XVII.
Hotho. Varnhagen. Friedrich Lorentz. Moritz Besser und Heinrich Leo. Das Problem der persönlichen Unsterblichkeit. Friedrich Richter von Magdeburg. Kritik der Schriften [404] de tribus impostoribus. Geschichte der Deutschen Poesie im Mittelalter. Pfingstreise nach Dresden. Besuch bei Tieck. Die Naturreligion. Kritik der Schleiermacherschen Glaubenslehre. Encyclopädie der theologischen Wissenschaften. Choluck.

Während dieses zweijährigen stillen Verkehrs mit Lafontaine erfuhr mein Leben im Innern wie im Aeußern die heftigsten Umwandlungen. Ich war Ostern 1829 über Magdeburg nach Berlin gereift und hatte mich dort mit einer meiner schönen Cousinen verlobt. Hierdurch wurde ich veranlaßt, jedes Jahr die großen Herbstferien in Berlin zuzubringen. Ich lebte dann mit meiner Braut in den Zerstreuungen der Hauptstadt und in kleinen Exkursionen in deren Umgegend, wozu Familienverhältnisse den Grund legten, namentlich nach Potsdam, wo eine Schwester meiner Braut an einen Oberbaurath Verring verheirathet war. Aber ich kam durch diesen Aufenthalt auch mit fast allen Berliner Hegelianern, sowie allmälig mit Hegel selber und mit Marheineke in nähere persönliche Beziehung. Unter den Hegelianern war einer, der für mich die größte Anziehungskraft ausübte. Es war Hotho, der Kunsthistoriker. Er sowohl als seine von mir hochverehrte Frau, eine Tochter des Geheimen Raths Uhden, haben mir mein ganzes Leben hindurch so unendlich viel Liebes und Gutes erwiesen, daß ich gegen Beide nie dankbar genug sein kann. Ohne daß ich meinerseits jemals das geringste Verdienst mir um sie hätte erwerben können, haben sie mich mit einer[405] Uneigennützigkeit und Zartheit, wie ich sie sonst von Niemandem erfahren habe, in reinstem Wohlwollen gehegt und gepflegt. Hotho hat den Gang seiner Bildung in einem Buche geschildert, welches er mir 1835 zugeeignet hat. Es führt den Titel: Vorstudien für Leben und Kunst. Es ist selber ein ausgezeichnetes Kunstwerk, in welchem eine Analyse von Mozart's Don Juan, eine Darstellung der Niederländischen Malerei und eine Schilderung Hegel's besondere Glanzpunkte bilden, welche das Buch zu einem damals sehr viel gelesenen machten. Es wird seinen Werth auch ferner behaupten. Hotho war, wie ich, aus den Kreisen der Reformirten hervorgegangen; er war, wie ich, in die unvermeidliche Romantik gefallen; er hatte, wie ich, Verse und Dramen gedichtet, aber er war ursprünglich Jurist gewesen und war, da er nur in Berlin studirte, einer der eifrigsten Zuhörer Hegel's geworden, der ihn zum ausschließlichen Studium der Philosophie hinüberzog, in welcher er sich der Aesthetik widmete. Welch eine Fülle von gediegenem Wissen, welch eine geschmeidige Phantasie, welch ein tiefer, sittlicher Ernst, welch eine unendliche, mich stets bezaubernde Feinsittigkeit und persönliche Anmuth fand ich in diesem neuen Freunde vereinigt. Er stand schon auf einer viel höheren Stufe der Gesammtcultur, als ich, und ich wurde durch jedes seiner Worte, durch jeden seiner Briefe, durch Alles, was er drucken ließ, stets auf das Wohlthätigste angeregt. Wenn wir drei Menschen, Hotho, seine Frau Louise und ich, in seiner Wohnung, dicht am Garten von Monbijou zusammen waren, so habe ich geradezu die höchste Seligkeit geisterfüllter Freundschaft und Geselligkeit genossen. So wie ich nur Hotho's Studirzimmer betreten, so wie ich nur in sein liebes Gesicht geblickt, so wie ich nur den Ton seiner Stimme vernommen hatte, so war ich elektrisirt. Alle Musen und Grazien umschwebten mich. Hotho und seine Frau wirkten magisch auf mich ein und versetzten mich sofort in idealische Ekstase, deren Sturm und Drang ich in meiner aufsprudelnden Rede oft kaum zu bändigen wußte. Wie schonend, wie entgegenkommend, wie Alles zum Guten auslegend haben diese herrlichen Menschen die Unarten meiner ungestümen Lebhaftigkeit ertragen und mir, wenn die Gewalt meiner Affecte mich hinriß, das Gefühl des Maaßes und der Harmonie eingeprägt.

Ich wurde nun auch der Societät für wissenschaftliche Kritik[406] präsentirt und von ihr als Mitglied aufgenommen, wie die nächste Nummer ihres Journals verkündete. Ich wohnte auch einer Sitzung derselben im Hôtel du Nord bei und staunte Hegel an, als er mit Varnhagen wegen eines Werkes, welches sich auf die Feldzüge der Freiheitskriege bezog, in einen lebhaften Streit über die Darstellung einer Schlacht gerathen war. Varnhagen, der Offizier gewesen war, konnte als Sachverständiger gelten. Er ging scharf gegen Hegel's Ansichten heraus, aber dieser war schwer zu überzeugen, daß er Unrecht haben sollte und schien mit seinen Gründen unerschöpflich zu sein. Der Streit wurde zuletzt für die Uebrigen peinlich, bis Herr von Henning, der den Krieg selbst mitgemacht hatte, mit seiner glücklichen Gabe zu calmiren, zu vergleichen, zu begütigen, die beiden Kämpfer zu einem heiteren Austrag brachte. Ich habe in späteren Jahren manchmal mit Varnhagen mich dieser Scene wieder erinnert, allein er versicherte mich, daß die Heftigkeit, wie ich sie damals an Hegel gesehen, nur ein geringer Grad derselben gewesen sei und daß sein Zorn und sein Schelten in der That fürchterlich habe werden können. Mit Varnhagen trat ich damals noch in keinen besonderen Verkehr; erst als er das Buch zum Andenken Rahel's herausgegeben und mir geschenkt hatte, fing eine Correspondenz unter uns an. Zwischendurch besuchte ich ihn auch manchmal. – Daß ich mit meinen alten Freunden, Buschmann und Kugler, in Verbindung blieb, habe ich schon erwähnt. Man könnte vielleicht erwarten, daß Kugler auch mit Hotho einen Zusammenhang gehabt hätte. Dies war aber nicht der Fall. Schon die äußere Weitläufigkeit der Stadt trennt in Berlin Menschen, die sich sonst in ihren Bestrebungen sehr nahe berühren. Kugler heirathete eine Tochter des bekannten, höchst verdienten Criminalrathes Hitzig und wohnte in dessen Hause in der großen Friedrichsstraße, unfern vom Halleschen Thore; Hotho wohnte dicht am Garten von Monbijou. Kugler hielt sich von der Hegel'schen Schule entfernt, ohne sie vermeiden zu wollen. Er verkehrte mit mir und Droysen auf das Innigste und nahm eben so an unsern Arbeiten, wie wir an den seinigen, Theil. Hotho war in der damaligen Hegel'schen Schule der Hauptrepräsentant der Aesthetik. Er hatte in der Societät für wissenschaftliche Kritik die spezielle Redaction dieses Fachs übernommen und lieferte in die Jahrbücher eben[407] so gehaltvolle als elegant stylisirte Kritiken, von denen namentlich eine über Heinrich von Kleist das größte Aufsehen machte, weil sie einer der ersten öffentlichen Angriffe auf die Schwächen und Auswüchse der romantischen Schule von Seiten der Hegel'schen Philosophie war. Die wahrhafte Romantik suchte Hotho dagegen in Göthe's Romanen nachzuweisen. In seinen zuvor erwähnten Vorstudien gab er dann eine Analyse der Tieck'schen Poesie, welche der Anfang einer sich immer mehr erweiternden Opposition der Hegel'schen Schule gegen die romantische wurde. Ich folgte 1838 in den Halleschen Jahrbüchern mit einer Abhandlung: Ludwig Tieck und die romantische Schule. Ihr folgte dann in denselben Jahrbüchern das bekannte Manifest von Ruge und Echtermeyer gegen die Romantik, aus welchem abermals das umfassende Werk von Julian Schmidt über die romantische Poesie hervorging. Den Standpunkt für die in allen diesen Arbeiten herrschende Auffassung hatte Hegel selber durch seine Kritik von Solger's nachgelassenen Schriften in den Berliner Jahrbüchern gegeben.

Ich wohnte in Berlin als Chambregarnist gewöhnlich bei einer Wittwe Golde am Alexanderplatz, wo ich ein großes, helles, wanzenfreies Zimmer im dritten Stock mit einer schönen Aussicht theils auf den Alexanderplatz, theils auf die Brücke hatte, die von ihr zur Neuen Königsstraße führt. Ich habe hier Gelegenheit gehabt, das Kleinleben der Berliner nach vielen Seiten hin kennen zu lernen. Die Mannichfaltigkeit der Erwerbszweige, mit deren Hülfe man sich durchzubringen sucht, war mir ganz interessant zu beobachten. Die Komik, die sich oft daraus ergab, ergötzte mich. Ich hatte z.B. einen Stiefelputzer, der zugleich am Königsstädter Theater Statist war. Es machte mir nun den größten Spaß, Morgens mit ihm über den vorigen Theaterabend zu plaudern und ihn von seinem Standpunkt aus die Stücke nie die Aufführungen beurtheilen zu hören. Daß er nur Statist war, hinderte ihn nicht, sich doch für einen Künstler zu halten, und er setzte mir manchmal im reinsten Berliner Jargon auseinander, wie ohne seine Mitwirkung in der und der Scene der ganze »Krempel« unmöglich gewesen wäre. – Madame Golde hatte eine kleine Schule, d.h. es kamen sieben bis acht kleine Kinder zu ihr, welche sie im Stillsitzen, im Lesen, Schreiben und Zählen unterrichtete. Sie hatte aber auch[408] eine wunderschöne Tochter, Nanni geheißen, welche sich auch außerordentlich geschmackvoll zu kleiden verstand. Sie war stets mit einem jungen Manne von elegantem Aeußern verlobt, mit welchem sie die öffentlichen Promenaden, Concerte, Theater, Kaffeegärten u.s.w. Arm in Arm besuchte. Jedes Jahr aber, wenn ich wieder kam, war die Verlobung des vorigen Jahres aufgelöst. Es wurde mir nun von der Mutter eine famose Geschichte erzählt, wie das Betragen des jungen Mannes ihre Tochter gezwungen habe, ihm den Abschied zu geben. An seine Stelle war aber schon wieder ein anderer junger eleganter Mann getreten, auf den man die größten Hoffnungen baute.

Wenn ich so durch meinen wiederholten längeren Aufenthalt in Berlin mit den dortigen Hegelianern, Michelet ausgenommen, verwuchs, so erweiterten und veränderten sich auch meine persönlichen Verhältnisse in Halle. Die Frau Staatsrath von Jacob starb. Fräulein Therese verheirathete sich mit Professor Robinson. Sie bezogen eine Wohnung in der Märkerstraße, wohin sie mich, bis sie nach Amerika abreisten, noch manchmal zum Thee einluden. Mußmann wurde zum außerordentlichen Professor ernannt, heirathete und starb einige Monate nachher. Erdmann sagt in seinem Grundriß der Geschichte der Philosophie ganz richtig von ihm, daß er, nachdem er in Berlin Hegel's Größe mit Ueberschwänglichkeit gepriesen, in Halle damit endete, auf das Kleinlichste daran herumzumäkeln. Lorentz, ein Rheinländer, der in Berlin bei dem Ministerialrath Johannes Schulze Hauslehrer gewesen war, habilitirte sich als Privatdocent der Geschichte, vorzüglich der Deutschen. Er war ein offener, braver Mensch. Wir gewannen uns lieb und sind zeitlebens Freunde geblieben. Als er viele Jahre später von Petersburg nach Bonn hin durch Königsberg kam, hat er mich noch mit Frau und Kind auf einige Tage besucht. Moritz Besser aus Zeitz habilitirte sich als Privatdocent für Naturrecht und Nationalökonomie. Er war ein äußerst liebenswürdiger Mensch, der auch einen poetischen Fond hatte. Wir befreundeten uns auf das Innigste und sind auch Freunde geblieben. Lorentz wie Besser hielten sich von Seiten der Philosophie zu Hegel, was unsern Verkehr wesentlich belebte und förderte. Besser gab 1830 ein Naturrecht heraus. Er war mit Echtermeyer bekannt, weil dieser sein Landsmann aus Zeitz war. Durch ihn[409] wurde ich nun auch mit Echtermeyer bekannt, der damals Lehrer am Pädagogium war und sich ebenfalls zur Hegel'schen Philosophie hielt. Echtermeyer ist von Arnold Ruge in seinen Memoiren: Aus früherer Zeit, ausführlicher geschildert worden, so daß ich darauf verweisen kann. Er war ein reiner, sinniger Mensch, dessen tiefes und poetisches Gemüth für mich eine starke Aehnlichkeit mit dem meines geliebten Kugler hatte. Durch Echtermeyer wurden wir wieder mit Dr. Adolf Stahr bekannt, der ebenfalls Lehrer am Pädagogium war und philosophisch sich ebenfalls an Hegel anschloß.

