II. Ursache – Würkung – Grund – Kraft.

[18] Ich fahre fort, der ersten Quelle unsrer Erkenntniß von würklichen Dingen nachzuspüren, ob ich gleich in Gefahr bin, euch durch Spitzfindigkeiten zu ermüden. Man muß die Subtilitäten alle, wenigstens einmal in seinem Leben, klauben und ins Reine bringen, wenn man den Schlingen der Sophistik entgehen will. Wir haben gesehn, daß die öftere Folge zweyer Erscheinungen aufeinander uns die gegründete Vermuthung gebe, daß sie mit einander in Verbindung stehen. Wir nennen die vorhergehende Erscheinung die Ursache, die folgende aber die Würkung; und sind überführt, daß sie sich beide in einen logischen Satz verbinden lassen, d.h. in dem Begriffe der Ursache, als Subject, wird etwas anzutreffen seyn, woraus sich die Würkung als Prädicat begreiflich machen läßt. Dieses etwas, oder das Merkmal in der Ursache aus welchem sich die Würkung folgern läßt, nennen wir den Grund; und sagen: jede Würkung sey in ihrer Ursache gegründet. Mit denselben Gründen der Wahrheit schließen wir von zweyen Erscheinungen, die sich einander begleiten, daß sie einer dritten gemeinschaftlichen Ursache untergeordnet seyn müssen, ohne zu entscheiden, ob mittelbar oder unmittelbar?

Man bemerke hier eine dreyfache Quelle der Erkenntniß. Auch das Thier erwartet in ähnlichen Fällen ähnliche Erfolge; aber nicht aus demselben Erkenntnißgrunde. Die bloße Association der Begriffe thut bey den Thieren in solchen Fällen eben das, was die Erfahrung bey dem gemeinen Haufen der Menschen, und bey den Weltweisen die Vernunft verrichtet. Auch das Thier z.B. scheuet sich, einer schiefliegenden Fläche sich anzuvertrauen, und fürchtet herabzuglitschen. Die öftere Wiederholung desselben Falles hat die Ideen in der thierischen Seele dermaßen mit einander verbunden, daß bey dem Anblick der schiefliegenden Fläche, die Idee des Sinkens und Herabglitschens die lebhafteste wird, und die Furcht erzeuget. Der Mensch hingegen wird nicht bloß von der lebhaft gewordenen Vorstellung regiert, sondern bildet sich aus den öfters gemachten Erfahrungen den allgemeinen Vernunftsatz: daß alle schwere Körper von schiefliegenden Flächen herabglitschen. Er vermuthet mit Grunde der Wahrheit, daß in der entwickelten Idee einer schiefen Fläche[18] etwas anzutreffen sey, woraus sich die Möglichkeit des Sinkens begreiflich machen läßt. Der Weltweise setzet die Erkenntniß des Grundes aus der Mechanik hinzu, und bringet den allgemeinen Satz näher zur reinen Vernunfterkenntniß.

In der Furcht, sich einer abschüssigen Fläche anzuvertrauen, die das Thier mit dem Menschen gemein hat, liegt ein förmlicher Schluß verborgen, der allmälig von der thierischen Erkenntniß bis zu einer reinen Vernunftwahrheit erhoben werden kann. Den Untersatz: dieses ist eine abschüssige Fläche, giebt der Sinn des Gesichts. Ohne weitere Entwickelung erwacht beym Thiere, vermöge der Ideenverbindung, die sich durch öfteres Wahrnehmen bey ihm festgesetzt hat, die Vorstellung des Falles, wird in seiner Seele zum herrschenden Begriff, und wirkt auf die Bewegungsfähigkeit. Die Vernunft aber findet hier mancherley zu entwickeln. Das Gesicht giebt uns die Erscheinung einer schiefen Fläche. – Wie, wenn das Gesicht uns täuschte? Unmöglich ist der Fall nicht; denn es hat uns öfters hintergangen. Allein die öftere Uebereinstimmung der Erscheinungen berechtigt uns zur Erwartung, daß sie, 1) in jedem andern Abstande, 2) in verschiedener Lage, und 3) durch verschiedene Sehungsmittel, die einer solchen Fläche zukommende Erscheinung nicht weniger geben; daß sie 4) auch dem Gefühle und jedem andern Sinne lebendiger Wesen, in so weit sie vom Räumlichen und Ausgedehnten unterrichten, nicht anders vorkommen und erscheinen werde; mit einem Worte, daß es nicht blos eine schiefe Fläche scheine, sondern wirklich sey. Wo so mancherley in so oft wiederhohlten Fällen, unter veränderten Umständen, dennoch übereinstimmet, da schließen wir auf einen außer uns befindlichen Gegenstand, der den Grund dieser Uebereinstimmung enthält. Die philosophische Erkenntniß thut hier zur gemeinen Evidenz weiter nichts hinzu, als daß sie sich nach den Grundsätzen der Vernunftkunst Rechenschaft zu geben sucht, mit welchem Recht wir dieses schließen; welchen Gebrauch wir hier von den Schlussesarten machen, die man Induktion und Analogie nennet.

