Zehntes Kapitel
Die übrigen Bücher des Alten Testaments werden in gleicher Weise wie die vorgehenden untersucht.

[155] Ich komme nun zu den übrigen Büchern des Alten Testamentes. Ueber die beiden Chroniken habe ich nichts Gewisses, und was sich der Mühe verlohnte, zu bemerken;[155] wahrscheinlich sind sie lange nach Hezra und vielleicht nach Herstellung des Tempels durch Judas Maccabäus geschrieben. Denn Kap. 9 des ersten Buchs erzählt der Verfasser, »welche Familien zuerst (d.h. zur Zeit Hezra's) Jerusalem bewohnt hätten;« und dann giebt er v. 17 »die Thürsteher« an, von denen zwei auch Nehem. XI. 19 genannt werden. Dies zeigt, dass diese Bücher lange nach dem Wiederaufbau der Stadt geschrieben worden sind. Ueber deren wahren Verfasser, ihr Ansehen, Nutzen und Lehre ist mir nichts bekannt. Ich wundere mich sogar, weshalb sie unter die heiligen Bücher aufgenommen worden sind, obgleich man das Buch der Weisheit, den Tobias und die anderen Apokryphen von dem Kanon der heiligen Schriften ausschloss. Indess will ich ihr Ansehn nicht verstärken, sondern ich lasse sie, wie sie sind, nachdem sie einmal allgemein aufgenommen worden sind.

Auch die Psalmen sind zur Zeit des wiederaufgebauten Tempels gesammelt und in fünf Bücher vertheilt worden; denn der 88. Psalm ist nach dem Zeugniss des Juden Philo ausgegeben worden, als König Jehojachim im Gefängniss zu Babylon sich befand, und der 89. Psalm, als er die Freiheit erlangt hatte; Philo würde dies gewiss nicht gesagt haben, wenn es nicht die allgemeine Ansicht seiner Zeit gewesen wäre, oder er es nicht von glaubwürdigen Männern erfahren hätte. Die Sprüche Salomo's sind vermuthlich um dieselbe Zeit gesammelt, spätestens zur Zeit des Königs Josia; denn Kap. XXIV. letzter Vers heisst es: »Dies sind auch die Sprüche Salomo's, welche die Männer Hiskia's, des Königs von Juda, übersetzt haben.« Aber ich kann hier die Kühnheit der Rabbiner nicht unerwähnt lassen, welche dieses Buch mit dem »Prediger« aus der Sammlung der Bibel ausschliessen und mit den anderen, die ich bemängelt, zurückhalten wollten. Dies wäre auch sicherlich geschehen, wenn sie nicht mehrere Stellen gefunden hätten, wo das Gesetz Mosis empfohlen wird. Es ist zu bedauern, dass diese heiligen und besten Sachen von ihrer Auswahl abhingen; doch weiss ich ihnen Dank, dass sie sie uns mitgetheilt, obgleich ich bezweifeln möchte, dass es im guten Glauben geschehen sei; indessen mag ich dies nicht streng untersuchen.[156]

