Altasien

Aufgaben und Methoden

[104] Der Plan zu diesem Buche geht davon aus, daß es eine Reihe von Werken eröffnen soll, welche geschichtliche Probleme Asiens behandeln. Infolgedessen halte ich es für richtig, hier nicht die bisherigen Ergebnisse zusammenzufassen, was den folgenden Schriften vorbehalten bleiben muß, sondern den ganzen Komplex von halb oder gar nicht gelösten Fragen, neuen Methoden, überraschenden Ausblicken und Zielen zu entwickeln, so daß die künftige Forschung ihr Feld wenigstens in großen Umrissen überblicken kann. Deshalb werde ich meine eigene Meinung zurücktreten lassen, um gerade die Vielzahl der herrschenden Meinungen in ihrer ganzen Bedeutung herauszustellen.

A. Im ersten Kapitel würde die primitive Kultur des ältesten Asien darzulegen sein. Die Begriffe Altertum, Mittelalter und Neuzeit verschwinden dabei völlig am westlichen Horizont. In diesem Zeitalter beginnen sich langsam einige große Kulturkreise abzuklären.[105]


  • 1. Der urnordische Strich von Skandinavien bis Korea, der seelisch in den indogermanischen und altaischen Fragen längst hervorgetreten ist und dessen innere Einheit sich wohl als größer herausstellen wird, als man heute noch glaubt. Sobald man über den Sprachenwechsel, die Veränderungen der Rasse und die geographische Verschiebung der Völkernamen hinaus zu inneren Kulturformen vordringt, ergibt sich aus den Bodenfunden, Gräbern, Ornamenten und Sitten eine dauernde und ausgeprägte Einheit.
  • 2. Der Südostkreis: Vom mittleren China und Birma sich bis nach Polynesien erstreckend und ebenso entschieden an das Meer gebunden wie der erste an das Binnenland. Hier tauchen die Fragen vorgeschichtlicher Seewege nach Ostafrika (Madagaskar, über Südarabien) und Amerika (Peru, Guanacaste) auf, welche mit den Meeresströmungen und Passatwinden zusammenhängen. Hier nähern wir uns auch dem Augenblick, wo die indische Forschung, die sich bis jetzt auf Philologie und Literaturanalyse beschränkte, deren Ergebnis mit den Schichten der Bodenfunde aus Stein- und Bronzezeit vergleichen kann und muß. Erst damit würde die indische Geschichte des 2. vorchristlichen Jahrtausends auf eine feste und wahrscheinlich ganz neue Grundlage gestellt werden.
  • 3. Der Westkreis, der die Gebiete vom Nil bis zum Indus umfaßt und, wie es scheint, im 4. Jahrtausend eine große Einheit zeigt, welche auf eine gemeinsame südliche Herkunft der ägyptischen und babylonischen Kultur Licht zu werfen beginnt.

In allen drei Kreisen würden die uralten, ewigen Verkehrsbahnen zu untersuchen sein, teils längs der Küsten (Ursprung der Schiffahrt), teils durch die großen Lichtungen der binnenländischen Waldmassen und Gebirge (Entstehung des Wagens). Diese Straßen entstehen als Handelsbahnen vor allem für Metalle, Bernstein und kostbare Waffen; einmal entdeckt und in Gebrauch genommen, leiten sie auch die Völkerwanderungen, die sich so vorwärtstasten müssen, daß die Gefahr des Verhungerns oder Verirrens vermieden wird.

B. Gegen Ende des 4. Jahrtausends beginnen die beiden frühesten Hochkulturen am Nil und Euphrat, wahrscheinlich auf einem gemeinsamen steinzeitlichen Unterbau mit einer Entwicklungsrichtung, die vom Süden her zum Mittelländischen und Schwarzen Meere dauernd fortzuwirken scheint. Vom Ende des 3. Jahrtausends an wird eine Ausstrahlung reifer Formen (Mythus, Himmelskunde, Technik, Wirtschaft, Bewaffnung, Kunst?) längs der alten Handelsbahnen bemerkbar, sicherlich einerseits bis zum Sudan, andererseits bis zum hohen Norden und Osten hin.

