Sechstes Buch.
Ueber die Zahlen

[343] 1. Ist etwa die Vielheit eine Entfernung [Abfall] von dem Einen und die Unendlichkeit eine völlige Entfernung dadurch dass sie eine unzählige Vielheit ist, und ist deshalb die Unendlichkeit [Unbegrenztheit] schlecht und sind wir schlecht, wenn wir eine Vielheit sind? Denn ein jedes Ding wird vieles, wenn es, unvermögend bei sich selbst zu bleiben, sich ausgiesst und ausdehnt und zerstreut. Und wenn es bei der Ausgiessung gänzlich des Einen beraubt wird, so wird es Vielheit, da nichts vorhanden, was den einen Theil mit dem andern vereinigt; wenn aber etwas bei stetem Flusse bleibend sich gestaltet, so entsteht Grösse. Aber was ist furchtbares in der Grösse? Wenn sie Empfindung hätte, wäre es darin; denn sie würde merken, dass sie von sich selbst aus wird und sich immer weiter entfernt. Denn ein jedes sucht nicht ein anderes sondern sich, die Entfernung nach aussen hin aber ist nichtig oder [wenigstens] nothwendig. In höherem Maasse jedoch ist ein jedes, nicht wenn es gross oder viel wird, sondern wenn es bei sich selbst ist; bei sich aber ist es, wenn es zu sich selbst hingeneigt ist. Das Streben nach dem also Grossen kennt das wahrhaft Grosse nicht und trachtet nicht wonach es soll, sondern nach dem Aeussern; das auf das eigene Wesen Gekehrte war das Innere. Ein Beweis dafür ist das was durch Grösse geworden ist: wenn es nämlich getrennt ist, so dass jeder der Theile für sich ist, so sind jene einzelnen[343] Theile, aber nicht jenes was ursprünglich war; wenn es selbst sein soll, so müssen sämmtliche Theile zur Einheit verbunden sein; folglich ist es selbst, wenn es irgendwie eins, nicht gross, ist. Es wird nun wegen der Grösse und so viel es in ihr ist, verliert es von sich selbst; wenn es aber das Eine hat, hat es sich selbst. Aber in Wahrheit ist doch das All gross und schön. Allein deshalb, weil es nicht in die Unendlichkeit zerstieben darf, sondern von dem Einen umschlossen ist; und schön ist es nicht durch das Grosse sondern durch das Schöne; und es bedurfte des Schönen, weil es gross geworden. Denn hiervon entblösst würde es je grösser desto hässlicher erscheinen; und so ist das Grosse die Materie des Schönen, weil es ein Vieles ist, was des Schmuckes bedarf. In höherem Maasse also ist das Grosse ungeschmückt und hässlich.

2. Wie verhält sichs nun bei der sogenannten unendlichen Zahl? Aber zuerst: wie ist sie Zahl, wenn sie unendlich ist? Denn weder sind die sinnlichen Dinge unendlich, folglich auch nicht die Zahl an ihnen, noch zählt der Zählende die Unendlichkeit, sondern auch wenn er die Gegenstände verdoppelt oder vervielfältigt, begrenzt er sie, und auch wenn er sie zu Zukünftigem oder Vergangenem hinzunimmt oder auch damit zusammen, so begrenzt er sie. Ist nun vielleicht die Zahl nicht schlechthin unendlich, aber doch so, dass man sie stets dafür nehmen kann? Allein das Erzeugen steht nicht bei dem Zählenden, sondern es ist bereits begrenzt und festgestellt. Im Intelligiblen ist, wie das Seiende, so auch die Zahl bestimmt nach der Anzahl des Seienden; wir aber wie wir den Menschen zu einem vielfachen machen durch häufige Hinzufügung von Schönem und andern Dingen, so erzeugen wir mit dem Abbilde eines jeden auch ein Bild der Zahl, und wie wir die Stadt ohne dass sie besteht vervielfältigen, so vervielfältigen wir auf dieselbe Weise auch die Zahlen; und wenn wir die Zeiten zählen, so übertragen wir die Zahlen, von denen wir sie haben, auf die Zeiten, während jene in uns bleiben.

3. Aber wie besteht denn dies Unendliche als Unendliches? Denn was besteht und ist, das ist bereits durch Zahl gebunden. Zuvor indessen: wenn im Seienden in Wahrheit eine Vielheit ist, wie kann die Vielheit böse sein? Nun, die Vielheit ist geeint und behindert gänzlich Vielheit zu sein als eine Vielheit, und deshalb ist sie auch geringer als das Eine, weil sie eben Vielheit hat, und in Rücksicht auf das Eine schlechter. Und dadurch dass sie die Natur jenes nicht hat, sondern aus ihr herausgegangen, ist sie geringer geworden, durch das Eine[344] aber hat sie von jenem ihren Werth, und es wandte die Vielheit auch wieder um zu dem Einen und blieb bestehen. Aber wie stehts da mit der Unendlichkeit? Denn die im Seienden befindliche ist bereits begrenzt, oder wenn sie nicht begrenzt ist, ist sie nicht in dem Seienden sondern vielleicht in dem Werdenden, wie es auch mit der Zeit der Fall. Indessen auch wenn sie begrenzt worden, ist sie hierdurch gerade unendlich [unbegrenzt], denn nicht die Grenze sondern das Unbegrenzte wird begrenzt; denn es liegt ja doch nichts anderes zwischen der Grenze und dem Unbegrenzten, das die Natur des Terminus aufnimmt. Dieses Unbegrenzte also flieht an sich zwar die Idee der Grenze, es wird aber von aussen umfasst gefangen genommen; doch flieht es nicht aus einem andern Ort in einen andern (denn es hat auch keinen Ort), sondern wenn es gefangen wird, entsteht der Ort. Darum darf auch der Unendlichkeit nicht die sogenannte örtliche Bewegung beigelegt werden noch ist anzunehmen, dass ihr eine andere der genannten Bewegungen aus ihr selbst zukomme; folglich bewegt sie sich nicht. Aber andererseits steht sie auch nicht still; denn wo ist sie, wenn das Wo später eintritt? Aber es scheint die Bewegung von ihr in dem Sinne ausgesagt zu werden, dass sie nicht bleibt. Steht es nun etwa so mit ihr, dass sie hoch erhaben an demselben Punkte ist oder auf- und niederschwebt? Keineswegs. Denn beides wird nach demselben Ort beurtheilt, sowohl das was emporschwebend sich nicht neigt als das was sich neigt. Als was soll man sie sich nun denken? So, dass man in seinen Gedanken die Idee absondert. Was wird man dann denken? Zugleich Entgegengesetztes und nicht Entgegengesetztes; denn auch Grosses und Kleines wird man denken, denn es wird beides; ferner Feststehendes und Bewegtes, denn auch dieses wird es. Aber bevor es dies wurde war es offenbar keines von beiden in bestimmter Umgrenzung; wenn doch, so hast du es begrenzt. Wenn nun jene Natur unendlich und dies in unbegrenzter und unbestimmter Weise ist, so könnte sie beides wohl scheinen. Und nahe herantretend wirst du, ohne eine Grenze gleichsam wie ein Netz darüberzuwerfen, sie als eine unter der Hand entfliehende haben und kein Eins finden; denn dann hättest du sie schon begrenzt; aber wenn du an etwas als ein Eins herantrittst, wird es als vieles erscheinen, und wenn du es viel nennst, wirst du wiederum die Unwahrheit sagen; denn wenn nicht jedes eins ist, ist auch die Gesammtheit nicht vieles; und so ist diese ihre Natur von der einen Seite gesehen Bewegung und insofern die Vorstellung[345] an sie herantritt Ruhe. Und der Umstand, dass man sie nicht durch sie selbst sehen kann, ist eine Bewegung und ein Hinweggleiten vom Intellect; der Umstand hingegen, dass sie nicht entfliehen kann, sondern von aussen und von einem Kreise umschlossen wird und nicht vorwärts dringen kann, dürfte Ruhe sein; folglich darf man nicht allein sagen, sie bewege sich.

