Siebentes Buch.
Ueber die Unsterblichkeit der Seele

[103] 1. Ob ein jeder von uns unsterblich ist, oder ob er gänzlich vernichtet wird, oder ob ein Theil von ihm der Zerstreuung und Zerstörung anheim fällt, ein anderer auf ewig bleibt, was eben er selbst ist: das möchte man durch folgende naturgemässe Betrachtung lernen. Einfach nun dürfte der Mensch nicht sein, sondern es ist in ihm eine Seele, er hat auch einen Körper, sei es dass derselbe uns als ein Werkzeug zugehört, sei es dass er uns auf andere Weise angefügt ist. Es soll also auf diese Weise angefügt werden und es ist Natur und Wesen eines jeden zu betrachten. Der Körper nun, der selbst etwas Zusammengesetztes ist, kann einerseits durch die Wirkung des Begriffs und der Vernunft nicht bleiben, andererseits sieht ihn die sinnliche Wahrnehmung sich auflösen, verwesen und allerhand Vernichtungen preisgegeben, indem jeder der in ihm vorhandenen Theile sich zu seinem eigenen Wesen hinwendet und das eine das andere vernichtet und verändert, und zwar besonders, wenn die das Einzelne vereinende Seele den Massen nicht helfend zur Seite steht. Und wenn ein jedes auch einzeln wird, so ist es doch nicht eins, da es sich auflöst in Form und Materie, woraus mit Nothwendigkeit folgt, dass auch die einfachen unter den Körpern zusammengesetzt sind. – In der That da sie als Körper Grösse haben und zerschnitten und zerstückelt werden, so unterliegen sie auch auf diese Weise der Zerstörung. Folglich, wenn dieser ein Theil von uns ist, so sind wir nicht ganz und gar unsterblich; ist er ein Organ, so muss dieses als für eine bestimmte Zeit gegeben dieselbe Natur haben. Der constituirende Theil und der eigentliche Mensch dürfte sich in Anbetracht des Körpers zu ihm verhalten wie die Form zur Materie oder wie das Gebrauchende zum Werkzeug. In beiden Fällen aber ist die Seele des Menschen Selbst.

2. Was hat nun dieses [die Seele] für eine Natur? Ist es Körper, so ist es gänzlich zerstörbar; denn etwas Zusammengesetztes[103] ist doch jeder Körper, ist es nicht Körper, sondern von einer andern Beschaffenheit und Natur, so muss man auch diese auf dieselbe oder auf eine andere Weise betrachten. Zuerst ist zu betrachten, worin dieser Körper, den sie Seele nennen, sich auflösen soll. Da nämlich der Seele nothwendig Leben innewohnt, so muss nothwendig dieser Körper, die Seele, wenn er aus zwei Körpern oder mehreren besteht, entweder in einem von beiden oder in einem jeden ein von der Natur eingepflanztes Leben haben, oder in dem einen es haben, in dem andern nicht, oder in keinem von beiden. Wenn nun einem von einem das Leben innewohnte, so dürfte eben dies die Seele sein. Was wäre nun das für ein Körper, der das Leben aus sich selbst hat? Denn Feuer und Luft und Wasser und Erde sind an sich leblos, und welchem von diesen Seele innewohnt, das hat das Leben als ein von aussen hinzugebrachtes in Besitz genommen, andere Körper aber als diese giebt es nicht. Und diejenigen, welche ausser diesen andere Elemente annahmen, die nannten sie Körper, nicht Seelen, legten ihnen auch kein Leben bei. Sagt man aber, die Gesammtheit hat das Leben bewirkt, während jedes einzelne kein Leben hat, so ist das absurd; hat aber jedes einzelne Leben, so genügt eins. Völlig unmöglich aber ist es, dass ein zusammengebrachter Haufe von Körpern Leben wirkt und Unvernünftiges Vernunft erzeugt. Nun werden sie freilich sagen, dass diese Mischung nicht aufs Gerathewohl vor sich gehe. Es bedarf also eines ordnenden und die Mischung verursachenden Princips, das demnach die Stellung der Seele einnehmen würde. Denn weder ein zusammengesetzter, geschweige denn ein einfacher Körper fände sich im Reiche des Seienden ohne das Vorhandensein einer Seele im All, wenn anders ein an die Materie herantretender Begriff den Körper macht, ein Begriff aber nirgend anderswo her kommt als von der Seele.

3. Wenn aber jemand sagt, so geschehe es nicht, sondern die zusammentretenden Atome oder untheilbare Partikelchen brächten durch ihre Vereinigung die Seele hervor, so wird er durch die Homopathie [Einheit des Bewusstseins] widerlegt, sowie durch den Umstand, dass durch die Nebeneinanderstellung ohne völlige Durchdringung doch wohl eine Einheit und ein sympathisches Ganze schwerlich entstellt aus unsympathischen und der Einigung unfähigen Körpern. Die Seele aber ist in sich selbst sympathisch. Aus Atomen dürfte weder ein Körper noch Ausdehnung entstehen. Nehmen sie ferner einen einfachen Körper an, so werden sie doch nicht sagen,[104] dass er, sofern er Materie an sich hat, das Leben von sich selber habe – denn die Materie ist qualitäts- und gestaltlos –; soll er aber, sofern er von der Form gestaltet ist, das Leben erhalten, so wird, wenn sie diese Form Wesenheit nennen, nicht das aus beiden Zusammengesetzte, sondern das eine von diesen beiden die Seele sein. Und dies wäre nicht mehr Körper, denn, dies besteht nicht zugleich auch aus Materie, oder wir werden dieselbe Untersuchung wieder von vorn anfangen. Behaupten sie aber, es sei eine Affection der Materie und nicht eine Wesenheit, so müssen sie sagen, woher die Affection und das Leben in die Materie gekommen ist. Denn die Materie formt sich nicht selbst, noch legt sie sich selbst Seele bei. Es muss also etwas geben, das den Reigen des Lebens fuhrt, wenn diese Führung weder der Materie noch irgend einem der Körper zu kommt, das ausserhalb und erhaben über aller körperlichen Natur steht. Indessen es dürfte auch keinen Körper geben, wenn es keine seelische Kraft giebt. Denn er ist im Fluss und seine Natur in Bewegung und wurde so schnell als möglich vernichtet werden, wenn alles Körper wäre, mag man immerhin einem von ihnen den Namen Seele geben. Denn dieser würde dasselbe erleiden wie die andern Körper, da sie nur eine Materie haben. Vielmehr es würde garnichts werden, sondern alles würde still stehen in der Materie, wenn es nichts gäbe was sie bildet und gestaltet. Wahrscheinlich würde auch nicht einmal dir Materie überhaupt sein und dies gesammte All wird sich auflösen, wenn es jemand der zusammenhaltenden Kraft, des Körpers anvertraute und diesem der Stelle der Seele (wenigstens dem Namen nach) anwiese, etwa der Luft und dem Hauche, dem tüchtigsten und leicht zerstreubaren Element, das seine Einheit nicht durch sich selbst hat. Denn wie wäre es bei der Theilbarkeit aller Körper möglich, dass man, wenn man irgend einem hiervon dieses All anvertraute, nicht unvernünftig machte und eine zweck- und ziellose Bewegung ihm zuschriebe? Denn welche Ordnung beruht in dem Hauche, welcher von der Seele her der Ordnung bedarf, oder welche Vernunft, welcher Verstand? Aber wenn Seele vorhanden ist, so dient ihr dies alles zur Zusammenfügung der Welt; und eines jeden Organismus, indem bald hiervon bald davon eine Kraft zur Vollendung des Ganzen ausgeht und beisteuert; ist diese nicht vorhanden, dann existirt dies alles garnicht, geschweige denn in einer bestimmten Ordnung.

