Timaios: Wie froh bin ich, mein Sokrates, daß ich nun, gleich als ob ich von einem langen Marsche ausruhte, den Weg meiner Erörterung glücklich zurückgelegt habe! Zu dem Gotte aber, der in der Tat schon lange vorher, in meiner Beschreibung aber soeben entstanden ist, flehe ich, er möge von dieser alles das, was das Richtige trifft, uns zum Heile gedeihen lassen, wenn wir aber wider unsern Willen etwas Irriges über den betreffenden Gegenstand vorgebracht haben, uns dafür die gebührende Strafe auferlegen. Die rechte Strafe aber besteht darin, daß er aus Irrenden uns zu Kundigen mache. Damit wir also in Zukunft über die Entstehung der Götter die Wahrheit reden, so flehen wir ihn an, er möge uns als Heilmittel, und zwar als das vollkommenste und beste aller Heilmittel, die Erkenntnis verleihen, und nachdem wir also den Gott angerufen, überlassen wir unserer Übereinkunft gemäß dem Kritias die Fortsetzung.
Kritias: Wohl, mein Timaios, ich übernehme sie. Doch was auch du zu Anfange getan hast, daß du nämlich wegen der Schwierigkeit des zu behandelnden Gegenstandes dir Nachsicht erbatest, eben das erbitte auch ich mir und wünsche desselben in noch weit höherem Grade in bezug auf meine folgende Auseinandersetzung teilhaftig zu werden. Ja, obgleich es mir nicht so ganz entgeht, daß ich damit eine sehr anmaßende und mehr als billig unziemliche Bitte tun werde, so muß ich sie dennoch aussprechen. Denn daß deine Darlegung nicht vortrefflich gewesen wäre, welcher Verständige dürfte das zu behaupten wagen! Um so mehr aber muß ich es irgendwie dartun, daß die Erfüllung der von mir übernommenen Aufgabe größere Schwierigkeiten darbietet und daher auch größerer Nachsicht bedarf. Nämlich, lieber Timaios, es ist leichter zu genügen, wenn man über die Götter vor den Menschen, als wenn man über die Sterblichen vor uns spricht. Denn wenn[195] man über dasjenige reden soll, worin die Zuhörer unerfahren, ja gänzlich unwissend sind, so gewährt eben dieser ihr Zustand hierfür eine große Erleichterung. Wie wir uns nun in dieser Beziehung in betreff der Götter verhalten, wißt ihr selbst; damit ich euch aber noch deutlicher machen kann, wie ich es meine, so bitte ich euch, meiner Erörterung hierüber zu folgen.
Als eine Nachahmung und Abbildung muß man nämlich doch wohl die einem jeden von uns aufgetragene Auseinandersetzung bezeichnen. Betrachten wir nun aber einmal, mit welcher Leichtigkeit oder Schwierigkeit die Maler bei ihren Nachbildungen von Götter- und andererseits von Menschenkörpern es erreichen, daß sie den Beschauern diese hinlänglich ähnlich dargestellt zu haben scheinen, und wir werden sehen, daß, wenn einer die Erde und ihre Berge, Flüsse und Wälder und das ganze Weltgebäude mit allem, was sich innerhalb seines Umkreises befindet und bewegt, auch nur einigermaßen der Ähnlichkeit entsprechend darzustellen imstande ist, wir zunächst hiermit schon zufrieden sind, und daß wir überdies noch, da wir doch über jene Dinge selbst keine genauen Kenntnisse haben, auch die Zeichnungen nicht näher untersuchen und prüfen, vielmehr uns bei ihnen eine ungenaue und auf Täuschung berechnete Perspektivmalerei gefallen lassen, daß dagegen, wenn jemand unsere Körper abzumalen versucht, wir infolge unserer natürlichen, oft wiederholten Beobachtung derselben genau darauf merken, ob irgend etwas mangelt, und strenge Richter sind, wenn wir nicht alle Ähnlichkeiten in allen Stücken wiedergegeben sehen. Eben dasselbe wird sich daher auch bei der mündlichen Darstellung wahrnehmen lassen, daß wir nämlich hinsichtlich der himmlischen und göttlichen Dinge mit einer auch nur annähernden Wahrscheinlichkeit derselben zufrieden sind, hinsichtlich des Sterblichen und Menschlichen aber eine genaue Prüfung mit ihr anstellen. Deshalb müßt ihr rücksichtlich dessen, was ich nunmehr ohne weitere Vorbereitung schildern werde, Nachsicht mit mir haben, wenn ich nicht ganz das Geziemende wiederzugeben imstande sein werde; denn ihr müßt erwägen, daß es nicht leicht, sondern schwierig ist, menschliche Verhältnisse so abzuschildern, daß man der Erwartung entspricht. Um euch nun hierauf aufmerksam zu machen und mir nicht weniger, sondern[196] mehr Nachsicht für das von mir zu Erörternde zu erbitten, habe ich dies alles angeführt, mein Sokrates. Wenn ich euch also mit Recht diese Gabe zu erbitten scheine, so gewährt sie mir aus freiem Antriebe!
Sokrates: Warum sollten wir sie dir nicht gewähren, mein Kritias? Und ebenso mag das gleiche auch dem Hermokrates als dem Dritten von uns gewährt werden. Denn es läßt sich voraussehen, daß er gleich hernach, wenn er sprechen soll, sich dieselbe Gunst, wie ihr, erbitten wird. Damit er also einen anderen Anfang ausfindig mache und nicht sich gezwungen sehe, eben denselben vorzubringen, so mag er reden wie einer, der dieser Nachsicht bereits zuvor versichert ist. Ich eröffne dir jedoch, lieber Kritias, im voraus die Ansicht deiner Zuhörerschaft, daß die Dichtung deines Vorgängers einen so außerordentlichen Ruhm bei ihr eingelegt hat, daß die Nachsicht dir in der Tat in vollem Maße nötig sein wird, damit du ihre Fortsetzung zu übernehmen imstande seiest.
Hermokrates: Damit kündigst du denn auch mir das gleiche an, mein Sokrates, wie dem Kritias. Indessen mutlose Männer haben noch nie ein Siegeszeichen errichtet, lieber Kritias, und so ziemt es dir denn, mutig zur Sache zu schreiten und nach Anrufung des Paian und der Musen die Vortrefflichkeit der alten Staatsbürger darzutun und zu verherrlichen.
