Siebentes Buch.
Ueber Ewigkeit und Zeit

[238] 1. Wenn wir sagen, Ewigkeit und Zeit sind von einander verschieden, jene bezieht sich auf die ewige Natur, die Zeit auf das Werdende und diese sichtbare Welt: so glauben wir dabei eine unmittelbare, gleichsam durch wiederholte Thätigkeit unsers Denkens deutlich gewordene Vorstellung von ihnen in unserer Seele zu haben, deren wir uns so oft von ihnen die Rede ist durchgängig bedienen. Versuchen wir aber diese Begriffe zu fixiren und gleichsam näher an sie heranzutreten, so werden wir wieder schwankend, eignen uns die Angaben der Alten über dieselben an, die bei grosser Verschiedenheit[238] unter Umständen allerdings auch wieder auf dasselbe hinauslaufen, lassen es bei ihnen bewenden und halten es für genügend, wenn wir im Stande sind auf Befragen ihre Ansichten anzugeben, ohne eine weitere Untersuchung der Ansichten derselben uns zuzumuthen. Dass allerdings einige der alten herrlichen Philosophen die Wahrheit gefunden haben, muss man annehmen. Wer aber diejenigen sind, die sie am meisten getroffen haben, und wie auch wir ein Verständniss von diesen Begriffen gewinnen können, darüber geziemt es sich nachzudenken. Und zwar haben wir zuerst zu untersuchen, was sich unter Ewigkeit diejenigen vorstellen, die sie für verschieden von der Zeit halten. Denn hat man dasjenige erkannt, was als Urbild dasteht, so muss doch wohl auch sein Abbild, als welches sie eben die Zeit betrachten, deutlich werden. Will aber jemand, bevor er die Ewigkeit betrachtet, zuvor das Wesen der Zeit in's Auge fassen, so kann er auch von hier aus mittelst der Erinnerung zum Intelligiblen emporsteigen und das Urbild der Zeit betrachten, vorausgesetzt, dass die Zeit überhaupt eine Aehnlichkeit mit der Ewigkeit hat.

2. Als was soll man nun die Ewigkeit bezeichnen? Etwa als die intelligible Substanz selbst, wie wenn man sagen wollte, die Zeit sei der gesammte Himmel und die Welt, denn auch diese Ansicht sollen in der That einige von der Zeit gehabt haben. Denn da wir uns die Ewigkeit als etwas sehr ehrwürdiges vorstellen und denken, das ehrwürdigste aber die intelligible Natur ist und sich nicht sagen lässt, welches von beiden ehrwürdiger sei, wie denn die Kategorie des mehr oder minder auf das Intelligible überhaupt keine Anwendung findet: so konnte man beides demgemäss zusammenfallen lassen, zumal ja auch die intelligible Welt und die Ewigkeit beide dasselbe umfassen. Aber sobald wir sagen, dass das eine im andern enthalten sei und wir das Ewige von ihm aussagen, denn ›die Natur des Vorbildes ist ewig‹, sagt Plato: so bezeichnen wir doch wieder die Ewigkeit als etwas anderes, lassen sie jedoch um jene oder in oder bei jener sein. Und wenn beides ehrwürdig ist, so beweist dies noch nicht ihre Identität. Es konnte ja vielleicht dem einen das Ehrwürdige von dem andern auszukommen. Und was das Umfassen anlangt, so wird es für das eine ein Umfassen wie von Theilen sein, für die Ewigkeit aber das Ganze zugleich, nicht als Theil sondern weil alles derartige erst durch sie zur Bezeichnung des Ewigen kommt. Oder soll man etwa in der intelligiblen Welt die Ewigkeit in der Ruhe bestehen lassen, wie man in der Erscheinungswelt[239] die Zeit in der Bewegung bestehen lässt? Dann hätte man aber füglich zu fragen, ob die Ewigkeit mit der Ruhe schlechthin identisch sein soll oder nicht schlechthin sondern nur mit der Ruhe, die bei der intelligiblen Substanz in Betracht kommt. Denn wenn sie mit der Ruhe schlechthin identisch ist, so könnten wir erstens von keiner ewigen Ruhe sprechen, so wenig als von einer ewigen Ewigkeit; denn ewig ist was an der Ewigkeit Theil hat. Zweitens konnte von keiner ewigen Bewegung die Rede sein, denn diese müsste ja auch etwas ruhendes sein. Und wie soll ferner dem Begriff der Ruhe an sich die ununterbrochene Dauer zukommen? Ich meine nicht die ununterbrochene Dauer, von der wir bei der Zeit sprechen, sondern wie wir uns dieselbe denken, wenn wir vom Ewigen sprechen. Ist sie dagegen identisch mit der Ruhe der intelligiblen Substanz, so schliessen wir die andern Arten des Seienden von der Ewigkeit aus. Auch darf man die Ewigkeit nicht bloss in der Ruhe denken, sondern auch im Einen, ferner als ununterbrochen um sie von der Zeit zu unterschieden. Die Ruhe aber als solche enthält weder den Begriff des Einen noch des Ununterbrochenen. Endlich sagen wir von der Ewigkeit aus, sie bleibe im Einen; also hat sie wohl Theil an der Ruhe, kann aber nicht die Ruhe selbst sein.

