Sechstes Kapitel
Ueber die Wunder.

[88] So wie eine Erkenntniss, welche die menschliche Fassungskraft übersteigt, eine göttliche genannt zu werden pflegt, so wird auch ein Werk, dessen Ursache die Menge nicht einsieht, das Werk Gottes genannt. Denn die Menge glaubt, dass die Macht und Vorsehung Gottes sich dann am deutlichsten offenbare, wenn etwas Ungewöhnliches in der Natur geschieht, was gegen die gewöhnliche Meinung läuft; vorzüglich wenn es zum Gewinn und Vortheil[88] derselben ausschlägt Sie glaubt, dass das Dasein Gottes nicht deutlicher dargelegt werden könne, als wenn die Natur ihre Regeln, wie sie meint, nicht innehält. Wenn daher Jemand die Dinge und die Wunder auf natürliche Weise zu erklären und einzusehen sucht, so meint sie, er wolle Gott selbst oder seine Vorsehung nicht anerkennen. Die Menge glaubt, Gott sei so lange unthätig, als die Natur regelmässig wirkt, und umgekehrt, die Macht der Natur und die natürlichen Kräfte seien so lange müssig, als Gott handle. Man stellt sich so zwei verschiedene Mächte vor, die Macht Gottes und die Macht der natürlichen Dinge, die nur in gewisser Weise von Gott geregelt oder, wie die Meisten heutzutage annehmen, von Gott geschaffen ist. Niemand weiss aber dabei, was sie unter diesen Mächten und was sie unter Gott und der Natur meinen; vielmehr stellt man sich die Macht Gottes wie die Herrschaft einer königlichen Majestät und die der Natur wie eine Kraft oder einen Stoss vor. Deshalb nennt die Menge die ungewohnten Werke der Natur Wunder oder Werke Gottes, und sie mag theils aus Frömmigkeit, theils aus Widerspruchsgeist gegen Die, welche die Naturwissenschaft pflegen, von den natürlichen Ursachen nichts wissen und nur das hören, was sie gar nicht versteht und deshalb am meisten anstaunt. Die Menge kann Gott nur anbeten und Alles auf seine Macht und seinen Willen beziehen, wenn sie keine natürlichen Ursachen anerkennt und die Ereignisse gegen die Natur sich vorstellt; sie glaubt die Macht Gottes dann am meisten zu bewundern, wenn sie die Macht der Natur wie von Gott unterjocht sich vorstellt. Dies scheint von den ersten Juden sich herzuschreiben, welche die Heiden ihrer Zeit, die die sichtbaren Götter, wie Sonne, Mond, die Erde, das Wasser, die Luft anbeteten, widerlegen, und ihnen zeigen wollten, dass ihre Götter schwach und wankelmüthig wären und unter der Herrschaft des unsichtbaren Gottes ständen. Deshalb erzählten sie seine Wunder, aus denen hervorgehen sollte, dass die ganze Natur auf ihres angebeteten Gottes Geheiss nur zu ihrem Vortheil regiert werde. Dies gefiel den Menschen so gut, dass man seitdem bis jetzt nicht aufgehört hat, Wunder zu erdichten, um dadurch als die Lieblinge Gottes und als das Endziel, weshalb Gott Alles geschaffen und erhalten habe, zu[89] gelten. So erlaubt sich die Thorheit der Menge Alles, ohne doch von Gott und der Natur einen gesunden Begriff zu haben; sie vermengt die Beschlüsse Gottes mit menschlichen und stellt sich die Natur so beschränkt vor, dass ihr der Mensch als der vornehmste Theil erscheint.

Damit habe ich die Meinungen und Vorurtheile der Menge Über die Natur und die Wunder hinreichend dargelegt; um indess die Frage gründlich zu erschöpfen, werde ich zeigen: 1) dass Nichts sich gegen die Natur ereignet, sondern dass sie eine feste und unveränderliche Ordnung innehält, und zugleich, was unter Wunder zu verstehen ist; 2) dass durch die Wunder weder das Wesen noch das Dasein Gottes und folglich auch nicht seine Vorsehung erkannt werden kann, sondern dass dies Alles viel besser aus der festen und unveränderlichen Ordnung der Natur erhellt; 3) werde ich aus einigen Beispielen der Bibel zeigen, dass sie selbst unter den Beschlüssen und dem Willen Gottes und mithin unter seiner Vorsehung nur die Ordnung der Natur versteht, die aus seinen ewigen Gesetzen hervorgeht; 4) endlich werde ich über die Auslegung der Wunder in der Bibel und über das handeln, was hauptsächlich von den Berichten über die Wunder zu halten ist. Dies gehört wesentlich zum Gegenstande dieses Kapitels und wird ausserdem den Zweck meines ganzen Werkes erheblich fördern.

Der erste Satz ergiebt sich leicht aus dem, was ich in Kap. 4 über das göttliche Gesetz dargelegt habe, wonach Alles, was Gott will oder bestimmt, eine ewige Notwendigkeit oder Wahrheit einschliesst. Ich habe daraus, dass der Wille und die Einsicht Gottes dasselbe sind, gezeigt, dass wir dasselbe sagen, wenn wir von Gottes Willen sprechen, oder dass Gott etwas einsieht, und mit derselben Nothwendigkeit, mit der aus der göttlichen Natur und Vollkommenheit folgt, dass Gott ein Ding, wie es ist, erkennt, folgt, dass Gott es, wie es ist, will. Da nun Alles seine Wahrheit nur aus den göttlichen Beschlüssen hat, so folgt, dass die Naturgesetze nur die reinen Beschlüsse Gottes sind, wie sie aus der Nothwendigkeit und Vollkommenheit der göttlichen Natur folgen. Geschähe also in der Natur etwas gegen ihre allgemeinen Gesetze, so würde es nothwendig auch der[90] göttlichen Einsicht, Natur und ihren Beschlüssen widersprechen, und wenn Jemand annähme, dass Gott etwas gegen die Naturgesetze thue, der müsste auch annehmen, Gott handle gegen seine eigne Natur, was nicht verkehrter sein könnte. Dies ergiebt sich ebenso leicht daraus, dass die Macht der Natur die göttliche Macht und Kraft selbst ist, und dass die göttliche Macht das eigentliche Wesen Gottes ist; doch lasse ich dieses hier jetzt bei Seite.

