Erstes Kapitel
Ueber die Weissagung.

[15] Weissagung oder Offenbarung ist die von Gott dem Menschen geoffenbarte sichere Erkenntniss einer Sache. Prophet ist aber Der, welcher das von Gott Offenbarte Denen erklärt, welche keine sichere Kenntniss der von Gott geoffenbarten Dinge haben können, und die deshalb mit dem blossen Glauben die Offenbarungen aufnehmen müssen. Der Prophet heisst bei den Juden Nabi, d.h. Redner und Dolmetscher; aber in der Bibel gilt er immer als Dolmetscher Gottes, wie aus Exod. VII. 1. erhellt, wo Gott dem Moses sagt: »Siehe, ich bestimme Dich zu dem Gott des Pharao, und Dein Bruder Aaron wird Dein Prophet sein;« als wenn Gott sagte: Weil Aaron durch Verdolmetschung dessen, was Du sagst, an Pharao das Amt eines Propheten übernimmt, wirst Du gleichsam der Gott des Pharao sein, oder Der, welcher Gottes Stelle vertritt.

Ueber die Propheten werde ich in dem nächsten Kapitel handeln; hier aber über die Weissagung. Aus ihrer obigen Definition erhellt, dass die Weissagung eine natürliche Erkenntniss genannt werden kann. Denn das, was wir mit dem natürlichen Licht erkennen, hängt blos von der Erkenntniss Gottes und seinem ewigen Rathschluss ab. Allein da diese natürliche Erkenntniss allen Menschen gemein ist und von den allen Menschen gemeinsamen Grundlagen abhängt, so wird sie von der Menge, die immer nach dem Seltenen und Unnatürlichen strebt und die natürlichen Gaben verachtet, nicht hochgeschätzt, und deshalb soll sie von der prophetischen Erkenntniss[15] verschieden sein. Die natürliche Erkenntniss kann jedoch mit gleichem Rechte, wie jede andere, eine göttliche heissen, da Gottes Natur, soweit wir daran Theil haben und Gottes Rathschluss uns diese Kenntniss gleichsam mittheilt, und sie von der, welche allgemein als die göttliche gilt, nur darin sich unterscheidet, dass letztere Über die Grenzen der natürlichen hinausgeht, und dass die Gesetze der menschlichen Natur für sich nicht ihre Ursache sein können. Allein rücksichtlich der Gewissheit, welche der natürlichen Erkenntniss beiwohnt und der Quelle, aus welcher sie sich ableitet, nämlich von Gott, steht sie in keiner Weise der prophetischen Erkenntniss nach, es müsste denn Jemand meinen oder vielmehr träumen, dass die Propheten zwar einen menschlichen Körper, aber keine menschliche Seele gehabt, und dass deshalb ihr Wahrnehmen und Wissen von ganz andrer Natur wie das unsrige gewesen sei.

Allein wenn auch das natürliche Wissen göttlich ist, so können doch die Verbreiter desselben keine Propheten genannt werden; denn das, was Jene lehren, können die übrigen Menschen mit gleicher Gewissheit und Selbstständigkeit wie Jene erfassen und aufnehmen; des blossen Glaubens bedarf es dazu nicht. Da mithin unsere Seele dadurch allein, dass sie Gottes Natur gegenständlich in sich enthält und an derselben Theil nimmt, die Macht hat, Begriffe zu bilden, welche die Natur der Dinge darlegen und die Einrichtung des Lebens lehren, so kann mit Recht die Natur der Seele in diesem Sinne als die erste Ursache der göttlichen Offenbarung gelten; denn Alles, was wir klar und deutlich einsehen, theilt uns, wie gesagt, die Idee und Natur Gottes mit; zwar nicht durch Worte, aber auf eine viel bessere Weise, die mit der Natur der Seele vortrefflich übereinstimmt, und Jeder, der die Gewissheit des Verstandes gekostet hat, hat unzweifelhaft die eigne Erfahrung davon gemacht. Dies Wenige über das natürliche Licht mag hier genügen, da meine Absicht in dieser Schrift nur auf das gerichtet ist, was die Bibel allein betrifft. Ich gehe deshalb zu den Ursachen und Mitteln über, durch welche Gott den Menschen das offenbart, was die Schranken der natürlichen Erkenntniss überschreitet, und selbst das, was diese Schranken nicht überschreitet; denn nichts hindert Gott, den Menschen[16] selbst das, was sie durch das natürliche Licht erkennen, auch auf andere Weise mitzutheilen, darüber will ich nun ausführlicher handeln.

