1. Alle Kreaturen sind ein Fussstapfen Gottes.
2. Gott ist nicht ein Zerstörer der Natur, er vollbringt sie vielmehr.
3. Der Mensch kann nicht wissen, was Gott ist. Etwas weiss er wohl: was Gott nicht ist.
4. So gewaltig liebt Gott meine Seele, dass sein Wesen und sein Leben daran liegt, dass er mich lieben muss, es sei ihm lieb oder leid. Wer Gott das nähme, dass er mich liebt, der nähme ihm seine Gottheit.
5. Wer Gott seinen Willen gänzlich gibt, der fängt und bindet Gott, dass Gott nichts kann als was der Mensch will.
6. Erkenntnis kommt von Vergleichen. Weil also die Seele eine Möglichkeit hat, alle Dinge zu erkennen, darum ruht sie nimmer, bis sie in das erste Bild kommt, wo alle Dinge eins sind, und da ruht sie, das ist in Gott. In Gott ist keine Kreatur von anderm Rang als die andre. Die Meister sagen: Wesen und Erkenntnis sind ein und dasselbe.[205]
7. Gott ist nirgends. Gottes Geringstes, dessen ist alle Kreatur voll, und sein Grösstes ist nirgends.
8. Wäre nicht Gott in allen Dingen, die Natur wirkte oder begehrte in keinem Dinge etwas; denn es sei dir lieb oder leid, magst du es wissen oder nicht: die Natur in ihrem Innigsten sucht und meinet Gott. Nie würde ein Mensch, der Durst hat, so sehr nach etwas zu trinken begehren, wenn nicht etwas von Gott darin wäre. Die Natur meinte weder Essen noch Trinken, noch Kleider, noch Bequemlichkeit, noch sonst etwas, wenn nicht Gott darin wäre, und sie jagt und bohrt immer mehr danach, Gott darin zu finden.
9. Verginge das Bild, das nach Gott gebildet ist, so verginge auch das Bild Gottes.
10. Die Vernunft ist eindringend, sie begnügt sich nicht mit Güte oder Weisheit oder Wahrheit und auch nicht mit Gott selbst. Es ist gute Wahrheit, sie begnügt sich so wenig mit Gott wie mit einem Stein oder einem Baum.
11. So wahr das ist, dass Gott Mensch geworden ist, so wahr ist der Mensch Gott geworden.
12. Das ist Gottes Natur, dass er ohne Natur ist.[206]
13. Gott kann, was er will, darum hat er dich sich selbst völlig gleich gemacht und dich zu einem Bild seiner selbst gemacht. Aber »ihm gleich«, das klingt wie etwas Fremdes und etwas Entferntes; darum ist die Seele Gott nicht gleich, sie ist ganz und gar das Gleiche wie er und dasselbe was er ist. Ich weiss und kann nicht weiter, damit sei diese Rede zu Ende.
14. Wenn ich Gott nicht zwinge, dass er alles tut, was ich will, dann gebricht es mir entweder an Demut oder an Sehnsucht.
15. Wo sieht man Gott? Wo nicht Gestern noch Morgen ist, wo ein Heute ist und ein Jetzt, da sieht man Gott. Was ist Gott? Ein Meister spricht: Wenn das notwendig sein muss, dass ich von Gott rede, so sage ich, dass Gottes etwas ist, was kein Sinn begreifen oder erlangen kann: sonst weiss ich nichts von ihm. Ein anderer Meister sagt: Wer das von Gott erkennt, dass er unbekannt ist, der erkennt Gott. Wenn ich in Paris predige, so sage ich und darf es wohl sagen: alle hier in Paris können mit all ihrer Wissenschaft nicht begreifen, was Gott in der geringsten Kreatur, auch nur in einer Mücke, ist. Aber ich sage jetzt: die ganze Welt kann es nicht begreifen. Alles was man von Gott denken kann, das ist Gott ganz und gar nicht. Was Gott an sich selbst ist, dazu kann niemand kommen, der[207] nicht in ein Licht entrückt wird, das Gott selbst ist. Was Gott den Engeln ist, das ist gar fern und niemand weiss es. Was Gott in einer gottliebenden Seele ist, das weiss niemand als die Seele, in der er ist. Was Gott in diesen niedern Dingen ist, das weiss ich ein wenig, aber sehr schwach. Wo Gott in der Erkenntnis wohnt, da fällt alle natürliche Sinnlichkeit ab. Dass wir so in ein Licht entrückt werden, das Gott selber ist, um darin in Ewigkeit selig zu sein, das walte Gott, Amen.