Somit geschieht in der Natur nichts,9 was ihren allgemeinen Gesetzen widerspricht, und nichts, was damit nicht übereinstimmt oder aus ihnen nicht folgt; vielmehr geschieht Alles, was geschieht, mit Gottes Willen und ewigem Beschluss, d.h. wie gesagt, es geschieht Alles nach Gesetzen und Regeln, welche eine ewige Notwendigkeit enthalten, und die Natur befolgt diese Gesetze und Regeln, welche die ewige Nothwendigkeit und Wahrheit einschliessen, immer, wenn wir sie auch nicht kennen, und ebenso ihre feste und unverbrüchliche Ordnung. Keine gesunde Vernunft kann der Natur eine beschränkte Macht und Kraft zutheilen und annehmen, dass ihre Gesetze nur für Einzelnes und nicht für Alles passen; denn die Kraft und Macht der Natur ist die Kraft und Macht Gottes selbst, und die Gesetze und Regeln der Natur sind die eigenen Beschlüsse Gottes; deshalb ist die Macht der Natur als unendlich anzusehen, und ihre Gesetze sind so ausgedehnt, dass sie Alles, was die göttliche Einsicht erkennt, umfassen. Sonst müsste man annehmen, Gott habe die Natur so ohnmächtig geschaffen und ihre Gesetze und Regeln so dürftig bestellt, dass er ihr wiederholt von Neuem beistehen müsse, um sie zu erhalten und um die Dinge nach seinem Willen gehen zu machen, was durchaus verkehrt sein würde.

Aus diesem Grunde also, dass in der Natur Alles nur nach ihren Gesetzen erfolgt, und dass diese Gesetze auf Alles, was die göttliche Einsicht vorstellt, sich erstrecken, und dass die Natur eine feste und unveränderliche Ordnung innehält, folgt auf das Klarste, dass das Wort »Wunder« nur auf die Meinungen der Menschen[91] sich bezieht und nur ein Werk bedeutet, dessen natürliche Ursache wir an dem Beispiel eines andern bekannten Gegenstandes nicht erklären können, oder wo wenigstens Der, der dies nicht kann, das Wunder niederschreibt oder erzählt. Ich könnte zwar sagen, ein Wunder sei das, dessen Ursache aus den Prinzipien der natürlichen Dinge, soweit sie dem natürlichen Lichte bekannt sind, sich nicht erklären lasse; allein da die Wunder für den Verstand der Menge geschahen, welche die obersten Grundsätze der natürlichen Dinge gar nicht kannte, so haben offenbar die Alten das für ein Wunder gehalten, was sie nicht in der Weise erklären konnten, wie die Menge die natürlichen Dinge zu erklären pflegt, d.h. durch Benutzung der Erinnerung an einen andern ähnlichen Fall, den sie ohne Staunen sich vorzustellen pflegt; denn die Menge meint eine Sache dann genügend einzusehen, wenn sie sich nicht darüber verwundert. Die Alten und Alle bis ziemlich auf den heutigen Tag hatten nur diesen Maassstab für die Wunder; es kann deshalb nicht auffallen, wenn in der Bibel Vieles als Wunder berichtet wird, dessen Ursachen aus bekannten Naturgesetzen leicht erklärt werden kann. So habe ich dies schon in Kap. 2 gethan, bei dem Stillstehn der Sonne für Josua und bei ihrem Zurückgehen zur Zeit des Achaz; indess werde ich darüber bald noch ausführlicher sprechen bei der Erklärung der Wunder, die ich in diesem Kapitel zugesagt habe.

Es ist aber nun Zeit, zu dem zweiten Punkt überzugehen, wonach wir Gottes Wesen und Dasein und Vorsehung nicht durch die Wunder, sondern viel besser aus der festen und unveränderlichen Ordnung der Natur erkennen. Ich werde das in folgender Weise darlegen.

Da Gottes Dasein nicht von selbst klar ist, so muss es aus Begriffen gefolgert werden, deren Wahrheit so fest und unerschütterlich ist, dass keine Macht möglich und denkbar ist, die sie verändern könnte. Wenigstens müssen sie uns von der Zeit ab so gelten, wo wir das Dasein Gottes aus ihnen folgern, wenn wir aus ihnen dasselbe erhaben über jeden zufälligen Zweifel folgern wollen. Denn wenn man sich vorstellen könnte, dass diese Begriffe von irgend einer Macht verändert werden könnten, so wäre deren Wahrheit zweifelhaft und folglich[92] auch unser Schluss für das Dasein Gottes, und es gäbe keine Gewissheit für irgend, einen Gegenstand. – Ferner kann nur das mit der Natur in Uebereinstimmung oder Widerspruch sein, was mit ihren Prinzipien stimmt oder denselben widerspricht. Nähme man daher an, dass in der Natur etwas von irgend einer Macht, sei sie, welche sie wolle, geschehen könnte, was der Natur widerspräche, so würde es auch jenen Begriffen widersprechen und müsste deshalb als widersinnig verworfen werden, oder man müsste an diesen obersten Begriffen, wie gezeigt, und folglich auch an Gott und an allen Regeln überhaupt zweifeln. Die Wunder sind also weit entfernt, als Werke, die der Ordnung der Natur widersprechen, das Dasein Gottes uns zu beweisen; vielmehr müssten sie uns daran zweifeln lassen, da man ohne sie dessen unbedingt gewiss sein konnte, sofern man nämlich weiss, dass Alles in der Natur eine feste und unveränderliche Regel befolgt.