Ich gehe zu den Büchern der Propheten. Eine aufmerksame Betrachtung zeigt, dass die in ihnen befindlichen Weissagungen ans anderen Büchern zusammengetragen und selbst in diesen nicht immer in der Ordnung niedergeschrieben worden sind, in der sie von den Propheten selbst gesprochen oder geschrieben worden. Auch enthalten diese Bücher sie nicht sämmtlich, sondern nur was man hier und da finden konnte. Deshalb können diese Bücher nur als Bruchstücke der Propheten gelten. Denn Esaias beginnt unter der Regierung von Huzia zu weissagen, wie der Sammler im ersten Verse selbst bezeugt. Aber er hat damals nicht blos geweissagt, sondern auch die Thaten dieses Königs beschrieben (2. Chronika XXVI. 22), und dieses Buch haben wir nicht; denn das, was wir haben, ist, wie gezeigt, aus den Chroniken der Könige von Juda und Israel entlehnt. Dazu kommt, dass nach den Rabbinern dieser Prophet auch während der Regierung des Manasse geweissagt hat, von dem er zuletzt getödtet worden ist; und obgleich sie eine Fabel zu erzählen scheinen, so mögen sie doch wohl angenommen haben, dass alle seine Weissagungen verloren gegangen. – Von den Weissagungen des Jeremias ist das Geschichtliche ans verschiedenen Chroniken ausgezogen und gesammelt; denn die Nachrichten sind durch einander, ohne Rücksicht auf die Zeit, gehäuft, und derselbe Vorfall wird mehrmals in verschiedener Weise erzählt. In Kap. 21 wird der Anlass zur Gefangennehmung des Jeremias erzählt, weil er nämlich die Zerstörung der Stadt dem Zedechias auf sein Befragen vorausgesagt; dann bricht es hier ab, und Kap. 22 erzählt seine Predigt gegen Jehojachim, der vor Zedechias regierte, und dass er des Königs Gefangennehmung vorausgesagt habe. Dann wird in Kap. 25 beschrieben, was vorher, im vierten Jahre des Jehojachim, dem Propheten offenbart worden ist, und dann die Offenbarungen aus dessen erstem Regierungsjahre. In dieser Weise stellt der Verfasser die Weissagungen ohne Rücksicht auf die Zeit zusammen, bis er endlich in Kap. 38, als wenn diese 15 Kapitel in Klammern erzählt worden wären, wieder auf die in Kap. 21 begonnene Geschichte zurückkommt. Die Verbindung, mit der Kap. 38 beginnt, bezieht sich auf Vers 8, 9 und 10 von Kap. 21; und dann beschreibt er die letzte Gefangennehmung[157] des Jeremias ganz anders und giebt für dessen lange Festhaltung im Vorhofe des Gefängnisses einen ganz anderen Grund an, als er in Kap. 37 erzählt hatte. Dies zeigt, wie Alles aus verschiedenen Schriften zusammengebracht worden; nur so lassen sich diese Mängel erklären. Die übrigen Weissagungen, die in dem anderen Kapitel enthalten sind, wo Jeremias in eigener Person spricht, scheinen aus dem Buche genommen zu sein, was Jeremias selbst dem Baruch diktirt hat; denn dies enthält, wie Kap. 36 v. 2 ergiebt, nur die dem Propheten von der Zeit des Josias bis zum 4 Jahr des Jehojachim geschehenen Offenbarungen; damit beginnt auch dieses Buch. Ebenso scheint ans jenem Buche das in Kap. 45 v. 2 bis Kap. 51 v. 59 Angeführte entnommen zu sein.

Auch das Buch des Ezechiel ist nur ein Bruchstück; die ersten Verse sagen dies klar; denn das Buch beginnt mit einer Verbindungsformel, die sich auf Früheres bezieht und daran anschliessen will. Und nicht blos diese Formel, sondern der ganze Text der Rede setzt früher Geschriebenes voraus; denn das 30. Jahr, mit dem dieses Buch beginnt, zeigt, dass der Prophet in der Erzählung fortfährt, aber nicht damit anfängt. Der Verfasser selbst hat dieses in Vers 3 in Klammern so bemerkt: »Es war oft das Wort Gottes dem Ezechiel, dem Söhne des Buzus, im Lande der Chaldäer geworden« u.s.w., als wenn er sagen wollte, die hier verzeichneten Worte des Ezechiel beziehen sich auf andere, die ihm vor diesem 30. Jahre offenbart worden seien. Ferner berichtet Josephus in seinen Alterthümern Buch 10, Kap. 9, Ezechiel habe vorausgesagt, dass Zedechias Babylon nicht sehen werde; das findet sich in dem Buche, was wir haben, nicht; vielmehr heisst es Kap. 17, dass er gefangen nach Babylon geführt werden würde.