3. Was ist es nun, wonach wir die ganze intelligible Welt ewig und unwandelbar nennen, und was ist die Unwandelbarkeit? Ist sie identisch mit der Ewigkeit oder ist die Ewigkeit durch sie? Allerdings muss die Ewigkeit ein einheitlicher, aber dabei doch aus vielem geeinigter Begriff oder eine derartige Natur sein, die das Intelligible begleitet oder mit ihm verbunden ist oder an ihm erblickt wird, so dass das Inlelligible in seiner Gesammtheit die eine Ewigkeit ausmacht, diese aber ein Complex von Kräften und Vielfachem ist. Im Hinblick auf ihre vielfache Kraft, gleichsam als das Substrat des Intelligiblen heisst sie Substanz; als Leben heisst sie Bewegung; als das schlechthin sich Gleichbleibende Ruhe; als Einheit des Vielfachen Verschiedenes und identisches. Fasst man nun dies wieder zu einer Einheit des Seins, zu einem einheitlichen Leben im Inlelligiblen zusammen, indem man von seiner Verschiedenheit möglichst absieht und auf das Unermüdliche seiner Wirksamkeit, auf das Identische, stets Unveränderliche, Ununterbrochene in seinem Denken oder Leben blickt: so giebt dies alles in allem betrachtet den Anblick der Ewigkeit als eines Lebens, das identisch bleibt, welches das Ganze stets gegenwärtig[240] hat und nicht jetzt dies, dann wieder etwas anderes sondern alles zusammen ist, auch nicht jetzt diese, dann wieder jene Vielheit sondern ungetheilte Vollendung, indem alles wie auf einen Punkt concentrirt ist, ohne bereits in Fluss zu gerathen, sondern an derselben Stelle in sich bleibt und sich nicht verändert sondern stets in der Gegenwart ist, weil nichts von ihm vergangen ist noch auch sein wird, sondern als das was es ist auch immer ist. Demnach ist die Ewigkeit nicht das intelligible Substrat, sondern gleichsam das von dem Substrat ausstrahlende Licht seiner Identität, die es in Betreff des nicht erst Zukünftigen sondern bereits Seienden verbürgt, dass es so und nicht anders sei. Was selbe ihm auch wohl später zu Theil werden, das es nicht jetzt schon hätte? Was könnte es später werden, das es nicht jetzt schon wäre? Denn einerseits giebt es nichts, von wo aus es in das Jetzt kommen könnte – das würde ja nicht ein anderes sondern dies selbst sein; und da andererseits auch nichts sein wird, was es jetzt nicht hätte, so kann es nothwendigerweise auch nichts Vergangenes an sich haben – denn was sollte denn für dasselbe vorüber und vergangen sein? Ebensowenig das Zukünftige – denn was soll es in Zukunft haben? Es bleibt also nur übrig, dass es in seinem Sein ist was es ist. Was nun weder war noch sein wird sondern nur ist, was also das Sein in völliger Ruhe ohne bevorstehenden oder dagewesenen Uebergang in das Zukünftige hat, das ist die Ewigkeit. Also das Leben des Seienden im Sein, in seiner völligen, ununterbrochenen, schlechthin unveränderlichen Totalität, das ist die gesuchte Ewigkeit.

4. Man darf aber nicht glauben, die Ewigkeit sei ein äusserliches Accidens des Intelligiblen, vielmehr ist sie aus und mit demselben. Denn sie wird mit in der Substanz des Intelligiblen wahrgenommen, wie ja überhaupt alles, was man als im Intelligiblen vorhanden bezeichnet, als seiner Substanz inhärirend und von ihr unzertrennlich angesehen wird; denn das ursprünglich Seiende muss mit und in dem Ursprünglichen sein. So ist auch das Schöne in ihm und aus ihm, desgleichen die Wahrheit. Einerseits ist es gleichsam nur in einem Theile der Totalität des Seienden, andererseits in dieser Totalität selbst, wie ja auch diese wahrhafte Totalität keine Vereinigung seiner Theile ist, sondern selbst seine Theile hervorgebracht hat, um auch in dieser Hinsicht wahrhafte Totalität zu sein. Auch die Wahrheit ist im Intelligiblen nicht die Uebereinstimmung mit einem andern, sondern eben mit dem, dessen Wahrheit sie ist.[241] Es muss demnach dieses wahrhaftige All, um in der That seinem Begriff zu entsprechen, nicht allein alles sein als Summe aller vorhandenen Dinge, sondern auch insofern als ihm nichts fehlt. Dann kann es aber auch nichts Zukünftiges für dasselbe geben; dies müsste ihm ja sonst gefehlt haben und es würde dann nicht alles gewesen sein. Was soll ihm aber, da es unafficirbar ist, gegen seine Natur zustossen? Stösst ihm aber nichts zu, dann giebt es für dasselbe nichts Zukünftiges und nichts Vergangenes. Nimmt man dagegen den entstehenden Dingen die Zukunft, so folgt für sie, da ihr Dasein ein fortwährendes Dazubekommen ist, alsbald das Nichtsein. Legt man umgekehrt dem Nichtentstehenden die Zukunft bei, so verliert es dadurch seinen Platz im Sein. Denn offenbar könnte ihm das Sein nichts ursprünglich zugehöriges sein, wenn es im Sollen, Werden und Spätersein bestünde. Das Wesen der entstehenden Dinge besteht in einem Sein zwischen dem Anfang ihres Werdens bis zum äussersten Zeitpunkt, in dem sie nicht mehr sind, d.h. also in einer steten Zukunft. Mit Beseitigung dieser Zukunft hört ihr Leben und somit ihr Sein auf. Dasselbe gilt auch für das entstehende All, solange es ein derartiges sein wird. Deshalb eilt es auch dem Zukünftigen entgegen und will nicht stillstehen: es gewinnt sein Dasein aus einem fortwährenden Schaffen und einer ununterbrochenen Bewegung im Kreise in Folge eines gewissen Strebens nach dem inlelligiblen Sein. Hiermit haben wir denn auch den Grund für seine Bewegung gefunden, die in besagter Weise mittelst des Zukünftigen dem Ewigen zustrebt. Das Erste und Ewige selbst dagegen hat kein Streben nach dem Zukünftigen. Es ist bereits das Ganze, und das Leben, das es gleichsam zu beanspruchen hat, hat es schon in seiner Totalität. Darum vermisst es nichts, es giebt für das Intelligible nichts Zukünftiges, desgleichen nichts, worin das Zukünftige enthalten wäre. Die ganze, vollständige Wesenheit also des Seienden, nicht allein in der Gesammtheit seiner Theile sondern auch darin, dass ihr nichts weiter fehlen und Nichtseiendes nicht weiter an sie herantreten kann – denn das wirklich vollständige All muss nicht bloss alles Seiende in sich schliessen, sondern auch alles irgendwann Nichtseiende ausschliessen: dieser sein Zustand und seine Beschaffenheit ist die Ewigkeit, ein Begriff, der ja sprachlich von dem ewig Seienden hergeleitet ist.