4. Sie bezeugen indessen selbst von der Wahrheit geleitet, dass vor den Körpern eine höhere und herrschende Form der[105] Seele da sein muss, indem sie einen durchgeisteten Hauch und vernünftiges Feuer setzen, gleich als wenn ohne Feuer und Lufthauch eine herrschende Macht im Reiche des Seienden nicht vorhanden sein könnte und als ob diese einen Ort um festen Fuss zu fassen suchte, während man nach einem Platz für die Körper suchen muss, da ja diese in den Kräften der Seele ihren Standort haben müssen. Setzen sie aber, das Leben und die Seele sei nichts anderes als der Hauch, was bedeutet diese oft von ihnen gehörte Behauptung, zu der sie ihre Zuflucht nehmen, wenn sie ausser den Körpern eine andere Natur als die thätig schaffende Macht zu setzen gezwungen werden? Wenn nun nach ihrer Ansicht nicht, jeder Hauch Seele ist, denn es giebt unzählige unbeseelte Hauche, sondern ein bestimmt qualificirter Hauch: so werden sie zugeben, dass dieses bestimmt qualificirte Etwas und diese Qualität entweder etwas von de Seienden ist oder nichts davon. Und wenn nichts, dann giebt es allein Hauch und das »irgendwie qualificirt« ist ein blosser Name. Auf diese Weise werden sie zu der Folgerung getrieben werden, dass es nichts anderes giebt als die Materie; Seele, Gott und alles andere sind blosse Namen, jenes allein ist. Wenn aber jene Beschaffenheit zum Seienden gehört und etwas anderes ist als das Substrat und die Materie, in der Materie zwar, aber selbst immateriell dadurch dass es seinerseits nicht aus Materiellem zusammengesetzt ist: so durfte es Begriff sein und nicht Körper und eine andere Natur. Ferner wird es aus Folgendem noch mehr erhellen, dass die Seele unmöglich irgend ein Körper sein kann. Denn entweder ist er warm oder kalt, hart oder weich, flüssig oder fest, schwarz oder weiss und soviele andere körperliche Qualitäten es in andern Dingen giebt. Und ist er nur warm, so wird er erwärmen; ist er nur kalt, so wird er kühlen; das Leichte wird, herzugebracht und gegenwärtig, leicht machen; das Schwere wird schwer, das Schwarze schwarz, das Weisse weiss machen. Denn es ist nicht die Eigenschaft des Feuers kalt, und nicht die Eigenschaft des Kalten warm zu machen. Aber die Seele wirkt einerseits in anderen Organismen bald dieses bald jenes, andererseits in einem und demselben Organismus Entgegengesetztes, indem sie das eine festheftet und das andere flüssig macht, das eine dick und das andere dünn, schwarzes weiss und leichtes schwer macht. Und gleichwohl musste sie nur eine Wirkung hervor bringen als nach der Beschaffenheit des Körpers wirkend; so aber bringt sie viele hervor.

5. Wie sind nun aber die Bewegungen verschiedene und[106] nicht eine, da doch die Bewegung eines jeden Körpers eine ist? Suchen sie es dadurch zu begründen, dass die einen auf Wahl und Vorsatz, die andern auf Begriffen beruhen, so ist das sehr richtig, aber nicht dem Körper kommt der Vorsatz und die Begriffe zu, die doch verschieden sind, während der Körper einer ist und einfach und nur insofern an diesem Begriffe Theil hat, als er ihm von dem, der ihn heiss oder kalt macht, verliehen ist. Und das Wachsen in der Zeit und bis zu einem bestimmten Grade, woher sollte es dem Körper kommen, dem zwar das Wachsen eignet, der aber selbst an der Erzeugung des Wachsthums keinen Antheil hat oder doch nur insofern, als in der materiellen Masse eine Kraft hinzugenommen wird, die dem durch ihn geschehenden Wachsthum zu Hülfe kommt. Und wenn die Seele als ein Körper wüchse, so müsste sie auch an und für sich wachsen, durch Hinzufügung nämlich eines ähnlichen Körpers, wenn sie gleichen Schritt halten wollte mit dem von ihr zum Wachsthum Gebrachten. Nun wird das Hinzugefügte entweder Seele sein oder ein unbeseelter Körper. Und wenn Seele, woher und wie geht sie hinein und wie wird sie hinzugefügt? Wenn aber das Hinzugefügte unbeseelt ist, wie wird dies beseelt werden und mit dem Früheren übereinstimmen und eins sein und dieselben Vorstellungen wie die erste erhalten und nicht vielmehr wie eine fremde Seele selbst in Unkenntniss sein über die Dinge, welche die andere weiss? Wie die übrige materielle Masse bei uns wird ein Theil abfliessen, ein anderer hinzukommen, kein Theil wird der nämliche bleiben. Wie entstehen uns da die Erinnerungen? Wie das Erkennen des uns Eigenthümlichen, da dieses niemals ein und dieselbe Seele in Gebrauch hat? In der That, wenn die Seele ein Körper ist, die Natur des Körpers aber darin besteht, dass ein jeder Theil in mehrere gespalten wird und so nicht derselbe ist wie die Gesammtheit der Theile – wenn die Seele gerade eine solche Grösse ist, ein Ding, das nach der Verminderung keine Seele mehr sein wird, so hat sie wie jeder andere Körper durch Verminderung das frühere Sein eingebüsst; ist sie hingegen eine solche Grösse, die an Qualität vermindert doch der Qualität nach dieselbe bleibt, so wird sie als Körper und Grösse etwas anderes sein, durch die von der Quantität verschiedene Qualität aber kann sie ihre Identität bewahren. Was werden also diejenigen sagen die behaupten, die Seele sei ein Körper? Was zunächst einen jeden Theil der Seele in demselben Körper angeht, ist ein jeder in dem Maasse Seele wie[107] auch die ganze? Ebenso wieder der Theil des Theils? Die Grösse hat also ihrem Wesen nichts hinzugebracht und das musste doch geschehen, wenn sie etwas Quantitatives ist. Aber auch ganz ist sie in vielerlei Gestalten, was eben an einem Körper nicht statthaben kann, dass er nämlich an mehreren Orten ganz und der Theil dasselbe wie das Ganze sei. Behaupten sie aber, ein jeder der Theile sei nicht Seele, so wird nach ihnen die Seele aus Unbeseeltem bestehen. Wenn ferner die Grösse jeder Seele nach beiden Seiten hin begrenzt ist, sei es nach der Verminderung oder Vergrösserung hin, so wird er nicht Seele sein. Wenn nun aus einem Coitus und einem Samen zwei Geschöpfe oder auch wie bei den andern lebenden Wesen sehr viele entstehen, indem der Same sich auf viele Oerter zertheilt, wo dann ein jeder ganz ist: wie belehrt diese Thatsache nicht diejenigen, die sich belehren lassen wollen dass, wo der Theil dasselbe ist wie das Ganze, dies in seinem Wesen die Natur des Quantitativen überschritten hat und selbst etwas Quantitätsloses mit Nothwendigkeit sein muss? So nämlich dürfte dasselbe bleiben nach Entziehung des Quantitativen, da es sich ja nicht um Quantität und Masse kümmert; sein Wesen ist eben etwas anderes. Quantitätslos also sind die Seelen und die [in dem Samen enthaltenen] Begriffe.