16. Das Wort, das Augustin spricht: Was der Mensch liebt, das ist der Mensch, ist folgendermassen zu verstehen: Liebt er einen Stein, so ist er ein Stein, liebt er einen Menschen, so ist er ein Mensch, liebt er Gott – nun traue ich mich nicht weiter zu sprechen, denn sage ich, dass er dann Gott ist, so könntet ihr mich steinigen wollen.
17. Den gerechten Menschen ist es so ernst mit der Gerechtigkeit, dass sie, gesetzt den Fall, Gott: wäre nicht gerecht, nicht eine Bohne sich um Gott kümmerten.
18. Alle Liebe dieser Welt ist auf Eigenliebe gebaut. Hättest du die gelassen, so hättest du alle Welt gelassen.
19. Ich überlegte mir neulich, ob ich von Gott etwas nehmen oder begehren sollte. Ich will mich[208] gar sehr besinnen, denn wenn ich von Gott etwas nähme, so wäre ich unter Gott wie ein Knecht unter seinem Herrn durch das Geben. Aber so sollen wir nicht sein im ewigen Leben.
20. Einige einfältige Leute glauben, sie sollten Gott sehen, als stünde er da und sie hier. Dem ist nicht so. Gott und ich, wir sind im Erkennen eins. Nehme ich daher Gott in Liebe in mich, so gehe ich in Gott ein. Wir sollen ihn Erkennende sein, ich ihn wie er mich, nicht minder noch mehr, sondern einfach gleich.
21. Die Liebe nimmt Gott selbst wie er Gott ist; und diesem Namen entfiel Gott. Güte, Liebe kommt niemals vorwärts. Liebe nimmt Gott unter einem Fell, unter einem Kleid. Das tut nicht der Verstand: der Verstand nimmt Gott, wie er in ihm bekannt ist; da kann er ihn niemals begreifen im Meer seiner Grundlosigkeit.
22. Ein Meister, der aufs allerbeste von der Seele gesprochen hat, sagt, dass alle menschliche Wissenschaft niemals dahinter kommt, was die Seele sei. Da gehört übernatürliche Wissenschaft dazu. Es gehen die Kräfte von der Seele in die Werke hinaus. Davon wissen wir nichts, wir wissen wohl ein wenig davon, aber was die Seele im Grunde sei, davon weiss niemand etwas.
23. Eine Kraft ist in der Seele, der sind alle Dinge gleich süss; ja, das allerböseste und das[209] allerbeste, das ist alles gleich für diese Kraft, sie nimmt alle Dinge über hier und über jetzt. Jetzt, das ist die Zeit, und hier ist der Raum.
24. Ich überlegte mir einst (es ist noch nicht lange her): dass ich ein Mensch bin, das ist auch einem andern Menschen mit mir gemein; dass ich sehe und höre und esse und trinke, das tut auch ein anderes Tier; aber dass ich bin, das ist keines Menschen sonst als allein mein, weder eines Menschen noch eines Engels noch Gottes, ausser sofern ich eins mit ihm bin. Alles, was Gott wirkt, das wirkt er in dem Einen sich selbst gleich, und doch ist es in den Werken einander gar ungleich.
25. Wer in der Zeit sein Herz auf die Ewigkeit gestellt hat und in wem alle zeitlichen Dinge tot sind, da ist Vollendung der Zeit. Ich sprach einst: die freuen sich nicht allezeit, die sich freuen in der Zeit. Sankt Paulus spricht: »Freuet euch in Gott allezeit.« Der freuet sich allezeit, der sich da freut über Zeit und ohne Zeit. Drei Dinge hindern den Menschen, so dass er Gott in keiner Weise erkennen kann. Das erste ist Zeit, das zweite Körperlichkeit, das dritte Mannigfaltigkeit. Solange diese drei in mir sind, ist Gott nicht in mir und wirkt nicht eigenhaft in mir. Sankt Augustin sagt: es kommt von dem Geiz der Seele, dass sie viel begreifen und haben will, und sie greift in Zeit, in Körperlichkeit und in Mannigfaltigkeit[210] und verliert damit eben das was sie hat. Denn solange mehr und mehr in dir ist, kann Gott in dir niemals wohnen oder wirken. Diese Dinge müssen immer hinaus, wenn Gott hinein soll, es sei denn, du hättest sie in einer höheren und besseren Weise, dass aus Menge eins geworden wäre. Je mehr dann Mannigfaltigkeit in dir ist, um so mehr Einheit, denn das eine ist in das andere verwandelt. Ich sprach einst: Einheit eint alle Mannigfaltigkeit, aber Mannigfaltigkeit eint nicht Einheit. So wir überhoben werden über alle Dinge, und alles, was in uns ist, aufgehoben wird, so bedrückt uns nichts. Wäre ich rein gottmeinend, dass nichts über mir wäre als Gott, so wäre mir gar nichts schwer und ich würde nicht gar so bald betrübt.