Kritias: Mein lieber Hermokrates, du bist noch guten Mutes, weil erst hinterher die Reihe an dich kommt und du noch einen andern zum Vordermann hast. Wie es daher in Wahrheit mit diesem deinem Mute bestellt ist, wird schon die Sache selber dich lehren; wie dem aber auch sein mag, so ziemt es sich doch, deinem Zuspruch und deiner Ermunterung Folge zu leisten und neben den genannten Göttern auch alle anderen anzurufen, vor allen aber die Mnemosyne. Ruht doch der Haupterfolg meiner Rede ganz in der Macht dieser Göttin; denn wenn ich nur hinlänglich mich dessen zu erinnern und es hiernach zu berichten weiß, was einst von den Priestern dem Solon mitgeteilt und von ihm hierher mitgebracht wurde, so glaube ich zu wissen, daß ich meiner Zuhörerschaft hier meine Aufgabe so ziemlich werde gelöst zu haben scheinen. So mag es denn nun geschehen, und ich will nicht länger mehr zaudern.
Vor allem nun wollen wir uns zunächst das ins Gedächtnis[197] zurückrufen, daß es im ganzen neuntausend Jahre her sind, seitdem, wie angegeben worden, der Krieg zwischen denen, welche jenseits der Säulen des Herakles, und allen denen, welche innerhalb derselben wohnten, entstand, welchen ich jetzt vollständig zu erzählen habe. Nun wurde schon angeführt, daß an der Spitze der letzteren unsere Stadt stand und den ganzen Krieg zu Ende führte, während über die ersteren die Könige der Insel Atlantis herrschten, welche, wie ich bemerkt habe, einst größer war als Libyen und Asien zusammen, jetzt aber durch Erderschütterungen untergegangen ist und dabei einen undurchdringlichen Schlamm zurückgelassen hat, welcher sich denen, die in das jenseitige Meer hinausschiffen wollen, als Hindernis ihres weiteren Vordringens entgegenstellt. Ein Bild nun der vielen übrigen ungriechischen Völker und sämtlicher Hellenenstämme, welche es damals gab, wird der Verfolg unserer Erzählung im einzelnen, wie es gerade die Gelegenheit mit sich bringt, entrollen: dagegen die Verhältnisse der alten Athener und ihrer Gegner, mit denen sie Krieg führten, das heißt die Macht und die Staatseinrichtungen von beiden, ist es nötig sogleich vorauszuschicken. Unter ihnen selber aber verdient die Schilderung der hiesigen Zustände den Vorrang.
Die Götter nämlich verteilten einst die ganze Erde nach ihren einzelnen Gegenden unter sich, und zwar ohne Streit, denn es würde keinen vernünftigen Sinn haben, anzunehmen, daß die Götter nicht gewußt haben sollten, was einem jeden von ihnen zukäme, oder aber, daß einige von ihnen das, was sie vielmehr als anderen zustehend erkannt, dennoch diesen abzustreiten und in ihren eigenen Besitz zu bringen versucht hätten. Durch rechtlich bestimmte Verteilung also erhielten sie, was ihnen lieb war, und wählten hiernach ihre Wohnsitze, und nachdem dies geschehen war, so zogen sie uns als ihre Besitztümer und Pfleglinge auf wie die Hirten ihre Herden, nicht so jedoch, daß sie mit körperlicher Gewalt unsere Körper lenkten, wie die Hirten ihr Vieh mit Schlägen, sondern sie führten und leiteten das ganze Menschengeschlecht, als das lenksamste aller lebendigen Wesen, gleichsam nur wie mit einem Steuerruder vom Schiffshinterteile aus, indem sie sich vermöge ihrer höheren Einsicht durch Überredung der Seelen bemächtigten. So nahmen denn nun, was andere Gegenden[198] anlangt, andere Götter diese in Besitz und statteten sie aus; Hephaistos aber und Athene hatten, so wie sie von Natur zusammengehören, teils als Geschwister von väterlicher Seite her, teils wegen ihrer gleichen Liebe zur Wissenschaft und Kunst, so auch beide unser Land zum gemeinsamen Eigentume empfangen, weil dieses von Natur eine ihnen verwandte und angemessene Tüchtigkeit und Einsicht hervorzubringen geeignet war, und sie pflanzten daher wohlgeartete Männer als Eingeborene auf diesen Boden und legten darauf in ihren Geist die Anordnung der Staatsverfassung. Von diesen sind die Namen erhalten, ihre Taten aber wegen des Unterganges derer, die sie von ihnen überkamen, und der Länge der Zeit in Vergessenheit geraten. Denn das jedesmal übrigbleibende Geschlecht pflegt, wie schon früher bemerkt wurde, das auf den Bergen lebende und der Schrift unkundige zu sein, welches bloß die Namen der Herrscher im Lande gehört hat und dazu etwas Weniges von ihren Taten. Sie mußten sich daher damit begnügen, ihren Nachkommen diese Namen zu überliefern; die Tugenden und die Staatseinrichtungen ihrer Vorfahren aber kannten sie nicht, es sei denn einige dunkle Gerüchte über Einzelnes, und da sie überdies zusamt ihren Abkömmlingen viele Geschlechter hindurch an dem Notwendigen Mangel litten und daher vielmehr auf die Ausfüllung dieses Mangels ihren Sinn richten mußten, so sprachen sie auch vielmehr hierüber mit einander und vernachlässigten das einst bei ihren Vorfahren und vor alters Geschehene. Denn die Erzählung alter Sagen und die Erforschung der Vorzeit tritt erst mit der Muße in den Staaten ein, wenn sie die Sorge um die Notdurft des Lebens bei manchen als eine schon überwundene vorfindet, und nicht früher. Darum also sind uns die Namen der Alten ohne ihre Taten erhalten geblieben. Dies aber nehme ich daraus ab, weil Solon erzählte, die Priester hätten über den damaligen Krieg dergestalt berichtet, daß sie jene alten Athener meistens mit allen denjenigen Namen benannten – nämlich mit dem des Kekrops, Erechtheus, Erichthonios, Erysichthon und den meisten anderen –, wie ein jeder auch wirklich von den Vorgängern des Theseus im Umlauf ist, und ebenso sei es mit denen der Frauen gewesen. Und ebenso ist auch die Gestalt und das Bild der Göttin – denn wie damals die Geschäfte des[199] Krieges Frauen und Männern gemeinsam waren, so sollen diesem Brauche entsprechend die damaligen Athener die gewappnete Göttin als Tempelbild geweiht haben – ein Beweis dafür, daß alle lebendigen Wesen, welche sich paarweise finden, weiblich und männlich, von Natur imstande dazu sind, die beiden Geschlechtern zukommende Tüchtigkeit auch beiderseits gemeinschaftlich in Ausübung zu bringen.