Alles, was hierüber zu sagen ist, muss aber aus der Bibel selbst entnommen werden. Denn was kann man über Dinge, welche die Grenzen unsres Verstandes Überschreiten, sagen, als das, was uns aus dem Munde oder der Schrift des Propheten selbst verkündet wird, und da es heutzutage, so viel ich weiss, keine Propheten giebt, so bleibt nur übrig, die von den Propheten uns hinterlassenen heiligen Schriften aufzuschlagen, und zwar mit dem Vorbehalt, dass wir über dergleichen nichts aus uns selbst entnehmen, noch den Propheten etwas zutheilen, was sie nicht selbst deutlich erklärt haben. Hier ist es besonders erheblich, dass die Juden niemals der Mittel oder der besondern Ursachen erwähnen und sich darum kümmern, sondern der Religion und Frömmigkeit halber oder, wie man gewöhnlich sagt, der Ehrfurcht wegen immer Alles auf Gott unmittelbar beziehen. Z.B. wenn sie im Handel Geld gewonnen haben, so sagen sie, Gott habe es ihnen zugewendet, und wenn sie etwas sich wünschen, so hat Gott ihr Herz bewegt, und wenn sie etwas denken, so heisst es: Gott habe es ihnen gesagt. Deshalb darf nicht Alles, was nach der Bibel Gott Jemand gesagt hat, für Weissagung und übernatürliche Erkenntniss gehalten werden, sondern nur das, wo die Bibel dies ausdrücklich sagt, oder die Umstände der Erzählung klar ergeben, dass es eine Weissagung oder Offenbarung gewesen ist.

Geht man nun die heiligen Schriften durch, so sieht man, dass alle Offenbarungen Gottes an die Propheten entweder durch Worte oder sichtbare Zeichen oder durch Beides, Worte und Zeichen, geschehen sind. Diese Worte waren theils wirkliche, die der Prophet sich nicht blos einbildete zu hören oder zu sehen, theils waren sie eingebildete, indem die Einbildungskraft des Propheten auch im Wachen so beeinflusst wurde, dass er bestimmt glaubte, etwas zu hören oder zu sehen.

Mit wirklichen Worten hat Gott dem Moses die Gesetze geoffenbart, die er den Juden geben wollte, wie aus Exod. XXV., 22, erhellt, wo Gott sagt: »Und ich werde bereit für Dich sein, und ich werde zu Dir sprechen von[17] jener Seite des Zeltes, welches zwischen den beiden Cherubim ist.« Denn dieses zeigt, dass Gott der wirklichen Worte sich bedient hat, da Moses, sobald er wollte, Gott daselbst zum Sprechen bereit fand. Dies allein waren wirkliche Worte, wodurch nämlich das Gesetz verkündet wurde, wie ich gleich zeigen werde.

Ebenso würde ich die Stimme, mit der Gott den Samuel rief, für eine wirkliche halten, weil es 1. Samuel III. im letzten Vers heisst: »Und wiederum erschien Gott dem Samuel in Shilo, weil Gott dem Samuel in Shilo durch das Wort Gottes geoffenbart worden«, als wenn es hiesse: Gottes Erscheinung bestand für Samuel nur darin, dass Gott sich durch sein Wort ihm offenbarte, oder dass Samuel Gott sprechen hörte. Indess muss man, da zwischen der Weissagung des Moses und der übrigen Propheten ein Unterschied gemacht werden muss, diese von Samuel gehörte Stimme für eine eingebildete erklären; was auch daraus erhellt, dass sie der Stimme des Heli, die Samuel vorzüglich zu hören pflegte, ähnelte; denn nachdem er dreimal von Gott gerufen worden, glaubt er, er werde von Heli gerufen. Auch die Stimme, die Abimelech hörte, war eingebildet; denn es heisst Gen. XX. 6: »Gott sagte ihm im Traume u.s.w.« Deshalb konnte er den Willen Gottes nicht im Wachen, sondern nur im Traume hören, wo die Einbildungskraft am meisten geeignet ist, sich nicht vorhandene Dinge vorzustellen.

