Lehre der Naturphilosophie vom Magnetismus.
(Zusatz zum fünften Kapitel.)

[260] Da in dem Zusatz zum vorhergehenden Kapitel sehr viele Punkte der Lehre vom Magnetismus mit berührt worden sind, so beschränken wir uns hier auf die Angabe der hauptsächlichsten derselben, welche folgende sind:

1. Der Magnetismus ist der allgemeine Akt der Beseelung, Einpflanzung der Einheit in die Vielheit, des Begriffs in die Differenz. Dieselbige Einbildung des Subjektiven ins Objektive, welche im Idealen, als Potenz angeschaut, Selbstbewußtsein ist, erscheint hier ausgedrückt in dem Sein, obgleich auch dieses Sein an sich betrachtet wieder eine relative Einheit des Denkens und des Seins ist. Die allgemeine Form der relativen Einbildung der Einheit in die Vielheit, ist die Linie, die reine Länge; der Magnetismus ist daher Bestimmendes der reinen Länge, und da diese am Körper sich durch absolute Kohäsion äußert, der absoluten Kohäsion.[260]

Durch den Magnetismus ist jeder Körper Totalität in bezug auf sich selbst, und seine beiden Pole die notwendigen Erscheinungsweisen der beiden Einheiten des Besondern und Allgemeinen, sofern sie auf der tiefsten Stufe des Seins als differenziert zugleich und als indifferenziert erscheinen. Vermöge der Schwere ist der Körper in der Einheit mit allen anderen, durch den Magnetismus hebt er sich heraus, faßt sich in sich selbst als besondere Einheit: Magnetismus ist demnach die allgemeine Form des Einzelnen in sich selbst zu sein.

2. Es geht aus dieser Ansicht von selbst hervor, daß der Magnetismus eine allgemeine Bestimmung und Kategorie der Materie sei, daß er also nicht einem einzelnen Körper ausschließlich eigentümlich, sondern allen sich individuierenden und individuierten Körpern gemein sein müsse. Dies ist eine der ersten Lehren der Naturphilosophie, die im Entwurf des Systems dieser Wissenschaft (I, III, 254 d. O. A.) so ausgedrückt ist: »Der Magnetismus ist so allgemein in der allgemeinen Natur, als die Sensibilität in der organischen, die auch der Pflanze zukommt. Aufgehoben ist er in einzelnen Substanzen nur für die Erscheinung; in den sogenannten unmagnetischen Substanzen verliert sich bei der Berührung unmittelbar in Elektrizität, was bei den magnetischen noch als Magnetismus unterschieden wird, sowie bei den Pflanzen unmittelbar in Zusammenziehungen sich verliert, was beim Tier noch als Sensation unterschieden wird. Es fehlt also nur an den Mitteln, um den Magnetismus der sogenannten unmagnetischen Substanzen zu erkennen usw.«

Auch diese Mittel sind jetzt gefunden; Coulomb hat zuerst diese Schranken auch für die Erscheinung durchbrochen. Es ist unterhaltend genug, daß es Leute gegeben hat, die gegen diese allgemeine Ansicht des Magnetismus und Konstruktion derselben als notwendiger Kategorie der Materie92 den Einwurf vorbrachten: nach dieser Ansicht müßten alle starren Körper überhaupt magnetisch[261] sein, wogegen doch die Erfahrung streite. Dieselbige Erfahrung streitet nun durch Coulomb dagegen, daß nicht alle starren Körper magnetisch seien.

Nach seiner Versicherung ist noch keiner der bisher untersuchten Körper dem Einfluß großer magnetischer Stäbe entgangen, nur daß die Wirkung bei einigen Körpern so gering ist, daß sie bis jetzt den Augen der Physiker entging. Coulomb gab jedem der untersuchten Körper die Gestalt eines kleinen zylindrischen Stäbchens, und in diesem Zustand hing er sie wagrecht an einen Faden roher Seide auf, und brachte sie zwischen zwei entgegengesetzte Pole von zwei Stahlmagneten. Die Wirkung war (bei einer Länge dieser Stäbchen von 7-8 Millimetern und einer Dicke von 3/4 Millimeter) bei nicht metallischen Körpern (denn bei den metallenen wurde sie noch ums Dreifache vermindert), daß, wenn die entgegengesetzten magnetischen Pole voneinander um 5 bis 6 Millimeter weiter entfernt waren, als die Länge der Nadel betrug, welche zwischen ihnen schwingen sollte, die Nadeln jedesmal, sie mochten sein von welchem Stoffe sie wollten, sich genau in die Richtung der beiden Magnetstäbe begaben, und, aus dieser Richtung gebracht, durch mehrere Oszillationen (oft über 30 in einer Minute) in die vorige Richtung zurückkehrten.

3. Da sich alle Ursachen, wodurch der Magnetismus eines Körpers, unter dem Einfluß des Erdmagnetismus, verstärkt wird, ebenso wie diejenigen, wodurch er zerstört werden kann, offenbar und ohne Mühe auf solche, welche die Kohäsion affizieren, zurückbringen lassen, so wäre es unnötig, hierüber noch etwas insbesondere zu bemerken, sowie dagegen

4. die Abweichungen der Magnetnadel und andere Eigentümlichkeiten ihrer Bewegungen nur in dem Zusammenhang der allgemeineren Ansicht des Planetensystems, der Achsendrehungen und anderer allgemeiner Bewegungen eingesehen werden können.[262]

92

In der Einleitung zum Entwurf der Naturphilosophie S. 75 (des Erstdruckes 1799) [unten S. 733] und in der Abhandlung: Allgemeine Deduktion des dynamischen Prozesses oder der Kategorien der Physik in der Zeitschrift Bd. I, Heft 1, 2 (unten S. 739 ff.).

Quelle:
Friedrich Wilhelm Joseph von Schelling: Werke. Band 1, Leipzig 1907, S. 260-263.
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