[129] Im vorigen Kapitel habe ich von den Grundlagen und Regeln der Erkenntniss der Bibel gehandelt und gezeigt, dass diese nur in deren wahrhaftiger Geschichte besteht; allein die Alten haben letztere trotz ihrer Nothwendigkeit vernachlässigt, und wenn sie darüber Etwas geschrieben oder überliefert haben, so ist es durch die Ungunst der Zeiten verloren gegangen, und damit ist ein grosser Theil der Grundlagen und Grundsätze dieser Erkenntniss ausgefallen. Es liesse sich dies noch ertragen, wenn die Spätern sich in den wahren Grenzen gehalten und das Wenige, was sie empfangen oder gefunden hatten, getreulich ihren Nachfolgern überliefert hätten, ohne Neues aus ihrem Gehirn hinzuzuschmieden. Deshalb ist die Geschichte der Bibel nicht allein unvollständig geblieben, sondern auch mit Lügen angefüllt worden, d.h. es kann nichts Vollständiges darauf errichtet werden, sondern Alles bleibt mangelhaft.
Es ist nun meine Aufgabe, diese unterlagen der Schrift-Erkenntniss zu verbessern und nicht blos die unbedeutendem und gemeinen Vorurtheile der Theologie zu beseitigen. Allein ich fürchte, dass ich dies zu spät beginne; denn die Sache hat sich schon so befestigt, dass man von keiner Berichtigung Etwas hören mag, vielmehr das, was man unter dem Schein der Religion angenommen, hartnäckig vertheidigt; deshalb ist für die Vernunft keine Stelle, ausser bei Wenigen in Vergleich zu den Andern, übrig; so vollständig haben diese Vorurtheile bereits den Sinn der Menschen eingenommen. Dennoch will ich es versuchen und nicht nachlassen, da ich die Sache nicht als verzweifelt ansehen kann.[129]
Um aber dies ordentlich zu thun, werde ich mit den Vorurtheilen in Betreff der wahren Verfasser der heiligen Schriften beginnen und zunächst mit dem Verfasser der Bücher Mosis. Man hält beinahe allgemein Moses für denselben, und die Pharisäer behaupteten dies so hartnäckig, dass jeder Andersdenkende für einen Ketzer galt; selbst Aben Hezra, ein Mann von freiem Geist und nicht geringer Gelehrsamkeit, welcher, so viel ich weiss, zuerst dieses Vorurtheil bemerkte, hat nicht gewagt, seine Meinung offen auszusprechen; er hat vielmehr sie nur mit dunklen Worten angedeutet; aber ich scheue es nicht, sie deutlicher zu machen und die Sache klar zu legen.
Die Worte Aben Hezra's in seinem Kommentar über das vierte Buch Mosis lauten so: »Jenseit des Jordan u.s.w.; sobald Du nur das Geheimniss der Zwölf verstehst,« auch »und Muses schrieb das Gesetz« und »Cenahita war damals auf Erden«, »auf dem Berge Gottes« wird es offenbart werden; dann auch »siehe das Bett, sein eisernes Bett«, »dann wirst Du die Wahrheit erkennen.« – Mit diesen wenigen Worten deutet er an und zeigt zugleich, dass es nicht Moses gewesen, der die fünf Bücher geschrieben, sondern Jemand anders, der viel später gelebt hat, und dass das Buch, was Moses geschrieben, ein ganz anderes gewesen. Um dies zu zeigen, bemerkt er 1) dass die Vorrede zu dem 4. Buche von Moses, der den Jordan nicht überschritten, nicht habe geschrieben werden können; 2) dass das eigentliche Buch des Moses ganz und sehr bündig auf der Oberfläche eines Altars geschrieben gewesen (Deut. XXVII., Josua VIII. 37 s. w.), der nach dem Bericht der Rabbiner nur aus zwölf Steinen bestanden hat; es konnte deshalb lange nicht den Umfang wie die jetzigen fünf Bücher haben. Dies hat Aben Hezra wahrscheinlich mit »dem Geheimniss der Zwölfe« andeuten wollen, wenn er nicht vielleicht die zwölf Verwünschungen damit gemeint hat, die sich in der Vorrede zum 4. Buch Mosis befinden, und die vielleicht nach seiner Ansicht in dem Gesetzbuche sich nicht befunden haben, weil Moses den Leviten befiehlt, neben dem geschriebenen Gesetze selbst auch noch diese Verwünschungen vorzulesen, damit sie das Volk durch einen Eid zur Beobachtung der geschriebenen Gesetze verpflichteten. Vielleicht hat auch das letzte Kapitel des[130] 4. Buches über den Tod Mosis andeuten wollen, dass das Kapitel aus 12 Versen besteht. Indess brauche ich diese und andere Vermuthungen hier nicht weiter zu prüfen. Er bemerkt endlich 3) dass es im 4. Buche XXXI. 6 heisst: »und Moses hat ein Gesetz geschrieben«, was nicht Worte von Moses sein können, sondern nur die eines andern Schriftstellers, der Mosis Thaten und Schriften beschreibt.