Nach der Meinung einzelner Juden sind die Worte der zehn Gebote nicht von Gott gesprochen worden, sondern die Israeliten haben nur ein Getöse gehört, das keine Worte sprach, aber während dessen erfassten sie die zehn Gebote mit ihrem blossen Verstände. Auch ich habe früher dies geglaubt, weil die Worte der zehn Gebote im 2. Buch Mosis von denen im 5. Buch Mosis abweichen, und da Gott nur einmal geredet hat, so scheinen deshalb die zehn Gebote nicht die eignen Worte Gottes, sondern nur seinen Willen zu enthalten. Will man indess der Bibel nicht Gewalt anthun, so muss man zugeben, dass die Israeliten eine wirkliche Stimme gehört haben. Denn es heisst Deut. V. 4 ausdrücklich: »Von Angesicht zu Angesicht hat Gott mit Euch gesprochen;« d.h. so, wie zwei Menschen ihre Gedanken gegenseitig vermittelst ihrer beiden Körper sich mitzutheilen pflegen. Es wird deshalb[18] mehr mit der Bibel übereinstimmen, anzunehmen, dass Gott wirklich eine Stimme erzeugt hat, welche die zehn Gebote offenbarte. Weshalb aber die Worte und Gründe derselben in dem einen Buche Mosis von denen in dem andern abweichen, wird später im achten Kapitel dargelegt werden. Indess ist auch damit nicht alle Schwierigkeit gehoben; denn es läuft gegen die Vernunft, anzunehmen, dass ein erschaffenes Ding, was ebenso wie alles Andere von Gott abhängt, das Wesen oder Dasein Gottes durch seine Person in Thaten oder Worten auszudrücken oder zu erklären vermöchte. Es heisst nämlich in erster Person: »Ich bin Dein Jehova«. Und wenn auch unter dem durch den Mund gesprochenen Wort: »Ich habe erkannt«, Niemand den Mund, sondern die Seele des sprechenden Menschen versteht, so gehört doch der Mund zur Natur des so sprechenden Menschen, und auch der, dem es gesagt wird, hat die Natur der Seele gekannt und versteht die Seele des sprechenden Menschen leicht durch Vergleichung mit sich selbst. Allein wenn Jene von Gott vorher nur den Namen gekannt hatten und ihn anzureden verlangten, um seines Daseins sich zu versichern, so verstehe ich nicht, wie ihrem Verlangen durch ein Geschöpf Genüge geleistet werden konnte, das Gott nicht mehr ähnelte, als alles andere Geschaffene, und nicht damit zu Gottes Natur gehörte, dass es sprach: »Ich bin Gott«. Ich frage, wenn Gott die Lippen Mosis, oder was will ich Mosis; wenn er die irgend eines wilden Thieres zur Aussprache dieser Worte: »Ich bin Gott«, gepresst hätte, ob sie daraus das Dasein Gottes abnehmen konnten? Deshalb scheint die Bibel zu meinen, dass Gott selbst gesprochen habe, zu welchem Ende er aus dem Himmel auf den Berg Sinai herabgestiegen sei; und die Juden haben ihn nicht blos sprechen gehört, sondern die Vornehmsten haben ihn auch gesehen. (Vergl. Exod. XXIV.) Auch gebietet das dem Moses geoffenbarte Gesetz, dem nichts hinzugefügt oder abgenommen werden darf, und das als das Recht des Landes eingeführt wurde, nirgends, Gott für unkörperlich und ohne alle bildliche Gestalt zu halten; sondern es gebietet nur, um den Glauben an Gottes Dasein zu erhalten, und dass er allein angebetet und von seinem Dienst nicht abgefallen werden dürfe, dass man ihm keine bildliche Gestalt geben und[19] kein Bild von ihm machen solle. Denn da sie die Gestalt Gottes nicht gesehen hatten, so konnten sie kein Bild machen, was Gott gliche, sondern nur einem erschaffenen Dinge, das sie gesehen hatten; und wenn sie deshalb Gott in solchem Bilde anbeteten, so dachten sie nicht an Gott, sondern an das Ding, das diesem Bilde gliche, und gaben so die Ehre und die Anbetung nicht Gott, sondern diesem Dinge. Die Bibel deutet sogar deutlich an, dass Gott eine Gestalt habe, und dass Moses, als er Gott sprechen hörte, dessen Gestalt geschaut, aber Gott nur von hinten gesehen habe. Deshalb scheint mir hier ein Geheimniss verborgen zu sein, worüber ich später ausführlicher sprechen werde. Hier fahre ich in Aufzeigung der Stellen der Bibel fort, welche die Mittel angeben, durch welche Gott seinen Willen den Menschen offenbart hat.

Dass die Offenbarung durch blosse Gesichte erfolgt ist, erhellt aus 1. Chronik. XXII., wo Gott dem David seinen Zorn durch einen Engel verkündet, der ein Schwert in der Hand hat. Dasselbe geschah dem Balam. Wenn Maimonides und Andere diese Erzählung, wie alle andern, welche von Engels-Erscheinungen berichten, z.B. die mit Manna und Abraham, wo er seinen Sohn zu opfern glaubte u.s.w., nur als im Traum geschehen annehmen, und nicht wirklich, weil Niemand einen Engel mit offenen Augen sehen könne, so ist dies nur leeres Geschwätz, womit sie versuchten, aus der Bibel Aristotelische Possen und ihre eignen Erfindungen herauszupressen, was mir sehr lächerlich vorkommt.

Durch Gesichte, die nicht wirklich waren, sondern nur in der Einbildung des Propheten bestanden, hat Gott dem Joseph seine zukünftige Herrschaft offenbart. Durch Gesichte und Worte hat Gott dem Josua offenbart, dass er für sie streiten werde; er zeigte ihm nämlich einen Engel mit dem Schwert, und Josua hatte es von dem Engel gehört. Auch dem Esaias wurde, wie im sechsten Kapitel erzählt wird, durch Bilder mitgetheilt, dass Gottes Vorsehung das Volk verlasse; er sah nämlich Gott dreimal heilig auf dem höchsten Thron und die Israeliten von dem Schmutz der Sünden befleckt und wie im Koth versunken und so von Gott weit abstehend. Er verstand darunter den elenden Zustand des Volkes; dessen wirkliche[20] spätern Leiden wurden ihm dagegen durch Worte, als hätte Gott sie gesprochen, offenbart. Danach konnte ich noch viele Beispiele aus der heiligen Schrift beibringen, wenn ich nicht sie für genügend bekannt hielte.