4. Es fragt sich, wie es sich mit den Zahlen im Intelligiblen verhalt: ob sie an den andern Ideen werden oder diese stets zugleich mitbegleiten; ob wir z.B., da das Seiende seinem Wesen nach selbst das Erste ist, die Einheit denken, sodann, da Bewegung und Ruhe aus ihm stammt, die Drei u.s.f. jedes bis ins einzelne hinein; oder ob es nicht so ist, sondern mit einem jeden eine Einheit erzeugt wird oder in dem ersten Seienden die Einheit, in dem Folgenden, wenn es eine Reihenfolge giebt, die Zweiheit oder je nach der Anzahl, z.B. bei Zehn, die Zehnheit; oder ob es nicht so ist, sondern die Zahl selbst an und für sich gedacht wird und wenn das, ob vor oder nach den andern Dingen. Plato nun, der sagt, die Menschen seien durch den Wechsel von Tag und Nacht auf die Vorstellung der Zahl gekommen, legt der Verschiedenheit der Dinge den Begriff bei und muss wohl annehmen, dass die zu zählenden Dinge zuvor durch die Verschiedenheit die Zahl hervorbringen und dass sie selbst bestehe in einem Uebergang der Seele, indem sie an einen Gegenstand nach dem andern herantritt, und dann entstehe, wenn die Seele zählt d.h. wenn sie die Dinge durchgeht und bei sich selbst das eine vom andern unterscheidet, in der Annahme, dass sie, solange sie ein und dasselbe und nicht etwas anderes danach denkt, Eins aussage. Aber wenn er sagt, dass in der wahren Zahl die Essenz und die Zahl in der Essenz sei, so nimmt er doch wieder in der Zahl selbst eine Art Substanz an und sagt damit, dass sie nicht in der zählenden Seele bestehe, sondern dass die Vorstellung der Zahl in ihr aus der Verschiedenheit der sinnlichen Gegenstände erregt werde.

5. Welches ist also ihre Natur? Etwa ein die Substanz Begleitendes und zu jeder Substanz Hinzugedachtes? z.B. Mensch und ein Mensch, Seiendes und ein Seiendes und so das gesammte Intelligible ins einzelne hinein und die gesammte Zahl? Aber wie kann da die Zweiheit und Dreiheit und alles miteinander an dem Einen gemessen werden und wie lässt sich eine solche Zahl auf eine Einheit zurückführen? Denn auf diese Weise wird es eine Menge von Einzelheiten geben,[346] auf Eins aber lässt sich keine Zahl zurückführen ausser dem einfach Einen; man müsste denn sagen, dass die Zweiheit jenes Ding oder vielmehr jenes an dem Dinge Gedachte sei, das zwei zusammengefasste Kräfte hat, gleichsam ein zur Einheit zusammengesetztes, oder so wie die Pythagoreer von den Zahlen sprachen, die die Zahlen nach der Analogie zu bezeichnen schienen, z.B. die Vierzahl die Gerechtigkeit und andere anders nannten; auf jene Weise jedoch verbinden sie mehr nur mit der Sache, die eine ist, auch noch die Zahl, die eben in solo weit [als die Sache] eine ist, z.B. die Zehnzahl. Wir jedoch verstehen das nicht unter der Zehn, sondern ziehen zusammen und nennen auch die getrennten Theile zehn. Oder diese nennen wir zehn, wenn aber aus vielem eins wird, eine Zehnheit, wie es auch dort [im Intelligiblen?] geschieht? Aber wenn es so ist, wird es dann noch eine Substanz der Zahl geben, da diese selbst an den Dingen gedacht wird? Allein was hindert, könnte jemand sagen, dass, obwohl das Weisse erst an den Dingen zur Perception gelangt, dennoch eine Substanz des Weissen in den Dingen sei? War doch auch, obwohl die Bewegung an dem Seienden percipirt wird, eine Hypostase der im Seienden befindlichen Bewegung vorhanden. Aber mit der Zahl verhält es sich nicht wie mit der Bewegung, sondern: weil die Bewegung etwas ist, insofern wurde an ihr Eins wahrgenommen, heisst es. Sodann reisst auch eine solche Hypostase die Zahl von der Substantialität los und macht sie vielmehr zu einem Accidens. Jedoch nicht einmal zu einem Accidens überhaupt; denn das Accidens muss etwas sein bevor es accidentiell wird, und auch wenn es untrennbar ist, muss es gleichwohl eine gewisse Natur an sich sein, wie das Weisse, und von einem andern ausgesagt werden, indem es bereits ist als was es ausgesagt werden soll. Wenn also an einem jeden das Eine und das ein Mensch nicht identisch ist mit dem Menschen, sondern das Eine von dem Menschen verschieden und etwas Gemeinsames und an einem jeden der andern Dinge ist, so dürfte das Eine früher sein als der Mensch und ein jedes der andern Dinge, damit auch der Mensch und jedes andere jedesmal an dem Einssein Theil nehme. Demnach ist es auch vor der Bewegung, wenn anders die Bewegung Eins ist, und vor dem Seienden, damit dies auch an dem Einssein Theil nehme. Ich verstehe aber unter dem Einen nicht jenes, das wir eben als über das Seiende erhaben bezeichnen, sondern dies Eine meine ich, was von den Arten eines jeden ausgesagt wird. Demnach also ist die Zehnzahl vor demjenigen,[347] von welchem die Zehnzahl ausgesagt wird, und das wird die Zehnzahl an sich sein; denn an dem Dinge, an welchem die Zehnzahl geschaut wird, wird die Zehnzahl an sich nicht sein. Aber sie wurde wohl zugleich und erhielt Realität zugleich mit den seienden Dingen? Allein wenn es zugleich mit erzeugt wurde wie ein Accidens etwa, z.B. wie die Gesundheit mit dem Menschen, so muss es auch etwas an sich sein, und wenn das Eine anzusehen ist wie ein Element des Zusammengesetzten, so muss zuvor Eins und das Eine selbst sein, damit es in Verbindung mit einem andern sei; sodann wird es mit einem andern, das durch es selbst Eins geworden, verbunden jenes zum Scheine Eins machen, während es zwei daraus macht. Wie aber soll dies an der Dekade geschehen? Denn was bedarf jenes der Zehnzahl, was durch eine so grosse Kraft eine Zehnzahl ist? Aber wenn sie es gestalten soll gleichwie Materie und es durch Anwesenheit der Zehnzahl zehn und Zehnzahl sein soll, so muss zuvor die Zehnzahl an sich und nichts anderes als Zehnzahl allein sein.

