Sechzehntes Kapitel
Ueber die Grundlagen des Staates; über das natürliche und bürgerliche Recht eines Jeden und über das Recht der höchsten Staatsgewalt.

[208] Bisher habe ich die Philosophie von der Theologie zu sondern und die Freiheit, zu philosophiren, darzulegen gesucht, welche die Theologie Jedem zugesteht. Es ist deshalb Zeit, zu untersuchen, wie weit in einem guten Staate diese Freiheit, zu denken, und was man denkt, zu sagen, geht um dies ordentlich zu thun, muss ich über die Grundlagen des Staates handeln und vorher über das natürliche Recht eines Jeden, ohne noch auf den Staat und die Religion Rücksicht zu nehmen.

Unter Recht und Einrichtung der Natur verstehe ich nur die Regeln der Natur jedes Einzelnen, vermöge deren Jedes natürlich bestimmt ist, in bestimmter Weise da zu sein und zu wirken. So sind z.B. die Fische von Natur bestimmt, zu schwimmen, und dass die grossen Fische die kleinen verzehren. Deshalb bemächtigen sich die Fische mit dem höchsten natürlichen Recht des Wassers, und deshalb verzehren die grossen die kleinen. Denn sicher hat die Natur, an sich betrachtet, das höchste Recht zu Allem, was sie vermag, d.h. das Recht der Natur geht so weit wie ihre Macht; denn die Macht der Natur ist die Macht Gottes selbst, der das höchste Recht zu Allem hat. Weil nun die gesammte Macht der ganzen Natur nur die Summe der Macht aller Einzelnen ist, so folgt, dass jeder[208] Einzelne das höchste Recht auf Alles hat, was er vermag, oder dass das Recht eines Jeden sich soweit ausdehnt als seine besondere Macht sich erstreckt. Und weil es das höchste Gesetz der Natur ist, dass jedes Ding in seinem Zustande, so viel es vermag, zu beharren sucht, und zwar nur seinetwegen und nicht eines anderen wegen, so folgt, dass jeder Einzelne das höchste Recht dazu hat, d.h. (wie gesagt) zum Dasein und Wirken so, wie er natürlich bestimmt ist.

Auch erkenne ich hier keinen Unterschied zwischen den Menschen und den anderen Geschöpfen der Natur an, und auch nicht zwischen den vernünftigen Menschen und anderen, welche die wahre Vernunft nicht kennen; auch nicht zwischen den Blödsinnigen, Wahnsinnigen und Gesunden. Denn was jedes Ding nach den Gesetzen seiner Natur thut, das thut es mit dem höchsten Recht, da es handelt, wie es von Natur bestimmt ist und nicht anders kann. Deshalb lebt unter Menschen, so lange sie blos unter der Herrschaft der Natur befindlich aufgefasst werden, sowohl Der, welcher die Vernunft noch nicht kennt oder die Gewohnheit der Tugend noch nicht hat, nur nach den Gesetzen seiner Begierden mit demselben höchsten Recht wie Der, der sein Leben nach den Gesetzen der Vernunft einrichtet. Das heisst; So wie der Weise das höchste Recht zu Allem hat, was die Vernunft gebietet, oder nach den Gesetzen der Vernunft zu leben, so hat der Unwissende und Unverständige das höchste Recht zu Allem, was die Begierde verlangt, oder nach den Gesetzen seiner Begierden zu leben. Und das ist dasselbe, was Paulus sagt, der vor dem Gesetze, d.h. so lange die Menschen unter der Herrschaft der Natur lebend aufgefasst werden, keine Sünde anerkennt.

Daher wird das natürliche Recht jedes Menschen nicht durch die gesunde Vernunft, sondern durch die Begierde und die Macht bestimmt; denn nicht Alle sind von Natur bestimmt, nach den Regeln und Gesetzen der Vernunft zu wirken, vielmehr werden sie in Unkenntniss aller Dinge geboren, und ehe sie die wahre Weise des Lebens erkennen und die Gewohnheit der Tugend erwerben können, geht ein grosser Theil ihres Lebens, selbst wenn sie gut erzogen werden, vorüber, und sie müssen doch inmittelst leben und sich, soweit sie vermögen, erhalten; nämlich[209] nach dem Antriebe der blossen Begierden; denn die Natur hat ihnen nur diese gegeben, und die wirkliche Macht, nach der gesunden Vernunft zu leben, verweigert. Deshalb brauchen sie nicht mehr nach dem Gesetze der gesunden Vernunft zu leben, als die Katze nach den Gesetzen der Löwennatur. Was daher Jeder, der nur unter der Herrschaft der Natur aufgefasst wird, als nützlich für sich hält, sei es in Leitung der gesunden Vernunft, sei es im Antriebe seiner Begierden, das begehrt er mit dem höchsten Recht der Natur, und er darf es auf alle Weise, durch Gewalt, List, Bitten, oder wie es sonst am leichtesten möglich, sich zueignen und deshalb Den für einen Feind halten, der ihn in der Ausführung seiner Absicht hindert.