Wenn man aber annimmt, dass ein Wunder das sei, was aus natürlichen Ursachen sich nicht erklären lässt, so kann dies in zwiefachem Sinne gemeint sein; einmal so, dass es zwar seine natürlichen Ursachen habe, die der menschliche Verstand nur nicht ermitteln könne, oder dass es keine Ursache ausser Gott oder Gottes Willen habe. Allein da Alles, was aus natürlichen Ursachen geschieht, auch nur durch Gottes Macht und Willen geschieht, so muss man dahin gelangen, dass das Wunder, mag es natürliche Ursachen haben oder nicht, ein Werk ist, was aus Ursachen nicht erklärt werden kann, d.h. ein Werk, was die Begriffe der Menschen übersteigt. Aber aus einem Werke, und insbesondere aus einem, was unsern Verstand übersteigt, kann man nichts begreifen; denn Alles, was man klar und deutlich einsieht, muss durch sich selbst oder durch ein Anderes erkannt werden, was durch sich selbst erkennbar ist. Deshalb kann man aus einem Wunder oder einem Werke, was unsre Begriffe übersteigt, weder Gottes Wesen noch Dasein noch irgend etwas über Gott und seine Natur erkennen, vielmehr folgt, wenn Alles von Gott bestimmt und angeordnet ist, und die Wirkungen der Natur aus Gottes Wesen sich ergeben, und die Naturgesetze nur die ewigen Beschlüsse und Bestimmungen Gottes sind, dass wir Gott und seinen Willen[93] um so besser erkennen, je besser wir die natürlichen Dinge erkennen und einsehen, wie sie von ihrer obersten Ursache abhängen, und wie sie nach den ewigen Naturgesetzen wirken.

Deshalb können in Bezug auf ungern Verstand mit weit mehr Recht die Werke, welche man klar und deutlich erkennt, Gottes Werke heissen und auf seinen Willen bezogen werden, als die, welche man nicht kennt, wenn sie auch die Einbildungskraft sehr beschäftigen und die Menschen zum Anstaunen hinreissen. Nur die Werke der Natur, welche klar und bestimmt erkannt sind, machen die Erkenntniss Gottes erhabener und lehren den Willen und die Beschlüsse Gottes auf das Klarste. Diejenigen treiben also ein leeres Spiel, welche, wo sie einen Gegenstand nicht verstehen, zum Willen Gottes ihre Zuflucht nehmen; fürwahr eine lächerliche Art, seine Unwissenheit zu bekennen!

Selbst wenn man aus den Wundern etwas folgern konnte, so konnte es doch in keinem Falle das Dasein Gottes sein. Denn das Wunder ist ein begrenztes Werk und druckt nur eine gewisse und begrenzte Macht aus; man kann daher daraus nicht das Dasein einer Ursache folgern, deren Macht unendlich ist, sondern höchstens eine Ursache von grösserer Macht. Ich sage »höchstens«, denn es kann auch aus dem Zusammenwirken vieler Ursachen ein Werk hervorgehen, dessen Gewalt und Macht schwächer ist wie die Macht dieser Ursachen zusammen, und doch grösser als die Macht jeder einzelnen Ursache. Allein wenn die Naturgesetze, wie gezeigt worden, sich auf unendlich Vieles erstrecken und unter der Bestimmung der Ewigkeit von uns begriffen werden, und da die Natur nach ihnen in einer festen und unveränderlichen Ordnung sich bewegt, so lehren sie selbst uns in gewisser Weise die Unendlichkeit, Ewigkeit und Unveränderlichkeit Gottes. Ich schliesse also, dass Gott, sein Dasein und seine Vorsehung aus den Wundern nicht erkannt werden kann, sondern dass diese weit besser aus der festen und unveränderlichen Ordnung der Natur erkannt werden. Dabei verstehe ich das Wunder in dem Sinne eines Werkes, was die Fassungskraft des Menschen übersteigt, oder von dem man dies annimmt. Denn so weit es als ein Werk gilt, was die Ordnung der Natur zerstört oder[94] unterbricht oder deren Gesetzen widerspricht, so weit kann es (wie ich gleich zeigen werde) nicht blos keine Erkenntniss Gottes gewähren, sondern muss uns sogar die natürliche Kenntniss desselben nehmen und uns in Zweifel über Gott und Alles stürzen.

Auch erkenne ich hier keinen Unterschied zwischen einem Werke gegen die Natur und einem über die Natur, d.h. einem, das nach der Meinung Einiger der Natur zwar nicht widerstreitet, aber doch nicht von ihr hervorgebracht oder bewirkt werden kann. Denn das Wunder entsteht nicht ausserhalb, sondern innerhalb der Natur, wenn man es auch über die Natur stellt; es muss also nothwendig die Ordnung der Natur stören, wenn man diese überhaupt als eine feste und unveränderliche nach Gottes Rathschlüssen anerkennt. Geschähe daher etwas in der Natur, was aus ihren Gesetzen nicht folgte, so müsste es der Ordnung, die Gott in Ewigkeit durch die allgemeinen Naturgesetze für diese festgesetzt hat, widersprechen und würde deshalb gegen die Natur und ihre Gesetze sein, und wollte man daran glauben, so würde es uns an Allem zweifeln machen und zu dem Atheismus führen.