6. Allein wenn ohne die Dinge das Eine an sich und die Zehnzahl an sich sind, wenn sodann die intelligiblen Dinge nach dem Sein dessen was sie sind theils Einheiten sein sollen, theils auch Zweiheiten und Dreiheiten: welches ist dann ihre Natur und wie ist sie zu Stande gekommen? Man muss aber annehmen, dass die Genesis derselben durch Vernunft bewirkt wird. Zuerst indessen muss man festhalten, dass überhaupt die Wesenheit der Arten nicht ein Product des Denkenden, der ein jedes gedacht hat, ist, sodann dass er durch das Denken selbst nicht die Realität derselben darbietet. Denn nicht dadurch dass er denkt, was eigentlich die Gerechtigkeit ist, wird die Gerechtigkeit, noch entsteht die Bewegung dadurch dass er denkt, was eigentlich die Bewegung ist; denn auf diese Weise müsste einerseits der Gedanke später sein als die gedachte Sache, andererseits das Denken früher als das aus dem Denken Resultirende, wenn es da durch dass es gedacht wurde zu Stande gekommen ist. Wenn aber mit einem solchen Denken die Gerechtigkeit identisch ist, so ist zunächst ungereimt, dass die Gerechtigkeit nichts ist als gewissermassen die Definition derselben; denn was ist das Denken der Gerechtigkeit oder Bewegung als das Erfassen ihres Wesens? Dies aber hiesse den Begriff einer Sache auffassen, die nicht existirt, was eben absurd ist. Sagt man aber, bei den immateriellen Dingen sei das Wissen identisch mit der gewussten Sache, so ist das folgendermassen zu verstehen: nicht das Wissen ist die Sache[348] noch der die Sache betrachtende Begriff die Sache selbst, sondern umgekehrt, die immaterielle Sache ist das Gedachte und das Denken, dies nicht als Begriff oder Ergreifen der Sache gefasst, sondern die im Intelligiblen befindliche Sache ist nichts anderes als Intelligenz und Wissen; denn nicht das Wissen ist auf sich selbst bezogen, sondern die Sache macht es dort zu einem bleibenden [immanenten], nicht zu einem verschiedenen, wie das der materiellen Sache beschaffen ist, d.h. zum wahren Wissen, d.h. nicht zu einem Bild der Sache, sondern zur Sache selbst. Das Denken also der Bewegung hat die Bewegung an sich nicht hervorgebracht, sondern die Bewegung an sich das Denken, folglich sie selbst sich selber als Bewegung und Denken; denn die Bewegung dort ist auch das Denken jener Sache und diese selbst ist Bewegung, weil die erste (denn es giebt keine vor ihr) und wesentliche, denn sie ist nicht das Accidens eines andern, sondern die Wirklichkeit [Energie] der bewegten Sache, die in Wirklichkeit ist; deshalb ist sie auch Wesenheit, während das nachfolgende Denken des Seienden von ihr verschieden ist. Auch die Gerechtigkeit ist nicht Denken der Gerechtigkeit, sondern gleichsam ein Verhalten des Intellects oder vielmehr eine Lebensenergie, deren Antlitz in Wahrheit schön ist, und weder Abendstern noch Morgenstern noch überhaupt etwas Sichtbares ist so schön als sie, sondern wie ein Idealbild scheint sie, das aus sich selbst herausgetreten und in sich hervorstrahlt oder vielmehr in sich selber besteht.

7. Denn überhaupt muss man die Dinge in einer Natur denken und annehmen, dass eine Natur alles trägt und gleichsam umfasst, nicht wie in den sichtbaren Dingen ein jedes gesondert, anderswo die Sonne und anderes anderswo, sondern alles zusammen in Einem; denn dies ist die Natur des Intellects; auch die Seele ahmt ihn ja so nach und die so genannte Natur, der gemäss und von der jedes erzeugt wird, indem hier das eine, dort das andere von ihr sich befindet, die mit sich selbst vereinigt ist. Obwohl jedoch alle Dinge zusammen sind, ist ein jedes auch wieder gesondert; es schaut die im Intellect und der Wesenheit befindlichen Dinge der Intellect, welcher nicht auf sie hinblickt, sondern sie hat, auch nicht ein jedes trenn; denn es ist schon in sich selbst getrennt. Wir machen das gegenüber den erstaunten Leuten glaubhaft durch die daran Theil habenden Dinge; ebenso die Grösse und Schönheit desselben durch die Liebe der Seele zu ihm, und die Liebe der andern zur Seele wird uns klar aus einer solchen Natur und aus dem Umstände, dass sie hat wonach[349] sie ähnlich geworden. Denn es ist doch offenbar ungereimt, dass ein schönes lebendes Wesen existire ohne die Existenz eines lebenden Wesens an sich von wunderbarer und unaussprechlicher Schönheit. Das allvollendete Wesen also besteht aus allen Wesen, vielmehr es befasst in sich alle Wesen und ist ein so grosses Eins als alle Wesen insgesammt, wie auch dieses All eins und alles Sichtbare ist, indem es alles Sichtbare umfasst.

8. Da also in ursprünglicher Weise ein lebendes Wesen existirt und deshalb ein lebendes Wesen an sich und Intellect und wahrhafte Wesenheit existirt und wir behaupten, dass sie alle lebenden Wesen insgesammt haben und die gesammte Zahl und das Gerechte selbst und Schöne und alles dergleichen – denn etwas anderes verstehen wir unter dem Menschen an sich und der Zahl an sich und dem Gerechten an sich: so ist zu untersuchen, wie es sich mit einem jeden von ihnen verhält und was es ist, soweit sich etwas darüber ausfindig machen lässt. Zuerst nun muss man von jeder sinnlichen Wahrnehmung absehen und Intellect mit Intellect betrachten und bedenken, dass auch in uns Leben und Intelligenz nicht in materieller Ausdehnung, sondern in immaterieller Kraft vorhanden sind und dass die wahrhafte Substanz dies ausgezogen hat und eine in sich selbst gegründete Kraft ist, nicht ein schattenhaftes und wesenloses Ding, sondern das allerlebensvollste und vernünftigste und wesenhafteste was es giebt, welches das es Ergreifende hat nach Analogie des Ergreifens, das Nähere näher, das Entferntere ferner. Wenn nun das Sein zu erstreben ist, so in noch höherem Maasse das am meisten Seiende und der höchste Intellect, wenn das Denken überhaupt; ebenso verhalt es sich mit dem Leben. Wenn man also das Seiende zuerst ergreifen muss, da es zuerst ist, sodann den Intellect, darauf das lebende Wesen – denn dieses scheint schon alles zu umfassen – und wenn der Intellect das zweite ist – denn er ist die Energie der Substanz: so kann die Zahl weder gemäss dem lebenden Wesen bestehen – denn auch schon vor ihm gab es eins und zwei – noch gemäss dem Intellect, denn vor ihm war die Substanz eins und vieles.

9. Es erübrigt also die Betrachtung, ob die Substanz durch ihre Zertheilung die Zahl erzeugt oder die Zahl die Substanz zertheilt hat; und in der That haben die Substanz, Bewegung, Ruhe, Indentität, Differenz ihrerseits die Zahl erzeugt oder die Zahl sie. Dies der Anfang der Untersuchung: Kann die Zahl an und für sich sein oder muss die Zwei in zwei Dingen angeschaut[350] werden und die Drei desgleichen? Und ist wirklich die Eins das Eine in den Dingen? Denn gesetzt, sie könnte an sich ohne die gezählten Gegenstände sein, so könnte sie vor den seienden Dingen sein. Also auch vor dem Seienden? Doch ist dies in vorliegender Untersuchung vor der Zahl zu belassen und zuzugeben, dass die Zahl aus dem Seienden werde. Aber wenn das Seiende ein Seiendes ist und die zwei zwei Seiende sind, so wird vor dem Seienden das Eine und die Zahl vor den seienden Dingen voraufgehen. Etwa bloss im Verstande und dem Begriffe nach? Nein, auch in Wirklichkeit [der Existenz nach]. Man muss aber folgende Betrachtung anstellen: Wenn jemand einen seienden Menschen denkt und ein Schönes, so denkt er doch wohl das Eine später in beiden; desgleichen auch, wenn er ein Pferd und einen Hund denkt: auch hier ist die Zwei das spätere. Aber wenn er einen Menschen erzeugt und ein Pferd und einen Hund oder wie sie in ihm selbst liegen herausstellt und sie nicht nach dem zufälligen Anblick erzeugt oder aus sich herausstellt, wird er dann nicht sagen: ›es ist zum Einen fortzuschreiten und überzugehen zu einem andern Einen und es sind zwei zu schaffen und ist mit mir noch ein anderes zu schaffen?‹ In der That wurden auch die seienden Dinge, als sie entstanden, nicht gezählt, sondern die Zahl derer, die entstehen mussten, stand fest. Die gesammte Zahl also war vor den seienden Dingen selbst. Aber wenn vor den seienden, so war sie nicht seiend. Vielmehr war sie in dem Seienden, nicht als die Zahl des Seienden – denn das Seiende war Eins – sondern die substanzielle Kraft der Zahl theilte das Seiende und liess es gleichsam die Menge selbst gebären; denn entweder wird das Wesen desselben oder die Energie die Zahl sein und das lebende Wesen selbst und der Intellect Zahl. Ist nun etwa das Seiende die einheitliche Zahl, die seienden Dinge die entfaltete Zahl, der Intellect die in sich selbst bewegte Zahl, das lebende Wesen die umschliessende Zahl? Denn es muss doch auch das von dem Einen gewordene Seiende selbst in der Weise, wie jenes Eins war, Zahl sein; deshalb nannte man auch die Arten Einheiten und Zahlen. Und dies ist die wesenhafte Zahl, während die andre, die sogenannte monadische, ein Bild dieser ist. Die wesenhafte Zahl wird theils in den Arten erkannt und erzeugt sie mit, theils ist sie ursprünglich in dem Seienden und mit dem Seienden und vor dem Seienden. In ihr hat das Seiende seine Basis und Quelle und Wurzel und Prinzip. Denn für das Seiende ist das Eine Prinzip und in diesem ist es seiend, sonst würde[351] es zerstreut werden; aber nicht ist an dem Seienden das Eine, sonst würde es schon Eins sein, ehe es das Eine erlangte, und das was die Zehnzahl erlangt, würde schon eine Zehnzahl sein, ehe es die Zehnzahl erlangte.

