[222] Obgleich die im vorigen Kapitel enthaltene Betrachtung über das Recht der Staatsgewalt auf Alles und über das ihr übertragene natürliche Recht des Einzelnen mit der Praxis so ziemlich stimmt, und die Praxis so eingerichtet werden kann, dass sie ihr sich immer mehr annähert, so ist sie doch in vielen Punkten blosse Theorie geblieben. Denn Niemand wird ja seine Macht und folglich auch sein Recht auf einen Anderen so übertragen können, dass er aufhört, ein Mensch zu sein, und es wird nie eine solche Staatsgewalt geben, die Alles so ausführen kann, wie sie will. Sie würde vergeblich den Unterthanen befehlen, den Wohlthäter zu hassen oder den Beschädiger zu lieben, von Verleumdungen sich nicht verletzt zu fühlen, sich von der Furcht nicht befreien zu wollen und Anderes dergleichen mehr, was aus den Naturgesetzen sich ergiebt. Auch lehrt dies die Erfahrung meines Erachtens[222] deutlich; denn nirgends haben die Menschen ihr Recht in der Art abgetreten und ihre Macht so auf einen Anderen übertragen, dass Die, welche dieses Recht und diese Macht empfingen, jene nicht mehr fürchteten, und dass ihrer Herrschaft nicht von den Bürgern, obgleich sie ihrer Rechte beraubt waren, mehr als von den Feinden Gefahr drohte. Wenn freilich die Menschen ihres natürlichen Rechtes so beraubt werden könnten, dass sie später nichts mehr vermöchten, als was die Inhaber der Staatsgewalt gestatteten, dann könnte diese allerdings ungestraft auf das Gewaltthätigste über ihre Unterthanen herrschen; allein dies wird Niemand in den Sinn kommen. Deshalb muss man anerkennen, dass Jeder sich viele Rechte zurückbehält, die deshalb nicht von dem Belieben eines Anderen, sondern nur von ihm abhängen.
Um indess die Grenzen, wie weit das Recht und die Macht der Staatsgewalt sich erstreckt, richtig einzusehen, ist festzuhalten, dass die Macht der Staatsgewalt nicht blos darin besteht, dass sie die Menschen durch Furcht zwingen kann, sondern in Allem, wodurch sie überhaupt sich Gehorsam verschaffen kann; da nicht der Grund des Gehorsams, sondern der Gehorsam die Unterthanen macht. Aus welchem Grunde auch Jemand beschliesst, das Gebot der Staatsgewalt zu vollziehen, sei es aus Furcht vor Strafe oder aus Hoffnung oder aus Liebe zum Vaterlande oder aus Antrieb eines anderen Gefühls, so überlegt er zwar nach seinen eigenen Gedanken, aber handelt dennoch nach dem Gebot der höchsten Gewalt. Also kann man nicht deshalb, dass Jemand etwas freiwillig thut, sofort schliessen, er handle aus seinem und nicht nach dem Rechte der Staatsgewalt. Denn da man sowohl durch Liebe veranlasst, wie durch Furcht genöthigt, um einem Uebel zu entgehen, aber immer nach eigner Ueberlegung und eignem Entschluss handelt, so giebt es entweder keine Staatsgewalt und kein Recht über Unterthanen, oder es erstreckt sich auf Alles, was bewirkt, dass die Menschen ihr nachzugeben sich entschliessen. Was ein Unterthan thut, der den Befehlen der Staatsgewalt nachkommt, mag er dabei durch Liebe bestimmt oder durch Furcht getrieben werden oder, was das Gewöhnlichere ist, von Hoffnung und Furcht zugleich, oder aus Ehrfurcht, was ein aus Furcht und Bewunderung zusammengesetztes[223] Gefühl ist, oder aus irgend einer Ursache, der handelt nach dem Befehle des Staates, aber nicht nach seinem Recht. Dies ergiebt sich auch klar daraus, dass der Gehorsam nicht sowohl die äussere Handlung als die innere der Seele angeht. Deshalb ist der unter der Gewalt eines Anderen, welcher aus voller Seele allen seinen Befehlen zu gehorchen bereit ist, und deshalb hat Der die grösste Gewalt, welcher über die Gemüther der Unterthanen herrscht. Hätten Diejenigen die grösste Gewalt, die am meisten gefürchtet werden, so besässen sie die Untergebenen des Tyrannen; denn diese werden von ihren Tyrannen am meisten gefürchtet. Wenn man auch der Seele und der Zunge nicht gebieten kann, so stehen doch die Geister in gewissem Sinne unter dem Befehl der Staatsgewalt, da sie viele Mittel hat, um den grössten Theil der Menschen das glauben, lieben oder hassen zu machen, was sie will. Wenn dies also auch nicht auf ausdrücklichen Befehl der Staatsgewalt geschieht, so geschieht es doch, wie die Erfahrung genügend lehrt, durch das Ansehn und die Leitung dieser Gewalt, d.h. durch ihr Recht. Deshalb kann man sich ohne Widerspruch Menschen vorstellen, die vermöge des blossen Rechts des Staates glauben, lieben, hassen, verachten und überhaupt in Affekt gerathen.
Obgleich ich hiernach das Recht und die Macht des Staates sehr ausgedehnt auffasse, so kann sie doch nie so gross sein, dass deren Inhaber ohne jede Schranke die Macht zu Allem, was sie wollen, hätten. Ich glaube dies schon hinreichend dargethan zu haben. In welcher Weise aber die Staatsgewalt einzurichten ist, dass sie demnach gesichert bleibt, dies zu zeigen, ist, wie gesagt, nicht meine Absicht. Um indess dahin zu gelangen, wohin ich will, werde ich das berühren, was zu diesem Zwecke vorzüglich die göttliche Offenbarung dem Moses gelehrt hat, und ich werde dann die Geschichte und Erfolge der Juden in Erwägung nehmen, woraus sich dann ergeben wird, was den Unterthanen zur grösseren Sicherheit und zum Wachsthum des Staats von der höchsten Gewalt zugestanden werden kann.
Vernunft und Erfahrung lehren deutlich, dass der Bestand des Staates vorzüglich von der Treue der Unterthanen und von ihrer Tugend und Beharrlichkeit abhängt,[224] mit der sie die Befehle befolgen; allein es ist nicht so leicht ersichtlich, wie die Unterthanen behandelt werden müssen, damit sie beständig treu und tugendhaft bleiben; denn sowohl die Regierenden wie die Regierten sind Menschen und zur Lust ohne Arbeit geneigt. Wer den wechselnden Sinn der Menge erfahren hat, verzweifelt beinahe daran, weil sie nicht durch die Vernunft, sondern nur durch die Affekte sich leiten lässt, und weil sie zu Allem bereit ist und leicht durch Geiz oder Ueppigkeit verdorben wird. Jeder Einzelne meint Alles zu verstehen und will, dass Alles nach seinem Sinn geschehe; er hält etwas für unbillig oder billig, für ungerecht oder gerecht, nur soweit es ihm Schaden oder Nutzen bringen kann; aus Ehrgeiz verachtet er Seinesgleichen und lässt sich von ihnen nicht leiten; aus Neid über grössere Ehre oder Glücksguter, die doch niemals gleich sind, wünscht er den Anderen Uebles und erfreut sich daran. Ich brauche nicht Alles herzuzählen; denn Jeder weiss, zu welchen Lastern die Verachtung des Bestehenden und die Begierde nach Neuem sowie der Jähzorn und die Verachtung der Armen die Menschen oft verleiten, und wie sehr diese Leidenschaften ihre Seele erfüllen und bewegen.