So schlang sich unter uns Jüngern Bekanntschaft in Bekanntschaft. Mit Ritschl, der sich ebenfalls als Privatdocent für Philologie habilitirte, wurde ich erst etwas später genauer bekannt und im weiteren Verlauf befreundet, so daß wir bis diesen Augenblick uns noch desselben freundschaftlichen Verhältnisses erfreuen. – Leo war in Folge einer eigenthümlichen Katastrophe von Berlin über Jena fast gleichzeitig mit Arnold Ruge nach Halle gekommen, wo er bald als mündlicher Lehrer ein ganz neues Leben in die historische Wissenschaft brachte und zunächst sein Lehrbuch der Geschichte des Mittelalters schrieb. Er verkehrte anfänglich besonders mit Reisig und Ritschl. Mein Studium über die Poesie des Mittelalters brachte mich allmälig in eine wissenschaftliche Beziehung zu ihm, die immer mehr auch eine freundschaftliche wurde, vorzüglich nachdem wir uns Beide verheirathet hatten und auch unsere Frauen sich eng aneinander anschlossen. Trotz der großen Kluft, die sich später zwischen uns durch meinen Rationalismus und Liberalismus aufthat, sind wir doch Freunde geblieben. Damals war Leo noch ein Anhänger Hegel's, correspondirte mit diesem und schrieb fleißig für die Berliner Jahrbücher die Kritiken. – In Raumer hatte ich einen Historiker kennen gelernt, der zwar durch seine Geschichte der Hohenstaufen der dichtenden und malenden Romantik einen großen Stoff geliefert hatte, selber aber kein Romantiker war. In Leo dagegen fand ich einen Historiker, der durch und durch Romantiker war oder, richtiger ausgedrückt, wurde; denn in der Periode, in welcher wir uns kennen lernten, lag er noch mit sich im Kampf und wurde eben dadurch eine um so anziehendere Erscheinung. Man kann sich den Unterschied des damaligen und des späteren Leo hauptsächlich durch die verschiedene[410] Behandlung klar machen, welche er der Geschichte des Jüdischen Volkes in Vorlesungen, die er darüber herausgab, und im ersten Bande seiner Universalhistorie angedeihen ließ. Dort steht er auf dem Standpunkt de Wette's, hier auf dem Hengstenberg's. Seine Darstellung der Geschichte des Herodischen Hauses im ersteren Buche wird immer ein Meisterwerk bleiben. Leo schloß sein im Inhalt wie in der Form classisches Werk über die Italienische Geschichte in Halle ab. Die Niederländische Geschichte, die er hier einige Jahre später herausgab, steht derselben, wie ich glaube, schon bedeutend nach. Seine offene Parteinahme für die Spanische Politik und für Alba's Fanatismus stießen mich ab. Er schrieb nun noch ein Lustrum hindurch sein großes Lehrbuch der Universalgeschichte, welches sehr ungleiche Theile enthält. Hier war es nun, wo seine Polemik gegen die Deutsche Reformation, wie gegen die Französische Revolution mich noch weiter von seinen Ansichten entfernte. Ich wußte aber, wie dies Alles in ihm zusammenhing. Leo war es ernstlich um historische Wahrheit zu thun und er fiel in ein, nach meiner Meinung, selber wieder unwahres Extrem nur deshalb, weil ihn das Extrem einer seichten Lobhudelei der Reformation und der Revolution, wie sie sich von Seiten des Liberalismus oft breit machte, anekelte. Als ich noch persönlich mit ihm in Halle verkehrte, brach der barocke Cynismus, dem er später so oft in Journalartikeln huldigte, erst in der mündlichen Unterhaltung blitzartig hervor, eine wohlthätige und kräftige Anregung zu geben. Seine Leidenschaftlichkeit, von der ich mit Staunen einige sehr wilde Ausbrüche erlebte, hatte für mich eine gewisse originelle Größe, wie ich sie noch niemals erfahren hatte. Ich war auch noch sehr leidenschaftlich, aber wie zahm erschien mein Affect gegen den Sturm und Drang des Leo'schen. Wie sehr ich oft ganz anders dachte, als er, so fühlte ich doch, daß er mich, sobald ich mit ihm zusammen war, beherrschte. Ich kam dann gegen seine Entschiedenheit, Beredsamkeit, Ironie und Satire nicht auf. Er war dann immer so neu, so interessant für mich, daß ich ihn bewunderte und hinterher, wenn ich wieder mit mir allein war, gegen seine Uebermacht durch Verse reagirte, die ich ihm zuschickte. Ich finde unter den wenigen vergilbten Papieren, die mir aus jener romantischen Zeit verblieben sind, z.B. noch den Entwurf einiger Verse, die ich ihm[411] am 2. Juni 1830 sandte, als ich von ihm Rückert's Uebersetzung der Makamen Hariri's geliehen erhalten hatte und ihm das Buch zurückschickte. Ich setze sie zur Charakteristik jener Epoche hierher und bemerke nur noch, daß ich damals mit der Ausarbeitung meiner Geschichte der Deutschen Poesie im Mittelalter beschäftigt gewesen war und darauf anspiele.

Ich schrieb also:

»Hiemit sende ich Ihnen den zierlichen – manierlichen – Ebu Seid von Serug zurück – und preise das Glück – was ihn mir gerade jetzt gegönnt. – Denn wenn man immer Einem Volk nachrennt – und darüber dies endlich am meisten verkennt, – so wird einem die Welt so klein, – daß man nicht länger möchte darinnen sein – und hätte man beständig vom besten Wein. Und so hat mich die stets gleiche Unruhe und die stets wechselnde Ruhe in Damask und Merjad, in Mekka und Bagdad, über die Maaßen ergötzt, wenn mich auch zuweilen verletzt, daß Ebu Seid immer dasselbe Messer wetzt, seiner Kost wegen sich wenig in Unkosten setzt und den Durstigen immer dasselbe Getränk vorsetzt, daß der Reiche solle geben dem Armen vom Ueberfluß in seinem Leben.

Aber die wunderbaren Gestalten, worin sich der Alte weiß zusammenzufalten und die er plastisch versteht auseinander zu halten, ohne in seiner Rolle je zu erkalten; die Weite der Weltbetrachtung, die kühne Menschen- und Gottesverachtung, die pfiffige Befrachtung mit dem ungerechten Gut der Gerechten. – Das Grauen von trüben Mächten, welche durch sonnige Tage sich flechten, – das Morgenroth schönerer Tage, als das Abendroth späterer Klage; – das Colorit, schön prangend, alle Sinne umfangend, mir immer noch im Rhythmus anhangend, daß ich im Deutschen noch lange nicht bin wieder anlangend; – des Reimes klingende Wellen, wie silberne Blüthen emporquellen, wie sich Sterne zu Sternen gesellen; – die spielende Sicherheit, edle Geschmeidigkeit, Tüchtigkeit, Richtigkeit – es ist unbeschreiblich und unsagbar, nur von eines Rückert's Rücken ertragbar.

Unwidertreiblich will ich nun schließen, und Ihnen sollen meines Dankes Blumen sprießen, daß Sie diesen Genus mich ließen genießen.«[412]

Während sich meine persönlichen Verhältnisse auf die angedeutete Weise in Berlin und Halle erweiterten, sollte sich in der letztern Stadt eine sehr eigenthümliche Situation gestalten, welche durch ihre Consequenzen in meine ganze Folgezeit eingriff. Ich hatte in Magdeburg, als meine Eltern der Jacobikirche gegenüber wohnten, unter den Knaben, mit denen ich spielte, auch Friedrich Richter, der sich später von Magdeburg zubenannt hat, als Genossen gehabt. Ich war zwei Jahre älter, besuchte eine andere Schule und stand daher mit nur in losem Verkehr. Er war der Sohn eines originellen Mannes, der sich als Schaafzüchter in Sachsen ein Vermögen erworben und von dort nach Magdeburg zurückgezogen hatte, wo er sein Geld vielerlei kleinen Geschäften anlegte. Friedrich Richter war ein sehr mannichfaltig begabtes Kind. Anfänglich sollte er Musiker werden und lernte die Violine spielen. Schon hatte er hier einen guten Grund gelegt, als sein Vater den Plan änderte und ihn zum Apotheker bestimmte. Er kam als Lehrling nach Calbe an der Saale, wo er einige Jahre verblieb. Dann trat er zu Magdeburg in die große Heukenkamp'sche Apotheke am Markt ein. Die Hintergebäude derselben gingen auf einen kleinen Platz hinaus, der vor der Wohnung meiner Eltern lag. Hier war es nun, wo zwischen uns dadurch ein Verkehr sich anspann, daß Richter sich in der Cultur des Deutschen Styls üben wollte und Sonntags während der Kirche oder wenn er sonst abkommen konnte, mich besuchte, mir seine Arbeiten vorzulegen und meinen Rath einzuholen. – Richter hat dem Publikum in mehrfachen Schilderungen, namentlich in einem Anhang zu seinen Vorträgen über die persönlich Fortdauer 1854 seine Biographie erzählt. Aus dieser habe ich ersehen, daß damals schon ein starker Zug in ihm sich geregt hat, sich für eine außerordentliche Mission bestimmt zu halten. Er sagt, daß er in der Apotheke, in schlaflosen Nächten, den Ruf vernommen habe: »Mache dich auf! Gott hat einen Plan mit dir!« d.h. er gab, als ich Ostern 1824 nach Berlin zur Universität abging, die Apothekerkunst auf, um noch das Gymnasium zu beziehen. Durch den Verkehr mit Leuten aus allen Ständen, wie die Apotheke ihn mit sich bringt, hatte er eine große Kenntniß des Details des Lebens erworben. Er hatte gelernt, die verschiedensten Menschen nach ihrer Eigenthümlichkeit zu behandeln.[413] Er war aber auch über die Verhältnisse eines Gymnasiasten, welcher sich der Disciplin zu fügen hat, schon herausgewachsen. Er interessirte sich z.B. sehr für das Talent einer Sängerin bei der Magdeburger Oper, die eine Katholikin war, welcher Umstand vielleicht die ersten Keime in Richter erweckte, Katholicismus und Protestantismus zu vereinigen. Er schrieb zu Gunsten jener Sängerin Theaterkritiken für das Magdeburger Wochenblatt, verwickelte sich dadurch in Streit und sah sich genöthigt, das Gymnasium zu verlassen, ohne das Abiturientenexamen gemacht zu haben. Er ging nun 1826, als ich in Halle war, nach Berlin, machte das Examen bei der dortigen Prüfungskommission, studirte Theologie und horte bei Marheineke und Hegel. Dort sah ich ihn Michaelis 1828 wieder, als ich nach Berlin gereist war, Hegel's persönliche Bekanntschaft zu machen. Ich wohnte im Gasthof »zum schwarzen Adler« in der Heiligengeiststraße. Richter ließ mir keine Ruhe, bei ihm zu logiren. Er wohnte bei dem Küster der Jerusalemer Kirche. Ich erfahre nun aus dem, was er über mich hat drucken lassen, daß er das für ihn Wichtigste von meinen damaligen Aeußerungen zunächst mit Kreide an seine Kammerthür schrieb, wie einst mein guter Münich in Halle die Kirchenväter, Päpste und Concilien. Er schwärmte für mich und kam Ostern 1829 zu mir nach Halle, wo ich ihm neben meiner Wohnung ein Zimmer hatte miethen müssen. Dies brachte uns in sehr enge Gemeinschaft. Er hörte auch meine Vorlesungen. Ich war neben denselben das ganze Jahr hindurch bis Ostern 1830 mit einer Arbeit beschäftigt, welche dem Gesichtskreise Richter's gänzlich fern lag, nämlich mit meiner Geschichte der Deutschen Poesie im Mittelalter. Richter nahm mit Dr. Besser auf meiner zweiten Stube den Mittagstisch, den uns meine Wirthin bereitete. Dies waren sehr vergnügte Stunden. Nach Tisch gingen wir auf meine Arbeitsstube, Kaffee zu trinken und etwas gemeinschaftlich zu lesen, wobei Richter uns aus seinen bei Hegel und Marheineke nachgeschriebenen Heften öfter recht interessante Mittheilungen machte. Zuweilen gingen wir auch, nach Verabredung, Abends zusammen vor's Thor in einen Garten. Einmal ging ich, bei wunderschönem Wetter, mit Richter allein nach dem Petersberge, der anderthalb Meilen von Halle sich als eine isolirte Bergkuppe erhebt, die von einer Ruine bekrönt ist. Man sieht ihn in der Flachlandschaft[414] von überall, etwa so, wie die Landeskrone bei Görlitz. Dieser Gang war ein eben so vollendeter, an Naturgenuß, wie an geistiger Unterhaltung überschwänglich reicher, wie der mit Bohtz nach Lauchstädt. Unser Hauptthema war der Unsterblichkeitsglaube. Ich fand, wie ich schon gebeichtet habe, damals denselben überflüssig, weil ich außer dem Leben in Wahrheit, Güte und Schönheit, keines Himmels, außer der Qual des Gewissens keiner Hölle mehr bedurfte, weil der Werth der Gegenwart mir unendlich erhöht schien, wenn wir nicht erst auf den Tod warteten, zur Vollkommenheit zu gelangen; endlich weil es mir unmöglich blieb, mir von der Art und Weise unserer Fortexistenz eine Vorstellung zu machen. Den Inhalt der Eschatologie löste ich in den Prozeß der Geschichte auf. Ich suchte Tod und Auferstehung als perennirende Momente in der Idee der Wiedergeburt zu vereinigen. Zu der Wirkung, welche Spinoza ein Jahr zuvor auf mich gehabt hatte, kam jetzt noch die eines Buches von Blasche, einem Sächsischen Pädagogen, welches den Titel führt: Das Böse im Einklang mit der Weltordnung. Es bestärkte mich in meinem Glauben, das Gericht Gottes sich schon in der Geschichte vollziehen zu sehen. Wie ich damals gedacht, und was und wie ich zu Richter gesprochen habe, ist in einem Buch enthalten, welches 1834 zu Heidelberg unter dem Titel: »Erfahrungen eines jungen Magisters« erschien. Ich erfuhr von seiner Existenz zuerst durch eine briefliche Mittheilung Richter's, worin er ausdrücklich hervorhob, wie merkwürdig es sei, daß der Inhalt fast ganz mit den Gesprächen übereinstimme, die wir 1829 in Halle geführt hätten. 1854 hat er drucken lassen, daß nur Jemand, der ihn sehr genau kenne, nur Jemand, der seine Correspondenzen und Tagebücher benutzt habe, Verfasser des Buches sein könne. Ich zweifle nicht im Geringsten, daß er selber der anonyme Autor ist. Das Verhältniß, worin er in einer Jean Paulisirenden Einkleidung seinen Helden Quartus zu einem Privatleuten Sextus Kranz treten läßt, ist auf ein Haar das, in welchem wir standen, und zu den mir in den Mund gelegten Aeußerungen kann ich mich noch jetzt als zu den meinigen bekennen. Daß Richter das Wesentlichste von dem, was ich mit ihm gesprochen, oft noch bis spät in die Nacht hin aufzeichnete, hat er mir selber einmal in Halle gesagt.[415]