5. Dies bestätigt sich, wenn ich mich in meiner Seele mit irgend einem Gegenstand beschäftige und dies von ihm[242] auszusagen oder vielmehr zu schauen habe, dass seiner Beschaffenheit nach überhaupt keine Veränderung an ihm stattfinden kann; denn wäre dies der Fall, so würde er nicht ewig oder nicht ewig etwas ganzes sein. Ist er nun deshalb bereits unwandelbar? Doch nicht, wenn nicht auch in seiner Natur etwas liegt, wodurch ich die Ueberzeugung gewinne, dass er so sein muss und nicht auch anders sein kann d.h. dass man ihn, wenn man sich wieder mit ihm beschäftigt, von derselben Beschaffenheit findet. Wie nun, wenn jemand sich von seinem Anblick garnicht trennt, sondern voll Bewunderung für seine Natur stets mit ihm verkehrt und im Stande ist dies zu thun infolge seiner unermündlichen Natur oder sich selbst zur Ewigkeit emporschwingend in unwandelbarer Ruhe verharrt um ihr ähnlich und ewig zu sein, indem er mit dem Ewigen in seinem Innern die Ewigkeit und das Ewige schaut? Wenn nun das, was sich so verhält, ewig und immerwährend ist, so muss das, was in keinerlei Hinsicht nach einer andern Natur bin von sich abweicht, was sein ihm eigenthümliches Leben bereits in seiner ganzen Falle hat ohne weder in der Vergangenheit noch Gegenwart noch Zukunft etwas dazu zu empfangen, so muss dies also unwandelbar sein. Unwandelbarkeit aber ist ein solcher Zustand eines Substrats, der aus ihm und in ihm ist, Ewigkeit ist das Substrat mit einem derartigen erscheinenden Zustande. Daher ist die Ewigkeit etwas ehrwürdiges und identisch mit Gott. Und mit Recht kann man die Ewigkeit als den seinem Wesen nach als ruhiges identisches Sein, als permanentes Sein sich kundgebenden und offenbarenden Gott bezeichnen. Wenn wir nichts desto weniger von einer Mehrheit in Gott sprechen, so darf man sich darüber nicht wundern, denn alles Intelligible ist wegen seiner unendlichen Kraft Mehrheit. Zum Begriff des Unendlichen gehört ja die Abwesenheit alles Mangels, und das Intelligible ist recht eigentlich unendlich, weil es nichts von sich aufbraucht. Wenn demgemäss jemand die Ewigkeit als unendliches Leben bezeichnet, weil es das Leben in seiner Totalität ist und durch das Ausschliessen von Vergangenheit und Zukunft, worauf ja eben die Totalität beruht, nichts von sich aufbraucht, so dürfte seine Definition so ziemlich das Richtige treffen. Die Worte ›weil es das Leben in seiner Totalität ist und nichts aufbraucht u.s.w.‹ sind bloss erklärende Bestimmung des Unendlichen.

6. Da aber diese so ausserordentlich schöne und unwandelbare Natur um, von und zu dem Einen ist, ohne von[243] ihm wegzugehen, vielmehr stets um und in demselben bleibend und ihm gemäss lebend, so ist es, wie ich glaube, ein schöner, tiefsinniger und nicht bloss zufälliger Ausspruch Platos von der im Einen bleibenden Ewigkeit. Demnach führt die Ewigkeit nicht bloss sich selbst zum Einen als sich selbst, sondern sie ist gleichfalls um das Eine als Leben des Seienden. Dies also ist's was wir suchen, und was so bleibt, ist Ewigkeit. Denn das was so bleibt, und zwar eben das bleibt was es ist, nämlich Wirklichkeit eines Lebens, welches aus sich bleibt in Bezug auf jenes und in jenem, eine Wirklichkeit, der weder das Sein noch das Leben bloss scheinbar zukommt: das ist die Ewigkeit. Denn das wahrhafte Sein ist das niemals nicht sein noch anders sein d.h. das stets sich gleichbleibende Sein, das Sein ohne Unterschied. Es hat also in keiner Hinsicht ein bald so bald anders sein, man kann es nicht zertheilen, nicht sich entfalten noch entwickeln oder ausdehnen lassen, man kann kein früher oder später an ihm wahrnehmen. Wenn nun kein früher noch später an ihm ist, sondern das Sein der Gegenwart das wahrste ist was sich von ihm aussagen lässt, und es geradezu selbst ist und zwar so, dass es als Wesenheit oder als das Leben ist, so kommen wir auch hier wieder auf den in Rede stehenden Begriff der Ewigkeit. Wenn wir nun hierbei von immer sprechen, von dem was nicht bald ist bald nicht ist, so ist zu beachten, dass diese Ausdrücke nur der Deutlichkeit wegen gebraucht werden. Denn der Ausdruck immer, wenn er nicht in seiner eigentlichen Bedeutung sondern als Bezeichnung des Unzerstörbaren genommen wird, kann die Seele leicht dazu verleiten, den Begriff der Vielheit und dessen was nie alle wird herbeizuziehen. Es wäre vielleicht besser gewesen, es bloss das Seiende zu nennen. In der That ist das Seiende eine ausreichende Bezeichnung für die Wesenheit, aber da einige auch das Werden für Wesenheit gehalten haben, so bedurfte es für diese zum Verständniss noch des Wörtchens ›immer‹. Allerdings ist das Seiende vom immer Seienden sowenig verschieden wie etwa der Philosoph vom wahren Philosophen. Aber weil manches sich fälschlich für Philosophie ausgiebt, so wurde der Zusatz des wahren gemacht. So ist auch das ›immer‹ zum Seienden und das Seiende zum ›immer‹ dazugekommen, so dass man von einem immer Seienden d.h. Ewigen spricht. Man muss deshalb das immer im Sinne des wahrhaft Seienden nehmen, es als eine continuirliche Kraft auffassen, die nichts weiter bedarf zu dem was sie bereits hat. Sie hat aber alles. Eine[244] derartige Natur ist also alles und seiend und als alles ohne Mangel, keineswegs aber in einer Hinsicht vollständig, in einer andern wieder unvollständig. Das Zeitliche dagegen, auch wenn es scheinbar vollkommen ist, wie z.B. ein für die Seele ausreichender Körper vollkommen ist, bedarf noch des Zukünftigen und ist demnach hinsichtlich der Zeit, deren es bedarf, unvollkommen. Auch wenn die Zeit zugegen ist und das zeitlich Erscheinende begleitet, bleibt es doch in dieser Hinsicht unvollkommen und kann nur uneigentlich als vollkommen bezeichnet werden. Was dagegen seiner Natur nach keiner Zukunft bedarf, weder in Hinsicht auf eine bestimmte endliche noch eine unendliche oder unendlich zukünftige Zeit, sondern das was sein muss hat: dies ist der von unserm Denken gesuchte Begriff. Ihm kommt das Sein nicht in Folge einer bestimmten Quantität zu, sondern es liegt vor der Quantität. Auch darf es, wenn es selbst keine Quantität ist, schlechterdings mit keiner Quantität in Berührung treten. Hierdurch würde sein Leben zertheilt werden und diese Zertheilung seine absolute Untheilbarkeit aufheben. Vielmehr muss es seinem Leben wie seiner Wesenheit nach untheilbar sein. Der platonische Ausspruch vom Demiurgen ›er war gut‹ bezieht sich auf den Begriff des Alls und deutet durch das jenseits aller Zeit Liegende das Ausgeschlossensein eines bestimmten zeitlichen Anfangs an, so dass die Welt darum noch keinen zeitlichen Anfang hat, weil das, was für sie die Ursache ihres Daseins ist, sich im Denken als das frühere herausstellt. Und obgleich Plato nur der Deutlichkeit wegen diesen Ausdruck gebraucht hat, so bebt er doch selbst weiterhin das Unangemessene desselben hervor bei Dingen, denen der Begriff der von uns so genannten Ewigkeit zukommt.