10. Das Seiende also, das in der Zahl besteht, ist Zahl, wenn es als ein Vieles erregt wurde; es war aber gleichsam eine Rüstung auf die seienden Dinge und eine Vorausdarstellung im Umriss, gleichsam Einheiten, die einen Ort darbieten für das was auf sie gegründet werden soll. So sagt man denn auch jetzt: ›ich will eine solche Menge Goldes oder Häuser.‹ Das Gold ist nun freilich Eins, aber man will nicht die Zahl zu Gold machen, sondern das Gold zu Zahl, und bereits im Besitz der Zahl sucht man diese auf das Gold zu übertragen, so dass also das Gold accidentiell soviel wird. Wenn aber das Seiende vor der Zahl würde und die Zahl an ihm wahrgenommen würde, indem die zählende Natur sich soviel bewegt als die Zahl der zählbaren Dinge beträgt, so käme nur durch Zufall [secundum contingentiam] und nicht durch Wahl und Vorsatz soviel heraus als vorhanden. Wenn nun die Anzahl kein blosser Zufall sein soll, so ist die Zahl, die vor der Anzahl ist, der Grund, d.h. indem die Zahl bereits vorhanden ist, hat das Gewordene Theil genommen an der Anzahl, und ein jedes gewann Theil an dem Einen, damit es Eins wäre. Es ist aber seiend von dem Seienden, da auch das Seiende von sich selbstseiend ist, eins aber ist es von dem Einen selbst; und die einzelnen Einheiten, wenn das Eine an ihnen vieles auf einmal ist, ist Eins wie eine Dreiheit und das gesammte Seiende ist in dieser Weise Eins, nicht wie das Eine als eine Einzelheit (Monade) sondern wie die Myriade oder eine andre Zahl Eins ist. Denn wenn jemand zehntausend zahlend sagt, dass zehntausend Dinge entstanden sind, so sagt er das nicht, weil die Dinge von selber sich so nennen indem sie gleichsam ihre Oberfläche zeigen, sondern weil der überlegende Verstand sagt: soviel sind es; denn wenn er es nicht sagte, so wüsste er nicht, wie gross die Menge ist. Wie wird er es nun sagen? Nun, weil er zu zählen versteht d.h. wenn er die Zahl kennt, er kennt sie aber, wenn die Zahl existirt. Jene Natur aber nach ihrer Quantität und Anzahl nicht zu kennen, ist absurd oder vielmehr unmöglich. Wie also wenn jemand vom Guten spricht, er entweder das, was von sich selbst so beschaffen ist, meint oder das Gute als Accidens desselben aussagt – und wenn er das Erste meint, so führt er eine erste Hypostase ein; spricht er von dem, dessen Accidens das Gute ist, so muss es eine[352] Natur des Guten geben, damit es auch anderem zukomme, oder den Grund, der es auch in anderem sein lässt, oder ein Gutes an sich oder ein das Gute in seiner eigenen Natur Erzeugendes – : ebenso dürfte auch der, welcher bei dem Seienden von einer Zahl z.B. einer Zehnzahl spricht, entweder die Zehnzahl selbst als substantiell bezeichnen oder wenn er das meint, dessen Accidens die Zehnzahl ist, gezwungen werden, die Zehnzahl selbst an und für sich zu setzen, die nichts anderes ist als eben Zehnzahl. Wenn er also das Seiende als eine Zehnzahl bezeichnet, so muss dasselbe entweder selbst eine Zehnzahl sein oder es muss vor demselben eine andere Zehnzahl geben, die nichts anderes ist als eben Zehnzahl. Allgemein ist demnach zu zeigen, dass alles, was von einem andern ausgesagt wird, von einem andern in jenes gekommen oder die Verwirklichung [Energie] jenes ist. Und wenn dies so beschaffen ist, dass es nicht bald vorhanden bald nicht vorhanden, sondern stets zugleich mit jenem ist, so ist es, falls jenes Substanz, gleichfalls Substanz und zwar jenes nicht mehr Substanz als dieses; giebt man nicht zu, dass es Substanz sei, so wird man es doch wenigstens als zu dem Seienden gehörig und als Seiendes gelten lassen. Und wenn jene Sache ohne ihre Verwirklichung [Energie] gedacht werden kann, so existirt sie doch, das wird man zugeben, nichtsdestoweniger zugleich mit einer, sie wird nur unsererseits im Gedanken später gesetzt; wenn sie dagegen nicht ohne jene gedacht werden kann, wie z.B. der Mensch nicht ohne das Eine, so ist sie entweder nicht später als jene sondern zugleich mit ihr, oder früher als sie, damit sie selbst durch jene existire; wir behaupten aber, dass das Eine und die Zahl früher sei.

11. Aber wenn jemand sagte, die Zehnzahl sei nichts als ebenso viele Einheiten, weshalb wird er, wenn er das Sein der Zehnzahl zugiebt, zugeben, dass die eine Einheit existirt, die zehn aber nicht mehr? Denn wie die eine die Substantialität hat, warum nicht auch die andern? Denn man darf doch nicht mit einem Seienden die eine Einheit verknüpft denken, sonst wäre ja jedes andere nicht mehr Eins. Aber wenn jedes andere Eins sein muss, so ist das Eine etwas Gemeinsames. Dies ist aber eine von vielen Dingen prädicirte Natur, von der wir sagten, dass sie, bevor sie in vielen geschaut wird, an und für sich vorhanden sein muss. Da hierin eine Einheit ist und diese wiederum in einem andern geschaut wird, so wird, wenn jene vorhanden, nicht eine Einheit allein Substantialität haben und so eine Menge von Einheiten sein; meint man hingegen, nur[353] jene erste existire wirklich, so wird sie entweder mit dem am meisten Seienden verbunden sein oder mit dem schlechterdings am meisten Einen. Aber wenn mit dem am meisten Seienden, so sind es die andern Einheiten nur homonymer Weise und sie werden nicht mit der ersten auf gleiche Linie gestellt werden, oder die Zahl wird aus ungleichen Einzelheiten bestehen und es wird Unterschiede der Monaden geben sofern sie Monaden sind; wenn mit dem am meisten Einen, wozu bedarf das am meisten Eine, damit es Eins sei, dieser Monade? Wenn also dies unmöglich, so darf das Eine nichts anderes sein als das nackte Eins, das seinem eigenen Wesen nach ohne alle Beziehung vorhanden ist vor einem jeden, das Eins genannt und gedacht wird. Wenn nun das Eine ohne die Sache, welche Eins genannt wird, dort sein wird, warum soll nicht auch ein anderes Eins wirklich vorhanden sein? Und gesondert ist ein jedes viele Monaden, was auch ein Vieleins heissen kann; wenn aber die Natur nach und nach gleichsam zeugt oder vielmehr erzeugt hat, indem sie nicht bei Einem von dem, das sie erzeugte, stehen bleibt, gleichsam ein continuirliches Eins hervorbringend: so dürfte sie, wo sie nur Umrisse schafft und alsbald in ihrem Process stehen bleibt, die kleineren Zahlen erzeugen; wo sie aber weiter hin sich bewegt, nicht auf Grund anderer Dinge sondern in ihren eigenen Bewegungen, da dürfte sie die grössern Zahlen zu Wege bringen und so denn auch den jedesmaligen Zahlen die jedesmaligen Massen und jedes von dem Seienden conform anfügen, wohl wissend, dass, wenn ein jedes nicht einer jeden Zahl conform angefügt ist, es entweder überhaupt nicht ist oder etwas anderes als eine Ausschreitung sich ergiebt, das der Zahl und Vernunft verlustig gegangen.

