Fünfundzwanzigstes Kapitel
Die Heiden gaben Gott im Verhältnisse zu den Geschöpfen verschiedene Namen

[29] Die Heiden benannten Gott nach den verschiedenen Verhältnissen zu den Geschöpfen. Jupiter nannten sie ihn wegen seiner bewunderungswürdigen Güte (propter mirabilem pietatem). Julius Firmicus sagt[29] nämlich, Jupiter sei ein so günstiges Gestirn, daß, wenn er allein im Himmel regierte, die Menschen unsterblich wären. Saturn heißt Gott wegen der Tiefe der Gedanken und der Erfindungen in dem, was zum Leben nothwendig ist, Mars von den Siegen im Kriege, Merkur wegen der Klugheit im Rathe, Venus wegen der die Natur erhaltenden Liebe, Sonne wegen der Stärke der Bewegungen in der Natur, Mond wegen der Erhaltung der zum Leben nothwendigen Feuchtigkeit, Cupido wegen der Einheit beider Geschlechter, weßhalb man ihn auch die Natur nannte, weil er durch das Geschlechtliche die Gattungen der Dinge enthält. Hermes sagt, Alles, sowohl Lebendes als nicht Lebendes, sei doppelten Geschlechts, weßhalb die Ursache von Allem, Gott, männliches und weibliches Geschlecht in sich enthalte, wovon Cupido und Venus die äußere Erscheinung sei. In gleichem Sinne besang der Römer Valerius den allmächtigen Jupiter als die zeugende und gebährende Gottheit (genitorem genitricemque Deum). Daher nannte er auch Cupido, sofern nämlich ein Wesen nach dem andern begehrt (cupit), die Tochter der Venus, d.i. der natürlichen Schönheit. Die Venus nannten sie die Tochter des allmächtigen Jupiters, von dem die Natur und Alles, was mit ihr gegeben ist, herstammt. Auch die Tempel des Friedens, der Ewigkeit und der Eintracht, das Pantheon, in dem ein Altar des Unendlichen (termini infiniti), der keine Grenze hat, in der Mitte unter freiem Himmel errichtet war, und ähnliche Erscheinungen zeigen uns, daß die Heiden Gott nach dem Verhältnisse zu den Geschöpfen verschieden benannt haben. Alle diese Namen sind nur die Entfaltung des Einen unaussprechlichen Namens, und sofern der eigentlich Gott zukommende Name unendlich ist, faßt er unzählige solche den besondern Vollkommenheiten entnommene Namen in sich. Daher ist auch die Entfaltung dieses Namens eine vielfache, die immer der Vermehrung fähig ist, und jeder einzelne Name verhält sich zu dem eigentlichen und unaussprechlichen Namen wie das Endliche zum Unendlichen.

Die Heiden verlachten die Juden, welche den Einen unendlichen Gott, den sie nicht kannten, anbeteten, und doch verehrten sie selbst ihn in der Entfaltung seines Wesens (quem tamen ipsi in explicationibus venerabantur), da sie ihn verehrten, wo immer sie seine göttlichen Werke erblickten. Der Unterschied im ganzen Menschengeschlechte bestand damals darin, daß Alle an den Einen größten Gott, über dem es keinen größern gibt, glaubten, den die Einen, wie die Juden und Sissennier, in seiner einfachsten Einheit, als den Inbegriff (complicatio) aller Dinge, die Andern dagegen da verehrten, wo sie die Entfaltung seiner Gottheit wahrnahmen, wobei sie das für die Sinne Bekannte als einen Wegweiser zu der Ursache und dem Princip nahmen (recipiendo notum sensibiliter[30] pro manuductione ad causam et principium). Auf der letzten Stufe (in hac ultima via) dieses Weges gerieth das schlichte Volk in Irrthum, das die Entfaltung (der Gottheit) nicht als Bild, sondern als Wahrheit nahm, wodurch der Götzendienst im Volke sich ausbildete, während die Verständigeren in der Regel über die Einheit Gottes richtig dachten. Das ist Jedem bekannt, der Tullius (Cicero) über die Natur der Götter und die alten Philosophen mit Aufmerksamkeit gelesen hat. Wir stellen indeß nicht die Abrede, daß einige Heiden nicht eingesehen haben, daß Gott, das Sein der Dinge, in andere Weise existire, denn als eine bloße Abstraction außerhalb der Dinge, wie z.B. die erste Materie außerhalb der Dinge nur als eine Abstraction existirt (Non negamus tamen, quosdam ex paganis non intellexisse, Deum, cum sit entitas rerum, aliter, quam per abstractionem extra res esse, sicut prima materia extra res nonnisi per abstrahentem intellectum existit). Diese haben Gott in den Geschöpfen angebeten und den Götzendienst auch philosophisch begründet (rationibus astruebant). Einige glaubten auch, man könne Gott in etwas hineinzaubern (Deum devocabilem putarunt), wie denn die Sissannier ihn in Engel hineinzauberten; die Heiden zauberten ihn in Bäume hinein, nach dem, was man von dem Sonnen- und Mondsbaume liest. Andere zauberten ihn durch bestimmte Zauberformeln in Luft, Wasser oder Tempel. In welch großer Täuschung sie alle waren und wie weit von der Wahrheit entfernt, geht aus dem oben Gezeigten hervor.

Quelle:
Des Cardinals und Bischofs Nicolaus von Cusa wichtigste Schriften. Freiburg im Breisgau 1862, S. 29-31.
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