Achtes Buch

[288] Gut also! Über diese Punkte sind wir nun einverstanden, mein lieber Glaukon: erstlich in dem dereinst vollkommen einzurichtenden Staate sind gemeinschaftlich Frauen, Kinder[288] und die ganze Erziehung; zweitens ebenso gemeinschaftlich ihre Beschäftigungen im Kriege wie im Frieden; drittens ihre Könige sind die, welche sowohl in der wahren Wissenschaft wie in dem praktischen Kriegswesen als die Besten geraten sind.

Ja, sagte er, darüber sind wir einverstanden.

Ferner auch über folgende Punkte haben wir uns verständigt: Wenn die Regenten einmal auf die erwähnte Weise eingesetzt sind, so nehmen sie die Krieger und verlegen sie in die vorhin beschriebenen Wohnungen, nämlich in solche, die für keinen etwas Eigenes haben, sondern allen gemeinschaftlich sind; und außer solchen Wohnungen sind wir auch hinsichtlich der Besitztümer, wenn du dich erinnerst, einig geworden, wie sie bei ihnen sein sollen.

Ja, ich erinnere mich, sagte er, daß nach unserer Meinung keiner etwas von den Besitztümern haben solle, die heutzutage die übrige Welt hat: sondern sie sollten als kunstgerechte Kriegskämpfer und Staatswächter als Lohn für ihr Wachen jährlich die hierzu nötige Nahrung von den übrigen bekommen und für nichts weiter besorgt sein als für das Heil ihrer Seelen und für das des übrigen Staates.

Richtig bemerkt, sagte ich; aber nachdem wir hierüber im reinen sind, wohlan, laß uns weiter erinnern, von wo aus wir von der Hauptaufgabe hierher abgeschweift sind, damit wir wieder auf demselben Wege weitergehen können!

Das ist gar nicht schwer, erwiderte er: denn du tatest in deinem Vortrage etwa gerade wie jetzt, als hättest du die Darstellung des Staates vollendet, und du bemerktest, du hättest an dem so beschaffenen Staate, wie du ihn damals beschriebest, ein vollkommenes Ideal aufgestellt, und ebenso eines an dem jenem verwandten Individuum, obgleich du, wie die Folge gezeigt hat, einen noch vollkommeneren Staat und ein noch vollkommeneres Individuum hättest hinstellen können; und wenn dieses der wahre Staat sei, so seien im Gegensatze zu diesem nun die übrigen offenbar die verfehlten. Der übrigen Staatsverfassungen gebe es aber, soweit ich mich erinnere, nach deiner Ansicht vier Hauptarten, worüber es der Mühe wert wäre, einen Begriff zu haben und ihre Fehler zum Gegenstand einer wissenschaftlichen Betrachtung zu machen, und ebenso gebe[289] es vier Hauptarten der jenen Verfassungen entsprechenden individuellen Menschencharaktere, und diese möchten wir sämtlich in der Absicht betrachten, damit wir, nach beiderseitigem Einverständnisse über den besten und schlechtesten Menschen, darauf die zweite Hauptuntersuchung anstellen, ob der beste der glücklichste und der schlechteste der elendeste sei, oder ob es sich anders verhalte. Und als ich darauf fragte, welche Verfassungen du unter jenen vier verfehlten verständest, in diesem Augenblicke unterbrachen dich Polemarchos und Adeimantos, und durch Wiederaufnahme ihrer Frage bist du nun hierher gekommen.

Vollkommen richtig, sprach ich, sind deine Erinnerungen!

So nimm denn nun abermals wie ein Fechter dieselbe Stellung und gib mir, wenn ich meine frühere Frage wiederhole, die Aufschlüsse, die du damals geben wolltest!

Ja, sagte er, wenn ich kann.

Ich bin auch, fuhr er fort, wirklich ohnehin begierig, zu hören, welche Verfassungen du unter jenen vier verfehlten verstanden haben wolltest.

Auf diese Frage, erwiderte ich, sollst du unschwer die Antwort hören; denn es sind keine anderen, die ich darunter verstehe, als die, welche schon ihre bestimmten historischen Namen haben, nämlich: erstlich die von den meisten so gepriesene kretische und auch lakedaimonische zugleich; zweitens die auch dem Range nach als die zweite gerühmte sogenannte Oligarchie, eine mit den mannigfaltigsten Übeln beladene Verfassung; drittens die, obwohl jener schnurstracks entgegenstehende, jedoch unmittelbar aus ihr entspringende Demokratie; endlich die bekanntlich gar hübsche und von allen jenen verschiedene Tyrannis, die vierte und auch die letzte Krankheit eines Staates. Oder hast du noch eine bestimmte Anschauung von Verfassung, in der ein wesentlicher Begriff von Staat enthalten wäre? Denn Dynastien, käufliche Monarchien und dergleichen Verfassungen mehr, die liegen zwischen den genannten in der Mitte, und man kann sie in nicht geringerer Zahl bei den Barbaren wie bei den Hellenen finden.

Ja, freilich, sagte er, gar viele und sonderbare werden noch genannt.

Selbstverständlich gibt es nun, fuhr ich fort, eben notwendigerweise[290] so viele Arten von Menschencharakteren als Arten von Verfassungen. Oder meinst du, aus Holz oder Stein bildeten sich die Verfassungen und nicht aus den Charakteren der Einwohner in den Staaten, je nachdem diese sich dahin oder dorthin neigen und alles übrige mit sich fortreißen?

Nein, sagte er, ich glaube es keineswegs, daß sie sich anderswoher als daraus bilden.

Nicht wahr, wenn es bei den Staaten fünf Arten gibt, so gibt es auch bei den menschlichen Individuen fünf Arten?

Allerdings.

Was also erstlich das dem besten Staate (der Aristokratie) entsprechende Individuum betrifft, so haben wir dieses bereits beschrieben, von dem wir mit Recht sagen, daß er der Gute und Gerechte ist.

Ja, das ist bereits beschrieben.

Nicht wahr, nach diesem müssen wir nun die ausgearteten charakterisieren, zuvörderst das kämpf- und ehrgeizige Individuum, das der lakedaimonischen Verfassung entspricht, hierauf das oligarchische, dann das demokratische, endlich das tyrannische Individuum, damit wir nach Anschauung des ungerechtesten Menschen ihn dem gerechtesten gegenüberstellen können, und damit also die Untersuchung unserer zweiten Hauptfrage: Wie doch die vollkommene Gerechtigkeit sich zur vollendeten Ungerechtigkeit in Absicht auf Glückseligkeit und Elend bei ihrem Inhaber verhalte? einmal zu Ende kommt, auf daß wir entweder nach der Lehre des Thrasymachos entweder den Weg der Ungerechtigkeit verfolgen, oder in dem jetzt hervortretenden Lichte unserer Beweisführung den der Gerechtigkeit.

Ja, sagte er, auf alle Weise muß so verfahren werden.

Wie wir nun angefangen haben, eher im Staate als im Individuum den moralischen Charakter zu studieren, weil er so deutlicher in die Augen springe, – müssen wir nun nicht auch so zuerst die ehrliebende Staatsverfassung (denn ich kenne keinen, anderen gangbaren. Namen, man müßte sie denn Timokratie oder Timarchie nennen), betrachten und das ihr ähnliche Individuum: zweitens die Oligarchie und den oligarchischen Menschen; dann drittens werden wir nach dem Anblick der Demokratie den demokratischen Menschen in[291] Augenschein nehmen; und wenn wir viertens zum tyrannisch beherrschten Staate gekommen sind und ihn angeschaut haben, wollen wir dann nicht wieder auf die tyrannische Menschenseele sehen und mit besonderem Hinblicke auf diese hierauf dann versuchen, über die vorliegende Frage zu Gerichte zu sitzen?

Ja, ganz nach der vernünftigen Ordnung, sagte er, würde so unsere Betrachtung wie unser Richterspruch geschehen.

Wohlan denn, fuhr ich fort, versuchen wir zu zeigen, aufweiche Weise eine Timokratie aus einem nach den moralisch besten Grundsätzen eingerichteten Vernunftstaate (Aristokratie) entstehen kann! Oder ist das einmal für allemal ohne Ausnahme als wahr anzunehmen, daß die Umwandlung eines jeden Staates von dem Teile ausgeht, der das Regiment in den Händen hat, dann nämlich, wenn unter diesem selbst Zwietracht entsteht; daß dagegen bei dessen Einmütigkeit, und wenn er auch sehr klein wäre, unmöglich eine Erschütterung entstehen könne?

Ja, freilich ist's so.

Wie soll nun, sprach ich, mein lieber Glaukon, der Staat nur erschüttert werden, wie soll der Wehr- und Regentenstand gegen einander oder unter sich in Zwietracht geraten? Oder wollen wir, wie Homer, die Musen anrufen, uns anzusagen, wie zuerst Zwietracht hineingeraten, und wollen wir sagen, sie hätten mit uns wie mit Kindern auf eine rätselhafte Weise Scherz und Neckerei getrieben und, als gäben sie ernstliche Aufschlüsse, zu uns im erhabenen Stil der Tragödie gesprochen?

Wie?

Folgendermaßen etwa: »Schwer ist es allerdings, daß ein so aufgebauter Staat in Verfall gerät: allein da allem, was entstanden ist, ein Untergang bevorsteht, so kann auch nicht einmal ein solcher Bau auf alle Zeit Bestand haben, sondern er muß seine Auflösung erfahren. Die Auflösung aber ist folgende: Nicht nur für die in der Erde stehenden Pflanzen, sondern auch für die auf ihr lebenden Geschöpfe gibt es ein Wachsjahr und ein Mißjahr an Seele wie an Körpern, jedesmal nämlich, wenn bei einer jeden Gattung die Lebensperiode einen Kreisumschwung vollendet; bei kurzlebenden Wesen ist dieser kürzer, bei langlebenden länger. Obgleich nun diejenigen, die ihr zu Staatshäuptern erzogen habt, theoretisch wie praktisch weise sind, so werden sie aber dessenungeachtet[292] die Momente der günstigen und ungünstigen Geburten durch theoretische Berechnung in Verbindung mit praktischer Wahrnehmung nicht immer treffen, sondern diese werden ihnen entgehen, und so werden sie einmal Kinder erzeugen, wenn sie nicht sollten. Für ein göttlich Erzeugtes gibt es aber einen Lebensumlauf, den eine vollkommene Zahl umfaßt; für das menschliche dagegen einen, den eine Zahl umfaßt, in der als dem kleinsten Nenner sowohl potenzierende als auch durch wechselseitige Multiplikation hervorgebrachte Vermehrungen mit drei Abständen und vier Gliedern alles ohne Bruch und unter gemeinschaftlichem Nenner stehend erscheinen lassen, mag man nun Ähnliches oder Unähnliches verbinden, multiplizieren oder dividieren. Das kleinste Verhältnis jener beiden menschlichen und göttlichen Zahlen ist 3:4; dieses mit 5 verbunden liefert zwei Proportionalzahlen, nachdem dreimal vermehrt worden ist: die eine, die gleiche, gleich vielmal genommen, nämlich hundert mit sich selbst multipliziert; die andere aber, die mit ersterer zwar gleiche Länge hat, aber oblong ist, bestehend erstlich aus der hundertfachen Quadratzahl einer der Diagonalen eines Quadrates, dessen Seite = 5 ist, welche Diagonale rational ist, wenn 1 subtrahiert wird, dagegen irrational, wenn 2 subtrahiert werden, wodurch beide irrational werden, – ferner bestehend aus dem hundertfachen Kubus von drei. Diese gesamte geometrische Zahl ist hierüber nun entscheidend, nämlich in betreff der glücklichen oder unglücklichen Zeugung. Wenn nämlich eure Staatswächter diese Zahl nicht verstehen und zur Unzeit den Jünglingen Bräute zur Beiwohnung zugesellen, so wird es Kinder geben, die weder eine vorzüglich moralische Anlage noch ein guter Glücksstern zum Rechten leitet. Denn zuerst werden zwar die Wächter nur die verhältnismäßig besten von jenen Kindern an ihre Stelle setzen; aber diese werden doch, wenn sie bei ihrem Mangel an Seelenadel ihrerseits zu den Machtstellen ihrer Väter gelangt sind, anfangen, obwohl sie die Staatswächter sind, unsere Vorschriften zu vernachlässigen, indem sie zuerst die musische Bildung hintansetzen [, später dann auch die körperliche]. Und daraus werden dann Regenten aufkommen, die nicht besonders wachsam sind, wenn es gilt, die bei Hesiod sowohl wie auch in unserem Staate vorkommenden Geschlechter aus Gold, Silber, Erz und[293] Eisen zu prüfen. Wenn aber Eisen mit Silber und Erz mit Gold vermischt wird, so entsteht dann eine Ungleichartigkeit der politischen Gesinnung und eine zu keiner Harmonie mehr zurückführbare Unordnung, und wo immer diese Übel sich einmal eingenistet haben, da erzeugen sie nach ihrem Emporkommen immer Krieg und Feindschaft. Solcher Abkunft muß man also immer politische Zwietracht erklären, wo auch immer sie emporkommen mag.«

Und daß diese Antwort richtig ist, sagte er, wollen wir bejahen.