Der Anblick der abschüssigen Fläche erwecket die Vorstellung des Herabglitschens, die so oft mit demselben verbunden gewesen. Der gedankenloseste Mensch läßt sich nicht blos von der lebhaft gewordenen Vorstellung regieren; sondern hat sich den Erfahrungssatz abgesondert: von einer schiefen Fläche u.s.w. davon er sich weiter[19] keinen Grund angiebt, als daß er es so oft gesehn. Aus der Wiederholung schließt er auf Verbindung und bildet sich einen allgemeinen Satz, dessen er sich in vorkommenden Fällen, als Obersatz bedienet. Lehrt ihn eine ähnliche Erfahrung z.B. daß man vermittelst des Keils die Körper leichter spalte, und vermittelst der Schraube leichter in Bewegung setzen könne; so sind ihm dieses einzelne Sätze, von denen er Gebrauch macht, ohne etwas Vernunftmäßiges weiter daran zu ahnden. Der Weltweise führet seine Erkenntniß weiter zurük und suchet sie, so viel er kann, mit reiner Vernunfterkenntniß zu verbinden. Er findet z.B. in diesen dreyen Erfahrungssätzen dieselben allgemeinen Gesetze der Natur, das Gesetz von der Schwere der Körper und Mittheilung der Bewegung, blos durch die Verschiedenheit der Figuren verschiedentlich abgeändert. Was die Abänderungen betritt, welche diese Naturgesetze durch die Figur der schiefen Fläche, des Keils und der Schraube leiden müssen; so erklärt er sich dieselben nach geometrischen Grundsätzen, d.i. nach den Gesetzen des Denkbaren und Nicht Denkbaren: und findet, daß Keil und Schraube mit der schiefliegenden Fläche aus demselben Grundsatz begreiflich zu machen sind. Von dieser Seite also ist seine Erkenntniß, reine Vernunftwahrheit. Er sieht die Verbindung zwischen Subject und Prädicat von dieser Seite wenigstens deutlich ein, ohne sich auf die Erwartung zu verlassen, zu der ihn die Erfahrung berechtigt.

Aber die allgemeinen Gesetze der Natur selbst, die Gesetze der Schwere und der Bewegung, auf welche wir diese besondren Fälle zurückgeführt haben, erkennen wir so wissenschaftlich, so rein vernünftig nicht, als wir die Folgen und Abänderungen derselben durch die vorliegende Figur, zu erkennen fähig sind. Die sinnlichen Erscheinungen und deren Uebereinstimmung haben uns auf ein Object schließen lassen, das den Grund derselben enthält. Dieses Object nennen wir Körper; aber die uns bekannten Merkmaale des selben reichen noch nicht hin auf eine allgemeine Schwere, oder überhaupt auf eine Kraft der Bewegung zu schließen, welche mit demselben in einen logischen Satz verbunden seyn soll. Die Sätze: Alle Körper haben eine Schwere: Alle Körper haben eine Kraft der Bewegung, welche sie sich auf diese oder jene Weise mittheilen können, diese allgemeinen Gesetze der Natur sind auch dem Weltweisen vor der Hand nur noch Erfahrungssätze, die er vermittelst[20] einer unvollständigen Induction allgemein gemacht hat; da sie allezeit unter ähnlichen Umständen wiederkamen, und niemals ausblieben, so schloß er auf eine innere Causalitätsverbindung zwischen Subject und Prädicat, ob er gleich diese Verbindung nicht deutlich einsehen kann. Die Vernunft half ihm blos die einzelnen Erfahrungssätze in allgemeine Gesetze der Natur verwandeln. Der Grund der allgemeinen Behauptung aber ist nicht wissenschaftlich, nicht reine Vernunfterkenntniß, sondern unvollständige Induction, welche die Stelle der reinen Vernunft vertreten muß.