Von Hoseas kann ich nicht mit Gewissheit behaupten, dass er mehr geschrieben habe, als das nach ihm benannte Buch enthält. Doch ist es sonderbar, dass man nicht mehr von ihm hat, da er nach dem Zeugniss der Schrift länger als 84 Jahr geweissagt hat. Man weiss nur im Allgemeinen so viel, dass die Verfasser dieser Bücher weder alle Propheten noch alle Weissagungen derer, die wir haben, gesammelt haben. So haben wir von den Propheten, die während Manasse's Regierung[158] auftraten, und die im Allgemeinen 2. Chronik XXXIII. 10, 18, 19 erwähnt werden, gar keine Weissagungen und auch nichts von allen diesen 12 Propheten; und von Jonas wird nur die Weissagung über Ninive erwähnt, obgleich er auch den Israeliten geweissagt hat, wie 2. Könige XIV. 25 ergiebt.

Ueber das Bach Hiob und Hiob selbst hat viel Streit unter den Gelehrten bestanden. Manche meinen, Moses habe es vertagst, und die ganze Geschichte sei nur gleichnissweise zu verstehen; einige Rabbiner lehren dies im Talmud, und auch Maimonides neigt sich in seinem Buche More Nebuchim dazu. Andere haben es für eine wahre Geschichte genommen, und ein Theil dieser meint, dieser Hiob habe zu Jakob's Zeiten gelebt und dessen Tochter Dina zur Frau genommen. Allein Aben Hezra versichert, wie erwähnt, in seinen Kommentarien zu diesem Buche, dass es aus einer anderen Sprache in das Hebräische übersetzt worden sei, und ich wünschte, er hätte dieses deutlicher dargelegt; dann ergäbe sich, dass auch die Heiden heilige Bücher gehabt haben. Die Sache bleibt daher zweifelhaft; doch glaube ich, Hiob ist ein Heide von standhaftem Geist gewesen, dem es erst gut, dann sehr schlecht und zuletzt wieder sehr gut gegangen ist. Ezechiel XIV. 12 nennt ihn neben Anderen, und ich glaube, dass dieses wechselnde Schicksal und die Beständigkeit der Seele des Hiob Vielen Anlass, über Gottes Vorsehung zu streiten, oder dem Verfasser den Anlass zur Aufstellung des Gespräches gegeben hat; denn dessen Inhalt und Stil ist nicht der eines unter Asche trauernden Kranken, sondern eines in seiner Bibliothek in Müsse Nachdenkenden. Deshalb möchte ich mit Aben Hezra annehmen, es sei aus einer anderen Sprache übersetzt, da es die heidnische Dichtkunst nachahmt; denn der Vater der Götter beruft zweimal die Versammlung, und Momus, der hier Satan heisst, beschneidet mit grosser Freiheit die Worte Gottes u.s.w. Doch bleiben dies blos Vermuthungen ohne Zuverlässigkeit.

Ich gehe zum Buch Daniel. Es enthält unzweifelhaft von Kap. 8 ab die eigene Schrift Daniel's; woher aber die vorgehenden 7 Kapitel genommen sind, weiss ich nicht; man kann vermuthen, aus einer Chronik der Chaldäer, da sie mit Ausnahme des ersten chaldäisch geschrieben[159] worden. Stände dies fest, so wäre es das deutlichste Zeugniss, dass die Bibel nur so weit heilig ist, als man durch sie die in ihr enthaltenen Dinge versteht, aber nicht, soweit man nur die Worte oder die Sprache oder Rede versteht, die die Dinge bezeichnen, und dass ferner alle Bücher gleich heilig sind, welche das Beste lehren und erzählen, ohne Rücksicht auf die Sprache und das Volk, dem sie entlehnt sind. Ich kann hier nur bemerken, dass diese Kapitel chaldäisch geschrieben sind und trotzdem ebenso heilig sind als das Uebrige in der Bibel.