Die ersten Monate hindurch war mein Verhältniß zu Richter ein ganz ungetrübtes, gemüthliches. Allmälig aber trat die Verschiedenheit unserer Meinungen und Charaktere hervor. Ich war nur auf die Wissenschaft und Kunst gerichtet. Was durch sie mittelbar in der Weltverbesserung hervorgebracht werden würde, ließ ich als problematisch dahingestellt sein. Richter hingegen hatte einen Hang zum Praktischen. Er wollte auf die Menschen direct einwirken. Die Resultate der Wissenschaft sollten durch ihn die Gesinnung der Menschen reformiren. Diese Neigung zeigte sich in meiner nächsten Nähe zuerst darin, daß er anfing, sich für die Bildung eines kleinen Kreises junger Mädchen zu interessiren, welche Nachmittags bei der Tochter meiner Wirthin Schneidern und Putzmachen lernten. Er konnte dem Drange nicht widerstehen, mit ihnen Gespräche anzuknüpfen und ihnen Wilhelm Meister's Lehrjahre vorzulesen und pausenweise zu erläutern. Richter war in allen solchen Situationen von einer Geschicklichkeit, die großes pädagogisches Talent verrieth. Er hatte auch schon viel durchgemacht und war sogar schon einmal ein ganzes Jahr hindurch verlobt gewesen. Auch einen Roman, »Celöstine«, in Jean Paul'scher Manier, hatte er bereits geschrieben. Nun wollte er auch als Träger einer neuen Aera des Geistes auftreten. Er concipirte den Plan eines großen Romans: »Der Himmel, wie er ist.« In demselben wollte er die christlichen Confessionen, außerdem Religion und Kunst mit einander versöhnen. Er konnte aber später nur ein Programm dazu unter dem Titel: »Der Vorhof zum Himmel, wie er ist«, zum Druck bringen. Auf eigene Kosten ließ er im August und September 1829 sieben Predigten, die er in Berlin und Magdeburg gehalten hatte, unter dem Titel: »Gott unter Menschen« drucken und stellte in der Vorrede dazu den Plan, den er verwirklichen wollte, in einer Reihe von Sätzen zur öffentlichen Prüfung auf. Diese aufgeregte, hastige Weise, die Wissenschaft, die nach meiner Ansicht noch in den schwierigsten Kämpfen begriffen war, zu popularisiren, stieß mich ab. So sehr ich Richter liebte, so sehr ich seine Begeisterung für die Veredelung des religiösen Glaubens schätzte, so vermochte ich doch diesem herausfordernden Ton, der sich an das große Publicum wandte, keinen warmen Antheil zu schenken und fing an, mich in satirischen und ironischen Formen dagegen auszusprechen,[416] wodurch ich Richter oft verletzte, so daß er sich, wie er mir andern Tages manchmal gestand, über mein hartes Gebahren heimlich ausweinte. In der Reaktion gegen mich fing er nun an, nach der Art solcher auf sichtbare Wirksamkeit gerichteten Naturen, mich des Mangels an Muth zu zeihen, offen und entschieden hervorzutreten. Eines Tages kam es daher zwischen uns schon zu einem Bruch. – Richter hatte ein Bad im Reil'schen Badehause genommen. Er hatte längere Zeit im Wartesaal harren müssen. Da fand er nun über dem Sopha die Bilder von Luther und Melanchthon hängen. Sofort, nach seiner schwärmerischen Anlage, wurde ihm klar, daß er zum Luther, ich zum Melanchthon der neuen Reformation bestimmt sei. Ich sollte die esoterische Rolle der Bearbeitung der theologischen Wissenschaft übernehmen, während er sich der exoterischen, der praktischen Bearbeitung der Massen gewachsen glaubte. Mit strahlendem Angesicht kam er auf meine Stube, fiel mir um den Hals, weinte und konnte vor Erregung kaum das Wort finden. Als er endlich sich ausgesprochen hatte, ich aber seine Emphase ziemlich kühl anhörte, kränkte ihn mein Verhalten schmerzlich. Je mehr er sich erhitzte, um so kälter wurde ich und sagte endlich: »Nun ja, wir müßten auf den Jahrmärkten mit einer Bude à la Reformation umherziehen, mit einem Bureau für die Angelegenheiten der Wissenschaft, mit einem zweiten für die des Kirchenthums.« Diese sarkastische Ablehnung eines Bündnisses mit ihm, das er mir so enthusiastisch angetragen, verwundete ihn im Innersten. Da wir uns aber persönlich liebten, so überwanden wir nach einigen Tagen die Verstimmung und er hielt sich mit seinem Andringen zurück. Dennoch hatte sich die Vorstellung, daß wir Beide zusammen zur Reformation der Zeit berufen seien, bei ihm so fest gesetzt, daß er späterhin, wie er in jener Druckschrift 1854 sagt, mich dadurch heranziehen wollte, wenn er zuerst allein die That vollbrächte, denn er hielt es für einen Mangel an Muth bei mir, daß ich ihm nicht sofort beipflichtete. In dieser Auffassung hat er sich dann von mir so zu sprechen gewöhnt, als ob ich ein Apostat seiner Sache geworden sei. Hierin hat Richter mich aber gänzlich verkannt. Mir war das Bedürfnis eines solchen tumultuarischen Handelns, als worin er sich stürzen wollte, völlig fremd. Ein Versprechen, ihm darin zu helfen, habe ich ihm nie gegeben. Meine[417] Ueberzeugungen habe ich nie verhehlt, aber Lärm damit zu machen oder unreife, noch sehr zweifelhafte Ansichten auf den Markt der Oeffentlichkeit zu bringen und mit Ostentation die Sympathie der Massen dafür herauszufordern, ist mir zuwider. In Richter hingegen waltete jenes prophetische Element, welches eine ganze Zeitlage von dem Individuum auf sich beziehen läßt, um den großen Schlag auszuführen, zu dem es sich von Gott prädestinirt glaubt. Der Sectirer Edelmann hat dies Gefühl, als er sich zum ersten Mal Berlin näherte, im vorigen Jahrhundert in diese Kraftworte zusammengefaßt, die mir immer für den Affect solcher Naturen höchst treffend erschienen sind:


Gieb mir heute, gieb mir heute

Der Propheten Geist,

Der die Leute, der die Leute

In die Wahrheit reißt;

Gieb mir Eifer, gieb mir Lust,

Einen Harnisch vor die Brust,

Eine Kraft, die Alles niederreißt.


Richter erzählt am angeführten Ort, daß er, nach Erwägung aller Zeitumstände, die zu erforschen er eigens eine Reise durch Deutschland unternahm, noch 1848 nicht daran habe zweifeln können, wie Gott ihn berufen habe, seinen Finger auf die Zunge der Waage zu legen.

Doch will ich nicht weiter vorgreifen, und bemerke daher nur, daß Richter, noch bevor sein akademisches Triennium abgelaufen war, plötzlich schon im Herbst 1829 von Halle nach Magdeburg abreiste und nicht zurückkam, so daß ich ihm seine Sachen nachsenden mußte. Er schickte eine Abhandlung nach Jena und ließ sich zum Doctor der Philosophie promoviren, wie mir ein großes Schild schon an der Hausthür verkündigte, als ich ihn in Magdeburg 1830 wieder aufsuchte. Es war mir nun klar, daß das engere Zusammensein mit mir, das er erst so lebhaft gewünscht hatte, ihm für seine großartigen Entwürfe hemmend, ja drückend geworden war.