Alles dies wird noch deutlicher durch die Stelle Num. XII. 6, 7 bestätigt, wo es heisst: »Wenn Einer von Euch ein Prophet Gottes ist, so werde ich ihm in einem Gesicht offenbaren (d.h. durch Gestalten und Hieroglyphen; denn von der Weissagung des Moses sagt er, es sei ein Gesicht ohne Hieroglyphen) und werde im Traume zu ihm Sprechen (d.h. nicht mit wirklichen Worten und wahrer Stimme). Aber Moses werde ich es nicht so (offenbaren); ich rede zu ihm von Mund zu Mund und durch Gesichte, aber nicht in Räthseln, und er schaut das Bild Gottes,« d.h. er wird mich schauen als Genösse, und er wird ohne Erschrecken mit mir sprechen, wie es Exod. XXXIII. 12 steht. Deshalb haben unzweifelhaft die übrigen Propheten die wahre Stimme nicht gehört, und dies wird durch Deut. XXXIV. 10 noch mehr bestätigt, wo es heisst: »und es ist niemals in Israel ein Prophet wie Moses erstanden (eigentlich auferstanden), welchen Gott erkannt hat von Angesicht zu Angesicht.« Dies ist nämlich blos von der Stimme zu verstehen, denn auch Moses hat das Angesicht Gottes niemals gesehen; Exod. XXXIII.

Ausser diesen Mitteln finde ich in der heiligen Schrift keine weiter, durch die Gott sich den Menschen mitgetheilt hat; deshalb darf man auch, wie erwähnt, keine weiter erdichten und zulassen. Allerdings kann Gott sicherlich auch unmittelbar dem Menschen sich mittheilen; denn er theilt sein Wesen unserem Geist ohne Hülfe von körperlichen Mitteln mit; allein wenn ein Mensch durch seinen blossen Verstand etwas erfassen wollte, was nicht in den ursprünglichen Grundlagen unserer Erkenntniss enthalten ist und auch nicht daraus abgeleitet werden kann, so müsste seine Seele viel vollkommener und vortrefflicher als die menschliche sein. Ich glaube deshalb, dass ausser Christus Niemand, zu einer solchen Vollkommenheit vor Andern gelangt ist; nur Christas sind die Beschlüsse Gottes, die die Menschen zum Heil führen, ohne Worte und Gesichte, unmittelbar offenbart worden, und Gott hat durch den Geist Christi sich den Aposteln so offenbart, wie ehedem dem Moses durch die Stimme[21] der Luft. Deshalb kann die Stimme Christi, wie die, welche Mosis hörte, die Stimme Gottes genannt werden, und in diesem Sinne kann man auch sagen, die Weisheit Gottes, d.h. eine übermenschliche Weisheit habe in Christo menschliche Natur angenommen, und Christus sei das Heil der Welt gewesen.

Ich muss indess hier bemerken, dass ich über das, was einige Kirchen über Christus festsetzen, nicht spreche, aber es auch nicht bestreite; denn ich gestehe offen, dass ich es nicht verstehe. Was ich hier behauptet habe, entnehme ich aus der Bibel selbst. Nirgends habe ich aber gelesen, dass Gott Christus erschienen sei und mit ihm gesprochen habe, sondern es heisst, dass Gott durch Christus den Aposteln offenbart worden, dass Christus der Weg des Heiles sei, und dass das alte Gesetz durch einen Engel, aber nicht unmittelbar von Gott mitgetheilt worden sei. Hat daher Moses mit Gott von Angesicht zu Angesicht, wie ein Mensch zu seinem Nachbar (d.h. vermittelst zweier Körper) gesprochen, so hat Christus mit Gott von Geist zu Geist verkehrt.

Ich behaupte daher, dass ausser Christus Niemand die Offenbarungen Gottes anders als mit Hülfe der Einbildungskraft, d.h. mit Hülfe von Worten und Gesichten empfangen hat, und dass deshalb zur Weissagung es keines höhern Geistes, sondern nur einer lebendigen Einbildungskraft bedarf, wie ich im folgenden Kapitel klar darlegen werde.