Es wohnten nun damals in diesem Lande mit einander die übrigen Klassen der Bürger, welche sich mit den Gewerben und mit dem Gewinne von den Früchten der Erde beschäftigten; das Geschlecht der Krieger aber, welches durch gottbegeisterte Männer gleich im Anfang von ihnen ausgesondert war, wohnte getrennt von ihnen, ausgerüstet mit allem, was zur Erziehung und Bildung erforderlich ist, und keiner von ihnen hatte ein ausschließliches Eigentum, sondern alle sahen das Eigentum aller als ihnen gemeinsam an, so wie sie denn auch über den erforderlichen Unterhalt hinaus irgend etwas von den übrigen Bürgern anzunehmen verschmähten und überhaupt alle diejenigen Bestrebungen wirklich verfolgten, welche gestern den bloß vorausgesetzten Wächtern zugeschrieben wurden.
Aber auch was sodann in betreff unseres Landes erzählt wurde, ist glaubwürdig und wahr: zuerst, daß sich damals seine Grenzen bis an den Isthmos und gegen das übrige Festland bis zu den Höhen des Kithairon und Parnes ausgedehnt, und daß sich diese Grenzen dergestalt abwärts gezogen hätten, daß sie das Gebiet von Oropos zur Rechten hatten, zur Linken aber den Asopos vom Meere abgrenzten; sodann aber, daß an Fruchtbarkeit die ganze Erde von unserem Lande übertroffen wurde, weshalb es denn auch imstande gewesen wäre, ein großes Heer von Einwohnern zu ernähren. Ein bedeutender Beweis aber für diese Güte des Bodens ist der Umstand, daß auch sein gegenwärtiger Überrest in Ergiebigkeit an jeglicher Frucht und an Nahrung für jede Art lebender Wesen es noch mit allen anderen Ländern aufnimmt; damals aber gar trug er dies alles in Schönheit und reichlicher Fülle. Wie nun aber möchte dies noch näher als glaubwürdig erscheinen, nämlich inwiefern dies gegenwärtige Land mit Recht ein Überrest des damaligen heißen? Das Ganze, so wie es vom übrigen Festlande ab sich langhin in das Meer erstreckt, liegt da wie ein Vorgebirge;[200] denn das Meeresbecken, welches es umgibt, ist hart an seinen Gestaden überall von großer Tiefe; und da nun viele bedeutende Überschwemmungen während der neuntausend Jahre stattgefunden haben – denn so viele sind ja deren seit jener Zeit bis auf die gegenwärtige verstrichen –, so hat die Erde, welche während dieser Zeit und unter diesen Einwirkungen von den Höhen herabgeflossen ist, nicht, wie in anderen Gegenden, einen Damm, welcher der Rede wert wäre, aufgeworfen, sondern ist jedesmal im Kreise herumgeflossen und so in der Tiefe verschwunden. So sind denn, wie es auch bei kleinen Inseln zu geschehen pflegt, im Vergleich zu dem damaligen Lande in dem gegenwärtigen gleichsam wie von einem durch Krankheit dahingeschwundenen Körper nur noch die Knochen übriggeblieben, indem die Erde, soweit sie fett und weich war, ringsherum abgeflossen und nur das magere Gerippe des Landes zurückgelassen ist. Damals aber, als es noch unversehrt war, waren seine Berge hoch und mit Erde bedeckt, und ebenso waren seine Ebenen, welche jetzt als Steinboden bezeichnet werden, voll fetter Erde; auch trug es vieles Gehölz auf den Bergen, von welchem es auch jetzt noch deutliche Spuren gibt. Denn von den Bergen bieten zwar einige jetzt nur noch den Bienen Nahrung dar; es ist aber noch nicht gar lange Zeit her, als noch Dächer, welche aus den Bäumen verfertigt waren, die man dort als Sparrenholz für die größten Gebäude fällte, unversehrt dastanden. Es gab aber auch noch viel andere hohe Bäume, und zwar Fruchtbäume, und für die Herden brachte das Land unglaublich reiche Weide hervor. Ferner genoß es einer jährlichen Bewässerung von Zeus und verlor diese auch nicht wieder, wie jetzt, wo sie von dem dünnen Fruchtboden ins Meer abfließt; sondern wie es diesen damals reichlich besaß, so sog es auch den Regen in ihn ein und bewahrte ihn in einer Umschließung von Tonerde auf, indem es das eingesogene Wasser von den Höhen in die Tiefen hinabfließen ließ, und bereitete so an allen Orten reichhaltige Quellen und Flüsse, von denen auch noch jetzt da, wo einst ihre Ursprünge waren, heilige Merkzeichen für die Wahrheit meiner gegenwärtigen Erzählung über unser Land geblieben sind.
Also war nun das übrige Land von Natur beschaffen und ward auch in gehöriger Weise angebaut von Ackerleuten, die[201] in Wahrheit diesen Namen verdienten und sich eben nur hiermit beschäftigten und dabei pflichteifrig und von tüchtigem Schlage waren, wie ihnen denn ja auch der schönste Boden und Wasser in reicher Fülle und in der Luft die trefflichste Mischung der Jahreszeiten zuteil geworden war. Die Stadt aber war in der damaligen Zeit auf folgende Weise angelegt: Die Burg zuvörderst befand sich damals in anderen Umgebungen als jetzt. Denn jetzt hat eine besonders regnerische Nacht die Erde ringsherum aufgelockert und von ihr weggespült, indem zugleich Erdbeben und eine gewaltige Wasserflut, die dritte vor der Zerstörung zu Deukalions Zeit, entstanden waren. Sodann zog sich ihre Ausdehnung in früherer Zeit bis zum Eridanos und Ilissos hinab, faßte die Pnyx in sich und hatte der Pnyx gegenüber den Berg Lykabettos zur Grenze; auch war die ganze Höhe mit Erde bedeckt und mit wenigen Ausnahmen eben auf ihrer Oberfläche. Es wurde aber die Gegend außerhalb derselben, unmittelbar unter ihren Abhängen, von den Handwerkern und denjenigen Landleuten, welche den nahegelegenen Acker bebauten, bewohnt; die Höhe selbst aber war um das Heiligtum der Athene und des Hephaistos herum von dem Geschlecht der Krieger gesondert für sich in Besitz genommen, indem sie dasselbe wie den Garten eines gemeinsamen Hauses mit einer einzigen Mauer umgeben hatten. Sie bewohnten nämlich den nördlichen Teil der Burg, wo sie mit gemeinschaftlichen Häusern und Speisesälen für den Winter und überhaupt mit allem, was in ihrem Gemeinwesen zur Einrichtung von Gebäuden für sie selbst und die Priester erforderlich war, ausgerüstet waren, jedoch nicht mit Gold und Silber, denn dessen bedienten sie sich niemals in irgend welcher Art; und wie sie vielmehr überhaupt zwischen Übermut und unfreiem Sinne die Mittelstraße verfolgten, so waren auch ihre Wohnungen von mäßig guter Einrichtung, in denen sie selbst und noch ihre Kindeskinder alt wurden, und wie das eine Geschlecht stets dem anderen ähnlich war, so übergab es ihm diese auch immer in dem gleichen Zustande. Was aber den südlichen Teil der Burg anlangt, so gebrauchten sie ihn zu dem gleichen Zwecke, wenn sie, wie dies im Sommer zu geschehen pflegte, ihre besonders dazu eingerichteten Gärten, Übungsplätze und Speisesäle[202] verließen. Es gab ferner damals nur einen einzigen Born an dem Punkte, wo jetzt die Burg steht, nach dessen Versiegen infolge von Erdbeben noch die kleinen Wässerchen von ihm übriggeblieben sind, welche sich rings um sie herumziehen; er gewährte aber eine völlig zureichende Wassermenge für alle, die damals lebten, und besaß im Winter wie im Sommer das richtige Wärmeverhältnis. In dieser Weise also wohnten sie dort, als Beschützer ihrer eignen Mitbürger sowie als frei gewählte Führer aller andern Hellenen, und wachten nach Möglichkeit dafür, daß die Zahl ihrer eigenen kriegstüchtigen Mitglieder – an Männern und Weibern – für ewige Zeiten dieselbe bleibe, welche auch damals bereits sich auf ungefähr zwanzigtausend belief.