6. Dass aber, falls die Seele ein Körper ist, weder das Wahrnehmen noch das Denken noch das Wissen, weder Tugend noch Schönheit vorhanden sein wird, ist aus Folgendem klar. Wenn etwas ein anderes wahrnehmen soll, so muss es selbst ein Einheitliches sein und durch ein Identisches das Ganze ergreifen, auch wenn durch viele sinnliche Werkzeuge die hineingebenden Bilder viele sind oder viele Qualitäten im Bereich des Einen, ja selbst wenn durch das Eine ein vielgestaltiges erscheint, z.B. das Gesicht; denn nicht nimmt eines die Nase, ein anderes, die Augen wahr, sondern ein und dasselbe alles zusammen. Und wenn das eine durch das Gesicht, das andere durch das Gehör eingeht, so muss es ein Einheitliches geben, in welches beides eingeht. Oder wie könnte man sagen, dass diese Wahrnehmungen verschieden sind, wenn die Gegenstände der sinnlichen Wahrnehmung nicht zugleich in ebendasselbe Eine eingehen? Demnach muss dies dem Centrum vergleichbar sein, die sinnlichen Wahrnehmungen aber müssen von allen Seiten her wie die Linien aus der Peripherie des Kreises zu diesem hin tendiren und derartig muss das Wahrnehmende sein, ein wahrhaftes Eins. Träte dieses auseinander und ergriffen die sinnlichen Wahrnehmungen etwa wie die[108] Endpunkte einer Linie die Gegenstände, so werden sie entweder in ein und dasselbe wieder zusammenlaufen, z.B. in die Mitte, oder der eine Punkt wird die Wahrnehmung dieses, der andere die Wahrnehmung jenes von beiden haben; das wäre so als wenn ich das eine, du das andere wahrnähmest. Und falls der Gegenstand der Wahrnehmung einer ist, z.B. das Gesicht, so wird er entweder in eins zusammengezogen – wie auch der Augenschein lehrt; denn er wird auch in den Pupillen zusammengezogen, wie könnte sonst das Grösste durch sie gesehen werden? Folglich lassen sich die in das beherrschende Princip der Seele kommenden Dinge noch vielmehr als untheilbare Anschauungen betrachten – und dies wird untheilbar sein; oder wenn dies eine Grösse ist, so wird [das Wahrnehmende] mit zertheilt werden, so dass ein Theil den andern und niemand von uns den ganzen Gegenstand wahrnehmen kann. Aber eins ist das Ganze, wie sollte es auch getheilt werden? Denn sonst wird sich nicht das Gleiche zum Gleichen fügen, denn der principale Theil ist dem gesammten sinnlich Wahrnehmbaren nicht gleich und entsprechend. In wie grosse Theile nun soll getheilt werden? Nun es wird in soviele Theile zerlegt werden, als in Rücksicht auf die Mannigfaltigkeit der eindringende Gegenstand an Zahl hat. Und jeder jener Theile der Seele wird also auch mit seinen Theilen wahrnehmen? Oder werden die Theile der Theile ohne Wahrnehmung sein? Das ist doch unmöglich. Wenn aber jeder beliebige Theil jeden wahrnehmen wird, so wird sich, da die Grösse ihrer Natur nach ins unendliche theilbar ist, ergeben, dass hinsichtlich des Gegenstandes der Wahrnehmung auch unendlich viele Wahrnehmungen in einem jeden entstehen, z.B. in dem uns beherrschenden Princip unendlich viele Bilder desselben Gegenstandes. Wäre ferner das Wahrnehmende ein Körper, so komme doch das Wahrnehmen auf keine andere Weise zu Stande kommen als etwa Abdrücke von Siegelringen in Wachs, mögen sich nun die Bilder der Wahrnehmung in Blut oder in Luft abdrücken. Und sind sie wie Abdrücke in flüssigen Körpern, was ja auch anzunehmen, so würden sie wie in Wasser geprägt zerrinnen, und es wird kein Gedächtniss geben; bleiben aber die Eindrücke, so wird es entweder nicht möglich sein andere abzuprägen, so lange jene haften – es wird also keine andern Wahrnehmungen gehen – oder wenn andere entstehen, so werden jene früheren schwinden – es wird also keine Erinnerung geben. Giebt es aber das Erinnern und ist es möglich, immer neue Wahrnehmungen[109] unbehindert von den früheren zu machen, so kann die Seele unmöglich ein Körper sein.

7. Zu eben dieser Einsicht dürfte man auch durch die Empfindung des Schmerzes gelangen. Wenn es von einem Menschen heisst, er habe Schmerzen am Finger, so ist der Schmerz natürlich am Finger, aber die Empfindung des Schmerzes, das wird man doch zugeben, entsteht offenbar in dem beherrschenden Princip. Indem also wirklich der leidende Theil ein anderer ist [als das h. Princip], empfindet doch das herrschende Princip und die ganze Seele leidet denselben Schmerz. Wie geht dies zu? Auf dem Wege gegenseitiger Mittheilung, werden sie sagen, indem zuerst der seelische Hauch um den Finger herum den Eindruck erfährt und dieser ihn dem nächstfolgenden mittheilt u.s.f. bis er zum beherrschenden Princip gelangt. Nothwendig muss also, wenn der erste leidende Theil empfand, die Empfindung des zweiten eine andere sein, falls die Empfindung auf dem Wege gegenseitiger Mittheilung geschieht, ebenso die des dritten wieder eine andere und so muss die einer schmerzhaften Stelle entstammende Empfindung zu vielen, ja unzähligen Empfindungen werden, und alle diese muss hernach der beherrschende Theil ausser seiner eigenen noch empfinden. In Wahrheit aber müsste sich jede jener Empfindungen garnicht auf die schmerzhafte Stelle am Finger beziehen, sondern die des dem Finger zunächstliegenden Theils müsste empfinden, dass die Handfläche schmerzt, die dritte, dass ein anderer weiter nach oben liegender Theil schmerzt, und so müsste es viele Schmerzempfindungen geben, und der beherrschende Theil nicht den Schmerz am Finger, sondern den an ihm selbst empfinden und von diesem allein ein Bewusstsein haben, die andern aber ganz unbeachtet lassen, wobei er garnicht wüsste, dass der Finger schmerzt. Wenn demnach auf dem Wege gegenseitiger Mittheilung eine so bezogene Empfindung nicht zu Stande kommen und an einem Körper, der eine Masse ist, nicht der eine Theil ein Bewusstsein von dem Leiden des andern haben kann – denn in jeder Grösse giebt es ja verschiedene Theile – so muss man das Empfindende [Wahrnehmende] als ein solches bestimmen, das überall mit sich selbst identisch ist. Dieser Forderung aber zu genügen kommt einem andern unter dem Seienden zu als dem Körper.