Es ist also die Aufgabe und Arbeit, dem Allen zuvorzukommen und die Staatsgewalt so einzurichten, dass für den Betrug kein Raum bleibt, und Alles so zu ordnen, dass Alle trotz ihres verschiedenen Sinnes das öffentliche Recht dem eigenen Nutzen voranstellen. Die Notwendigkeit trieb hier, Vieles auszudenken; allein man ist nie dahin gelangt, dass der Staatsgewalt von ihren Bürgern weniger Gefahr als von ihren Feinden drohte, und dass die Inhaber nicht mehr jene als diese fürchteten. Ein Zeugniss hierfür ist der von Feinden unbesiegte Römische Staat, der so oft von seinen Bürgern besiegt und jämmerlich unterdrückt worden ist; besonders in dem Bürgerkriege des Vespasian gegen Vitellius, den man bei Tacitus im Anfang des 4. Buchs seiner Geschichten nachlesen kann, wo er das elende Aussehen der Stadt schildert. Alexander schätzte, wie Curtius am Ende des 8. Buchs sagt, den Ruhm bei dem Feinde mehr als bei dem Bürger, weil er fürchtete, dass seine Grösse von den Seinigen zerstört werden könne u.s.w. In Furcht vor seinem Schicksal, bittet er seine Freunde: »Schützt mich nur vor[225] innerem Betruge und den Nachstellungen meiner Angehörigen; den Gefahren des Krieges und der Schlacht werde ich ohne Furcht entgegengehen. Philippus war in der Schlacht gesicherter als im Theater; der Hand der Feinde ist er oft entgangen, der Hand seiner Angehörigen konnte er nicht entfliehen. Auch wenn Ihr an das Ende anderer Könige denkt, werdet Ihr mehr zählen, die von den Ihrigen wie von den Feinden getödtet worden sind.« (Curtius, Buch 9, §. 6.) Deshalb haben die Könige, die ehedem die Herrschaft gewonnen, zu ihrer Sicherheit zu verbreiten gesucht, dass sie von den unsterblichen Göttern abstammen. Sie glaubten, dass, wenn nur ihre Unterthanen und Alle sie nicht als Ihresgleichen betrachteten, sondern für Götter hielten, sie sich lieber von ihnen beherrschen lassen und ihnen eher sich unterwerfen würden. So überredete Augustus die Römer, dass er von Aeneas, dem Sohn der Venus, abstamme, der zu den Göttern gerechnet werde; er wollte, dass er in Tempeln und Götterbildnissen durch Flamines und Priester verehrt würde (Tacit. Annal. Buch 1); Alexander wollte als der Sohn Jupiter's gegrüsst sein; er that das absichtlich, nicht aus Stolz, denn er antwortet auf den Vorwurf des Hermolaus: »Es war beinahe lächerlich, dass Hermolaus verlangte, ich sollte dem Jupiter entgegentreten, durch dessen Orakel ich anerkannt werde. Habe ich auch die Antworten der Götter in meiner Gewalt? Er hat mir den Namen des Sohnes gegeben; es war rathsam, in der Sache selbst das anzunehmen, was ich beabsichtige. Wenn nur auch die Inder mich für einen Gott hielten; denn auf dem Ruhm beruht der Krieg, und das Falsche hat durch den Glauben die Stelle des Wahren vertreten.« (Curtius, Buch 8, §. 8.) Er deutet zugleich den Grund der Täuschung an. Dies thut auch Kleon in seiner Rede, mit der er die Macedonier zu überreden suchte, dem Könige beizustimmen; denn nachdem er durch staunende Erzählung des Ruhmes von Alexander und durch Aufzählung seiner Verdienste der Täuschung den Schein der Wahrheit aufgedrückt hatte, geht er so auf den Nutzen über: »Die Perser verehren ihre Könige nicht blos aus Frömmigkeit, sondern auch aus Klugheit als Götter; denn die Majestät ist der Schutz des Heiles,« und endlich schliesst er so: »er selbst werde, wenn der König sich zum Mahle[226] niedergelassen habe, sich zur Erde werfen; dasselbe müssen die Uebrigen, vorzüglich die mit Weisheit Begabten thun.« (Curtius, Buch 8, §. 5.) Die Macedonier waren indess klüger, und nur ganz rohe Menschen lassen sich so offen hintergehen und aus Unterthanen zu Sklaven für Anderer Nutzen machen. Andere vermochten eher den Glauben zu verbreiten, dass die Majestät heilig sei und Gottes Stelle auf Erden vertrete, und von Gott und nicht durch die Stimme und Einwilligung der Menschen erwählt sei, vielmehr durch die Vorsehung und göttliche Hülfe besonders erhalten und geschützt werde. In dieser Art haben die Monarchen noch Anderes zur Sicherung ihrer Herrschaft ausgedacht; ich lasse es jedoch bei Seite, um auf das zurückzukommen, was ich mir vorgesetzt habe. Ich werde, wie gesagt, nur das berühren und erwägen, was für diesen Zweck vorzüglich die göttliche Offenbarung dem Moses gelehrt hat.
Ich habe schon in Kap. 5 gesagt, dass die Juden nach dem Auszug aus Aegypten keines Volkes Rechte mehr unterthan waren, sondern nach Belieben sich ein neues Recht geben und ein Land nach Belieben besetzen konnten. Denn nachdem sie von der unerträglichen Unterdrückung der Aegypter sich befreit hatten und keinem Sterblichen durch Vertrag verpflichtet waren, hatten sie ihr natürliches Recht auf Alles, was sie vermochten, wieder erlangt, und Jeder konnte von Neuem überlegen, ob er es behalten oder abtreten und einem Anderen übertragen wolle. In diesem natürlichen Zustande beschlossen sie auf den Rath Mosis, dem sie am meisten vertrauten, ihr Recht auf keinen Sterblichen, sondern nur auf Gott zu übertragen, und Alle versprachen, ohne viel zu zögern, laut, dass sie Gott in allen seinen Befehlen unbedingt gehorchen und kein anderes Recht anerkennen wollten, als was er durch die Offenbarung der Propheten als solches verkünde. Dieses Versprechen oder diese Rechtsübertragung auf Gott ist ebenso geschehen, wie ich sie oben für eine gemeinsame Gesellschaft dann angenommen habe, wenn die Einzelnen ihres natürlichen Rechtes sich entäussern wollen. Denn sie haben ausdrücklich durch Vertrag (Exod. XXIV. 7) und Eid ihr natürliches Recht freiwillig und ohne Zwang und Furcht vor Drohungen abgetreten und auf Gott übertragen; und damit der Vertrag[227] genehmigt und fest bleibe und frei vom Verdacht des Betruges, hat Gott nichts eher mit ihnen ausgemacht, als bis sie seine wunderbare Macht erfahren hatten, die allein sie gerettet hatte, und die allein in Zukunft sie erhalten konnte (Exod. XIX. 4, 5). Denn deshalb, weil sie glaubten, dass nur Gottes Macht sie erhalten könne, übertrugen sie ihre ganze natürliche Macht, sich zu erhalten, die sie selbst zu haben früher geglaubt haben mochten, auf Gott, und folglich auch all ihr Recht. Den Staat der Juden erhielt deshalb Gott allein aufrecht, und vermöge des Vertrages wurde er deshalb allein mit Recht der Staat Gottes genannt und Gott mit Recht der König der Juden. Deshalb waren die Feinde dieses Staates die Feinde Gottes, und wer die Herrschaft sich anmassen wollte, hatte die göttliche Majestät verletzt, und die Gerechtsame des Reiches waren die Rechte und Befehle Gottes. Deshalb waren in diesem Staate das bürgerliche, Recht und die Religion, die, wie gezeigt, nur im Gehorsam gegen Gott besteht, ein und dasselbe; d.h. die Sätze der Religion waren keine Sittenlehren, sondern Recht und Verordnungen; die Frömmigkeit war Gerechtigkeit, die Gottlosigkeit galt als Verbrechen und Ungerechtigkeit. Wer von der Religion abfiel, war kein Bürger mehr und galt deshalb allein als Feind, und wer für die Religion in den Tod ging, galt, als hätte er sich für das Vaterland geopfert; überhaupt waren das bürgerliche Recht und die Religion nicht verschieden. Deshalb konnte dieser Staat eine Theokratie genannt werden; denn für seine Bürger galt kein anderes Recht, als was Gott offenbart hatte. Dies Alles beruhte indess mehr auf Glauben als auf Wirklichkeit; denn die Juden hatten in Wahrheit das Recht der Herrschaft unbedingt behalten, wie das Folgende, nämlich die Art und Weise, wie dieser Staat verwaltet wurde, ergeben wird, und wie ich hier darlegen will.
Da die Juden ihr Recht auf Niemand anders übertrugen, sondern Alle, wie in der Demokratie, ihres Rechts sich in gleicher Weise begaben und einmüthig ausriefen: »was Gott spricht, wollen wir thun« (ohne Nennung eines Vermittlers), so folgt, dass Alle nach diesem Vertrag gleich geblieben sind, und Alle das gleiche Recht gehabt haben, Gott zu befragen, seine Gesetze zu empfangen und auszulegen.[228] Deshalb traten Alle in gleicher Weise unmittelbar Gott an, um seinen Befehl zu hören; aber bei dieser ersten Begrüssung erschraken sie sehr und hörten die Worte Gottes mit solchem Erstaunen, dass sie ihr Ende nahe glaubten. Voller Furcht gingen sie also Moses an und baten: »Siehe, wir haben Gott vernommen, wie er aus dem Feuer sprach, und es ist kein Grund, dass wir sterben möchten; dieses grosse Feuer wird uns sicher verzehren; wenn wir Gottes Stimme noch einmal vernehmen sollten, werden wir sicher sterben. Gehe also Du und höre Alles, was unser Gott sagt, und Du (also nicht Gott) wirst zu uns sprechen. Allem, was Gott Dir sagen wird, werden wir gehorchen und es vollbringen.« Damit hoben sie deutlich den ersten Vertrag auf und übertrugen ihr Recht, Gott zu befragen und seine Gebote zu erklären, unbedingt auf Moses. Denn sie versprachen hier nicht wie vorher, Allem, was Gott ihnen, sondern was Gott dem Moses sagen werde, zu gehorchen (Deut. V. hinter den zehn Geboten und XIII. 15, 16). Moses blieb also der alleinige Geber und Ausleger der göttlichen Gesetze und daher auch der höchste Richter, über den Niemand Recht sprechen konnte, und der allein bei den Juden die Stelle Gottes, d.h. die höchste Majestät vertrat, da er allein das Recht hatte, Gott zu befragen und dem Volke die göttlichen Antworten mitzutheilen und es zu deren Ausführung zu zwingen. Ich sage: Moses allein; denn wenn ein Anderer bei Lebzeiten Mosis im Namen Gottes etwas predigen wollte, war er, wenn er auch ein wahrer Prophet war, doch schuldig und ein solcher, der an dem höchsten Recht sich vergreift (Num. XI. 28). Und hier ist zu bemerken, dass, wenn auch das Volk den Moses erwählt hatte, es doch den Nachfolger an dessen Stelle mit Recht nicht wählen konnte; denn sobald es sein Recht, Gott zu befragen, auf Moses übertragen hatte und ohne Vorbehalt versprochen, ihn als göttliches Orakel anzunehmen, verlor es alles Recht, und es musste Den, welchen Moses zu seinem Nachfolger erwählte, als von Gott erwählt annehmen. Hätte er einen solchen gewählt, der wie er die ganze Verwaltung des Staates gehabt, also das Recht, Gott in seinem Zelte allein zu befragen, und mithin die Macht, Gesetze zu geben und aufzuheben, über Krieg und Frieden zu beschliessen, Gesandte abzuschicken,[229] Richter zu bestellen, einen Nachfolger zu wählen und alle Geschäfte einer unbeschränkten Staatsgewalt zu besorgen, so wäre der Staat ein rein monarchischer gewesen, mit dem alleinigen unterschied, dass der gewöhnliche monarchische Staat auf einen dem Monarchen selbst unbekannten Beschluss Gottes, der jüdische Staat aber auf einen nur dem Monarchen offenbarten Beschluss Gottes in bestimmter Weise regiert wurde oder regiert werden sollte. Dieser Unterschied mindert aber des Monarchen Eigenthum und Recht gegen Alle nicht, sondern vermehrt es vielmehr, und das Volk ist in beiden Staaten gleich untergeben und mit dem göttlichen Beschluss unbekannt; denn in beiden hängt dies von dem Munde des Monarchen ab, und das Volk weiss nur durch ihm, was Recht und Unrecht ist, und der Glaube des Volkes, dass der Monarch nur nach den ihm offenbarten Beschlüssen Gottes regiere, macht es demselben nicht weniger, sondern in Wahrheit mehr unterthan.
Moses erwählte jedoch keinen solchen Nachfolger, sondern liess den Nachfolgern eine solche Art der Verwaltung, dass man sie weder eine demokratische noch aristokratische noch monarchische, sondern eine theokratische nennen konnte. Denn das Recht, die Gesetze auszulegen und Gottes Antworten mitzutheilen, war bei dem Einen, und das Recht und die Macht, den Staat nach den ausgelegten Gesetzen und mitgetheilten Antworten zu verwalten, war bei dem Andern (Num. XXVII. 21).
Damit dies deutlicher eingesehen werde, will ich die ganze Staatsverwaltung der Reihe nach beschreiben. Zuerst wurde dem Volke geboten, ein Haus zu bauen, welches gleichsam der Hof Gottes, d.h. jener höchsten Majestät dieses Staates wäre. Dies sollte nicht auf Kosten Eines, sondern des ganzen Volkes erbaut werden, damit das Haus, wo Gott zu befragen sei, gemeinen Rechtens sei. Zu Hofleuten und Verwaltern dieses göttlichen Hofstaats wurden die Leviten erwählt, und ihr Vorsteher und gleichsam der von dem Gott-Könige zweite Gewählte war Aaron, der Bruder Mosis, dem seine Söhne dann nach dem Gesetz nachfolgten. Dieser war deshalb, als der Gott Nächste, der oberste Ausleger der göttlichen Gesetze; er gab dem Volke die Antworten des göttlichen Orakels und betete zu Gott für das Volk. Hätte er dazu noch die[230] Staatsgewalt gehabt, so hätte ihm zu dem unbeschränkten Monarchen nichts gefehlt; allein dies war nicht der Fall, und der ganze Stamm Levi war von der gemeinsamen Staatsgewalt so ausgeschlossen, dass er nicht einmal, wie die anderen Stämme, einen Landstrich hatte, der ihm gehörte, und von dem er hätte leben können. Vielmehr war es eingerichtet, dass er von dem übrigen Volke ernährt, aber immer von dem Volke hochgeehrt wurde, da dessen Stamm allein Gott geweiht war.
Demnächst wurde aus den anderen zwölf Stämmen ein Heer gebildet und ihnen geboten, das Reich der Kananiter zu überfallen, es in zwölf Theile zu theilen und an die Stämme durch das Loos zu gehen. Dazu wurden zwölf Vornehmste ausgewählt, einer aus jedem Stamm, die zugleich mit Josua und dem Hohenpriester Eleazar das Recht erhielten, das Land in zwölf gleiche Theile zu theilen und zu verlosen. Zum Feldherrn des Heeres wurde aber Josua erwählt, welcher in neuen Dingen allein das Recht hatte, Gott zu befragen; aber nicht wie Moses, allein in seinem Zelt, oder in dem Tabernakel, sondern durch den Hohenpriester, dem allein die Antworten Gottes ertheilt wurden. Dann aber hing es lediglich von Josua ab, die durch den Hohenpriester empfangenen Gebote Gottes bekannt zu machen, das Volk dazu zu nöthigen, die Mittel zu deren Ausführung zu erwägen und anzuwenden, zur Miliz so viel und wenn er wollte auszuheben, Gesandte in seinem Namen zu senden und überhaupt Alles zu thun, was zum Recht des Krieges gehört.
In dessen Stelle folgte Niemand nach dem Gesetz, sondern Gott selbst wählte unmittelbar, da die Noth des Volkes dazu zwang; im Uebrigen wurden alle Geschäfte des Krieges und Friedens von den Stammes-Aeltesten besorgt, wie ich bald zeigen werde. Ferner gebot Moses, dass Alle vom 20. bis 60. Jahre die Waffen tragen müssten, und das Heer nur aus dem Volke gebildet werden solle, welche dann nicht dem Feldherrn oder Hohenpriester, sondern der Religion und Gott Treue schwuren. Sie war den das Heer oder die Reihen Gottes genannt, und ebenso hiess Gott bei den Juden der Gott des Heeres. Deshalb war die Bundeslade bei grossen Schlachten, von deren Ausfall der Sieg oder die Niederlage des ganzen Volkes abhing, mit bei dem Heere und in dessen Mitte; damit[231] das Volk seinen König wie gegenwärtig sehe und mit der äussersten Kraft kämpfe.
Aus diesen von Moses seinen Nachfolgern gegebenen Geboten ist zu entnehmen, dass er sie nur zu Verwaltern, aber nicht zu Herren des Staates gesetzt; denn keinem gab er das Recht, allein und wo er wollte, Gott zu befragen, und also auch keinem seine Macht, Gesetze zu geben und aufzuheben, über Krieg und Frieden zu beschliessen, die Verwalter des Tempels und der Städte zu bestellen, was alles Geschäfte der höchsten Staatsgewalt sind. Der Hohepriester hatte zwar das Recht, die Gesetze zu erklären und die Antworten Gottes zu verkünden; aber er konnte dies nicht wie Moses, wenn er wollte, sondern nur auf Befragen des Feldherrn oder hohen Rathes oder eines Aehnlichen; dagegen konnte der oberste Heerführer und der Rath Gott befragen, wenn sie wollten, aber sie konnten die Antwort nur von dem Hohenpriester erhalten. Deshalb waren die Aussprüche Gottes in dem Munde des Hohenpriesters keine Gebote, wie in dem Munde Mosis, sondern nur Antworten, und erst wenn Josua und der Rath sie angenommen hatte, erlangten sie die Kraft von Geboten und Beschlüssen. Ferner hatte der Hohepriester, welcher Gottes Antworten von Gott empfing, nicht das Heer unter sich, und von Rechts wegen keine Herrschaft, und umgekehrt konnten Die, welche das Land von Rechts wegen besassen, keine Gesetze machen.
Ferner sind zwar der Hohepriester Aaron wie sein Sohn Eleazar Beide von Moses erwählt worden; aber nach Mosis Tode hatte Niemand das Recht, den Hohenpriester zu wählen, sondern der Sohn folgte nach dem Rechte seinem Vater. Auch der Feldherr wurde von Moses und nicht von dem Hohenpriester gewählt; allein nach dem ihm von Moses gegebenen Recht wählte er die Person des Feldherrn. Deshalb wählte der Hohepriester nach Josua's Tode Niemand an dessen Stelle; auch die Vornehmsten befragten Gott nicht wegen eines neuen Heerführers, sondern Jeder behielt das Recht des Josua für die Miliz seines Stammes, und Alle gemeinsam für die ganze Miliz. Sie scheinen einen Herrscher nur dann gebraucht zu haben, wenn sie mit vereinten Kräften gegen einen gemeinsamen Feind kämpfen mussten, und dies fand vorzüglich zu Josua's Zeit statt, wo noch nicht Alle feste Sitze hatten,[232] und Alles noch gemeinsam war. Nachdem aber alle Stämme das eroberte und das ihnen noch verheissene Land unter sich getheilt hatten, und es nichts Gemeinsames mehr gab, horte auch das Bedürfniss zu einem gemeinsamen Befehlshaber auf, da die verschiedenen Stämme seit dieser Theilung nicht sowohl als Mitbürger, sondern als Verbündete zu betrachten waren. In Bezug auf Gott und die Religion mussten sie zwar als Mitbürger gelten, aber in Bezug auf das Recht des einen Stammes gegen den anderen nur als Verbündete, mithin, wenn man von dem gemeinsamen Tempel absieht, ungefähr so wie die vereinigten Staaten der Niederlande. Denn die Theilung einer gemeinsamen Sache macht eben, dass Jeder seinen Theil allein besitzt, und die Anderen ihr Recht auf diesen Theil aufgeben. Deshalb wählte Moses Obersten der Stämme, die nach der Theilung des Staates Jeder für seinen Theil sorgen sollten, d.h. Gott durch den Hohenpriester über die Angelegenheiten ihres Stammes zu befragen, ihre Miliz zu befehligen, Städte zu bauen und zu befestigen, Richter in jeder Stadt einzusetzen, die Feinde seines Stammes anzugreifen und alle Geschäfte des Krieges und Friedens zu besorgen. Er brauchte keinen anderen Richter als Gott anzuerkennen, wenn nicht Gott einen Propheten sandte. Wäre er aber von Gott abgefallen, so konnten die anderen Stämme ihn nicht allein zur Unterwürfigkeit verurtheilen, sondern sie mussten ihn auch wie einen Feind, der den Vertrag gebrochen, bekriegen. Die Bibel giebt dazu die Beispiele; denn als Josua gestorben war, so haben die Kinder Israels, aber nicht der neue Feldherr, Gott befragt, und als sie erfuhren, dass der Stamm Juda von Allen zuerst seinen Feind angreifen solle, verbündete dieser Stamm sich mit Simeon, gemeinsam die Feinde Beider anzugreifen. Die übrigen Stämme waren in diesen Vertrag nicht mit einbegriffen (Richter I. 2, 3), sondern Jeder führte den Krieg gegen seinen Feind besonders (wie in dem vorgehenden Kapitel erzählt wird), und Jeder nahm die, welche er wollte, in seine Gewalt und zur Uebergabe an, obgleich es geboten war, Niemand unter irgend einer Bedingung zu schonen, sondern Alle zu vertilgen. Wegen dieser Sünde werden sie zwar getadelt, aber von Niemand vor Gericht gefordert; auch fingen sie deshalb keinen Krieg gegen einander[233] an, und Keiner mischte sich deshalb in die Angelegenheiten des Anderen. Im Gegentheil überfielen sie die Benjamiten, welche die Anderen beleidigt und das Friedensband so gelöst hatten, dass Niemand von den verbündeten Stämmen bei ihnen einen sicheren Aufenthalt hatte. In drei Schlachten wurden sie besiegt, und dann nach Kriegsrecht die Schuldigen sammt den unschuldigen getödtet, was sie nachher in zu später Reue beklagten.
Diese Beispiele bestätigen, was ich über das Recht der einzelnen Stämme gesagt habe. Man wird nun fragen, wer den Nachfolger des Vornehmsten des Stammes wählte? Allein hierüber ergiebt die Bibel nichts Zuverlässiges; ich vermuthe aber, dass, da jeder Stamm in Geschlechter getheilt war, deren Häupter aus den Aeltesten der Familie gewählt wurden, der Aelteste von diesen dem Fürsten nachfolgte. Denn Moses erwählte aus den Aeltesten einen Rath von Siebzig, welche mit ihm den hohen Rath bildeten, und welche nach Josua's Tode das Reich verwalteten. Sie heissen in der Bibel die Aeltesten, und bei den Juden werden gewöhnlich unter den Aeltesten die Richter verstanden, was Allen bekannt sein wird. Es kommt indess für mich wenig darauf an; es genügt, dass ich gezeigt, wie nach Mosis Tode Niemand das Amt eines obersten Herrschers gehabt hat. Denn da Alles nicht von dem Beschlusse Eines oder eines Rathes oder des Volkes abhing, sondern Einzelnes von diesem Stamm, Anderes von einem anderen mit gleichen Rechten besorgt wurde, so folgt, dass die Staatsform nach Mosis Tode weder monarchisch noch aristokratisch noch demokratisch geblieben ist, sondern theokratisch, 1) weil das königliche Haus des Reichs der Tempel war, und nur dadurch, wie ich gezeigt, alle Stämme Glieder eines Staats, 2) weil alle Bürger Gott als ihrem obersten Richter Treue schwören mussten; ihm allein sollten sie in Allem unbedingt gehorchen; 3) endlich, weil der höchste Feldherr, wo ein solcher nöthig war, nur von Gott allein erwählt wurde. Was Moses im Namen Gottes dem Volke ausdrücklich voraussagt (Deuter. XIX. 15), bezeugt sachlich die Wahl Gideon's, Samson's und Samuel's. Unzweifelhaft sind deshalb auch die anderen gläubigen Führer ebenso gewählt worden, wenn die Geschichte es auch von ihnen nicht erwähnt.[234]
Nach Feststellung dessen habe ich nun zu prüfen, wie weit diese Verfassung die Gemüther mässigen und sowohl die Herrscher wie die Regierten so in Ordnung halten konnte, dass Jene keine Tyrannen und Diese keine Rebellen wurden.
Die Verwalter oder Inhaber der Herrschaft suchen für Alles, was sie thun, immer den Schein Rechtens zu gewinnen und das Volk von der Rechtmässigkeit desselben zu überreden; sie vermögen dies leicht, da die Auslegung des Rechts nur ihnen zusteht. Dadurch erhalten sie die grösste Freiheit zu Allem, was sie wollen und ihre Begierde verlangt; umgekehrt verlieren sie diese Freiheit, wenn das Recht der Gesetzeserklärung bei einem Anderen ist, und wenn zugleich die wahre Erklärung desselben so einleuchtend für Alle ist, dass Niemand sie bezweifeln kann. Deshalb war den Fürsten der Juden ein grosser Anlass zu Unthaten dadurch entzogen, dass das Recht der Gesetzesauslegung den Leviten allein gegeben worden war (Deut. XXI. 5), welche an der Verwaltung nicht Theil hatten und kein Land besassen, und deren ganze Ehre und Glück von der wahren Auslegung der Gesetze bedingt war. Ferner sollte das ganze Volk alle sieben Jahre an einem bestimmten Ort sich versammeln, damit es von dem Hohenpriester in den Gesetzen unterrichtet werde, und ausserdem sollte Jeder mit steter grosser Aufmerksamkeit das Gesetzbuch lesen und durchlesen (Deut. XXXI. 9 u. f.). Die Fürsten mussten daher schon ihretwegen dafür sorgen, dass sie Alles nach den gegebenen Gesetzen, die Alle kannten, verwalteten, wenn das Volk sie ehren und als die Diener der Regierung Gottes und Stellvertreter desselben in Ehrfurcht betrachten sollte. Ohnedem hätten sie den heftigen Hass des Volkes, wie es der theologische zu sein pflegt, auf sich geladen. Zur Hemmung der unbezähmten Willkür der Fürsten kam noch hinzu, dass die Miliz aus allen Bürgern vom 20. bis 60. Jahre ohne Ausnahme gebildet wurde, und dass die Fürsten keine fremden Söldlinge in das Heer aufnehmen durften. Dies war von grosser Bedeutung; denn sicher können Fürsten durch Soldaten, denen sie Sold zahlen, das Volk unterdrücken; auch fürchten sie nichts mehr als die Freiheit der Soldaten, die zugleich Bürger sind, und durch deren Tapferkeit, Arbeit und Aufwand von Blut die Freiheit[235] und der Ruhm des Vaterlandes gewonnen worden ist. Deshalb schalt Alexander vor der zweiten Schlacht gegen Darms nach gehörtem Rath des Parmenio nicht Diesen, der den Rath gegeben, sondern den Polysperchon, der bei ihm stand. Denn er vermochte, wie Curtius 4. Buch 3, 13 sagt, es nicht, den Parmenio, den er bereits vor Kurzem heftig behandelt hatte, nochmals zu verletzen, und er konnte die Freiheit der Macedonier, welche er am meisten fürchtete, nicht eher unterdrücken, als bis er die Zahl der Soldaten aus den Gefangenen weit über die der Macedonier vermehrt hatte. Erst dann konnte er seinem Willen freien Lauf lassen, den er selbst nicht bezwingen konnte, und der lange durch die freie Meinungsäusserung seiner Mitbürger in Schranken gehalten worden war. Wenn sonach diese Freiheit der als Soldaten dienenden Bürger schon die Fürsten weltlicher Staaten in Schränken hält, welche nur nach dem Ruhm der Siege lechzen, so musste sie noch weit mehr die Fürsten der Juden in Zaum halten, da deren Soldaten nicht für den Ruhm des Fürsten, sondern Gottes kämpften und die Schlacht nur begannen, wenn die Antwort Gottes es gebilligt hatte.
Dazu kam, dass alle Fürsten der Juden durch dieses Band der Religion verknüpft waren; wäre Einer von ihr abgefallen, so hätte er das göttliche Recht eines Jeden verletzt und hätte von den Andern als Feind behandelt und mit Recht unterdrückt werden können.
Ferner verband sich damit drittens die Furcht vor einem neuen Propheten. Denn sobald Einer von gutem Lebenswandel durch die anerkannten Zeichen sich als Prophet erwiesen hatte, so erlangte er damit die höchste Gewalt, d.h. er konnte wie Moses im Namen Gottes, der ihm allein sich offenbarte, sprechen und brauchte nicht wie die Fürsten die Vermittlung des Hohenpriesters. Unzweifelhaft konnten solche Propheten das unterdrückte Volk leicht an sich ziehen und durch leichte Zeichen nach ihren Absichten stimmen. Verwaltete dagegen der Fürst die Geschäfte gut, so konnte er in Zeiten sorgen, dass der Prophet zuvor vor Gericht ihm Rechenschaft geben musste und von ihm geprüft wurde, ob sein Lebenswandel gut, und ob er sichere und zweifellose Zeichen seiner Sendung habe, und ob das, was er Namens Gottes verkünden wollte, mit der angenommenen Lehre und den[236] allgemeinen Gesetzen des Landes übereinstimme. War dies nicht der Fall, oder die Lehre eine neue, so konnte er ihn im Wege Rechtens zum Tode verurtheilen; im Uebrigen wurde er auf das blosse Ansehn und Zeugniss des Fürsten zugelassen.
Dazu kam viertens, dass der Fürst den übrigen Vornehmen nicht vorging, und dass die Herrschaft ihm nicht durch Erbrecht, sondern nur wegen seiner Tugend und seines Alters gebührte.
Endlich kam hinzu, dass die Fürsten und die ganze Miliz den Krieg nicht mehr als den Frieden lieben konnten, da die Miliz, wie gesagt, nur aus den Bürgern bestand, und daher die Geschäfte des Krieges von denselben wie die Arbeiten des Friedens besorgt wurden. Der Soldat im Lager war auch der Bürger auf dem Markte; der Hauptmann im Lager war der Richter im Gericht, und der Feldherr im Lager war der Fürst im Staate. Deshalb verlangte Niemand nach Krieg um des Krieges, sondern um des Friedens willen und zum Schutz der Freiheit, und der Fürst mochte sich auch schon deshalb von neuen Unternehmen fern halten, weil er dann den Hohenpriester nicht anzugehen und vor ihm gegen seine eigene Würde stehen zu müssen brauchte.
So viel über die Gründe, welche die Fürsten in den Schranken hielten. Es ist nun zu sehen, wie das Volk in Ordnung gehalten wurde. Die Grundlagen des Reiches geben auch darüber volle Auskunft. Denn bei nur geringer Aufmerksamkeit sieht man, dass sie eine so starke Liebe in den Gemüthern der Bürger haben erzeugen müssen, dass ihnen nichts so schwer war, als das Vaterland zu verrathen oder von ihm abzufallen. Alle mussten so ihm ergeben sein, dass sie eher das Aeusserste als eine fremde Herrschaft erdulden mochten. Nachdem sie ihr Recht auf Gott übertragen, und ihr Reich ein Reich Gottes sein sollte, und sie allein dessen Kinder, die anderen Völker aber Gottes Feinde, so hegten sie deshalb den stärksten Hass gegen diese, da sie auch dies für fromm hielten (Psalm CXXXIX. 21, 22). Deshalb musste ihnen nichts schrecklicher sein, als einem Fremden Treue zu schwören und Gehorsam zu geloben. Es gab kein grösseres Verbrechen, und nichts Schändlicheres konnte bei ihnen erdacht werden, als das Vaterland, d.h. das Reich Gottes,[237] zu verrathen. Schon das Wohnen ausserhalb des Landes galt als ein Verbrechen, weil man den Dienst Gottes, zu dem Jeder schuldig war, nur im Vaterlande üben konnte; denn nur hier war die heilige Erde; überall anders war sie unrein und weltlich. Deshalb klagt David über seine Verbannung zu Saul mit den Worten: »Wenn Dich welche gegen mich aufregen, so sind es verworfene Menschen, weil sie mich ausschliessen, dass ich die Erbschaft Gottes nicht betreten kann, und mir sagen: Gehe und verehre die fremden Götter.« Deshalb wurde auch kein Bürger mit der Verbannung bestraft, was bemerkenswerth ist; denn wer sündigt, ist zwar der Strafe, aber nicht der Schande verfallen.
Der Juden Liebe zum Vaterlande war deshalb keine einfache Liebe, sondern eine Frömmigkeit, welche mit dem Hass gegen die übrigen Völker durch den täglichen Gottesdienst gepflegt und so genährt wurde, dass sie zur anderen Natur wurde. Denn ihr täglicher Gottesdienst war nicht allein verschieden, sondern entgegengesetzt, und dadurch kam es, dass sie vereinzelt und von den übrigen Völkern getrennt blieben. Aus den täglichen Verwünschungen musste ein starker Hass entstehen, der sich fest in die Seele grub; denn es war ein Hass, der aus grosser Andacht und Frömmigkeit entsprungen und für fromm gehalten wurde, und einen grösseren und hartnäckigeren kann es nicht geben. Auch fehlte die gewöhnliche Ursache nicht, welche den Hass immer mehr entzündet. Dieser Hass wurde nämlich erwidert; die anderen Völker waren höchst feindselig gegen sie gesinnt.
Wie sehr Alles dies, die Freiheit in ihrem Staate, die Ergebenheit an das Vaterland, das unbeschränkte Recht auf alle Anderen und der nicht blos erlaubte, sondern fromme Hass gegen diese, die Feindschaft aller Anderen, die Eigenthümlichkeit ihrer Sitten und Gebräuche, ich sage, wie sehr dies die Gemüther der Juden stärken musste, um Alles mit besonderer Standhaftigkeit und Kraft für das Vaterland zu ertragen, lehrt die Vernunft deutlich und bezeugt die Geschichte. Denn sie haben, so lange die Stadt stand, nie unter fremder Herrschaft ausgehalten, und Jerusalem hiess deshalb die aufrührerische Stadt (Hezra, IV. 12, 15). Auch das zweite Reich, was kaum der Schatten des ersten war, da die Hohenpriester auch[238] die fürstliche Herrschaft sich angemasst hatten, konnte nur schwer von den Römern zerstört werden, wie Tacitus im 2. Buch seiner Geschichten mit den Worten bezeugt: »Vespasian brachte den jüdischen Krieg durch die noch übrige Eroberung von Jerusalem zu Ende; ein hartes und schweres Werk, mehr wegen des Charakters des Volkes und seines hartnäckigen Aberglaubens, als dass die Belagerten die genügende Kraft, um die Noth zu ertragen, gehabt hätten.«
Ausser diesen nur von der Gesinnung abhängigen Eigenthümlichkeiten gab es in diesem festen Staate eine andere, welche die Bürger von jedem Abfall und von dem Verlassen des Vaterlandes zurückhielt, nämlich der Nutzen, welcher die Stärke und das Leben aller menschlichen Handlungen ausmacht. Denn nirgends besassen die Bürger mit grösserem Recht ihre Güter, als die Unterthanen in diesem Staate, die einen gleichen Antheil mit dem Fürsten an dem Lande und Aeckern hatten, und wo Jeder in Ewigkeit Eigenthümer seines Antheils blieb. Denn wenn Jemand aus Armuth sein Grundstück oder seinen Acker verkauft hatte, musste es ihm bei Eintritt des Jubeljahres zurückgegeben werden, und ähnlich waren andere Einrichtungen, welche den Verlust der Güter hinderten. Endlich konnte nirgends die Armuth leichter zu ertragen sein als hier, wo die Liebe zu dem Nächsten, d.h. gegen seine Mitbürger mit der höchsten Frömmigkeit geübt wurde, um die Gnade Gottes, ihres Königs, zu erlangen.
So konnte den jüdischen Bürgern nur in ihrem Staate wohl sein, und der Aufenthalt ausser demselben war ihnen der grösste Schaden und Schande. Zu ihrer Anhänglichkeit an das Vaterland und zur Beseitigung der Bürgerkriege und Streitigkeiten trug auch wesentlich bei, dass Niemand Jemand Seinesgleichen, sondern nur Gott diente, und dass die Milde und Liebe zu seinem Mitbürger als die höchste Frömmigkeit galt, welche durch den gegenseitigen Hass zwischen Juden und dem übrigen Völkern erheblich gesteigert wurde.
Ferner half die strenge Zucht des Gehorsams, in der sie erzogen wurden; denn sie mussten Alles nach bestimmten gesetzlichen Vorschriften thun. Man durfte nicht nach Belieben pflügen, sondern nur zu bestimmten Zeiten[239] und Jahren und nur mit einer Art Vieh zugleich. Auch das Säen und Ernten war nur auf eine bestimmte Art und zu bestimmter Zeit gestattet, und ihr ganzes Leben war eine fortwährende Hebung des Gehorsams. (Man sehe Kap. 5 in Betreff des Nutzens der Gebräuche.) In Folge dieser Gewöhnung galt ihnen selbst dieser Zwang nur als Freiheit, und deshalb verlangte Jeder nach Geboten, nicht nach deren Aufhebung.
Ebenso half es, dass sie zu bestimmten Jahreszeiten sich der Müsse und Lust zu überlassen schuldig waren; nicht damit sie ihrer Lust, sondern damit sie Gott mit Lust gehorchten. Dreimal im Jahre waren sie Gäste Gottes (Deut. XVI.); am siebenten Tage der Woche ruhten sie von jeder Arbeit und mussten sich der Müsse ergeben, und daneben waren noch andere Zeiten bestimmt, in denen anständige Lustbarkeiten und Gastmahle nicht blos erlaubt, sondern geboten waren. Es giebt nichts Wirksameres als dies für die Gewinnung der Herzen der Menschen; denn nichts fesselt die Seele so als die Fröhlichkeit, welche zugleich aus der Andacht, d.h. aus Liebe und Bewunderung vereint entspringt. Auch konnten sie dessen durch Gewohnheit nicht leicht überdrüssig werden; denn der Gottesdienst an den Festen war selten und dabei mannichfach. Dazu kam die grosse Verehrung des Tempels, an der sie wegen der besonderen Gebräuche und der vor dem Eintritt zu beobachtenden Handlungen auf das Gewissenhafteste festhielten, so dass sie noch heilte mit Schaudern jene Unthat des Manasse lesen, welcher die Errichtung eines Götzenbildes selbst in dem Tempel gestattet hatte. Auch für die Gebräuche, welche im Innersten Heiligthum gewissenhaft beobachtet wurden, war die Eifersucht des Volkes nicht geringer, und man brauchte deshalb das Gerede und die Vorurtheile desselben nicht zu fürchten. Niemand wagte über göttliche Dinge ein Urtheil zu fällen, sondern Allem, was ihnen auf das Ansehn einer göttlichen, im Tempel empfangenen Antwort oder eines von Gott erlassenen Gesetzes geboten wurde, hatten sie ohne alles Befragen der Vernunft zu gehorchen.
Damit glaube ich die wesentlichen Verhältnisse dieses Staates zwar kurz, aber doch deutlich klar gemacht zu haben. Ich habe nun noch die Ursachen zu untersuchen, weshalb die Juden so oft von dem Gesetze abgefallen[240] sind, weshalb sie so oft unterjocht worden sind, und weshalb ihr Staat zuletzt ganz zerstört werden konnte. Vielleicht sagt man, dies sei wegen des Volkes Ungehorsam geschehen; allein solche Antwort ist kindisch; denn weshalb war dieses Volk ungehorsamer als die übrigen? etwa von Natur? Allein die Natur erzeugt keine Völker, sondern nur Einzelne, welche erst durch Sprache, Gesetze und Sitten zu besonderen Völkern werden. Nur aus diesen beiden letzten, aus den Gesetzen und Sitten, können die besonderen geistigen Anlagen, die besonderen Zustände und die besonderen Vorurtheile hervorgehen. Wenn also auch wirklich die Juden ungehorsamer wie andere Sterbliche gewesen wären, so traf dies ihre fehlerhaften Gesetze und Sitten. Allerdings hätte Gott, wenn er ihren Staat hätte dauerhafter machen wollen, ihnen auch andere Rechte und Gesetze und eine andere Verwaltung derselben geben müssen. Man kann deshalb nur sagen, dass Gott ihnen schon gezürnt habe, nicht blos, wie Jeremias XXVII. 31 sagt, von der Erbauung der Stadt ab, sondern schon von dem Erlass der Gesetze ab. Dieses bezeugt auch Ezechiel XX. 25 mit den Worten: »Denn ich gab ihnen keine guten Einrichtungen und keine Rechte, nach denen sie leben konnten, und ich habe sie verunreinigt mit ihren Gaben, indem ich alle Oeffnung der Gebärmutter (d.h. das Erstgeborne) zurückwies, damit ich sie verdürbe, und sie erkenneten, dass ich Jehova bin.« Damit diese Worte und die Ursache der Zerstörung recht verstanden werden, ist festzuhalten, dass zuerst die Absicht war, den ganzen heiligen Dienst den Erstgebornen zu übergeben und nicht den Leviten (Num. III. 17). Allein nachdem Alle ausser den Leviten das Kalb angebetet hatten, sind die Erstgebornen verstossen und verunreinigt worden, und an deren Stelle sind die Leviten erwählt (Deut. X. 8), welche Veränderung mich, je länger ich sie betrachte, um so mehr zwingt, in des Tacitus Worte auszubrechen, dass Gottes Absicht damals nicht deren Sicherheit, sondern die Rache gewesen. Und ich staune, dass der Zorn in der himmlischen Seele so gross gewesen, dass er selbst die Gesetze, die immer nur die Ehre des ganzen Volkes, sein Wohl und seine Sicherheit bezwecken, in der Absicht, sich zu rächen und das Volk zu strafen, abgefasst, so dass die Gesetze keine Gesetze, d.h. nicht[241] das Heil des Volkes, sondern seine Strafe und seine Busse wurden. Denn alle Geschenke, welche sie den Leviten und Priestern zu bringen hatten, und auch dass sie die Erstgeburt einlösen mussten und den Leviten ein Kopfgeld zahlen, und endlich, dass die Leviten allein den Zutritt zu dem Heiligthum hatten, waren das stete Zeugniss der Unreinigkeit und Verstossung der Uebrigen. Ferner konnten die Leviten ihnen stets Vorwürfe machen. Denn unzweifelhaft befanden sich unter so vielen Tausenden lästige Religionsgrübler; deshalb hatte das Volk die Neigung, die Thaten der Leviten, die ja auch Menschen waren, zu beobachten und Alle des Vergehens um Eines willen anzuklagen. Daher erhoben sich fortwährend schlimme Gerüchte, und sie wurden unmuthig, dass sie müssige und verhasste Personen, die nicht mit ihnen verwandt waren, ernähren mussten, namentlich wenn das Getreide theuer war.
Es ist also nicht zu verwundern, dass in den ruhigen Zeiten, wo die offenbaren Wunder aufhörten, und keine Männer mit grossem Ansehn auftraten, der gereizte und geizige Sinn des Volkes ermattete und zuletzt von dem Gottesdienst, der zwar göttlich, aber für sie entehrend und verdächtig war, abfielen und nach Neuem verlangte; und dass die Fürsten, welche immer streben, die Herrschaft allein zu gewinnen, nach einem Wege suchten, wo sie das Volk sich verbänden und von dem Hohenpriester abzögen, ihm Alles gestatteten und neue Gottesdienste einführten. Wäre der Staat, so wie es zuerst die Absicht war, eingerichtet worden, und hätten alle Stämme immer gleiche Rechte und gleiche Ehre gehabt, so würde Alles sich in Ruhe erhalten haben; denn wer hätte dann das heilige Recht seiner Blutsverwandten verletzen mögen? Was hätte man anders wollen können, als seinen Bruder und seine Eltern aus Anhänglichkeit an die Religion zu ernähren und ihnen die Auslegung der Gesetze zu überlassen und von ihnen die göttlichen Antworten zu erwarten? Ferner wären auf diese Weise alle Stämme weit enger unter einander verbunden gewesen, wenn Alle das gleiche Recht zur Verwaltung des heiligen Dienstes gehabt hätten, und man hätte nichts zu fürchten brauchen, selbst wenn die Wahl der Leviten einen anderen Grund als Zorn und Rache gehabt hätte.[242]
Allein sie hatten, wie gesagt, einen auf sie erzürnten Gott, welcher, um die Worte des Ezechiel zu wiederholen sie durch ihre Geschenke verunreinigte und alle Erstgeburt der Mutter zurückwies, damit er sie vertilge. Dies wird auch durch die Geschichte selbst bestätigt. Sobald das Volk in der Wüste Müsse hatte, waren viele Männer und nicht von dem gemeinen Volke über diese Wahl ungehalten und begannen zu glauben, dass Moses nicht nach Befehl Gottes, sondern nach seinem Belieben Alles einrichte; weil er nämlich seinen Stamm vor Allen ausgewählt und das Amt des Hohenpriesterthums seinem Bruder in Ewigkeit verliehen hatte. Sie begannen deshalb einen Aufruhr und gingen ihn mit dem Geschrei an, dass sie Alle gleich heilig seien, und dass er selbst in ungerechter Weise sich über Alle erhebe. Moses konnte sie durch keine Gründe beruhigen, sondern Alle wurden mittelst eines Wunders zum Zeichen seines Glaubens vernichtet. Daraus entstand ein neuer und allgemeiner Aufstand des Volkes; denn sie glaubten, Jene seien nicht durch den Richterspruch Gottes, sondern durch die Kunst des Moses vernichtet worden. Nach grossem Blutvergiessen und Pest beruhigte er sie endlich, aber so, dass Alle lieber sterben als leben wollten. Der Aufstand hatte zwar aufgehört, aber die Eintracht war nicht eingetreten. Die Bibel bezeugt dies Deut. XXXIII. 21, wo Gott, nachdem er dem Moses verkündigt, dass das Volk nach seinem Tode von dem göttlichen Dienst abfallen werde, ihm sagt: »Denn ich kenne sein Begehren, und was es heute vorbereitet, so lange ich es noch nicht in das Land geführt haben werde, wie ich geschworen habe.« Und bald darauf sagt Moses dem Volke: »Denn ich kenne Euren Aufruhr und Euren Ungehorsam. Wenn Ihr, so lange ich mit Euch gelebt habe, aufrührerisch gegen Gott gewesen seid, so werdet Ihr es nach meinem Tode noch mehr sein.«
Und so geschah es auch wirklich, wie bekannt ist. Daher kamen die vielen Neuerungen, die grosse Ausgelassenheit, Ueppigkeit und Sorglosigkeit, wodurch Alles schlimmer zu werden begann, bis sie nach häufigen Unterjochungen das göttliche Recht völlig brachen und nach einem sterblichen König verlangten, damit der Königssitz des Reiches kein Tempel, sondern ein Hof sei, und alle Stämme nicht mehr gemeinsame Bürger durch das göttliche[243] Recht und Hohepriesterthum, sondern durch den König wären. Dies gab starken Anlass zu neuem Aufruhr, woraus zuletzt der Untergang des ganzen Staates hervorging. Denn was können die Könige weniger ertragen, als ein bittweises Regieren, wo sie über ihre Herrschaft noch eine andere sich gefallen lassen sollen? Erst wurden sie aus den Bürgern erwählt und waren mit der Würde, zu der sie gelangt, zufrieden; allein nachdem die Söhne die Herrschaft vermöge des Erbrechts erlangten, begannen sie allmählich Alles zu verändern, damit sie die Herrschaft allein hätten, deren grösseren Theil sie entbehrten, so lange die Gesetzgebung nicht von ihnen ausging, sondern von dem Hohenpriester, welcher die Gesetze in dem Heiligthum verwahrte und dem Volke erklärte. Dadurch waren sie wie Unterthanen an die Gesetze gebunden und konnten sie nicht abschaffen oder neue mit gleichem Ansehn geben. Das Recht der Leviten schloss die Könige ebenso wie die Unterthanen als Laien von der Verwaltung der Heiligthümer aus, und die ganze Sicherheit ihrer Herrschaft hing von dem Willen blos eines Einzigen ab, der als Prophet galt, wovon sie die Beispiele schon erlebt hatten. Denn Samuel gab dem Saul mit grosser Freiheit Befehle und konnte leicht wegen eines Fehltrittes Saul's die Herrschaft auf David übertragen. Deshalb hatten die Könige einen Herrscher über ihrer Herrschaft und regierten nur bittweise.
Um dies zu beseitigen, liessen sie andere Tempel und Götter einweihen, damit die Leviten nicht mehr befragt zu werden brauchten; dann suchten sie nach Personen, die im Namen Gottes weissagten, damit sie Propheten hätten, welche sie den wahren gegenüberstellen könnten. Allein alle ihre Versuche erreichten nicht den Zweck; denn die Propheten waren auf Alles vorbereitet und warteten die passende Zeit ab, nämlich den Eintritt des Nachfolgers, dessen Herrschaft, so lange noch das Andenken des Vorgängers lebendig bleibt, immer schwankend ist. Dann konnten sie leicht, auf die göttliche Autorität gestützt, irgend einen feurigen und durch Tugend ausgezeichneten König einführen, der das göttliche Recht wiederherstellen und die Herrschaft oder einen Theil desselben mit Recht besitzen konnte. Aber auch die Propheten konnten damit nicht weiter kommen; denn wenn sie auch[244] den Tyrannen loswurden, so blieben doch die Ursachen, und das Ergebniss war, dass sie mit vielem Blutvergiessen nur einen neuen Tyrannen sich erkauft hatten. Deshalb nahmen die Streitigkeiten und Bürgerkriege kein Ende; die Ursachen für die Verletzungen des göttlichen Rechts blieben immer dieselben und konnten nur mit dem Reiche selbst beseitigt werden.
Damit habe ich dargelegt, wie die Religion in den jüdischen Staat eingeführt worden ist, und wie der Staat sich für immer hätte halten können, wenn der gerechte Zorn des Gesetzgebers dessen Fortdauer gestattet hätte. Da dies nicht geschehen konnte, musste er zuletzt untergehen. Ich habe hier nur von dem ersten Reiche gehandelt; denn das zweite war kaum ein Schatten des ersten, da das Recht der Perser, deren Unterthanen sie waren, in diesem zweiten Reiche galt; und als sie die Freiheit erlangten, maassten die Hohenpriester sich die fürstlichen Rechte an und erlangten dadurch die unbeschränkte Herrschaft. Damit entstand für die Priester eine grosse Versuchung, zu herrschen und das Hohepriesterthum zu gewinnen, und ich brauche deshalb über dieses zweite Reich ein Mehreres nicht zu sagen. Ob aber das erste Reich in seiner dauerhaften Verfassung nachzuahmen sei, oder ob es fromm ist, dasselbe, so weit es angeht, nachzuahmen, wird aus dem Folgenden sich ergeben. Zum Schluss will ich nur hier bemerken, dass, wie ich früher angedeutet, aus dem in diesem Kapitel Angeführten hervorgeht, dass das göttliche Recht oder die Religionsverfassung aus einem Vertrage entspringt, ohne welchen nur das natürliche Recht vorhanden ist. Deshalb waren die Juden zu keiner Frömmigkeit gegen die Völker verbunden, welche an diesem Vertrage keinen Theil genommen hatten, sondern sie hatten nur gegen ihre Mitbürger Pflichten.[245]
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