Damit glaube ich den zweiten Satz mit genügend festen Gründen bewiesen zu haben, und wir können daraus von Neuem folgern, dass ein Wunder, sei es gegen oder über die Natur, ein reiner Widerspruch ist. Deshalb kann in der Bibel unter Wunder nur ein Werk der Natur verstanden werden, das, wie gesagt, die Fassungskraft des Menschen übersteigt, oder von dem dies wenigstens angenommen wird.

Ehe ich jedoch zu dem dritten Punkte übergehe, möchte ich vorher meine Ansicht, dass Gott aus den Wundern nicht erkannt werden kann, durch das Ansehen der Bibel bekräftigen. Sie sagt dies zwar nirgends ausdrücklich, allein es kann leicht aus ihr abgeleitet werden, insbesondere aus des Moses (Deut. XIII.) Anweisung, den falschen Propheten, auch wenn er Wunder verrichtet, mit dem Tode zu strafen; denn er sagt: »Und (d.h. wenn auch) geschähe ein Zeichen und Wunder, was er Dir vorausgesagt hat u.s.w., so glaube (doch) den Worten des Propheten nicht, weil der Herr, Euer Gott, Euch versucht u.s.w. Der Prophet werde (deshalb)[95] des Todes schuldig erklärt« u.s.w. Hieraus ergiebt sich, dass auch von falschen Propheten Wunder verrichtet werden können, und dass die Menschen, die nicht durch die wahre Erkenntniss und Liebe zu Gott redlich geschützt sind, ebenso leicht aus den Wundern falsche Götter, wie die wahren erfassen können. Denn Moses setzt hinzu: »weil Jehova, Euer Gott, Euch versucht, damit er wisse, ob Ihr ihn liebt von ganzem Herzen und ganzer Seele.« Ferner haben die Israeliten trotz der vielen Wunder keine gesunde Vorstellung von Gott gewinnen können, wie die Erfahrung gelehrt hat. Denn als sie glaubten, Moses sei von ihnen gegangen, so verlangten sie sichtbare Götter von Aaron, und ein Kalb, welche Schande! war der Begriff ihres Gottes, den sie aus so vielen Wundern sich gebildet hatten. So zweifelte auch Asaph an der Vorsehung Gottes, obgleich er so viele Wunder gehört hatte, und er wäre beinah vom wahren Wege abgewichen, wenn er nicht endlich die wahre Seligkeit erkannt gehabt hätte (Psalm XXXVII.). Auch Salomo, zu dessen Zeiten die Angelegenheiten der Juden in der höchsten Blüthe standen, argwöhnt, dass Alles nach Zufall geschehe (Pred. Sal. III. 19, 20, 21; IX. 2, 3). Endlich blieb es beinah allen Propheten dunkel, wie die Ordnung der Natur und die Erlebnisse der Menschen mit ihrem Begriff von Gottes Vorsehung sich vertragen können, obgleich dies doch den Philosophen, die nicht aus Wundern, sondern aus klaren Begriffen die Dinge zu begreifen suchen, immer sehr klar gewesen ist, nämlich Denen, die die wahre Glückseligkeit nur in die Tugend und Seelenruhe setzen und nicht wollen, dass die Natur ihnen, sondern dass sie der Natur gehorchen; denn sie sind gewiss, dass Gott die Natur leitet, wie es ihre allgemeinen Gesetze, und nicht, wie es die besonderen Gesetze der menschlichen Natur verlangen, und dass Gott daher nicht blos auf das menschliche Geschlecht, sondern auf die ganze Natur Rücksicht nimmt.

So erhellt auch aus der Schrift, dass die Wunder keine wahre Erkenntniss Gottes gewähren und die Vorsehung Gottes nicht klar beweisen. Wenn es aber oft in der Bibel heisst, Gott habe ein Wunder gethan, damit er den Menschen bekannt werde, wie in Exod. X. 2 es heisst, Gott habe die Aegypter getäuscht und ein Zeichen[96] von sich gegeben, damit die Israeliten erkennten, dass er Gott sei, so folgt doch daraus noch nicht, dass die Wunder dies wirklich lehren, sondern nur, dass die Juden dies gemeint haben und so durch Wunder sich haben leicht überzeugen lassen. Denn oben im 2. Kapitel habe ich gezeigt, dass die Gründe der Propheten oder die aus den Offenbarungen gebildeten Gründe nicht aus allgemeinen Begriffen hervorgehen, sondern aus den verkehrten Zugeständnissen und Meinungen Derer, welchen die Offenbarung geschieht, oder welche der heilige Geist überzeugen will. Ich habe dies durch viele Beispiele belegt und auch durch das Zeugniss des Paulus, der mit den Griechen ein Grieche und mit den Juden ein Jude war.

Wenn nun auch diese Wunder die Aegypter und Juden nach ihren Meinungen überzeugen konnten, so vermochten sie doch nicht eine wahre Vorstellung und Erkenntniss Gottes zu geben, sondern sie brachten sie nur zu dem Eingeständniss, dass es ein Wesen gebe, was mächtiger als alles ihnen Bekannte sei, und was die Juden, denen damals Alles wider Erwarten glücklich von Statten ging, vor Allem begünstigte, nicht aber, dass Gott gleich für Alle sorge; denn das kann nur die Philosophie lehren. Deshalb glaubten die Juden und Alle, die nur aus dem wechselnden Stand der menschlichen Angelegenheiten und dem ungleichen Schicksal der Menschen Gottes Vorsehung abnahmen, dass die Juden Gott wohlgefälliger als die Uebrigen gewesen seien, obgleich sie sie an wahrer menschlicher Vollkommenheit nicht übertrafen, wie ich in Kap. 3 gezeigt habe.