8. Dass aber, falls die Seele ein Körper irgendwelcher Art ist, auch kein Denken möglich ist, lässt sich aus folgenden Betrachtungen zeigen. Denn wenn das Wahrnehmende[110] darin besteht, dass dir Seele mit Zuhülfenahme des Körpers die Gegenstände der Wahrnehmung percipirt, so dürfte nicht auch das Denken das Erfassen vermittelst, des Körpers sein; sonst wird es ja mit dem Wahrnehmen identisch sein. Besteht nun das Denken im Percipiren ohne körperliche Vermittelung, so muss doch viel eher das, was denken soll, nicht Körper sein. Geht doch die Wahrnehmung auf Gegenstände der Wahrnehmung, das Denken auf Gegenstände des Denkens. Wollen sie das nicht gelten lassen, so wird es doch wenigstens ein Denken gewisser Denkinhalte und ein Percipiren nicht quantitativer Dinge geben. Wie soll nun etwas als Grösse das, was nicht Grösse ist, denken? und wie durch das Theilbare das Nicht-theilbare? Vielleicht mit irgendeinem untheilbaren Theile seiner selbst. Wenn dies, so wird das, was denken soll, nicht Körper sein; denn es ist eben nicht das Ganze zur [denkenden] Aneignung nöthig, es genügt ja schon irgendein Theil. Geben sie nun zu, dass die ursprünglichsten [abstractesten] Gedanken, wie es die Wahrheit ist, sich auf die vom Körper ganz reinen Gegenstände beziehen, so muss nothwendig auch das Denkende, indem es rein ist oder doch wird, sie erkennen. Behaupten sie aber, die Gedanken gehen auf die Formen in der Materie, so entstehen sie doch immer nur durch Abstraction von den Körpern, und diese Abstraction vollzieht eben die Vernunft. Denn es ist doch wirklich keine Beimischung von Fleisch oder überhaupt von Materie in der Abstraction eines Kreises, eines Dreiecks, einer Linie, eines Punktes. Es muss also auch die Seele sich selbst bei einer solchen Operation vom Körper abstrahiren, darf demnach auch selbst, nicht Körper sein. Nicht quantitativ ist ferner, glaube ich, auch das Schöne und das Gerechte, folglich auch das Denken dieser. Folglich wird die Seele diese, wenn sie herantreten, mit dem untheilbaren Principe in ihr aufnehmen, und jene werden in ihr wie in einem Untheilbaren ruhen. Wie stände es ferner, wenn die Seele Körper wäre, mit den Tugenden derselben, mit der Besonnenheit, Gerechtigkeit, Tapferkeit und den andern? Hauch oder Blut wäre dann wohl die Besonnenheit oder die Gerechtigkeit oder die Tapferkeit; es müsste also etwa die Tapferkeit in der Widerstandsfähigkeit des Hauches und die Besonnenheit in der rechten Mischung, die Schönheit in einer gewissen Wohlgestalt der Umrisse bestehen, wonach wir beim Anblick blühender und schöner Leute die körperliche Gestalt bezeichnen. Widerstandsfähigkeit und Schönheit in Umrissen könnte man nun zwar einem Hauche[111] zugestehen; was hat aber ein Hauch mit Besonnenheit zu schaffen? Im Gegentheil, ihm kommt es doch gewiss auf ein Wohlbefinden in seinen Umhüllungen und Berührungen an, wobei er sich wärmen oder nach gelinder Kühlung verlangen oder weichen, zarten und glatten Gegenständen sich nähern wird. Was kümmert ihn aber wohl ein Vertheilen nach Recht und Verdienst? Ergreift ferner die Seele die Anschauungen der Tugend und die andern nur dem Denken zugänglichen Objecte als ewige oder wird die Tugend jemandem zu Theil und nutzt und geht wieder zu Grunde? Aber wer ist dann ihr Urheber und welches ihr Ursprung? So wäre nämlich jener wieder bleibend. Sie muss also zu dem Ewigen und Bleibenden gehören, wie z.B. auch die Abstractionen in der Geometrie. Wenn aber zu dem Ewigen und Bleibenden, so gehört sie nicht zu den Körpern. Es muss also auch das, dem sie innewohnen sollen, solcher Natur, also nicht Körper sein. Denn die körperliche Natur bleibt nicht, sondern ist ganz und gar im Fluss.

9. Wenn sie aber im Hinblick auf die Wirkungen der Körper, wie Wärme und Kälte, Stoss und Druck, hier die Seele einreihen, indem sie sie an den Platz der wirkenden Ursache stellen, so wissen sie zuerst nicht, dass auch die Körper selbst mit den ihnen innewohnenden unkörperlichen Kräften diese Wirkungen ausüben, sodann, dass wir diese Kräfte garnicht der Seele zusprechen; vielmehr ist es das Denken, das Wahrnehmen, Berechnen, Begehren, das überlegende und überall zweckdienliche Handeln, was eine andere Wesenheit erfordert. Indem sie also die Kräfte der unkörperlichen Wesen auf die Körper übertragen, lassen sie für jene garkeine Kräfte mehr übrig. Dass aber auch die Körper durch unkörperliche Kräfte wirken was sie wirken, ist aus Folgendem klar. Sie werden ja zugestehen, dass Qualität und Quantität verschieden sind und dass jeder Körper quantitativ ist [und auch, dass nicht jeder Körper qualitativ ist, wie eben die Materie]. Geben sie dies zu, dann werden sie auch zugeben, dass die Qualität, die etwas anderes ist als das Quantitative, etwas anderes sei als Körper. Denn wie wird sie, da sie nicht quantitativ ist, Körper sein, wenn anders jeder Körper quantitativ ist? Dazu kommt was auch oben irgendwo gesagt wurde: wenn jeder Körper in Folge einer Theilung und jede Masse das zu sein aufhört was sie war, trotz der Zerstückelung des Körpers aber an jedem Theile die nämliche Qualität vollständig bleibt, wie z.B. die Süssigkeit des Honigs um nichts weniger Süssigkeit[112] ist in jedem Theil, so dürfte die Süssigkeit nicht Körper sein. Ebenso verhält es sich mit den andern Qualitäten. Wären ferner die Kräfte Körper, so müssten nothwendig die starken unter ihnen grosse Massen, und die welche nur eine geringe Wirkung ausüben können, kleine Massen sein. Giebt es aber einerseits grosse Massen mit geringen Kräften und haben andererseits die geringsten Massen sehr grosse Kräfte, so muss die Wirksamkeit einer andern Ursache als der Grösse zugeschrieben werden, also dem Grösselosen. Der Umstand ferner, dass die Materie, sofern sie Körper ist, wie man zugiebt, mit sich identisch bleibt, aber verschiedene Wirkungen ausübt je nach den Qualitäten, die sie annimmt: wie sollte der es nicht klar machen, dass das Hinzutretende [die hinzutretenden Qualitäten] Begriffe an sich und unkörperlich sind? – Auch sollen sie nicht einwenden, dass die lebenden Wesen nach Entziehung des Hauches oder des Blutes sterben. Denn man kann ohne diese sowenig wie ohne viele andere Dinge leben, von denen keins die Seele sein dürfte. Sodann durchdringt ja weder Hauch noch Blut alle Körpertheile, wohl aber Seele.