An dieses Buch Daniel's schliesst sich das erste von Hezra so, dass man leicht denselben Verfasser erkennt, der die Geschichte der Juden seit der ersten Gefangenschaft hinter einander zu erzählen fortfährt. Daran schliesst sich, wie ich glaube, das Buch Esther, da die Verbindungsformel, mit der es anfängt, auf kein anderes bezogen werden kann, und da es schwerlich dasselbe ist, was Mardochäus geschrieben hat. Denn in Kap. 9 v. 20, 21, 22 berichtet ein Dritter über Mardochäus, dass er Briefe geschrieben habe, und was diese enthalten haben; ferner in v. 31 desselben Kapitels, dass die Königin Esther die zu dem Fest der Loose (Purim) gehörige Angelegenheit bestimmt, und was in dem Buche gestanden habe, d.h. (wie es im Hebräischen lautet) in dem Allen zu jener Zeit (wo dieses geschrieben worden) bekannten Buche, und dieses ist nach Aben Hezra und Aller Geständniss mit anderen Büchern verloren gegangen. Endlich berichtet das Uebrige über Mardochäus der Verfasser der Chronik über die Kriege der Perser. Deshalb ist unzweifelhaft dieses Buch von demselben, der die Geschichte des Daniel und Hezra geschrieben, verfasst worden, und auch das Buch des Nehemia, da es das zweite Hezra's heisst. Ich halte daher die vier Bücher, des Daniel, des Hezra, der Esther und des Nehemia, für von einem Verfasser geschrieben; aber wer dieser gewesen, kann ich nicht einmal vermuthen. Um aber zu wissen, woher der Verfasser die Kenntniss dieser Geschichten erlangt und vielleicht den grössten Theil dieser Bücher entlehnt habe, bemerke ich, dass die Vorgesetzten oder Vornehmsten der Juden im zweiten Tempel, wie früher die Könige in dem ersten, Schreiber oder Geschichtschreiber hatten, welche die Jahresereignisse oder ihre Geschichte nach der Zeitfolge[160] niederschrieben. Denn die Zeitgeschichte oder die Jahresereignisse der Könige werden hier und da in dem Buche der Könige erwähnt, und die der Vornehmsten oder der Priester des zweiten Tempels werden erwähnt in Nehem. XII. 23; dann in 1. Maccab. XVI. 24. Unzweifelhaft ist dies das Buch (Esther IX. 31), von dem ich eben gesprochen habe, was den Erlass der Esther und jene Schriften des Mardochäus enthielt, und das nach Aben Hezra verloren gegangen ist. Aus diesem Buche wird alles in unserem Enthaltene entlehnt und abgeschrieben sein; denn der Verfasser nennt kein anderes, und wir kennen auch weiter keins, was öffentlichen Glauben gehabt hätte. Dass diese Bücher nicht von Hezra oder Nehemia verfasst worden, erhellt daraus, dass Nehem. XII. 9, 10 ein Geschlechtsregister des Hohenpriesters Jesuhga bis zu Jaduha, dem sechsten Hohenpriester gegeben wird, der Alexander dem Grossen nach Unterwerfung des persischen Reichs entgegenging (Joseph. Alterth. XI. 8), und dass Philo der Jude ihn den sechsten und letzten Hohenpriester nennt. Ja es heisst in diesem Kapitel des Nehem.: »nämlich zur Zeit Eljasibi, Jojada's, Jonathan's und Jaduha's, unter der Herrschaft des Persers Darius sind sie geschrieben worden,« nämlich in Jahrbüchern, und Niemand wird glauben, Hezra und Nehemia seien so alt geworden, dass sie 14 persische Könige überlebt hätten. Denn der erste König Cyrus hat den Juden den Wiederaufbau des Tempels erlaubt und von da bis zu Darius, dem 14. und letzten Könige der Perser, zählt man 236 Jahre. Deshalb sind diese Bücher unzweifelhaft lange nach Wiederherstellung des Tempeldienstes durch Judas Maccabäus geschrieben worden, und zwar, weil damals von einigen Böswilligen, die wohl zur Sekte der Sadducäer gehörten, falsche Bücher Daniel's, Hezra's und der Esther vorgebracht wurden; denn die Pharisäer haben, so viel ich weiss, diese Bücher niemals angenommen. Allerdings finden sich im 4. Buch Hezra einige Fabeln, die auch im Talmud stehen; allein man kann dies nicht den Pharisäern zurechnen; denn nur ein Mensch ohne allen Verstand kann glauben, dass diese Fabeln nicht aus Scherz beigefügt worden; wahrscheinlich ist dieses geschehen, um deren Ueberlieferungen lächerlich zu machen.