12. Aber wenn man auch sagt, das Eine und die Monade hätte keine Realität, denn nichts sei Eins, was nicht ein bestimmtes Eins sei, sondern sei nur ein Verhalten der Seele hinsichtlich eines jeden Seienden: was hindert zunächst, auch dann wenn man vom Seienden spricht, das Seiende als eine Affection der Seele zu bezeichnen und es für nichts zu halten? Behauptet man dessen Existenz deshalb, weil es reizt und Eindruck macht und eine Vorstellung von dem Seienden erregt, so sehen wir, dass die Seele auch rücksichtlich des Einen afficirt wird und eine Vorstellung erhält. Sodann fragt sich, ob wir die Affection wie den Gedanken der Seele als Eins oder als Vielheitwahrnehmen. Aber wenn wir von einem Nichteinen sprechen, so haben wir aus der Sache selbst nicht das Eine. Denn wir behaupten, dass in ihr das Eine nicht sei; wir haben also das Eine und es[354] ist in der Seele ohne das bestimmte Eins. Aber, wirft man ein, wir haben das Eine durch eine Vorstellung aus äusseren Dingen und einen Typus, gleichsam als Begriff aus der Sache. Diejenigen freilich, welche von den bei ihnen gangbaren Begriffen als die eine Art die der Zahl und des Einen setzen, können wohl dergleichen Hypostasen setzen, wenn anders etwas dergleichen in das Bereich der Hypostase gehört, und mit ihnen lässt sich seiner Zeit darüber reden; aber sie können das nicht, wenn sie den Begriff des Einen hinterher aus den Dingen entstehen lassen als eine Affection oder Gedanken in uns, wie auch das Dies und das Etwas und ferner Begriffe wie Haufe, Fest, Heer, Menge. Denn wie die Menge nichts ist ohne die Dinge, die viele heissen, und das Fest nichts ohne die zusammengeschaarten und an den heiligen Gebräuchen sich freuenden Menschen: so ist auch das Eine nichts, wenn wir beim Aussprechen des Einen es nur als ein Etwas und losgelöst von den andern Dingen denken. Auch vieles andere der Art führen sie an, z.B. rechts, oben und ihre Gegensätze. Denn was habe das Rechts mit der Hypostase zu thun, oder der Umstand, dass der eine hier, der andere dort steht oder sitzt? Auch mit dem Oben verhalte es sich ebenso: das was wir oben oder unten nennen sei vielmehr nur eine solche und an dieser Stelle des Alls befindliche Lage. Gegen dergleichen Einwürfe ist zuerst zu sagen, dass es eine gewisse Hypostase von den genannten Dingen in einem jeden derselben giebt, jedoch nicht die nämliche bei allen, weder im Vergleich unter einander noch im Vergleich aller zum Einen. Jedoch ist einem jeden der Einwürfe im besondern zu begegnen.

13. Die Behauptung also, dass die Vorstellung des Einen von dem Substrat herrühre, indem das Substrat der sinnliche Mensch oder ein anderes lebendes Wesen oder ein Stein sei: wie wäre sie vernünftig, da das in die Erscheinung Tretende ein anderes und wieder ein anderes und nicht dasselbe das Eins ist? Denn bei dem Nichtmensch würde das Denken das Eine nicht aussagen. Ferner, wie es bei dem Rechts und dergleichen nicht durch zufällige Erregung sondern weil es eine verschiedene Lage sieht, das So und So aussagt, ebenso sagt es auch hier, weil es etwas sieht, das Eine aus; denn nicht als leere Affection und ohne Grund sagt es das Eine aus. Denn nicht, weil dies allein und nichts anderes da ist, sagt es das Eine aus; eben in dem ›und nichts anderes‹ nennt es ein anderes Eins; sodann ist der Begriff des Andern und des Differenten ein späterer. Denn wenn das Denken sich[355] nicht auf das Eine stützte, würde es weder ein Anderes noch ein Differentes aussagen, und wenn es das allein aussagt, so sagt es das Eine als allein aus; folglich sagt es das Eine vor dem Allein aus. Sodann ist das Aussagende, ehe es von einem andern das Eins aussagt, Eins, und das worüber es aussagt ist Eins, ehe jemand über dasselbe spricht oder denkt. Denn das Prädicirende ist entweder Eins oder mehr als Eins und Vieles; und wenn Vieles, so muss zuvor Eins dasein. Denn wenn es eine Menge aussagt, so sagt es mehr als Eins aus, und wenn ein Heer, so denkt es viele und zu Einem verbundene Bewaffnete; und wenn das Denken eine vorhandene Menge nicht Menge sein lässt, so offenbart es auch hier das Eine, indem es entweder das Eine, was die Menge nicht hat, darbietet, oder es führt, indem es das Eine aus der Ordnung scharf ins Auge fasst, die Natur des Vielen in Eins zusammen; und auch hier täuscht es sich hinsichtlich des Einen nicht, wie ja auch bei einem Hause das Eine aus vielen Steinen hervorleuchtet, jedoch in höherem Maasse bei einem Hause [als bei einem Heere]. Wenn nun das Eine in höherem Maasse bei dem Continuirlichen und nicht Theilbaren sichtbar ist, so leuchtet ein, dass es deshalb der Fall, weil das Eine eine besondere und zwar substantielle Natur ist. Denn unmöglich kann in dem Nichtseienden das Mehr oder Minder statthaben, sondern wie wir bei Prädicirung der Substanz von jedem einzelnen sinnlichen Gegenstand und desgleichen von dem Intelligiblen vorzugsweise das Prädikat von dem Intelligiblen im Sinn haben, indem wir den höheren und vorzüglicheren Grad in das Seiende setzen und das Seiende selbst in der sinnlichen Substanz mehr als in den übrigen Gattungen suchen: so müssen wir auch, indem wir das Eine mehr und vorzugsweise sowohl in dem Sinnlichen gradweise verschieden als auch im Intelligiblen sehen, sagen, dass es in allen Formen existirt, die jedoch auf eine zurückzuführen sind. Wie aber die Substanz und das Sein etwas intelligibles und nicht sinnliches ist, wie sehr auch das Sinnliche an ihnen Theil hat: so wird auch das Eine im Gebiet des Sinnlichen entsprechend der Theilnahme geschaut, das Intelligible jedoch erfasst auch in intelligibler Weise das Denken an und für sich; daher denkt es von einem her ein anderes, was es nicht sieht; es wusste es also vorher. Wenn es dasselbe aber vorherwusste, so als ein bestimmtes mit dem Seienden identisches Seiende, und wenn ein Eins, so nennt es dasselbe auch Eins, wie desgleichen, wenn es ein paar oder viele Leute vorherweiss.[356]