Hieraus folgt, dass das Recht und die Einrichtung der Natur, unter der Alle geboren werden und grösstentheils leben, nur das verbieten, was Niemand begehrt und Niemand vermag; sie verbieten weder den Streit, noch den Hass, noch den Zorn, noch die List, noch überhaupt etwas, was die Begierde verlangt. Es ist dies nicht zu verwundern; denn die Natur befasst nicht blos die Gesetze der menschlichen Vernunft, die nur das wahre Beste und die Erhaltung der Menschen wollen, sondern noch viele andere, welche sich auf die ewige Ordnung der ganzen Natur beziehen, von denen der Mensch nur ein kleiner Theil ist. Aus der blossen Nothwendigkeit dieser wird jedes Einzelne zum Dasein und Wirken in fester Weise bestimmt. Alles, was uns in der Natur lächerlich, verkehrt oder schlecht erscheint, kommt daher nur davon, dass wir die Dinge blos theilweise kennen und die Ordnung und den Zusammenhang der ganzen Natur zum grössten Theil nicht kennen; weil wir Alles unserer Vernunft gemäss geleitet haben wollen, während doch, was unsere Vernunft für ein Uebel erklärt, kein Uebel ist in Bezug auf die Ordnung und die Gesetze der ganzen Natur, sondern nur rücksichtlich der Gesetze unserer Natur allein.

Indess kann Niemand bezweifeln, dass es für die Menschen nützlicher ist, nach den Gesetzen und sicheren Geboten der Vernunft zu leben. Ferner verlangt Jeder sicher und ohne Furcht, soweit es möglich ist, zu leben. Dies ist aber nicht möglich, so lange Jeder nach Belieben Alles thun kann, und die Vernunft nicht mehr Recht hat als der[210] Hass und der Zorn. Denn Jedermann lebt in Sorgen zwischen Feindschaft, Zorn, Hass und Betrug, und sucht sie zu vermeiden, so viel er vermag. Auch wenn man bedenkt, dass die Menschen ohne gegenseitige Hülfe nur elend und ohne die nothwendige Ausbildung der Vernunft leben, wie ich in Kap. 5 gezeigt habe, so erhellt, dass die Menschen, um sicher und möglichst gut zu leben, sich vereinigen müssen und so es bewirken, dass sie gemeinsam das Recht auf Alles haben, was jeder Einzelne von Natur hat, und dass sie nicht mehr durch die Gewalt und die Begierde des Einzelnen, sondern durch die Macht und den Willen Aller bestimmt werden. Dies wäre jedoch vergeblich erstrebt worden, wenn sie nur den Antrieben ihrer Begierden folgen wollten, da nach den Gesetzen dieser Jeder zu Verschiedenem getrieben wird; deshalb mussten sie fest bestimmen und übereinkommen, nur nach dem Ausspruch der Vernunft, dem Niemand bei gesundem Verstande zu widersprechen wagt, Alles zu leiten und die Begierde, soweit sie etwas zum Schaden eines Anderen verlangt, zu zügeln und Niemandem das zu thun, was man will, dass Einem selbst nicht gethan werde, und das Recht des Anderen endlich gleich dem seinen zu vertheidigen.