7. Aber legen wir etwa mit dieser Auseinandersetzung ein Zeugniss ab für Dinge, die uns fremd sind, und sprechen über Gegenstände, die uns nichts angeben? Doch wie kann ein Verständniss von Dingen stattfinden, mit denen man in keiner Berührung steht? Wie sollen wir aber mit dem in Berührung kommen, was uns fremd ist? Folglich müssen auch wir Theil haben an der Ewigkeit. Aber wie ist das möglich, wenn wir in der Zeit sind? Was dies jedoch heisst, in der Zeit und in der Ewigkeit sein, das kann erst erkannt werden, wenn wir zuvor den Begriff der Zeit ausfindig gemacht haben. Deshalb müssen wir von der Betrachtung der Ewigkeit zu einer Betrachtung der Zeit und zur Zeit herabsteigen. Dort führte uns der Weg empor, jetzt wollen wir[245] reden, ohne zwar gänzlich herabzusteigen, aber doch so, wie die Zeit herabgestiegen ist.

Wenn von den alten herrlichen Männern nichts über die Zeit gesagt wäre, so würde es genügen im Anschluss an die bisherige Darstellung über die Ewigkeit im weitem unsere Ansicht mitzutheilen und zu versuchen, dieselbe mit dem gewonnenen Begriff der Ewigkeit in Einklang zu bringen. So ist es aber nöthig, zuvor die beachtenswerthen Ansichten der Früheren herauszuheben und zuzusehen, ob unsere eigene Entwickelung sich mit einer derselben in Uebereinstimmung befinden wird. Zunächst lassen sich die aufgestellten Ansichten über die Zeit der Hauptsache nach in drei Gruppen zerlegen. Man versteht unter Zeit entweder das was man Bewegung nennt, oder das was bewegt wird, oder eine Relation der Bewegung. Sie als Ruhe oder das Ruhende oder als Relation der Ruhe zu bezeichnen, würde offenbar dem Begriff der Zeit völlig widersprechen, da sie nirgendwie dieselbe ist. Von denen, welche die Zeit als Bewegung betrachten, betrachten sie die einen als die gesammte Bewegung, die andern als die Bewegung des Alls; diejenigen, welche sie als das Bewegte betrachten, denken dabei an die Sphäre des Weltalls; diejenigen endlich, welche sie für eine Relation der Bewegung halten, betrachten sie entweder als eine Ausdehnung der Bewegung oder als das Maass derselben oder überhaupt als etwas Begleitendes derselben, und zwar entweder der ganzen oder einer bestimmten Bewegung.

8. Für Bewegung nun kann man die Zeit unmöglich halten, weder wenn man sämmtliche Bewegungen versteht und gleichsam eine aus allen macht, noch wenn man eine bestimmte annimmt; denn beide Arten von Bewegung finden in der Zeit statt. Fände eine Bewegung nicht in der Zeit statt, so würde die Bewegung an sich um so weniger Zeit sein, da das worin die Bewegung stattfindet von der Bewegung selbst verschieden wäre. Gegen alles, was sich für diese Ansicht sagen lässt und gesagt ist, mag dies eine genügen, dass wohl die Bewegung aufhören und unterbrochen werden kann, nicht aber die Zeit. Wollte jemand sagen, die Bewegung des Alls wird nicht unterbrochen, so ist zu erwidern, dass auch diese, wenn der Umschwung gemeint ist, in einer bestimmten Zeit auf denselben Punkt zurückkommt, verschieden von der Zeit, in welcher die Hälfte zurückgelegt wird, man hätte eine halbe und eine doppelte Zeit, beide aber wären Bewegungen des Alls, von denen die eine von demselben Punkte aus zu demselben[246] Punkte, die andere nur bis zur Hälfte kommt. Auch der Umstand, dass man die Bewegung der äussersten Sphäre als die schärfste und schnellste bezeichnet, spricht für unsere Ansicht. Daraus ergiebt sich, dass die Bewegung derselben und die Zeit verschieden sind. Die schnellste von allen Bewegungen ist sie offenbar dadurch, dass sie in geringerer Zeit den grösseren, ja den grössten Raum zurücklegt. Die andern dagegen sind langsamer, weil sie in grösserer Zeit bloss einen Theil desselben zurücklegen. Wenn nun nicht einmal die Bewegung der Sphäre die Zeit ist, dann kann es noch viel weniger die Sphäre selbst sein, welche infolge ihrer Bewegung für die Zeit gehalten wird. Soll aber die Zeit etwa eine Relation der Bewegung sein? Wäre sie eine Dauer oder Ausdehnung der Bewegung, so ist zu sagen, dass nicht jede Bewegung dieselbe Ausdehnung hat, nicht einmal die gleichzeitige; denn schneller und langsamer ist die Bewegung, selbst die an demselben Orte. Beide Ausdehnungen müssten dann durch ein anderes drittes gemessen werden, welches man mit grösserem Rechte als Zeit bezeichnen könnte. Welche von beiden Ausdehnungen soll aber die Zeit sein, oder vielmehr welche überhaupt, da es deren unzählige giebt? Soll sie die Ausdehnung einer bestimmten Bewegung sein, so kann sie wieder nicht die Ausdehnung jeder derartigen Bewegung sein, denn es giebt deren viele, so dass es auch viele Zeiten zugleich geben müsste. Ist sie die Ausdehnung des Alls und zwar die Ausdehnung bei der Bewegung selbst, was würde sie dann anders als die Bewegung sein und zwar die Bewegung von einer bestimmten Grösse? Diese bestimmte Grösse wird aber entweder durch den Raum gemessen werden, weil die Bewegung einen so und so grossen Raum durchschritten hat, und dies wird die Ausdehnung sein (dies ist aber nicht Zeit sondern Raum), oder die Bewegung selbst wird durch die Continuität und dadurch, dass sie nicht sofort aufhört, sondern stets sich fortsetzt, ihre Ausdehnung haben. Aber dies würde die Grösse der Bewegung sein. Wenn jemand eine Bewegung wahrnimmt und sie als gross bezeichnet, wie man etwa von einer grossen Wärme spricht, so kommt man auch hierbei nicht auf den Begriff der Zeit, sondern man erhält Bewegung und wieder Bewegung, wie wenn man unaufhörlich fliessendes Wasser hat und daran eine Ausdehnung wahrnimmt. Dieses wieder und wieder aber ist die Zahl, wie Zweiheit oder Dreiheit, und die Ausdehnung kommt der Masse zu. So also auch die Menge der Bewegung gleich der Zehnzahl oder gleich der[247] an der scheinbaren Masse der Bewegung erscheinenden Ausdehnung. Aber dies giebt keinen Begriff der Zeit, sondern nur ein so und so grosses Etwas, das in der Zeit vor sich geht. In diesem Falle würde die Zeit nicht überall sein, sondern man würde unter Zeit nur wieder die Bewegung an der Bewegung als Substrat verstehen. Denn die Ausdehnung findet nicht ausserhalb statt, sie ist bloss keine augenblickliche Bewegung. Wenn aber das Augenblickliche schon in der Zeit liegt, wodurch soll ich denn das Nichtaugenblickliche von dem Augenblicklichen unterscheiden als dadurch, dass es eben auch in der Zeit liegt? Folglich ist die ausgedehnte Bewegung und ihre Ausdehnung nicht selbst Zeit, wohl aber in der Zeit. Will man aber die Ausdehnung der Bewegung Zeit nennen, so versteht man doch nicht die Ausdehnung der Bewegung selbst darunter, sondern dasjenige, dem zufolge die Bewegung ihre Ausdehnung hat, indem sie gleichsam neben jener herläuft. Was dies aber sei, ist nicht gesagt. Offenbar ist es die Zeit, in welcher die Bewegung stattgefunden hat. Dies war es aber, was unsere Betrachtung von Anfang an suchte, was eigentlich die Zeit sei. So kommt es fast auf dasselbe hinaus, wie wenn jemand auf die Frage: was ist die Zeit? antworten wollte: die Ausdehnung der Bewegung in der Zeit. Was ist denn das für eine Ausdehnung, die derjenige Zeit nennt, der sie ausserhalb der eigentlichen Ausdehnung der Bewegung setzt? Andererseits wird auch derjenige, der die Ausdehnung in die Bewegung selbst setzt, nicht wissen, wohin er die Ausdehnung der Ruhe setzen soll. Denn soviel etwas bewegt wird, soviel ruht ein anderes, und man könnte sagen, dass die Zeit von beiden dieselbe sei, so dass sie offenbar selbst von beiden verschieden ist. Was ist nun diese Ausdehnung und was hat sie für eine Natur? Unmöglich ist sie etwas Räumliches. Denn auch der Raum ist ja etwas ausserhalb derselben befindliches.