Wenn es also nicht möglich ist, ohne das Eine oder die Zwei oder irgend eine Zahl etwas zu denken oder zu sagen: wie soll es möglich sein, dass das, ohne welches man nichts denken oder sagen kann, nicht existire? Denn demjenigen, ohne dessen Existenz man nichts denken oder sagen kann, die Existenz abzusprechen ist unmöglich; vielmehr muss das, welches überall erforderlich ist zur Erzeugung eines Gedankens oder Wortes, sowohl vor dem Wort als Gedanken dasein; denn nur so kann es zur Erzeugung derselben herzugenommen werden. Wenn es ferner erforderlich ist zur Hypostase einer jeden Substanz – denn nichts ist seiend, was nicht Eins ist – so ist es auch vor der Substanz und erzeugt die Substanz. Darum ist es auch ein seiendes Eins, aber nicht erst seiend, dann Eins; denn in dem Seienden und Einen liegt ein Vieles, in dem Einen indessen liegt nicht das Seiende, wenn es dasselbe nicht auch hervorbringt indem es sich hinneigt zu seiner Genesis. Und das Wort ›dieses‹ ist kein leeres; denn es sagt die sich zeigende Subsistenz aus anstatt des Namens selbst und ein gewisses Vorhandensein, eine Substanz oder etwas anderes vom Seienden; daher bezeichnet das ›dieses‹ nicht etwas leeres, ist auch keine Affection eines an keinem Seienden haftenden Gedankens, sondern ist eine zum Grunde liegende Sache, gleich wie wenn es den eigenen Namen eines Dinges aussagte.

14. Gegen die Aussagen der Relation könnte jemand mit gutem Grund geltend machen, dass das Eine nicht von der Art sei, dass es, während ein anderes afficirt wird, selbst unafficirt seine eigene Natur verloren habe, sondern es müsse, wenn es aus der Natur des Einen herausfallen soll, die Beraubung des Einen erfahren, nachdem es in zwei oder mehr Theile zerlegt ist. Wenn nun dieselbe Masse durch Zerlegung in zwei Theile getheilt wird ohne als Masse zu verschwinden, so ist klar, dass ausser dem Substrat in demselben das Eine darin war, welches es verlor in Folge der Vernichtung durch Zerlegung. Was also bald demselben Subjecte innewohnt, bald sich von ihm entfernt: warum sollen wir das nicht unter das Seiende stellen, wo immer es auch ist? Einerseits ist es accidentiell, andererseits besteht es an und für sich, je nachdem es im Sinnlichen und Intelligiblen erscheint, nämlich accidentiell in den späteren Dingen, an und für sich in den intelligiblen, dem Ersten zugehörig wenn es Eins ist, dann ein Seiendes. Sagt aber jemand, dass auch das Eine ohne afficirt zu werden, wenn ein anderes an es herantrete, nicht mehr Eins sondern Zwei sein werde, so sagt er nicht[357] recht; denn nicht das Eine wurde zwei, weder das, dem es hinzugefügt wurde, noch das Hinzugefügte, sondern beides bleibt Eins wie es war; vielmehr wird die Zwei von beiden ausgesagt, nämlich das Eine gesondert von einem jeden von beiden, das bleibt. Die Zwei und die Zweizahl ist also nicht ein Habitus von Natur, sondern wenn das Zusammengehen und das Zusammensein soviel wäre als zwei hervorbringen, so wäre vielleicht ein solches Verhalten die Zwei und die Zweiheit; nun aber wird andererseits wieder die Zweiheit sogar in einer gegensätzlichen Affection geschaut, denn durch Spaltung eines Einen entstehen zwei. Die Zwei ist also weder ein Zusammengehen noch eine Spaltung, um ein Habitus sein zu können. Dasselbe gilt von jeder Zahl; denn wenn der Habitus es ist, der etwas erzeugt, so kann unmöglich der entgegengesetzte ebendasselbe erzeugen, so dass diese Sache der Habitus wäre. Welches ist nun der hauptsächlichste Grund? Der Grund für das Eine ist die Anwesenheit des Einen, für die Zwei die der Zweiheit, wie auch vom Weissen das Weisse, vom Schönen das Schöne, vom Gerechten das Gerechte der Grund ist; oder diese Begriffe sind überhaupt nicht zu setzen, sondern auch in ihnen die Habitus als Gründe anzusehen; das Gerechte ist ein solches wegen ebendieses Verhaltens zu diesen Dingen, das Schöne, weil wir so disponirt sind, ohne dass in dem Substrat etwas vorhanden wäre was uns so disponirt und ohne dass etwas zu dem sichtbaren Schönen hinzugekommen wäre. Wenn du also ein Eins siehst, was du auch so nennst, so ist es schlechterdings doch wohl auch gross und schön und so liesse sich unzähliges von ihm aussagen. Wie nun das Grosse und Grösse in ihm ist und Süsses und Bitteres und andere Qualitäten: warum nicht auch das Eine? Denn so ist es nicht, dass etwa jede beliebige Qualität wäre, die Quantität aber nicht unter dem Seienden wäre, oder dass zwar die continuirliche Quantität wäre, die discrete aber nicht, da ja dem Continuirlichen das Discrete als Maassstab dient. Wie also das Grosse gross ist durch Anwesenheit der Grösse, so auch das Eine eins durch Anwesenheit des Einen; desgleichen die Zwei durch die der Zweiheit u.s.f. Die Untersuchung, wie die Theilnahme geschieht, ist dieselbe wie die bei allen Arten gesuchte Theilnahme; doch muss gesagt werden, dass die in den discreten Dingen vorhandene Zehnzahl anders geschaut wird als die in den continuirlichen, und die in so vielen in Einem sich vereinigenden Kräfte wieder anders; dass man ferner aufgestiegen[358] sein müsse zum Intelligiblen und dass dort nicht mehr die an anderen Dingen geschauten, sondern die an sich seienden wahren Zahlen sich befinden, die Zehnzahl an sich, nicht die Zehnzahl gewisser intelligibler Dinge.

15. Denn abermals wollen wir, was schon im Anfange gesagt worden, sagen: das gesammte wahrhaft Seiende ist auch das Seiende und Intellect und vollkommenes Wesen, ja alle lebenden Wesen zusammen, dessen Einheit dieses lebendige All durch die Einheit, soweit es ihm möglich war, nachgeahmt hat; denn die Natur des sinnlich Wahrnehmbaren floh das Eine dort, da es ja sichtbar sein wollte. Jenes Eine nun muss auch die gesammte Zahl sein; denn wäre es nicht die vollendete Zahl, so würde es an irgend einer Zahl defect sein; und wenn nicht die gesammte Zahl der lebenden Wesen in ihm wäre, so wäre es nicht das allvollkommene Wesen. Es ist also die Zahl vor jedem lebenden Wesen und vor dem allvollkommenen Wesen. Der Mensch nun ist in dem Intelligiblen wie auch die übrigen lebenden Wesen, insofern sie lebendig sind und insofern jenes [Intelligible] das allvollkommene lebende Wesen ist; denn auch der sinnliche Mensch hier, sofern das All ein lebendes Wesen ist, ist ein Theil von ihm; und ein jedes, sofern es ein lebendes Wesen, ist dort in dem lebenden Wiesen. Im Intellect ferner, insofern er Intellect ist, sind alle einzelnen Intelligenzen gleichsam Theile; und eine Zahl giebt es auch von diesen. Jedoch auch im Intellect ist die Zahl nicht zuerst und ursprünglich; wie sie aber im Intellect ist, so entspricht sie der Anzahl der Thätigkeiten und des Intellects, und [ist darin] wie die Gerechtigkeit und Besonnenheit und die andern Tugenden und die Wissenschaft und alle die Dinge, durch deren Besitz der Intellect wahrhaft Intellect ist. Wie ist nun die Wissenschaft [da sie im Intellect ist] nicht die in einem andern [sondern in sich selbst]? Weil identisch und zusammen ist der Wissende, das Gewusste, die Wissenschaft und das andere gleichermassen. Deshalb ist auch ein jedes zuerst und ursprünglich, und die Gerechtigkeit ist kein Accidens, wohl aber für die Seele, sofern sie Seele, ein Accidens; denn diese Tugenden sind es mehr der Möglichkeit nach, in Wirklichkeit aber sind sie, wenn sie auf den Intellect bezogen und mit ihm verbunden sind. Ausserdem ist das Seiende noch da und in diesem die Zahl, mit der es die seienden Dinge, nämlich der Zahl gemäss in Bewegung gesetzt, erzeugt, nachdem es die Zahlen eher als die Hypostase dieser gesetzt hat, wie auch das Eine vor dem Seienden ist, welches[359] [das Eine] das Seiende selbst mit dem Ersten verknüpft, während die Zahlen das andere nicht mehr mit dem Ersten verknüpfen; denn es genügt die Verknüpfung des Seienden; und das Seiende verknüpft. Zahl geworden, die seienden Dinge mit sich selbst; denn gespalten wird es nicht, insofern es Eins ist, sondern es bleibt das Eine; gespalten aber seiner Natur gemäss in so viele Dinge es wollte, sah es in wie viele es gespalten war und erzeugte die Zahl, die ja in ihm war; denn durch die Kräfte der Zahl wurde es gespalten und es erzeugte so viele Dinge als die Zahl betrug. Princip also und Quelle der Existenz für das Seiende ist die erste und wahre Zahl. Daher geschieht auch hier [in der sichtbaren Welt] die Erzeugung von allem und jedem; und wenn etwas eine andere Zahl annimmt, so erzeugt es entweder ein anderes oder wird zu nichts. Und dies sind die ersten Zahlen, soweit sie zählbar sind; die in den andern haben bereits eine doppelte Natur: sofern sie von diesen stammen sind sie zählbar, sofern sie nach diesen sich richten messen sie die andern Dinge, indem sie sowohl die Zahlen als die zählbaren Dinge zählen. Denn wodurch könnten sie eine Zehn bezeichnen als durch die Zahlen bei sich selbst?