Vielleicht sind sie auch zu jener Zeit geschrieben und[161] bekannt gemacht worden, um dem Volke zu zeigen, dass die Weissagungen Daniel's in Erfüllung gegangen seien. Das Volk sollte dadurch in dem Glauben bestärkt werden, damit es in seinem grossen Unglück nicht an besseren Zeiten und seinem kommenden Glück verzage. Denn obgleich diese Bücher so neueren Ursprungs sind, so sind doch viele Fehler, wahrscheinlich durch die Eile der Abschreiber, in sie gekommen. Man findet in ihnen, wie in den anderen, Randbemerkungen, von denen ich in dem vorgehenden Kapitel gehandelt habe, und zwar in grösserer Anzahl, und ausserdem manche Stellen, die nur in der gleich zu erwähnenden Weise entschuldigt werden können. Ich will nur vorher über diese Randbemerkungen noch sagen, dass, wenn man den Pharisäern einräumte, dass sie gleichzeitig mit den Büchern selbst verfasst seien, dann nothwendig diese Verfasser selbst, wenn es vielleicht deren mehrere waren, sie deshalb beigefügt, weil die Jahrbücher, aus denen sie abgeschrieben worden, selbst nicht ganz genau abgefasst waren, und weil sie trotz des Offenbaren dieser Fehler doch nicht gewagt haben, die alten Schriften der Vorfahren zu verbessern. Ich brauche darüber nicht noch einmal mich ausführlicher auszulassen. Ich gehe deshalb zu dem, was am Rande nicht bemerkt ist. Und da weiss ich erstlich nicht, wieviel in Kap. 2 von Hezra eingedrungen sein mag; denn im v. 64 wird die Hauptsumme Aller genannt, welche einzeln in dem ganzen Kapitel aufgezählt werden, und es heisst zugleich, es wären 42,360 gewesen; rechnet man aber die einzelnen Summen zusammen, so ergiebt sich nur die Zahl 29,818. Es ist deshalb ein Irrthum in der Hauptsumme oder in den einzelnen. Erstere scheint richtig angegeben zu sein, da ohne Zweifel Jeder sie als fassbar in dem Gedächtniss behielt; aber mit den Theilsummen ging dies nicht. Läge also der Irrthum in der Hauptsumme, so würde ihn Jeder bemerkten und leicht verbessern. Dies wird dadurch bestätigt, dass Nehem. VII., wo dieses Kapitel des Hezra, was der Brief des Geschlechtsregisters heisst, abgeschrieben wird, wie der Vers 5 des Kap. 1 in Nehemia besagt, die Hauptsumme mit der im Buche Hezra stimmt, aber die einzelnen sehr abweichen; einzelne sind grösser, andere kleiner als in Hezra, und sie ergeben zusammen 31,089, weshalb in diesen einzelnen Summen sowohl bei[162] Hezra als Nehemia sich mehrere Fehler eingeschlichen haben. Die Erklärer, welche diese offenbaren Widersprüche auszugleichen suchen, erdenken sich das Möglichste nach ihren Kräften, und während sie die Buchstaben und Worte der Schrift anbeten, geben sie, wie schon oben bemerkt, die biblischen Schriftsteller nur der Verachtung preis, als hätten sie nicht sprechen und richtig vortragen können. Ja, sie verdunkeln nur die Klarheit der Bibel; denn dürfte man überall dieselbe so auslegen, so gäbe es keine Rede mehr, deren Sinn nicht zweifelhaft wäre. Ich brauche indess mich hierbei nicht länger aufzuhalten; denn ich bin überzeugt, wenn ein Geschichtschreiber das thun wollte, was Jene dem biblischen Schriftsteller andächtig zugestehen, sie selbst ihn auslachen würden, und wenn sie es für eine Verleumdung Gottes halten, die Bibel für fehlerhaft zu erklären, wie soll man da sie selbst nennen, welche diesen Schriften alles Beliebige andichten und die heiligen Schriftsteller so blossstellen, dass sie ihnen kindisches Geschwätz und allerlei Verwirrung aufladen, die den klaren und deutlichen Sinn der Schrift verleugnen? denn was ist deutlicher in der Schrift, als dass Hezra mit Genossen in dem Briefe des Stammbaumes in Kap. 2 des Buches seines Namens die Zahl aller nach Jerusalem Gezogenen im Einzelnen angegeben hat, insofern in ihnen nicht blos die Zahl angegeben wird, die ihren Stammbaum angeben konnten, sondern auch derer, die dies nicht konnten? Was ist in Nehem. VII. 5 deutlicher, als dass er selbst diesen Brief einfach abgeschrieben hat? Wer dies also anders auslegt, verleugnet den wahren Sinn der Schrift und folglich die Schrift selbst. Was sie für fromm halten, nämlich eine Stelle der Schrift der anderen anzupassen, ist eine lächerliche Frömmigkeit, weil sie damit die klaren Stellen den dunkelen und die richtigen den fehlerhaften anpassen und die gesunden durch die faulen verderben. Es ist mir jedoch fern, sie Gotteslästerer zu nennen; sie haben nicht die Absicht, zu verleumden, und Irren ist menschlich. Doch ich kehre zu meiner Aufgabe zurück.