C. Mit dem Altwerden dieser beiden Kulturen tritt ganz Asien um die Mitte des 2. Jahrtausends in ein Zeitalter mächtiger Umwälzungen ein. Eine große Bewegung erfolgt aus dem Nordkreis allenthalben nach Süden:


Das Pferd; die ganz neue Beweglichkeit kleiner kriegerischer Stämme; Lust an Abenteuern, Ritterlichkeit, Weltanschauung einer Herrenschicht, die sich gleichzeitig in den alten Clanen,[106] der indoiranischen Ritterschaft, dem homerischen Heldentum zu großen Formen entwickelt.

  • 1. In der Westwelt verschwindet die Allmacht der beiden ältesten Kulturen in der Kassiten- und Hyksoszeit; Seevölker, die Eroberer mit den indischen Mitanninamen; Zusammenbruch der kleinasiatischen Staatenwelt, des minoischen Reiches. Neue Art von Kriegen und Kriegszielen: eine Umwälzung wie die der Völkerwanderung auf dem Roden des römischen Reiches.
  • 2. Im Süden das gleiche Ereignis zu gleicher Zeit: Einbruch der vedischen Stämme in die schon bronzezeitliche dravidische Welt.
  • 3. Im Osten beginnt die Dschouzeit in einem kleinen Gebiet Nordchinas, im Stil der Ereignisse den beiden anderen durchaus verwandt. Auch die Dschou kommen tief aus dem Binnenlande; auch mit ihnen beginnt die Feudalzeit. Ich halte die ganze angebliche Geschichte Chinas vor 1500 für spätere Konstruktion. Die »Kaiserdynastien« mit echten Namen von Herrschern sind ohne Zweifel wie in Babylon und Ägypten aus nebeneinander regierenden Fürstenhäusern in eine Folge von Dynastien verwandelt worden.

D. Diese gleichartigen Entwicklungen müssen bis etwa 300 v. Chr. herabgeführt werden. Zwischen ihnen besteht aber noch die Brücke der mittelasiatisch-skythischen Bevölkerung; eine Menge dunkler Fragen über die Schicksale dieses ungeheuren Bereichs von der Donau bis zum Amur und Bramahputra. Was für Rassen? Was für Sprachen? Was für wechselnde Zusammenfassungen in Völkerschaften? Skythen, Kimmerier (Tataren?), Tocharer, Hunnen?

E. Seit dem 4. vorchristlichen Jahrhundert die drei großen Zivilisationen, weithin ausstrahlend und ebenso gegenseitig empfänglich für fremdartige Reize (Bild der hellenistischen, indischen, chinesischen Großstädte). Dabei ein Vorwiegen der westöstlichen Richtung.[107]


  • 1. Die spätantike Welt, die Trümmer des uralten Ägypten und Babylonien überflutend; Alexander; Gandharakunst, hellenistische Reiche in Baktrien; Schöpfung des plastischen Buddhatypus. Wirkungen bis nach China hin.
  • 2. Auf syrisch-arabischem Boden die neue Kultur magischen Stils, mit Völkerformen von religiöser Prägung und einem Anflug hellenistischer Fassung. Ausbreitung der christlichen, jüdischen, manichäischen, mazdaischen Lehren und Völker (beides als Einheit!) vorwiegend nach Osten; immer wieder die alte große Gräberstraße der nordischen Steinzeit, längs welcher die chinesischen Kaiser ihre große Mauer ziehen, welche die römischen Kaiser in Europa gewissermaßen fortsetzten. Der alte Nordkreis wird damit auf Jahrhunderte abgeschnürt.
  • 3. Dem Hellenismus entsprechend von Indien aus eine weniger plastische und optische als weichlich-rhythmische Formenwelle unter Führung des Buddhismus. Wirkung indischer Ornamentik, auch der geistigen, auf den Osten und Südosten bis nach Japan und Java hin.
  • 4. Gleichzeitig eine Ausstrahlung chinesischer Zivilisation aus dem Stammgebiet am Hoangho über den Jangtsekiang hinaus bis nach Polynesien, mit Spuren vielleicht ins Innere Amerikas.
  • 5. Aber nun eine gegenläufige Welle: Das chinesische Imperium erweist sich als stärker als das römische. Längs der steinzeitlichen Gräberstraße versuchen die Menschen des Nordkreises in die reichen Welten des Südens vorzubrechen. Die von den Hunnen eingeleitete altaisch-germanische Völkerwanderung, an den Grenzen Chinas abgewiesen, setzt sich nach Westen in Bewegung und durchbricht den Grenzwall der römischen Welt. Eindringen primitiverer Formen und Anschauungen in das Sassanidenreich (schon die Parther?), nach Ostrom, endlich in breiter Welle durch die mit Asiaten gemischten Germanenstämme bis nach Spanien und Marokko. Die Bewegung zum Teil vorbereitet durch die magische Religionspropaganda (Manichäer in Südfrankreich, Montanisten in Nordafrika, Arianer durch die am Don wohnenden Ostgoten nach Italien). Untrennbarkeit germanischer und mittelasiatischer Form in der sogenannten Völkerwanderungskunst, ebenso innere Verwandtschaft des Holzbaues von Skandinavien und Rußland bis Nordchina und Korea. Es sind die uralten Formen des Nordkreises.