Wie nun dieser Vertrag zu schliessen ist, damit er gültig und fest sei, ist nun zu untersuchen. Das allgemeine Gesetz der menschlichen Natur ist, dass Niemand das, was er für gut hält, vernachlässigt, ausgenommen in Hoffnung eines grösseren Gutes oder aus Furcht eines grösseren Schadens, und dass Niemand ein Uebel vorzieht, als nur um ein grösseres zu vermeiden, oder in Hoffnung eines grösseren Gutes; d.h. Jeder wird von zwei Gütern das nach seiner Meinung grössere, und von zwei Uebeln das nach seiner Meinung kleinere wählen. Ich sage ausdrücklich, dass er das nach seiner Meinung grössere oder kleinere wählt, aber nicht, dass die Sache sich wirklich so verhält, wie er meint. Und dieses Gesetz ist so fest der menschlichen Natur eingeprägt, dass es zu den ewigen Wahrheiten gerechnet werden muss, die Jedermann weiss. Es folgt daraus, dass Niemand, ohne betrogen zu sein, versprechen wird, sich seines Rechtes auf Alles zu entäussern, und dass Niemand sein Versprechen unbedingt halten wird, als nur in Furcht eines grösseren Uebels oder[211] in Hoffnung eines grössern Gutes, um dies besser darzulegen, setze man, ein Räuber zwingt mich zu dem Versprechen, ihm meine Güter, wo er will, zu geben. Wenn nun schon, wie gezeigt, mein natürliches Recht nur nach meiner Macht sich bestimmt, so ist sicher, dass, wenn ich durch List mich von diesem Räuber befreien kann, indem ich ihm das, was er verlangt, verspreche, es mir nach dem Naturrecht zu thun erlaubt ist, nämlich betrügerisch ihm, was er Will, zu versprechen. Oder man nehme, ich hätte Jemand ohne Betrug versprochen, zwanzig Tage lang keine Speise und Nahrung zu mir zu nehmen, und ich hätte nachher eingesehen, dass ich dies thörichter Weise versprochen, und ich es ohne den grössten Schaden nicht halten könne, so darf ich, da ich nach dem Naturrecht von zwei Uebeln das kleinere zu erwählen gehalten bin, mit vollem Rechte einen solchen Vertrag brechen und das Gesagte als nicht gesagt behandeln. Dies, sage ich, ist nach dem Naturrecht erlaubt, mag ich es als wahr und richtig erkennen, dass ich falsch versprochen habe, oder mag es mir nur in meiner Meinung so scheinen. Denn mag es mir wahrhaft oder fälschlich so scheinen, so werde ich doch immer das grössere Uebel fürchten und es nach der Einrichtung der Natur auf jede Weise zu vermeiden suchen. Deshalb kann kein Vertrag Kraft haben als nur durch seinen Nutzen; fällt dieser weg, so fällt auch der Vertrag, welcher dann als ungültig aufgehoben wird. Es ist deshalb thöricht, dass man die Treue von einem Anderen in Ewigkeit für sich verlangt, wenn man nicht gleichzeitig sorgt, dass aus dem Bruch des Vertrages für den Vertragsbrecher mehr Schaden als Vortheil hervorgeht, was bei Einrichtung eines Staates hauptsächlich seine Stelle findet.

Wenn alle Menschen sich leicht durch die Vernunft allein leiten liessen und den hohen Nutzen und die Nothwendigkeit des Staates einsähen, so würde Jeder die List verabscheuen, und Alle würden in dem Verlangen nach diesem höchsten Gut, d.h. der Erhaltung des Staates, mit der höchsten Treue an den Verträgen halten und die Treue, als den höchsten Schatz des Staates, über Alles halten. Allein es fehlt viel daran, dass Alle sich leicht durch die blosse Vernunft leiten liessen; Jeder wird vielmehr von seinen Lüsten beherrscht, und seine Seele[212] wird von Geiz, Ehrsucht, Neid, Zorn u.s.w. oft so eingenommen, dass kein Platz für die Vernunft bleibt; wenn deshalb die Menschen auch mit dem sicheren Zeichen einer ehrlichen Absicht versprechen und übereinkommen, sich die Treue zu bewahren, so kann doch Niemand dieser Treue des Anderen sicher sein, wenn nicht zu dem Versprechen noch etwas hinzukommt, da Jeder nach dem Naturrecht betrügerisch handeln und von dem Vertrage abgehen kann, wenn er nicht damit ein grosses Gut erhofft oder ein grosses Uebel vermeidet. Da ich aber schon gezeigt habe, dass das natürliche Recht eines Jeden so weit geht als seine Macht, so folgt, dass, so viel als Jeder von seiner Macht auf den Anderen gezwungen oder freiwillig überträgt, so viel tritt er ihm auch von seinem Rechte ab. Danach hat Derjenige das höchste Recht über Alle, welcher die höchste Macht hat, Alle zu zwingen und durch Furcht vor hohen Strafen, die Alle allgemein fürchten, zu bewältigen. Dieses Recht wird er nur so lange behalten, als er diese Macht, Alles, was er will, auszuführen, behält; ohnedem wird er nur bittweise befehlen, und Niemand wird weiter, als er Lust hat, ihm gehorchen.