Nicht, daß es dieser unvollständigen Induction an Ueberführungskraft oder Evidenz fehlen sollte; sie reicht vielmehr in vielen Fällen vollkommen zu, uns völlige Versicherung zu geben, und über allen Zweifel hinwegzusetzen. Ein jeder von uns erwartet mit ungezweifelter Gewißheit z.B., daß er sterben werde; ob gleich der Grund der Ueberzeugung blos unvollständige Induction ist. Niemand hat den mindesten Anstand, ein geheimes Geschäft, von welchem sein Leben oder seine Glückseligkeit abhängt, in Gegenwart eines Säuglings zu verrichten; ohne sich das Besorgniß irren zu lassen, von dem Kinde, oder von einem Hausthiere das ihn ansieht, verrathen zu werden. Worauf stützet sich hier die zweifellose Sicherheit? Nicht auf eine wissenschaftliche Vernunfterkenntniß; sondern blos auf unvollständige Induction, die aber der vollständigen so nahe kömmt, daß sie völlige Ueberzeugung zu geben hinreichend ist.

Dieselbe Bewandniß hat es mit unsrer Erkenntniß in der Seelenlehre und Moral. Sobald wir auf die Wissenschaft des Würklichen und Nicht Würklichen kommen, ist unsre Erkenntniß von vermischter Beschaffenheit. Zum Theil, unmittelbare Erfahrung, oder sinnliche Wahrnehmung desjenigen, so in uns selbst vorgeht: zum Theil, Vergleichung dieser unmittelbaren Beobachtungen, Entwickelung derselben, Bemerkung ihrer Aehnlichkeit, Zurückführung auf allgemeine Grundsätze, die sich bald auf Vernunft, bald auf vollständige oder unvollständige Induction gründen, und eine desto größere oder kleinere Ueberzeugung geben, je mehr oder weniger die Induction selbst vollständig ist. Diese Ueberzeugung kann auch hier zu einem solchen Grade der Evidenz heranwachsen, der keiner Bedenklichkeit weiter Raum läßt, und uns alle Sicherheit giebt, die wir von der reinen Vernunft nur immer erwarten können. Die Auseinandersetzung[21] desjenigen, so in dieser Verrichtung dem innern Sinne, der reinen Vernunft, oder der bloßen Erfahrung zuzuschreiben sey, ist ein Geschäft der Seelenlehre und der Moral, das wir hier nicht weiter verfolgen können. Wenn jener Macedonische Held die Arzeney aus der Hand seines Arztes, frey von allem Argwohn, so verdächtig ihm auch die Redlichkeit seines Freundes gemacht worden, ohne Anstand zu sich nahm, und zur bewährten Freundschaft ein so unbefangnes Zutrauen äußerte; so war seine sittliche Ueberzeugung von sehr vermischter Natur. Sie gründete sich zum Theil auf Kenntniß des Menschen überhaupt und der Würkung, welche die Bewegungsgründe auf den Willen desselben haben; zum Theil auf die Erfahrungen und Beobachtungen, die er selbst und andre von der Freundschaft gesammlet hatten; und endlich auf die wiederhohlten Proben der Rechtschaffenheit, die ihm der Weise gegeben, den die Verläumdung verdächtig machen wollte. Alle diese Erkenntnisse sind aus innern Wahrnehmungen, wissenschaftlicher Entwickelung derselben, öfteren Erfahrungen und daraus gebildeten Inductionen zusammengesetzt; und aus dem Inbegriff derselben erwuchs bey ihm eine so unbefangne, über alle Zweifel erhabene, feste Ueberzeugung, die selbst der mathematischen Evidenz wenig nachgiebet.

Alle Ueberzeugung also, die bey der Wissenschaft des Würklichen und Nicht Würklichen nicht reine Vernunfterkenntniß ist, gründet sich auf die Uebereinstimmung verschiedener Sinne, unter mancherley Umständen und Veränderungen, und auf den öftern Erfolg verschiedener sinnlicher Erscheinungen, auf und neben einander. Wir haben also den Grund zu untersuchen, mit welchem wir in diesen Fällen zu schließen berechtigt sind. In meiner Abhandlung von der Wahrscheinlichkeit habe ich dieses deutlich aus einander gesetzt, und die Wahrheitsgründe gezeigt, mit welchen wir uns durch Analogie und Induction in solchen Fällen für überzeugt halten. Ich will das Wesentliche davon, um des Zusammenhangs willen, hier kürzlich wiederhohlen; empfehle euch aber, zum bessern Verständnisse, die Durchlesung und genaue Prüfung der daselbst vorkommenden Gründe, welche uns in der Folge nützlich seyn werden.