In der Verschiedenartigkeit unserer Individualität lag der Keim zu unserem späteren Mißverhalten. Ich erkannte in weiteren Verlauf meiner wissenschaftlichen Bildung, daß ich die unbedingte Negation der Unsterblichkeit nicht festhalten könne. Ich gestand hier dem Glauben[418] eine mystische Berechtigung zu, während Richter auf dem polemischen Standpunkt beharrte. Sein Streben ging auf Massenwirkung aus. Er beobachtete die Zeitumstände, um ihre Gunst oder Ungunst für seine Thätigkeit zu berechnen. Er besaß ein vorzügliches rhetorisches Talent, das ihn sehr wohl zum Volksredner geschickt gemacht hätte. – Eine neue Sammlung Predigten, die er unter dem Titel: »Der Gottmensch« zusammenfaßte, beurkundete dies. – Aber sein Drang, für eine reformatorische That einen localen Ausgangspunkt zu gewinnen, führte ihn zu falschen Voraussetzungen und zu localen Beschränktheiten, welche der Allgemeinheit seines eigentlichen Thema's widersprachen. – Als 1831 die dreihundertjährige Feier der Zerstörung Magdeburgs bevorstand, brachte ihn dies zu der Vorstellung, daß die radicale Wiedergeburt der Menschheit, die er beabsichtigte, von Magdeburg ausgehen müsse. Er arbeitete während des Jahres 1830 eine Schrift aus, welche ihn den Magdeburgern als den Propheten der Neuzeit insinuiren sollte. Er machte einen Auszug aus Gerhard's »Chronik der Stadt Magdeburg« und fügte eine Censur der Sitten der Magdeburger, sowie eine Art Nachweis hinzu, daß Magdeburg der Ausgangspunkt einer großen weltgeschichtlichen Reform werden müsse. Er betitelte das Buch: »Magdeburg, die Stadt Gottes auf Erden« und benannte sich von hier ab auf dem Titel seiner Schriften Richter von Magdeburg. Diese Manier war gar nicht nach meinem Geschmack und erschien mir als eine schwärmerische Ueberstürzung. Sie war aber auch nicht nach dem Geschmack der Magdeburger, die es dem jungen Doctor der Philosophie sehr übel nahmen, sie mit catonischer Strenge zu censuriren. Für die hohe Ehre, die er ihrer Stadt zugedacht hatte, zeigten sie nicht die geringste Empfänglichkeit. Sie spotteten nicht nur über ihn, sondern gingen zu einer so ernsten Verstimmung gegen ihn fort, daß er 1831 Magdeburg aufgab und sich nach Breslau wandte, dem er nunmehr dieselbe Rolle, wie Magdeburg, zutheilte und als Prophet darin auftrat, auch ein Journal mit diesem Titel herausgab. Aber auch Breslau bewährte sich nicht als das erhoffte Jerusalem, und so sollte 1848 Berlin die Stadt sein, von wo Richter seine Reform glaubte bewerkstelligen zu können. Da er jedoch immer auf eine Initiative der Vorsehung wartete, die ihn speciell berufen sollte, die Bewegung der Lichtfreunde,[419] der Deutschkatholiken, der Dissidenten überhaupt, zu concentriren, so verlief auch diese Epoche für ihn ohne das gewünschte Resultat.

Durch alle Aeußerungen, welche Richter seit unserer Trennung in Halle über mich hat drucken lassen, tönt der Vorwurf, daß, wenn ich nur gewollt hätte, Alles anders gekommen wäre. Ich weise diese Beschuldigung zurück, denn ich habe stets nur die Wissenschaft im Auge gehabt. Suchte ich auch in dieser eine Form zu gewinnen, welche sie für alle Gebildete genießbar machen sollte, so war mir doch der Hang, das Publicum zu bearbeiten, um eine Massenbewegung zu erzeugen, gänzlich fremd. Richter's Gehülfe zu werden, wie er es sich träumte, hätte ich meine Eigenthümlichkeit der seinigen opfern müssen, wozu gar kein Grund vorhanden war. Ich meinerseits habe von Richter nie die geringste Unterstützung meiner Wirksamkeit gefordert. Mir ist aus diesem gesammten Dissensus eine lange Reihe von Unannehmlichkeiten und Verbitterungen erwachsen, die mich oft schmerzlich bewegt haben. Was ich mit Richter erlebte, sollte ich oft auch mit Andern erleben, daß sie mir die Schuld zuschoben, ihr Schicksal gemacht zu haben. Wenn ich nur gewollt hätte, so lautete der Refrain, so wäre es anders gekommen. Man kam an mich heran, man suchte meinen Beistand. Ich ging auf eine Theilnahme ein, wie sie die persönlichen Umstände, die Noth des Augenblicks, die mir zu Gebote stehenden Hülfsmittel und meine wissenschaftliche Bildung ermöglichten. Im weiteren Verlauf mußte aber nur zu oft eine Grenze meiner Theilnahme eintreten, die ich nicht überschreiten durfte, ohne höhere Pflichten zu verletzen. Ich war doch nicht allmächtig, aber man genirte sich nicht, mir eine Macht zuzuschreiben, die ich gar nicht besaß. So lange ich freundlich, entgegenkommend, förderlich war, so lange war ich ein humaner, liebenswürdiger Mensch. Sobald ich aber ablehnend zu werden anfing, sobald ich mich, weil ich das fremde Treiben nicht mehr billigen konnte, zurückzog, sobald ich wohl gar die Ausschreitungen, in die man sich fallen ließ, scharf zu tadeln und das Verkehrte der Hypothese, die man in Betreff meiner an Sympathie und Thätigkeit machte, als entschiedenen Irrthum zurückwies; ja, da war es aus. Da wurde ich für schwach und treulos erklärt; da wurde mir das Mißlingen, das ich voraussagte, als Schuld zugeschoben; auf meine Individualität aber,[420] auf meine Bedürfnisse, auf meine Stellung, auf meine sonstigen Verpflichtungen wurde keine Rücksicht genommen. Jeder hatte nur seine Sache im Sinn und wollte eine Nothwendigkeit der Begrenzung meiner Theilnahme für dieselbe nicht gelten lassen.

Wenn Richter in dem Büchlein von den Erfahrungen eines jungen Magisters dem Publicum die Gespräche mitgetheilt hat, die ich 1829 in Halle mit ihm geführt habe, so sollte er auch die zufällige Veranlassung werden, daß ich die religiöse Ueberzeugung, die mich damals beseelte, zu Anfang des Jahres 1830 selber öffentlich aussprach. Dies hing wunderlich zusammen. Ich war in der Festwoche zu Weihnachten 1829 zum Besuch bei meinen Lieben in Magdeburg gewesen. Der Vater hatte sich pensioniren lassen, war aber noch immer mit kleinen statistischen Arbeiten zur Verbesserung unserer merkantilen Gesetzgebung beschäftigt, die er dem Handelsministerium als freiwillige Beiträge von Zeit zu Zeit einsandte. Daß er noch mehr als sonst las, war natürlich. Er war für sein hohes Alter noch recht rüstig und besuchte mit mir sogar noch zuweilen den Volkmar'schen Weinkeller am Neuen Markt. – Da empfing ich von meiner Schwester in den ersten Tagen des Februars 1830 einen kurzen Brief, der mich beschwor, sogleich zu kommen, wenn ich den Vater noch lebend treffen wolle, da er plötzlich sehr schwach geworden sei. Wer mir bis hierher gefolgt ist, wird ermessen können, welch ein furchtbarer Schmerz mir der Gedanke war, meinen geliebten Vater verlieren zu sollen. Ich setzte mich sofort auf die Post und eilte im heftigsten Frostwetter nach Magdeburg. Als ich ankam, fand ich den Vater, der im Bette lag, schon so krank, daß er mich nicht erkannte, was mir entsetzlich war. Am andern Morgen aber hatte er noch einige Stunden vollkommenen Bewußtseins. Er nahm Abschied von mir. Ich konnte seine liebe, schon stark geschwollene Hand nur mit Küssen bedecken und mit Thränen überströmen. In der folgenden Nacht, vom sechsten auf den siebenten Februar, schlief er sanft gegen Morgen ein. Seine Grabstätte konnte nicht neben der meiner Mutter bereitet werden, weil unterdessen die Kirchhöfe aus der Stadt nach Außen hin verlegt waren. Der Anfang war soeben erst am ersten Januar 1830 gemacht und das Grab meines Vaters war erst das neunte. Diese Veränderung hatte natürlich noch andere im Gefolge,[421] denn der Sarg konnte nun nicht mehr getragen, sondern mußte gefahren werden. Ach! wie lang wurde mir der Weg durch die öden Festungswerke am Krökenthor nach dem mit Eis und Schnee bedeckten Friedhof, der gegenwärtig wie ein großer Park aussieht, damals aber höchst ungastlich als eine kahle Ebene mich anstarrte. So wunderbar ist das menschliche Leben! Wie hätte mein Vater, als wir in der Neustadt wohnten, sich jemals können einfallen lassen, daß er unserem Hause ungefähr gegenüber einst würde begraben werden! Standen doch hier nichts als hohe, stattliche, vom Reichthum des Lebens gesättigte Häuser.

Volk, Simon und Genthe begleiteten mich in einer Kutsche zur Bestattung des lieben Todten. – Während der schmerzlichen Unruhe dieser Tage war mir durch Genthe ein Manuscript in die Hände gerathen, welches Richter gehörte und auf einer Auction in seinen Besitz gelangt war. Es war das ein Quartband in Leder, aus der Bibliothek des Prinzen Eugen von Savoyen, wie ein Stempel und ein eingeklebter Kupferstich auf der Innenseite des Vorderdeckels bezeugte, der das Wappen des Prinzen darstellte und die Worte enthielt: Ex bibliotheca Eugenii Principis Sabaudiae. Wie es von da auf jene Auction gekommen, ist mir gänzlich unbekannt. Es enthielt zwei verschiedene Schriften über denselben Gegenstand, nämlich über den Gedanken, daß die Religion nichts als ein Selbstbetrug der Menschen, und daß die Stifter der Weltreligion, Moses, Christus und Muhamed, Betrüger seien. Die eine Schrift, offenbar die ältere, einfachere und gemäßigtere, war Lateinisch unter dem Titel: De impostura religionum; die andere, weitläufigere, fanatischere Französisch unter dem Titel: Le Livre des trois imposteurs, abgefaßt. Die eine mag am Anfang, die andere am Ende des siebzehnten Jahrhunderts entstanden sein. In einem Augenblick, wo mein Gemüth von den tiefsten religiösen Empfindungen am Sarge und am Grabe meines so unbeschreiblich geliebten Vaters heftig durchbebt wurde, packte mich die Lectüre dieser verrufenen Schriften auf das Gewaltigste. So unumwunden hatte ich die Sprache des Materialismus und Atheismus noch nicht vernommen. Ich konnte mir jedoch nicht verhehlen, daß ich keineswegs ein orthodoxer Christ im Sinne der kirchlichen Bekenntnisse sei, wenn man sie buchstäblich verstehen wolle. Hierdurch entstand ein Kampf in mir, der die Schrift:[422] Der Zweifel am Glauben; Kritik der Schriften de tribus Impostoribus, hervorrief, welche ich nach ihren Grundzügen noch in Magdeburg niederschrieb und in Halle vollendete, so daß Freund Reinecke sie noch auf die Ostermesse bringen konnte. Mich interessirte nur der Inhalt, der eine bestimmtere Ausführung der Ueberzeugungen war, welche ich 1827 von Wippermann in Heidelberg zuerst eindringlicher vernommen hatte, als sie uns in der Form von literarischen Berichten anzusprechen pflegen. Ueber die Unsterblichkeit ließ ich mich, so offen ich sonst mit meiner Heterodoxie vorging, nicht aus, weil sie in den betreffenden Schriften selber nicht besonders betont wird. Strauß hat meine kleine Schrift, wie er mir einmal in einem Briefe erzählte, eine Zeit lang als sein theosophisches Taschenbuch mit sich herumgetragen. Wenn er aber in einer der Anmerkungen zu seiner christlichen Glaubenslehre dieselbe in dem Sinne erwähnt, als ob ich damals einer größeren Kühnheit des Zweifels gehuldigt hätte, so kann ich dies nicht finden. Durch Schwankungen bin ich allerdings eben so gut, wie er selber, fortgegangen und es wäre lächerlich, mir einzubilden, als ob ich jetzt etwa, nach so vielen Jahren, nach so heißen Kämpfen, Natur und Geschichte vollkommen durchschaute, als wenn ich nicht noch immer durch den Zweifel zu neuem Nachdenken und Prüfen angeregt würde, aber von dem Standpunkt der kritischen Freiheit, auf welchem ich damals stand, bin ich nicht wieder abgefallen. Richter und Strauß haben mir meine wissenschaftliche Beschränkung der Negation der Unsterblichkeit als einen Moderatismus zum Vorwurf gemacht, der eine Inconsequenz sei. Weil ich aber die Schwierigkeiten nie unterschätzte, welche das Problem der Unsterblichkeit in sich schließt, so hatte ich mich auch niemals in einer Druckschrift für den Unglauben an die Unsterblichkeit ausgesprochen, obwohl ich sein Bekenntniß, wenn es von mir gefordert wurde, persönlich nicht verhehlte. Ich hatte also nichts zurückzunehmen und nur die Polemik Richter's gegen mich, als ob ich einem Vertrage gegen ihn untreu geworden sei, zwang mich 1836 zu einer offenen Darlegung meines Verhältnisses zu dieser Frage. Alles, was die Theologie von Ludwig Feuerbach später Negatives vorbrachte, hatte ich in der Kritik jener berüchtigten Schriften in der concentrirtesten Gestalt vorgenossen.