Ich gehe zu dem dritten Punkte und will aus der Bibel zeigen, dass Gottes Beschlüsse und Gebote und folglich seine Vorsehung in Wahrheit nur die Ordnung der Natur sind; d.h. wenn die Bibel sagt, dies oder jenes sei von Gott oder durch seinen Willen gemacht, so will das in Wahrheit nur sagen, dass es nach den Gesetzen und der Ordnung der Natur geschehen sei, nicht aber, wie die Menge meint, dass die Natur so lange aufgehört habe zu wirken, oder dass ihre Ordnung eine Zeitlang unterbrochen worden sei. Die Bibel lehrt indess das, was sich auf ihre Lehre nicht bezieht, nicht geradezu, weil es nicht ihre Sache ist, wie ich bei dem göttlichen Gesetz dargelegt habe, die Dinge nach ihren natürlichen[97] Ursachen und überhaupt spekulative Begriffe zu erklären. Ich muss deshalb meine Behauptung aus einigen Erzählungen der Bibel, die sie zufällig ausführlicher und mit mehr Nebenumständen giebt, durch Folgerungen ableiten und deshalb einige solche hier vorbringen.

So wird 1. Samuel IX. 15, 16 erzählt, Gott habe dem Samuel offenbart, dass er ihm den Saul schicken werde; dennoch sandte Gott ihn nicht zu Samuel, so wie die Menschen Einen zu dem Andern senden, sondern diese Sendung Gottes war nur die Ordnung der Natur. Saul suchte nämlich laut des vorgehenden Kapitels seine Eselinnen, die er verloren hatte, und als er schon ohne sie nach Hause gehen wollte, ging er auf den Rath seines Dieners zu dem Propheten Samuel, um von ihm zu erfahren, wo er sie finden könnte. Die ganze Erzählung ergiebt, dass Saul keinen andern Befehl Gottes, als diese Ordnung der Natur gehabt hat, um Samuel anzugehen. – In Psalm CV. 24 heisst es, Gott habe den Geist der Aegypter umgeändert, dass sie die Israeliten gehasst hätten. Auch das war eine ganz natürliche Veränderung, wie aus Exod. I. erhellt, wo der wichtige Grund erzählt wird, weshalb die Aegypter die Israeliten zu ihren Knechten machten. – Gen. IX. 13 sagt Gott dem Noah, er werde es ihm in einer Wolke geben, welche Handlung Gottes nichts Anderes ist als die Brechung und Zurückwerfung der Sonnenstrahlen, welche sie in den Wassertropfen erleiden. – In Psalm CXLVII. 18 wird jene natürliche Wirkung des Windes und der Wärme, welche den Reif und Schnee schmelzt, das Werk Gottes genannt, und in v. 15 der Wind und die Kälte der Spruch und das Wort Gottes. – In Psalm CIV. 4 heissen der Wind und das Feuer die Boten und Diener Gottes, und dergleichen findet sich noch Vieles in der Bibel, was klar ergiebt, dass Gottes Beschluss, Befehl, Spruch und Wort nur die Wirksamkeit und Ordnung der Natur bezeichnet. Deshalb hat sich unzweifelhaft alles in der Bibel Erzählte natürlich zugetragen, und dabei wird es doch auf Gott bezogen, da es, wie gesagt, nicht Sache der Bibel ist, die Dinge nach ihren natürlichen Ursachen darzulegen, sondern nur das zu erzählen, was die Einbildungskraft lange beschäftigt, und zwar in einer Weise und einem Vortrag, der mehr dahin zielt, das Staunen zu erregen[98] und dem Geist der Menge die Gottesfurcht einzuprägen. Findet man daher in der Bibel Etwas, wovon man keinen Grund angeben kann und was neben, ja gegen die Natur sich scheinbar zugetragen hat, so darf das nicht bedenklich machen, sondern man muss die wirklichen Ereignisse für natürliche ansehen. Dies folgt auch daraus, dass bei den Wundern sich manche Nebenumstände finden, die bei deren dichterischen Darstellungen nicht immer erwähnt werden, welche klar zeigen, dass die Wunder aus natürlichen Ursachen hervorgegangen sind. So musste, als die Aegypter an dem Aussatze litten, Moses Asche in die Luft streuen (Exod. IX. 10). Auch die Heuschrecken kamen auf einen natürlichen Befehl Gottes nach Aegypten, nämlich durch einen Tag und Nacht wehenden Ostwind, und verliessen es bei einem sehr starken Westwind (Exod. X. 14, 19). Derselbe Wind, nämlich der Westwind, der die ganze Nacht stark blies, öffnete auch auf Befehl Gottes den Juden den Weg durch das Meer (Exod. XIV. 21). Damit endlich Elias den für todt gehaltenen Knaben auferweckte, musste er sich einige Male auf ihn legen, bis er warm wurde und endlich die Augen öffnete (2. Könige IV. 34, 35). So werden auch in dem Evangelium Johannis Kap. 9 einige Umstände erwähnt, die Jesus bei Heilung des Blinden benutzt hat, und so findet sich Vieles in der Bibel, was ergiebt, dass die Wunder etwas Anderes als den unbedingten Befehl Gottes, wie man sagt, erfordern. Man muss annehmen, dass wenn auch nicht alle Umstände und ihre natürlichen Ursachen, wenigstens nicht sämmtlich erzählt werden, sie doch nicht ohne solche geschehen sind; dies erhellt auch aus Exod. XIV. 27, wo erzählt wird, dass das Meer auf einen blossen Wink Mosis wieder angeschwollen sei, und des Windes nicht gedacht wird. Dennoch heisst es in dem Hohenlied (Exod. XV. 10), es sei geschehen, weil Gott mit seinem Winde (d.h. mit dem stärksten Winde) geblasen habe; dieser Umstand wird in der Erzählung nicht erwähnt, und das Wunder erscheint dadurch grösser.

