7. Stufen des Verfalls

[176] Mong Dsï sprach: »Die fünf Bundeshäupter13 waren Verbrecher an den drei Königsgeschlechtern, die heutigen Landesfürsten sind Verbrecher an den fünf Bundeshäuptern, die heutigen herrschenden Familien sind Verbrecher an den heutigen Landesfürsten.

In alter Zeit ging der Großkönig in die Gebiete der Landesfürsten[176] zur Inspektion, die Fürsten kamen an den Hof des Großkönigs zum Bericht über ihre Amtsführung. Im Frühling wurde das Pflügen kontrolliert, und wem es an Samen fehlte, der wurde unterstützt. Im Herbst wurde die Ernte kontrolliert, und wer zu wenig geerntet hatte, dem wurde geholfen. Wenn der Großkönig in ein Gebiet kam, wo Neuland in Angriff genommen wurde, die Felder und Wiesen gut bestellt, die Alten gepflegt, die Weisen geehrt wurden und hervorragende Männer auf den wichtigen Posten saßen, so ward der Fürst belohnt. Der Lohn bestand in einer Erweiterung seines Gebiets. Wenn der Großkönig dagegen in ein Land kam, wo das Feld brach und mit Unkraut bedeckt lag, die Alten verlassen, die Weisen verloren waren und harte und habgierige Leute auf den wichtigen Posten saßen, so ward der Fürst gerügt. Wenn ein Fürst einmal versäumte, zu Hof zu gehen, so ward er im Rang erniedrigt; wenn er es zweimal unterließ, so wurde sein Gebiet beschnitten; wenn er das dritte Mal nicht erschien, so entfernten ihn die Heere des Reiches aus seinem Lehen. Darum verfügte der Großkönig die Strafe, aber er griff nicht selber an. Die Nachbarfürsten griffen – den Schuldigen – an, aber sie verfügten nicht seine Bestrafung.

Die fünf Bundeshäupter dagegen schleppten die Landesfürsten mit sich, um andere Landesfürsten anzugreifen. Darum sage ich, daß die fünf Bundeshäupter Verbrecher waren an den drei Königsgeschlechtern.

Unter den fünf Bundeshäuptern nun war der Fürst Huan von Tsi der bedeutendste. Er versammelte die Fürsten um sich auf dem Reichstag von Malvenberg. Er ließ das Opfertier binden und legte ihm die Worte des Bundes auf das Haupt, ohne jedoch zu verlangen, daß die Fürsten sich den Mund mit dem Blut bestrichen14. Das erste Gebot dieses Bundes hieß: Die widerspenstigen Söhne sollen ausgerottet werden. Kein rechtmäßiger Erbe soll beiseite gesetzt werden, keine Nebenfrau die Hauptfrau verdrängen dürfen. Das zweite Gebot lautete: Die Weisen sollen geehrt, die Begabungen gepflegt und so geistiger Wert ausgezeichnet werden. Das dritte Gebot lautete: Das Alter soll man ehren, die Jugend lieben, und Fremdlinge und Gäste soll man nicht vergessen. Das vierte Gebot lautete: Der niedrige Adel soll keine erblichen Ämter haben, es sollen nicht mehrere Ämter in einer Hand vereinigt sein, bei der Auswahl der Leute suche man die geeignetsten zu finden, ein Mann aus einem herrschenden Geschlecht soll nicht eigenmächtig getötet werden. Das fünfte[177] Gebot lautet: Es sollen keine Flußdämme zum Schaden des Nachbarn angelegt, es soll der Verkauf von Korn nicht behindert werden, es sollen keine Afterlehen ohne Anzeige errichtet werden.

Dann sprachen sie: ›Wir Eidgenossen alle wollen, nachdem wir diesen Eid geschworen, ausdrücklich in Fried und Freundschaft leben.‹

Die Landesfürsten nun von heute übertreten diese fünf Gebote; darum sage ich: die heutigen Landesfürsten sind Verbrecher an den fünf Bundeshäuptern.

Wer das Böse eines Fürsten fördert, dessen Verbrechen ist noch klein; wer aber dem Bösen seines Fürsten entgegenkommt, dessen Verbrechen ist groß. Die herrschenden Familien nun von heute kommen alle dem Bösen ihrer Fürsten entgegen; darum sage ich: die heutigen herrschenden Geschlechter sind Verbrecher an den heutigen Landesfürsten.«

Quelle:
Mong Dsï: Die Lehrgespräche des Meisters Meng K'o. Köln 1982, S. 176-178.
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