10. Durchdränge ferner die Seele als Körper den ganzen Körper, so wäre sie wohl in derselben Weise gemischt wie bei den übrigen Körpern die Mischung statthat. Lässt aber die Mischung der Körper keinen der gemischten Bestandtheile der Wirklichkeit nach vorhanden bleiben, so dürfte thatsächlich auch die Seele den Körpern nicht mehr innewohnen, sondern nur der Möglichkeit nach, nachdem sie das Seelesein verloren hätte; wie z.B. wenn Süsses und Bitteres gemischt wird, das Süsse nicht mehr vorhanden ist. Danach haben wir also keine Seele. Es sei ferner etwas als Körper mit einem Körper in der Weise gemischt, dass es als ganzes das Ganze durchdringt, so dass überall wo das eine ist auch das andere ist, indem beide eine gleiche Masse und das Ganze einnehmen, ohne dass durch den Hinzutritt des einen zum andern eine Vermehrung entstanden ist: so wird eine solche Mischung nichts übrig lassen was sie nicht theilte. Denn die Mischling darf nicht grosse Theile abwechselnd neben einander erhalten – denn so wird, wie man sagt, nur ein Aggregat zu Stande kommen – sondern das Hinzugebrachte muss das Ganze durch und durch bis zu immer kleineren Theilen durchdrungen haben, worin schon die Unmöglichkeit liegt, dass das Kleinere dem Grösseren gleich wird. Doch davon abgesehen, es hat es ganz durchdrungen und schneidet es an jedem Punkte. Es muss sich demnach, wenn dies für jeden beliebigen Punkt[113] gelten und nicht ein Körper dazwischen sein soll, der nicht getheilt ist, die Theilung des Körpers Punkt für Punkt vollzogen haben; und das ist unmöglich. Da die Theilung ins unendliche fortgeht – denn jeder beliebige Körper ist zerlegbar – so werden die unendlich vielen Theile nicht bloss der Möglichkeit, sondern der Wirklichkeit nach vorhanden sein. Unmöglich kann demnach der Körper in seiner Ganzheit einen andern in seiner Ganzheit durchdringen; die Seele dagegen durchdringt etwas in seiner Ganzheit, also ist sie unkörperlich.

11. Spricht man aber von einer früheren Natur, die durch ihren Eintritt in das Kalte und die hier gewonnene Steigerung zur Seele werde, indem sie im Kalten feiner werde – eine an sich absurde Behauptung, denn viele lebende Wesen entstehen im Warmen und haben keineswegs eine abgekühlte Seele; aber davon abgesehen, man behauptet also: es giebt eine frühere Natur als die Seele, die dann auf Anlass äusserer Zufälligkeiten entsteht. Folgerecht also machen sie das Schlechtere zum Ersten und stellen vor dieses wieder ein anderes Geringeres, was sie Zustand nennen, und der Geist ist das letzte da er offenbar von der Seele her seinen Ursprung hat; oder wenn der Geist vor allem war, so mussten sie ihm zunächst die Seele stellen, dann die Natur, und immer ist das Spätere das Schlechtere, entsprechend dem Wege wie es von Natur entsteht. Ist nun für sie auch Gott nach Analogie des Geistes wieder später und erzeugt und hat er sein Denken nur als etwas Hinzugebrachtes, so ergäbe es sich leicht, dass es auch weder Seele noch Geist noch Gott giebt, da das potentiell Seiende, ohne dass zuvor das actuell Seiende wäre, kaum entstehen und zur Wirklichkeit gelangen möchte. Denn was wird das dazu Ueberführende sein, wenn es ausser ihm kein anderes Früheres giebt? Soll es sich selbst aber zur Verwirklichung führen – eine unverständige Annahme – so wird es doch wenigstens im Hinblick auf etwas Anderes führen, und dies wird nicht der Möglichkeit nach, sondern der Wirklichkeit nach sein. Freilich, wenn dem potentiell Seienden das Verharren in steter Identität mit sich selbst zukommen soll, so wird es an und durch sich selbst zur Wirklichkeit gelangen und dies Wirkliche wird besser sein als das Potentielle, da es das erstrebte Ziel jenes ist. Früher also ist das Bessere und mit einer andern als körperlichen Natur Begabte und stets actuell Seiende, früher also ist Geist und Seele als die Natur. Nicht so also ist die Seele wie ein Hauch und überhaupt nicht[114] wie ein Körper. Indessen dass die Seele wenigstens nicht als Körper bezeichnet werden darf, ist gesagt und dafür haben andere andere Gründe, es genügen aber auch diese.

12. Da sie aber anderer Natur ist, so müssen wir untersuchen, welches diese ist. Ist sie nun etwa zwar verschieden vom Körper, aber doch etwas am Körper Haftendes, z.B. Harmonie? Die Anhänger des Pythagoras nämlich behaupteten dies, indem sie glaubten, es sei eben dies in einem andern Sinne etwas der Art wie die Harmonie in den Saiten. Wie nämlich hier nach Spannung der Saiten etwas wie eine Affection über sie komme, die Harmonie heisst, in derselben Weise bewirke auch die ganz bestimmte Mischung unsers durch Mischung ungleichartiger Theile entstehenden Körpers Leben sowohl wie Seele, die eben die bei der Mischung hervorgehende Affection [Zustand] sei. Die Unzulässigkeit dieser Meinung hat man aber schon durch vielfache Gründe dargethan. Man hat nämlich angeführt, dass die Seele das Frühere, die Harmonie hingegen das Spätere sei: dass jene den Körper beherrscht, ihm gebietet und vielfach mit ihm im Kampfe liegt, die Harmonie jedoch dies wohl nicht thäte; dass jene eine Substanz, die Harmonie aber nicht Substanz sei; dass die rechte und zweckmässige Mischung der Körper, aus denen wir bestehen, doch wohl die Gesundheit sei und dass für jeden einzelnen anders gemischten Theil eine andere Seele bestehe, deren es dann viele geben würde; dass endlich, was das wichtigste ist, vor dieser es nothwendig eine andere Seele geben müsse, welche diese Harmonie herstelle, wie es bei den Instrumenten den Musiker geben muss, der in die Saiten die Harmonie erst hineinbringt, indem er bei sich einen Begriff hat, dem gemäss er die Saiten stimmt. Denn es werden sich weder dort die Saiten von selbst, noch hier ihr Körper sich selbst zur Harmonie bringen können. Ueberhaupt lässt sich sagen, dass auch diese aus unbeseelten Dingen beseelte machen und aus ungeordneten auf dem Wege des Zufalls geordnete, und dass nach ihnen die Ordnung nicht aus der Seele, sondern diese selbst aus der von ungefähr entstandenen Ordnung ihren Bestand gewonnen hat. Dies kann aber weder in den Einzeldingen noch in der Gesammtheit geschehen. Es ist also die Seele nicht Harmonie.