9. Es ist zu untersuchen, wie die Zeit Zahl oder Maass der Bewegung sei; so nämlich scheint es besser, da die Bewegung eine continuirliche ist. Zuerst nun entsteht hier ähnlich wie bei der Ausdehnung der Bewegung die Schwierigkeit, ob man dies von der gesammten Bewegung aussagen könne. Denn wie mag jemand die ungeordnete und unregelmässige zahlen, oder welches ist die Zahl und das Maass oder wonach bestimmt sich das Maass? Misst man mit demselben Maasse eine jede und überhaupt jede Bewegung, die schnelle wie die langsame, so wird die Zahl und das Maass ähnlich[248] angewandt werden wie wenn die Zehnzahl etwa Pferde und Rinder misst oder wenn dasselbe Maass auf das Feuchte wie auf das Trockne angewandt wird. Wenn die Zeit ein derartiges Maass ist, so ist zwar gesagt worauf sie sich erstreckt, nämlich auf Bewegungen; was sie aber selbst ist, ist noch nicht gesagt. Wenn aber, wie die Zehnzahl, auch ohne Pferde genommen, als eine Zahl betrachtet werden kann, und das Maass, auch wenn es nicht misst, Maass ist mit einer bestimmten Natur, mit der Zeit, die Maass ist, sich ebenso verhalten muss – wenn sie an sich betrachtet ebenso beschaffen ist wie die Zahl: wie unterscheidet sie sich von dieser bestimmten Zehnzahl oder von jeder andern einheitlichen Zahl? Wenn sie aber ein continuirliches Maass ist, so wird sie Maass sein als ein bestimmtes Quantum, z.B. das Quantum einer Elle. Sie wird also Grösse sein, etwa wie eine Linie, die offenbar mitläuft mit der Bewegung. Aber diese mitlaufende Linie, wie kann sie das messen, mit dem sie läuft? Denn warum soll das eine mehr zum Maass des andern sich eignen? Doch es ist wohl besser und wahrscheinlicher die Linie nicht als Maass jeder Bewegung sondern nur derjenigen zu setzen, mit der sie läuft. Dies Gemessene aber muss etwas Continuirliches sein, insofern die mitlaufende Linie daran haften soll. Jedoch darf man das Messende nicht äusserlich und getrennt auffassen, sondern zugleich mit der gemessenen Bewegung. Und was wird das Messende sein? Nun, das Gemessene wird die Bewegung sein, das Messende aber Grösse. Und welches von ihnen wird die Zeit sein? die gemessene Bewegung oder die messende Grösse? Allerdings wird die Zeit sein entweder die von der Grösse gemessene Bewegung oder die messende Grösse oder ein Drittes, das die Grösse wie eine Elle gebraucht um zu messen, wie gross die Bewegung ist. Indessen ist es rathsam, in allen diesen Fällen, wie wir gesagt haben, eine gleichmässige Bewegung anzunehmen; denn ohne die Gleichmässigkeit und ausserdem die Einheitlichkeit und Gesammtheit der Bewegung wird der Beweis schwierig für den, der die Zeit irgendwie als das Maass der Bewegung setzt. Wenn also die Zeit gemessene und zwar von dem Quantum gemessene Bewegung ist, so muss, wie die Bewegung (die Nöthigung dazu vorausgesetzt) nicht durch sich selbst sondern durch etwas anderes gemessen werden musste, auch die Grösse, wenn wirklich die Bewegung ein anderes Maass ausser sich haben soll und wir deshalb des zusammenhängenden Maasses zur Messung derselben bedurften – so bedarf auf dieselbe Weise auch die[249] Grösse selbst eines Maasses, damit die Bewegung, wenn dasjenige wonach gemessen wird in der bestimmten Grösse vorliegt, in ihrem Quantum gemessen werde. Und die Zahl wird zu der Grösse gehören, die die Bewegung begleitet, nicht aber die Grösse selbst sein, die mit der Bewegung läuft. Was könnte dies aber für eine sein als die Einzahl? Wie diese messen soll, darüber erhebt sich nothwendig eine Schwierigkeit. Doch selbst wenn jemand dies Wie ausfindig gemacht hätte, so wird er als messend nicht Zeit schlechthin sondern diese bestimmte Zeit ausfindig machen; das ist aber nicht dasselbe wie Zeit schlechthin. Denn ein anderes ist es zu sagen ›Zeit‹, ein anderes ›bestimmte Zeit‹; denn bevor man von einem bestimmten Quantum spricht, muss man sagen, was dieses bestimmte Quantum sei. Aber die Zahl, welche die Bewegung misst ausserhalb der Bewegung, ist die Zeit, wie die von den Pferden ausgesagte Zehnzahl nichts mit den Pferden zu thun hat. Was nun diese Zahl sei, ist nicht gesagt, die doch vor dem Messen ist was sie ist wie die Zehnzahl. Vielleicht ist es diejenige, welche nach dem Prius und Posterius der Bewegung nebenherlaufend misst? Aber was diese nach dem Prius und Posterius messende Zeit ist, ist noch nicht klar. Sicherlich indessen wird das nach dem Prius und Posterius Messende, sei es durch ein Zeichen oder sonstwie, durchaus nach der Zeit messen. Es wird also diese die Bewegung durch das Prius und Posterius messende Zahl sich an die Zeit halten und heften, damit sie messe. Denn entweder nimmt man das Prius und Posterius örtlich, z.B. den Anfang des Stadiums, oder vielmehr man muss es zeitlich nehmen. Denn überhaupt ist das Prius die Zeit, welche in die Gegenwart ausläuft, und das Posterius die, welche mit der Gegenwart beginnt. Etwas anderes ist also die Zeit als die Zahl, welche nach dem Prius und Posterius die Bewegung misst, nicht bloss eine beliebige sondern auch eine fest geordnete. Ferner warum soll nach Hinzutreten der Zahl, sei es als gemessene oder als messende – denn ebendieselbe dürfte eine messende wie eine gemessene sein können – warum also soll nach Hinzutreten der Zahl Zeit dasein, während aber Bewegung vorhanden ist und in derselben das Prius und Posterius durchaus statthat, nicht Zeit sein? Das wäre gerade wie wenn jemand sagen wollte, die Grösse sei nicht so gross als sie ist, wenn man darunter nicht diese bestimmte Grösse verstehe. Da aber die Zeit unendlich ist und auch so bezeichnet wird, wie kann bei ihr eine Zahl statthaben? Es müsste denn jemand einen Theil[250] von ihr nehmen und den messen, wobei denn die Zahl vorhanden ist noch ehe gemessen wird. Warum aber soll sie nicht sein selbst vor der Existenz der messenden Seele. Es müsste denn sein, dass jemand ihren Ursprung von der Seele herleitete. Freilich um des Messens willen braucht sie keineswegs davon herzurühren, denn sie ist in ihrer Grösse vorhanden, auch wenn sie niemand misst. Nennt aber jemand die Seele als das was sich der Grösse zum Messen bedient: was tragt dies aus für den Begriff der Zeit?