Ja, meinte ich, das müssen wir notwendig; sie kommt ja von Musen.

Nun, was sagen denn die Musen weiter? fragte er.

»Ist einmal,« fuhr ich fort, »bürgerliche Zwietracht da, so ziehen beide Teile jederseits nach entgegengesetzter Richtung: der eiserne und eherne nach Erwerb, nach Besitztum an Land, Haus, Gold und Silber; der goldne und silberne dagegen führen die Seelen zur Tugend und zur alten guten Staatseinrichtung, weil sie keine Armut empfinden, sondern von Geburt den größten Schatz in sich haben. Wenn es hierauf bei ihnen zu offenem Kampfe mit der Faust und zur gegenseitigen Parteiverfolgung kommt, so vergleichen sie sich dahin, daß sie erstlich Land und Behausung unter sich verteilen und als Eigentum besitzen, daß sie sodann diejenigen, die von ihnen früher als freie Leute, als Freunde und Ernährer behütet wurden, nunmehr nach geschehener Unterjochung als Dienstleute und Sklaven halten und selbst Kriegsführung sowie Bewachung jener Unterjochten besorgen.«

Ja, es leuchtet mir ein, sagte er, wie dieser entartende Übergang von da seinen Ursprung nimmt.

Nicht wahr, sprach ich, diese hier in Rede stehende Verfassung wäre also ein gewisses Mittelding zwischen der moralisch besten (der Aristokratie) und der Oligarchie?

Allerdings.

Ihr Übergang wird also auf die besagte Weise geschehen; nach geschehenem Übergange aber, wie wird da die charakteristische Eigenschaft ihrer Einrichtung sein? Oder ist in dieser Beziehung offenbar, daß sie in manchen Einrichtungen die vorhergehende Verfassung und in manchen die Oligarchie[294] nachahmen wird, weil sie ja in der Mitte von beiden liegt; daß sie ferner dabei auch manches ihr ganz Eigentümliche haben wird?

Ja, offenbar, sagte er.

Darin einerseits, daß sie Ehrerbietung gegen die Regierenden vorschreibt; daß ihr Wehrstand des Ackerbaues, der Handwerke und jedes sonstigen Gewerbes sich enthält; daß sie gemeinschaftliche Speisung einrichtet; daß Leibesübung sowie der Kriegskampf ein Hauptgegenstand ihrer Sorgfalt sind: in allen diesen Stücken wird sie die vorige Verfassung nachahmen, nicht wahr?

Ja.

Daß sie aber Bedenken trägt, die mit Erfahrung verbundene Wissenschaft, die die wißbegierige Vernunft aus dem Erforschen der ewigen Weltgesetze gewinnt, zu den Staatsämtern zu befördern, weil sie solche Männer nicht mehr von reinem und echtem Golde besitzt, sondern nur mit einem Zusatz vom gemeinen Metall der Begierlichkeit, und daß sie daher ihre Hauptstütze mehr bei dem nur nach Ehre begierigen Mut und der damit noch verbundenen größeren Einfachheit sucht, obgleich die Männer der Art mehr zum Kriege als zum Frieden geboren sind; ferner daß sie Überlistung und Intrige in bezug auf den Krieg für Ehrendinge hält; daß sie ewig im Kriege lebt: solche und dergleichen Dinge mehr wird sie andrerseits als charakteristische Eigentümlichkeiten haben?

Ja.

Als dritte charakteristische Eigentümlichkeit, fuhr ich fort, wird sich bei solchen Staatsregenten heiße Geldgier einstellen, wie es in den Oligarchien der Fall ist: sie werden Gold und Silber leidenschaftlich im geheimen verehren, weil sie nunmehr eigene Schatzkammern und Geldkasten haben, wo sie es niederlegen und verbergen können, weil sie ferner Umzäunungen um ihre Wohnungen recht wie eigne Nester haben, in denen sie Weibern und andren Lieblingen zu Gefallen vielen Aufwand machen können.

Ja, sehr wahr, sagte er.

Daher werden sie denn auch sparsüchtig mit dem Gelde umgehen, weil sie viel darauf halten und nur im Verborgenen erwerben dürfen; werden dagegen aber auf Antrieb[295] ihrer Begierlichkeit lieber mit fremdem Gute Aufwand machen und verstohlenerweise die Frucht der Lüste genießen, indem sie sich dabei vor dem Gesetze wie Buben vor ihrem Vater verstecken. Und dies geschieht aus keinem andern Grunde, als weil sie nicht mittelst wissenschaftlich belehrender Überzeugung, sondern mittelst äußeren Zwangs ihre Jugendbildung erhalten, weil sie die in dialektischer Methode und warmer Weisheitsliebe bestehende Wissenschaft vernachlässigt und mehr auf die Übung des Körpers als des Geistes gegeben haben.

Das ist ja, sagte er, eine gar gemischte Verfassung aus Schlechtem und Gutem, von der du da sprichst!

Ja, sagte ich, freilich ist sie eine gemischte: ein Kennzeichen ist aber darin wegen der Oberhand des von uns genannten zornmütigen Seelenbestandteiles besonders hervorstechend, nämlich Streitlust und Ehrliebe.

Ja, meinte er, in hohem Grade.

Das wäre also nun, sprach ich weiter, die Entstehungsart und die charakteristische Eigenschaft dieser Verfassung, um hiervon in unserer Beschreibung nur einen Grundriß, kein vollkommen ausgemaltes Bild zu geben, da es uns ja auch genügt, nur in einem Grundrisse eine Anschauung vom gerechtesten und ungerechtesten Menschen zu gewinnen; auch wäre es ein ungeheuer weitläufiges Werk, wenn man alle möglichen Verfassungen und alle Charaktere ohne irgend eine Auslassung darstellen wollte.

Ja, richtig, erwiderte er.

Welches wäre nun das dieser Staatsverfassung entsprechende Individuum? Wie ist erstlich seine Entstehung, zweitens sein Charakter?

Auf diese Frage antwortete Adeimantos: Ich meine, dieses Individuum käme ziemlich nahe diesem Glaukon da, wenigstens was die Streitlust anlangt.

Vielleicht, sagte ich, in dieser Beziehung; aber nicht in folgenden Stücken scheint es mir von Natur seiner Art zu sein...

In welchen denn?

Ein eingebildeter Trotzkopf, erwiderte ich, muß jenes Individuum sein, ein Feind des Wissens; er kann keine Liebe für die musischen Künste, kein Ohr für Belehrungen, keine Gewandtheit[296] in der Redekunst haben. Ferner gegen Sklaven roh, ohne ein Feind von Sklaven zu sein, wie der vollkommen wissenschaftlich Gebildete; gegen freie Männer gar zahm; gegen die Regierenden gehorsamst untertänig; dabei herrsch- und ehrsüchtig; anspruchsvoll auf Herrschaft nicht wegen Beredsamkeit oder einer sonstigen geistigen Eigenschaft, sondern wegen seiner Kriegstaten und Kriegsfertigkeiten; ein Freund von Turnerei und Weidwerk.

Ja, sagte er, dieser Charakter hier entspricht jener timokratischen Staatsverfassung.

Nicht wahr, fuhr ich fort, Geld wird ein solcher während des Übermutes seiner Jugend verachten; aber je älter er wird, desto mehr wird er danach greifen, teils weil er etwas von dem Charakter des geldgierigen Menschen hat, teils weil sein Tugendstreben nicht aufs reinste Gold gerichtet ist, da er von dem besten Führer hierzu verlassen ist.

Von welchem denn? fragte Adeimantos.

Von jener Geisteskultur, antwortete ich, die besteht aus einer sorgfältigen Jugendvorbildung in den musischen Künsten in Verbindung mit einer gründlich wissenschaftlichen Hauptbildung; denn diese Geisteskultur, wenn sie bei einem einmal zur Reife gelangt ist, wird allein nur als Schutzgeist der Tugend bei ihrem Besitzer durch sein ganzes Leben wohnen.

Schön! sprach er.

Und das wäre denn erstlich, fuhr ich fort, der Charakter unseres timokratischen Junkers, das Abbild des Staates gleichen Namens.

Ja, allerdings.

Was nun zweitens, sprach ich weiter, seine Entstehung anlangt, so erfolgt diese etwa auf folgende Weise: Zuweilen gibt's einen schon erwachsenen Sohn von einem in einem unvernünftig verwalteten Staate wohnenden braven Vater, der Ehren, Ämter, Rechtshändel und alle solche Liebhaberei an Geschäften des öffentlichen Lebens verabscheut und lieber vor anderen zurückstehen will, um in keine widerwärtigen Händel zu geraten.

Wie entsteht denn nun von solchem Vater ein timokratischer Sohn? fragte er.

Wenn er, antwortete ich, erstlich von seiner Mutter hört, wie sie[297] sich darüber grämt, daß ihr Mann nicht unter den leitenden Beamten wäre, und daß sie darum unter den übrigen Frauen zurückstehe; dann, daß sie ihn gar nicht nach Geld und Gut trachten, ihn nicht Schneid und Zähne zeigen sehe in Gerichts- und Staatsdebatten; sondern in allen diesen Dingen bemerke sie an ihm eine unausstehliche Gleichgültigkeit; immer seien seine Gedanken mit seinem Innern beschäftigt, ihr dagegen bezeige er weder eine sonderliche Aufmerksamkeit noch auch gerade eine Mißachtung: über alle diese Wahrnehmungen müsse sie sich sehr grämen und könne es nicht über das Herz bringen, wie einen unmännlichen und gar fahrlässigen Vater er habe, und wie die übrigen Klagelieder alle lauten, welche die Weiber bei dergleichen Gelegenheiten anzustimmen pflegen.

Ja, sagte Adeimantos, gar viele und ihnen recht ähnliche!

Der zweite Entstehungsgrund nun, fuhr ich fort, liegt darin, daß bekanntlich auch die Hausgenossen in dem Hause solcher Leute (Sklaven, Diener), die nämlich, die es recht gut zu meinen glauben, manchmal hinter ihrem Rücken deren Söhnen Reden ähnlichen Inhaltes zuflüstern: Wenn sie nämlich einen bösen Schuldner sehen, dem der Vater nicht zu Leibe geht, oder einen in anderer Hinsicht ihm unrecht begegnenden Menschen, so reden sie dem Sohne zu, er möge, wenn er einmal ein Mann geworden, an allen solchen dafür Rache nehmen und sich mehr als Mann beweisen denn sein Vater. Und kommt ein Sohn aus dem Hause des Vaters, so hört und sieht er dergleichen noch mehr, daß die nur ihren nächsten Berufspflichten treuen Männer in der Stadt Einfaltspinsel heißen und in keinem besonderen Rufe stehen, während andrerseits die ihre nächsten Berufspflichten vernachlässigenden Rechtsverdreher und politischen Schreier Ehre und Lob einernten. Hört und sieht nun alles dergleichen der junge Mann, und hört und sieht er dann wiederum die Sprache und Lebensweise seines Vaters neben denen der übrigen Welt, so fühlt er sich von diesen beiden Seiten angezogen, indem sein Vater den vernünftigen Teil seiner Seele nährt und pflegt, die übrige Welt aber dagegen die sinnliche Begierlichkeit und die hitzige Zornmütigkeit. Und weil er von Natur kein schlechter Mann ist, aber von schlechten Gesellschaften der Welt beeinflußt ist, so[298] wandelt er, von diesen beiden Seiten hin und her gezerrt, den Mittelweg und überliefert die Oberherrschaft seines Inneren dem mittleren Seelenbestandteile, nämlich dem streitlustigen Zornmut, und wird dadurch ein hochmütiger und ehrgieriger Mensch.