Hier ist nun zu ermitteln, was die heilige Schrift unter dem Geist Gottes versteht, welcher den Propheten eingeflösst worden, oder aus dem die Propheten gesprochen haben. Zu dem Ende ist zunächst die Bedeutung des hebräischen Wortes ruagh zu ermitteln, was gemeinhin mit »Geist« übersetzt wird. Dieses Wort bezeichnet, wie bekannt, eigentlich den Wind, aber dient auch zur Bezeichnung von vielem Andern, was sich davon ableitet. Man gebraucht es 1) für den Hauch; so Psalm CXXXV. 17: »es ist auch kein Geist in ihrem Munde« 2) für das Leben oder das Athmen; so 1. Samuel XXX. 12: »und es ist ihm der Geist wiedergekehrt«, d.h. er hat wieder geathmet. Davon kommt 3) seine Bezeichnung für Lebendigkeit und Kraft; so Josua II. 11: »und es bestand später in keinem Manne der Geist«; ebenso Ezechiel II. 2:[22] »und es kam in mich der Geist (oder die Kraft), der mich auf meinen Füssen stehen liess«. Deshalb bezeichnet es 4) die Güte und Tauglichkeit; so Hiob XXXII. 8: »sicherlich ist sie der Geist im Menschen«, d.h. die Wissenschaft ist nicht blos bei den Greisen zu suchen, denn ich sehe, dass sie von einer besondern Kraft und Anlage des Menschen abhängt. So Num. XXVII. 18: »ein Mann, in dem der Geist ist«. Es bezeichnet ferner 5) die Gedanken der Seele; so Num. XIV. 24: »weil ihm ein anderer Geist kam«, d.h. ein anderer Gedanke und eine andere Meinung. Auch Sprüchwörter I. 23: »ich werde Euch meinen Geist sagen« (d.h. meine Meinung). In diesem Sinne dient es auch zur Bezeichnung des Willens oder Beschlusses, des Begehrens und Verlangens der Seele; so Ezechiel I. 12: »sie gingen, wohin ihnen der Geist zu gehen war« (d.h. der Wille). Ebenso Esaias XXX. 1: »und um den Geist auszugiessen und nicht aus meinem Geiste« und XXIX. 10: »weil Gott über sie den Geist (das Verlangen) zu schlafen ausgoss«, und Richter VIII. 3: »dann ist ihr Geist milde geworden« (d.h. ihre Leidenschaft). Auch Sprüchwörter XVI. 32: »wer seinen Geist bezähmt (oder seine Begierden), ist besser, als wer Staaten erobert«. So XXV. 28: »Ein Mann, der seinen Geist nicht bezähmt«, und Esaias XXXIII. 11: »Euer Geist ist ein Feuer, was Euch verzehrt«. – Insofern das Wort ruagh die Seele bedeutet, dient es auch zur Bezeichnung aller Leidenschaften und Gaben derselben; so »hoher Geist« für Stolz, »gebeugter Geist« für Demuth, »böser Geist« für Hass und Trübsinn, »guter Geist« für Wohlthätigkeit, »Geist der Eifersucht«, »Geist (d.h. Begierde) der Hurerei«, »Geist der Weisheit, des Rathes, der Tapferkeit«; d.h. (denn in dem Hebräischen gebraucht man lieber Hauptworte statt Beiworte) ein weiser, kluger, tapferer Verstand oder die Tugend der Weisheit, der Besonnenheit, der Tapferkeit; »Geist des Wohlwollens« u.s.w. Ferner bedeutet das Wort »Geist« die Seele selbst, so Prediger Salom. III. 19: »der Geist (oder die Seele) ist dieselbe für Alle, und der Geist kehrt zu Gott zurück.« Endlich bedeutet es 7) die Weltgegenden (wegen der Winde, die von daher kommen) und auch die Seiten einer Sache, die nach diesen Weltgegenden[23] gerichtet sind. So Ezechiel XXXVII. 9, XLII. 16, 17, 18, 19 u. f.

Es ist ferner festzuhalten, dass eine Sache auf Gott bezogen und Gottes genannt wird: 1) weil sie zur Natur Gottes gehört und gleichsam ein Theil Gottes ist; so, wenn es heisst: »die Macht oder die Augen Gottes«; 2) weil sie in Gottes Gewalt ist und nach seinem Winke handelt; so heissen in der Bibel die Himmel »die Himmel Gottes«, weil sie das Viergespann Gottes und seine Wohnung sind. Assyrien heisst die Geissel Gottes, und Nebucadnezar der Knecht Gottes u.s.w.; 3) weil sie Gott geweiht ist, wie der »Tempel Gottes«, »der Nazarener Gottes«, »das Brod Gottes«; 4) weil sie durch Propheten verkündet und nicht durch das natürliche Licht offenbart ist; deshalb heisst das Gesetz Mosis »das Gesetz Gottes«; 5) um den höchsten Grad eines Dinges auszudrücken; so »die Berge Gottes«, d.h. die höchsten Berge; »der Schlaf Gottes«, d.h. der tiefste Schlaf, und in diesem Sinne ist die Stelle Amos IV. II auszulegen, wo Gott so spricht: »Ich habe Euch niedergeworfen, wie die Niederwerfung Gottes Sodom und Gomorra (gestürzt hat)«, d.h. wie es bei jener merkwürdigen Zerstörung geschehen ist; denn da Gott selbst spricht, so kann es nicht wohl anders verstanden werden. Auch Salomo's natürliche Weisheit wird die Weisheit Gottes genannt, d.h. eine solche, die göttlich ist und die gewöhnliche übertrifft. In den Psalmen werden auch »Cedern Gottes« erwähnt, um ihre ungewöhnliche Grosse auszudrücken. In 1. Samuel XI. 7 heisst es, um eine grosse Furcht zu bezeichnen: »es fiel die Furcht Gottes über das Volk«. So pflegten die Juden Alles, was ihre Begriffe überstieg, und dessen natürliche Ursachen sie damals nicht kannten, auf Gott zu beziehen. Deshalb hiess der Sturm ein »Schelten Gottes«, und der Donner und die Blitze hiessen die Pfeile Gottes. Sie glaubten, dass Gott die Winde in Höhlen eingeschlossen hielte, die die Schatzkammern Gottes hiessen, und sie unterschieden sich hierbei von den Heiden nur darin, dass sie Gott und nicht den Aeolus als den Herrscher der Winde ansahen. Aus demselben Grunde wurden die Wunder die Werke Gottes genannt, d.h. staunenswerthe Werke; denn fürwahr ist alles Natürliche Gottes Werk, und es besteht und wirkt nur durch die Macht Gottes[24] allein. In diesem Sinne nennt der Psalmist die Wunder in Aegypten die Macht Gottes, weil sie den Juden, die dergleichen nicht erwarteten, in der höchsten Noth den Weg zum Heil eröffneten und von ihnen deshalb angestaunt wurden.