Allein man behauptet vielleicht, dass sich sehr Vieles in der Bibel finde, was durch natürliche Ursachen nicht erklärt werden könne; so, dass die Sünden der Menschen und ihr Gebet Ueberschwemmungen oder Fruchtbarkeit der Erde bewirken können; dass der Glaube die Blinden heilen[99] könne, und andere Erzählungen dieser Art in der Bibel. Allein ich glaube schon darauf geantwortet zu haben, indem ich zeigte, dass die Bibel die Dinge nicht nach ihren nächsten Ursachen schildert, sondern nur in einer solchen Ordnung und Darstellung, die die Menschen und vorzüglich die ungebildete Klasse am meisten zur Gottesfurcht bestimmen kann. Deshalb wird von Gott und den Dingen nur sehr uneigentlich geredet; sie will nicht die Vernunft überführen, sondern die Einbildungskraft und das Gefühl der Menschen erregen und beschäftigen. Wenn die Bibel den Untergang eines Reiches, so wie ein politischer Geschichtschreiber es thut, berichten wollte, so würde dies die Menge nicht rühren; wohl aber, wenn sie, wie es geschieht, Alles dichterisch ausmalt und auf Gott bezieht. Sagt also die Bibel, dass die Erdewegen der Menschen Sünden unfruchtbar gewesen, oder dass Blinde durch den Glauben geheilt worden, so darf uns das nicht mehr überraschen, als wenn sie sagt, Gott sei über der Menschen Sünden erzürnt, betrübt; er bereue, ihnen Gutes verheissen und gewährt zu haben, oder dass Gott bei dem Anblick eines Zeichens sich des Versprechens erinnert, und vieles Andere, was entweder dichterisch dargestellt oder nach den Ansichten und Vorurtheilen des Verfassers erzählt wird. Deshalb kann man ohne Ausnahme annehmen, dass alle wirklichen, in der Bibel erzählten Ereignisse wie Alles nach Naturgesetzen geschehen sind, und findet sich etwas, was geradezu den Naturgesetzen widerstreitet oder aus ihnen nicht abzuleiten ist, so muss man annehmen, dass es von gottlosen Menschen der Bibel zugesetzt worden. Denn Alles gegen die Natur ist auch gegen die Vernunft, und was gegen die Vernunft ist, ist Unsinn und zu verwerfen.

Ich habe nunmehr nur noch Einiges über die Erklärung der Wunder zu sagen oder besser zu wiederholen, da das Wichtigste schon gesagt worden ist, und durch einige Beispiele zu erläutern, was ich zum Vierten versprochen habe. Ich thue dies, damit nicht durch eine schlechte Erklärung der Wunder man voreilig annehme, in der Bibel etwas dem natürlichen Licht Widersprechendes gefunden zu haben.

Sehr selten erzählen die Menschen einen Vorfall so einfach, wie er sich zugetragen hat, ohne etwas von sich[100] selbst der Erzählung einzumischen; vielmehr werden sie bei dem Anblick oder beim Hören eines Neuen, wenn sie nicht gegen ihre vorgefassten Meinungen sehr auf ihrer Hut sind, meist so davon eingenommen, dass sie etwas ganz Anderes als das Gesehene oder Gehörte auffassen; insbesondere wenn der Vorfall die Fassungskraft des Erzählers oder Zuhörers übersteigt, und er für einen bestimmten Ausgang der Sache ein besonderes Interesse hat. Deshalb erzählen die Menschen in ihren Chroniken und Geschichten mehr ihre Meinungen als die vorgefallenen Dinge, und derselbe Vorgang wird von zwei Menschen mit verschiedenen Meinungen so verschieden berichtet, dass sie gar nicht von einem und demselben Fall zu sprechen scheinen, und dass man meist aus der blossen Erzählung die Meinung des Chronisten und Geschichtschreibers leicht entnehmen kann. Ich könnte dafür viele Beispiele aus Werken von Philosophen, welche über Naturgeschichte – geschrieben, und von Geschichtschreibern beibringen, wenn es nicht überflüssig wäre. Aus der Bibel will ich nur einen Fall erwähnen; über die anderen mag der Leser selbst urtheilen.

Zur Zeit Josua's glaubten die Juden, wie erwähnt, mit allen Ungebildeten, dass die Sonne sich in ihrem täglichen Laufe bewege, die Erde aber still stehe, und dieser Meinung passten sie das Wunder an, was sich ereignete, als sie gegen die fünf Könige kämpften. Sie erzählten nicht einfach, dass jener Tag länger als gewöhnlich gewesen, sondern Sonne und Mond hätten still gestanden oder in ihrem Lauf eingehalten, und dies half ihnen damals, die Heiden, welche die Sonne anbeteten, zu überzeugen, dass die Sonne unter der Macht eines andern Wesens stehe, auf dessen Wink sie ihren natürlichen Gang verändern müsse. So fassten sie theils aus religiösen Vorstellungen, theils aus vorgefassten Meinungen die Sache ganz anders auf, als sie sich zutragen musste, und erzählten sie danach.

