle das vermittelnde Moment sich gleichfalls auf der Seite des zweiten Standes befindet, wird das Gewicht seiner Ansicht um so mehr verstärkt, als sie so unparteiischer und sein Gegensatz neutralisiert erscheint.«
[Abbruch der Handschrift][333]
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