Die Arbeit jedoch, welche mich seit Ostern 1829 unausgesetzt[423] beschäftigt hatte und welche ebenfalls Ostern 1830 zum Abschluß gelangte, war die Geschichte der Deutschen Poesie im Mittelalter. Jahre lang hatte ich mich mit ihr in aller Breite von den verschiedensten Punkten her wie mit einem Räthsel bemühet, dessen Auflösung ich suchte. Vergeblich blickte ich nach einem Buche umher, das mir als Ariadnefaden in dem Labyrinth ihrer Erscheinungen hätte dienen können. Einzelne Gegenstände waren zwar von vorzüglichen Forschern eingehend beleuchtet worden, allein die Masse des Ganzen war eine formlose, chaotische. Die Behandlung, welche ich mit den Gedichten von der Gralsage vorgenommen, brachte mich auf den Gedanken, sie auf die Totalität des Stoffes auszudehnen. Ich hatte dabei eine Nebenabsicht. Mir schien das, was Hegel in der Phänomenologie des Geistes in den beiden Capiteln vom unglücklichen Bewußtsein und von der Welt des sich entfremdeten Geistes mit Beziehung auf das Mittelalter gesagt hatte, zu einseitig und ungenügend, weshalb ich den Versuch machen wollte, es zu ergänzen und zu vervollständigen. Der Verfolg der Geschichte des Bewußtseins, wie sie in den poetischen Erzeugnissen des Mittelalters sich abspiegelt, wurde daher mein leitender Gesichtspunkt. Handschriften, Drucke, Chronologie, Biographie blieben für mich untergeordnete Momente. Ich war mit ihnen, so weit es damals möglich war, ziemlich vertraut, aber ich machte diesen großen empirischen Apparat, über den ich gebot, nur zu einer materiellen Voraussetzung, die Seele des Bewußtseins darin aufzusuchen. Für den Zweck, die literarischen Resultate meiner vieljährigen Studien nützlich und fruchtbar zu machen, war dies die größte Verkehrtheit. Ich hätte es nicht schlimmer anfangen können, mein Buch für das größere Publicum unzugänglich und ungenießbar zu machen. Es gehörte meine ganze Befangenheit in Hegel's Phänomenologie dazu, ein solches Verfahren für das schönste zu halten. Die Kühnheit, mit welcher ich vorging, war nur dem jugendlichen Enthusiasmus möglich. Da ich aber die Thatsachen, um die es sich handelte, kannte, so gab dies meiner Darstellung einen realistischen Zug, der sie nicht in's Leere ausirren ließ. Und da ich diese Thatsachen so lange mit so vieler Liebe gehegt hatte, so entsprang daraus ein dichterischer Hauch, der die Gestalten des Bewußtseins, wie sie sich entwickelten, farbenhell für die Phantasie erscheinen ließ. Dieser[424] malerische Duft war es, welcher den Leser meiner Abstractionen, meiner zuerst vielleicht sonderbar aussehenden neuen Kategorien, mit dem Nachdruck objectiver Wahrheit erfüllte und allmälig eine Wirkung hervorbrachte, welche meine Erwartung übertraf. Von Hegel hatte ich keine directe Erwähnung gemacht, da eine bestimmte Anknüpfung an ihn nicht möglich war. Noch war ich selber nicht als eines jener Monstra verrufen, welche man Hegelianer zu nennen pflegte. Noch hatte Lachmann meine kleine Schrift über den Titurel in der Halleschen Literaturzeitung zwar nicht beistimmend, aber doch anerkennend recensirt. Das Vorurtheil, daß ich einen historischen Gegenstand durch Anwendung der Hegel'schen Philosophie verdorben haben müßte, war daher noch nicht stark genug, dem Aufsehen meines Buches in unbefangenen Kreisen, die nicht zur Schule der exacten altdeutschen Philologie gehörten, hemmend entgegenzutreten. Ferdinand Wolf, der Scriptor der kaiserlichen Hofbibliothek in Wien, gab in den Wiener Jahrbüchern einen Auszug, der mit Begeisterung für mich geschrieben war und mich mit dem trefflichen Manne in ein persönliches, freundschaftliches Verhältniß brachte, das bis zu seinem Tode fortgedauert hat. Ohne mein Buch, ohne meinen Namen zu nennen, wurden meine Anffassungen in den folgenden Decennien überall wiederholt und Echtermeyer hat noch in den Halleschen Jahrbüchern bei Gelegenheit von Laube's Deutscher Literaturgeschichte ein ausführliches und interessantes Beispiel davon bemerklich gemacht. Im Brockhaus'schen literarischen Conversationsblatt zu Leipzig erschien freilich eine Beurtheilung, welche dem Publikum die Augen öffnete, daß es hier mit einem Mißproduct der widerspruchvollen Modephilosophie zu thun habe. Sie machte den Mangel eines literarischen Apparats zum Grund einer völligen Verwerfung meines Buches. Allein dieser ganz geschickte Angriff hat doch die im Stillen fortdauernde Wirksamkeit meiner Arbeit nicht aufhalten können. Es steckte ein zu sachlicher Kern in ihr, welcher dem Bedürfniß, jene hingeschwundene Welt in ihrem Wesen zu begreifen, zu hülfreich entgegenkam. Ich selber schloß mit ihr eine große Periode meiner Entwickelung ab. Was ich späterhin auf diesem Gebiet noch gethan habe, ist im Vergleich zu ihr nicht der Rede werth. Aber ich machte nun auch bald die Erfahrung, was es auf sich hat, wenn man, dem Publicum gegenüber,[425] nicht in demselben Fach, in welchem man sich ihm zuerst präsentirt hat, fortarbeitet. Die Erwartung, daß dies geschehen werde, ist eine zu natürliche, als daß der Uebergang eines Schriftstellers zu andern Fächern ihm nicht für die Bequemlichkeit, ihn in sein Tagesbewußtsein unterzubringen, störend werden müßte. Diejenigen namentlich, die als Fachmänner zuerst eine Aufmerksamkeit auf den Neuling gewendet hatten, ihn als Zunftgenossen zu begrüßen und weiterhin neben sich zu hegen, lassen ihn bald als ein Meteor fallen, welches ihre Atmosphäre nur zufällig und vorübergehend gekreuzt habe. Sobald es später durch meine Anstellung als Professor der Philosophie fest stand, daß die Philosophie mein Fach sei, wurde mein Name nicht mehr neben den ihrigen genannt, wurden meine Arbeiten ignorirt, wurden Citate derselben, die Andere gemacht hatten, bei neuen Auflagen gestrichen. Ich wurde nunmehr eben als ein Laie betrachtet, der als Philosoph das Recht verwirkt habe, mitsprechen zu dürfen.

Obwohl ich kryptischer Weise durch Hegel'sche Philosophie der Begrifflosigkeit der Romantik in meinem Buche entgegenzutreten versuchte, so fand dasselbe doch bei den Romantikern selber noch die günstigste Aufnahme, weil ich auch noch tief in dem romantischen Elemente steckte. Ich kämpfte schon mit ihm, allein ich hing ihm noch mit Begeisterung an. Dieser Zustand fand einen sehr bestimmten Ausdruck durch eine Reise, die ich Pfingsten nach Dresden unternahm, mich etwas zu zerstreuen. Ein Student der Theologie, Closter aus Oldenburg, der sich mir näher angeschlossen hatte, begleitete mich. Es war ein schöner, liebenswürdiger, junger Mann, der sich dem Orientalischen Sprachstudium widmen wollte und deshalb Michaelis von Halle nach Erlangen ging, unter Rückert's Leitung das Arabische und Persische zu studiren. Er machte auch recht hübsche Gedichte. In Halle erschien er als ein Bild blühendster Gesundheit, in Erlangen aber verfiel er einem schrecklichen Siechthum, welches ihn zwang, seine wissenschaftlichen Pläne aufzugeben und sich mit einer Pfarre auf der Insel Nordernay zu begnügen. Merkwürdiger Weise kam er aber von hier als Pfarrer eines Patronats des Grafen Dohna doch in die Nähe von Dresden. Wir brauchten damals drei Tage, dahin zu gelangen. Den ersten Tag kamen wir nach Leipzig, wo wir im Hôtel de Pologne[426] mit einem Italienischen Professor der Magie, Conte di Petorelli, gemeinschaftlich einen Hauderer nach Dresden mietheten. Die Unterhaltung mit ihm und seinem Gehülfen verkürzte uns die langdauernde Fahrt. In Oschatz übernachteten wir. Am dritten Tage kamen wir gegen Mittag nach Meißen, wo wir die Porzellanfabrik und den Dom besahen, von dessen Thurm wir eine herrliche Aussicht auf das Elbthal genossen. In dem großen Saal eines Gasthauses wurde ein heiteres Mittagsmahl an einer zahlreichen Wirthstafel eingenommen. Beim Dessert unterhielt der Graf, um Reklame für sich zu machen, die Gesellschaft mit einigen Proben seiner Kunst. Endlich langten wir Abends in Dresden an, wo wir im bekannten kleinen Rauchhause logirten. Hier hatte ein wunderschönes Frauenzimmer, angeblich die Frau seines Gehülfen, bereits Quartier für den Grafen bestellt. Sie hatte bei seinen Vorstellungen an der Casse den Billetverkauf zu besorgen. Uns wurde nicht zu wohl in dieser etwas zweideutigen Gesellschaft und wir suchten uns, so viel wie möglich von ihr zu isoliren. – Ich werde natürlich nichts von Dresden und seinen Kunstschätzen sagen. Ich bin später noch dreimal in Dresden gewesen und habe die reizende Stadt nie ohne die vielseitigste Anregung verlassen.

Ich komme nun zur Romantik zurück. Ich hatte ein Exemplar meiner Geschichte der Deutschen Poesie des Mittelalters in Kalbleder binden lassen und eilte damit zu Ludwig Tieck, es ihm ehrfurchtsvoll und dankbar zu überreichen. Tieck empfing mich mit der größten Freundlichkeit. Da ich durch Bohtz ganz genau mit seinem Hauswesen bekannt war, so orientirte ich mich rasch mit dem Local, wie mit den Personen. Die Erinnerung an Bohtz brachte mich schnell auch der ältesten Tochter Tieck's, Dorothea, näher. Mit der jüngeren, Franziska, kam ich durch Scherz und Lachen auch bald in gute Beziehung. Mit der Mutter blieb ich bei dem Austausch der gewöhnlichen Höflichkeiten stehen. Ebenso mit der Gräfin von Finkenstein. Nur mit der Frau Professor Solger hatte ich einige tiefer gehende Gespräche, welche sich auf ihren verstorbenen, von mir hochverehrten Mann bezogen. Es traf sich, daß Tieck's Geburtstag in meine Anwesenheit fiel. Ich wurde zu seiner Feier eingeladen. Sie ist mir unvergeßlich geblieben. Tick las Göthe's kleine Singspiele vor. Ich schweige auch hierüber, denn[427] seine Kunst, zu lesen, ist ebenfalls oft genug geschildert worden. – Ich brachte die ganze Pfingstwoche in Dresden zu. Ich schwelgte in dem Reichthum ästhetischer Genüsse und im Entzücken über die persönliche Bekanntschaft mit dem Haupt der romantischen Schule. Als bei der Abreise der Hausknecht schon mein Felleisen schnürte, ergriff mich die Zärtlichkeit und Dankbarkeit gegen Tieck so heftig, daß ich nicht ohne ein poetisches Lebewohl von ihm scheiden wollte. Da es aber rasch gehen mußte, so schrieb ich eine Ode im Alcäischen Metrum, das mir ganz geläufig war und nicht durch Reimschwierigkeiten verzögern konnte. Das ist der Humor des Lebens! In antiker Form huldigte ich dem romantischen Dichter. Obwohl ich nun später von ihm mich in gar manchem Betracht entfernte, so bin ich doch stets persönlich sein Verehrer geblieben und habe ihn auch noch in Berlin besucht, als er dort, schon gelähmt, in der großen Friedrichsstraße wohnte. Ach, wie wehmüthig war es mir, ihn hier eigentlich vereinsamt zu finden! Alle jene Frauen, in deren Mitte ich ihn zuerst gesehen hatte, waren todt. Nur Franziska lebte noch. Sie war verheirathet, aber nicht in Berlin, und es war ein Zufall, daß ich sie einst traf, als sie auf ein paar Tage zum Besuch gekommen war. Tieck ist der einzige Dichter, welchen Berlin in der classischen Epoche hervorgebracht hat. Wird man ihm nicht ein Denkmal setzen, damit doch unter den Feldherren und Fachmännern, welche durch Monumente verherrlicht sind, auch ein Dichter repräsentirt sei?