Ja, sagte er, gar sorgfältig hast du wohl da die Entwicklung dieses Individuums dargestellt.

Hiermit hätten wir also, sprach ich, die im Range zweite Staatsverfassung und so auch das zweite Individuum.

Ja, die hätten wir, sagte er.

Nicht wahr, hierauf nun wollen wir, um mit Aischylos zu reden, ein andres einem andren Staate zugeordnetes Individuum, oder vielmehr dem vorhin einmal gefaßten Plane gemäß wiederum erst den Staat vornehmen?

Ja, allerdings, sagte er.

Da wäre aber, wie ich meine, nach der eben beschriebenen Verfassung die Reihe an der Oligarchie.

Welche Staatseinrichtung, fragte er, verstehst du denn unter dem Namen Oligarchie?

Ich antwortete: Die auf Vermögensschätzung gegründete Staatsverfassung, in der nur die Reichen das Ruder führen und dem Armen kein Anteil an der Regierung zukommt.

Ich verstehe schon, sprach er.

Nicht wahr, da ist denn erstlich die Art des Überganges der Timokratie in die Oligarchie darzustellen?

Ja.

Da ist nun, sagte ich, sogar einem Blinden offenbar, wie sie vor sich geht.

Wie denn?

Jene vorhin erwähnte mit Gold gefüllte Privatschatzkammer im Hause jedes einzelnen der Regierenden, erwiderte ich, ist das Unheil für die vorhin beschriebene Staatsverfassung (die Timokratie). Denn erstlich sind sie für ihre eignen Personen erfinderisch in Ausgaben und revidieren in dieser Absicht die bisher bestehende Staatsverfassung, ohne daß sie und ihre Weiber jenen revidierten Gesetzen gehorchen.

Natürlich, sagte er.

Zweitens machen sie sodann, glaube ich, das von ihnen regierte Volk zum Affen ihres Modetons durch den Anblick des verführenden[299] Beispiels des einen vom anderen und durch den gegenseitigen Wetteifer.

Ja, so geht's.

Ist dieses Ziel erreicht, fuhr ich fort, so geht's bei ihnen vorwärts zum Geldschacher, und je höher sie diesen angeschlagen, desto weniger achten sie moralisch geistige Tüchtigkeit. Oder steht Tugend zu Reichtum nicht in diesem Verhältnisse, daß sie gleichsam auf zwei Waagschalen liegen und die eine in eben dem Maße sinkt, als die andere steigt?

Ja, sicher, sagte er.

Stehen also in einem Staate Reichtum und reiche Leute hoch in Ehren, so müssen Tugend und edle Männer in desto niedererm Werte stehen.

Ja, offenbar.

Als Mode wird aber getrieben das allgemein Hochgeschätzte, während das Nichtgeschätzte vernachlässigt wird.

Ja, so ist's.

Statt streit- und ehrgieriger Menschen sind es daher endlich erwerb- und geldgierige geworden, und daher preisen, bewundern und erheben sie zu Ehrenstellen den Reichen, während sie den Armen verachten.

Jawohl.

Dann ziehen sie durch ein Gesetz einen Zaun um die oligarchische Herrschaft, indem sie eine bestimmte Menge von Vermögen festsetzen, die größer oder kleiner ist, je nachdem an einem Orte eine größere oder kleinere Oligarchie besteht, und indem sie ausdrücklich bestimmen, daß derjenige keine Staatsämter bekommen könne, dessen Vermögen nicht die bestimmte Schätzung erreicht. Und dies setzen sie entweder mit Gewalt der Waffen durch, oder sie bringen, auch ehe es dazu kommt, durch Einschüchterung eine solche Verfassung zustande. Oder geht es nicht so?

Ja, so geht's.

Das wäre also, um es kurz zu sagen, das Zustandekommen der Oligarchie.

Ja, sagte er; welches ist aber nun zweitens der Charakter dieser Staatsverfassung, und welche Gebrechen hat sie unseres Erachtens?

Erstlich, sagte ich, die erwähnte Hauptgrundlage, ihre Umzäunung[300] anlangend, wie sieht es in dieser Beziehung damit aus! Stelle dir doch einmal vor, wenn einer so Schiffssteuermänner nach der Vermögensschätzung machen und den Armen, wenn er noch so gute Eigenschaften zu einem Steuermann hätte, nicht zulassen wollte!

Da sehe ich, sagte er, daß die Leute auf dem Schiffe eine unheilvolle Fahrt haben.

Und nicht wahr, so ist's überhaupt bei Leitung jedes anderen Dinges?

Ich glaube es.

Vielleicht mit Ausnahme der eines Staates, fragte ich, oder auch in bezug auf die Leitung eines Staates?

Ja, sagte er, sicher in desto höherem Grade, je schwieriger und wichtiger diese Leitung ist.

Das wäre also ein Fehler von ungeheurer Größe, den die Oligarchie hat.

Augenscheinlich.

Weiter! Ist der folgende zweite Fehler etwa kleiner als der hier erwähnte erste?

Welcher denn?

Daß notwendigerweise ein so beschaffener Staat keine Einheit bildet, sondern eigentlich zwei Staaten auf demselben Wohnplatze, nämlich den Staat der Armen und den der Reichen, daher beide in immer gegenseitiger Auflauer.

Nein, wahrhaftig, bei Zeus, sagte er, dieser zweite Fehler ist nicht kleiner!

Aber drittens ist auch das kein Vorzug an jenem Staate zu nennen, daß die Regierenden desselben unmöglich einen Krieg führen können, weil sie in der Lage sich befinden, daß sie entweder die bewaffnete arme Volksmenge gebrauchen und dann sie mehr fürchten müssen als den Feind, oder sie nicht gebrauchen und dann im wahren Sinne des Wortes Oligarchie als eine Macht von wenigen auch im Momente der Schlacht erscheinen; daß sie zugleich als Erzpfennigfuchser keine Kriegssteuern zahlen wollen.

Nein, das ist auch kein Vorzug.

Viertens, daß dieselben Herren, wogegen wir schon lange und unaufhörlich loszogen, in solchem Staate so vielgeschäftig sind: daß sie nicht nur Landwirte und Geschäftsleute, sondern auch[301] Kriegsmänner zugleich sind, – scheint dir das in der Ordnung zu sein?

Nein, auf gar keine Weise.

Siehe nun fünftens, ob diese Verfassung nicht zuerst von allen diesen Übeln dem größten Übel Tür und Tor durch folgendes öffnet?

Wodurch?

Dadurch, daß ein jeder alle seine Besitztümer veräußern und ein anderer von ihm solche erwerben kann; daß er nach der Veräußerung noch in dem Staate wohnt, ohne daß er einem der Stände im Staate an gehört: er ist dann weder ein Geschäftsmann noch ein Handwerker, weder Reiter noch Fußgänger; sondern er heißt ein Armer und Proletarier.

Ja, sagte er, diese Verfassung eröffnet zuerst unter allen übrigen diesem Übel Tür und Tor.

Wenigstens wird zur Verhinderung solchen Übels in den oligarchisch regierten Staaten nichts getan; denn sonst würden ja einerseits nicht die übermäßig Reichen, andrerseits die gänzlich Armen vorhanden sein.

Richtig.

Erwäge sechstens noch folgendes Übel: Als so ein herabgekommener Proletarier noch reich war und Aufwand machte, war er da dem Staate von größerem Nutzen in bezug auf die vorhin erwähnten Berufsarten; Oder gehörte er nur dem Scheine nach zu dem regierenden Beamtenstande, war aber in der Tat weder ein Herrscher noch ein Diener des Staates, sondern eben nur ein Verprasser seiner Besitztümer?

Ich glaube letzteres, sagte er: er war Regierender nur dem Scheine nach, war aber wirklich nichts anderes als ein Verprasser.

Dürfen wir daher nicht, fuhr ich fort, von ihm behaupten, daß er bei solchem Charakter ebenso in seiner Behausung eine Pest für den Staat wird, wie z.B. eine Drohne in einer Honigwabe ein Verderben des Bienenstockes ist?

Ja, sagte er, das dürfen wir allerdings, o Sokrates.

Die Drohnen mit Flügeln nun, nicht wahr, Adeimantos, hat Gott alle ohne Stachel geschaffen, während von den Drohnen mit Beinen einige zwar auch Stachellos sind, andre aber gar gewaltige Stacheln haben? Stachellos sind die, welche bis zum[302] hohen Alter hin Bettler bleiben, dagegen bestachelt alle jene, welche Übeltäter heißen?

Ja, sagte er, sehr wahr!

Wenn man daher, sprach ich weiter, in einem Staate Bettler sieht, so ist demnach offenbar, daß es da auch heimliche Diebe, Beutelschneider, Räuber und Meister in allen dergleichen Übeltaten gibt?

Ja, offenbar, sagte er.

Und was ist nun die Anwendung von diesem Satze? Sind in den oligarchisch regierten Staaten nicht augenscheinlich Bettler vorhanden?

Ja gewiß, sagte er, fast lauter Bettler, mit Ausnahme der wirklich regierenden Herren.

Müssen wir demnach nicht meinen, fragte ich, daß auch viele Übeltäter mit Stacheln darin sind, die von den Obrigkeiten sorgfältig mit Gewalt niedergehalten werden?

Ja, sagte er, das müssen wir hiernach.

Und dürfen wir daher nicht behaupten, daß infolge von Mangel an gehöriger Jugendbildung, schlechter Erziehung und schlechter Staatseinrichtung solche Übeltäter darin emporwachsen?

Ja, das dürfen wir.

Nun, das wäre also etwa der Charakter des oligarchisch regierten Staates, und mit solchen Gebrechen ist er behaftet, vielleicht aber auch noch mit mehr.

Ja, das wäre er ungefähr, sagte er.

Damit möge denn, fuhr ich fort, die Darstellung dieser Staatsverfassung ihr Ende haben, die Oligarchie heißt, und die ihre regierenden Häupter nach der Vermögensschätzung erhält; hierauf müssen wir sofort das dieser Staatsverfassung ähnliche Individuum in Betracht ziehen, und zwar erstens seine Entstehungsart, zweitens seinen eigentümlichen Charakter.

Ja, sagte er, allerdings.

Geschieht nun nicht am gewöhnlichsten auf folgende Weise der Umschlag von einem timokratischen Individuum in ein oligarchisches?

Wie denn?

Wenn einer als Sohn jenes timokratischen Menschen anfangs seinem Vater nacheifert und seine Fußtapfen verfolgt, hernach[303] aber an ihm sieht, daß er an dem Staate wie an einer Klippe plötzlich scheitert, wie er nicht nur sein Vermögen, sondern auch sein Selbst verschwendet, sei es durch Führung einer Feldherrnstelle oder eines sonstigen wichtigen Staatsamtes, wie er sodann dem Gerichte in die Hände fällt und da, von falschen Ränkemachern mitgenommen, entweder Leben oder Vaterland oder bürgerliche Ehre und seine ganze Habe verliert.

Ja, sagte er, das ist ein treues Bild des Lebens!

War er aber, mein Lieber, nicht bloß ein Zuschauer solcher Unfälle, sondern erfährt er sie dann auch in eigener Person und verliert sein Vermögen, so stürzt er jene Ehrliche und jenen feurigen Zornmut von dem Herrscherthrone in seiner Seele gänzlich herab, legt dann, von Armut herabgestimmt, sich auf Gelderwerb und bringt durch Filzigkeit, Pfennigknauserei und übermäßige Anstrengung sich wieder ein Sümmchen zusammen. Und wird ein solcher dann wohl nicht auf den erledigten Herrscherthron in seiner Seele nunmehr den sinnlich begierlichen und den geldgierigen Seelenbestandteil setzen, ihn zum Großmogul in seinem Inneren machen, ihn mit Krone, Halskette und Prachtsäbel zur Majestät herausschmücken?