10. Was die Ansicht betrifft, die Zeit sei eine Folge der Bewegung, so lässt sich über die über begrifflich nichts lehren noch aussagen, bevor man nicht gesagt hat, was das Mitfolgende ist; denn jenes dürfte vielleicht die Zeit sein. Der Ausdruck ›Folge‹ ist naher zu untersuchen, mag man dieselbe als später oder gleichzeitig oder früher auffassen, vorausgesetzt dass es wirklich eine solche Folge giebt; denn wie man sie auch ansieht, sie liegt in der Zeit. Ist dem so, dann wird die Zeit eine Folge der Bewegung sein in der Zeit. Allein da wir nicht suchen was die Zeit nicht ist, sondern was sie ist, und darüber viel von vielen vor uns gesagt ist, was Satz für Satz durchzugeben mehr eine geschichtliche Darstellung erfordern würde, und manches darüber so nach dem ersten Einfall gesagt ist; da ferner gegen die Behauptung, die Zeit sei das Maass der Bewegung des Weltalls, aus dem bereits Gesagten manches andere und auch das jetzt über das Maass der Bewegung Gesagte sich anführen lässt – denn abgesehen von der Unregelmässigkeit [der Bewegung] wird alles andere auch auf sie passen – so dürfte füglich auseinanderzusetzen sein, was man sich denn eigentlich unter der Zeit vorzustellen habe.

11. Wir müssen also wieder zurückgeben auf jenen Zustand, welchen wir von der Ewigkeit aussagten, auf jenes unwandelbare, in jedem Punkt vollständige und bereits unendliche Leben, welches nach keiner Richtung hin abweicht und in dem Einen und zu dem Einen hin steht; Zeit aber war noch nicht oder war wenigstens für jene [intelligiblen Wesen] noch nicht, sollte aber werden durch den Begriff und die Natur des Posterius. Wie demnach, da diese intelligiblen Dinge ruhig in sich verharren, die Zeit zuerst heraussprang: um das zu erfahren dürfte jemand die Musen, die damals noch nicht waren, ohne Erfolg anrufen, wohl aber die gewordene Zeit selbst, wie sie in die Erscheinung getreten und geworden ist. Sie mochte über sich etwa in folgender Weise sprechen: Bevor sie noch[251] dies Prius erzeugte und des Posterius bedurfte, ruhte die Zeit in sich selbst in dem Seienden als nicht seiend, vielmehr verharrte sie in jenem gleichfalls in ihrer Ruhe. Da aber ihre Natur einen regen Thätigkeitstrieb halle und ihr eigener Herr sein wollte und ihren Besitz zu vermehren strebte, so bewegte sie sich selbst, es setzte sich auch die Zeit in Bewegung, und da wir uns immer auf das Folgende hin und nicht auf dasselbe sondern auf ein anderes und wieder ein anderes hin bewegten und so eine gewisse Länge des Weges beschrieben, haben wir die Zeit als ein Abbild der Ewigkeit fertig gebracht. Da nämlich die Seele eine gewisse unruhige Kraft in sich spürte und was sie dort oben erblickte immer auf ein anderes übertragen wollte, so mochte sie die ganze Fülle bei sich selbst nicht leiden: wie aus dem ruhenden Samen der keimende Begriff sich herauswickelt und weithin, wie man glaubt, seinen Durch- und Ausgang nimmt, indem er das Viele durch die Zertheilung verschwinden macht und statt des Einen in sich selbst nicht in sich selbst das Eine aufzehrt und fortschreitet zu einer grösseren aber schwächeren Ausdehnung, so machte sich auch diese, indem sie die sichtbare Welt in Nachahmung jener bildete, die sich bewegt nicht in der Bewegung dort oben, aber in einer ähnlichen, die ein Bild jener sein will – so machte sie sich zuerst selbst zur Zeit und trug sie statt der Ewigkeit davon; dann unterwarf sie auch das Gewordene [die sichtbare Welt] dem Dienst der Zeit, indem sie es ganz und gar in die Zeit verlegte und sämmtliche Evolutionen desselben in derselben befasste. In ihr [der Weltseele] sich bewegend (denn die Welt hat in diesem All keinen andern Ort als die Seele) bewegte sie sich auch in der Zeit jener. Denn indem sie eine Kraft nach der andern von sich ausgehen liess und dann wieder eine andere in ununterbrochener Reihenfolge, erzeugte sie kraft der Thätigkeit das Folgende und ging zugleich mit einer andern Thätigkeit nach jener dem was früher nicht war vorauf, weil weder der Gedanke in Wirksamkeit gesetzt noch das jetzige Leben ähnlich dem vor ihr voraufgehenden war. Zugleich also war das Leben ein anderes und eben dadurch hatte es eine andere Zeit. Der Abstand und die Ausdehnung des Lebens also hatte die Zeit und der jedesmalige Fortschritt des Lebens hat jedesmal die Zeit und das entschwundene Leben hat die entschwundene Zeit. Wenn also jemand sagte: Zeit ist Leben der Seele, welche in ihrer Bewegung von einer Manifestation des Lebens zur andern übergeht – scheint er dann etwas rechtes zu sagen? Denn wenn[252] Ewigkeit Leben ist in der Ruhe, Unveränderlichkeit, Gleichheit und unendliches Leben und wenn die Zeit ein Bild der Ewigkeit sein muss, ganz so wie dieses All sich zu jenem verhalt: so ist zu sagen, dass es anstatt des dortigen Lebens ein anderes Leben, nämlich das dieser Kraft der Seele als homonymes giebt und anstatt der Bewegung der vernünftigen Seele die Bewegung eines Theils derselben; anstatt der Identität, der Gleichmässigkeit und Stabilität ein nicht Stabiles, bald dies bald jenes Wirkendes; anstatt des Untrennbaren und Einen ein Schattenbild des Einen, das nur in der Continuität eins ist; anstatt des Unendlichen und Ganzen das in unendlicher Reihe aufeinander Folgende; anstatt des in sich geschlossenen Ganzen das nur Theil für Theil zum Ganzen Strebende und immer ein Ganzes Werdende, denn so wird es das Ganze, bereits in sich Geschlossene und Unendliche nachahmen, wenn es stets hinzuerwerbend sein will in dem Sein; so wird denn auch das Sein jenes Sein nachahmen. Man darf aber die Zeit nicht ausserhalb der Seele und gesondert von ihr auffassen, gleichwie die Ewigkeit nicht ausserhalb des Seienden, auch nicht als begleitende Folge noch als ein Posterius, gleichwie die Ewigkeit dort [in der intelligiblen Welt] nicht, sondern als ein darin Geschautes, darin Enthaltenes und damit Zusammengehöriges, gleichwie auch die Ewigkeit ein solches ist.