26. Im Grunde der Seele ist die Kraft, die in den Augen wirkt, ebenso hoch im Rang wie der Verstand, und da ist der Fuss und das Auge gleich edel. Was die Seele in ihrem Grunde sei, das ward noch nie gefunden.
27. Die Meister sagen, dass die menschliche Natur mit der Zeit nichts zu tun habe, und dass sie ganz und gar unberührbar sei und dem Menschen viel inniger und näher sei als er sich selbst. Und darum nahm Gott menschliche Natur an und eignete sie seiner Person. Da ward menschliche Natur zu Gott, weil er bloss menschliche Natur[211] und keinen Menschen annahm. Willst du also selber Christus sein und Gott sein, so geh von alledem ab, was das ewige Wort sich nicht angenommen hat. Das ewige Wort nahm keinen Menschen an sich: darum geh ab von dem, was Mensch an dir ist und was du bist, und benimm dich bloss nach menschlicher Natur, so bist du dasselbe an dem ewigen Worte, was menschliche Natur an ihm ist. Denn deine menschliche Natur und seine hat keinen Unterschied: sie ist eins; denn was sie in Christus ist, das ist sie in dir.
28. Kein Ding ist Gott so sehr entgegengesetzt wie die Zeit.
29. »Er hatte keinen Namen.« So ist die Dreifaltigkeit der Gottheit ohne Namen; denn alle die Namen, die ihm die Seele gibt, die nimmt sie aus ihrem Verstande. Darüber sagt ein heidnischer Meister in dem Buche, das »Licht der Lichter« heisst: Gott ist überwesenhaft und übersprachlich und unverstandsam in Bezug auf das, was natürliches Verstehen ist.
30. Ein Meister sagt: Eins ist ein untersagendes Aussagen. Sage ich: Gott ist gut, da wird etwas beigelegt. Eins ist ein untersagendes Aussagen und ein wehrendes Begehren. Was meint Eins? Etwas, dem nichts beigelegt wird. Die Seele nimmt die Gottheit, wie sie in ihr geläutert ist, wo nichts beigelegt wird, wo nichts gedacht[212] wird. Eins ist Untersagen des Aussagens. Alle Kreaturen haben irgend ein Untersagen in sich; die eine sagt aus, dass es die andre nicht sei; ein Engel sagt aus, dass er nicht eine andere Kreatur sei. Aber Gott hat ein Untersagen alles Aussagens, er ist Eins und untersagt alles andere; denn nichts ist ausser Gott. Alle Kreaturen sind in Gott und sind die Gottheit seiner selbst und wollen ihn ausfüllen. Er ist ein Vater aller Gottheit. Darum eine Gottheit, weil nichts ausfliesst, und nirgends etwas daran rührt, und kein Wort gedacht wird. Damit, dass ich von Gott etwas aussage (sage ich von Gott Güte aus, so kann ich Gott nicht aussagen), damit dass ich von Gott etwas aussage, verstehe ich etwas unter ihm, was er nicht ist; eben das muss hinab. Gott ist Eins, er ist ein Untersagen des Aussagens.
31. Eine Ursache, warum es meiner unwürdig und mir zuwider wäre, Gott darum zu bitten, er möge mich gesund machen, ist, dass ich den reichen liebevollen freigebigen Gott nicht um eine solche Kleinigkeit bitten will und soll. Gesetzt, ich reiste hundert oder zweihundert Meilen zum Papste, und wenn ich vor ihm käme, spräche ich: »O Herr und heiliger Vater, ich bin mit grossen Kosten auf beschwerlichen Wegen zweihundert Meilen gereist, und bin hierher gekommen, um euch zu bitten, mir eine Bohne[213] zu schenken,« wahrlich, er selbst und jeder, der das hörte, sagte mit Recht, dass ich ein grosser Narr wäre. Nun ist das eine sichere Wahrheit, dass alles Gut, ja alle Kreatur gegen Gott weniger als eine Bohne ist. Darum verschmähte ich es mit Recht, wenn ich ein weiser und guter Mensch wäre, darum zu bitten, gesund zu werden.
32. Seneca, ein heidnischer Meister, spricht: Von grossen und hohen Dingen soll man mit grossen und hohen Sinnen sprechen und mit erhobener Seele. Auch soll man sagen, dass man solche Lehre nicht für Ungelehrte spreche oder schreibe. Dazu sage ich: wenn man ungelehrte Leute nicht lehrt, so wird niemals jemand gelehrt, so kann niemand lehren noch leben noch sterben; denn darum lehrt man die Ungelehrten, dass sie aus Ungelehrten gelehrt werden. Wäre nichts Neues, so würde nichts Altes.