Ich glaube es gern, sagte er.

Das wißbegierige Vernunftvermögen dagegen, glaube ich, und den hochstrebenden Zornmut setzt er zu Füßen auf beide Seiten des Thrones jener sinnlichen Begierlichkeit als ihr unterworfene Sklaven, läßt einerseits das Denkvermögen der Vernunft nichts anderes denken und ins Auge fassen, als wie man aus kleineren Kapitalien größere machen könne, andrerseits den ehrbegierigen Feuermut nichts anderes bewundern und ehren als Reichtum und reiche Leute, und sich aus sonst gar nichts eine Ehre machen als aus Geldbesitz und was dazu führt.

Nein, sagte er, auf keine andere Weise geschieht so schnell und so gewaltig die Umwandlung eines ehrgierigen Jünglings in einen geldgierigen.

Ist also letzterer, fragte ich, das der Oligarchie entsprechende Individuum?

Seine Umwandlung geschieht wenigstens aus dem Individuum,[304] das entsprechend jener Staatsverfassung ist, aus der die Oligarchie hervorging.

So laß uns nun in Betrachtung ziehen, ob das oligarchische Individuum der Oligarchie ähnliche Eigenschaften hat!

Ja, das wollen wir.

Nicht wahr, die erste ähnliche Eigenschaft ist die, daß ihm Geld als Höchstes gilt?

Ohne Zweifel.

Und die zweite diese, daß solcher Mensch wie ein Pfennigfuchser und Tagelöhner bloß die Begierden nach den notwendigsten Naturbedürfnissen befriedigt, zu anderen Ausgaben aber nichts hergibt, sondern die übrigen Begierden als unvernünftige unterdrückt.

Allerdings.

So ein Schmutzlapp, fuhr ich fort, so ein Profitchen-, so ein Kapitalmacher, eine Sorte Leute, die bekanntlich der Pöbel sehr erhebt. Oder sollte nicht dieser der der Oligarchie entsprechende Menschencharakter sein?

Mir scheint es so, sagte er; Geld wenigstens ist das Höchste sowohl bei solchem Staate wie bei solchem Individuum.

Denn, sprach ich, auf den Schatz geistiger Bildung, denke ich, hat ein solcher Mensch nie sein Augenmerk gerichtet.

Ich glaube nicht, sagte er; denn wie hätte er sonst einen Blinden zum Führer des Chores seiner Seelenvermögen bestellt und ihn am höchsten geehrt?

Schön! sagte ich. Erwäge daher als die dritte ähnliche Eigenschaft folgendes: Dürfen wir hiernach nicht annehmen, daß drohnenartige Begierden in dem Inneren jenes Menschen auf kommen, teils den Bettlern, teils den Übeltätern nachgeartete, die nur mit Gewalt durch die Zuchtrute eines anderen im Zaume gehalten werden?

Ja, sicher, sagte er.

Weißt du denn nun, fragte ich, wohin du deinen Blick richten mußt, wenn du ihre Übeltaten entdecken willst?

Wohin? fragte er.

Auf die Vormundschaften über die Waisen und wenn ihnen sonst so ein Geschäftchen in die Hände fällt, womit sie ein großes Feld bekommen, ungestraft Unrecht zu verüben.[305]

Wahrhaftig!

Ist dadurch nun nicht klar, daß ein solcher in dem übrigen Geschäftsverkehr, in dem er durch Scheinheiligkeit den Ruf eines gerechten Mannes bekommt, durch eine ziemliche Gewaltübung über sich selbst die übrigen einwohnenden teuflischen Begierden im Zaume hält, nicht aus Überzeugung, daß das besser sei, nicht durch Beruhigung von Vernunftgründen, sondern durch Zwang und Furcht, indem er wegen seines übrigen Vermögens zittert?

Ja, ganz klar, sagte er.

Ja, beim Zeus, fuhr ich fort, sei versichert, mein Freund, in den meisten von ihnen wirst du der Drohne verwandte Begierden finden, wenn es gilt, das Gut des Nebenmenschen vertun zu können!

Ja, gar sehr, sagte er.

Demnach wäre ein solcher Mensch voll Zwiespalt in seinem Inneren, hätte in sich keine Einheit, sondern eine gewisse Zweiheit; aber im Kampfe der Begierden über Begierden siegen meist die besseren über die schlechteren.

So ist's.

Aus diesen Gründen, denke ich, zeigt sich ein solcher im Äußeren zwar anständiger als viele; aber die wahre Tugend einer mit sich einigen und in ihren verschiedenen Teilen harmonisch gestimmten Seele ist weit von ihm entfernt.

So scheint mir.

Viertens, was die öffentlichen Wettkämpfe mit seinen Mitbürgern anbelangt, so wird der sparsüchtige Geizkragen bei einem Ehrensiege oder bei Erringung eines sonstigen Ehrenpreises im Gebiet des Schönen ein schlechter Bewerber sein, weil er wegen eines gefeierten Namens und wegen der dahin führenden Wettkämpfe kein Geld aufwenden will, weil er fürchtet, die Aufwand kostenden Begierden aufzuregen und zur Beihilfe seiner herrschenden Begierde, aber hiermit zugleich zum Wettstreit mit dieser aufzufordern; und daher rückt er auf echte Oligarchenart nur mit wenigen Talern bei einem öffentlichen Kampfe zu Felde, tut sich meist nicht hervor, wird aber ein reicher Mann.

Ganz recht, sagte er.

Können wir nun noch zweifeln, daß dem oligarchisch regierten[306] Staate gegenüber mit entsprechender Ähnlichkeit das sparsüchtige und geldhungrige Individuum dasteht?

Keineswegs, sagte er.

Die Demokratie ist es also wohl, die wir hierauf ausgemachterweise zu betrachten haben: erstlich, auf welche Weise sie entsteht, zweitens, welche charakteristische Eigenschaft sie hat, – auf daß wir wiederum den Innern moralischen Zustand des ihr entsprechenden Individuums erkennen und dann ihn für das zu fällende Urteil mit hinstellen.

Wir würden, sagte er, wenigstens also unseren eingeschlagenen Weg konsequent verfolgen.

Den Übergang aus der Oligarchie in die Demokratie, sprach ich weiter, bildet nun die Unersättlichkeit dessen, was in jener als höchstes Gut aufgestellt ist: daß man möglichst reich werden müsse?

Wieso denn?

Da, wie ich glaube, die regierenden Häupter in der Oligarchie nur infolge der Größe des erworbenen Besitztums regieren, so beeilen sie sich nicht, alle diejenigen jungen Leute, die sich einem sinnlich ausschweifenden Leben hingeben, durch ein Gesetz in der Freiheit zu beschränken, das Ihrige zu verzehren und zu verschleudern, und die Absicht der Oligarchen hierbei ist keine andere, als daß sie das Vermögen solcher jungen Leute durch Kauf und Wucher an sich bringen, sonach reicher und damit auch vornehmer werden.

Ja, auf alle Weise suchen sie das.

Nicht wahr, das ist also hinsichtlich eines Staates eine bereits ausgemachte Wahrheit, daß er unmöglich Hochachtung vor Reichtum und zugleich vorweiser Selbstbeherrschung unter den Bürgern behalten kann; sondern er muß notwendigerweise entweder das eine oder das andre hintansetzen?

Ja, sattsam ausgemacht, sagte er.

Dadurch, daß die Häupter in den Oligarchien die liederliche Ausschweifung nicht kümmert, ja daß sie ihr noch Vorschub leisten, zwingen sie zuweilen Leute von gar nicht gemeiner Herkunft, arm zu werden.

Jawohl.

Da sitzen nun diese, denke ich, bestachelt und bewaffnet im Staat, einige verschuldet, einige ihrer Staatsbürgerrechte[307] beraubt, einige beides, kochen Haß und Pläne nicht nur gegen die Inhaber ihres durchgebrachten Vermögens, sondern auch gegen die übrige Welt, und lauern auf eine Revolution.

Es ist so.

Jene geldhungrigen Schacherer aber ducken sich bekanntlich und tun, als bemerkten sie diese Herabgesunkenen gar nicht, schießen jeden nächsten besten der übrigen jungen Herrn, der sich nicht zur Wehr setzt, mit einer Ladung ihres Geldes an, streichen die das Kapital weit übersteigenden Zinsen ein und bringen also eine große Drohnen- und Bettlerzahl in dem Staate hervor.

Ja, sagte er, allerdings muß diese groß werden.

Weder auf die oben erwähnte Weise, fuhr ich fort, wollen sie ja das auflodernde Feuer eines solchen Übels ersticken, nämlich durch Beschränkung der Freiheit, sein Vermögen auf beliebige Zwecke zu verwenden, noch auf folgende Weise, wonach zweitens nach einem anderen Gesetze dergleichen Übelstände sich erledigen...

Nach welchem Gesetze denn?

Welches nach jenem das zweite ist und darin besteht, daß es den Bürgern einen absoluten Zwang auflegt, Tugend üben zu müssen. Denn wenn einmal irgend ein Gesetz verordnete, daß jeder Gläubiger auf seine eigene Gefahr die freiwilligen Borgschuldverträge abschließe, so würden einerseits die Schacherseelen weniger schamlos ihre Geldgeschäfte in dem Staate treiben, andrerseits würde weniger dergleichen Unkraut darin emporwachsen können, von dem eben die Rede war.

Ja, viel weniger, sagte er.

Wie es aber heutzutage hierin steht, fuhr ich fort, so stürzen aus allen den gedachten Ursachen die Regierenden erstlich die Regierten im Staate, wie wir gesehen haben, in das vorhin beschriebene Unheil von Proletariat; sodann, was ihre eigenen Personen und ihre Familien betrifft, verleiten sie nicht vor allem die Söhne zur luxuriösen Liederlichkeit, zur Untätigkeit in bezug auf körperliche und geistige Anstrengungen, zu allzu großer Weichlichkeit, um als Mann in Lust und Schmerz sich zu benehmen, zum Hang für Faulenzerei?

Ohne Zweifel.

Und bringen sie nicht sich selbst dahin, daß sie alles übrige[308] außer dem Gelderwerb vernachlässigen, und daß sie ebensowenig sich Mühe für wahre Mannestüchtigkeit geben als ihre Proletarier?

Ja, ebensowenig.

Wenn nun bei solchen Beschaffenheiten Regierende und Regierte zu einander geraten, sei es auf Wegmärschen oder bei anderen Zusammenkünften, z.B. bei Festgesandtschaften, bei Kriegszügen zu Wasser oder zu Land, oder wenn sie sich gar in den Gefahren der Schlacht zu Gesicht bekommen und in dieser Hinsicht die Armen von den Reichen gar nicht so verächtlich befunden werden, vielmehr wenn ein rüstiger und in der Sonne abgehärteter Proletarier in der Schlacht der Nebenmann eines reichen Herren mit der Stubenfarbe und einem von fremdem Fette gemästeten Balge wird und diesen voll Atemnot und ganz unbeholfen sieht: glaubst du nicht, daß jener dann die nicht ungegründete Ansicht gewinnt, daß solche Herren nur allein durch ihre proletarische Schlechtigkeit reich seien, und daß die Proletarier, wenn sie unter sich allein zusammen sind, sich gegenseitig zuflüstern: »Unsere Herren sind so viel wie nichts!« Nicht wahr?

Ja, ich weiß es sehr wohl, sagte er, daß sie es so machen.

Wie nun ein krankhafter Körper nur einen ganz kleinen Anstoß von außen braucht, um in eine tödliche Krankheit zu verfallen, ja bisweilen ohne die äußeren Einwirkungen mit sich selbst in Zwiespalt gerät, – nicht wahr, so verfällt auch der mit jenem Körper in denselben Zuständen befindliche Staat auf eine ganz geringfügige Veranlassung, mag nun die eine Partei Hilfe von außen her von einem oligarchisch regierten Staate oder die andre von einem demokratischen Staate Hilfe zugeführt bekommen, in eine Krankheit und gerät in einen Kampf mit sich selbst, – ja zuweilen kommt es schon ohne diese äußeren Veranlassungen zu einem Bürgerkrieg?