13. In welchem Sinne aber der Begriff der Entelechie auf die Seele angewandt wird, darüber kann man etwa folgende Betrachtung anstellen. Man behauptet, die Seele verhalte sich in dem zusammengesetzten Wesen zu dem beseelten Körper wie die Form zur Materie, sei aber nicht die Form eines jeden[115] Körpers insofern er Körper ist, sondern die eines natürlichen organischen, welcher der Möglichkeit nach Leben hat. Ist sie nun, gemäss der Art und Weise wie sie mit ihm zusammengebracht wird, ihm ähnlich geworden [assimilirt], sowie die Form der Bildsäule im Verhältniss zum Erz, dann muss mit der Zerlegung des Körpers auch die Seele getheilt werden und bei der Abtrennung irgend eines Theiles in dem abgetrennten Theile ein Seelentheil enthalten sein, dann kann das im Schlafe stattfindende Zurückweichen [der Seele] nicht eintreten, insofern doch die Entelechie mit dem, dessen Entelechie sie ist, untrennbar verknüpft sein muss, ja es kann in Wahrheit überhaupt kein Schlaf eintreten; ferner kann es, wenn die Seele Entelechie ist, einen Widerstreit der Vernunft gegen die Begierden nicht geben, vielmehr wird das Ganze in seiner Gesammtheit ein und dieselbe Wirkung erfahren haben, so dass es mit sich nicht im Widerspruch steht. Blosse Sinneswahrnehmungen könnten auf diese Weise vielleicht entstehen, unmöglich aber die Gedanken. Deshalb führen sie auch selbst als eine andere Seele die Vernunft ein, die sie als unsterblich hinstellen. Die denkende Seele muss also in einem andern Sinne als in diesem Entelechie sein, wenn dieser Name zur Anwendung kommen soll. Auch die wahrnehmende Seele wird, falls auch diese schon die Eindrücke abwesender Wahrnehmungsgegenstände festhält, sie eben deshalb nicht mit Hülfe des Körpers festhalten, widrigenfalls sie wie Gestalten und Bilder in ihr haften werden. Doch es wäre unmöglich andere Eindrücke aufzunehmen, wenn sie so in ihr haften; folglich, ist sie nicht wie eine untrennbare Entelechie. Weiter wird selbst nicht einmal der begehrende Theil eine untrennbare Entelechie sein, insofern er nicht bloss nach Speise und Trank, sondern auch nach andern Dingen begehrt, die mit dem Körper nichts zu schaffen haben. Es bliebe noch der vegetative Theil übrig, der scheinbar wirklich einen Zweifel erregen könnte, ob er nicht in diesem Sinne eine untrennbare Entelechie sei. Aber offenbar verhält es sich auch mit diesem nicht so. Denn einerseits hat das Princip jeder Pflanze seinen Sitz in der Wurzel, und wenn andererseits sich das Wachsthum des [gesammten] andern Körpers bei vielen Pflanzen in der Wurzel und den untern Theilen erzeugt, so hat offenbar die Seele die andern Theile verlassen und sich in einen einzigen zusammengezogen; sie war also nicht in dem gesammten Körper wie eine untrennbare Entelechie. Hinwiederum steckt sie ja auch vor dem Wachsthum der Pflanze in der kleinen Masse.[116] Wenn sie also sowohl aus einer grössern Pflanze in eine kleine und von einer kleinen auf die ganze übergeht: was hindert, dass sie sich auch gänzlich abtrennt? Wie könnte auch eine untheilbare Entelechie an einem theilbaren Körper ihrerseits theilbar werden? Ebendieselbe geht ferner aus einem lebenden Wesen in ein anderes über: wie wäre nun wohl die des früheren zu der des nächstfolgenden geworden, wenn sie die Entelechie eines einzigen war? Man erkennt dies deutlich an den lebenden Wesen, die sich in andere verwandeln. Sie hat also ihr Sein nicht dadurch, dass sie die Form irgend eines Dinges ist, sondern sie ist eine Wesenheit, die ihr Sein nicht von dem Innewohnen in einem Körper empfängt, sondern die ist, bevor sie noch mit diesem verknüpft wird; wir denn nicht der Körper eines lebenden Wesens die Seele erzeugen wird.

Welches ist nun ihr Wesen? Ist sie weder Körper noch Affection [Zustand] des Körpers, sondern vielmehr Thätigkeit und [schöpferische] Wirksamkeit, und hat vieles in ihr und aus ihr Bestand, so ist sie ein von den Körpern verschiedenes substantielles Wesen; und welcher Art als solches? Nun offenbar ein solches, welches nach unserer Meinung in Wahrheit erst eine Wesenheit ist. Denn das andere könnte man ein Werden aber nicht eine Wesenheit, nennen, alles Körperliche nämliche, das entsteht und vergeht, aber in Wahrheit niemals ist, und sich durch Theilnahme am Seienden nur soweit erhält, als es eben an ihm Theil nimmt.