Da sie nun also von solcher Beschaffenheit waren und etwa in der beschriebenen Weise ihren eigenen Staat sowie ganz Griechenland mit Gerechtigkeit lenkten, so waren sie in ganz Europa und Asien sowohl wegen ihrer Körperschönheit als auch wegen ihrer mannigfachen geistigen Vorzüge angesehen, ja die namhaftesten unter allen damals lebenden Völkern. Doch nun will ich auch die Verhältnisse ans Licht stellen, wie sie bei ihren Gegnern bestanden und wie sie sich von Anfang an bei diesen entwickelten – wenn anders mich mein Gedächtnis nicht bei dem, was ich bereits als Knabe gehört habe, im Stiche läßt –, um auch euch, meinen Freunden, die Kunde hiervon mitzuteilen.
Indessen muß ich meinem Berichte noch die Bemerkung unmittelbar voraufschicken, daß ihr euch nicht etwa wundern möget, wenn ihr ungriechischen Männern griechische Namen geben hört: denn ihr sollt den Grund davon erfahren. Da nämlich Solon ja diese Erzählung zu einem Gedichte zu verwenden bezweckte, so forschte er nach der Bedeutung der Namen, und da fand er nun, daß jene alten Ägypter, welche sie zuerst aufgezeichnet, sie in ihre eigene Sprache übersetzt hatten, und so nahm er seinerseits gleichfalls wieder den Sinn jedes Namens vor und schrieb ihn so nieder, wie er, in unsere Sprache übertragen, lautete. Und diese Aufzeichnungen befanden sich denn auch bei meinem Großvater, und ich besitze sie noch, und sie sind von mir in meinen Knabenjahren sorgfältig durchgelesen worden. Wenn ihr daher ebensolche Namen hört wie hierzulande, so laßt euch das nicht wundernehmen, denn ihr wißt[203] jetzt die Ursache davon. Von der langen Erzählung lautete der Anfang nun damals ungefähr folgendermaßen:
Wie schon im Obigen erzählt wurde, daß die Götter die ganze Erde unter sich teils in größere, teils in kleinere Teile verteilt und sich selber ihre Heiligtümer und Opferstätten gegründet hätten, so fiel auch dem Poseidon die Insel Atlantis zu, und er verpflanzte seine Sprößlinge, die er mit einem sterblichen Weib erzeugt hatte, auf einen Ort der Insel von ungefähr folgender Beschaffenheit: Ziemlich in der Mitte der ganzen Insel, jedoch so, daß sie an das Meer stieß, lag eine Ebene, welche von allen Ebenen die schönste und von ganz vorzüglicher Güte des Bodens gewesen sein soll. Am Rande dieser Ebene aber lag wiederum, und zwar etwa sechzig Stadien vom Meere entfernt, ein nach allen Seiten niedriger Berg. Auf diesem nun wohnte einer von den daselbst im Anfange aus der Erde entsprossenen Männern, namens Euenor, zusamt seiner Gattin Leukippe, und sie hatten eine einzige Tochter, Kleito, erzeugt. Als nun dies Mädchen in das Alter der Mannbarkeit gekommen war, starben ihr Mutter und Vater; Poseidon aber ward von Liebe zu ihr ergriffen und verband sich mit ihr. Er trennte deshalb auch den Hügel, auf welchem sie wohnte, rings herum durch eine starke Umhegung ab, indem er mehrere kleinere und größere Ringe abwechselnd von Wasser und von Erde um einander fügte, und zwar ihrer zwei von Erde und drei von Wasser, und mitten aus der Insel gleichsam herauszirkelte, so daß ein jeder in allen seinen Teilen gleichmäßig von den anderen entfernt war; wodurch denn der Hügel für Menschen unzugänglich ward, denn Schiffe und Schiffahrt gab es damals noch nicht. Für seine Zwecke aber stattete er die in der Mitte liegende Insel, wie es ihm als einem Gotte nicht schwer ward, mit allem Nötigen aus, indem er zwei Wassersprudel, den einen warm und den andern kalt, dergestalt, daß sie aus einer gemeinsamen Quelle flossen, aus der Erde emporsteigen und mannigfache und reichliche Frucht aus ihr hervorgehen ließ. An männlicher Nachkommenschaft aber erzeugte er fünf Zwillingspaare und zog sie auf, zerlegte sodann die ganze Insel Atlantis in zehn Landgebiete und teilte von ihnen dem Erstgeborenen des ältesten Paares den Wohnsitz seiner Mutter und das umliegende Gebiet, als das größte und beste, zu und bestellte ihn auch zum[204] König über die anderen Söhne; aber auch diese machte er zu Herrschern, indem er einem jeden die Herrschaft über viele Menschen und vieles Land verlieh. Auch legte er allen Namen bei, und zwar dem ältesten und Könige den, von welchem auch die ganze Insel und das Meer, welches ja das Atlantische heißt, ihre Benennungen empfingen; nämlich Atlas ward dieser erste damals herrschende König geheißen. Dem nach ihm geborenen Zwillingsbruder ferner, welcher den äußersten Teil der Insel, von den Säulen des Herakles bis zu der Gegend, welche jetzt die gadeirische heißt und von der damals so genannten diese Bezeichnung empfangen hat, als seinen Anteil erhielt, gab er in der Landessprache den Namen Gadeiros, welcher auf griechisch Eumelos lauten würde und auch jene Benennung des Landes hervorrufen sollte. Von dem zweiten Paare sodann nannte er den einen Ampheres und den andern Euaimon, von dem dritten den erstgeborenen Mnaseas und den folgenden Autochthon, von dem vierten den ersten Elasippos und den zweiten Mestor, von dem fünften endlich empfing der Frühgeborene den Namen Azaës und der letztgeborene den Namen Diaprepes. Diese alle nun samt ihren Abkömmlingen wohnten hier viele Geschlechter hindurch und beherrschten auch noch viele andere Inseln des Meeres, überdies aber, wie schon vorhin bemerkt wurde, auch noch die hier innerhalb Wohnenden bis nach Ägypten und Tyrrhenien hin.