Ausser den Fehlern, welche man in den Summen des Briefes des Geschlechtsregisters sowohl bei Hezra als Nehemia anerkennen muss, finden sich auch mehrere in den Familiennamen, mehrere in den Stammbäumen, selbst[163] in den Geschichten, und ich fürchte, selbst in den Weissagungen. Denn die Weissagung des Jeremias im Kap. 22 über Jechonia stimmt nicht mit dessen Geschichte (man sehe das Ende von dem 2. Buche der Könige und von Jeremias, und 1. Chronika III. 17, 18, 19, insbesondere die Worte des letzten Verses dieses Kapitels); denn ich verstehe nicht, wie er von Zidechia, dessen Augen sofort, als er den Tod der Söhne sah, ausgestochen wurden, sagen konnte: »Du wirst im Frieden sterben« u.s.w. (Jerem. XXXIV. 5). Will man die Weissagungen nach dem Erfolge auslegen, so müsste man die Namen ändern und statt Zidechia Jechonia, und für diesen jenen setzen. Dies ist weniger gegen den natürlichen Verstand, und ich will daher lieber die Sache als unfassbar dahingestellt sein lassen; denn wenn hier ein Fehler ist, trifft er den Verfasser und nicht einen Fehler der Handschriften. Was das übrige früher Erwähnte anlangt, so mag ich hier es nicht aufnehmen, da es nur den Leser ermüden würde; zumal Andere es schon gesagt haben. So hat R. Selamo wegen der offenbaren von ihm in den Geschlechtsregistern gefundenen Widersprüche in die Worte ausbrechen müssen (man sehe dessen Kommentar zu 1. Chronik. VIII.), »dass Hezras (der nach seiner Meinung die Bücher der Chronik geschrieben hat) die Söhne Benjamin's mit Namen nennt und seinen Stammbaum anders beschreibt, als er in dem 1. Buch Mosis enthalten ist, und dass er den grössten Theil der Levitischen Städte anders als Josua angiebt, was daher komme, dass er verschiedene Originalurkunden gefunden habe;« und bald darauf sagt er: »dass der Stammbaum Gibeon's und Anderer zweimal und verschieden beschrieben werde, weil Hezras verschiedene Briefe mit dem Stammbaum eines Jeden vorgefunden und bei deren Abschreibung der grösseren Zahl der Exemplare gefolgt sei; wo aber diese Zahl auf beiden Seiten gleich gewesen, habe er die Stammbäume aus beiden abgeschrieben.« Somit giebt er offen zu, dass diese Bücher aus Urkunden, die weder fehlerfrei noch ächt gewesen, abgeschrieben habe. Ja, oft zeigen die Kommentatoren, wenn sie Stellen vereinigen wollen, nur die Ursachen der Irrthümer. Endlich wird Niemand mit gesunden Sinnen glauben, dass die heiligen Schriftsteller absichtlich so geschrieben haben, dass sie sich theilweise widersprechen.[164]