Ja, im höchsten Grade.

Eine Demokratie entsteht, denke ich, alsdann bekanntlich, wenn die Armen nach gewonnenem Siege einen Teil der anderen Partei ermorden, einen Teil verbannen und dann die Übriggebliebenen gleichen Anteil an der Staatsverwaltung und den Staatsämtern nehmen lassen [, und gewöhnlich ist es darin, daß die Obrigkeiten durch das Los gewählt werden].[309]

Ja, sagte er, das ist allerdings die Einführung einer Demokratie, mag sie nun durch den Sieg der Waffen oder durch die aus Furcht erfolgende freiwillige Flucht der Gegenpartei geschehen.

Auf welche Weise nun, fuhr ich fort, werden diese Leute in dem neuen Staate sich befinden, und was ist wiederum die charakteristische Eigenschaft einer solchen Staatsverfassung? Denn offenbar wird in dem Einzelmenschen der Art das der Demokratie entsprechende Individuum anschaulich werden.

Ja, offenbar, sagte er.

Nun, da ist wohl die allererste Eigenschaft, daß sie frei sind, daß der Staat voll Freiheit und voll Redefreiheit ist, und daß in ihm unbedingte Erlaubnis herrscht, zu tun, was einer nur will, nicht wahr?

Ja, meinte er, man sagt wenigstens so.

Wo aber in einem Staate eine gänzliche Ungebundenheit eintritt, da versteht sich von selbst, daß ein jeder hinsichtlich seines Privatlebens eine Einrichtung trifft, wie es seiner subjektiven Laune gefällt.

Ja, offenbar.

Menschen aller möglichen Art, denke ich, werden also bei solcher Staatsverfassung am allermeisten sich heranbilden.

Allerdings.

Es scheint demnach, fuhr ich fort, daß dies die schönste der Staatsverfassungen sei: Wie ein buntes, mit Blumen aller Art ausgesticktes Kleid, so ist auch diese mit subjektiven Charakteren aller Art ausstaffierte Verfassung dem Anscheine nach die schönste, und die große Mehrheit, die mit einem Kinder und Weiberverstande nur an dem Bunten ihr Auge ergötzt, wird sie auch gewiß als die schönste wirklich anerkennen.

Ja, sicher, sagte er.

Eine zweite Eigenschaft dieses Staates, sprach ich weiter, liegt darin, mein Schönster, daß man es so bequem hat, wenn man darin sich nach einer Verfassung umsieht.

Wieso denn?

Weil er alle möglichen Arten von Verfassungen in sich hat, infolge des erwähnten großen freien Spielraumes, zu treiben, was man will; und wer einen Staat einrichten will, wie wir vorhin taten, muß, scheint es, nur in einen demokratisch[310] verwalteten Staat gehen, da wie in einer Marktbude von Verfassungen sich eine Sorte, die ihm etwa ansteht, auswählen, nach geschehener Auswahl sie nach Hause bringen und da realisieren.

Ja, gewiß, sagte er, wohl wird er an Mustern keinen Mangel haben.

Drittens, fuhr ich fort, die absolute Zügellosigkeit, daß kein Zwang in diesem Staate ist, ein Regierungsamt anzunehmen, selbst dann nicht, wenn du dazu der Tüchtigste wärest; daß andrerseits auch kein Zwang da ist, sich regieren zu lassen, wenn es dir nicht beliebt; daß du nicht in den Krieg zu ziehen brauchst, wenn andere dahin ziehen; daß du keinen Frieden zu halten brauchst, wenn andre ihn halten, falls du keine Lust nach Frieden hast: daß ferner andrerseits, falls ein Gesetz dir verwehrt, den Staat zu verwalten oder im Gericht zu rechten, du dessen ungeachtet die Freiheit hast, zu regieren und zu rechten, falls es nur dir selbst einfällt: eine solche Wirtschaft, ist sie nicht göttlich bezaubernd für den Augenblick?

Jawohl, sagte er, für den Augenblick!

Und weiter: Ist die Humanität gegen manche der nach dem Gesetze Verurteilten nicht etwas Hübsches? Oder hast du in einem solchen Staate noch keine Leute nach ihrer Verurteilung zum Tode oder zur Verbannung nichtsdestoweniger dableiben und mitten in der Stadt auf und ab spazieren sehen? Als habe kein Mensch acht noch Auge auf ihn, stolziert ein solcher Kerl wie ein Held einher!

Ja, sagte er, schon viele sah ich so.

Und endlich die größte Liberalität und gar keine kleinliche Pedanterei in jenem Staate hinsichtlich des Unterrichts- und Erziehungswesens! Im Gegenteil stolzes Herabsehen auf die Vorschriften, die wir als Dinge der größten Wichtigkeit hinstellten, als wir unseren Staat gründeten, namentlich auf unseren Satz: Niemand könne, er müsse denn von Geburt aus eine außerordentliche Anlage zum Guten haben, je ein wahrhaft guter Mann werden, wenn er nicht schon als Knabe in Geist weckenden und zur Anschauung des wesenhaften Guten entwickelnden Anschauungen und Gegenständen nach Maßgabe der kindlichen Fassungskraft spielend beschäftigt würde und dann lauter dergleichen Studien triebe. O, mit welcher Großartigkeit[311] gibt der demokratische Staat allen diesen Grundsätzen einen Tritt und bekümmert sich gar nicht darum, von welcherlei Bänken der Kandidat eines Staatsamtes herkommt, wenn er nur versichert, ein gesinnungstüchtiger Volksfreund zu sein!

Ja, sagte er, eine außerordentlich liberale Verfassung!

Diese, fuhr ich fort, und andere diesen verschwisterte Eigenschaften hätte also eine Demokratie, und sie wäre nach diesem Ergebnis eine allerliebste Staatsverfassung: zügellos, buntscheckig, eine Sorte von Gleichheit gleicherweise unter Gleiche wie Ungleiche verteilend.

Ja, sagte er, deine Schilderung ist sehr kenntlich aus dem Leben genommen.

Mache dir, fuhr ich fort, nunmehr, wie ausgemacht worden ist, in deinem Geiste ein Bild von dem Wesen des solcher Verfassung entsprechenden Individuums! Oder ist zuerst zu erwägen, was wir auch bei jener Verfassung taten, aufweiche Weise sie entsteht?

Ja, sagte er.

Nun, nicht etwa folgendermaßen? Jener sparsüchtige und der Oligarchie entsprechende individuelle Mensch könnte wohl einen Sohn haben, der unter dem Vater in dessen Sitten auf erzogen ist?

Natürlich, denn warum sollte dies unmöglich sein?

Der also auch mit Gewalt diejenigen sinnlichen Lüste in seinem Inneren beherrscht, die verschwenderischer, nicht einträglicher Art sind, und diese haben bekanntlich den Namen »nicht notwendige«?

Ja, offenbar, sagte er.

Wollen wir nun nicht, sprach ich weiter, damit wir in keiner unklaren Gelehrtensprache reden, vorerst die notwendigen Begierden und die nicht notwendigen deutlicher bestimmen?

Ja, gern, sprach er.

Nicht wahr, die wir erstlich nicht abzuwenden vermögen und die zweitens durch ihre Befriedigung uns stärken helfen, diese heißen wohl mit Recht notwendige? Denn aus beiderlei Gründen ist unsere Natur genötigt, jene Begierden zu haben, oder nicht?

Jawohl.[312]

Mit Recht also werden wir zur Bezeichnung jener Begierden den Ausdruck notwendig gebrauchen.

Ja, mit Recht.

Nun weiter! Welcher man sich entledigen kann, wenn man von Jugend an darin sich übt, und welche im Falle ihres Vorhandenseins in keiner Beziehung Gutes, vielmehr das Gegenteil stiften, – wenn wir alle diese für nicht notwendige erklärten, würden wir uns da gut ausdrücken?

Ja, hiernach gewiß richtig.

Wollen wir daher von beiden Arten von Begierden, die existieren, ein Beispiel vornehmen, damit wir sie nun in einer bestimmt bezeichnenden allgemeinen Vorstellung erfassen?

Ja, das müssen wir demnach.

Wäre also nicht die Begierde nach dem Essen in Absicht nicht nur auf Gesundheit, sondern auch auf Schönheit und Kraft, sowie die Begierde nicht nur nach bloßem Brote, sondern auch nach etwas Zukost zu dem Brote eine notwendige?

Ich denke.

Die nach dem Brote erstlich ist wohl in beiden Hinsichten eine notwendige, sofern sie einmal durch Befriedigung stärken hilft und dann sofern bei ihrer Nichtbefriedigung einer unmöglich leben kann.

Ja.

Und zweitens die Begierde nach Fleisch und dergleichen, inwiefern sie irgendwie Kraft und Schönheit befördern hilft?

Allerdings.

Aber wie steht's mit den Begierden folgender Art? Die über dieses Brot und Fleisch hinausgehende, nach delikateren Bissen, als diese sind, lüsterne Begierde, die aber durch gehörige Zucht von Jugend an und durch eine gute Jugendbelehrung aus den meisten vertrieben werden kann, die zudem nachteilig dem Körper und nachteilig der Seele für geistige Tätigkeit sowie für besonnene Selbstbeherrschung ist: dürfte diese nicht mit Recht eine nicht notwendige genannt werden?

Ja, mit dem größten Rechte.

Die Begierden der letzteren Art werden wir daher für verschwenderische erklären dürfen, die der ersteren dagegen für erwerbende, weil sie bei Betreibung unseres Gewerbes förderlich sind?[313]

Allerdings.

Diese Unterscheidung dürfen wir nun auch weiter hinsichtlich der Liebesbegierden und der übrigen überhaupt aufstellen?

Ja, das dürfen wir.

Und unter dem, den wir vorhin eine Drohne nannten, verstanden wir doch den mit solchen Lüsten und Begierden beladenen und von nicht notwendigen Begierden beherrschten Menschen, dagegen unter dem Sparsüchtigen und oligarchisch Gesinnten den nur von den notwendigen Begierden Beherrschten, nicht wahr?

Freilich.

Nun wollen wir denn wiederum, fuhr ich fort, auf unsere Darstellung zurückkommen, wie aus dem oligarchischen Individuum das demokratische entsteht. Es scheint mir aber die Entstehung desselben in den meisten Fällen so vor sich zu gehen...

Wie?

Wenn ein junger Mensch, geistig verwahrlost und spärlich erzogen, wie wir es vorhin beschrieben haben, einmal von dem Honig für Drohnen gekostet hat und mit tollen Schweinigeln in Gesellschaft gerät, die Vergnügen aller Alt und mit der größten Mannigfaltigkeit und Abwechslung meisterlich zu verschaffen wissen: so glaube, daß für ihn hier der Anfang ist, den oligarchischen Zustand seines Inneren in einen demokratischen zu verwandeln.

Ja, sehr notwendig, sagte er.

Wie nun der ihm verwandte Staat sich umwandelte, indem der einen Partei in ihm Beistand von außen zukam, eine Farbe der anderen, so wird, nicht wahr?, nun auch bei jenem jungen Manne die Umwandlung vor sich gehen, indem auch hier eine Art Begierden von außen der einen von beiden Arten in seinem Inneren zu Hilfe kommt, nämlich immer die der verwandten und ähnlichen Farbe?

Ja, freilich.

Und wenn nun, meine ich, der oligarchischen Begierdenart in seinem Innern auch eine Beihilfe gegen jene Beihilfe unter die Arme greift, entweder vom Vater her oder von Verwandten, die ihn durch Wort und Tat zurechtweisen, so steht dann Partei und Gegenpartei mit den Waffen gegenüber, und es entbrennt in ihm ein Kampf mit sich selbst.[314]

Allerdings.

Und manchmal nun, glaube ich, weicht dann das demokratische Begierdenheer dem oligarchischen, und einige der demokratischen Begierden werden teils abgetötet, teils verbannt infolge der in der Seele des jungen Mannes sich ermannenden Scham, und er kehrt wieder zur Ordnung zurück.

Ja, sagte er, das ist bisweilen der Fall.