Vom Atlas nun stammte ein zahlreiches Geschlecht, welches auch in seinen übrigen Gliedern hochgeehrt war, namentlich aber dadurch, daß der jedesmalige König die königliche Gewalt immer dem ältesten seiner Söhne überlieferte, viele Geschlechter hindurch sich den Besitz dieser Gewalt und damit eines Reichtums von solcher Fülle bewahrte, wie er wohl weder zuvor in irgend einem Königreiche bestanden hat, noch so leicht künftig wieder bestehen wird, und war mit allem versehen, was in der Stadt und im übrigen Lande herbeizuschaffen nötig war. Denn vieles ward diesen Königen von auswärtigen Ländern her infolge ihrer Herrschaft über diese zugeführt; das meiste aber bot die Insel selbst für die Bedürfnisse des Lebens dar, zunächst alles, was durch den Bergbau gediegen oder in schmelzbaren Erzen hervorgegraben wird, darunter auch die Gattung, welche jetzt nur noch ein Name ist, damals aber mehr[205] als dies war, nämlich die des Goldkupfererzes, welches an vielen Stellen der Insel aus der Erde gefördert und unter den damals lebenden Menschen nächst dem Golde am höchsten geschätzt ward. Ferner brachte sie alles, was der Wald zu den Arbeiten der Handwerker darbietet, in reichem Maße hervor und nährte reichlich wilde und zahme Tiere. Sogar die Gattung der Elefanten war auf ihr sehr zahlreich; denn nicht bloß für die übrigen Tiere insgesamt, welche in Sümpfen, Teichen und Flüssen, sowie für die, welche auf den Bergen und welche in den Ebenen leben, war reichliches Futter vorhanden, sondern in gleichem Maße auch selbst für diese Tiergattung, die die größte und gefräßigste von allen ist. Was überdem die Erde jetzt nur irgend an Wohlgerüchen nährt, sei es von Wurzeln oder Gras oder Hölzern oder hervorquellenden Säften oder Blumen oder Früchten, das alles trug und hegte die Insel vielfältig; nicht minder die »milde Frucht« (den Wein) und die trockene, deren wir zur Nahrung bedürfen (Getreide), und alle, deren wir uns sonst zur Speise bedienen und deren Arten wir mit dem gemeinsamen Namen der Gemüse bezeichnen; ferner die, welche baumartig wächst und Trank und Speise und Salböl zugleich liefert; ferner die schwer aufzubewahrende Frucht der Obstbäume, welche uns zur Freude und zur Erheiterung geschaffen ist, und was wir zum Nachtisch aufzutragen pflegen als erwünschte Reizmittel des angefüllten Magens für die Übersättigten, – dies alles brachte die Insel, die damals durchweg den Einwirkungen der Sonne zugänglich war, in vortrefflicher und bewundernswerter Gestalt und in der reichsten Fülle hervor. Indem nun Atlas und seine Nachkommen dies alles aus der Erde empfingen, gründeten sie Tempel, Königshäuser, Häfen und Schiffswerften und richteten auch das ganze übrige Land ein, wobei sie nach folgender Anordnung verfuhren:
Zuerst schlugen sie Brücken über die Ringe von Wasser, welche ihre alte Mutterstadt umgaben, um sich so einen Weg von und zu der Königsburg zu schaffen. Diese errichteten sie nämlich gleich im Anfange eben auf jenem Wohnsitze des Gottes und ihrer Vorfahren, und so empfing sie der eine von dem anderen, indem ein jeder ihre Ausstattung erweiterte und nach Kräften seinen Vorgänger darin überbot, bis sie denn endlich diesen ihren Wohnsitz durch die Größe und Schönheit ihrer Werke[206] zu einem staunenswerten Anblicke gemacht hatten: Zuerst nämlich gruben sie einen Kanal von drei Plethren Breite, hundert Fuß Tiefe und fünfzig Stadien Länge vom Meere aus bis zu dem äußersten Ringe hin und machten so eine Einfahrt von der See in denselben wie in einen Hafen möglich, indem sie die Einmündung in ihn weit genug zum Einlaufen für die größten Schiffe brachen. Sodann durchbrachen sie aber auch die Kreiswälle von Erde, welche die Wasserringe von einander trennten, unterhalb der Brücken in einer solchen Breite, daß für einen einzelnen Dreiruderer die Durchfahrt von dem einen durch den anderen möglich ward, und überbrückten dann wieder den Durchstich, so daß die Schiffahrt hier eine unterirdische war; die Ränder der Erdwälle hatten nämlich eine Höhle, welche hinlänglich über das Meer emporragte. Es war aber der weiteste von den Ringen, welche einst aus dem Meere gebildet waren, drei Stadien breit, und ebenso der zunächst auf ihn folgende Wallring, von den beiden nächsten Ringen aber der aus Wasser bestehende zwei, und ebenso war ihm wiederum der aus Erde aufgehäufte an Breite gleich, endlich der unmittelbar um die Insel herumlaufende ein Stadion, und die Insel selbst, auf welcher die Königsburg stand, hatte fünf Stadien im Durchmesser. Diese selber nun umgaben sie rings herum, und ebenso die Ringe und die Brücke, welche ein Plethron breit war, von beiden Seiten mit je einer steinernen Mauer und errichteten bei den Brücken nach beiden Seiten hin Türme und Tore gegen die Durchfahrten vom Meere zu. Die Steine dazu aber, welche teils weiß, teils schwarz und teils rot waren, brachen sie unten an den Abhängen der in der Mitte gelegenen Insel ringsherum und ebenso unten an den Wallrändern nach außen und nach innen zu, und dadurch, daß sie sie dort herausschlugen, erlangten sie zugleich innerhalb derselben auf beiden Seiten Höhlungen zu Schiffsarsenalen, welche den Felsen selber zur Decke hatten. Auch andere Gebäude errichteten sie aus jenen Steinen, und zwar teils einfarbige, teils auch bunte, indem sie sie aus verschiedenfarbigen Steinen zum Genuß für das Auge zusammensetzten und ihnen dadurch ihren vollen natürlichen Reiz gaben. Die Mauer endlich, welche um den äußeren Wall herumlief, faßten sie ihrem ganzen Umfange nach mit Erz ein, indem sie dieses gleichsam wie ein Salböl anwandten; die um den innern aber[207] umschmolzen sie mit Zinn, endlich die Burg selbst mit Goldkupfererz, welches einen feuerähnlichen Glanz hatte.