In dieser Weise kann ohne allen Widerstreit des natürlichen Rechtes eine Gesellschaft sich bilden und jeder Vertrag immer treulich gehalten werden; wenn nämlich Jeder alle seine Macht auf die Gesellschaft überträgt, die damit das höchste natürliche Recht auf Alles, d.h. die höchste Herrschaft allein behalten wird, und Jeder wird aus freiem Willen oder aus Furcht vor harter Strafe zu gehorchen gehalten sein. Das Recht einer solchen Gesellschaft heisst Demokratie; sie ist also zu definiren als die allgemeine Versammlung der Menschen, welche gemeinschaftlich das höchste Recht auf Alles, was sie kann, besitzt. Daraus folgt, dass die höchste Gewalt durch kein Gesetz gebunden wird, sondern dass Alle ihr in Allem gehorchen müssen. Denn dies mussten Alle entweder stillschweigend oder ausdrücklich ausmachen, als sie alle ihre Macht, sich zu vertheidigen, d.h. all ihr Recht auf sie übertrugen. Wollten sie nämlich sich etwas vorbehalten, so mussten sie gleichzeitig sich dessen versichern, womit sie es vertheidigen könnten; da sie das aber nicht gethan hatten und ohne Theilung der Herrschaft,[213] folglich ohne deren Zerstörung nicht konnten, so haben sie sich dadurch der Willkür der höchsten Gewalt unbedingt unterworfen. Da sie dies, wie gezeigt, unbedingt gethan, und sowohl die Nothwendigkeit sie dazu trieb, wie die Vernunft dazu rieth, so folgt, dass, wenn wir nicht Feinde des Staates sein und gegen die Vernunft, welche den Staat mit allen Kräften zu vertheidigen verlangt, handeln wollen, wir gehalten sind, alle Befehle der höchsten Gewalt unbedingt zu vollstrecken, wenn sie auch noch so thöricht sind; denn die Vernunft verlangt deren Ausführung, damit von zwei Uebeln das kleinste gewählt werde. Es kommt hinzu, dass Jedweder diese Gefahr, sich eines Anderen Gewalt und Herrschaft unbedingt zu unterwerfen, nicht zu scheuen brauchte, da dieses Recht, Alles zu gebieten, was beliebt, der höchsten Gewalt nur so lange zukommt, so lange sie diese Gewalt wirklich hat. Sobald sie sie verloren hat, ist auch das Recht, Alles zu gebieten, verloren und geht auf Den oder Die über, welche es erlangt haben und behalten können. Deshalb kann es nur selten vorkommen, dass die höchste Gewalt etwas ganz Verkehrtes befiehlt; denn sie selbst muss in ihrem Nutzen, und um die Herrschaft zu behalten, für das gemeine Beste sorgen und Alles nach dem Gebot der Vernunft leiten; denn eine gewaltthätige Herrschaft hat, wie Seneca sagt, Niemand lange gehabt. Dazu kommt, dass in dem demokratischen Staate das Verkehrte weniger zu befürchten ist; denn es ist beinahe unmöglich, dass der grössere Theil einer grossen Versammlung in einem Verkehrten übereinstimme, schon wegen ihrer Grundlage und ihres Zweckes, der, wie gezeigt, nur ist, die verkehrten Begierden zu hemmen und die Menschen in den Grenzen der Vernunft so viel als möglich zu erhalten, damit sie einträchtig und friedlich leben; wird diese Grundlage genommen, so stürzt leicht der ganze Bau. Dafür zu sorgen, liegt also nur der höchsten Gewalt ob, und die Unterthanen haben, wie gesagt, nur ihre Gebote zu vollführen und nur das für Recht anzuerkennen, was die höchste Gewalt dafür erklärt.