Wenn die Merkmale eines Vorwurfs A unentschieden lassen, ob B ihm zukomme oder nicht, und dieses von äußern, zufälligen Bestimmungen abhängt, die sowohl den Bejahungs- als den Verneinungsfall hervorbringen können; so ist der Satz zweifelhaft, und hat für[22] und wider sich gleiche Grade der Wahrscheinlichkeit. Wenn die Schildseite einer Münze eben so wohl auffallen kann, als die Bildseite: und dieses von den zufälligen Bewegungen der Hand abhängt, die ich ihr unvorsetzlich gebe; so habe ich gleiches Recht für die eine, oder die andre Seite zu wetten. In vielen Würfen ist die Wahrscheinlichkeit, daß der eine Fall eben so oft eintreffen werde, als der andre; und zwey Spieler, davon der eine für die Schildseite, der andre für die Bildseite wettet, haben gleichen Grund der Hoffnung. Trifft in vielen Würfen immer derselbe Erfolg ein; so vermuthen wir einen inneren Bestimmungsgrund, der diesen Erfolg begünstiget. Wenn mein Gegenspieler in vielen Würfen immer dieselbe Münzseite aufwirft; so habe ich ihn in Verdacht, daß er den Ausgang nicht, nach den Regeln des Spiels, dem Zufalle überlassen: sondern durch eine geheime Wendung, die er der Münze zu geben weiß, vorsetzlich bestimmt habe. Mein Verdacht nimmt mit der Menge der Würfe zu. Lasset uns versuchen, den Grad meiner Vermuthung genauer anzugeben.

So viel Würfe, so viel Fälle hat mein Gegner wider sich. Da er darauf wettet, daß die Schildseite z.B. allezeit auffallen werde; so hat er in zweyen Würfen, zwey Fälle wider sich, und nur einen, in welchen er zu gewinnen hoffen kann. Er kann also eins setzen, daß in beyden Würfen die Schildseite; ich aber ihm zwey entgegen setzen, daß in einem derselben, die Bildseite auffallen werde. Seine Hoffnung zu gewinnen verhält sich also zur Gewißheit, wie eins zu drey; die meinige aber wie zwei zu drey. Wollten wir uns in den Einsatz theilen, ohne den Erfolg des Zufalls abzuwarten; so würde er 1/3, ich aber 2/3 desselben mit Recht verlangen können.

Wetteten wir auf 3 Würfe, so wäre seine Hoffnung wie 1:4; die Meinige aber, wie 3:4. Jeder Fall bringt für ihn einen Fall des Verlustes, so wie für mich einen Fall des Gewinnstes mehr; denn nach der Voraussetzung gewinne ich den Einsatz, wenn nur ein einziges Mahl die Bildseite auffällt. Seine Hoffnung aber ist immer nur der einzige Fall, in welchem allemahl die Schildseite auffällt. In hundert Würfen also ist meine Hoffnung = 100 : 101; die seinige aber = 1 : 101; und überhaupt in n Würfen, meine Hoffnung = n : n + 1; die Hoffnung meines Gegners aber = 1 : n + 1.

Wenn also der Ausgang für ihn gleichwohl günstig ist, so ist freylich der Fall möglich, daß er redlich zu Werke gegangen, und das[23] Spiel dem Zufalle überlassen habe. Die Wahrscheinlichkeit dieses Falles ist = 1: n + 1. Allein mit der Wahrscheinlichkeit = n : n + 1 läßt sich vermuthen, daß entweder in der Münze selbst, oder in der Wendung, die mein Gegner dem Wurfe heimlich gegeben, ein Grund der Uebereinstimmung anzutreffen sey, der jenen widervermuthlichen Fall hervorgebracht hat. Je größer die Anzahl der Würfe; desto kleiner ist das Verhältniß von 1 : n + 1; desto mehr verschwindet also die Hoffnung meines Gegners, und folglich desto größer wird die Vermuthung eines Uebereinstimmungsgrundes seyn, im Fall er glücklich ist. Völlig aber kann diese Vermuthung der Gewißheit nicht gleich kommen, wenn n nicht unendlich groß ist. Nur in diesem Falle wird 1 : n + 1 = 0: 1; das heißt, nur in diesem Falle ist meine Erwartung der völligen Gewißheit, und die Hoffnung meines Gegners dem Zero gleich. So lange aber n noch endlich ist, bleibt noch immer ein geringer Grad der Erwartung für meinen Gegner zurück; und die Voraussetzung eines Uebereinstimmungsgrundes, im Fall er glücklich ist, hat noch die unumstößliche Gewißheit nicht erreicht.