Er macht 4) auf die Stelle Gen. XII. 6 aufmerksam, wo bei der Erzählung, dass Abraham das Land der Kananiter besehen habe, der Verfasser hinzufügt, »die Kananiter waren damals im Lande«, womit er die Zeit, wo er dies schrieb, ganz ausschliesst, so dass er nach dem Tode Mosis, wo die Kananiter schon vertrieben waren und jene Landstriche nicht mehr besassen, dies geschrieben haben muss. Ben Hezra deutet dies in seinem Kommentar zu dieser Stelle an, indem er sagt: »und der Kananiter war damals im Lande; es scheint, dass Kanaan (ein Enkel Noah's) das von Andern besessene Land in Besitz nahm; wenn dies nicht richtig ist, so steckt in dieser Sache ein Geheimniss, und wer es einsieht, der schweigt.« D.h. wenn Kanaan in dieses Land einfiel, wird der Sinn sein: »Kanaan sei dann schon im Lande gewesen«, wobei die vergangene Zeit ausgeschlossen wird, wo es von einem andern Volk bewohnt wurde. Hat aber Kanaan dieses Land zuerst bebaut (wie aus Gen. X. folgt), dann schliesst der Text die gegenwärtige Zeit, nämlich die des Schreibenden aus und also nicht die von Moses, zu dessen Zeit sie jenes Land noch besessen. Dieses ist das Geheimniss, was er zu bewahren empfiehlt.
Er bemerkt 5) dass Gen. XXII. 14 der Berg Morya der Berg Gottes genannt werde, welchen Namen er erst erhielt, als er zum Bau des Tempels geweiht worden, und diese Auswahl war zu Mosis Zeit noch nicht geschehen; denn Moses spricht von keinem von Gott erwählten Ort, sondern weissagt, dass Gott einen Ort erwählen werde, dem der Name Gottes gegeben werden soll. Endlich bemerkt er 6) dass Deut. III. der Erzählung des Königs Og von Basan Folgendes eingeschoben ist: »Nur König Og von Basan blieb von den Uebrigen10 Riesen, weil sein[131] Bett ein eisernes Bett war; wenigstens ist das (Bett), welches in Rabat den Söhnen Hamon gehört hat, neun Ellen lang u.s.w.« Diese Einschiebung zeigt deutlich, dass der Verfasser dieser Bücher lange nach Moses gelebt hat; denn so spricht nur Jemand, der sehr alte Dinge erzählt und Ueberbleibsel zur Beglaubigung erwähnt. Ohne Zweifel ist dieses Bett erst zu David's Zeit, der diese Stadt eroberte, wie 2. Sam. XII. 30 erzählt wird, gefunden worden. Allein nicht blos hier, sondern auch etwas später schiebt der Verfasser den Worten Mosis folgende Worte ein: »Jair, der Sohn Manasse's, erwarb die ganze Gerichtsbarkeit des Argobus bis zur Grenze von Gesurita und Mahachatita und nannte diese Gegend nach seinem Namen mit Basan, die Ortschaften des Jair bis zum heutigen Tag.« Dieses fügt, wie gesagt, der Verfasser zur Erklärung der Worte Mosis hinzu, die er eben berichtet hatte: »und das übrige Gilead und ganz Bassan, das Reich des Og habe ich dem Stamm Manasse's gegeben und die ganze Gerichtsbarkeit des Argobus unter dem ganzen Bassan, welches das Land der Riesen heisst.« Unzweifelhaft wussten die Juden zur Zeit dieses Verfassers, welches die Ortschaften des Jair vom Stamme Jehuda waren, aber nicht die Namen der Gerichtsbarkeit des Argobus und des Landes der Riesen, deshalb musste er erklären, welche Orte es waren, die von Alters her so genannt wurden, und den Grund angeben, weshalb zu seiner Zeit sie den Namen des Jair führten, der zum Stamm Juda und nicht Manasse gehörte (Chronik II. 21,22).