16. Die Zahlen nun, die wir die ersten und wahren nennen: wohin, möchte jemand sagen, wollt ihr sie stellen und in welche Klasse des Seienden? Denn in der Kategorie der Quantität scheinen sie bei allen zu sein und auch ihr habt im Vorhergehenden die Quantität erwähnt und gefordert, dass man das continuirliche wie das discrete Quantum in das Bereich des Seienden setze. Wiederum sagt ihr, diese Zahlen hier gehörten den ersten seienden an; andererseits sprecht ihr wieder von zählenden Zahlen ausser jenen. Wie ordnet ihr nun diese Dinge? Das sagt uns, denn die Sache hat ihre grosse Schwierigkeit. Auch das Eine in den sinnlichen Dingen: ist es ein Quantum oder ist zwar das Eine vielfach ein Quantum, an sich aber nur Princip des Quantums und nicht ein Quantum? Und ist es als Princip ein immanentes oder ein anderes? Dies alles müsst ihr uns füglich klar machen. Hierüber also müssen wir reden, indem wir folgendermassen beginnen: Wenn – zuerst aber ist von den sinnlichen Dingen zu handeln: wenn du also einen zu dem andern hinzunimmst und sie zwei nennst, z.B. einen Hund und einen Menschen oder auch zwei Menschen oder mehrere und sie zehn nennst und eine Zehnzahl von Menschen, so ist diese Zahl keine Substanz, auch keine sinnliche, sondern ein reines Quantum; und theilst du nach dem Einen und machst Theile dieser Zehnzahl, so machst du das[360] Eine [die Einzelheiten] zum Princip und setzest es als Princip des Quantums; denn der Eine von den zehn ist nicht das Eine an sich. Wenn du aber den Menschen selbst an sich eine Zahl nennst, etwa eine Zweiheit, ein lebendes und vernünftiges Wesen, so ist dies Verfahren kein einheitliches mehr, sondern insofern du die Reihe durchläufst und zählst, statuirst du ein Quantum, insofern aber die Substrate zwei sind und jedes von beiden eins, wenn nämlich jedes Eins die Substanz erfüllt und in jedem von beiden die Einheit vorhanden ist, so nennst du eine andere und wesenhafte Zahl; und diese Zweiheit ist nicht etwas späteres noch bezeichnet sie bloss ein Quantum ausserhalb der Sache, sondern das Quantum in der Substanz und das was die Natur der Sache zusammenhält; denn nicht du machst hier die Zahl, indem du die Dinge der Reihe nach durchläufst, die an sich sind und nicht durch das Gezähltwerden zu Stande kommen. Denn was sollte einem andern Menschen, der mit einem andern gezählt wird, zu Stand und Wesen verhelfen? Denn hier ist nicht eine Einheit, wie etwa in einem Chor, sondern diese Zehnzahl von Leuten erhält ihr Dasein in dir, dem Zählenden, in den zehn aber, die du zählst, wenn sie nicht zur Einheit zusammengeordnet sind, lässt sich auch nicht einmal eine Zehnzahl aussagen, sondern du machst zehn daraus, indem du zählst und diese zehn zu einem Quantum machst; in dem Chor aber ist auch etwas ausserdem, ebenso im Heere. Wie aber in dir? Vielleicht verhält es sich mit der vor dem Zählen in dir liegenden Zahl anders, und die aus der äusseren Erscheinung resultirende Zahl ist im Verhältniss zu der in dir die Verwirklichung jener [essentiellen Zahlen] oder jenen gemäss, indem du zugleich zählst und die Zahl erzeugst und in der Thätigkeit die Hypostase des Quantums hervorbringst, wie auch im Gehen die Hypostase einer gewissen Bewegung. Wieso verhält es sich nun anders mit der Zahl in uns? Sie ist die unser Wesen constituirende Zahl: unser Wesen, das, wie Plato sagt, an Zahl und Harmonie Theil hat, auch Zahl und Harmonie genannt wird; denn Körper oder Grösse nennt es niemand; Zahl also ist die Seele, wenn anders Wesenheit. Die Zahl des Körpers nun ist Substanz, als Körper nämlich; die der Seele besteht in Substanzen, als Seelen nämlich. Und im Intelligiblen überhaupt, wenn das lebendige Wesen dort ein mehrfaches ist, etwa eine Dreiheit, ist diese Dreiheil in dem lebendigen Wesen eine substantielle [wesenhafte]. Die Dreiheit aber, welche einem lebendigen Wesen noch nicht anhaftet, sondern überhaupt Dreiheit in dem Seienden[361] ist, ist Princip des Wesens [der Substanz]. Wenn du indessen zählst: lebendes Wesen und Schönes, so ist jedes von beiden zwar Eins, du aber erzeugst die Zahl in dir und wirkest eine Quantität und Zweizahl. Wenn du jedoch, die Tugend als eine Vier bezeichnest, so ist sie eine Art Vierheit hinsichtlich ihrer in Eins zusammengefügten Theile, eine vierfache Einheit hinsichtlich des Substrats, und du accommodirst ihr [überträgst auf sie] die in dir liegende Vierheit.