Indess wird man vielleicht meinen, ich mache damit die Unterthanen zu Sklaven, weil man Den für einen Sklaven hält, der auf Befehl handelt, und Den für einen Freien, der nach seinem Belieben handelt. Allein dies ist nicht[214] unbedingt wahr; denn wer von seinen Lüsten so beherrecht wird, dass er das ihm Nützliche weder sehen noch vollführen kann, ist der grösste Sklave, und nur Der ist frei der mit ganzer Seele nur in Leitung der Vernunft lebt. Das Handeln nach Befehl, d.h. der Gehorsam, hebt zwar die Freiheit etwas auf, aber macht nicht gleich zum Sklaven, sondern dies thut der Grund des Handelns. Ist der Zweck der Handlung nicht der eigene des Handelnden, sondern der Nutzen des Befehlenden, dann ist der Handelnde ein Sklave und sich selbst unnütz; aber im Staate und in einer Herrschaft, wo das Wohl des ganzen Volkes und nicht des Befehlenden das höchste Gesetz ist, ist Der, welcher in Allem der höchsten Gewalt gehorcht, kein Sklave, der für sich nichts Nützliches thäte, sondern ein Unterthan, und deshalb ist derjenige Staat der freieste, dessen Gesetze auf die gesunde Vernunft gegründet sind; denn da kann Jeder überall frei sein, d.h. mit voller Seele nur nach der Leitung der Vernunft leben. Deshalb sind auch die Kinder, obgleich sie allen Befehlen der Eltern gehorchen müssen, doch keine Sklaven; denn die Befehle der Eltern zielen vor Allem auf den Nutzen der Kinder ab. Ich erkenne deshalb einen grossen unterschied zwischen einem Sklaven, Sohn und Unterthan, und man muss sie deshalb dahin definiren, dass Sklave Der ist, welcher den nur auf den Nutzen des Befehlenden abzielenden Geboten desselben gehorchen muss; ein Sohn aber, welcher das ihm Nützliche auf Befehl seiner Eltern thut, und ein Unterthan Der, welcher das, was der Gemeinschaft, folglich auch ihm nützlich ist, auf Befehl der höchsten Gewalt thut.

Damit glaube ich die Grundlagen des demokratischen Staates hinlänglich klar dargelegt zu haben, über den ich vorzüglich handeln will, da er der natürlichste scheint, und der, welcher der Freiheit, welche die Natur Jedem gewährt, am nächsten kommt. Denn in ihm überträgt Niemand sein natürliches Recht auf einen Anderen so, dass er niemals deshalb später gefragt zu werden braucht; sondern die Uebertragung geschieht an die Mehrheit der ganzen Gemeinschaft, von der er einen Theil bildet. So bleiben Alle sich gleich, wie in dem natürlichen Zustande. Ich habe ferner über diese Staatsform absichtlich handeln wollen, weil sie am meisten zu meinem Vorhaben passt, wonach[215] ich über den Nutzen der Freiheit in der Republik handeln wollte. Ich werde also die Grundlagen der übrigen Staatsformen bei Seite lassen, und wir brauchen auch deren Recht nicht zu kennen und nicht zu wissen, wie und woher sie entstanden sind; denn aus dem hier Dargelegten gellt dies genügend hervor. Denn wer die höchste Gewalt hat, sei es Einer oder Einige oder endlich Alle, dem gebührt das Recht, zu gebieten, was ihm beliebt, und wer ferner seine Macht, sich zu vertheidigen, freiwillig oder gezwungen auf einen Anderen übertragen, der hat sein natürliches Recht ganz abgetreten und sich zu dem unbedingten Gehorsam verpflichtet, den er leisten muss, so lange der König oder die Edeln oder das Volk die höchste Gewalt, die sie empfangen, und welche die Grundlage der Uebertragung des Rechts war, sich erhalten. Mehr brauche ich nicht zu sagen.