Damit habe ich die Meinung von Aben Hezra und die Stellen der Bücher Mosis erläutert, die er zur Bestätigung anführt. Allein er hat nicht Alles und nicht das Wichtigste bemerkt, da in diesen Büchern noch andere und bedeutendere Stellen hierfür vorhanden sind. Erstens spricht nämlich der Verfasser dieser Bücher von Moses nicht nur in der dritten Person, sondern giebt auch oft Zeugniss über ihn. So: »Gott hat mit Moses gesprochen.« »Gott sprach mit Moses von Angesicht zu Angesicht.«[132] »Moses war der Demüthigste aller Menschen« (Num. XII. 3). »Moses war erzürnt über die Heerführer« (Num. XXXI. 14). »Moses ein göttlicher Mann« (Deut. XXXIII. 1). »Moses, der Knecht Gottes, ist gestorben.« »Niemals ist in Israel ein Prophet wie Moses erstanden« u.s.w. Dagegen spricht und erzählt Moses seine Handlungen in erster Person in dem Buche, wo das Gesetz, was Moses dem Volke erklärt, und was er geschrieben hatte, beschrieben wird; es heisst da: »Gott hat mit mir gesprochen« (Deut. II. 1, 17 u.s.w.). »Ich habe Gott gebeten« u.s.w. Nur am Ende des Buches, nachdem er die Worte des Moses berichtet, fährt der Verfasser wieder in der dritten Person von ihm zu erzählen fort, wie Moses dieses Gesetz (das er nämlich erklärt hatte) dem Volke schriftlich übergeben, es zum letzen Male ermahnt und er dann sein Leben ausgehaucht habe. Dies Alles, die Art des Ausdrucks, die Zeugnisse und der Zusammenhang der ganzen Erzählung beweist, dass diese Bücher von jemand Anderem als Moses geschrieben worden sind.
Dazu kommt zweitens, dass diese Erzählung nicht blos berichtet, wie Moses gestorben, begraben, und die Juden dreissig Tage in Trauer versetzt worden; sondern dass es auch darin nach Vergleichung des Moses mit allen späteren Propheten heisst, er habe sie alle übertroffen. Die Worte sind: »Niemals hat es einen Propheten in Israel wie Moses gegeben, der Gott von Angesicht zu Angesicht geschaut hat.« Ein solches Zeugniss kann weder Moses noch Jemand, der ihm unmittelbar gefolgt ist, ausstellen, sondern nur Jemand, der viele Jahrhunderte später gelebt hat, zumal der Verfasser wie von einer vergangenen Zeit spricht, nämlich: »Niemals hat es einen Propheten gegeben«; und ebenso sagt er von dem Begräbniss: »Niemand hat ein solches bis auf diesen Tag gesehen.«
Es ist drittens zu erwähnen, dass mehrere Orte nicht mit den Namen, die sie bei Lebzeiten Mosis hatten, benannt werden, sondern mit anderen, die ihnen viel später beigelegt worden sind. So heisst es, »dass Abraham die Feinde bis gen Dan verfolgt habe« (Gen. XIV. 14:), welchen Namen die Stadt erst lange nach Josua's Tode erhielt (Richter. XVIII. 29).
Manchmal wird viertens die Erzählung über die Zeit[133] von Mosis Leben hinausgeführt. So heisst es Exod. XVI. 34, dass die Kinder Israels das Manna vierzig Jahre gegessen, bis sie in bewohnte Gegenden gekommen, und bis sie an die Grenzen des Landes Kanaan gelangt, also bis zu der Zeit, worüber im Buch Josua V. 12 gesprochen wird. Ebenso heisst es Gen. XXXVI. 31: »Das sind die Könige, die in Edom regiert haben, bevor ein König über die Kinder Israel's herrschte.« Offenbar meint hier der Verfasser, dass die Idumäer Könige gehabt, ehe David sie unterwarf und Statthalter in Idumäa einsetzte (2. Samuel VIII. 14).