33. Dem gemäss, dass die Gottheit in allen Dingen ist, ist sie die Seele aller Seelen. Die Gottheit ist die Seele der Kreatur.
34. Sankt Dionysius sagt: In Gott begraben werden ist nichts anderes als eine Ueberfahrt in das ungeschaffene Leben. Die Kraft, in der die Verwandlungen der Seele vor sich gehen, ist ihre Materie, und diese Kraft erkennt die Seele niemals bis auf den Grund, denn es ist Gott, und Gott verwandelt sich nicht: die Seele treibt ihre[214] Verwandlungen in seiner Kraft. Darüber sagt Sankt Dionysius: Gott ist ein Beweger der Seele. Darum ist die Form eine Offenbarung des Wesens. Darüber sagt Sankt Dionysius, Form sei das Etwas des Wesens. Materie ohne Form gibt es nicht. Darum ruht die Seele nimmer, bis sie in Gott kommt, der ihre erste Form ist. Da vereinigt sich die Seele mit Gott, wie die Speise mit dem Menschen: sie wird Auge in den Augen, und Ohr in den Ohren. So wird die Seele Gott in Gott: mit jeder göttlichen Kraft vereinigt sie sich so, wie die Kraft in Gott ist, und Gott vereinigt sich in der Seele so, wie jede Kraft in der Seele ist, und die zwei Naturen fliessen in einem Licht, und die Seele wird allwesend zunichte. Was sie ist, das ist sie in Gott. Die göttlichen Kräfte ziehen sie in sich, ohne hinzusehen, wie die Sonne alle Kreaturen anzieht, ohne hinzusehen.
Was Gott für sich selbst ist, das kann niemand begreifen. Gott ist für sich selbst in allen Dingen, Gott ist alle Dinge in allen Dingen und Gott ist jedem Dinge allzumal alle Dinge. So soll die Seele sein. Gott ist keinem Dinge völlig nichts, Gott ist für sich selbst nicht völlig nichts, Gott ist nichts, was man in Worte fassen kann. Hierüber sagt Sankt Dionysius, dass Gott für sich selbst alle Dinge sei, das heisst, dass er die Bilder aller Dinge trägt. Da trägt er sich in ein Nichts:[215] da sind alle Dinge Gott. Als wir nicht waren, da war Gott Hölle und Himmelreich und alle Dinge.
35. Wir wollen allen Dingen Geist sein, und alle Dinge sollen uns Geist sein im Geiste. Wir sollen alle Dinge erkennen und uns mit allen Dingen gotten.
36. So unmöglich es ist, dass Gott das Wesen verliert, das er ist, so unmöglich ist es, dass Gott sein ewiges Wort in Bildern oder in Lauten aussprechen kann.
37. Die göttlich Armen haben sich nicht allein von sich selbst befreit, sondern sie haben sich auch von Gott befreit, und sind so sehr frei von ihm, dass er keinen Platz in ihnen findet, wo er wirken könnte. Denn fände er einen Platz, worin er wirkte, so wäre der Platz eines und er ein anderes. Diese Menschen haben keinen Platz, und sie sind von aller zufälligen Form ganz und gar frei und bloss. Hier sind alle Menschen ein Mensch und eben dieser Mensch ist Christus. Davon sagt ein Meister, dass das Erdreich dieser Menschen nie entledigt ward und nie entledigt werden wird, denn der Mensch schliesst Himmel und Erde in sich. Wäre der Mensch nicht, so wären sie auch beide nicht.
38. Alle Kreaturen jagen Gott mit ihrer Liebe, denn es ist kein Mensch so unselig, dass er aus[216] Bosheit sündigte; sondern er tut es um seiner Lustgier willen. Es schlägt einer einen tot; das tut er nicht, um etwas Böses zu tun, sondern es dünkt ihn, er selbst käme, solange jener lebt, nimmer in sich selbst zum Frieden; darum will er in Frieden Lust suchen, denn Friede bringt Freude. So jagt alle Kreatur Gott mit ihrer Liebe, denn Gott ist die Liebe. So begehren alle Kreaturen der Liebe. Wäre ein Stein vernünftig, er müsste Gott mit seiner Liebe jagen. Wer einen Baum fragte, warum er seine Frucht trägt, wenn er Vernunft hätte, spräche er: dass ich mich in der Frucht erneuere, das tue ich, um mich von neuem meinem Ursprung zu nähern; denn dem Ursprung nahe sein, das ist lustvoll. Gott ist der Ursprung und ist Lust und Liebe.
39. Gott ist überall in der Seele und sie ist in ihm überall; also ist Gott ein All, und sie mit ihm ein Alles in Allem.[217]
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