Vielleicht entgegnet man mir, dass ich auf diese Weise die Bibel ganz umstosse; denn danach könne man sie überall für fehlerhaft annehmen. Allein ich habe damit vielmehr die Bibel gegen die Anbequemung und das Verderbniss ihrer klaren und richtigen Stellen durch die fehlerhaften geschützt. Auch kann man aus der Verderbniss einzelner Stellen nicht auf die von allen schliessen; denn es hat nie ein Buch ohne Fehler gegeben, und hat man es deshalb als ein überall fehlerhaftes betrachtet? Gewiss nicht, namentlich wenn die Rede klar und die Meinung des Verfassers deutlich zu erkennen ist.

Damit habe ich das beendet, was ich zur Geschichte der Bücher des Alten Testaments bemerken wollte. Es ergiebt sich daraus, dass vor der Maccabäer Zeit noch kein Kanon der heiligen Bücher bestanden hat, sondern dass die jetzigen von den Pharisäern des zweiten Tempels, welche auf die Gebetformeln eingerichtet und aus vielen ausgewählt und lediglich nach ihrem Belieben ausgenommen worden sind. Wer mithin das Ansehen der heiligen Schrift beweisen will, muss dies von jedem einzelnen Buche thun, und die Göttlichkeit des einen reicht nicht für die der übrigen zu; man müsste denn annehmen, dass der Rath der Pharisäer bei dieser Auswahl der Bücher nicht habe irren können, was Niemand je beweisen wird. Der Grund für die Annahme, dass nur die Pharisäer die Bücher des Alten Testaments ausgewählt und in einen Kanon gebracht haben, ist, dass in Daniel, letztes Kapitel, v. 2, die Wiederauferstehung der Todten gepredigt wird, welche die Sadducäer leugneten; auch geben die Pharisäer im Talmud dies offen zu. Denn in der Abhandlung über den Sabbath II. Bl. 30 S. 2 heisst es: »R. Jehuda sagt im Namen Rab's, es suchten die Gelehrten das Buch der Chronik zu verbergen, weil dessen Worte den Worten des Gesetzes (d.h. dem Buch des Gesetzes Mosis) widersprechen. Weshalb haben sie es aber nicht verborgen? Weil es dem Gesetz gemäss anfängt und dem gemäss endigt.« Und etwas weiter: »und auch das Buch der Sprüche haben sie zu verbergen gesucht« u.s.w., und Kap. 1. Bl. 13 S. 2 dieser Abhandlung: »Fürwahr, nenne jenen Mann seiner Güte wegen, der da heisst Neghunja, Sohn des Hiskia; denn wäre er nicht gewesen, so wäre das Buch Ezechiel bei Seite gebracht worden, weil[165] seine Worte den Worten des Gesetzes widersprechen« u.s.w. Hiernach haben offenbar die Gesetzkundigen berathen, welche Bücher sie als heilig aufnehmen, und welche sie ausschliessen wollten, um also über das Ansehen Aller sich zu vergewissern, muss man die Untersuchung von vorn beginnen und die Gründe bei jedem einzelnen Buche besonders untersuchen.

Indess ist es nun Zeit, auch die Bücher des Neuen Testamentes in dieser Weise zu prüfen. Da ich indess höre, dass dies von Männern, die in Wissenschaften und Sprachen höchst erfahren, schon geschehen sei, und da ich keine so genaue Kenntniss des Griechischen habe, um diese Prüfung übernehmen zu können, und weil mir endlich hebräische Uebersetzungen dieser Bücher nicht zur Hand sind, so will ich mir dieses Geschäft erlassen und in dem folgenden Kapitel nur das zu meiner Aufgabe hauptsächlich Nöthige bemerken.

Quelle:
Spinoza: Theologisch-politische Abhandlung. Berlin 1870, S. 155-166.
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