Die königliche Wohnung innerhalb der Burg selbst aber war folgendermaßen eingerichtet: Inmitten der letztem befand sich ein der Kleito und dem Poseidon geweihter Tempel, welcher nur von den Priestern betreten werden durfte und mit einer goldenen Mauer umgeben war, derselbe, in welchem sie einst das Geschlecht der zehn Fürsten erzeugt und hervorgebracht hatten. Dahin schickte man auch jedes Jahr aus allen zehn Landgebieten die Erstlinge als Opfer für einen jeden von diesen. Ferner stand dort ein besonderer Tempel des Poseidon, von einem Stadion Länge, drei Plethren an Breite und von einer Höhe, wie sie einen dementsprechenden Anblick gewährte, er hatte aber ein etwas barbarisches Ansehen. Den ganzen Tempel nun überzogen sie von außen mit Silber, mit Ausnahme der Zinnen, die Zinnen aber mit Gold. Was aber das Innere anbetrifft, so konnte man die elfenbeinerne Decke ganz mit Gold und Goldkupfererz verziert sehen, alles andere aber an Mauern, Säulen und Estrichen überkleideten sie mit Goldkupfererz. Auch stellten sie goldene Bildsäulen darin auf, nämlich den Gott selber, wie er, auf seinem Wagen stehend, sechs geflügelte Rosse lenkt, und der seinerseits so groß gebildet war, daß er mit dem Haupte die Decke berührte, rings um ihn herum aber die hundert Nereiden auf Delphinen; denn so viel, glaubte man damals, seien ihrer; außerdem befanden sich aber auch noch viele andere Bildwerke als Weihgeschenke von Privatleuten im Tempel. Außerhalb aber standen rings um ihn die Bildsäulen von allen insgesamt, nämlich von den zehn Königen selbst und ihren Weibern und allen, welche von ihnen entsprossen waren, und viele andere große Weihgeschenke von den Königen wie von Privatleuten teils aus der Stadt selbst, teils aus allen von ihnen beherrschten Gebieten außerhalb derselben. Auch der Altar entsprach an Größe sowie an Arbeit dieser Ausstattung, und ebenso war auch die königliche Wohnung ebensosehr der Größe der Herrschaft wie andererseits dem auf die Heiligtümer verwandten Schmucke angemessen. Von den beiden Quellen aber, sowohl der von kaltem als der von warmem Wasser, welche dessen eine reiche Fülle enthielten und es beide an Wohlgeschmack und Güte zum Gebrauche[208] in ganz bewundernswerter Vortrefflichkeit darboten, zogen sie Nutzen, indem sie Gebäude und Baumpflanzungen, wie sie zu den Wassern sich schickten, ringsumher anlegten und ferner Wasserbehälter teils unter freiem Himmel, teils zu warmen Bädern für den Winter in bedeckten Räumen in der Umgebung einrichteten, und zwar deren besondere für die Könige und besondere für die Untertanen, ferner noch andere für die Weiber und wieder für die Pferde und die übrigen Zugtiere, und einem jeden von diesen allen die ihm angemessene Ausstattung gaben. Das abfließende Wasser aber leiteten sie in den Hain des Poseidon, welcher Bäume von mannigfacher Art und von ganz vorzüglicher Höhe und Schönheit infolge der Güte des Bodens umfaßte, teils aber auch durch Kanäle über die Brücken weg in die äußeren Ringe hinein. In der Nähe dieser Wasserleitungen wurden denn auch Heiligtümer vieler Götter, ferner viele Gärten und Übungsplätze angelegt, und zwar besondere für die auf den menschlichen Körper beschränkten Übungen und besondere für die mit dem Wagengespann auf jeder von beiden aus den Wällen bestehenden Inseln; und überdies besaßen sie auch in der Mitte der größeren Insel eine ausgesuchte Rennbahn, welche ein Stadion breit und deren Länge im ganzen Umkreise zum Wettkampfe für die Rosse eingerichtet war. Um dieselbe herum lagen auf beiden Seiten die Wohnungen für die Mehrzahl der Trabanten. Die zuverlässigeren unter ihnen aber hatten ihre Wache auf dem kleineren und näher an der Burg gelegenen Wallring; den vor allen anderen an Zuverlässigkeit ausgezeichneten endlich waren ihre Wohnungen auf der Burg selber um den Königspalast herum gegeben. Die Schiffsarsenale aber waren voll von Dreiruderern und von allem, was zu der Ausrüstung von Dreiruderern gehört, wovon alles in reichem Maße in Bereitschaft gehalten wurde.
Solches war nun also die Ausrüstung der königlichen Wohnung. Wenn man aber die drei außerhalb derselben befindlichen Häfen hinter sich hatte, so traf man auf eine Mauer, welche vom Meere begann und im Kreise herumlief, von dem größten Ringe und zugleich Hafen aber überall fünfzig Stadien entfernt war und an derselben Stelle bei der Mündung des Kanals in das Meer wieder abschloß. Dieses Ganze aber war mit vielen und dichtgedrängten Wohnungen umgeben, und die[209] Ausfahrt sowie der größte Hafen wimmelten von Schiffen und Kaufleuten, weiche aus allen Gegenden hierher kamen und bei Tage wie bei Nacht Geschrei, Getümmel und Getöse mannigfacher Art wegen ihrer Menge verursachten.