14. Die andere Natur aber, welche von sich selbst das Sein hat, umfasst das gesammte wahrhaft Seiende, das weder entsteht noch vergeht; andernfalls werden alle andern Dinge dahinschwinden und konnten auch später nicht wieder werden nach dem Untergang dessen, was ihnen Erhaltung gewährt, sowohl den Einzeldingen als diesem gesammten All, das durch eine Seele erhalten wird und zu einem Kosmos geworden ist. Denn als Princip der Bewegung spendet diese an die andern Dinge die Bewegung, indem sie selbst sich aus sich selbst bewegt, und verleiht dem beseelten Körper das Leben, das sie selbst von sich selbst hat und niemals verliert, eben weil sie es von sich selbst hat. Denn es haben wirklich nicht alle Dinge ein von aussen herzugebrachtes Leben, sonst wird sich ein Regress ins unendliche ergeben; sondern es muss irgendeine uranfängliche lebende Natur geben, welche nothwendig unzerstörbar und unsterblich sein muss, eben weil sie das Princip lies Lebens auch für die andern Dinge ist. Hier wahrlich[117] muss man auch allem Göttlichen und Seligen seinen Platz anweisen, als ein von sich selbst Lebendes und von sich selbst Seiendes, ein uranfänglich Seiendes und uranfänglich Lebendes, dessen Sein und Wesen keinem Wandel unterworfen ist, das weder entsteht noch vergeht. Denn woher sollte es auch entstehen oder in was sollte es vergehen? Und wenn es in Wahrheit die Benennung des Seienden verdienen soll, so wird es nicht bald sein, bald nicht sein dürfen; wie auch das Weisse, die Farbe an sich, nicht bald weiss, bald nicht weiss ist. Wäre das Weisse aber auch ein Seiendes, so wäre es immer, ganz abgesehen von dem Weisssein. Aber es hat nur das Weisse. Was aber das Seiende in sich hat, das wird von sich selbst und ursprünglich seiend immer sein. Dieses ursprünglich und immer Seiende nun darf nicht todt sein, wie ein Stein oder ein Stück Holz, sondern muss lebendig sein und ein reines Leben haben, solange es bei sich selbst bleibt; was aber von ihm mit Schlechterem sich mischt, muss hinsichtlich des Höchsten und Besten allerdings ein Hinderniss sein, kann aber dennoch keineswegs seine eigene Natur einbüssen, sondern muss den ursprünglichen Zustand wiedergewinnen, sobald es sich auf das ihm eigene Gebiet wieder zurückgezogen hat.

15. Dass aber die Seele der göttlicheren und ewigen Natur verwandt ist, erhellt aus dem von uns geführten Nachweis, dass sie nicht Körper ist. Sie hat wirklich weder Gestalt noch Farbe noch ist sie tastbar. Doch lässt sich ausserdem der Beweis noch mit andern Gründen führen. Da wir ja einig darüber sind, dass alles Göttliche und wahrhaft Seiende ein gutes und vernünftiges Leben geniesst, so bleibt uns demnächst von unserer Seele ausgehend die Untersuchung, welcher Art sie ihrer Natur nach ist. Wir wollen hierfür nicht eine Seele annehmen, die im Körper unvernünftige Begierden und Regungen sich zugezogen und andere Leidenschaften angenommen hat, sondern diejenige, welche dergleichen abgestreift hat und soweit möglich in keiner Gemeinschaft, mehr mit dem Körper steht. Eine solche macht es denn auch klar, dass das Böse ein Zusatz zu der Seele ist und von aussen herrührt, während ihr in ihrer Reinheit das höchste und Beste, Weisheit und jede andere Tugend, eignet. Ist nun die Seele solcher Art, sobald sie sich auf sich selbst zurückgezogen, wie sollte sie nicht jener Natur angehören, welche nach unserer Ueberzeugung die alles Göttlichen und Ewigen ist? Denn Weisheit und wahre Tugend, die selber göttlich sind, könnten einem niedrigen und sterblichen Wesen nicht zu Theil werden, sondern[118] nothwendig muss ein so beschaffenes Wesen, eben weil ihm Göttliches innewohnt, göttlich sein wegen der Verwandtschaft und der Wesensgemeinschaft. Deshalb unterschiede sich auch, wer von uns ein solcher wäre, nur wenig von den höheren Mächten hinsichtlich der Seele an sich, indem er gerade nur soweit unter ihnen stände, als sie in einem Körper ist. Deshalb ferner würde niemand, wenn jeder Mensch ein solcher wäre oder doch sehr viele mit solchen Seelen begabt wären, so ungläubig sein, dass er nicht an die unbedingte Unsterblichkeit ihres Wesens, soweit es in der Seele besteht, glaubte. So aber, da man sieht wie bei den meisten die Seele so vielfach befleckt ist, betrachtet man sie weder als ein göttliches noch als ein unsterbliches Wesen. Man muss aber, wenn man die Natur eines Dinges untersucht, dasselbe jedesmal in seiner Reinheit betrachten, da ja das Hinzugesetzte immer ein Hinderniss wird für die Erkenntniss dessen, dem es hinzugesetzt ist. Betrachte also abstrahirend, oder vielmehr der Abstrahirende betrachte sich selbst an und für sich, und er wird an seine Unsterblichkeit glauben, wenn er sich selbst als in der intelligiblen und reinen Welt weilend erschaut. Denn er wird einen Geist erblicken, der nichts Sinnliches und keins von diesen sterblichen Dingen sieht, sondern mit einem ewigen Vermögen das Ewige denkend erfasst, nämlich alles in der intelligiblen Welt und die Welt selbst in ihrem intelligiblen und lichten Sein, wie sie strahlt in der vom Guten ausgehenden Wahrheit, welches über alles Intelligible das strahlende Licht der Wahrheit verbreitet. So wird es ihm oft scheinen als sei dies wahrlich ein schönes Wort:

Lebt wohl, ich bin für euch ein unsterblicher Gott,

wenn er sich zu dem Göttlichen erhoben und die Gleichheit mit ihm unverwandt anstrebt. Wenn aber die Reinigung uns zur Erkenntniss des höchsten gelangen lässt, so ist es offenbar, dass auch die Erkenntnisse in uns liegen, die ja auch allein in Wahrheit Erkenntnisse sind. Denn nicht, indem sie irgendwie nach aussen hin dringt, erschaut die Seele, Weisheit und Gerechtigkeit, sondern bei sich selbst in der denkenden Erfassung ihrer selbst, indem sie gleichsam in ihr selbst errichtete göttliche Bilder des Früheren schaut, welche von der Zeit mit Rost bedeckt sind und welche sie nun in ihrer Reinheit herstellt – wie wenn es ein beseeltes Stück Gold gäbe, das später alles Erdige von sich abstiesse und das nun, während es zuvor über sich selbst in Unkenntniss war, weil es kein Gold sah, voll Verwunderung sich selbst anschaute in seiner[119] Isolirung und inne würde, dass es garkeiner geliehenen Schönheit bedürfe, weil es am herrlichsten an und für sich sei, wenn man es allein für sich bleiben liesse.