12. Man muss aber hieraus abnehmen, dass diese Natur [d.h. die Zeit] die Ausdehnung und Länge eines derartigen Lebens ist, die in ebenmässigen und ähnlichen, geräuschlos sich vollziehenden Veränderungen fortschreitet, die eine continuirliche Thätigkeit hat. Nähmen wir nun umgekehrt an, diese Kraft cessire einmal mit jenem Leben, das sie jetzt als ein unaufhörliches und nimmer nachlassendes hat, weil sie die Wirksamkeit einer stets seienden Seele ist und zwar nicht als eine auf sich selbst bezogene und in sich selbst beharrende sondern als eine schöpferische und erzeugende – wollten wir also annehmen, dass diese Thätigkeit nicht mehr wirksam sei, sondern aufhöre und dass auch dieser Theil der Seele zu dem da droben und zur Ewigkeit hingewandt sei und in Ruhe verharre: was wäre dann noch ausser der Ewigkeit? Wie gäbe es ein Verschiedenes, da alles in Einem beharrt? Wie gäbe es da noch ein Früher? wie ein Später und ein Mehr? Wo konnte die Seele sich dann anders hinwenden als da wo sie ist? Vielmehr konnte sie sich auch diesem nicht zuwenden, da sie sich ja zuvor abwenden müsste um sich hinzuwenden. Würde doch auch die Sphäre selbst nicht sein, welche[253] nicht früher vorhanden ist als die Zeit; denn in der Zeit ist und bewegt sich auch diese, und wenn sie steht, wahrend jene sich thätig erweist, so werden wir die Dauer ihres Stillstandes messen, solange jene ausserhalb ist. Wenn nun mit dem Ablassen und Einswerden jener die Zeit aufgehoben ist, so erzeugt offenbar der Anfang dieser dorthin gerichteten Bewegung und diese Lebensäusserung die Zeit. Deshalb ist auch [im Timäus] gesagt, dass sie zugleich mit diesem All entstanden sei, weil die Seele sie zugleich mit diesem All erzeugt hat. Denn in einer derartigen Thätigkeit ist auch dieses All geworden; und diese ist Zeit, jenes in der Zeit. Wollte aber jemand sagen, Platon nenne auch die Bewegungen der Gestirne Zeiten, so sei er daran erinnert, dass er sagt, diese seien geworden um die Zeit anzuzeigen und abzugrenzen und als ein deutliches, augenscheinliches Maass zu dienen. Denn da es nicht anging die Zeit selbst durch die Seele zu begrenzen, noch auch jeden einzelnen Theil eines Unsichtbaren und nicht Greifbaren an sich selbst zu messen, so machte er vorzüglich für die des Zählens Unkundigen Tag und Nacht, wodurch es möglich war den Begriff der Zwei an der Verschiedenheit zu erfassen, woraus denn, wie Plato sagt, der Begriff der Zahl entstand. Dann konnten wir, indem wir die Dauer von Sonnenaufgang bis wieder zum Sonnenaufgang nahmen, die Zeitdauer gewinnen bei der Gleichmässigkeit der Bewegungsart, auf die wir uns stützen, und wir brauchen eine derartige Zeitdauer gleichsam als Maassstab, nämlich als Maassstab der Zeit, denn die Zeit ist nicht selbst der Maassstab. Denn wie sollte man sonst messen und was sollte man beim Messen als die bestimmte Grösse bezeichnen wie ich sie z.B. habe? Wer ist nun dieser Ich? Doch wohl derjenige, an dem die Messung geschieht. Also ist er, damit er messe, ohne das Maass selber zu sein. Die Bewegung also des Alls wird nach der Zeit gemessen sein und die Zeit wird nicht das Maass der Bewegung sein dem Wesen und Begriffe nach, sondern indem sie es accidentiell ist wird sie als ein anderes Früheres anzeigen, wie gross die Bewegung ist. Und die als eine aufgefasste Bewegung wird, in so und so langer Zeit wiederholt gezählt, zu der Vorstellung einer vergangenen Zeitdauer führen. Wenn demnach jemand sagte, die sphärische Bewegung messe in gewisser Weise die Zeit, indem sie nach Möglichkeit in ihrer eigenen Grösse und Dauer die Grösse und Dauer der Zeit anzeigt, so dürfte das eine richtige Erklärung sein. Das von der sphärischen Bewegung Gemessene also d.h. das Angezeigte[254] wird die Zeit sein, nicht erzeugt von der sphärischen Bewegung sondern angezeigt; und so wird das Maass der Bewegung das von einer bestimmt abgemessenen Bewegung Gemessene sein und wird, gemessen von dieser, doch als ein anderes als diese zu betrachten sein: war es doch auch ein anderes insofern es maass, und wieder ein anderes insofern es gemessen wird, gemessen nämlich per accidens. Danach wäre also darüber gesprochen in der Weise wie wenn jemand sagte, das von der Elle Gemessene sei die Grösse, ohne den Begriff derselben anzugeben, und wie etwa jemand die Bewegung, die er wegen ihrer Unendlichkeit nicht definiren kann, als das vom Raum Gemessene bezeichnen dürfte; denn nachdem er den Raum, welchen die Bewegung durchlaufen, aufgefasst hätte, würde er sagen, sie sei so gross als der betreffende Raum.