Ich kann meine Geschichte der Deutschen Poesie im Mittelalter nicht verlassen, ohne noch eine Bemerkung hinzuzufügen, welche die Stimmung der Zeit charakterisiert. Ich schrieb sie in dem Gefühl, mit ihr für die Nation zu arbeiten, ein Gefühl, das mir von hier ab verblieben ist. – Der Horizont eines Faches oder einer Schule ist mir immer zu eng gewesen. Als ich nun, voll von meinem Unternehmen, meinen Freunden mittheilte, daß ich ein Werk für die Nation schaffen wolle, fanden sie diese Kategorie bei einer gelehrten Arbeit höchst sonderbar und fingen in ihrer alten Weise an, mich deshalb zu verspotten. In meiner nächsten Umgebung war es nur Moritz Besser, der mich verstand. Sein Studium der Volkswirthschaft war geeignet, ihm den nationalen Standpunkt der Arbeit überhaupt aufzuschließen. Aber er[428] war auch sonst ein für die Poesie und ihre Geschichte zugängliches Gemüth. Ich wollte sogar mit ihm gemeinschaftlich eine eigenthümliche Arbeit ausführen. Ich hatte bei dem Antiquar Lippert ein Exemplar der Nordischen Geschichte des Saxo Grammaticus gekauft und wurde durch die Lectüre der ersten acht Bücher des selben zu dem Entschluß angeregt, sie mit Besser in's Deutsche zu übersetzen. Wir wollten immer ein um das andere Buch vornehmen, so daß auf Jeden vier Bücher fielen. Die Verse der alten Lieder, welche Saxo citirt, wollten wir aus den Horazischen Metren, worin er sie verkünstelt hat, in alliterirende Skaldenmaaße übertragen. Leider wurde dies für die Auffassung der Nordischen Sagengeschichte sehr nützliche Unterfangen durch Besser's Abgang nach Petersburg im Keim erstickt, denn für mich allein war es zu zeitraubend. Wenn Dergleichen nicht im ersten Stadium der Begeisterung durchgesetzt wird, so ist es schwer, es pausenweise zu verwirklichen. Ich habe dies später bei einer ähnlichen Arbeit erfahren. Mone gab den Reinhardus vulpes heraus. Ich schrieb 1834 eine Recension desselben für die Hallesche Literaturzeitung und faßte eine große Liebe zu dem Gedicht. Als ich nun späterhin sah, wie Wenige dasselbe gelesen hatten, so wollte ich es der Nation durch eine Deutsche Uebersetzung zugänglich machen. Das Verständniß der Wolfs- und Fuchssage mußte dann auch unendlich an Klarheit gewinnen. Da Göthe den Sassischen Reineke de Voß im antiken Metrum populär gemacht hatte, so war diese Form des Gedichts kein Hinderniß. Es ist aber nicht nur in Hexametern, sondern in elegischem Versmaaß abgefaßt. Ich machte nun den Fehler, dasselbe nachbilden zu wollen. Das war aber bei der Schwierigkeit, das mönchische Latein treu und doch poetisch zu übersetzen, sehr schwer. Die Arbeit, die ich nur von Zeit zu Zeit, wenn mein Amt und die Philosophie mir einmal Muße und Stimmung gönnten, durch Jahre fortschleppen konnte, ging langsam und stockte endlich ganz. Da wurde mir plötzlich klar, daß ich den Pentameter ganz aufgeben und nur Hexameter dichten sollte, wodurch der epische Charakter der Sage sich offenbar noch vortheilhafter herausstellen mußte. Als ich nun aber die Umgestaltung mit den schon gemachten Versen vornehmen wollte, fand ich sehr begreiflich große Schwierigkeiten, da ich mir Mühe genug hatte geben müssen, die Pentameter[429] herauszubringen. Darüber wurde ich verdrießlich, und die ganze schöne Arbeit unterblieb.

Von meinen älteren Freunden lebte damals Wilhelm Klee als Regierungsreferendarius zu Merseburg einige Jahre in meiner Nähe. Wir veranstalteten durch briefliche Verabredung Zusammenkünfte am Sonntag Nachmittag in einer Schänke bei der langen Brücke, die ziemlich in der Mitte zwischen Halle und Merseburg über die Saale führt, so daß Jeder die Hälfte des Weges zu machen hatte. Jean Paul, Heinrich Jacobi, Tennemann's große Geschichte der Philosophie blieben die Hauptthemata unserer Unterhaltung. Klee hat später lange in Posen als Regierungsrath gelebt. Er wurde kirchlich orthodox und hat auch als Schriftsteller in diesem Sinn gewirkt. Wir blieben aber, trotz unserer großen Differenzen auf dem kirchlich-politischen Gebiet, immer Freunde. Ich sah den guten Menschen, dessen aufrichtige Frömmigkeit nichts Düsteres an sich hatte, zuletzt 1849 in Berlin, wo er sich einige Tage aufhielt und ich noch am letzten Abend mit ihm einem Concert in Sommer's Local beiwohnte. Ich sollte ihn nicht wiedersehen, denn er starb einige Jahre später an einem Hirnleiden.

Die Julirevolution erschütterte 1830 ganz Europa und äußerte auf das jüngere Geschlecht einen gewaltigen Einfluß, der von Heine wohl am Treffendsten geschildert ist. Besser übersetzte Delavigne's Nationalhymne in Deutsche Verse. Bei meinem Aufenthalt in Berlin im September wurde ich Augenzeuge der revolutionären Bewegung, welche sich hier als ein Rückschlag der Pariser in den Massen vollzog. Ich war mit meiner Braut und einer Schwester derselben nach Tivoli, einem damals sehr beliebten Vergnügungsort am Kreuzberge, gefahren. Wir fanden die sonst so stark besuchten Gärten und Hallen trotz des schönen Wetters menschenleer. Als wir eben beim Abendbrod saßen, bemerkten wir eine eigenthümliche Unruhe. Die wenigen Menschen, die im Local vorhanden waren, sprangen von ihren Sitzen auf. Man drängte sich um einzelne Personen, die aus der Stadt kamen und den Zustand in derselben geradezu als den Ausbruch einer Revolution schilderten, die zu einem Kampf mit den Truppen führen würde. Tausende von Menschen seien mit wildem Geschrei vom Thiergarten die Linden herab nach dem Schloßplatz gezogen. Sie hätten die Laternen zerschlagen[430] und Steinwürfe gegen die Fenster des Schlosses gerichtet. Bäckerläden würden gestürmt. Der Generalmarsch werde geschlagen. Schon fange man an, Barricaden zu bauen. Ich war in der größten Verlegenheit. Sollte ich die Unsrigen in der Stadt in Ungewißheit lassen, was aus uns geworden? Der Kutscher weigerte sich, zu fahren, da er fürchtete, daß man ihm die Pferde ausspannen und seinen Wagen auf eine Barricade werfen werde. Meine Begleiterinnen waren voll unbeschreiblicher Angst in dieser für sie so neuen und drohenden Situation. Ich entwarf endlich einen Fahrplan, der uns von dem Hauptstrom der Bewegung so viel wie möglich entfernen mußte, und bewog den Kutscher, gegen das Versprechen eines hohen Trinkgeldes, zu fahren. Mit Noth und Mühe, nicht ohne Gefahr, kamen wir auf Umwegen durch das in allen Straßen wogende Gewühl nach Hause. Als es Mitternacht war, wagte ich mich zu Fuß in meine Wohnung am Alexanderplatz. Hier fand ich die Truppen marschbereit aufgestellt. Sie hatten ihre Gewehre in Piquets zusammengesetzt und gingen zwischen ihnen in fieberhafter Spannung umher, jeden Augenblick zum Antreten commandirt zu werden. Das Volk wußte noch nicht, was es wollte. Es war noch kein bestimmter Ruf formulirt; es fehlte noch an Führern; bei Vielen war es nur die Neugierde, welche sie auf die Straße trieb. Aber die unsinnigsten Gerüchte fanden Glauben. Von Zeit zu Zeit kamen starke Patrouillen, die Massen zu durchbrechen und einzelne Verhaftungen vorzunehmen. – Als ich auf meinem Zimmer bei der Wittwe Golde angelangt war, blickte ich noch eine Stunde lang aus dem Fenster, bis die Natur durch das Bedürfniß des Schlafes mich in's Bett trieb. Auch in Revolutionen muß man schlafen, muß man essen und trinken! Während ich erschöpft in Schlummer versank, hörte ich noch den Hufschlag der Pferde einer Cavalleriepatrouille, welche über die Alexanderbrücke ritt. Da die Perspective meines Zimmers zu verlockend war, so hatte ich am nächsten Morgen den Besuch der Herren zu erdulden, die ebenfalls als Chambregarnisten bei Madame Golde, aber tiefer am Canal hinab, wohnten.

Einer derselben, ein Weinreisender, überbot die Anderen in den fabelhaftesten Hypothesen über diese sogenannte »Schneiderrevolution.« Diese dumpfe Gährung dauerte ein paar Tage, bis die Berliner sie[431] langweilig fanden. Sie war jedoch ein unverkennbares Symptom der Sympathieen, deren sich die liberale Partei im Volk erfreute. – Ich hatte nebenher im Sommer 1829 auf Ersuchen Reinecke's eine vierte Ausgabe von Maaß' Rhetorik veranstaltet und eine Vorrede dazu geschrieben, worin ich auch die politische Beredsamkeit erwähnte. Diese Worte legen Zeugniß von dem Interesse ab, welches auch in mir sich für die Entwickelung des Verfassungslebens zu regen begann. Doch überwog noch das religiöse und kirchliche, und erst in Königsberg fing ich an, tiefer in das politische Element mich einzulassen, namentlich seitdem ich zu dem Oberpräsidenten von Preußen, Theodor von Schön, in ein persönlich intimes Verhältniß getreten war.

Zufällig wurde ich in Berlin mit einem jungen Buchhändler Langewiesche aus Iserlohn bekannt. Er war ein sehr ernster, vielseitig gebildeter, liebenswürdiger Mann, der sich später auch als lyrischer Dichter vortheilhaft bekannt gemacht hat. Er wünschte Verlag von mir zu übernehmen. Ich fiel darauf, ihm mein geistliches Nachspiel zum Faust anzubieten. Er nahm es an. Es wurde in Leipzig gedruckt. Als es aber in Iserlohn die Censur passirte, verweigerte der Censor, Consistorialrath Hasenclever, das Imprimatur, weil er in dem kleinen Drama eine Verhöhnung der Religion erblicke. Langewiesche sandte mir dies Decret zu, damit ich mich an das Obercensurcollegium in Berlin, damals unter dem Directorium eines Herrn von Raumer, wenden sollte. Ich that dies, indem ich ausführte, daß der Herr Consistorialrath Religion und Theologie mit einander verwechsele. Nicht die Religion, sondern die theologischen Parteien, welche die Idee derselben zu Zerrbildern herabgebracht hätten, seien von mir lächerlich gemacht. Die Rothstiftstriche des Censors, der immer nur Tagespointen der Rationalisten, Supranaturalisten und Mystiker angemerkt hätte, seien der thatsächliche Beweis dafür. Nach einigen Wochen empfing ich den Bescheid, daß es bei dem Urtheil des Herrn Hasenclever sein Bewenden haben müsse. Ich war außer mir, denn ich hatte eine solche Blindheit in Berlin nicht für möglich gehalten. Dies war mein erster Kampf mit der Censur. Es blieb nun nichts übrig, als daß Langewiesche das Büchlein einer Leipziger Firma zum Vertrieb übergab. Verboten wurde dasselbe in Preußen nicht. Ich staune jetzt, daß ich[432] damals gewagt habe, es Göthe zu widmen, ohne bei ihm vorher anzufragen, indem ich ganz einfach nur die Worte: An Göthe, gefolgt von einem Dedicationssonnet, drucken ließ. Ich hatte in dem Sonnet gesagt, daß Göthe mir erlauben wolle, seinem Dom eine kleine Capelle anbauen zu dürfen. Wolfgang Menzel, der mich als einen Hegelianer stets feindselig behandelt hat, sagte in seinem Literaturblatt ganz witzig, ich hätte dem Göthe'schen Faust eine theologische Nachtmütze aufgesetzt, und Zelter schrieb an Göthe, ich käme ihm wie ein Glöckner vor, der die Glocke läutet, damit die Leute sich das Heil rechten Orte selbst holen möchten. Da ich die theologischen Parteien so keck angegriffen hatte und als Philosoph für einen Hegelianer galt, so durfte ich auf wenig Gunst rechnen. Doch wurde sie mir im Stillen zu Theil, denn mein kleines Drama war, wenn auch einseitig, der Anfang der Fortsetzungen des Faust in einem zweiten Theil, woran sich hinterher so Viele versucht haben.