Dann werden aber, glaube ich, wiederum andere, den verbannten demokratischen Begierden verwandte Begierden nachwachsen und infolge der Unwissenheit des Vaters für Erziehungsfragen zahlreich und gewaltig stark werden.

So pflegt es, sagte er, gern wenigstens zu geschehen.

Diese ziehen den Sohn dann wieder zu dem alten Umgang, und infolge der hinter dem Rücken des Vaters gepflogenen Zusammenkünfte gebären sie in ihm unzählige junge.

Sicherlich.

Endlich nehmen sie dann wohl die Hauptfestung in der Seele des Jünglings ein, wenn sie merken, daß diese entblößt ist von Geisteswaffen, von wissenschaftlichen Beschäftigungen und von wissenschaftlich befestigten alten Grundsätzen, die bekanntlich ja die besten Beschützer und Aufseher in den Seelen gottgeliebter Menschen sind.

Ja, sicherlich, sagte er.

Statt deren nehmen dann offenbar falsche und neumodische Grundsätze und Meinungen durch einen Sturmlauf von demselben Platze bei einem solchen Menschen Besitz.

Jawohl, meinte er.

Begibt er sich nun nicht wiederum zu jenen Lotterbuben und hauset mit ihnen offenkundig? Und wenn von seinen Verwandten dem sparsüchtigen Begierdenheere seines Inneren irgend ein Beistand käme, – würden da nicht jene neumodischen Grundsätze die Tore an der königlichen Hauptfestung verschließen, weder das Hilfsheer selbst einlassen noch belehrende Gesandtschaften von selten einzelner älterer Männer, und also im Kampfe den Sieg davontragen, indem sie die Scham Einfaltspinselei nennen und mit Beschimpfung als eine Verbannte verjagen, indem sie verständige Besonnenheit Unmännlichkeit heißen, mit Füßen treten und verbannen, indem sie Einschränkung und Ordnung im Aufwande, die nach ihrer Versicherung[315] Ungeschliffenheit und Unvornehmheit sind, unter dem Beistande von vielen anderen verschwenderischen Begierden über die Grenze bringen?

Jawohl.

Haben aber diese Lügen- und neumodischen Grundsätze die Seele jenes von ihnen eingenommenen und in ihre großen Geheimnisse eingeweihten Jünglings von jenen Tugenden geleert und gesäubert, da führen sie hierauf dann ausgelassenen Frevelmut, Zügellosigkeit, Liederlichkeit und Schamlosigkeit, alle im Ehrenschmuck und Ehrenkranz, mit einer zahlreichen Prozession wieder ein, unter Lobpreisungen und beschönigenden Benennungen; Frevelmut heißt vornehme Erziehung, Zügellosigkeit ein freies Leben, Liederlichkeit noble Manier, Schamlosigkeit männliche Bravour. Ist dies nicht etwa die Art des Übergangs eines unter den nur notwendigen Begierden erzogenen jungen Mannes zur Entfesselung und Loslassung der nicht notwendigen?

Ja, sagte er, und zwar sehr anschaulich.

Was nun die Beschaffenheit des Lebens eines solchen Menschen anlangt, so lebt, denke ich, hierauf ein solcher dergestalt, daß er Geld, Mühe und Zeit ebenso auf notwendige wie auf nicht notwendige Vergnügen verwendet; und wenn er noch glücklich ist und nicht über alle Schranken hinaus tollt, sondern wenn er etwas in die Jahre kommt und der Taumel sich etwas verlaufen hat, die Verbannten zum Teil wieder aufnimmt und den Heimkehrenden sich doch nicht ganz hingibt, so bringt er unter seine Lüste eine gewisse Gleichheit und bringt sein Leben dahin, indem er der jedesmal von ungefähr eintretenden Lust, als ob das Los sie dazu gezogen hätte, die Herrschaft über sich einhändigt, bis sie gestillt ist, und dann wiederum einer anderen, keine hintansetzt, sondern alle gleichmäßig hält.

Ja, ganz richtig.

Und einer wissenschaftlichen Wahrheitspredigt, fuhr ich fort, gönnt er bei solchem Leben kein Ohr und keinen Eingang in seine Burg, wenn ihn jemand in der Art belehren wollte: »einige Lüste rührten von heilsamen und guten Begierden her, andere von schlechten; die einen müsse man pflegen und hochhalten; die anderen müsse man beschneiden und unterjochen«. Bei allen solchen Belehrungen vielmehr schüttelt er den Kopf und[316] beharrt bei der Behauptung, alle seien einander gleich, und einer wie der anderen sei die gleiche Ehre zu erweisen.

Jawohl, sagte er, tut das ein Mensch in dieser Lage.

Nicht wahr, sprach ich weiter, und erlebt also sein ganzes Leben lang jeden Tag der ersten besten sich einstellenden Lust zu Gefallen: Bald berauscht er sich und läßt sich durch Flötenspiel ergötzen: bald trinkt er Wasser und hungert sich ab; bald wiederum quält er sich mit gymnastischen Übungen; bald faulenzt er und vernachlässigt alle Geschäfte; bald tut er, als beschäftige er sich mit tiefer Wissenschaft (Philosophie); oft treibt er Politik und spricht und tut in der Volksversammlung, was ihm nur während des Aufspringens in den Sinn kommt; wird er einmal eifersüchtig auf den Ruhm von Kriegsmännern, so stürzt er sich auch darauf; wird er's auf den Gewinn der Geschäftsleute, so läßt er sich auch wiederum damit ein. Kurz: weder eine Ordnung noch eine Konsequenz ist in seinem Leben; sondern er nennt ein solches Leben frei und selig und treibt es bis zu seinem Ende.

Ja, sagte er, ganz genau hast du das Leben eines Gleichheits- und Freiheitsmannes geschildert.

Ich denke, fuhr ich fort, der Hauptcharakter dieses Individuums drückt sich erstlich darin aus, daß er eine Buntscheckigkeit und Fülle von fast allen Charakteren darbietet; zweitens, daß ein solcher Mensch, gerade wie die ihm entsprechende Verfassung, der schöne und buntscheckige ist, den die Mehrheit der Männer-wie der Frauenwelt wegen seines herrlichen Lebens bewundert, weil so ein Exemplar Muster von Staats- und Herzensverfassungen in reichster Auswahl in sich enthält.

Ja, sagte er, das ist sein Hauptcharakter.

Und darf demnach gegenüber einer Demokratie folgerecht ein so beschaffenes Individuum als fertig hingestellt sein, mit der Behauptung, daß es treffend ein der demokratischen Verfassung entsprechendes genannt wird?

Ja, sagte er.

So wäre uns, sprach ich weiter, noch die allerliebste Verfassung und das allerliebste Individuum zu schildern übrig, die Tyrannis und der Tyrann.

Ja, freilich, sagte er.

Wohlan denn, mein lieber Freund, welches ist der Charakter[317] der Tyrannis? Denn was ihre Entstehung anlangt, so ist so viel gewiß, daß sie aus der Demokratie durch deren Ausartung vor sich geht.

Ja, gewiß.

Entsteht also nicht auf dieselbe Weise, wie Demokratie aus Oligarchie, so Tyrannis aus Demokratie?

Wie denn?

Was die Oligarchie, sprach ich, sich als das größte Gut vorsteckte und wodurch sie auch zustande kam, das war doch Reichtum, nicht wahr?

Ja.

Der unersättliche Hunger nach Reichtum also und die Vernachlässigung aller anderen Dinge um des Gelderwerbs willen waren ihr Verderben?

Richtig, sagte er.

Nicht wahr, auch die Unersättlichkeit in demjenigen Gute, was sich die Demokratie als Ziel bestimmt, richtet auch diese zugrunde?

Welches Gut bestimmt sie sich aber nach deiner Meinung als Ziel?

Die Freiheit, antwortete ich; denn davon wirst du in einem demokratisch regierten Staate immer hören, wie sie das allerschönste Gut sei, und wie deshalb in solchem Staate allein ein Freigeborener würdig leben könne.

Ja freilich, sagte er, gar oft wird diese Sprache geführt.

Ist hiernach, fuhr ich fort, anzunehmen – das ist nun die Frage, die ich vorhin folgen lassen wollte –, daß die Unersättlichkeit in diesem Gute (der Freiheit) auch diese Verfassung umwandelt und in die Lage versetzt, daß sie eines Tyrannen bedürftig wird?

Wie soll das kommen? fragte er.

Wenn eine nach Freiheit durstige Demokratie, denke ich, an ihre Spitze schlechte Mundschenke bekommt und über Gebühr mit dem stärksten Feuergeiste der Freiheit sich berauscht, so pflegt sie bekanntlich ihre Regierenden, wenn sie nicht ganz nachgiebig sind und im Übermaß die Freiheit verzapfen, als Verräter und Oligarchen zu beschuldigen und zu bestrafen.

Ja, sagte er, so machen sie's.

Und die den Obrigkeiten noch gehorsamen Bürger, fuhr ich[318] fort, diese tritt die Demokratie mit Füßen als Bedientenseelen und Nichtswürdige; dagegen die Beamten, die sich wie Untergebene gebärden, und Untergebene, die sich das Ansehen von Beamten geben, die lobt und erhebt die Demokratie im Privat- wie im Staatsleben: ist es da nicht eine absolute Notwendigkeit, daß in einem solchen Staate über alles der Freiheitsschwindel kommt?

Allerdings.

Ja, daß er, mein Freund, sprach ich weiter, sogar in das Familienleben eindringt und es endlich dahin kommt, daß auch dem Vieh jene Zügellosigkeit sich einpflanzt?

Wie meinen wir das z.B.? fragte er.

Wenn z.B., erwiderte ich, ein Vater sich gewöhnt, einen Buben vorzustellen, und sich vor seinen Söhnen fürchtet, wenn dagegen ein Sohn den Vater spielt und weder Scham noch Furcht vor seinen Eltern hat, damit er nämlich frei sei: wenn der bloße Beisasse sich dem Altbürger gleichstellt und der Altbürger sich zum Beisassen herabläßt, und ebenso der Ausländer.

Ja, so geht es, sagte er.

Und es bleibt nicht allein, fuhr ich fort, bei diesen Freiheitserscheinungen, sondern es ereignen sich auch noch andere Kleinigkeiten folgender Art: Der Lehrer fürchtet und hätschelt seine Schüler, die Schüler fahren den Lehrern über die Nase und so auch ihren Erziehern. Und überhaupt spielen die jungen Leute die Rolle der alten und wetteifern mit ihnen in Wort und Tat, während Männer mit grauen Köpfen sich in die Gesellschaft der jungen Burschen herbeilassen, darin von Possen und Späßen überfließen, ähnlich den Jungen, damit sie nur ja nicht als ernste Murrköpfe, nicht als strenge Gebieter erscheinen.

Ja, allerdings, sagte er.

Darauf sagte ich weiter; aber der höchste Grad von Volksfreiheit, die in einem solchen Staate zum Vorschein kommen kann, tritt ein, wenn bekanntlich die gekauften Sklaven und Sklavinnen ebenso frei sind wie die kaufenden Herren und Herrinnen. Im Verhalten aber der Weiber zu Männern und der Männer zu Weibern, wie groß da die Gleichheit und Freiheit ist, das hätte ich beinahe vergessen zu erwähnen!

Wollen wir nicht, fragte er, um mit Aischylos zu sprechen, vortragen, wie es uns eben in den Mund kam?[319]

Jawohl, antwortete ich, und ich wenigstens mache es so. Was nun das Benehmen der unter der Herrschaft der Menschen lebenden Tiere anlangt, so glaubt niemand, der es nicht erfahren hat, um wieviel freier diese hier sind als sonst. Denn nicht nur die Hunde sind nach dem Sprichworte ganz wie ihre Herrinnen, sondern auch Pferde und Esel sind da gewohnt, ganz wie freie Leute und gravitätisch einherzuschreiten, und fällen auf den Straßen jeden ihnen Begegnenden an, wenn er vor ihnen nicht auf die Seite geht, und so ist alles übrige voll von Freiheit.

Da sprichst du mir ganz aus der Seele, sagte er; denn solche Erfahrung mache ich oft, wenn ich auf das Land gehe.