13. Die sphärische Bewegung also zeigt die Zeit an, in der sie sich selbst befindet. Es darf aber die Zeit das ›in welcher‹ nicht mehr als ein Merkmal an sich haben, sondern sie muss in erster Linie selbst sein was sie ist, in welcher sie das andere bewegt und ruht in gleichmässiger, geordneter Weise, und von Seiten irgend eines Geordneten zur Erscheinung kommen und in die Vorstellung treten, nicht jedoch werden, es sei dies ein Ruhendes oder Bewegtes, besser jedoch ein Bewegtes; denn die Bewegung bringt uns besser zu einer deutlichen Vorstellung von der Zeit als die Ruhe, und anschaulicher wird uns die Dauer nach abgelaufener Bewegung als die Dauer in der Ruhe. Deshalb sind die Philosophen auch zu der Definition gekommen: ›die Zeit ist das Maass der Bewegung‹, statt zu sagen: ›die Zeit ist von der Bewegung gemessen‹ und anstatt hinzuzufügen, was denn das was gemessen wird an sich ist, nicht aber etwas Accidentielles von ihm auszusagen und dies dann [auf das Wesen der Sache] zu übertragen. Aber vielleicht meinen sie diese Uebertragung und Vertauschung nicht, sondern wir verstehen sie falsch, und indem sie deutlich das Maass nach dem Gemessenen bezeichnen, haben wir ihre Ansicht nicht getroffen. Der Grund unsers Missverständnisses liegt darin, dass sie den Begriff, das Wesen der Sache, sei sie nun ein Messendes oder ein Gemessenes, nicht völlig klar machen, weil sie in ihren Schriften Wissende und eigene Zuhörer im Auge haben. Plato wenigstens hat weder ein Messendes noch ein von etwas anderem Gemessenes als das Wesen der Zeit bezeichnet, sondern um sie zu veranschaulichen sagt er, die sphärische Bewegung habe immer einen kleinsten Theil zum kleinsten Theil derselben hinzugenommen,[255] so dass wir daraus abnehmen konnten, was und wie gross die Zeit sei. Um jedoch ihr Wesen klar zu machen sagt er, sie sei zugleich mit dem Himmel geworden nach dem Vorbild der Ewigkeit und zwar sei sie ein bewegtes Bild, weil auch die Zeit nicht ruht wenn die Seele nicht ruht, mit der zusammen sie läuft und kreist; zugleich mit dem Himmel aber ist sie geworden, weil ein solches Leben [der Seele] auch den Himmel macht und ein und dasselbe Leben den Himmel und die Zeit zu Stande bringt. Gesetzt den Fall, es zöge sich dies Leben in sich selbst zu einer leeren Einheit zusammen, so bitte in demselben Augenblick auch die Zeit, die in diesem Leben ist, wie der Himmel, der dieses Leben nicht mehr hatte, aufgehört zu sein. Wenn aber jemand das Prius und Posterius dieses abgeleiteten Lebens und dieser abgeleiteten Bewegung als etwas Reales annähme und das als Zeit ansähe, dagegen das in der ursprünglichen und wahren Bewegung vorhandene Prius und Posterius für nichts erklärte, so wäre das sehr absurd, indem er der seelenlosen Bewegung das Prius und Posterius und die Zeit zuspräche, dagegen der Bewegung, nach welcher diese erst bestellt als Nachahmung, abspräche, einer Bewegung, von welcher aus auch das Prius und Posterius durch ursprüngliche, selbstthätige Bewegung von Anfang an besteht und welche, wie eine jede ihrer eigenen Thätigkeiten, so auch das Folgende der Reihe nach und mit dem Erzeugen zugleich auch den Uebergang derselben auf etwas anderes erzeugt. Warum führen wir nun zwar diese Bewegung, die des Alls, in den Umkreis jener [der Seele] hinein und verlegen sie in die Zeit, nicht aber ebenso die Bewegung der Seele, die in ihr besteht und in ewiger Wirksamkeit hindurchgeht durch die Dinge? Nun deshalb, weil das vor und über ihr Liegende die Ewigkeit ist, welche nicht mit ihr fortschreitet und sich ausbreitet. Zuerst also trat diese in die Zeit heraus und erzeugte die Zeit und hat sie mit ihrer eigenen Wirksamkeit. Wie nun überall? Weil jene von keinem einzigen Theile der Welt getrennt ist, wie auch die Seele in uns von keinem einzigen Theile. Behauptet aber jemand, die Zeit sei keine Hypostase und nichts Reelles, so wird er offenbar auch über Gott selbst eine falsche Behauptung aufstellen wenn er sagt: Gott war und wird sein; denn so wird er sein und war er wie dasjenige ist, in welchem er nach seiner Behauptung sein wird. Allein zur Bekämpfung dieser Gegner wird eine andere Art der Beweisführung erfordert. Das aber ist ausserdem bei allem Gesagten zu beachten, dass, wenn[256] jemand an einem Menschen, der sich bewegt, das im Vorwärtsgehen zurückgelegte Quantum auffasst, er auch das Quantum der Bewegung auffasst und dass, wenn er die Bewegung, etwa durch die Schenkel, sieht, er auch das vor dieser Bewegung in dem Menschen vorhandene bestimmte Quantum der Bewegung sieht, wenn anders er die Bewegung des Körpers bis zu diesem bestimmten Quantum ausdehnte. Den während dieser bestimmten Zeit bewegten Körper nun wird er zurückführen auf diese bestimmte Bewegung (denn sie ist der Grund) und die Zeit dieser, diese selbst aber auf die Bewegung der Seele, welche dieselbe Dimension hat. Worauf nun aber wird er die Bewegung der Seele zurückführen? Worauf er nämlich will, er wird immer auf ein in sich Geschlossenes, Untheilbares kommen. Dies ist demnach das Uranfängliche, Erste und das, in welchem das andere ist; es selbst ist nicht mehr in einem andern, denn dies kann es nicht fassen. Und bei der Weltseele verhält es sich ebenso. Also ist auch wohl in uns die Zeit? Gewiss, in jeder derartigen Seele und von gleicher Beschaffenheit in allen Menschen, und alle Seelen sind eine. Daher wird die Zeit nicht auseinandergezogen und zertheilt werden [durch die einzelnen Seelen], sowenig wie die Ewigkeit, die auf verschiedene Weise in allen gleichartigen Dingen existirt.

Quelle:
Plotin: Die Enneaden. Band 1, Berlin 1878, S. 238-257.
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