Zur Erklärung der Wunder in der Bibel, und um aus ihren Erzählungen den wahren Vorgang herauszufinden, muss man die Meinungen der ersten Erzähler und Derer, die es niederschrieben, kennen und diese von dem unterscheiden, was die Sinne ihnen zeigen konnten. Ohnedem vermengt man diese Meinungen und Urtheile mit dem[101] Wunder, wie es sich wirklich zugetragen hat, und dies ist auch nicht blos deshalb nöthig, sondern man kann auch nur dann die wirklichen Ereignisse von den eingebildeten, die nur in der Phantasie des Propheten ihren Sitz haben, unterscheiden. Denn in der Bibel wird Vieles als wirklich geschehen berichtet und geglaubt, was doch nur Vorstellung und Einbildung war; so dass Gott (das höchste Wesen) von dem Himmel herabgestiegen sei (Exod. XIX. 18; Deut. V. 24), und dass der Berg Sinai geraucht habe, weil Gott mit Feuer umgeben auf ihn herabgestiegen sei; dass Elias in einem feurigen Wagen und mit feurigen Pferden zum Himmel aufgestiegen sei. Dies Alles waren nur Bilder der Einbildungkraft, angepasst an die Meinungen Derer, die uns dies, so wie sie es sich vorstellten, d.h. als wirkliche Ereignisse berichten. Denn Jedermann, der nur etwas mehr als die grosse Menge versteht, weiss, dass Gott keine rechte und linke Hand hat, sich weder bewegt noch ausruht, an keinem Orte, sondern unendlich ist, und dass er alle Vollkommenheit enthält. Das weiss, wie gesagt, wer die Dinge nach den Begriffen des reinen Verstandes prüft, und nicht so, wie seine Einbildungskraft durch die Sinne erregt wird, wie dies bei der Menge geschieht. Deshalb stellt diese sich Gott körperlich vor, wie er die königliche Herrschaft führt; sein Thron wird auf der Höhe des Himmels über die Sterne gestellt, deren Entfernung von der Erde man nicht für gross annimmt.

Aus solchen und ähnlichen Meinungen sind, wie erwähnt, die meisten Vorfälle in der Bibel zurechtgestellt; der Philosoph darf sie deshalb nicht als wirkliche ansehen. Endlich ist für das Verständniss der Wunder und dessen, was davon sich wirklich zugetragen, die Kenntniss der hebräischen Ausdrücke und Bilder nöthig. Wer das nicht beachtet, wird in der Bibel viele Wunder finden, an die ihre Berichterstatter nie gedacht haben, und er wird deshalb nicht blos die Dinge und Wunder, so wie sie wirklich sich ereignet, sondern auch die Meinung der heiligen Schriftstellen ganz verkennen. So sagt z.B. Zacharias XIV. 7, wo er von einem kommenden Kriege spricht: »Der Tag wird einzig sein; nur Gott wird ihn kennen; nicht (wird er sein) Tag oder Nacht, aber zur Abendzeit wird Licht werden.« Damit scheint er ein[102]

grosses Wunder zu verkünden, und doch will er damit nur sagen, dass die Schlacht den ganzen Tag schwanken wird; dass nur Gott den Ausgang kenne, und dass sie gegen Abend den Sieg gewinnen werden; denn in solchen Ausdrücken pflegten die Propheten die Siege und Niederlagen der Völker zu verkünden und niederzuschreiben.

So schildert Esaias XIII. die Zerstörung Babylons folgendermassen: »weil die Sterne des Himmels mit ihrem Licht nicht leuchten werden, die Sonne bei ihrem Aufgange sich verdunkeln und der Mond den Glanz seines Lichtes nicht entsenden wird.« Niemand wird glauben, dass dies bei Zerstörung dieses Reiches sich zugetragen, so wenig wie das, was er hinzufügt: »deshalb will ich den Himmel erzittern lassen, und die Erde soll von ihrer, Stelle gerückt werden.« Ebenso sagt Esaias XLVIII. letzter Vers, um den Juden anzudeuten, dass sie von Babylon sicher nach Jerusalem zurückkehren und auf der Reise von Durst nicht geplagt werden würden: »Und sie haben nicht gedürstet; er führte sie durch Wüsten und liess ihnen das Wasser ans den Felsen fliessen; er schlägt den Stein, und es flossen die Wasser.« Damit will er nur andeuten, dass die Juden in der Wüste Quellen, wie dies ja zu geschehen pflegt, finden würden, aus denen sie ihren Durst stillen könnten. Denn als sie mit Bewilligung: des Cyrus nach Jerusalem zogen, sind ihnen keine solchen Wunder begegnet. In dieser Art findet sich Vieles in der Bibel, was nur jüdische Redeweise ist. Ich brauche dies nicht einzeln aufzuführen, sondern erinnere nur am Allgemeinen, dass die Juden mit solchen Ausdrücken nicht blos auszuschmücken, sondern hauptsächlich auch ihre Gottesfurcht zu bezeichnen pflegten. Denn aus diesem Grunde findet sich in der heil. Schrift das »Gott segnen« statt »verfluchen« (l. Könige XXI. 10; Hiob II. 9), und. deshalb bezogen sie Alles auf Gott, und deshalb scheint die Bibel nur Wunder zu erzählen, wo sie von den natürlichsten Dingen spricht, wie ich davon einige Beispiele gegeben habe. Deshalb ist der Ausdruck der Schrift dass Gott das Herz des Pharao verhärtet, nur eine Bezeichnung für den Ungehorsam desselben, und wenn es heisst, Gott öffnet die Fenster des Himmels, so bedeutet dies nur, dass es viel geregnet habe, u. s. w.[103]

Wenn man daher darauf Acht hat, dass in der Bibel Vieles sehr kurz, ohne Nebenumstände und beinah verstümmelt erzählt wird, so wird man beinah Nichts in ihr finden, was dem natürlichen Licht widerspricht, und die anscheinend dunkelsten Stellen können bei mässiger Ueberlegung verstanden und leicht erklärt werden.