Wenn du alle diese Erscheinungen zusammennimmst, fuhr ich fort, siehst du nun ein, was das Allerschlimmste hierbei ist? Daß sie die Seele der Bürger so empfindlich machen, daß sie, wenn ihnen jemand auch nur den mindesten Zwang antun will, sich alsbald verletzt fühlen und es nicht ertragen; ja endlich, wie du wohl weißt, verachten sie gar alle Gesetze, die geschriebenen wie die ungeschriebenen, um nur keinen Gebieter in irgend einer Beziehung über sich zu haben.

Ja, sagte er, das weiß ich sehr wohl.

Diese so schöne, sagte ich, und jugendlich kecke Wirtschaft, mein Lieber, ist also denn der Anfang, woraus die Staatsform der Tyrannis erwächst, wie ich glaube.

Ja, sagte er, freilich eine jugendlich kecke Wirtschaft; aber was folgt auf diesen Anfang?

Derselbe proletarische Krankheitsstoff, antwortete ich, der in der Geldoligarchie sich erzeugte und sie zugrunde richtete, dieser erzeugt sich in diesem Freistaate in einem noch höheren und stärkeren Grade aus der zügellosen Freiheit und bringt die Demokratie in die Knechtschaft; und in der Tat führt überhaupt das Allzuviel gern einen Umschlag in das Gegenteil mit sich, z.B. in den Jahreszeiten, im Wachsen der Pflanzen und Körper, und so auch nun ganz vorzüglich in den Verfassungen.

Natürlich , sagte er.

Denn die allzu große Freiheit schlägt offenbar in nichts anderes um als in allzu große Knechtschaft, sowohl beim Individuum wie beim Staate.

Natürlich.[320]

Natürlich also denn, fuhr ich fort, geht die Tyrannis aus keiner anderen Staatsverfassung hervor als aus der Demokratie, aus der zur höchsten Spitze getriebenen Freiheit die größte und drückendste Knechtschaft.

Das hat seine Richtigkeit, meinte er.

Aber nicht auf diese Folge des Allzuviel, glaube ich, ging deine Frage vorhin, sondern vielmehr darauf: Welcher ebenso in der Oligarchie wie in der Demokratie sich erzeugende Krankheitsstoff bringt letztere unter das Joch der Knechtschaft?

Ja, sagte er, richtig bemerkt.

Unter jenem Krankheitsstoffe also, sagte ich, verstand ich das Pack der müßiggängerischen und alles vertuenden Menschen, wovon der mannhaftere Teil die Rolle der anführenden Rädelsführer spielt, der unmännliche dagegen das Gefolge bildet: diese Menschen verglichen wir vorhin mit Drohnen: die ersteren mit gestachelten, die letzteren mit ungestachelten.

Und zwar ganz passend, bemerkte er.

Diese beiden Sorten von Unrat nun, sprach ich weiter, zerrütten jeden Staat, in welchem sie sich ansammeln, gerade wie Verschleimung und Galle einen Körper; der gute Arzt und Gesetzgeber eines Staates muß nun vor diesen beiden Arten von Ungeziefer, wie der weise Bienenvater, von ferne schon Vorsichtsmaßregeln ergreifen: die allerbesten Maßregeln sind die, wodurch ihr Einnisten verhütet wird; die nächstbesten solche, durch die sie da, wo sie sich eingenistet haben, so schnell wie möglich samt den Waben ausgeschnitten werden.

Ja wahrlich, bei Zeus, sagte er, auf alle Weise.

Damit wir indessen, fuhr ich fort, die Wahrheit der Antwort auf die vorliegende Frage noch leichter und verständlicher ansehen, wollen wir die Sache von folgender Seite auffassen...

Von welcher?

Teilen wir in Gedanken die Bürgerschaft einer Demokratie in drei Klassen, in die sie bekanntlich auch in der Wirklichkeit zerfällt: die erste, die eben erwähnte Drohnenklasse, wächst in der Demokratie infolge der übermäßigen Freiheit in nicht geringerer Zahl empor als in dem von einer Oligarchie regierten Staate.

Ja, so ist's.

Aber in ersterer ist sie weit leidenschaftlicher als in letzterer.[321]

Wieso?

Weil sie in der Oligarchie nicht im Besitze der Bürgergeltung ist und von der Staatsregierung ausgeschlossen wird, kann sie dort ihre Geisteskraft nicht entwickeln und kommt zu keiner durchdringenden Kraft: in der Demokratie dagegen ist diese Klasse diejenige, die die ganze Bürgerschaft derselben, mit Ausnahme weniger, bevormundet: der leidenschaftlichste Teil davon spielt die tätige Rolle der Politik in Wort und Tat, der übrige Schwarm umlagert passiv mit Gesumse die Rednerbühne und läßt niemanden eine andere Meinung vortragen, so daß bei einer solchen Verfassung alle Geschäfte des Staates, mit Ausnahme weniger, von der genannten Klasse abgemacht werden.

Ja freilich, sagte er.

Die zweite Klasse ist nun die, welche sich immer vom Volke vornehm absondert.

Von welcher Beschaffenheit denn?

Wenn irgendwo alle Welt Gelderwerb treibt, so werden diejenigen in der Regel am reichsten, die, wenn auch nicht durch Geistesbildung, doch bloß durch eine besondere Naturanlage am meisten Sinn für Ordnung und Anstand haben.

Natürlich.

Von dieser zweiten Klasse nun, denke ich, läßt sich für jene Drohnen Honig schneiden, im reichlichsten Maße und ganz ohne alle Mühe.

Wie könnte auch einer, sagte er, bei denen Honig schneiden wollen, welche wenig haben?

Diese zweite Klasse, die Reichen, führen bekanntlich den Namen »Drohnenfutter«.

Ja, sagte er, so ungefähr.

Die dritte Klasse der Demokratie aber wäre das niedere Volk, worunter alle gehören, die von eigner Handarbeit leben, die keine Freunde von Staatsgeschäften sind, die keinen großen Landbesitz haben, und dieser Teil ist der zahlreichste und zugleich der entscheidendste, wenn er ganz versammelt ist.

Ja, sagte er, das ist er freilich; aber er hat keine sonderliche Lust, eine solche vollständige Versammlung zu bilden, wenn er keine Aussicht hat, Anteil am Honig zu bekommen.

Nun, sagte ich, er bekommt immer, wenn die rädelsführenden Volksführer imstande sind, die besitzende Klasse zu berauben[322] und den Raub unter das Volk so zu verteilen, daß er den größten Teil davon behalten kann.

Ja freilich, sagte er, so bekommt das Volk seinen Anteil.

Die beraubten Reichen werden dann natürlich in die Notwendigkeit versetzt, sich zur offenen Wehr zu setzen, indem sie in der Volksversammlung auftreten und Politik treiben, wie sie können.

Das müssen sie.

Dann werden sie von der Gegenpartei beschuldigt, daß sie die Volkssouveränität stürzen wollten und der Oligarchie zusteuerten, wenngleich sie gar keine Neuerung beabsichtigen.

Ja, so kommt's.

Wenn sie nun sehen, daß das Volk, nicht aus vorsätzlicher Bosheit, sondern aus Unverstand und von ihren anschwärzenden Gegnern betrogen, sie zu plündern sucht, dann werden sie endlich, sie mögen wollen oder nicht, in der Tat oligarchisch gesinnt, nicht aus innerem Antriebe, sondern auch dieses Übel impft jene Drohnenklasse ein durch ihre giftigen Stiche gegen die Begüterten.

Ja, offenbar.

Es erfolgen nun öffentliche Anklagen auf gravierende Staatsverbrechen, Gerichtsprozesse, öffentliche Parteikämpfe.

Jawohl.

Nicht wahr, daher die bekannte Gewohnheit des niederen Volkes, vorzugsweise irgend einen sich als Volksanwalt an seine Spitze zu stellen, ihn dick und mächtig groß zu füttern?

Ja, freilich ist das seine bekannte Gewohnheit.

Dies wäre also, sagte ich, erstlich außer Zweifel, daß ein Tyrann, wenn er entsteht, nur aus dieser Wurzel der Volksanwaltschaft und nirgends anderswoher hervorkeimt?

Ja, ganz ohne Zweifel.

Wo ist nun der Anfang seiner Umwandlung aus einem Volksanwalt zu einem Tyrannen? Oder ist der Anfang offenbar da, wenn der Volksanwalt anfängt, dasselbe zu tun, was der Mann in der Fabel tat, die von dem Tempel, des Zeus auf dem Wolfsberg in Arkadien erzählt wird?

Welche denn? fragte er.

Wer menschliches Eingeweide, wenn auch nur ein einziges unter andere von anderen Opfertieren zerhackt war, gekostet[323] habe, dieser werde nach einem unabwendbaren Verhängnisse in einen Wolf verwandelt. Oder hast du von dieser Sage noch nicht gehört?

O ja.

Wer nun dem Volke als Anwalt vorsteht, an ihm eine auf sein Kommando fein merkende Masse unter die Hände bekommt und sich nicht infolge solcher Gewalt des Blutes seiner eigenen (reichen) Mitbürger enthalten kann, sondern, wie es gern die Art solcher Volksmänner ist, bald durch ungerechte Anklagen sie vor die Kriminalgerichte bringt und sich mit Blutschuld befleckt durch Vernichtung von Menschenleben und durch das Kosten des verwandten Blutes mit gottloser Zunge und Lippe, bald Verbannungen und Todesurteile ausspricht, bald Schuldenerlaß und Ackerverteilung predigt: kommt über einen solchen hierauf nicht ebenso die zwingende Notwendigkeit und das unabwendbare Verhängnis, zwischen dem Tode von der Hand seiner Feinde und dem Tyrannenthrone zu wählen und also aus einem Menschen ein Wolf zu werden?

Ja, sagte er, die unabwendbarste Notwendigkeit!

Und dieser, sprach ich, und kein anderer wird sodann das Haupt des Bürgerkrieges gegen die begüterte Klasse?

Ja, kein anderer.

Er muß natürlich hierbei die Stadt räumen; und kehrt er dann trotz seiner Feinde wieder zurück, so ist wohl der Tyrann ausgebrütet?

Ja, offenbar.

Wenn aber nun die Reichen nicht imstande sind, ihn zu vertreiben oder durch eine Kriminalanklage vor der Volksgemeinde um das Leben zu bringen, so schmieden sie dann bekanntlich Pläne, ihn durch gewaltsamen Tod heimlich aus dem Wege zu räumen.

Ja, sagte er, so pflegt es wirklich zu gehen.

Daraufhin das bei allen, die bis zu dieser Stufe kommen, übliche Hervortreten der bekannten Tyrannenbitte: sie erbitten nämlich vom Volk sich einige Leibwächter zum Schutze, damit ihnen doch der Beschützer des Volkes am Leben bleibe!

Ganz richtig, bemerkte er.

Die Leute geben sie ihm, versteht sich, weil sie einerseits wirklich[324] für ihn Besorgnis tragen und andrerseits wegen ihrer Personen und Freiheiten keinen Argwohn hegen.

Richtig.

Wenn nun diesen Moment ein Mann wahrnimmt, der mit Gütern und neben diesen Gütern natürlich auch mit dem Verbrechen behaftet ist, ein »Volksfeind« zu sein, dann wird ein solcher, mein Freund, nach dem dem Kroisos gewordenen Orakel



zum Strom des kiesigten Hermos

Fliehen, er bleibt nicht mehr; nicht schämt er sich, feige zu heißen.


Natürlich, sagte er, denn der würde sich auch nicht zum zweiten Male zu schämen haben!

Ja, sprach ich, wird er nämlich erwischt, da ist er, meine ich, dem Tode verfallen.

Ja, unrettbar!

Jener Herr Volksanwalt dagegen legt sich selbstverständlich nicht groß großmächtig hin, sondern steht nach Niederstreckung vieler anderer Thronkandidaten am Ruder des Staates und ist nun ein Tyrann in seiner Vollendung!

Ja, sagte er, das läßt er erwarten.

Wollen wir nun, fuhr ich fort, verabredetem Plane gemäß die Glückseligkeit des Lebens sowohl des Individuums wie des Staates darstellen, in dem es aufkommen konnte?

Ja, sagte er, allerdings müssen wir das nun.