Ich gab Langewiesche aber auch eine wissenschaftliche Arbeit in Verlag. Es war dies eine Schrift über die Naturreligion; ein philosophisch-historischer Versuch über die Religion der sogenannten wilden Völker. Mein Interesse für dieselben war durch die vielen Reisebeschreibungen, die ich gelesen hatte, stets ein sehr großes gewesen.

Ich verfügte über ein bedeutendes empirisches Material. Ich zeigte, daß die Elemente der Religion bei den Naturvölkern, wie sehr sie durch Race, Klima und Localität verschieden seien, doch im Wesentlichen übereinstimmte, und führte dies besonders im Begriff der Zauberei durch. Ich behauptete aber auch, daß diese Gestaltung der Religion als ihre primitive auch ihre nothwendige Urgestalt sei. Hierdurch trat ich mit dem Supranaturalismus in den schroffsten Widerspruch, allein die weitere Entwickelung der Geschichte der Religion hat meine Ansicht bestätigt. Ich will von den jüngeren Forschungen auf diesem Gebiet nur die von Waitz in Marburg und Gerlandt in Magdeburg anführen. Uebrigens war mein Buch, obwohl im Geiste der Hegel'schen Philosophie gedacht, doch in einer Sprache geschrieben, welche den Schulstaub bereits von den Füßen abgeschüttelt hatte. Es war und ist für jeden Gebildeten lesbar und ist, trotz des halben Jahrhunderts, das seit seiner Abfassung verflossen ist, noch jetzt weder dem Inhalt, noch der Form nach, veraltet.[433]

Ich würde jetzt über ein viel größeres und noch interessanteres Material, besonders für Afrika, verfügen können, aber in der Bestimmung und Darstellung der Grundbegriffe wenig zu ändern vermögen. Bei einigen jüngeren Theologen, wie z.B. Usteri's Paulinischer Lehrbegriff zeigt, zündete es, allein das wohlfeile Vorurtheil, welches die Theologen verbreiteten, daß ich dem Stoff durch die Hegel'sche Dialektik Gewalt angethan, verdrängte das Buch bald von der Bühne des Tages. Nur einzelne Forscher, Fallati, Wuttke, Schulze, haben es von Zeit zu Zeit wieder in Erinnerung gebracht.

Wenn ich vorhin sagte, daß ich durch meine Arbeit mit dem Supranaturalismus in den schroffsten Widerspruch getreten sei, so will ich dies noch kurz erläutern. Der Supranaturalismus betrachtet die Religion der Naturvölker nicht als eine nothwendige Form, welche die Religion auf der Stufe anfänglicher Bildung annehmen müsse. Er erblickt nur Aberglauben und Abirrung von der geoffenbarten Religion darin. Nun ist keine Frage, daß wir von unserem Standpunkt aus Recht haben, die sogenannten Wilden als abergläubisch, d.h. als Menschen anzusehen, welche sich mit ihren religiösen Vorstellungen im Irrthum befinden. Ist denn aber in diesem Irrthum gar keine Wahrheit? Wenn wir alle Jahrtausende hindurch, aus denen wir eine geschichtliche Ueberlieferung besitzen, wenn wir bei allen Naturvölkern überall dieselben religiösen Elemente: den Glauben an weissagende Träume, an die Aussprüche und transcendente Macht der Zauberer, an Fetische, an die Geister der Verstorbenen, an die Kraft der Opfer, antreffen, und wenn sich diese nämlichen Elemente auch auf höheren Stufen der Religion wieder als Momente derselben darbieten, so werden wir doch wohl eine so constante Erscheinung nicht für zufällig halten können. Der religiöse Proceß, wie er aus dem Bewußtsein und aus der Freiheit der Menschen entspringt, ist in seinem Wesen überall und zu allen Zeiten derselbe.

Mein Bemühen ging nun dahin, aus den psychologischen und ethischen Gesetzen der menschlichen Natur den wahrhaft religiösen Inhalt auch in der uns zunächst fremd erscheinenden Form der Naturreligion nachzuweisen. Das Bizarre und Groteske, das Wilde und Grause, das Dürftige und Verkommene in diesen Gestalten darf uns[434] das Princip nicht verkennen lassen, aus welchem sie hervorgehen. Unsere Missionare gehen an die Bekehrung der Naturvölker oft mit der ganz rohen und unwahren Vorstellung, im Glauben derselben nur ein Werk des Teufels zu erblicken, der sie in den Banden eines verächtlichen Aberglaubens gefangen halte.

Eine richtigere philosophische Auffassung würde ihnen ihr Geschäft sehr erleichtern. Nicht selten tauschen die Bekehrten für ihren naturalistischen Aberglauben auch nur einen andern ein, der sich den Namen des Christenthums giebt. Umgekehrt werden die Zauberer und Priester von den Missionaren in der Regel für aufgeklärte, hab- und herrschsüchtige Subjecte gehalten, welche absichtlich den Aberglauben des Volkes pflegen, im Stillen aber darüber lachen. Sie sind aber selbst in dem Glauben befangen, aus welchem heraus sie Wunder thun, und es ist ein Irrthum, sie, weil sie erfahrene und kluge Männer sind, für Betrüger zu halten. Erst im Verkehr mit Europäern bilden sich Einzelne zu solchem Jesuitismus fort.

Während ich mich nun in die elementarsten Anfänge aller Religionen versenkte, beschäftigte mich zugleich die neueste Gestalt, welche das Christenthum im Protestantismus angenommen hatte, auf das Lebhafteste. Dies war wiederum Schleiermacher's Glaubenslehre. War ich auch durch Hegel's Phänomenologie principiell von ihr losgerissen, so war sie doch zu tief in mein Gemüth eingelebt, als daß ich nicht unaufhörlich noch den Kampf mit ihr fortzusetzen gehabt hätte. War doch auch nicht Weniges in ihr, dem ich aus voller Ueberzeugung zustimmen mußte. Ich krankte noch immer an der Schönseligkeit, wie Hegel sie in dem Kapitel der Phänomenologie beschrieben hat, welches betitelt ist: »Das Gewissen, die schöne Seele, das Böse und seine Verzeihung.« Wer dies nicht gelesen hat, kann sich von der moralischen und religiösen Tiefe Hegel's gar keine adäquate Vorstellung machen. Mich hatte es im Innersten gepackt. Der Zustand, in welchem ich mich befand, war darin mit einer Klarheit geschildert, die mich zermalmte. Aber es war nicht leicht, aus ihm herauszukommen; denn es handelte sich darin um das Höchste, um die Reinheit der Gesinnung. Was die alte Persische Religion ihren Bekennern zugerufen hat, rein zu sein in Gedanke, Wort und That, das schwebte mir in dem Vorbilde[435] Christi als Ideal vor, dem gegenüber ich mich nur als einen Sünder verwerfen mußte, der bald so, bald so sich befleckt hatte. So lange ich am frühen Morgen für mich allein war, so lange ging es leidlich. Sowie ich aber im Laufe des Tages in's Handeln hineinkam, ließ ich mich bald in diese, bald in jene Schwäche und moralische Verirrung fallen, die, wie subtil sie oft sein mochten, doch der Heiligkeit widersprachen, die ich als meine Pflicht anerkennen mußte. Das Bewußt sein hierüber machte mich selbst höchst unglücklich, und ich sah ein, daß, gar nicht zu handeln, der naheliegende Ausweg war, wie Hegel ihn richtig geschildert hatte. Da aber Thatlosigkeit unmöglich war, so kam ich aus der Entzweiung immer nur relativ und momentan heraus. – Ich hatte in Heidelberg in meinem kleinen Faustdrama die schöne Seele bitter zu persifliren nicht vergessen, allein das verschlug nichts. Die Sehnsucht, mein ganzes Dasein zu einem göttlichen Kunstwerk zu machen, flammte immer wieder in mir auf. Ebenso aber hörte die Reflexion nicht auf, mir, wenn ich mich mit meinem Urbilde, mit Christus, verglich, in meiner empirischen Wirklichkeit das Zerrbild zu zeigen. Wie oft mußte ich mir mit Paulus sagen, daß ich that, was ich nicht wollte, und daß ich nicht that, was ich wollte. Der Ausdruck: schöne Seele, hat auch einen guten, positiven Sinn, in welchem, wie ich später gefunden habe, Hegel ihn auch gebraucht, dann aber das Wort: wahrhaft, hinzufügt. Am angeführten Ort hat er ihn aber unstreitig mit Anspielung auf die Bekenntnisse einer schönen Seele in Göthe's Roman von Wilhelm Meister's Lehrjahren negativ genommen, die furchtbare Seelenqual zu bezeichnen, welche dadurch entsteht, daß man, statt einfach seine Pflicht zu thun und sich an die Sache zu halten, immer in die Bespiegelung seiner Innerlichkeit zurückfällt und, um mit Hamlet zu reden, der Farbe der Entschließung die Blässe des Gedankens ankränkelt. Die große Gesinnung, mit welcher Hegel das Bekenntniß und die Vergebung des Bösen aufgefaßt hat, war ein Balsam für mein wundes Herz gewesen. Hegel zeigt, wie die Schönseligkeit die Eitelkeit in sich berge und selber böse werde. Ich mußte ihm Recht geben, daß die anhaltende polizeiliche Beschäftigung mit unsern Sünden uns in die Gefahr eines sentimentalen Pharisäismus wirft. Trotz alledem kam ich von dem Kampfe überhaupt nicht[436] los, und als Menschen können und sollen wir's auch nicht. Wir beten im Vaterunser alle Tage, daß Gott uns nicht versuchen, sondern vom Bösen erlösen wolle. Aber die Schönseligkeit als eine Abstraction von Leben und Handeln soll nicht sein. Sie soll, als Kritik, in unserem Gewissen nur ein Moment ausmachen und uns nicht mit dem Wahn einer Unfehlbarkeit theils schmeicheln, theils ängstigen. Als Schriftsteller war ich mit dem resoluten Ton aufgetreten, der aus der Ueberzeugung entspringt, daß man dem Bösen, als einem in sich selbst Nichtigen, keinen falschen Werth geben solle, aber als Mensch war ich noch in einen schönseligen Pietismus, in den härtesten Kampf meines Bewußtseins zwischen Sünde und Gnade eingetaucht.

Es ist entsetzlich, daß die empirische Existenz des Bösen nie wieder ungeschehen gemacht werden kann und mit ihren Folgen in alle Zukunft fortwirken muß. Es ist noch entsetzlicher, daß das Böse, was wir gethan, von uns nie vergessen werden kann. Es ist daher das einzige Glück, daß wir das Böse geistig zu vernichten, d.h. zu bereuen und daß Andere, welche wir dadurch gekränkt, uns unsere That vergeben vermögen. Die christliche Kirche erklärt sogar den Zweifel an der Möglichkeit der Vergebung der Sünden selber für Sünde.