Nachdem ich die Grundlage und das Recht der Staatsgewalt aufgezeigt, ist es leicht zu bestimmen, was das bürgerliche Recht des Einzelnen, was Unrecht, was Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit in dem bürgerlichen Zustande ist; ferner wer ein Verbündeter, wer ein Feind und was endlich das Verbrechen der verletzten Majestät ist. Unter dem bürgerlichen Recht des Einzelnen ist nur dessen Freiheit zu verstehen, sich in seinem Zustande zu erhalten, welche Freiheit durch die Erlasse der Staatsgewalt bestimmt und durch deren Macht allein vertheidigt wird. Denn nachdem ein Jeder sein Recht, nach seinem Belieben zu leben, wo nur seine Macht ihn beschränkte, d.h. seine Freiheit und Macht, sich zu vertheidigen, auf einen Anderen übertragen hat, so muss er nur nach dessen Willen leben und blos durch dessen Schutz sich vertheidigen. – Unrecht ist es, wenn ein Bürger oder Unterthan von einem Anderen einen Schaden gegen das bürgerliche Recht oder das Gebot der Staatsgewalt zu erleiden gezwungen wird. Das Unrecht kann nur im bürgerlichen Zustand gedacht werden; auch kann es von der Staatsgewalt, der nach dem Recht Alles erlaubt ist, den Unterthanen nicht zugefügt werden; deshalb kann Unrecht nur zwischen den Einzelnen vorkommen, welche nach dem Recht sich gegenseitig nicht verletzen sollen. Die Gerechtigkeit ist der beharrliche Wille, Jedem das, was ihm nach dem bürgerlichen[216] Recht zukommt, zu geben; Ungerechtigkeit ist es, wenn man unter dem Schein des Rechtes einem Anderen nimmt, was ihm nach dem wahren Sinn der Gesetze gebührt. Sie heissen Billigkeit und Unbilligkeit, weil die zur Entscheidung der Streitigkeit eingesetzten Personen keine Rücksicht auf die Person nehmen sollen, sondern Alle für gleich zu achten und das Recht eines Jeden gleich sehr zu schätzen haben, ohne den Reichen zu beneiden oder den Armen zu verachten. – Verbündete sind die Menschen zweier Staaten, welche, um den Gefahren des Krieges zu entgehen, oder zu einem anderen Nutzen übereinkommen, einander nicht zu verletzen, vielmehr im Nothfall zu helfen, wobei aber Jeder seine Staatsgewalt behält. Ein solcher Vertrag gilt so lange, als dessen Grundlage, nämlich die Rücksicht auf die Gefahr oder den Nutzen, besteht. Denn Niemand schliesst einen Vertrag und braucht denselben zu halten, als in Hoffnung eines Gutes oder in Sorge eines Uebels. Fällt diese Grundlage fort, so fällt auch der Vertrag fort, wie auch die Erfahrung genügend lehrt. Denn wenn auch mehrere Staaten übereinkommen, einander nicht zu verletzen, so suchen sie doch nach Möglichkeit das Anwachsen der Macht des anderen zu hindern und trauen den Worten nicht, wenn der Zweck und Nutzen des Vertrages für Beide nicht klar ersichtlich ist, ohnedem fürchten sie Hinterlist, und mit Recht. Denn nur ein Dummer, der das Recht der höchsten Gewalt nicht kennt, wird sich auf die Worte und Versprechen Dessen verlassen, der die höchste Macht und das Recht, Alles zu thun, inne hat, und für den das Wohl und der Nutzen des Staates das höchste Gesetz sein soll. Nimmt man dabei auf Frömmigkeit und Religion Rücksicht, so sieht man überdem, dass kein Inhaber der Staatsgewalt zum Schaden des Staates das Versprechen halten darf, ohne ein Verbrechen zu begehen. Denn Alles, was er versprochen hat, was aber zum Schaden seines Staates ausschlägt, das kann er nur leisten, indem er sein Wort den Unterthanen nicht hält, was er doch vor Allem schuldig ist, und das zu halten am heiligsten versprochen wird. – Ein Feind ist, wer ausserhalb des Staates so lebt, dass er denselben weder als Verbündeter noch als Unterthan anerkennt. Denn den Feind macht nicht der Hass gegen den Staat, sondern[217] das Recht, und zwar das Recht des Staates gegen Den, welcher dessen Herrschaft aus keiner Art von Vertrag anerkennt, ebenso wie gegen Den, der einen Schaden ihm zugefügt hat; er kann ihn auf alle Weise zur Unterwerfung oder zur Verbündung rechtlich nöthigen. – Das Verbrechen der beleidigten Majestät hat endlich nur bei den Unterthanen oder Bürgern Statt, welche durch stillschweigenden oder ausdrücklichen Vertrug ihr ganzes Recht auf den Staat übertragen haben; ein Unterthan hat dieses Verbrechen begangen, wenn er versucht hat, der Staatsgewalt auf irgend eine Weise sich zu bemächtigen oder sie auf einen Anderen zu übertragen. Ich sage: »versucht hat«; denn sollte die Verurtheilung erst nach vollendetem Verbrechen zulässig sein, so würde nach Annahme des neuen Rechts oder dessen Uebertragung auf einen Anderen der Staat dies meist zu spät unternehmen. Ich sage ferner unbedingt: »wer auf eine Art die Staatsgewalt zu ergreifen versucht«, indem ich keinen Unterschied mache, ob Schaden oder Nützen für den Staat daraus, wenn auch noch so deutlich, daraus folgt. Denn aus welchem Grunde es auch versucht wird, so bleibt die Majestätsbeleidigung, und die Verurtheilung geschieht mit Recht, was vor Allem bei dem Kriege anerkannt wird. Wenn z.B. Jemand nicht auf seinem Posten bleibt, sondern ohne Vorwissen des Feldherrn zum Feinde geht, wenn er auch in guter Absicht, aber für sich die Sache begonnen und den Feind geschlagen hat, so ist er doch mit Recht des Todes schuldig, weil er das Recht des Feldherrn und seinen eigenen Schwur verletzt hat. Dass alle Bürger für immer und unbedingt so verpflichtet sind, wird zwar nicht ebenso deutlich eingesehen, aber der Grund ist ganz derselbe. Denn wenn der Staat nur nach dem Willen der Staatsgewalt erhalten und geleitet werden soll, und wenn man unbedingt ausgemacht hat, dass ihm dies Recht zustehen soll, so verletzt Jeder, der nach seinem Ermessen und ohne Vorwissen der höchsten Gewalt ein öffentliches Geschäft auszuführen unternimmt, wenn auch ein Nutzen für den Staat daraus sich ergiebt, doch das Recht der höchsten Gewalt und ihre Majestät und wird deshalb mit Recht verurtheilt.