Über die Stadt und jenen einstigen Wohnsitz der Könige habe ich nun so ziemlich das, was mir damals erzählt wurde, mitgeteilt; nun muß ich aber auch noch versuchen, über die natürliche Beschaffenheit des übrigen Landes und die Art seiner Verwaltung zu berichten. Zunächst nun wurde mir das Land im ganzen als sehr hochgelegen und steil aus dem Meere aufsteigend geschildert, die Gegend um die Stadt her dagegen durchweg als eine Ebene, welche sie umschloß, ihrerseits aber wieder ringsherum von Bergen eingeschlossen wurde, die sich bis zum Meere hinabzogen, und zwar als eine ganz glatte und gleichmäßige Fläche, die in ihrer Gesamtausdehnung eine längliche Gestalt hatte, indem diese nach der Seite zu dreitausend Stadien, in der Mitte aber vom Meere aufwärts nur zweitausend betrug. Von der ganzen Insel nämlich lag dieser Teil nach der Südseite zu, indem er sich von Norden nach Süden erstreckte. Die Berge aber, welche ihn umgaben, wurden damals als solche gepriesen, welche an Menge, Größe und Schönheit alle jetzt vorhandenen übertrafen, indem sie viele Flecken mit einer reichen Zahl von Bewohnern, ferner Flüsse, Seen und Auen, welche allen möglichen zahmen und wilden Tieren hinreichendes Futter darboten, sowie endlich Waldungen in sich faßten, welche in bunter Menge und in der größten Mannigfaltigkeit aller Gattungen einen reichhaltigen Stoff zu den Arbeiten jeder Art, im Großen wie im Kleinen, lieferten. Auf diese Weise war die Ebene von der Natur ausgestattet, und viele Könige hatten nicht minder an ihrer weiteren Ausstattung gearbeitet. Zum größten Teile bildete sie nämlich wirklich bereits ein vollständiges Rechteck; wo es aber noch an der vollen Regelmäßigkeit dieser Gestalt fehlte, war ihr diese dadurch gegeben worden, daß sie auf allen Seiten einen Graben herumgezogen hatten. Was mir nun von dessen Tiefe, Breite und Länge erzählt ward, das könnte unglaublich erscheinen für ein von Menschenhänden gearbeitetes Werk; es könnte unglaublich erscheinen, daß sie zu ihren vielen anderen Arbeiten auch noch diese von so gewaltiger Ausdehnung unternommen hätten;[210] dennoch muß ich darüber berichten, wie ich es gehört habe. Nämlich ein Plethron tief ward er gegraben und überall ein Stadion breit, und als er nun die ganze Ebene herumgezogen war, da ergab sich für ihn eine Länge von zehntausend Stadien. Er nahm auch die von den Bergen herabfließenden Wasser auf, und da er rings um die Ebene herumgeführt war und die Stadt auf beiden Seiten berührte, so ließ er diese auf folgende Weise ins Meer abfließen: Von seinem oberen Teile her wurden nämlich von ihm ungefähr hundert Fuß breite Kanäle in gerader Linie in die Ebene geleitet, welche wieder in den großen vom Meere ausgezogenen Kanal einmündeten und von einander hundert Stadien entfernt waren. Auf ihnen brachten sie denn auch das Holz von den Bergen in die Stadt; aber auch alle anderen Landeserzeugnisse holten sie zu Wasser heran, indem sie wieder Überfahrten aus den Kanälen in einander nach der Quere zu und ebenso nach der Stadt hin gruben. Auch ernteten sie infolgedessen zweimal des Jahres ein, indem ihnen im Winter der Regen des Zeus dazu verhalt, im Sommer aber die Bewässerung, welche das Land selber in sich trug, dadurch, daß sie sie aus den Kanälen herzuleiteten.
Was aber die Zahl der Bewohner anbetrifft, so bestand die Anordnung, daß in der Ebene selbst an kriegstüchtigen Männern jedes Grundstück einen Anführer zu stellen hatte; die Größe eines jeden Grundstückes aber betrug gegen hundert Quadratstadien, und die Zahl von ihnen allen sechzigtausend; auf den Gebirgen dagegen und im übrigen Lande zählte man eine unsägliche Menschenmasse, alle jedoch waren nach ihren Ortschaften und Flecken je einem dieser Grundstücke und Führer zugeteilt. Die Führer nun aber hatten die Verpflichtung, zum Kriege ihrer sechs zusammen einen Kriegswagen zu stellen, so daß deren insgesamt zehntausend wurden, ferner ein jeder zwei Rosse und Reiter, dazu noch ein Zwiegespann ohne Sessel, welches mit einem Krieger bemannt war, der einen kleinen Schild trug und auch herabsteigend zu Fuße kämpfte, außer diesem Wagenkämpfer aber mit einem Lenker für die beiden Rosse; ferner zwei Schwerbewaffnete und an Bogen- und Schleuderschützen je zwei, und ebenso an Stein- und Speerwerfern ohne Rüstung je drei; endlich vier Seeleute zur Bemannung von zwölfhundert Schiffen. So war das Kriegswesen[211] in dem königlichen Staate angeordnet; in den andern neun Staaten aber auf verschiedene Weise, deren Erörterung zu lange Zeit in Anspruch nehmen würde.