Damit glaube ich das, was ich wollte, klar dargelegt zu haben. Ehe ich indess dieses Kapitel schliesse, muss ich noch erwähnen, dass ich hier bei den Wundern ein ganz anderes Verfahren wie bei der Weissagung beobachtet habe. Ueber letztere habe ich nichts behauptet, was ich nicht aus den in der heiligen Schrift geoffenbarten Grundlagen ableiten konnte; allein hier habe ich das Wichtigste blos aus den Prinzipien abgeleitet, die das natürliche Licht lehrt. Ich habe dies absichtlich gethan; denn die Weissagung übersteigt den menschlichen Verstand und ist eine rein theologische Frage; ich konnte deshalb über ihr Wesen nichts behaupten noch wissen, als nur aus den offenbarten Grundlagen. So war ich genöthigt, die Geschichte der Weissagung zusammenzustellen, um daraus gewisse Regeln abzuleiten, die auch die Natur und die Eigenschaften der Weissagung soweit als möglich erkennen Hessen. Allein bei den Wundern ist die Frage, ob man zugeben könne, dass in der Natur etwas gegen ihre Gesetze geschieht, oder was daraus nicht abgeleitet werden könne, eine rein philosophische; ich bedurfte deshalb jener Mittel nicht und hielt es für gerathener, diese verschlungene Frage auf den durch das natürliche Licht erkannten Grundlagen, als den bekanntesten, aufzulösen. Ich sage, ich habe dies für gerathener gehalten; denn ich hätte sie auch aus den blossen Aussprüchen und Grundlagen der Bibel leicht lösen können. Ich will das, um es Jedermann klar zu machen, mit Wenigem zeigen. An einigen Stellen sagt die Bibel von der Natur im Allgemeinen, dass sie ihre feste und unveränderliche Ordnung einhalte; so in Psalm CXLVIII. 6 und Jeremias XXI. 35, 36, und der Philosoph sagt in seinem Prediger I. 10 auf das Klarste, dass nichts Neues in der Welt sich ereignet; und v. 11 sagt er zur Erläuterung dessen, dass wenn auch scheinbar ein Neues sich ereigne, dies doch nichts Neues sei, sondern schon in früheren Zeiten, von denen man keine Kunde habe, da[104] gewesen sei; »denn«, sagt er, »von den Alten ist bei den Heutigen keine Erinnerung, und von dem Heutigen wird keine bei den Nachkommen sein.« Dann sagt er III. 11: »Gott habe Alles zu ihrer Zeit gut angeordnet«, und v. 14 »er wisse, dass, was Gott thue, in Ewigkeit bleiben werde, und dass dem nichts zugefügt noch abgenommen werden könne.«

Dies Alles sagt deutlich, dass die Natur eine feste und unverbrüchliche Ordnung bewahrt, dass Gott in allen uns bekannten und unbekannten Jahrhunderten derselbe gewesen, und dass die Naturgesetze so vollkommen und fruchtbar seien, dass ihnen nichts zugesetzt oder abgenommen werden könne; endlich, dass die Wunder von den Menschen nur wegen ihrer Unwissenheit für etwas Neues gehalten werden. Dies also lehrt die Bibel mit ausdrücklichen Worten, aber keineswegs, dass in der Natur etwas geschehe, was ihren Gesetzen widerspreche oder daraus nicht folge; man darf daher auch der Bibel dergleichen nicht andichten. Dazu kommt, dass die Wunder Ursachen und Umstände erfordern, wie ich gezeigt habe, und dass sie nicht aus, ich weiss nicht welcher königlichen Herrschaft, die die Menge Gott beilegt, hervorgehen, sondern aus der göttlichen Herrschaft und ihrem Beschluss, d.h., wie ich aus der Bibel dargethan, aus den Gesetzen und der Ordnung der Natur. Endlich können auch Verführer Wunder verrichten, wie aus Deut. XIII. und Matth. XXIV. 24 erhellt.

Es erhellt also, dass die Wunder natürliche Ereignisse und deshalb so zu erklären sind, um die Worte Salomo's zu gebrauchen, dass sie weder ein Neues, noch der Natur zu widersprechen scheinen; vielmehr müssen sie den natürlichen Dingen möglichst annähernd aufgefasst werden, und zu dem Ende habe ich einige aus der Bibel selbst entlehnte Regeln gegeben. Wenn ich sage, dass die Bibel dies lehre, so meine ich doch damit nicht, dass sie dies als Lehren gebe, die zum Heile nöthig wären, sondern dass schon die Propheten sie so wie ich aufgefasst haben. Deshalb mag Jeder, wie er es für sein Verständniss des Gottesdienstes und der Religion am besten hält, darüber ungehindert denken, und dies ist auch die Meinung des Josephus, der am Schluss seines II. Buches der Alterthümer schreibt: »Niemand misstraue dem Worte[105] ›Wunder‹, wenn alte und arglose Männer überzeugt sind, der Weg des Heils durch das Meer sei durch Gottes Willen oder von selbst geöffnet worden. Denn auch den Gefährten Alexander's des Grossen hat ehedem wie den Widersachern das Pamphylische Meer sich geöffnet, da kein anderer Ausweg übrig war, und hat ihnen so mit Gottes Willen den Durchgang gewährt, um die persische Herrschaft zu zerstören, und Alle, welche die Thaten Alexander's beschrieben haben, bestätigen es. Deshalb mag hierbei Jeder es halten, wie es ihm beliebt.« – Dies sind die Worte des Josephus und sein Urtheil über den Glauben an Wunder.

9

Ich verstehe hier unter Natur nicht blos den Stoff, d.h. Zustände, sondern noch unendlich Vieles ausser dem Stoffe.

Quelle:
Spinoza: Theologisch-politische Abhandlung. Berlin 1870, S. 88-106.
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