Ich bin, um alle Zweifel zu beseitigen, noch eine Antwort auf die Frage schuldig, ob meine obige Behauptung,[218] dass Jeder, dem der Gebrauch der Vernunft fehlt, in natürlichem Zustande nach den Regeln seiner Begierden mit vollem Rechte der Natur lebe, nicht offen mit dem offenbarten göttlichen Recht in Widerspruch steht? Denn da Alle, mögen sie Vernunft haben oder nicht, gleich unbedingt nach dem göttlichen Gebot gehalten sind, ihren Nächsten wie sich selbst zu lieben, so kann man nicht ohne Unrecht einem Anderen Schaden zufügen und blos nach den Regeln seiner Begierden leben. Indess kann auf diesen Einwand leicht geantwortet werden, wenn man nur auf den natürlichen Zustand achtet; denn dieser ist der Natur und der Zeit nach früher als die Religion. Denn Niemand weiss von Natur, dass er Gott zum Gehorsam verpflichtet sei, und Jeder kann nicht durch die Vernunft, sondern nur durch eine mit Zeichen bestätigte Offenbarung dies wissen. Deshalb ist Niemand vor der Offenbarung durch das göttliche Recht gebunden, das er ja nicht kennen kann. Daher darf der natürliche Zustand nicht mit dem der Religion verwechselt werden, und er muss als einer ohne Religion und Gesetz und folglich auch ohne Sünde und Unrecht aufgefasst werden, wie ich schon gethan und durch das Ansehn des Paulus bekräftigt habe. Der natürliche Zustand ist nicht blos rücksichtlich der Unkenntniss von dem geoffenbarten göttlichen Recht und ohne solches aufzufassen, sondern auch rücksichtlich der Freiheit, in der Alle geboren werden. Wären die Menschen von Natur dem göttlichen Recht unterworfen, oder wäre das göttliche Recht von Natur Recht, so war es überflüssig, dass Gott mit den Menschen einen Vertrag einging und durch Vertrag und Eid sie verpflichtete. Deshalb hat offenbar das göttliche Recht erst von da ab begonnen, wo die Menschen in einem ausdrücklichen Vertrage Gott Gehorsam in allen Dingen versprochen, womit sie ihre natürliche Freiheit gleichsam aufgaben und ihr Recht auf Gott übertrugen, wie dies nach dem Obigen auch in dem bürgerlichen Zustande geschieht. Indess werde ich später hierüber ausführlicher handeln.

Man kann indess erwidern, dass die Staatsgewalten ebenso wie die Unterthanen dem göttlichen Recht untergeben seien, während ich gesagt, dass jene ihr natürliches Recht behalten und ihnen Alles erlaubt sei. Um diese Schwierigkeit ganz zu beseitigen, welche nicht aus dem[219] natürlichen Zustand, sondern aus dem natürlichen Recht entspringt, sage ich, dass im natürlichen Zustande Jeder durch das geoffenbarte Recht in derselben Weise zu leben verbunden ist, wie er es durch das Gebot der Vernunft ist, nämlich deshalb, weil es nützlich und zum Heile nothwendig ist; will er dies nicht, so kann er es auf seine Gefahr. Er ist also blos gehalten, nach seinem Willen, nicht aber nach dem eines Anderen zu leben, und er braucht keinen Sterblichen als seinen Richter noch als Rächer nach dem Recht der Religion anzuerkennen. Dieses Recht hat die höchste Staatsgewalt behalten, welche zwar für die Menschen sorgen kann, aber keinen Richter und keinen Sterblichen ausser sich als Vertheidiger des Rechts anzuerkennen braucht, mit Ausnahme des Propheten, wenn er von Gott ausdrücklich abgesandt worden ist und dies durch zweifellose Zeichen bestätigt hat. Aber auch dann hat die Staatsgewalt keinen Menschen, sondern nur Gott als Richter anzuerkennen. Wollte sie Gott in seinem offenbarten Rechte nicht gehorchen, so stände ihr dies auf ihre Gefahr und Schaden frei; weder das bürgerliche noch das natürliche Recht hindert sie daran; denn jenes hängt nur von ihr selbst ab, und dieses hängt von den Gesetzen der Natur ab, welche nicht der Religion, die nur den Nutzen der Menschen bezweckt, sondern der Ordnung der ganzen Natur, dem ewigen, uns unbekannten Rathschluss Gottes angepasst sind. Dies scheinen Einzelne, wenn auch dunkel, eingesehen zu haben, die annehmen, dass der Mensch zwar gegen den geoffenbarten Willen Gottes, aber nicht gegen seinen ewigen Rathschluss, mit dem er Alles vorausbestimmt hat, sündigen könne.