Wenn somit ungewöhnliche Erscheinungen der Natur die Werke Gottes, und ungewöhnlich grosse Bäume Bäume Gottes genannt werden, so kann es nicht auffallen, dass in der Genesis sehr starke und grosse Menschen, trotzdem, dass sie gottlose Räuber und Hurer waren, Gottes Söhne genannt werden; denn nicht blos die alten Juden, sondern auch die Heiden pflegten überhaupt Alles, worin Jemand die Andern übertraf, auf Gott zurückzuführen. So sagte Pharao bei Anhörung der Auslegung seines Traumes, dass dem Joseph der Geist Gottes innewohne, und auch Nebucadnezar sagte von Daniel, dass er den Geist der heiligen Götter habe. Selbst bei den Lateinern findet sich dies häufig; von meisterhaften Arbeiten sagen sie, dass sie von göttlicher Hand gefertigt seien, und wollte man dies in das Hebräische übersetzen, so müsste man sagen: »es sei von der Hand Gottes gefertigt«, wie den Kennern des Hebräischen bekannt ist.

Hiernach können die Stellen der Bibel, wo des Geistes Gottes Erwähnung geschieht, leicht verstanden und erklärt werden. Denn der »Geist Gottes« und der »Geist Jehova's« bedeutet in einzelnen Stellen nur einen sehr starken, trocknen und verderblichen Wind; so Esaias XL. 7: »der Wind des Jehova weht ihn an«, d.h. ein sehr trockner und schädlicher Wind. So Gen. I. 2: »und der Wind Gottes (d.h. ein sehr heftiger Wind) wehte über den Wassern«. Dann bedeutet es einen hohen Geist; so heist der Geist Gideon's und Samson's in der heiligen Schrift »der Geist Gottes«, d.h. ein kühner, zu Allem bereiter Geist. So heisst auch jede ungewöhnliche Tugend oder Kraft »der Geist« oder »die Tugend Gottes«; so Exod. XXXI. 3: »und ich werde ihn (nämlich Betzaliel) mit dem Geist Gottes erfüllen«, d.h. (wie die Schrift selbst erläutert) mit einem Geist und Geschick, was das gewöhnliche Maass übertrifft. So Esaias XI. 2: »und es wird der Geist Gottes über ihm ruhn«, d.h., wie der Prophet nach einer in der heiligen Schrift sehr gebräuchlichen Sitte es später selbst erläutert, die Tugend der[25] Weisheit, der Besonnenheit, der Tapferkeit u.s.w. So heisst der Tiefsinn Saul's der »böse Geist Gottes«, d.h. eine sehr starke Schwermuth; denn die Knechte Saul's, die seine Schwermuth die Schwermuth Gottes nannten, liessen ihm einen Musiker holen, der ihn durch sein Saitenspiel wieder herstellte; dies zeigt, dass sie unter »Schwermuth Gottes« nur eine natürliche Schwermuth verstanden haben. Ferner bedeutet der »Geist Gottes« die eigne Seele des Menschen; so Hiob XXVII. 3: »und der Geist Gottes in meiner Nase«, indem er auf die Stelle in der Genesis anspielt, wo Gott den Lebensodem dem Menschen durch die Nase eingeblasen hat. So sagt Ezechiel, wo er den Todten prophezeit, XXXVII. 14: »und ich werde Euch meinen Geist geben, und Ihr werdet leben«, d.h. ich werde Euch das Leben wiedergeben. In diesem Sinne heisst es Hiob XXXIV. 14: »Wenn er (nämlich Gott) will, so wird er seinen Geist (d.h. die Seele, die Gott ausgegeben hat) und sein Leben wieder zu sich nehmen«. So ist auch die Stelle Gen. VI. 3 zu verstehn: »mein Geist wird in keinem Menschen nachdenken (d.h. er wird sich nicht entschliessen), weil er Fleisch ist«, d.h. der Mensch wird hinfort nach den Antrieben des Fleisches und nicht des Geistes, den ich ihm zur Erkenntniss des Guten gegeben habe, handeln. So heisst es auch Psalm LI. 12, 13: »Schaffe mir, o Gott, ein reines Herz und erneuere in mir einen sittsamen (d.h. gemässigten) Geist (d.h. Begierde), verstosse mich nicht aus Deinem Angesicht und nimm mir nicht die Kenntniss Deiner Heiligkeit«! Man glaubte, die Sünden entsprängen blos aus dem Fleische, die Seele aber rathe nur zu dem Guten; deshalb ruft er die Hülfe Gottes gegen die Begierden des Fleisches an und bittet dagegen nur, dass ihm die Seele, die der heilige Gott ihm gegeben, von Gott erhalten werde. Da die Bibel Gott nach Art eines Menschen zu schildern pflegt und Gott eine Seele, einen Geist, Affekte und auch einen Körper und Athem wegen der schwachen Fassungskraft der Menge zutheilt, deshalb wird der »Geist Gottes« in der Bibel oft für die Seele, das Leben, die Affekte, die Kraft und den Athem des Mundes Gottes gebraucht. So sagt Esaias XL. 13: »Wer hat den Geist Gottes bestimmt«, d.h. wer ausser Gott selbst hat die Seele Gottes zum Wollen bestimmt? und LXIII. 