17. Wie steht es nun mit der sogenannten unendlichen Zahl? Denn diese Erwägungen geben ihr eine Grenze. Und mit Recht, wenn anders sie Zahl sein soll; denn das Unbegrenzte, Unendliche widerspricht dem Begriffe der Zahl. Warum sagen wir denn aber: die Zahl ist unendlich? Verhalt es sich etwa bei der Zahl auch so, wie wir von einer unendlichen Linie sprechen? Wir nennen aber eine Linie unendlich, nicht weil es eine Linie von solcher Beschaffenheit giebt, sondern weil sich bei der grössten, z.B. der das All umspannenden, noch eine grössere denken lässt. Denn wenn man die Grösse der Zahl erkannt hat, kann man sie in Gedanken verdoppeln, ohne dass man diese verdoppelte Zahl an jene anfügt: wie könntest du auch einen Gedanken und eine Vorstellung in dir allein an das wirklich Existirende anfügen? Wir würden dann behaupten, dass es im Intelligiblen eine Linie gäbe; denn die Linie dort wäre eine quantitative. Aber wenn es eine quantitative nicht giebt, so ist sie vielleicht unendlich in der Zahl. Allein das ›unendlich‹ ist hier anders zu verstehen, nicht als unermesslich lang. Aber wie ist die Linie unendlich? Nun, in dem Begriffe der Linie an sich lässt sich eine Grenze nicht denken. Was ist nun dort eine Linie und wo? Sie ist nämlich später als die Zahl; denn an ihr lässt sich das Eine erblicken; geht sie doch von dem Einen aus und in einer Dimension fort; das Quantum der Dimension aber hat kein Maass; aber wo ist diese Linie? Etwa nur in dem determinirenden Denken? Nein sie ist ein wirkliches Ding, ein intellectuelles freilich. Denn so verhält es sich mit allem: intellectuell und doch auch wirklich. Auch von der Ebene, dem Körperlichen und allen Figuren giebt es ein Wo und Wie; denn nicht wir denken doch die Figuren hinzu zu den Dingen. Das bezeugt auch die Figur des Alls, die vor uns ist, und alle anderen natürlichen Gestalten der Naturdinge, die ja nothwendig vor den Körpern sind als dort noch nicht gestaltete und erste Figuren. Denn sie sind nicht Formen an anderen Dingen, sondern existiren an und für sich und[362] hatten nicht nöthig, sich nach anderem auszustrecken; denn was sich ausstreckt, geht auf anderes. Ueberall also ist die Figur eine in dem Seienden, sie wurde aber eine discrete [differenzirte sich] entweder in dem lebenden Wesen oder vor demselben. Mit dem Ausdruck ›discret‹ aber meine ich nicht, dass sie eine Grösse erhielt, sondern dass eine jede einem jeden zuertheilt wurde, entsprechend dem lebenden Wesen, und dass sie den Körpern dort gegeben wurde, z.B. dem Feuer dort, wenn du willst, die pyramidale Figur. Deshalb will auch dieses jenes nachahmen, obwohl dasselbe es schwer kann wegen der Materie, desgleichen das Uebrige nach der Analogie, wie es von den Dingen hier heisst. Sind nun die Figuren in dem lebenden Wesen sofern es ein solches ist? Doch wohl in dem Intellect zuvor. Freilich sind sie in dem lebenden Wesen: wenn nun das lebende Wesen den Intellect umschloss, so waren sie in dem lebenden Wesen zuerst; wenn aber der Intellect in der Reihe das frühere war, dann zuvor in dem Intellect. Allerdings ist, wenn in dem allvollkommenen Wesen auch Seelen sind, zuvor der Intellect. Aber ›der Intellect‹, sagt Mato, ›sieht das alles in dem allvollkommenen Wesen‹. Wenn er es nun sieht, so ist er später. Doch ist möglicherweise das ›er sieht‹ so gemeint, dass in dem Sehen die Hypostase selbst wird; denn der Sehende ist nicht verschieden von dem Gesehenen, sondern alles Eins, und das Denken hat eine rein abstracte Sphäre, das lebende Wesen aber ist die Sphäre des [concreten] lebenden Wesens.

18. Allerdings also ist die Zahl dort eine bestimmte und begrenzte; wir aber werden noch eine grössere als die vorliegende denken, und so ist das Unendliche ein Product der Zählenden. Dort aber lässt sich eine grössere Zahl nicht denken als die gedachte; denn sie ist bereits; und es ist keine übrig gelassen und wird keine übrig gelassen werden, damit ihr eine hinzugefügt werden könne. Vielleicht aber dürfte auch dort die Zahl unendlich sein, da sie nicht gemessen ist; denn wodurch? Aber wer ist, der ist ganz als Einer und zusammen und also völlig und nicht von einer Grenze eingeschlossen, sondern für sich selbstseiend der er ist; denn von dem Seienden ist überhaupt nichts von einer Grenze eingeschlossen, sondern begrenzt und gemessen sein heisst: nicht ins Unendliche zerrinnen können und des Maasses bedürfen; jene Dinge sind aber allesammt Maasse, daher auch allesammt schön. Denn auch insofern es ein lebendes Wesen ist, ist es schön, das schönste Leben führend, keines Lebens entbehrend und auch[363] kein mit dem Tode gemischtes Leben führend; denn nichts ist sterblich, nichts stirbt; auch ist das Leben des lebenden Wesens selbst nicht wesenlos, sondern das erste, thatkräftigste, die durchdringende Kraft des Leben besitzenden Lebens, wie das erste Licht, von dem auch die Seelen dort leben und die dorthin gehenden getragen werden. Es weiss auch, weswegen es lebt und wozu es lebt, zu dem nämlich, von dem es auch herstammt. Denn Ausgang und Ziel des Lebens sind dieselben. Die Allweisheit und Gesammtvernunft, welche dabei steht und damit vereint und verbunden ist, färbt es noch schöner und gesellt dazu Weisheit und lässt so seine Schönheit ehrwürdiger erscheinen. Ist doch auch ein weises Leben hier das Ehrwürdige und das Schöne in Wahrheit, obwohl es nur dunkel erscheint; dort aber erscheint es hell und rein. Denn es verleiht dem Schauenden die Fähigkeit des Schauens und die Kraft zu einem höheren Leben und mit dem intensiven Leben die Kraft, besser zu schauen und zu werden was er schaut. Denn hier richtet sich das Schauen auch vielfach auf das Leblose, und wenn auf das Lebendige, so hat sich das Nichtlebendige an ihnen vorgeschoben und das inwendige Leben ist gemischt. Dort aber sind alle lebenden Wesen auch ganz lebendig und rein, und auch wenn du etwas als nicht lebendig aufgefasst hast, so strahlt es gleichfalls sofort sein eigenes Leben aus; hast du aber das durchgehende Wesen in ihnen geschaut, das ihnen das unbeweglich wechsellose Leben und Verstand und Weisheit und Wissen verleiht: so wirst du die gesammte niedere Natur verlachen wegen der Bemühung, sich den Schein des Wesens anzumassen. Denn von jener Substanz her bleibt das Leben, bleibt die Vernunft, steht das Seiende in Ewigkeit fest; denn nichts drängt es heraus, nichts wendet noch verändert es; auch ist nichts Seiendes nach ihm, das sich an es heften könnte; wenn etwas wäre, so würde es von ihm abhängig sein; und wenn ihm etwas entgegengesetzt wäre, so würde dies von dem Gegentheil selbst nicht afficirt werden. Das Seiende selbst aber hätte dies nicht zum Seienden gemacht, sondern ein anderes Gemeinsames vor ihm, und jenes wäre das. Seiende (so dass in diesem Betracht Parmenides mit Recht das Seiende das Eine nannte) und unafficirbar, nicht weil etwas anderes fehlt, sondern weil es seiend ist. Denn diesem allein kommt das Sein von sich selber zu. Wie also könnte jemand das Seiende von ihm wegnehmen oder irgendetwas anderes von dem, was wahrhaft in Wirklichkeit ist und von ihm herstammt? Denn solange es ist, so lange verschafft es sich etwas; es ist aber immer,[364] folglich auch jenes. So gross aber ist es in seiner Kraft und Schönheit, dass es uns bezaubert und alles an dasselbe sich knüpft und eine Spur von ihm zu haben sich freut und nach ihm das Gute sucht; denn das Sein ist vor jenem, von uns aus betrachtet, und diese gesammte Welt will, um zu sein, leben und klug sein, desgleichen will jede Seele und jede Vernunft sein was es [das Seiende] ist; das Sein aber ist sich selbst genug.

Quelle:
Plotin: Die Enneaden. Band 2, Berlin 1880, S. 343-365.
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