Fragt man aber, ob, wenn die Staatsgewalt etwas befiehlt, was gegen die Religion und gegen den Gott durch einen ausdrücklichen Vertrag versprochenen Gehorsam geht, wem man da gehorchen soll, ob dem göttlichen oder dem menschlichen Gebot, so sage ich, da ich darüber bald ausführlicher handeln werde, hier nur kurz, dass man Gott vor Allem gehorchen müsse, wenn man eine gewisse und zuverlässige Offenbarung hat. Allein in Betreff der Religion pflegen die Menschen am meisten zu irren und nach Unterschied ihrer Einsicht in grossem Streit Vieles zu erdichten, wie die Erfahrung hinreichend[220] lehrt. Deshalb würde offenbar, wenn Niemand der Staatsgewalt in dem, was er selbst zur Religion rechnet, zu gehorchen brauchte, das Recht des Staates lediglich von den verschiedenen Einsichten und Leidenschaften der Einzelnen abhängen. Niemand wäre daran gebunden, wenn es nach seiner Ansicht gegen seinen Glauben oder Aberglauben liefe, und so könnte unter diesem Vorwand Jeder sich Alles erlauben. Da also damit das Recht des Staats ganz zerstört wird, so folgt, dass die Staatsgewalt, der allein obliegt, die Rechte des Staates zu bewahren und zu schützen, sowohl nach göttlichem wie nach natürlichem Recht auch das oberste Recht hat, über die Religion zu bestimmen, was sie für gut hält, und dass Alle ihren hierüber ergehenden Befehlen und Beschlüssen vermöge des gegebenen Versprechens, was Gott zu halten gebietet, zu gehorchen verpflichtet sind.

Sind die Inhaber der Staatsgewalt Heiden, so muss man mit ihnen keinen Vertrag abschliessen, sondern lieber das Aeusserste erleiden, als sein Recht auf sie übertragen; oder ist man übereingekommen, und hat man sein Recht auf sie übertragen, so muss man ihnen auch gehorchen und die Treue halten, oder den Zwang dazu anerkennen, da man sich damit auch des Rechts, die Religion zu vertheigen, verlustig gemacht hat. Davon ist nur Derjenige ausgenommen, dem Gott durch sichere Offenbarung eine besondere Hülfe gegen den Tyrannen zugesagt hat oder ihn namentlich ausgenommen wissen will. So waren es von so vielen Juden in Babylon nur drei Jünglinge, die an Gottes Hülfe nicht verzweifelten und deshalb dem Nebucadnezar nicht gehorchen mochten; aber die Anderen alle, mit Ausnahme Daniel's, welchen der König selbst angeleitet hatte, haben ohne Bedenken sich dem Zwang der Gesetze gefügt, indem sie vielleicht bedachten, dass Gottes Rathschluss sie dem Könige überliefert und, dieser die höchste Gewalt inne habe und unter göttlicher Leitung sich erhalte. Dagegen wollte Eleazar, als der Staat noch bestand, den Seinigen ein Beispiel der Festigkeit geben, damit sie ihm nachfolgten und lieber Alles ertrügen, als zugäben, dass ihr Recht und Gewalt auf die Griechen übertragen werde, und dass sie lieber Alles versuchten, als den Heiden Treue zu schwören.

Dies bestätigt auch die tägliche Erfahrung; denn die[221] christlichen Staatsgewalten tragen zur mehreren Sicherheit kein Bedenken, Bündnisse mit den Türken und Heiden einzugehen, und ihren Unterthanen, die dort sich niederlassen wollen, befehlen sie, sich keine grössere Freiheit in menschlichen und göttlichen Angelegenheiten zu nehmen, als sie ausdrücklich ausgemacht haben, oder jene Staaten ihnen bewilligen. Dies ergiebt der Vertrag der Niederländer mit den Japanesen, den ich oben erwähnt habe.

Quelle:
Spinoza: Theologisch-politische Abhandlung. Berlin 1870, S. 208-222.
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