10: »und sie selbst erfüllten den Geist seiner[26] Heiligkeit mit Trübsinn und Traurigkeit«. Deshalb pflegt man auch das Gesetz Mosis damit zu bezeichnen, weil es gleichsam den Gedanken Gottes ausdrückt, wie Esaias ebendaselbst v. 11 sagt: »Wo (Jener) ist, der in die Mitte dessen den Geist seiner Heiligkeit gestellt hat«, nämlich das Gesetz Mosis, wie aus dem Zusammenhang der ganzen Rede deutlich erhellt; auch Nehemias sagt IX. 20: »und Du hast den Geist oder Deine gute Seele ihnen verliehn, damit Du sie einsichtiger machtest«; er spricht nämlich von der Zeit des Gesetzes, und darauf spielt auch Deut. IV. 6 an, wo Moses sagt: »weil es (nämlich das Gesetz) Bure Wissenschaft und Klugheit ist u.s.w.« So heisst es auch Psalm. CXLIII. 10: »Dein guter Geist wird mich auf ebener Erde führen«, d.h. Dein uns offenbarter Geist wird mich auf den rechten Weg führen. Der »Geist Gottes« bezeichnet auch, wie erwähnt, den Athem Gottes, der Gott ebenso uneigentlich, wie die Seele und der Körper in der Bibel beigelegt wird; so Psalm. XXXIII. 6: »Denn auch die Gewalt, Kraft oder Tugend Gottes«; so heisst es Hiob XXXIII. 4: »Der Geist Gottes hat mich gemacht«, d.h. die Kraft oder Macht Gottes, oder wenn man lieber will, der Rathschluss Gottes; denn der Psalmist drückt sich dichterisch aus und sagt auch, dass auf den Befehl Gottes die Himmel gemacht worden und auch durch den »Geist« oder den Hauch seines Mundes (d.h. durch seinen Beschluss, der gleichsam mit einem Hauch ausgesprochen worden) alle Heerschaaren desselben. Ebenso heisst es Psalm. CXXXIX. 7: »Wohin soll ich gehn (oder sein) vor Deinem Geiste, oder wohin soll ich fliehn vor Deinem Anblick«, d.h. (wie aus den eignen Zusätzen des Psalmisten erhellt) wohin sollte ich gehn, um ausserhalb Deiner Macht und Gegenwart zu sein? Endlich bedeutet der »Geist Gottes« in der Bibel auch die Gefühle Gottes, seine Güte, seine Barmherzigkeit; so Micha. II. 7: »Ist denn der Geist Gottes eingeschränkt? (d.h. die Barmherzigkeit Gottes) und sind denn dies (nämlich die Grausamkeiten) seine Werke?« Ebenso heisst es Zachar. IV. 6: »nicht durch ein Heer, nicht durch Gewalt, sondern blos durch meinen Geist«, d.h. blos durch meine Barmherzigkeit. In diesem Sinne ist meines Erachtens auch derselbe Prophet VII. 12 zu verstehn, wo er sagt: »und sie machten ihr Herz sicher,[27] dass sie dem Gesetz nicht gehorchten und den Befehlen, die Gott durch die ersten Propheten aus seinem Geist gesandt hat« (d.h. aus seiner Barmherzigkeit). In diesem Sinne sagt auch Haggai II. 5: »und mein Geist (oder meine Gnade) bleibt unter Euch; fürchtet Euch deshalb nicht«. Wenn aber Esaias XLVIII. 16 sagt: »Aber jetzt hat mich der Herr, mein Gott, gesandt und sein Geist«, so kann darunter wohl die Seele Gottes verstanden werden und die Barmherzigkeit oder auch sein durch das Gesetz geoffenbarter Wille; denn er sagt: »Von Anfang (d.h. wenn ich zuerst zu Euch gekommen bin, um Euch den Zorn Gottes und seinen gegen Euch gefällten Spruch zu verkünden) habe ich nicht im Geheimen gesprochen, sondern von der Zeit ab, wo es geschehen, bin ich da gewesen (wie er selbst im siebenten Kapitel bezeugt); jetzt bin ich aber ein fröhlicher Bote, und Gottes Barmherzigkeit sendet mich, dass ich auch Eure Wiederaufnahme verkünde.« – Es kann auch, wie gesagt, darunter der durch das Gesetz offenbarte Wille Gottes gemeint sein, weil jener auch schon in Folge des Gebots des Gesetzes, nämlich Levit. XIX. 17 kam, um sie zu warnen. Deshalb vermahnt er sie in derselben Weise und mit denselben Bedingungen, wie Moses pflegte, und endlich schliesst er, ebenso wie Moses, mit der Verkündigung ihrer Wiederaufnähme. Indess scheint mir die erste Auslegung die richtigere zu sein.