Die Verhältnisse der obrigkeitlichen Gewalt und der Staatswürden aber waren vom Anbeginn her folgendermaßen geordnet: Von den zehn Königen herrschte ein jeder in dem ihm überkommenen Gebiete von seiner Stadt aus über die Bewohner und stand über den meisten Gesetzen dergestalt, daß er strafte und hinrichten ließ, wen immer es ihm gut dünkte. Die Herrschaft über sie selbst aber ward gegenseitig und gemeinschaftlich geführt nach den Anordnungen des Poseidon, wie sie ein Gesetz ihnen überlieferte, welches von ihren Vorfahren auf eine Säule von Goldkupfererz eingegraben war, die in der Mitte der Insel, nämlich im Heiligtum des Poseidon, stand. Hierher kamen sie denn auch abwechselnd bald jedes fünfte und bald jedes sechste Jahr zusammen, um der geraden und der ungeraden Zahl ein gleiches Recht angedeihen zu lassen, und berieten sich auf diesen Zusammenkünften teils über die gemeinsamen Angelegenheiten, teils hielten sie Nachforschung danach, ob einer von ihnen irgend eine Übertretung begangen, und saßen darüber zu Gericht. Wenn sie aber zum Gerichte schritten, so gaben sie einander zuvor folgendes Unterpfand der Treue: Nachdem sie zu dem Gotte gebetet, daß es ihnen gelingen möge, das Opfertier, welches ihm genehm sei, zu fangen, stellten sie zehn ganz allein unter den Stieren, die da frei im Heiligtume des Poseidon weideten, eine Jagd ohne Eisen bloß mit Knitteln und Stricken an, und denjenigen von den Stieren, welchen sie fingen, brachten sie oben auf die Säule hinauf und schlachteten ihn dort unmittelbar über jener Inschrift. Auf der Säule befand sich aber außer dem Gesetze noch eine Schwurformel, welche gewaltige Verwünschungen über diejenigen aussprach, welche ihm nicht gehorchten. Wenn sie nun so nach ihren Bräuchen beim Opfer dem Gotte alle Glieder des Stieres geweiht hatten, so richteten sie einen Mischkessel zu und warfen in diesen für jeden einen Tropfen geronnenen Blutes; alles übrige aber warfen sie ins Feuer, nachdem sie die Säule ringsherum gereinigt hatten. Hierauf schöpften sie mit goldenen Trinkschalen aus dem Mischbecher, und während sie dann aus ihnen die Spenden ins Feuer gossen, schwuren sie dabei,[212] nach den Gesetzen auf der Säule zu richten und es zu strafen, wenn einer von ihnen zuvor einen Frevel begangen, und ebenso wiederum in Zukunft keine von jenen Vorschriften absichtlich zu verletzen und weder anders zu herrschen, noch einem andern Herrscher zu gehorchen als dem, welcher nach den Gesetzen des Vaters regierte. Nachdem ein jeder von ihnen dies für sich selbst und für sein Geschlecht gelobt hatte, trank er und weihte sodann die Becher als Geschenk für das Heiligtum des Gottes, und sodann wandten sie sich zum Mahle, um auch den Anforderungen ihres Körpers Genüge zu tun. Sobald es aber dunkel ward und das Opferfeuer verglomm, dann kleideten sich alle sofort in ein blaues Gewand von der aller höchsten Schönheit, und so, bei der Glut der Eidesopfer auf der Erde sitzend, indem sie gänzlich das Feuer im Heiligtume auslöschten, empfingen und sprachen sie Recht bei der Nacht, wenn etwa der eine von ihnen den andern irgend einer Übertretung anklagte. Nach vollzogenem Urteil aber schrieben sie die Richtersprüche, sobald es Tag ward, auf einer goldenen Tafel auf und weihten diese samt jenen Gewändern zum Denkzeichen. Es gab aber noch viele andere Gesetze, welche die Rechte der Könige für einen jeden im besonderen bestimmten; über allen jedoch stand dies, daß sie niemals gegen einander die Waffen führen, vielmehr einander insgesamt Hilfe leisten sollten, wenn etwa einer von ihnen in irgend einer Stadt das königliche Geschlecht auszurotten versuchte, und daß sie nach gemeinsamer Beratung, gleichwie ihre Vorfahren, ihre Beschlüsse über den Krieg und alle anderen Angelegenheiten fassen und ausführen, den Vorsitz und Oberbefehl dabei aber dem Geschlechte des Atlas überlassen sollten. Die Vollmacht, einen seiner Verwandten hinrichten zu lassen, sollte ferner einem Könige nicht zu Gebote stehen, es sei denn, daß über die Hälfte von den zehn es genehmigt hätte.
Diese Macht von solcher Art und Ausdehnung, wie sie damals in jenen Gegenden bestand, führte der Gott, indem er sie zusammentreten ließ, nun auch gegen unser Land, wozu, wie es heißt, ungefähr folgende Verhältnisse Anlaß gaben: Viele Geschlechter hindurch, solange noch irgend die Natur des Gottes in ihnen wirksam war, waren sie den Gesetzen gehorsam und zeigten ein befreundetes Verhalten gegen das ihnen verwandte Göttliche. Denn sie besaßen wahrhafte und durchgehends[213] große Gesinnungen, indem sie eine mit Klugheit gepaarte Sanftmut allen etwaigen Wechselfällen des Schicksals gegenüber sowie gegen einander an den Tag legten; und da Sie eben deshalb alles andere außer der Tugend für wertlos ansahen, so achteten sie alle vorhandenen Glücksgüter gering und betrachteten mit Gleichmut und mehr wie eine Last die Masse ihres Goldes und ihrer übrigen Besitztümer; und nicht kamen sie, berauscht von dem Schweigen in ihrem Reichtum, so daß sie durch ihn die Herrschaft über sich selbst verloren hätten, zu Falle, sondern erkannten mit nüchternem Scharfblick, daß dies alles nur durch die gemeinsame Freundschaft im Verein mit der Tugend sein Gedeihen empfängt, durch den Eifer und das Streben nach ihm dagegen nicht bloß selber entschwindet, sondern auch jene mit sich zugrunde richtet. Infolge dieser Grundsätze und der fortdauernden Wirksamkeit der göttlichen Natur in ihnen gedieh ihnen denn das alles, was ich euch vorhin mitgeteilt habe. Als aber ihr Anteil am Wesen des Gottes durch die vielfache und häufige Beimischung des Sterblichen in ihnen zu schwinden begann und die menschliche Art überwog, da erst waren sie dem vorhandenen Reichtum nicht mehr gewachsen und entarteten und erschienen dem, welcher es zu erkennen vermochte, niedrig, indem sie von allem, was in Ehren zu stehen verdient, gerade das Schönste zugrunde richteten; denen aber, die ein wahrhaft zur Glückseligkeit führendes Leben nicht zu erkennen imstande waren, schienen sie damals erst recht in aller Herrlichkeit und Seligkeit dazustehen, als sie ungerechten Gewinn und ungerecht erworbene Macht im Überflusse besaßen. Der Gott der Götter aber, Zeus, welcher nach den Gesetzen herrscht und solches wohl zu erkennen vermag, beschloß, als er ein treffliches Geschlecht so schmählich herunterkommen sah, ihnen Strafe dafür aufzuerlegen, damit sie, durch diese zur Besinnung gebracht, zu einer edleren Lebensweise zurückkehrten. Er berief daher alle Götter in ihren ehrwürdigsten Wohnsitz zusammen, welcher in der Mitte des Weltalls liegt und eine Überschau aller Dinge gewährt, die je des Werdens teilhaftig wurden, und nachdem er sie zusammenberufen hatte, sprach er – – – –[214]
Buchempfehlung
Im Kampf um die Macht in Rom ist jedes Mittel recht: Intrige, Betrug und Inzest. Schließlich läßt Nero seine Mutter Agrippina erschlagen und ihren zuckenden Körper mit Messern durchbohren. Neben Epicharis ist Agrippina das zweite Nero-Drama Daniel Casper von Lohensteins.
142 Seiten, 7.80 Euro
Buchempfehlung
Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für diese preiswerte Leseausgabe elf der schönsten romantischen Erzählungen ausgewählt.
442 Seiten, 16.80 Euro