Nicht wahr, sprach ich, in den ersten Tagen und in den Flitterwochen wirft er aller Welt, wer ihm auch begegnen mag, lächelnde Mienen und Komplimente zu, versichert, gar kein Tyrann zu sein, macht einzelnen wie dem ganzen Gemeinwesen Aussichten auf große Verbesserungen, mildert die Schuldenlast, verteilt Land unter das Volk und unter seine erklärten Anhänger und tut gegen alle huldvoll und sanftmütig?

Ja, notgedrungen, sagte er.

Hat er aber, glaube ich, was die emigrierten einheimischen Feinde anlangt, sich mit einem Teile ausgesöhnt, den anderen vernichtet und Ruhe vor diesen einheimischen Feinden bekommen, so ist dann, denke ich, sein erstes, immer einige Kriege mit dem Auslande zu veranlassen, damit erstlich das Volk eines Anführers benötigt bleibt.[325]

Natürlich.

Nicht wahr, damit auch zweitens die Leute durch Entrichtung der dadurch veranlaßten außerordentlichen Kriegssteuern arm werden und ihre Gedanken auf den Erwerb des täglichen Brotes zu richten gezwungen sind und also ihm weniger gefährlich sein können?

Offenbar.

Damit er drittens, denke ich, unter einem guten Scheingrunde jene sich vom Halse schaffen und dem Schwert der auswärtigen Feinde überliefern kann, von denen er etwa argwöhnt, daß sie mit ihren freien Gesinnungen ihn nicht am Ruder lassen werden?

Muß er nicht aller dieser Gründe wegen beständig Krieg anzetteln?

Ja, notgedrungen.

Muß er nicht bei diesem Treiben sonach unfehlbar in weiterem Kreise den Staatsbürgern verhaßt werden?

Freilich.

Daher werden dann auch wohl sicherlich einige von denen, die ihn mit an das Ruder gebracht haben und Einfluß besitzen, frei mit der Sprache herausrücken, sowohl ihm selbst ins Angesicht als auch unter sich, und gegen die Früchte, die sie jetzt reifen sehen, laut losschlagen, da es Männer sind, die noch einigermaßen das Herz am rechten Flecke haben?

Ja, natürlich, daß sie solche Sprache erheben.

Aus dem Wege räumen muß er also alle diese, der Tyrann, wenn er das Regiment behalten will, bis er in seiner Nähe keinen weder von Freunden noch Feinden übrig hat, der noch etwas taugt.

Offenbar.

Sofort muß er sich eine feine Spürnase anschaffen, wo es sonst noch einen Mann von Mut oder Stolz oder Geist oder Geld gibt; und auf seinem Tyrannenthrone ist er so glücklich, daß ihm sein Schicksal unbedingt gebietet, allen solchen Männern ohne Ausnahme, mag sein Herz wollen oder nicht, den Krieg zu erklären und Schlingen zu legen, bis er den Staat gereinigt hat.

Ja, sagte er, eine schöne Art zu reinigen!

Ja freilich, sagte ich, ganz das Gegenteil von dem, wie vernünftige Ärzte die Körper der Patienten reinigen: denn diese[326] schaffen das Schlechteste in ihnen fort und schonen das Beste, der Tyrann aber tut das Gegenteil.

Es gebietet's ihm ja offenbar seine Situation, sagte er, wenn er auf seinem Herrscherthrone bleiben will.

In einer sehr glückseligen Situation, fuhr ich fort, steckt also fürs erste der Tyrann, in einer Situation, die ihm die gebieterische Notwendigkeit auflegt, entweder mit der Nichtsnutzigkeit der Masse und sogar auch von dieser gehaßt zu hausen, oder überhaupt nicht zu leben!

Ja, bemerkte er, in solcher Lage steckt er.

Ist nun nicht hiervon die weitere Folge, daß er eine desto zahlreichere und treuere Leibwache bedarf, je verhaßter er seinen Staatsbürgern durch jene Handlungen wird Allerdings.

Welches sind nun die Treuen, und woher soll er sie sich nehmen?

Von selbst, sagte er, kommen gar viele geflogen, wenn er nur den Köder des Soldes aushängt.

Von einer neuen Sorte Drohnen, beim Hunde, sagte ich, scheinst du mir wiederum zu reden, von ausländischem Gesindel aus allerlei Herren Ländern!

Ja, sagte er, das tue ich aus gutem Grunde!

Aber wie? Sollte er nicht lieber in dem Inlande wollen...?

Wie meinst du?

Die Sklaven den Staatsbürgern nehmen, sie mit der Freiheit beschenken und sie zu seinen Leibwächtern erheben.

Ja, sagte er, ganz wohl, denn diese wären ihm noch am treuesten.

Fürwahr, sprach ich, ein schönes Stück von Glückseligkeit zählst du weiter da von einem Tyrannen auf, wenn er die Freundschaft und Treue solcher Früchtchen zu genießen hat, nachdem er jene früheren Freunde beiseite geschafft!

Aber er hat nun einmal, sagte er, nur solche Früchtchen und keine anderen zu genießen!

Und dieser Genuß, sagte ich, besteht natürlich in der Bewunderung von seiten dieser Kameraden sowie in dem Umgang mit den von ihm neugebackenen Staatsbürgern, während die noch ordentlichen Bürger ihn hassen und wie die Pest fliehen?

Warum sollten sie das nicht?[327]

Nun, fuhr ich fort, da wird gar nicht so übel die dramatische Poesie überhaupt, insbesondere der darin sich auszeichnende Euripides als ein Schatzkästlein von Weisheit ausgegeben!

Weshalb denn?

Weil er unter anderem auch folgendes inhaltsschwere Wort ausgesprochen hat: Hochweise seien Tyrannen durch den Umgang mit großen Weisen, und offenbar damit sagen wollte, daß die großen Weisen die Personen wären, mit denen ein Tyrann Umgang pflege!

Ja, sagte er, als göttergleich lobpreist er die Tyrannis, und noch mit andern vielen Phrasen, und das tut er nicht allein, sondern auch die übrigen Dichter!

Ja, sagte ich, das ist eben auch der Grund, warum die Tragödiendichter als hochweise Leute uns und allen überhaupt, die die Politik nach unseren Grundsätzen treiben, gnädigst zu verzeihen haben, daß wir ihnen als Lobpreisern der Tyrannis die Aufnahme in unseren Staat versagen müssen.

Ja, meinte er, ich glaube, sie verzeihen uns gnädigst, wenigstens die feingesitteten von ihnen.

Sie können ja doch, denke ich, in die übrigen Staaten ziehen, da die Pöbelhaufen versammeln, schöne, mächtige und verführerische Schauspielerstimmen engagieren und dadurch zu ihrem Vergnügen die vernünftigen Staatsverfassungen zu Tyranneien und Demokratien herabziehen!

Jawohl.

Nicht wahr, und dazu können sie auch noch Sold und Ehren empfangen, im höchsten Grade, wie natürlich, von Tyranneien, im zweiten von der Demokratie? Je höher aber sie sich in der Stufenleiter der Staatsverfassungen versteigen, desto mehr nimmt ihr Ruhm ab, als wenn er vor Beklemmung nicht fortkommen könnte.

Allerdings.

Doch genug hiervon, sprach ich, wir sind ja von unserem Thema abgekommen! Laß uns wieder zurückkommen auf jene schöne, zahlreiche, buntscheckige und einem immerwährenden Wechsel unterworfene Leibgarde des Tyrannen, und zunächst auf die Frage, woher er sie ernähren werde.

Offenbar, sagte er, wenn Tempelgüter in dem Staate vorhanden sind, so verwendet er diese hierzu, bis wohin sie jedesmal[328] reichen (nach der Mode der Leute, die ihre liegenden Güter zu Gelde machen, um keine Steuern zu bezahlen), und erpreßt daher nur geringe Steuern von dem Volke.

Wie steht's aber, wenn diese geistlichen Güter ausgehen?

Da werden sich offenbar, sagte er, er, seine Zechbrüder, seine Freunde und Freundinnen von dem Vermögen seines »Vaters« ernähren.

Ich verstehe, antwortete ich: das Volk, das ihn erzeugt hat, wird ihn und seine Getreuen dann zu ernähren haben.

Mit der größten ihm unausbleiblichen Notwendigkeit, bemerkte er.

Aber was sagst du dazu? sprach ich weiter. Wenn das Volk sich sträubte und schriee: es sei nicht erlaubt, daß ein zur vollen Reife gekommener Sohn sich von seinem Vater ernähren lasse, vielmehr müsse gerade umgekehrt der Vater vom Sohn ernährt werden; nicht habe es ihn deshalb erzeugt und gehoben, damit es dann, wenn er groß geworden, sein und seiner Sklaven Sklave werde und ihn sowie seine Sklaven nebst anderem Gesindel ernähre: es habe im Gegenteil beabsichtigt, er solle unter seiner Führerschaft es vom Drucke der Geldsäcke und der sogenannten Gutgesinnten befreien; und wenn es infolge der jetzigen Erlebnisse wirklich ihn und seine Getreuen aus dem Staate sich entfernen heißt, gerade wie ein Vater seinen ungeratenen Sohn mit seinen lärmenden Zechbrüdern aus seinem Hause wirft...?

Dann erst werden, bei Zeus, sagte er, dem Volk gründlich die Augen aufgehen, was es für ein Früchtchen erzeugt, geherzt und großgezogen hat, und daß es nun als der schwächere Teil weit Stärkere auszutreiben beabsichtige.

Was sagst du hiermit? fragte ich. Wird denn der Tyrann sich erfrechen, gegen seinen »Vater« Gewalt zu brauchen und, wenn er ihm nicht gehorcht, ihn züchtigen?

Ja freilich, erwiderte er, und zwar nach Entwindung der Waffen!

Für einen Vatermörder, fuhr ich fort, für einen Wüterich gegen hilfloses Alter erklärst du also den Tyrannen, und mit diesem Worte wäre endlich nun die charakteristische Eigenschaft einer entschiedenen Tyrannenstaatsverfassung ausgedrückt! Und das Volk wäre, wie's im Sprichworte heißt, aus Scheu[329] vor dein Rauche einer Dienstbarkeit unter Freien in das Feuer einer Despotie unter Sklavenseelen geraten, hätte statt jenes gehofften herrlichen und weiten Gewandes der Freiheit das gröbste und zwickendste Kleid der Knechtschaft der Sklaven angezogen.

Ja, sagte er, sicher stellen sich diese Früchte ein.

Was nun noch weiter? fragte ich. Wird es eine Ungereimtheit sein, wenn wir behaupten, vollkommen dargestellt zu haben erstlich die Entstehungsweise der Tyrannis aus der Demokratie, zweitens ihre charakteristische Eigenschaft nach ihrer Entstehung?

Ja, erwiderte er, sie sind vollkommen dargestellt.

Quelle:
Platon: Sämtliche Werke. Band 2, Berlin [1940], S. 288-330.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Der Staat
Der Staat / Politeia: Griechisch - Deutsch
Der Staat
Staat: Kommentar
Der Staat
Der Staat

Buchempfehlung

Stramm, August

Gedichte

Gedichte

Wenige Wochen vor seinem Tode äußerte Stramm in einem Brief an seinen Verleger Herwarth Walden die Absicht, seine Gedichte aus der Kriegszeit zu sammeln und ihnen den Titel »Tropfblut« zu geben. Walden nutzte diesen Titel dann jedoch für eine Nachlaßausgabe, die nach anderen Kriterien zusammengestellt wurde. – Hier sind, dem ursprünglichen Plan folgend, unter dem Titel »Tropfblut« die zwischen November 1914 und April 1915 entstandenen Gedichte in der Reihenfolge, in der sie 1915 in Waldens Zeitschrift »Der Sturm« erschienen sind, versammelt. Der Ausgabe beigegeben sind die Gedichte »Die Menscheit« und »Weltwehe«, so wie die Sammlung »Du. Liebesgedichte«, die bereits vor Stramms Kriegsteilnahme in »Der Sturm« veröffentlicht wurden.

50 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Für den dritten Band hat Michael Holzinger neun weitere Meistererzählungen aus dem Biedermeier zusammengefasst.

444 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon