Zweites Kapitel
Von den Propheten.

[31] Aus dem vorigen Kapitel erhellt, dass, wie gesagt, die Propheten nicht mit einem vollkommneren Geist, sondern nur mit einer lebhafteren Einbildungskraft begabt gewesen sind, und die Erzählungen der Bibel bestätigen dies zum Ueberfluss. So weiss man von Salomo, dass er an Weisheit, aber nicht an prophetischen Gaben hervorgeragt hat. Auch die Weisen Heman, Darda, Kalchol waren keine Propheten; dagegen besassen bäurische Personen ohne alle Erziehung, selbst Weiber, wie Hagar, die Magd Abraham's, die prophetische Gabe. Dies stimmt mit der Erfahrung und Vernunft auch überein; denn wo die Einbildungskraft am mächtigsten ist, da fehlt es an der Fähigkeit zur reinen Erkenntniss, und wo der Verstand überwiegt und ausgebildet ist, da ist die Einbildungskraft gemässigt, unterwürfig und gezügelt, so dass sie den Verstand nicht verwirrt. Wenn also Jemand Weisheit und die Erkenntniss der natürlichen und geistigen Dinge aus den Büchern der Propheten erlangen will, so ist er auf dem ganz falschen Wege. Da die Zeit, die Philosophie und die Sache selbst es erfordert, so will ich dies hier ausführlich darlegen, und ich werde mich nicht darum kümmern, dass der Aberglaube sein Geschrei erhebt, der gerade Die am meisten hasst, welche die Wahrheit in der Wissenschaft und im Leben suchen. Fürwahr, wie schmerzlich! schon ist es so weit gekommen, dass Die, welche offen gestehen, von Gott keine Vorstellung zu haben und Gott nur durch die erschaffenen Dinge zu kennen, deren Ursachen sie nicht kennen, doch nicht sich scheuen, die Philosophen des Atheismus anzuklagen.

Um den Gegenstand ordnungsmässig zu behandeln, werde ich zeigen, dass die Weissagung nicht blos nach der Einbildungskraft und dem Temperament der Propheten, sondern auch nach den Meinungen, von denen sie befangen waren, gewechselt hat. Die Weissagung hat deshalb[31] die Propheten niemals gelehrter gemacht, wie ich gleich ausführlicher zeigen werde. Vorher will ich jedoch von der den Propheten innewohnenden Ueberzeugung sprechen, da es theils zu diesem Kapitel gehört, theils zu dem beiträgt, was ich beweisen will.

Da die menschliche Einbildungskraft ihrer Natur nach keine Gewissheit für die Wahrheit ihrer Bilder giebt, wie sie bei jeder klaren und deutlichen Vorstellung Statt hat, vielmehr jener Kraft, wenn man ihren Bildern Glauben schenken soll, noch die vernünftige Ueberlegung hinzutreten muss, so folgt, dass die Weissagung an sich keine Gewissheit von ihrer Wahrheit geben kann, da sie, wie erwähnt, von der blossen Einbildungskraft ausgeht. Deshalb vertrauten auch die Propheten durch die Offenbarung selbst ihr noch nicht als einer göttlichen, sondern wurden erst durch irgend ein Zeichen sicher, wie Abraham beweist, der (Gen. XV. 8), nachdem er das Versprechen Gottes vernommen hatte, um ein Zeichen bat. Abraham glaubte wohl Gott und verlangte nicht deshalb ein Zeichen, weil er Gott nicht traute, sondern um sich zu vergewissern, dass das Versprechen von Gott komme.

Noch deutlicher ist dies bei Gideon, denn er sagt zu Gott (Richter VI. 17): »Gieb mir ein Zeichen (damit ich weiss), dass Du mit mir sprichst.« Auch zu Moses sagt Gott: »Und dies (sei) das Zeichen, was ich Dir gesandt habe.« Ezechias, welcher längst wusste, dass Esaias ein Prophet war, verlangte ein Zeichen, als er ihm seine Genesung voraussagte.

Hieraus erhellt, dass die Propheten immer ein Zeichen gehabt haben, was ihnen die Gewissheit von der Wahrheit ihrer prophetischen Bilder gewährte, und deshalb ermahnt Moses (Deut. XVIII. letzter Vers), von den Propheten ein Zeichen zu verlangen, d.h. das Eintreffen einer zukünftigen Sache. Insoweit steht die Weissagung der natürlichen Erkenntniss nach, die keines Zeichens bedarf, sondern in sich selbst die Gewissheit trägt. Denn diese prophetische Gewissheit war keine mathematische, sondern nur eine moralische. Auch aus der Bibel erhellt dies; denn Deut. XIII. sagt Moses, dass, wenn ein Prophet neue Götter verkünden wolle, er zum Tode verurtheilt werden solle, wenn er auch seine Lehre mit Zeichen und Wundem bekräftige; denn, fährt Moses fort,[32] Gott giebt auch Zeichen und Wunder, um das Volk zu versuchen, und auch Christus ermahnte in dieser Weise seine Jünger, wie aus Matth. XXIV. 24 erhellt. Ezechiel lehrt sogar XIV. 8 geradezu, dass Gott mitunter die Menschen durch falsche Offenbarungen täuscht; er sagt: »Und wenn der Prophet (nämlich der falsche) hereingeführt worden und gesprochen habe, so habe nicht Gott diesen Propheten eingeführt.« Auch Micha (1. Könige XXII. 21) bezeugt dies von den Propheten Ahab's.

Obgleich hiernach die Weissagung und Offenbarung sich als sehr zweifelhaft ergeben, so gewährten sie doch, wie erwähnt, eine starke Ueberzeugung. Denn Gott täuscht die Frommen und Auserwählten niemals, sondern Gott gebraucht dieselben nach dem alten Sprüchwort (1. Samuel XXIV. 13) und ausweislich der Geschichte Abigail's und ihrer Rede, wie die Werkzeuge seiner Frömmigkeit und die Gottlosen wie die Vollstrecker und Vermittler seines Zornes. Dies erhellt auch deutlich aus dem oben angeführten Fall des Micha. Denn obgleich Gott beschlossen hatte, den Ahab durch Propheten zu täuschen, so gebraucht er doch nur falsche Propheten dazu; dem frommen aber offenbarte er die Wahrheit und liess ihn dieselbe verkünden. – Indess ist, wie gesagt, die Ueberzeugung des Propheten nur eine innerliche, denn Niemand kann sich vor Gott rechtfertigen und sich rühmen, das Instrument der Frömmigkeit Gottes zu sein. Dies lehrt die Bibel und ergiebt die Sache selbst; so verleitete Gottes Zorn den David zur Zahlung des Volkes, obgleich dessen Frömmigkeit genügend in der Bibel bezeugt ist.

Die ganze der Weissagung innewohnende Gewissheit ruht sonach auf Dreierlei: 1) darauf, dass man sich die geoffenbarten. Dinge so lebhaft vorstellt, wie man im Wachen von den Gegenständen erregt zu werden pflegt; 2) auf einem Zeichen; und 3) und hauptsächlich, dass die Propheten einen nur dem Billigen und Guten zugewandten Sinn hatten. Allerdings erwähnt die Bibel nicht immer eines Zeichens, allein man muss annehmen, dass die Propheten immer ein solches gehabt haben, da die Bibel nicht immer alle Nebenumstände und Bedingungen zu erzählen pflegt, wie ich schon mehrfach bemerkt habe, und da sie Manches als bekannt voraussetzt. Auch kann man einräumen, dass die Propheten, welche nichts Neues, sondern[33] nur das, was in dem Gesetz Mosis stand, verkündeten, kein Zeichen gebraucht haben, da schon das Gesetz deren Bestätigung war. So wurde die Weissagung des Jeremias von der Zerstörung Jerusalem's durch die der übrigen Propheten und durch die Drohungen des Gesetzes bestätigt; sie brauchte daher kein Zeichen. Dagegen bedurfte Ananias eines solchen, da er entgegen allen Propheten die schnelle Wiederherstellung des Staates prophezeite; wo nicht, so musste man seine Prophezeiung so lange bezweifeln, bis das Eintreffen des von ihm vorausgesagten Ereignisses sie bestätigte. Man sehe Jerem. XXVIII. 8.

Wenn so die Gewissheit, welche die Propheten durch diese Zeichen erlangten, keine mathematische (d.h. eine aus der Nothwendigkeit der Wahrnehmung der wahrgenommenen oder gesehenen Sache folgende), sondern nur eine moralische war, und die Zeichen nur zur Ueberzeugung der Propheten gegeben wurden, so folgt, dass diese Zeichen den Ansichten und Fähigkeiten des Propheten entsprechend gegeben wurden, und so konnte ein Zeichen, was dem einen Propheten Gewissheit für seine Prophezeiung gewährte, einen andern, der andere Ansichten hatte, keineswegs überzeugen. Deshalb waren die Zeichen je nach den Propheten verschieden, und so wechselte auch, wie erwähnt, bei dem einzelnen Propheten die Offenbarung selbst nach der Beschaffenheit seines Temperaments, seiner Einbildungskraft und der Ansichten, die er früher angenommen hatte. In Bezug auf das Temperament zeigte sich der Wechsel so, dass den heiteren Propheten Siege, Frieden und Alles, was den Menschen zur Freude stimmt, offenbart wurden, da dies einer solchen Gemüthsstimmung entspricht. Einem traurigen Propheten wurden dagegen Kriege, Hinrichtungen und allerlei Uebel offenbart, und je nachdem ein Prophet mitleidig, gefällig, zornig, streng u.s.w. war, war er mehr für diese wie für jene Offenbarungen geeignet. Der Wechsel nach der Beschaffenheit der Einbildungskraft zeigt sich darin, dass ein gebildeter Prophet den Gedanken Gottes auch in gebildeter Weise auffasste, ein ungebildeter Prophet aber verworren, und dies gilt auch in Betreff der durch Bilder erfolgenden Offenbarungen. War der Prophet ein Bauer, so sah er Ochsen und Kühe; war er ein Soldat, dann sah er Feldherren und Heere; war er ein[34] Hofmann, so sah er den königlichen Thron und Aehnliches. Endlich wechselte die Weissagung auch nach den Meinungen der Propheten; den Magiern (Matth. II.), welche an die Possen der Sterndeuter glaubten, wurde die Geburt Christi durch einen eingebildeten, im Morgen aufgegangenen Stern offenbart; den Wahrsagern des Nebukadnezar (Ezechiel XXI. 21) wurde die Zerstörung Jerusalem's durch die Eingeweide der Opferthiere offenbart, welche dieser König auch durch Orakel und aus der Richtung von in die Höhe geschossenen Pfeilen entnahm; dagegen offenbarte sich Gott den Propheten, welche an die Willensfreiheit und eigne Macht des Menschen glaubten, als gleichgültig und ohne Kenntniss der kommenden menschlichen Handlungen, wie ich es jetzt an den einzelnen Fällen aus der Bibel selbst darlegen werde.

Das Erste erhellt aus dem Fall mit Elisa (2. Könige III. 15), welcher, um dem Jerobeam zu prophezeien, ein Saitenspiel verlangte und die Gedanken Gottes erst erfassen konnte, nachdem er sich an der Musik des Saitenspiels ergötzt hatte. Dann prophezeite er dem Jerobeam und seinen Gefährten gute Dinge, was früher nicht geschehen konnte, weil er auf den König erzürnt war, und Zornige wohl Böses, aber nichts Gutes für Die, welchen sie zürnen, sich ausdenken können. Andere sagen zwar, Gott offenbare sich den Traurigen und Zornigen nicht; allein dies ist ein Irrthum; denn Gott offenbarte ja dem auf Pharao erzürnten Moses jene klägliche Ermordung der Erstgeburt (Exod. XI. 5), und zwar ohne Benutzung eines Saitenspiels. Auch dem wüthenden Kain hat Gott sich offenbart, und dem vor Zorn ungeduldigen Ezechiel ist das Elend und die Hartnäckigkeit der Juden offenbart worden (Ezechiel III. 14), und Jeremias weissagte das Unglück der Juden, als er tief traurig und von Lebensüberdruss erfasst war. Josias wollte sogar deshalb nicht ihn, sondern eine Frau gleichen Alters befragen, da diese nach ihrem weiblichen Sinn vielleicht mehr geeignet wäre, Gottes Barmherzigkeit zu offenbaren (2. Chronik XXXIV.). Auch Micha hat dem Ahab niemals etwas Gutes prophezeit, obgleich es von anderen Propheten geschah, wie 1. Könige XX. ergiebt; vielmehr prophezeite er ihm nur alle Uebel aus seinem Leben (1. Könige XXII. 7 und deutlicher 2. Chronik XVIII. 7).[35]

Die Propheten waren daher nach ihrem Temperament mehr zu diesen als zu anderen Prophezeiungen geeignet. Auch die Ausdrucksweise der Propheten wechselte nach ihrer Beredsamkeit; die Prophezeiungen des Ezechiel und Amos sind nicht in der feinen Weise des Esaias und Nahum, sondern in gröberen Wendungen geschrieben, und wenn der Kenner des Hebräischen sich davon näher unterrichten will, so möge er nur die betreffenden Kapitel gleichen Inhalts von verschiedenen Propheten vergleichen, und er wird den grossen Unterschied in der Ausdrucksweise bemerken. Man vergleiche z.B. I. 11-20 des Hofmannes Esaias mit V. 21-24 des bäurischen Amos; und die Ordnung und die Gründe der Weissagung des Jeremias, die er Kap. 49 zu Edom schreibt, mit der Ordnung und den Gründen des Obadia; ferner Esaias XL. 19, 20 und XLIV. 8 mit VIII. 6 und XIII. 2 von Hoseas. Aehnliches gilt von den Uebrigen. Dies zeigt bei richtiger Erwägung, dass Gott keine besondere Ausdrucksweise hat, sondern dass diese je nach der Gelehrsamkeit und Fähigkeit des Propheten bald fein, gedrängt oder streng, rauh oder weitschweifig und dunkel ist.

Auch die prophetischen Erscheinungen und Hieroglyphen wechselten selbst bei dem gleichen Gegenstande; denn dem Esaias erschien der Ruhm Gottes, der den Tempel verlässt, anders als dem Ezechiel. Die Rabbiner behaupten zwar, dass die Erscheinung für Beide dieselbe gewesen sei, und dass nur Ezechiel, als ein Bauer, sie übermässig angestaunt und sie deshalb ausführlich mit allen Nebenumständen geschildert habe. Allein wenn sie darüber keine sichere Ueberlieferung erhalten haben, was ich bezweifle, so sind ihre Angaben reine Erdichtungen. Denn Esaias sah Seraphim mit sechs Flügeln, Ezechiel aber Thiere mit vier Flügeln; Esaias erblickte Gott bekleidet und auf dem Throne sitzend, Ezechiel aber wie ein Feuer. Jeder hat also unzweifelhaft Gott so gesehn, wie er ihn sich bildlich vorzustellen pflegte.

Die prophetischen Erscheinungen wichen auch nicht blos in der Art, sondern auch in der Klarheit von einander ab; die des Zacharias waren so dunkel, dass er selbst sie ohne Erläuterung nicht verstehen konnte, wie auch deren Erzählung ergiebt, und die des Daniel konnten selbst nach ihrer Erläuterung von dem Propheten[36] selbst nicht verstanden werden. Dies kam nicht von der Dunkelheit der geoffenbarten Sache, da sie menschliche Angelegenheiten betraf, die nur, wenn sie noch in der Zukunft liegen, die menschliche Fassungskraft übersteigen, sondern davon, dass die Einbildungskraft des Daniel im Wachen nicht so wie im Traume prophezeien konnte; was daraus erhellt, dass er gleich bei dem Beginn der Offenbarung so bestürzt war, dass er seinen eigenen Kräften nicht mehr traute; also wurde die Sache nur wegen der Schwäche seiner Phantasie und seiner Kräfte so dunkel vorgestellt, dass er sie selbst nach der Erklärung nicht verstand. Dies zeigt, dass die von Daniel gehörten Worte, wie ich oben dargethan habe, nur eingebildet gewesen sind, und es ist dann nicht wunderbar, dass er in seiner damaligen Verwirrung die Worte so verworren und dunkel sich in seiner Einbildung zusammengesetzt, dass er nachher keinen Sinn herausbringen konnte. Wenn gesagt wird, Gott habe sich dem Daniel nicht deutlich offenbaren wollen, so hat man die Worte des Engels nicht gelesen, der ausdrücklich sagt (X. 14): »er sei gekommen, um Daniel zu wissen zu thun, was seinem Volke in späteren Zeiten zustossen werde.« Diese Dinge blieben nur deshalb so dunkel, weil damals Niemand eine solche starke Einbildungskraft besass, um sie deutlicher offenbaren zu können. – Endlich wollten auch die Propheten, welchen offenbart worden, dass Gott den Elias entführen werde, den Elisa überreden, dass er nur an einen andern Ort gebracht worden, wo sie ihn noch finden konnten; dies zeigt deutlich, dass sie die Offenbarung Gottes falsch verstanden hatten.

Es ist nicht nöthig, dies noch weitläufiger darzuthun; denn die Bibel ergiebt klar, dass Gott den einen Propheten mehr als den andern mit der Gnade des Prophezeiens beschenkt hat. Dagegen will ich sorgfältiger und ausführlicher darlegen, dass die Weissagungen und Erscheinungen je nach den die Propheten beherrschenden Meinungen wechselten, und dass die Propheten verschiedene und selbst entgegengesetzte Meinungen und Vorurtheile gehabt haben, was sich aber nur auf rein spekulative Gegenstände bezieht und nicht auf Frömmigkeit und guten Lebenswandel, wo es nicht gelten kann. Dieser Umstand ist von grosser Erheblichkeit; denn ich[37] werde daraus ableiten, dass die Weissagung die Propheten nicht umsichtiger gemacht, sondern in ihren vorgefassten Meinungen belassen hat, und dass wir mithin in rein spekulativen Fragen durch sie in keiner Weise gebunden sind.

Mit einer wunderbaren Uebereilung ist man von jeher überzeugt gewesen, dass die Propheten Alles gewusst, was dem menschlichen Verstande erreichbar sei, und wenn Stellen der Bibel auf das Deutlichste sagen, dass die Propheten Manches nicht gewusst haben, so will man doch lieber die Schrift in diesen Stellen nicht verstehn, als zugeben, die Propheten hätten etwas nicht gekannt, oder man verdreht die Worte der Schrift zu einem Sinne, der nicht darin enthalten ist. Wäre dies gestattet, so wäre es freilich mit der ganzen Bibel vorbei; denn jeder Beweis aus der Bibel ist dann vergeblich, wenn das Klarste in ihr für dunkel und unergründlich erklärt oder nach Belieben ausgelegt werden darf. So ist z.B. nichts in der Bibel deutlicher, als dass Josua und vielleicht auch der Verfasser seiner Geschichte geglaubt, die Sonne drehe sich um die Erde, die Erde stehe still, und die Sonne habe eine Zeit lang auch still gestanden. Allein Viele, welche keine Veränderung am Himmel zulassen wollen, legen die Stelle so aus, dass sie nichts dergleichen sage, und Andere mit besseren Naturkenntnissen, welche wissen, dass die Erde sich bewegt und die Sonne still steht und nicht um die Erde sich bewegt, suchen mit der grössten Mühe einen solchen Sinn aus der Bibel herauszubringen, obgleich das offenbar gegen ihre Absicht läuft. Man kann darüber nur staunen; denn ich frage: sollen wir glauben, dass der Soldat Josua die Astronomie genau verstand? oder dass nur, wenn Josua die Ursache kannte, das Wunder ihm offenbart und die Sonne länger als gewöhnlich über dem Horizont bleiben konnte? Mir scheinen beide Annahmen lächerlich; ich sage deshalb lieber offen, dass Josua die wahre Ursache des längeren Leuchtens nicht gekannt hat und deshalb mit seinen Leuten gemeint hat, die Sonne drehe sich täglich um die Erde und habe nur an diesem Tage eine Zeit lang still gestanden, und deshalb sei es länger Tag geblieben. Er hat also nicht bedacht, dass von einer grossen Eisanhäufung, welche sich damals in der Luft befand (Josua X. II) eine ungewöhnlich[38] starke Zurückwerfung der Sonnenstrahlen entstehen konnte, oder etwas Aehnliches, was ich jetzt nicht untersuche. – Ebenso wurde dem Esaias das Zeichen des zurückweichenden Schattens nach seiner Fassungskraft offenbart, nämlich durch das Zurückweichen der Sonne; denn auch er glaubte, dass die Sonne sich bewege und die Erde ruhe, und an Nebensonnen hat er wohl niemals, auch im Traume nicht, gedacht. Dies anzunehmen, ist uns gewiss gestattet, denn das Zeichen konnte wirklich geschehen und dem Könige von Esaias vorausgesagt werden, wenn auch der Prophet dessen wahre Ursache nicht kannte. – Dasselbe gilt von dem Bau Salomo's, wenn ihm dieser von Gott offenbart worden; nämlich dass alle Maasse desselben nach der Fassungskraft und den Kenntnissen Salomo's ihm offenbart wurden; denn wir brauchen nicht zu glauben, dass Salomo ein Mathematiker gewesen sei, und wir können behaupten, dass er das Verhältniss zwischen Umring und Durchmesser des Kreises nicht gekannt hat, und dass er es mit den gemeinen Handarbeitern wie drei zu eins angenommen. Wenn man behaupten darf, dass ich den Text 1. Könige VII. 23 nicht verstehe, so weiss ich wahrhaftig nicht, was überhaupt in der Bibel verstanden werden kann; denn dort wird einfach und rein historisch der Bau beschrieben, und wenn man annehmen darf, dass die Bibel es anders gemeint, aber aus irgend einem uns unbekannten Grunde es so ausgedrückt habe, so wird damit die Bibel überhaupt über den Haufen gestossen; denn dann kann Jeder mit gleichem Rechte dasselbe von jeder Stelle der Bibel behaupten, und alles Verkehrte und Schlechte, was menschliche Bosheit sich nur erdenken kann, wird dann auf Grund des Ansehns der Bibel vertheidigt und verübt werden dürfen. – Dagegen enthält meine Annahme nichts Gottloses; denn wenn auch Salomo, Esaias, Josua und Andere Propheten waren, so blieben sie doch auch Menschen, und alles Menschliche war ihnen nicht fremd. Ebenso wurde dem Noah nach seiner Fassungskraft offenbart, dass Gott das menschliche Geschlecht verderbe, weil er glaubte, dass die Welt ausserhalb Palästina unbewohnt sei, und die Propheten konnten ohne Verstoss gegen die Frömmigkeit nicht blos dergleichen, sondern noch viel wichtigere Dinge nicht kennen und haben sie[39] auch in Wahrheit nicht gekannt. Denn sie lehrten nichts Besonderes über die göttlichen Eigenschaften, sondern hegten die gewöhnlichen Meinungen über Gott, und danach wurden auch die Offenbarungen eingerichtet, wie ich jetzt mit vielen Stellen der Bibel belegen will. Der Leser kann daraus entnehmen, dass die Propheten nicht wegen der Grösse und Vortrefflichkeit ihres Verstandes, sondern wegen ihrer Frömmigkeit und Beständigkeit Lob und grosse Empfehlung verdienen.

Adam, dem Gott sich zuerst offenbarte, wusste nicht, dass Gott allgegenwärtig und allwissend ist; denn er verbarg sich vor Gott und suchte seine Sünde Tor Gott, wie vor einem Menschen, zu entschuldigen. Gott offenbarte sich ihm auch nach seinen Begriffen als einen Solchen, der nicht überall ist, den Ort und die Sünde Adam's nicht kennt. Denn Adam hörte oder meinte Gott zu hören, wie er durch den Garten ging, ihn rief und suchte, und dann hat er in Anlass seiner Scham ihn gefragt, ob er von dem verbotenen Baum gegessen habe. Adam kannte sonach keine andere Eigenschaft von Gott, als dass er der Schöpfer aller Dinge gewesen. Auch dem Kain offenbarte sich Gott nach seiner Fassungskraft als einen Solchen, der die menschlichen Dinge nicht kennt; auch brauchte Kain keine höhere Kenntniss Gottes zu haben, um seine Sünde zu bereuen. Dem Laban offenbarte sich Gott als den Abraham's, weil Jener glaubte, dass jedes Volk seinen besonderen Gott habe. Man sehe Gen. XXXI. 29. Auch Abraham wusste nicht, dass Gott allgegenwärtig ist und alle Dinge vorausweiss; denn bei dem Hören des Spruchs gegen die Sodomiter bat er Gott, ihn nicht zu vollstrecken, bevor er nicht wusste, dass Alle die Strafe verdient hätten; denn er sagt (Gen. XVIII. 24): »Vielleicht werden fünfzig Gerechte in jener Stadt gefunden.« und Gott selbst offenbarte es nicht anders, denn er sagt nach dem, wie Abraham zu hören meint: »Ich werde jetzt herabsteigen und sehen, ob sie nach der schweren Klage, die bei mir angebracht worden, gehandelt haben, und ich werde erfahren, wenn es sich nicht so verhält.« Das göttliche Zeugniss für Abraham (Gen. XVIII. 18) betrifft auch nur seinen Gehorsam, und dass er sein Gesinde zum Gerechten und Guten anhielt; aber nicht, dass er eine höhere Erkenntniss von[40] Gott besessen. Auch Moses wusste nicht bestimmt, dass Gott allwissend ist, und dass alle menschlichen Handlungen nach seinem Rathschluss erfolgen. Denn obgleich Gott ihm gesagt hatte (Exod. III. 18), dass die Israeliten ihm gehorchen würden, so wurde er doch wieder zweifelhaft und erwiderte (Exod. IV. 1): »Wie aber, wenn sie mir nicht glauben und mir nicht gehorchen?« Daher hat Gott selbst sich ihm als einen Solchen offenbart, der sich zu den menschlichen Dingen gleichgültig verhält und sie nicht kennt; denn er gab ihm zwei Zeichen und sagte (Exod. IV. 8): »Wenn sie dem ersten Zeichen nicht glauben wollten, so werden sie doch dem andern glauben, und wenn sie auch diesem nicht glauben sollten, so nimm dann Wasser aus dem Flusse« u.s.w. Wer die Reden Mosis ohne Vorurtheil erwägt, wird sicher finden, dass er Gott für ein Wesen gehalten, was immer gewesen ist, was besteht und immer sein wird; deshalb nennt er ihn Jehova, welches Wort im Hebräischen die drei Zeitformen ausdrückt; aber von seiner Natur hat er sonst nur gelehrt, dass er barmherzig und gütig u.s.w. und höchst eifersüchtig sei, wie viele Stellen der Bücher Mosis ergeben. Er glaubte und lehrte endlich, dass dieses Wesen von allen anderen sich dadurch unterscheide, dass es durch kein Bild einer sichtbaren Sache bezeichnet werden könne, und zwar nicht wegen der Unmöglichkeit der Sache, sondern weil er wegen der Schwäche der Menschen von ihnen nicht geschaut werden könne; ferner, dass seine Macht eine besondere und einzige sei. Er gab zu, dass es Wesen gebe, welche (ohne Zweifel nach Anordnung und Geheiss Gottes) die Stelle Gottes verträten, d.h. Wesen, denen Gott das Ansehn, das Recht und die Macht zur Leitung der Völker und zu ihrer Fürsorge und Pflege gegeben; aber jenes Wesen, das sie verehren sollten, sei der höchste und erhabene Gott oder (um einen hebräischen Ausdruck zu gebrauchen) der Gott der Götter, und deshalb sagt er in dem Lobgesang des 2. Buch Mosis (XV. 11): »Wer unter den Göttern ist Dir gleich, Jehova?« und Jetro sagt (Exod. XVIII. 11): »Jetzt weiss ich, dass Jehova grösser als alle Götter ist,« d.h. endlich muss ich Moses zugestehen, dass Jehova grösser als alle Götter und von besonderer Macht ist. Dagegen ist es zweifelhaft, ob Moses von diesen Wesen,[41] welche Gottes Stelle vertreten, glaubte, dass Gott sie geschaffen habe; denn er sagt nichts über ihre Erschaffung und ihren Anfang, und er lehrt ausserdem, dass dieses Wesen, nämlich Gott, die sichtbare Welt aus dem Chaos in die Ordnung übergeführt habe (Gen. I. 2) und der Natur den Samen eingepflanzt, und dass es deshalb über Alles das höchste Recht und die höchste Gewalt habe, und dass es nach diesem höchsten Recht und Macht (Deut. X. 14, 15) sich allein die jüdische Nation ausgewählt habe und ein bestimmtes Land der Erde (Deut. IV. 20; XXXII. 8, 9), dagegen die übrigen Völker und Länder den anderen von ihm bestellten Göttern überlassen habe. Deshalb wurde er selbst der Gott Israels und der Gott Jerusalem's (2. Chronik XXXII. 19), die übrigen Götter aber die Götter der anderen Völker genannt. Deshalb glaubten auch die Juden, dass dieses Land, was Gott sich auserwählt, einen besonderen und von dem anderer Länder ganz verschiedenen Dienst Gottes verlange und den Dienst anderer Götter, wie er in anderen Ländern hergebracht sei, nicht vertragen könne. Deshalb glaubten die Völker, welche der assyrische König nach Judäa führte, sie würden von Löwen zerrissen werden, weil sie den Dienst Gottes in diesem Lande nicht kannten (2. Könige XVII. 25, 26). Deshalb sagte auch Jacob, wie Aben Hezra meint, seinen Söhnen, als er nach einem neuen Wohnsitz suchte, sie sollten sich auf einen neuen Dienst und fremde Götter gefasst machen, d.h. den Dienst der Götter des Landes, wo sie damals waren, verlassen (Gen. XXXV. 2, 3). Auch David sagte dem Saul, als er wegen dessen Verfolgung das Vaterland verlassen musste, dass er von dem Erbtheil Gottes vertrieben und zur Verehrung anderer Götter gesandt werde (1. Sam. XXVI. 19). Endlich glaubte er, dass dieses Wesen oder Gott seinen Wohnsitz im Himmel habe (Deut. XXXIII. 27), welche Meinung unter den Heiden sehr verbreitet war.

Betrachtet man nun die dem Moses geschehenen Offenbarungen, so zeigt sich, dass sie diesen Meinungen angepasst sind. Da er glaubte, Gottes Wesen sei solchen Zuständen unterworfen, wie dem Mitleiden, der Güte u.s.w., so hat sich Gott ihm auch nach dieser Meinung und in diesen Zuständen offenbart (Exod. XXXIV. 6, 7,[42] wo erzählt wird, wie Gott Moses erschienen ist, und von den Zehn Geboten v. 4, 5). Ferner heisst es XXXIII. 18, Moses habe Gott gebeten, dass er ihn sehen dürfe; allein da Moses, wie erwähnt, keine sinnliche Vorstellung von Gott bei sich hatte bilden können, und Gott, wie ich gezeigt habe, sich den Propheten nur nach dem Zustande ihrer Einbildungskraft offenbart hat, so erschien ihm Gott auch in keiner Gestalt, und ich meine deshalb, weil dies nach der Einbildungskraft des Moses nicht anging. Denn andere Propheten bezeugen, dass sie Gott gesehen haben; so Esaias, Ezechiel, Daniel u.s.w. Deshalb antwortete Gott dem Moses: »Du wirst mein Antlitz nicht sehen können,« und da Moses Gott für sichtbar hielt und meinte, dies widerspreche seiner göttlichen Natur nicht, denn sonst hätte er es sich nicht erbeten, so fügt Gott hinzu: »weil Niemand mich schauen und leben wird.« Gott giebt also einen Grund an, der den Ansichten des Moses entspricht; er sagt nicht, dass dies seiner göttlichen Natur widersprechend sei, wie es in Wahrheit ist, sondern es sei nur wegen der menschlichen Schwäche nicht ausführbar. – Als dann Gott dem Moses offenbarte, dass die Israeliten wegen der Anbetung des Kalbes den übrigen Völkern gleich gemacht worden, sagt er XXXIII. 2, 3, er wolle einen Engel schicken, d.h. ein Wesen, was an Stelle des Höchsten für die Israeliten sorgen werde, und er selbst wolle nicht mehr unter ihnen sein. Damit blieb für Moses Nichts, woraus hervorging, dass die Israeliten Gott lieber waren als die übrigen Völker, welche Gott auch der Sorge anderer Wesen oder Engel übergeben hatte, wie aus v. 16 desselben Kapitels erhellt. Endlich offenbarte sich Gott, weil Moses glaubte, dass er im Himmel wohne, demselben so, als wenn er von dem Himmel auf den Berg herabsteige, und Moses stieg selbst zur Anrede Gottes auf den Berg, was nicht nöthig gewesen wäre, wenn er Gott sich hätte überall als gleich zugänglich vorstellen können. Die Israeliten wussten beinah nichts von Gott, obgleich er sich dem Moses offenbart hat; dies zeigte sich, als sie nach wenig Tagen seine Ehre und seinen Dienst auf ein Kalb übertrugen und es für jene Götter hielten, durch welche sie aus Aegypten geführt wurden. Auch ist es nicht glaublich, dass Menschen, welche an den Aberglauben der Aegypter gewöhnt[43] waren, in ihrer Rohheit und gebeugt durch eine harte Sklaverei, etwas Gesundes von Gott gewusst haben, und dass Moses ihnen mehr als den Lebenswandel gelehrt habe, wobei er aber nicht als Philosoph von der Freiheit des Willens ausging, sondern als Gesetzgeber durch die Strenge des Gesetzes sie zu einem guten Lebenswandel nöthigte. Deshalb war für sie ein guter Lebenswandel oder ein wahres Leben und die Anbetung und Liebe zu Gott mehr ein Joch als eine wahre Freiheit und Gnade und Geschenk Gottes; er hiess sie Gott lieben und seine Gesetze befolgen, damit sie Gott für die erhaltenen Wohlthaten (nämlich für die Befreiung aus der ägyptischen Sklaverei) Dank abstatteten, und er erschreckt sie durch Drohungen, wenn sie diese Gebote übertreten sollten; dagegen versprach er ihnen viel Gutes, wenn sie sie befolgen würden. So behandelte er sie ebenso, wie es die Eltern mit ihren noch unverständigen Kindern zu machen pflegen, und es ist klar, dass sie die Vortrefflichkeit der Tugend und die wahre Seligkeit nicht kannten.

Jonas meinte dem Anblick Gottes sich entziehen zu können; daher scheint auch er geglaubt zu haben, dass Gott die Sorge für andere Länder, ausser Juda, anderen Mächten, die er als Stellvertreter gesetzt, übergeben habe. Im Alten Testament hat Niemand vernünftiger als Salomo über Gott gesprochen, der im natürlichen Licht alle seine Zeitgenossen übertraf. Deshalb stellte er sich über das Gesetz; denn es ist nur Denen gegeben, die der Vernunft und der Zeugnisse der natürlichen Einsicht entbehren; er achtete alle Gesetze, die den König betrafen und hauptsächlich aus dreien bestanden, gering (Deut. XVII. 16, 17); ja er übertrat sie, worin er jedoch irrte und sich eines Philosophen nicht würdig benahm, indem er sich den Lüsten überliess; er lehrte, dass alle Glücksgüter der Sterblichen eitel seien (Prediger Salomo), und dass die Menschen nichts Besseres als ihren Verstand hätten, und dass die Thorheit ihre härteste Strafe sei (Sprüchw. XVI. 23).

Ich muss jedoch zu den Propheten zurückkehren und deren abweichende Ansichten darlegen. Die Rabbiner, welche uns die noch vorhandenen Bücher der Propheten hinterlassen haben (wie in der Abhandlung von Sabbatus I. Blatt 13 S. 2 erzählt wird), haben die Aussprüche des[44] Ezechiel so im Widerspruch mit denen des Moses gefunden, dass sie schwankten, ob sie die Bücher Jenes unter die kanonischen mit aufnehmen sollten; sie hätten sie ganz unterschlagen, wenn nicht ein gewisser Ananias aus eigenem Antriebe ihre Auslegung begonnen gehabt hätte. Sie sagen, dies sei mit grosser Mühe und mit Eifer von ihm geschehen, aber das Nähere geben sie nicht an, ob er nämlich etwa einen Kommentar geschrieben, der wieder verloren gegangen, oder ob er die eigenen Worte und Reden des Ezechiel dreist geändert und in seinem Sinne zurechtgelegt habe. Mag nun geschehen sein, was da wolle, so scheint zweifellos Kap. 18 nicht mit Exod. XXXIV. 7 und mit Jerem. XXXII. 18 übereinzustimmen. Samuel glaubte, dass Gott nie einen seiner früheren Beschlüsse bereue (1. Sam. XV. 29), denn er sagte zu Saul, der seine Sünden bereute und zu Gott beten und seine Verzeihung erbitten wollte: »Gott werde seinen Beschluss in Betreff seiner nicht ändern.« Dagegen wurde dem Jeremias offenbart (XVIII. 8, 10), dass Gott, wenn er etwas Uebles oder etwas Gutes über ein Volk verhängt habe, es dann bereue, wenn die Menschen nachher sich bessern oder verschlechtern. Dagegen lehrte Joel, dass Gott nur das Ueble bereue (Joel II. 13). Endlich ergiebt sich aus Gen. IV. 7 deutlich, dass der Mensch die Versuchungen zur Sünde überwinden und gut handeln kann; denn dies wird Kain gesagt, der doch, wie aus der Bibel und aus Josephus erhellt, sie nie überwunden hat. Dasselbe ergiebt sich aufs Klarste aus dem oben genannten Kapitel im Jeremias; denn es heisst, Gott bereue einen auf Strafe oder Wohlthat der Menschen gerichteten Beschluss, wenn die Menschen ihren Lebenswandel und ihre Sitten ändern wollen. Dagegen sagt Paulus ganz offenbar, dass die Menschen keine Gewalt über die Versuchungen des Fleisches haben, soweit nicht Gott sie besonders auserwählt und begnadigt habe (Brief an die Römer IX. 10); und wenn er III. 5 und VI. 19 Gott die Gerechtigkeit zutheilt, so beruhigt er sich damit, dass er hier in menschlicher Weise und wegen der Schwäche des Fleisches so spreche.

Aus alledem erhellt also zur Genüge, dass, wie ich behauptet, Gott seine Offenbarungen der Fassung und den Meinungen der Propheten anbequemt hat, und dass die[45] Propheten Dinge, welche die blosse Spekulation und nicht die Liebe und den Lebenswandel betrafen, nicht zu wissen brauchten und auch wirklich nicht gewusst, sondern das Entgegengesetzte gemeint haben. Es kann deshalb durchaus keine Belehrung über natürliche und geistige Gegenstände von ihnen geholt werden, und daraus folgt, dass wir den Propheten nur so weit zu glauben schuldig sind, als es den Zweck und das Wesen der Offenbarung betrifft; im Uebrigen ist das Glauben in Jedes Belieben gestellt. So lehrt uns z.B. die Offenbarung an Kain nur, dass Gott ihn zu einem wahren Leben ermahnt habe; denn das ist die Absicht und das Wesen dieser Offenbarung, aber nicht eine Belehrung über die Willensfreiheit und philosophische Fragen. Wenn also auch in den Worten dieser Ermahnung und ihren Gründen die Willensfreiheit auf das Klarste enthalten ist, so dürfen wir doch das Gegentheil annehmen, da jene Worte und Gründe nur der Fassungskraft des Kain angepasst worden sind. So will auch die Offenbarung von Micha nur sagen, dass Gott dem Micha den wahren Ausgang der Schlacht des Achab gegen Aram offenbart habe, und deshalb brauchen wir auch nur dies zu glauben; was sonst darin enthalten ist über den wahren und falschen Geist Gottes und über das zu beiden Seiten Gottes stehende Heer des Himmels und die anderen Nebenumstände, Alles dies geht uns nichts an, und Jeder mag davon glauben, was mit seinen Einsichten sich vertragt. Dasselbe gilt von den Gründen, mit denen Gott dem Hiob seine Macht über Alles darlegt, wenn es nämlich wahr ist, dass hier eine Offenbarung vorliegt, und dass der Verfasser nur erzählt und nicht, wie Einige meinen, seine eigenen Gedanken vorgetragen hat. Auch diese Gründe sind nur auf die Fassungskraft Hiob's und für seine Ueberzeugung eingerichtet, aber sie sind nicht allgemein für Jedermanns Ueberzeugung gültig. Dies gilt auch für die Gründe Christi, mit denen er die Pharisäer der Hartnäckigkeit und Unwissenheit überführt und seine Jünger zum wahren Leben ermahnt; sie sind den Meinungen und Grundsätzen der Einzelnen anbequemt. Wenn er z.B. den Pharisäern sagt (Matth. XII. 26): »Und wenn der Satan den Satan vertreibt, so ist er in sich selbst gespalten, und wie kann dann sein Reich bestehen?« so wollte er die Pharisäer[46] nur mit ihren eigenen Lehren schlagen, aber nicht lehren, dass es böse Geister und ein Reich solcher gebe. Wenn er seinen Jüngern sagt (Matth. XVIII. 10): »Sorget, dass Ihr Keinen dieser Kleinen verachtet, denn ich sage Buch, ihre Engel u.s.w.,« so will er nur sie ermahnen, nicht stolz zu sein und Niemand zu verachten; aber nichts weiter, was sonst in seinen Gründen enthalten ist, die er mehr zur besseren Ueberzeugung der Jünger herbeinimmt. Dasselbe gilt unbedingt von den Ausführungen und Zeichen der Apostel; ich brauche dies nicht weiter darzulegen, denn ich würde nicht zu Ende kommen, wollte ich alle Stellen der Bibel beibringen, die nur für Menschen und ihre Fassungskraft eingerichtet sind, und die nur zum grossen Schaden der Philosophie als göttliche Lehren vertheidigt werden können; es genügt, einige allbekannte erwähnt zu haben; die übrigen kann der eifrige Leser selbst erwägen.

Wenn nun auch das, was ich hier Über die Propheten und die Weissagung gesagt habe, vorzugsweise zu meiner Aufgabe, die Philosophie von der Religion zu trennen, gehört, so dürfte es doch, da ich die Frage im Allgemeinen behandelt habe, auch zweckmässig sein, zu untersuchen, ob die prophetische Gabe den Juden allein beigewohnt hat, oder ob sie ein Gemeingut aller Völker ist, und was von der Berufung der Juden zu halten ist. Dies wird den Inhalt des folgenden Kapitels bilden.

Quelle:
Spinoza: Theologisch-politische Abhandlung. Berlin 1870, S. 31-47.
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