Auf diesen einfachen Gesetzen der Vermuthung beruht der größte Theil unsrer Erkenntnisse, die das Würkliche und Nicht Würkliche angehen.

Je öfter die Erscheinung B auf die Erscheinung A folgt, oder dieselbe begleitet; desto mehr Ursache haben wir, einen Verbindungsgrund zwischen ihnen anzunehmen. Wären sie blos von zufälligen Ursachen zusammengeführt worden, so konnte jedes Mahl, da der Versuch wiederhohlt ward, auch das Gegentheil sich zutragen. Veränderte Umstände würden Veränderung des Erfolgs zu Wege gebracht haben. Da dieses nicht geschähe; so vermutheten wir einen Verbindungsgrund, mit dem Grade der Ueberzeugung, der sich zur Gewißheit verhält, wie die Menge der beobachteten Fälle n, zu derselben Menge n + 1. Wenn also die Erscheinung B allezeit auf die Erscheinung A folget, so setzen wir den Grund der Verbindung in die beständigen Eigenschaften des A; denn die veränderlichen Eigenschaften würden abermals das Gegentheil nicht ausschließen. Wir vermuthen also, die inneren, beständigen Eigenschaften des A haben die Erscheinung B hervorgebracht; d.h. wir schließen auf Causalitätsverbindung: nennen A die Ursache, B die Würkung: und die beständigen Eigenschaften des A, oder das Fortdauernde in demselben,[24] nennen wir Kraft. Wenn wir die Körper haben sich ausdehnen sehn, so oft sie dem Feuer näher gebracht worden sind, so setzen wir den Verbindungsgrund der Ausdehnung, in die beständigen Eigenschaften des Feuers; eignen dem Feuer eine Kraft zu, die Körper auszudehnen; und erwarten eben diesen Erfolg, von dem Feuer und den Körpern, von welchen wir es noch nicht erfahren haben. Der Grad der Gewißheit nimmt mit der Menge der beobachteten Fälle zu; und ist, wenn die Anzahl der Fälle sehr groß ist, wie wir gesehen, von der vollkommnen Evidenz nur unmerklich unterscheiden.

Zwey Erscheinungen, die sich beständig begleiten, halten wir (mit eben dem Rechte) für die mittelbare oder unmittelbare Würkung einer gemeinschaftlichen Ursache; und erwarten die eine, so oft wir die andre wahrnehmen. Die Farbe und das Gefühl des Brodts ist so oft mit diesem Geschmacke, mit diesem Einfluß auf die Nahrung unsers Körpers, verbunden bemerkt worden, daß wir mit Recht beides für die Folgen einer innern Beschaffenheit des Brodtes halten; und von jedem Brodte, das wir sehen und fühlen, auch denselben Geschmack und dieselbe Nahrung erwarten. Die innere Beschaffenheit, vermöge welcher das Brodt diese ihm zugeschriebene Würkungen hervorbringet, nennen wir die Kraft desselben.

Dieses ist die Quelle aller von uns angenommenen Gesetze der Natur. Es sind allgemeine Sätze, in welche wir die besonders beobachteten oder geschlossenen Causalitätsverbindungen gebracht haben, durch deren Anwendung wir in jedem vorkommenden Fall auf den Erfolg rechnen. Aehnliche Subjecte werden durch den innern Verbindungsgrund auch ähnliche Prädikate haben. So ist das Gesetz der Schwere ein Gesetz der Natur, d.i. ein allgemeiner Satz, in welchen wir alle beobachteten Verschiedenheiten im Fallen und Steigen der Körper, zu bringen gewußt haben. Mit diesem Naturgesetze verbinden die Newtone, Galiläi und andre Erfinder die Lehrsätze des Denkbaren und Nicht Denkbaren; das heißt, sie machen Anwendung von den Lehrsätzen der Mathematik und Logik auf das Gesetz der Schwere, erfinden die ganze Theorie von der Gravitation der Körper, und bereichern unsre Erkenntnisse auf eine Weise, die alle Erwartung übertrifft.