Aus alle dem werden, um endlich zu meiner Aufgabe zurückzukehren, die Ausdrücke der Bibel verständlich, wie »der Geist des Propheten war der Geist Gottes«; »Gott hat seinen Geist über die Menschen ausgegossen«; »die Menschen sind von dem Geiste Gottes und von dem heiligen Geiste erfüllt« u.s.w. Sie sagen nur, dass die Propheten eine besondere und ungewöhnliche Tugend besassen, und dass sie die Frömmigkeit mit besonderer Geistesstärke pflegten; ferner, dass sie Gottes Willen oder Ausspruch erfassten. Denn ich habe gezeigt, dass »Geist« im Hebräischen sowohl die Seele wie den Gedanken der Seele bedeutet, und deshalb wurde das Gesetz selbst, welches den Willen Gottes aussprach, »der Geist« oder der Wille Gottes genannt. Mit gleichem Rechte konnte die Einbildungskraft der Propheten, soweit dadurch die Rathschlüsse Gottes offenbart wurden, die Seele Gottes[28] genannt werden, und von den Propheten konnte gesagt werden, dass sie die Seele Gottes gehabt haben. Allerdings sind unserer Seele auch die Seele Gottes und seine ewigen Aussprüche eingegraben, und deshalb verstehen wir, um mit der Bibel zu sprechen, die Seele Gottes; allein da die natürliche Erkenntniss eine allgemeine Gabe ist, so wird sie, wie gesagt, nicht so hoch geschätzt, und dies galt vorzüglich bei den Juden, die sich rühmten, Alle zu übertreffen, ja die Alle und folglich auch die Allen gemeinsame Erkenntniss zu verachten pflegten. Endlich sagte man von den Propheten, dass sie den »Geist Gottes« besässen, weil die Menschen die Gründe der prophetischen Erkenntniss nicht kannten, sondern sie bewunderten und deshalb, wie alles Ausserordentliche, auf Gott zu beziehen und die Erkenntniss Gottes zu nennen pflegten.

Ich kann mithin nunmehr ohne Bedenken behaupten, dass die Propheten nur mit Hülfe der Einbildungskraft die Offenbarungen Gottes erfasst haben, d.h. vermittelst Worte und Bilder, die entweder wirklich oder eingebildet waren. Denn da man in der Bibel keine anderen Mittel neben diesen findet, so darf man auch, wie erwähnt, keine anderen erdichten. Nach welchen Naturgesetzen dies nun vor sich gegangen ist, gestehe ich nicht einzusehen. Ich könnte zwar, wie Andere, sagen, es sei durch Gottes Macht geschehen, allein dies würde nur ein leeres Geschwätz sein; es wäre ebenso, als wenn ich das Wesen einer einzelnen Sache mittelst eines transscendentalen Kunstausdruckes erklären wollte; denn durch Gott ist, Alles gemacht. Da die Macht der Natur nur die eigene Macht Gottes ist, so erkennen wir offenbar Gottes Macht so weit nicht, als wir die natürlichen Ursachen nicht kennen, und es ist also thöricht, auf Gottes Macht sich zu berufen, wenn man die natürliche Ursache eines Gegenstandes, d.h. die Macht Gottes selbst nicht kennt. Indess brauche ich auch die Ursachen der prophetischen Erkenntniss nicht zu wissen; denn ich will, wie gesagt, hier nur die Urkunden der heiligen Schrift untersuchen, um aus denselben, als Thatsachen der Natur, meine Folgerungen abzuleiten; dagegen kümmere ich mich nicht um die Ursachen dieser Urkunden.

Wenn sonach die Propheten mit Hülfe ihrer Einbildungskraft[29] die Offenbarungen Gottes erfasst haben, so haben sie unzweifelhaft Vieles erfassen können, was ausserhalb der Grenzen der menschlichen Erkenntniss liegt; denn aus Worten und Bildern lassen sich viel mehr Gedanken machen, wie aus blossen Prinzipien und Begriffen, auf welche unsere ganze natürliche Erkenntniss aufgebaut ist.

So erklärt es sich, weshalb die Propheten beinah Alles in Gleichnissen und Räthseln erfassen und lehren, und weshalb sie alles Geistige in Körperliches kleiden; es entspricht mehr der Natur der Einbildungskraft. Es kann deshalb nicht auffallen, dass die Bibel oder die Propheten so uneigentlich und dunkel über den Geist Gottes oder seine Seele sprechen, wie Num. XI. 17; 1. Könige XXII. 21 u.s.w., und weshalb Micha Gott sitzend, Daniel als einen mit weissen Kleidern angethanen Greis, Ezechiel wie ein Feuer, und die Gefährten Christi den heiligen Geist wie eine herabkommende Taube, und die Apostel wie feurige Zungen, und endlich Paulus bei seiner ersten Bekehrung wie ein grosses Licht erblickt haben. Dies Alles passt zu den Vorstellungen, welche die Menge von Gott und den Geistern sich gebildet hatte. Die Einbildungskraft ist ferner unbeständig und schwankend; deshalb haftete die Weissagung nicht lange an den Propheten; sie war auch nicht häufig, sondern sehr selten, und sie wurde nur bei sehr wenig Menschen und auch bei diesen nur selten angetroffen. Ist dies richtig, so fragt es sich, woher konnte den Propheten die Ueberzeugung in Dingen kommen, die sie nur mit der Einbildungskraft und nicht nach den festen Regeln des Verstandes erfassten? Auch die Antwort hierauf muss indess aus der Bibel entlehnt werden, da man, wie erwähnt, von diesen Dingen keine wahre Erkenntniss hat und sie aus den ersten Ursachen nicht ableiten kann. Was nun die Bibel von dieser Ueberzeugung der Propheten lehrt, werde ich im nächsten Kapitel darlegen, wo ich von den Propheten handeln will.[30]

Quelle:
Spinoza: Theologisch-politische Abhandlung. Berlin 1870, S. 15-31.
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