F. Abschluß.[108] Im äußersten Westen eine neue Kultur auf dem Unterbau der Ergebnisse der Völkerwanderung. In Vorderasien Abschluß der magischen Kultur durch die zusammenfassende Kraft des Islam in seiner endgültigen Form des 8. und 9. Jahrhunderts. Neue gewaltige Religionsstürme, welche den Islam nach Spanien, dem Sudan, Indien und China tragen und die älteren Religionen großenteils in ihm aufgehen lassen. Abschluß im Kalifenreich.

Als letztes großes Ereignis, welches das heutige Bild Asiens geschaffen hat, der Mongolensturm unter Dschingiskhan, ein Ereignis, dem wahrscheinlich seit Jahrtausenden ähnliche voraufgegangen sind, von denen wir nur die Wirkungen, nicht die Ursachen erkennen (Kimmerier, mittelasiatische Stämme, welche die Indo-Arier und mykenischen Völker in Bewegung gesetzt haben?). Der Mongolensturm bringt die Mongolenherrschaft in Indien, die Fremddynastien Ostasiens, die Sultanate im Westen, die Khanate in Rußland zur Entwicklung. Asien wird endgültig ein mit Kulturruinen übersätes Gebiet unter wechselnden Machthabern, während sich im fernsten Westen ein großes historisches Geschehen vorbereitet.


Dieser Überblick hat in der geplanten gedrängten Form nur dann einen Sinn, wenn alle Einzelfragen durch die folgenden Bände aufgenommen und von dem Stande unseres Wissens aus beleuchtet werden. Auch hier müssen die einzelnen Probleme durch eine kleine vorsichtige Auswahl von Bildern und Karten verdeutlicht werden.

Quelle:
Oswald Spengler: Reden und Aufsätze. München 1937, S. 104-109.
Lizenz:
Ausgewählte Ausgaben von
Reden und Aufsätze
Reden und Aufsätze

Buchempfehlung

Lessing, Gotthold Ephraim

Philotas. Ein Trauerspiel

Philotas. Ein Trauerspiel

Der junge Königssohn Philotas gerät während seines ersten militärischen Einsatzes in Gefangenschaft und befürchtet, dass er als Geisel seinen Vater erpressbar machen wird und der Krieg damit verloren wäre. Als er erfährt, dass umgekehrt auch Polytimet, der Sohn des feindlichen Königs Aridäus, gefangen genommen wurde, nimmt Philotas sich das Leben, um einen Austausch zu verhindern und seinem Vater den Kriegsgewinn zu ermöglichen. Lessing veröffentlichte das Trauerspiel um den unreifen Helden 1759 anonym.

32 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Frühromantik

Große Erzählungen der Frühromantik

1799 schreibt Novalis seinen Heinrich von Ofterdingen und schafft mit der blauen Blume, nach der der Jüngling sich sehnt, das Symbol einer der wirkungsmächtigsten Epochen unseres Kulturkreises. Ricarda Huch wird dazu viel später bemerken: »Die blaue Blume ist aber das, was jeder sucht, ohne es selbst zu wissen, nenne man es nun Gott, Ewigkeit oder Liebe.« Diese und fünf weitere große Erzählungen der Frühromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe ausgewählt.

396 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon