I

[48] Am letzten Tage der Schlacht von Liaoyang gingen Schwärme japanischer Infanterie, die eben erst aus der Heimat eingetroffen waren, gegen eine furchtbare russische Batteriestellung vor.

Die gelbe Ebene brannte. Vom stauberfüllten Morgen an wütete der Kampf weithin in der langsam steigenden Glut eines Hochsommertages. Immer wieder drangen Reihen der kleinen tapferen Wesen, hingetragen von einem zähen Willen zum fast schon erstrittenen Siege, auf die brüllenden, rauchumwogten Geschütze ein, in denen der russische Zorn sich gesammelt hatte.

Eine blinde Hand besäte die Ebene mit Hügeln regungsloser oder zuckender Körper. Die tiefen Gräben füllten sich, schweigend gleichsam, wenn auch der blutige Boden bebte und Schreie die Luft durchgellten. Und in das letzte schwindende Bewußtsein der Fallenden drang der Gedanke, mit dem Leib eine Brücke wenigstens dem Ziele zu gebaut zu haben.

Und es ward Mittag. Die Ebene glühte. Ein totes Auge stand die Sonne hoch im Dunst. Unten aber, weithin über die zertretenen Felder, dröhnte, funkelte, lief und schrie es weiter. Der kleinen Kämpfer waren wenige geworden. Da gingen die russischen Massen noch einmal vor, finster und schwer. Ein hochgewachsener Offizier mit einem Ausdruck trostlosen Ernstes in jeder Bewegung des Armes und der Miene erblickte dort, wo die Gefallenen am dichtesten lagen, plötzlich einen kleinen Soldaten vor sich, der staubig bis zur Mütze hinauf, atemlos, schwitzend und eifrig allen anderen voranlief. Er war nicht stark und das Gewehr zitterte in der mageren Hand, aber etwas leuchtete in seinen Augen, etwas Unergründliches, Schreckendes. Ein verzweifelter Schmerz verzog das faltige Gesicht, als sie zurück mußten und das dröhnende Geschütz wieder in die Ferne wich. Er hatte den Großen erblickt. In ihm schien sich der gesamte Feind, ganz Rußland, die ganze andre Hälfte der Menschheit verdichtet zu haben.[48] Es ward wie ein Zweikampf aus der Ferne zwischen den beiden, die einander nie gesehen hatten und sich jetzt, Säbel gegen Bajonett, allein sahen, während rings unter dem tiefen Blau eines wolkenlosen Himmels die Ebene mit ihrer ungeheuren Schlacht als Zuschauerin wartend lag. Und im Bewußtsein wuchs beiden das Gefühl, daß im Fall des andern das Schicksal der ganzen Welt beschlossen sei. Der Große blutete, aber er ging langsam weiter vor und zog dichte dunkle Schwärme hinter sich her. Sie hatten schon den ersten der Gräben erreicht, welche die kleinen Helden vom frühen Morgen an mit ihren Leibern gefüllt hatten; da faßte den zu Tode erschöpften Soldaten etwas wie heiße Angst, Angst um alles, was tief in seiner Seele und der Weite ringsum auf dem Spiele stand. Mit wilden Schreien faßte er die andern zusammen, die längst alle Offiziere verloren hatten. Er weckte sie, er rüttelte sie auf.

Und so wild war der Angriff, daß die Linie drüben sich löste und zurückbog. Der Kleine aber führte, ohne daß jemand sich darüber wunderte, und er ahnte stolz, wie jedes Auge an seinen Schritten hing.

Quelle:
Oswald Spengler: Reden und Aufsätze. München 1937, S. 48-49.
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