Als nun Schleiermacher 1830 seine Glaubenslehre auf's Neue herausgab, erbat ich mir von der Redaction der Berliner Jahrbücher für Kritik ihre Beurtheilung. Ich wollte, was mich so tief bewegte, öffentlich im Kampf mit Schleiermacher selber zur Sprache bringen und hoffte dadurch in meiner Selbstbefreiung einen großen Schritt vorwärts zu thun. Damals war mir dieser Schritt so natürlich, daß ich gar nicht daran dachte, wie vermessen es von mir war, mit dem großen Schleiermacher mich in einen Kampf einzulassen. Im Gegentheil erwartete ich sehnlichst eine Replik von ihm, wie herbe sie auch ausfallen mochte. Ich nahm übrigens die Gelegenheit wahr, ein möglichst vollständiges Bild von Schleiermacher aufzustellen, um die Entstehung seiner Glaubenslehre genetisch nachzuweisen. Dies mit Liebe ausgeführte literarische Bild des trefflichen Mannes hat auch jetzt noch seinen Werth und hat, seit ich meine Kritik 1836 in einem Sonderabdruck habe erscheinen lassen, vielen ähnlichen Schilderungen den Weg gebahnt.[437]

Weder Schleiermacher, noch einer seiner Schüler haben meine Kritik widerlegt. –

Ich war in den Berliner Jahrbüchern 1829 zuerst mit einer Kritik über eine Apolegetik des Professors und Consistorialraths Sack in Bonn aufgetreten. Ich hatte Glück damit gehabt. – Alle ersten Schritte sind für uns von größter Wichtigkeit. – Man vertraute mir Schleiermacher's Glaubenslehre an. Nach Allem, was ich früher über die Stellung von Schleiermacher und Hegel an der Berliner Universität gesagt habe, wird man mir wohl zugeben, daß meine Kritik eine für Hegel und seine Philosophie entscheidende Bedeutung hatte. Die psychologische Analyse, die ich vom Wesen des Gefühls machte, mußte hier den Ausschlag geben, weil Schleiermacher's Standpunkt der des Abhängigkeitsgefühls war. In Betreff der einzelnen Dogmen hätte ich ebenfalls den psychologischen Unterschied von Vorstellung und Gedanke zum leitenden Kriterium machen sollen, fiel aber mehr in's Dogmatische, weil Schleiermacher auf dem Titel seines Buches von den Grundsätzen der evangelischen Kirche auszugehen behauptete. Als Schleiermacher auf Veranlassung der Feier der Uebergabe der Augsburger Confession 1830 in einen Streit über die Bekenntnißtreue der Geistlichen gerieth, beurtheilte ich denselben ebenfalls in den Jahrbüchern. Jetzt wundere ich mich, daß ich auch hier nicht auf jenen Unterschied als den eigentlichen Grund des ganzen Streites, zurückging. Schleiermacher hatte behauptet, daß ein Geistlicher die Symbole einer Kirche recitiren könne, ohne von ihrer Wahrheit überzeugt zu sein, indem er sich sagen müsse, Worte zu verlesen, die für ihn gar keinen Sinn hätten. Er handle hier nur als ein von der Gemeinde zu einem liturgischen Act Beauftragter, der privatim eine ganz andere Meinung haben könne. Ja, er ging so weit, die Aufstellung eines Symbols überhaupt zu verwerfen.

Seine Freunde wandten gegen ihn ein, daß sein Indifferentismus gegen die Bekenntnißschriften einer Gemeinde zuletzt den Protestanten berechtigen würde, bei den Katholiken Messe zu lesen.

Die Lage der Dinge war und ist hier in der That eine schwierige. Die Union hat die schroffe Entgegensetzung der Lutherischen und reformirten Kirche aufgehoben, aber noch keine neue, positive Einheit derselben hervorgebracht, die sich in einem Symbol hätte darstellen müssen.[438] An die Stelle eines solchen war die königliche Agende getreten. Wie ich dies liturgische Werk ansah, habe ich früher berichtet. Nachdem sie so großen Erfolg gehabt, begriff ich, daß sie ein Bedürfniß befriedige. Sie war der Ausdruck der gemeinschaftlichen Indifferenz der beiden Confessionen. Auch Schleiermacher, der sie als Pacificus sincerus kräftig bekämpft hatte, konnte ihre historische Berechtigung nicht mehr leugnen, stieß sich nun aber an die Aufnahme des Apostolischen Symbolums in dieselbe, weil er hier die Empfängniß Christi durch den heiligen Geist und die Höllenfahrt Christi mit seiner Theologie unvereinbar fand. Hier müsse der Geistliche etwas öffentlich aussprechen, was er gar nicht verstehe. Ich behauptete nun, daß man sich bei jenen Worten sehr wohl eine Idee denken könne, welche dem Begriff des Christenthums nicht widerspräche. Ich gab dabei Schleiermacher zu, daß meine Auslegung eine allegorische sei, da ich so wenig wie er dabei an eine sinnliche Thatsache denken könne. Christus, der eingeborene Sohn Gottes des Vaters, lehrt ausdrücklich, daß der heilige Geist von dem Vater und von ihm zugleich ausgehe, und hier wird er – der heilige Geist – als derjenige vorgestellt, der ihn im Schooß Maria's hervorbringt. Wir sehen, wie der Anstoß, den Schleiermacher genommen, bis auf unsere Tage, bis auf Lisco und Sydow in Berlin, fortdauert. Aber er wird auch weiterhin fortdauern, weil die Vorstellung der Phantasie zwar nicht dem Inhalt, wohl aber der Form nach, dem Begriffe widerspricht. Die Orthodoxie will die sinnliche Thatsache retten, welche für die Religion gar keinen Werth hat. Sie ist in diesem Punkt von äußerster Reizbarkeit. Das Aufgeben des Glaubens an den sinnlichen Vorgang scheint ihr ein Aufgeben des Glaubens an die Wahrheit selber zu sein. Hier wird es noch vielen Kampf kosten, die Denk- und Gewissensfreiheit der protestantischen Kirche mit der Tradition auszusöhnen, denn das Apostolische Symbolum, obwohl es keineswegs von den Aposteln herrührt und erst später in Umlauf gekommen ist, würde nie kanonisch geworden sein, wenn es nicht den Cyklus der ursprünglichen Vorstellungen der Christen in eine für die Phantasie allgemein faßliche Form zusammengefaßt hätte.

Wie oft sollte ich in meinem Leben noch dem Dualismus der Phantasie und des Verstandes auf dem religiösen Gebiet begegnen![439] In Halle selber hatte ich damals an Tholuck interessante Erfahrungen darüber zu machen. Tholuck war ein Jahr lang in Rom interimistischer Prediger bei der dortigen Gesandtschaft gewesen. Er hatte sich in dieser Zeit außerordentlich fortgebildet. Ich erregte seine Aufmerksamkeit. Er besuchte zuweilen mein Collegium über Religionsphilosophie, lud mich öfter zu sich ein und holte mich auch einige Male zu Spaziergängen ab. Hier kam es bald zum theoretischen Bruch zwischen uns, denn persönlich sind wir einander nie feindselig entgegengetreten, und bei meinem Fortgang von Halle habe ich ihm meinen freundschaftlichen Abschiedsbesuch gemacht. Es ist bekannt, wie Tholuck auch für Scherz und Witz empfänglich, wie witzig er selber war und wie glücklich er dahin strebte, der Unterhaltung stets einen anregenden, geistlich oder gemüthlich fruchtbaren Inhalt zu geben. Sein Studium der Persischen Mystiker, von denen er so treffliche Uebersetzungen gegeben, führte uns häufig auf den Pantheismus und auf das Verhältniß der Hegel'schen Philosophie zu demselben. Eines Tages aber, als wir auf der Merseburger Chaussee einherwanderten, bediente ich mich des Ausdrucks, vom alten Protestantismus zu sprechen. Tholuck fragte mich, was ich denn für den neuen hielt? Nun rückte ich kurzweg mit dem Bekenntniß vor, daß ich denjenigen Protestantismus den neuen nenne, der weder an Wunder, noch an Engel und Teufel glaube. Tholuck blieb sofort bei dem letzteren stehen und wir geriethen nun in eine lebhafte Controverse, welche die zwischen unserem Glauben bestehende Kluft bloß legte, so daß wir an eine weitere Verständigung nicht denken konnten. Tholuck erklärte sich für das unbedingte Festhalten an der Confessio Augustana. Wir gingen nicht wieder zusammen spazieren. Wir disputirten auch nicht mehr, wenn wir uns einmal zufällig, z.B. beim Abendessen in der Montagsgesellschaft, trafen.

Tholuck gab auch einen Literarischen Anzeiger heraus, für welchen er meine Betheiligung dringend wünschte. Ich gab ihm eine Kritik von Friedrich Schlegel's Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte, die ihm zusagte, weil ich darin gegen Schlegel's reformationsfeindlichen Katholicismus Front machte. Hierauf bat er mich um eine Kritik der zweiten Ausgabe der Logik von Heinrich Ritter. Ich übernahm sie. Er schickte aber meine Recension an Ritter, mit dem er befreundet war,[440] zu hören, ob er nicht Einwendungen dagegen zu machen habe. Natürlich hatte er sie zu machen. Tholuck theilte mir die mit Randglossen beschriebene Recension wieder mit, Remeduren vorzunehmen. Dazu konnte ich mich nicht verstehen. Die Recension blieb ungedruckt und ich schrieb nichts weiter für den Anzeiger.

In Halle war damals die ganze Atmosphäre von theologischen Interessen inficirt. Mein vorzüglichstes Collegium war und blieb dort die Religionsphilosophie. Nur langsam ging ich dazu fort, auch ein Collegium über allgemeine Geschichte der Philosophie zu versuchen, und erst im Sommer 1833 gelangte ich dazu, auch die Aesthetik in Angriff zu nehmen. Die Gegenstände, welche ich für die Berliner Jahrbücher behandelte, betrafen ebenfalls – mit Ausnahme einiger auf die altdeutsche Literatur bezüglichen – die speculative Theologie, und so ist es denn wohl erklärlich, daß ich darauf verfiel, eine Encyklopädie der theologischen Wissenschaften zu verfassen und 1832 herauszugeben.

Schon der Titel verräth, daß ich damit ein Seitenstück zu Hegel's Encyklopädie der philosophischen Wissenschaften liefern wollte. – Ich staune jetzt in meinem Alter auch über diese Kühnheit, aber damals schien mir nichts natürlicher und nothwendiger. Wenn ich mich einmal in eine Idee verloren hatte, so verschwand bei mir jede äußere Rücksicht. Das Neue meiner Arbeit bestand darin, daß ich die gesammte Theologie ihrem Inhalt nach als ein organisches Ganze darzustellen versuchte und die einzelnen Wissenschaften nicht blos, wie man zu thun pflegte, methodologisch und literar-historisch besprach. Das war nun zwar einerseits keine ganz geringe Leistung, andererseits aber, für den pädagogischen Zweck der Encyklopädie, eine ganz ungeschickte Auffassung. Nichtsdestoweniger machte das Buch durch seine Frische und seinen Freimuth eine gewisse Epoche. Ich habe 1845 eine zweite Ausgabe davon veranstaltet, die im Inhalt wie in der Form viel gediegener und worin namentlich die speculative und die praktische Theologie ganz umgearbeitet ist; allein sie hat trotzdem nicht den Erfolg der ersten gehabt, welche von dem Protestanten Pelt und dem Katholiken Staudenmaier nachgeahmt wurde. Als ein literarisches Curiosum will ich erwähnen, daß David Strauß in den Berliner Jahrbüchern mein Recensent wurde. Dies erste kritische Debut Strauß' zeigte schon die[441] ganze Weite und Tiefe seiner Richtung und markirte schon leise die Punkte, wo wir später auseinandergehen würden. – Tholuck konnte nun schwarz auf weiß lesen, was ich unter dem neuen Protestantismus dachte, denn ich hatte in meinem Buche gleichsam ein motivirtes Bekenntniß desselben abgelegt.

So hatte ich mich nun durch die Arbeit über die Geschichte der Deutschen Poesie im Mittelalter von der Romantik meiner Jugendträume, durch die theologische Encyklopädie aber von der Romantik der Theologie befreit und vermochte nunmehr um so unbefangener und selbstbewußter mich der philosophischen Wissenschaft zuzuwenden, wie dies auch in der Erweiterung des Kreises meiner Vorträge zur Erscheinung kam. Wenn es gewöhnlich ist, daß junge Docenten der Philosophie mit dem Vortrag der Logik, auch wohl der Psychologie, anfangen, so habe ich einen ganz umgekehrten Weg der Bildung genommen. Ich begann von den höchsten Gebieten her. Religion, Ethik, Geschichte der Philosophie, Aesthetik, folgten sich bei mir im Laufe von fünf Jahren, und erst in Königsberg ging ich, weil mein Amt es forderte, zur Logik und Psychologie über.

Quelle:
Rosenkranz, Karl: Von Magdeburg bis Königsberg. Leipzig 1878, S. 404-442.
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