16. Welcher vernünftige Mensch könnte über die Unsterblichkeit eines so beschaffenen Wesens noch in Zweifel sein? eines Dinges, dem aus sich selbst ein unzerstörbares Leben innewohnt. Denn wie sollte es, da es ja nicht ein bloss hinzuerworbenes ist, noch auch so sich verhält wie dem Feuer die Wärme innewohnt. Ich meine indessen nicht, dass die Wärme dem Feuer nur accidentiell zukomme, wohl aber, wenn auch nicht dem Feuer, so doch dem dem Feuer zu Grunde liegenden Stoff. Denn mit diesem schwindet ja auch das Feuer dahin. Die Seele aber besitzt das Leben nicht in der Weise, dass sie zunächst als Materie zu Grunde läge und dann das Leben zu derselben hinzuträte und so die Seele herstellte. Denn entweder ist das Leben Substanz und die so beschaffene ist dann eine durch sich selbst lebende Substanz d.h. gerade das was wir suchen, und dessen Unsterblichkeit werden sie zugeben, oder sie werden auch dieses wieder als ein Zusammengesetztes auflösen, bis sie auf ein Unsterbliches durch sich selbst Bewegtes kommen, welches dann nicht mehr von dem Loose des Todes betroffen werden darf – oder sie bezeichnen das Leben als eine der Materie accidentiell zukommende Affection und werden dann genöthigt sein eben jenes, von welchem aus immer diese Affection in die Materie gekommen ist, als unsterblich anzuerkennen, da es das Gegentheil dessen von sich ausschliesst, was es mittheilt. Aber freilich, es giebt nur eine der Wirklichkeit nachlebende Natur.

17. Wollen sie ferner jede Seele als vergänglich betrachten, so hätte längst altes zu Grunde gehen müssen; soll aber nur die eine, die andere nicht vergänglich sein, z.B. die des Alls unsterblich sein, die unsrige aber nicht, so müssen sie den Grund dafür angeben. Denn Anfang der Bewegung ist jede von beiden, und jede von beiden lebt durch sich selbst und ergreift im Denken mit derselben Fähigkeit dieselben Gegenstände, indem sie die himmlischen und überhimmlischen Dinge und alles wesenhaft Seiende erforscht und bis zu dem höchsten Princip vordringt. Sodann beweist doch das durch sie selbst aus den ihr innewohnenden Anschauungen gewonnene Begreifen eines jeden Dinges an sich, das sich auf dem Wege der Wiedererinnerung vollzieht, ihr Dasein vor dem Körper und dass sie, die im Besitze ewiger Erkenntnisse ist, auch selbst ewig sei. Jedes Auflösbare ferner ist durch Zusammensetzung entstanden[120] und löst sich auf demselben Wege wieder auf, auf dem es entstanden ist. Die Seele dagegen ist eine einheitliche und einfache, der Wirklichkeit nach im Leben verharrende Natur; auf diese Weise also wird sie nicht vergehen. Allein sie könnte vielleicht getheilt werden und durch Zerstückelung zu Grunde gehen. Indessen ist die Seele keine Masse und nichts Quantitatives, wie gezeigt worden. Aber auf dem Wege der Veränderung wird sie zu Grunde gehen. Jedoch die zerstörende Veränderung raubt nur die Form, lässt aber die Materie bestellen, und das ist eine Affection eines Zusammengesetzten. Kann sie also nach keiner dieser Beziehungen zu Grunde gerichtet werden, so muss sie unvergänglich sein.

18. Wie geht nun, wenn das Intelligible gesondert ist, diese Seele in einen Körper ein? Zwar insofern sie ausschliesslich reine Vernunft ist, bleibt diese, welche im Intelligiblen ein rein vernünftiges Leben führt, stets dort – denn in ihr wohnt kein Streben und kein Begehren; was aber zunächst unter der Vernunft steht und Begierde angenommen hat, das entfernt sich gewissermassen schon mehr und mehr durch den Hinzutritt der Begierde, und in dem Verlangen nach einer den in der Vernunft erschauten Vorbildern entsprechenden ordnenden Thätigkeit, gleichsam befruchtet von seinem Schauen und mit Geburtswehen ringend, trachtet sie zu schaffen und wirkt so schöpferisch. Und in diesem Streben über das Gebiet des Sinnlichen ausgebreitet, bleibt sie mit der Gesammtseele des Alls über dem beherrschten Gebiete erhaben und ausser demselben und wirkt so mit bei der Regierung des Alls; in dem Verlangen aber, einen Theil zu beherrschen, isolirt sie sich und tritt in jenen ein, in dem sie sich befindet, ohne jedoch völlig und ganz dem Körper eigen zu werden, sondern so, dass sie sich in gewisser Beziehung noch ausserhalb des Körpers halt. Deshalb ist auch ihre Vernunft keineswegs leidend. Sie selbst aber ist bald im Körper, bald ausserhalb desselben, indem sie aussehend von dem Ersten zu dem Dritten vordringt, während die Vernunft der Wirklichkeit nach in der Identität mit sich Vernunft bleibt und durch die Seele alles mit Schönheit erfüllt und schmückt, ein Unsterbliches durch ein Unsterbliches, wenn anders sie [die Vernunft], ewig und mit sich selbst identisch, sein wird durch ununterbrochene Selbstverwirklichung.

19. Was aber die Seele der andern lebenden Wesen betrifft, so werden auch diejenigen, welche von ihnen gefallen und bis zu thierischen Leibern herabgesunken sind, nothwendig[121] unsterblich sein. Giebt es aber noch eine andere Art der Seele, so kann auch diese nirgendwo andersher als von der lebendigen Natur stammen, indem sie ebenfalls die Urheberin für die Thiere ist; ganz ebenso auch die in den Pflanzen wohnende Seele. Denn alle sind ausgegangen von demselben Princip, haben das Leben als Wesensbestimmung und sind auch ihrerseits unkörperlich, untheilbar, Wesenheiten [Substanzen]. Behaupten sie aber, dass die menschliche Seele ja dreitheilig sei und in Folge ihrer Zusammensetzung sich wieder auflösen werde, so behaupten auch wir, dass die reinen Seelen, sobald sie los und ledig werden, das bei der Geburt ihnen angefügte Gebilde ablegen, andere hingegen lange Zeit hiermit behaftet bleiben werden, dass freilich selbst der schlechtere Theil, wenn er abgelegt ist, nicht zu Grunde gehen wird, so lange das besteht von dem er seinen Ausgang genommen hat. Denn nichts aus dem Seienden Stammende wird zu Grunde gehen.

20. Was also denjenigen gegenüber, die einen Beweis verlangen, zu sagen war, ist gesagt worden. Und was denen gegenüber, die einer durch den Augenschein und die Erfahrung sich vollziehenden Ueberzeugung bedürfen, zu sagen ist, muss man der Geschichte, die ja in dieser Beziehung so reich an Beispielen ist, entnehmen; ferner den Orakeln der Götter welche den Zorn beleidigter Seelen zu sühnen und den Todten Ehrengaben darzubringen befahlen, was ja voraussetzt, dass diese ein Gefühl davon haben, eine Voraussetzung, nach der alle Menschen gegen die Abgeschiedenen handeln. Viele Seelen überdies, die früher in den Menschen waren und nun des Leibes ledig geworden sind, hören nicht auf den Menschen Wohlthaten zu erweisen, solche nämlich, die sowohl durch Offenbarung von Orakelsprüchen als auch in anderer Beziehung weissagend Nutzen stiften und damit durch sich selbst zugleich in Bezug auf die andern Seelen den Beweis liefern dass sie nicht zu Grunde gegangen sind.

Quelle:
Plotin: Die Enneaden. Band 2, Berlin 1880, S. 103-122.
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