Wenn verschiedene Vorfälle a, b, c, d, aus einer und eben der Quelle e, und wiederum aus eben so mancherley Quellen herzuleiten sind; so ist es wahrscheinlicher, daß sie eine gemeinschaftliche Quelle[25] haben, und diese Wahrscheinlichkeit nimmt abermals mit der Menge der Vorfälle zu, und kann der Gewißheit sehr nahe gebracht werden. Ich sehe, daß eine Menge von Menschen nach einer gewissen Gegend hinlaufen, oder wenigstens ihr Auge dahin richten. Jeder derselben kann seine besondere Ursachen haben. Allein die Uebereinstimmung vieler, läßt mich auf einen gemeinschaftlichen Grund schließen. Ich beobachte viele Handlungen eines Menschen. Jede derselben ließe sich allenfalls aus andern Bewegungsgründen herleiten. Wenn ich ihm aber z.B. Ehrgeitz zuschreibe, so lassen sich alle sehr natürlich begreifen. Ich schließe daher mit einem Grade der Wahrscheinlichkeit, die mit der Menge der beobachteten Handlungen zunimmt: der Mensch sey ehrgeitzig.

Auf diesem Grunde beruht die Lehre von den Hypothesen und ihrer Wahrhaftigkeit. Je mehr Naturbegebenheiten und je mannichfaltigere, sich aus einer Voraussetzung begreifen lassen; ferner, Je einfacher die Voraussetzung ist, durch welche dieses geschehen kann; desto mehr Vermuthungsgrund oder Wahrscheinlichkeit hat diese Voraussetzung für sich, mit desto größerm Rechte wird sie als wahr angenommen. Man sollte glauben, dieser Probierstein der Hypothesen könne nur alsdann gelten, wenn wir die Einrichtung der Welt einer vernünftigen und weisen Ursache zuschreiben, die zu Erreichung ihrer Absicht die kürzesten Mittel gewählt haben muß. Nur in diesem Falle, schreibt ein Sophist neuerer Zeiten, habt ihr ein Recht, eine einfache Einrichtung der zusammengesetzten vorzuziehn; und der Weisheit zuzutrauen, daß sie Vieles mit Wenigem werde auszurichten gewußt haben. Euer Probierstein der Hypothesen ist also selbst eine Hypothese. Allein nach obigen Begriffen ist diese Hypothese hier nicht nöthig, so sehr wir auch sonst von ihrer Gewißheit überführt sind. Es ist der Natur des menschlichen Verstandes gemäß, eine bemerkte Uebereinstimmung nicht dem blinden Zufalle zuzuschreiben; sondern allenthalben, wo Mannichfaltiges zusammenstimmt, auch Grund der Zusammenstimmung zu suchen. Die Wahrscheinlichkeit mit welcher wir diesen Uebereinstimmungsgrund annehmen, nimmt mit der Mannichfaltigkeit des Uebereinstimmenden von der einen Seite, so wie von der andern mit der Einfachheit der Uebereinstimmung, an Ueberzeugungskraft zu; und kann, wie wir gesehen, der höchsten Evidenz so nahe kommen, daß ihr Unterschied nicht mehr bemerklich ist. Mannichfaltige Naturerscheinungen,[26] die sich aus einer einfachen Voraussetzung erklären lassen, geben eine Uebereinstimmung zu erkennen, deren Grund wir in dieser Hypothese finden. Ist diese Hypothese nicht die wahre; gäbe es keinen gemeinschaftlichen Grund, und die verschiedenen Erscheinungen müßten würklich aus eben so verschiedenen Hypothesen erkläret werden; so wäre die Uebereinstimmung derselben ein bloßer Zufall, und es ist der Natur der Dinge so wie der menschlichen Vernunft; es ist den Gesetzen, nach welchen wir der Wahrheit Beyfall geben und das Wahrscheinliche dem Unwahrscheinlichen vorziehen, es ist ihnen zuwider, dem Zufall dieses zuzutrauen; durch das Gerathewohl Uebereinstimmung entstehn zu lassen.[27]

Quelle:
Moses Mendelssohn. Gesammelte Schriften. Band 3.2, Berlin 1929 ff. [ab 1974: Stuttgart u. Bad Cannstatt], S. 18-28.
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