Aus alledem erhellt klarer wie die Mittagsonne, dass die fünf Bücher Mosis nicht von Diesem, sondern von Jemand geschrieben worden sind, der viele Jahrhunderte nach Moses gelebt hat. Aber wenn es dem Leser beliebt, so kann man auch die Bücher, welche Moses selbst verfasst und die in den sogenannten Büchern Mosis erwähnt werden, hinzunehmen; auch aus ihnen ergiebt sich, dass es andere als diese gewesen sind. Erstens erhellt ans Exod. XVII. 14, dass Moses auf Befehl Gottes den Krieg gegen Hamalek geschrieben hat; aber in welchem Buche, ergiebt diese Stelle nicht; dagegen wird Num. XXI. 12 ein Buch erwähnt, was: »Von den Kriegen Gottes« hiess, und in diesem sind ohne Zweifel dieser Krieg gegen Hamalek und ausserdem alle Lagerabsteckungen erzählt wurden, die nach Versicherung des Verfassers der Bücher Mosis Num. XXXIII. 2 von Moses beschrieben worden sind. Aus Exod. XXIV. 47 ergiebt sich, dass er ein anderes Buch, »Buch des Vertrages« genannt,11 den Israeliten vorgelesen hat, als sie den ersten Vertrag mit Gott eingegangen waren. Dieses Buch oder dieser Brief enthält indess nur wenig, nämlich die Gesetze oder Befehle Gottes, welche Exod. XX. 22 bis XXIV. angegeben werden, was Niemand bestreiten wird, der mit gesundem Urtheil und ohne Parteilichkeit dieses Kapitel liest. Es heisst dort, dass sobald Moses die Absicht des Volkes, mit Gott einen Vertrag einzugehen, erkannte, er sofort die Aussprüche und Gesetze Gottes niederschrieb und am frühen Morgen, nach einigen Ceremonien, der[134] ganzen Versammlung die Bedingungen des Vertrages vorgelesen habe, denen das Volk demnächst und nachdem es sie sicher verstanden hatte, vollständig zustimmte. Aus dieser Kürze der Zeit und aus der Absicht, einen Vertrag zu schliessen, folgt, dass dieses Buch nur das wenige hier Erwähnte enthalten haben kann. Es steht endlich fest, dass Moses im vierzigsten Jahre nach dem Auszuge ans Aegypten alle von ihm gegebenen Gesetze dem Volke nochmals erklärt (Deut. I. 5) und es von Neuem dazu verpflichtet (Deut. XXIX. 14) und endlich ein Buch geschrieben hat, was die Erklärung dieser Gesetze und den neuen Vertrag enthielt (Deut. XXXI. 9). Dieses Buch hiess »das Buch des Gesetzes Gottes«; Josua hat es dann vermehrt durch die Erzählung des Vertrages, wodurch das Volk zu seiner Zeit sich von Neuem verpflichtete, und den er zum dritten Male mit Gott einging (Josua XXIV. 25, 26). Da wir nun kein Buch haben, das diesen Vertrag des Moses und den des Josua enthält, so ist offenbar dieses Buch verloren gegangen, oder man muss mit dem Chaldäischen Erklärer Jonathan die Worte der Schrift auf das Tollste willkürlich verdrehen, der dieser Schwierigkeit wegen lieber die Schrift verdrehen, als seine Unwissenheit eingestehen wollte. Er übersetzte nämlich die Worte aus dem Buche Josua (XXIV. 26): »Und es hat Josua diese Worte in das Buch des Gesetzes Gottes eingeschrieben« in das Chaldäische so: »Und Josua schrieb diese Worte und bewahrte sie mit dem Buche des Gesetzes Gottes.« – Was soll man da mit Leuten anfangen, die nur das sehen, was ihnen gefällt? Was ist dies Anderes, als die Schrift selbst verleugnen und eine neue im eignen Gehirne schmieden?
Ich folgere also, dass dieses Buch des Gesetzes Gottes, was Moses verfasste, nicht unsere fünf Bücher Mosis gewesen ist, sondern ein ganz anderes, was der Verfasser der letzteren seinem Werke am passenden Orte einfügte; denn dies ergiebt sich auf das Klarste aus dem oben Gesagten und dem hier Folgenden. Es sagt nämlich im Buch Mosis am angeführten Orte der Verfasser, dass Moses das von ihm geschriebene Buch des Gesetzes den Priestern übergeben und ihnen befohlen habe, es dem ganzen Volke zu bestimmten Zeiten vorzulesen. Demnach kann dieses Buch nicht den Umfang der fünf Bücher[135] Mosis gehabt haben, wenn es in einer Zusammenkunft so verlesen werden konnte, dass Alle es verstanden. Auch darf man nicht übersehen, dass Moses von allen Büchern, die er verfasst hatte, nur dies eine mit dem zweiten Vertrag und Lobgesang, den er später schrieb, damit das ganze Volk ihn lernte, gewissenhaft aufzubewahren und zu bewachen geboten hat. Denn bei dem ersten Vertrag hatte er nur Die, welche anwesend waren, verpflichtet; im zweiten aber auch alle ihre Nachkommen (Deut. XXIX. 14, 15); deshalb befahl er dieses Buch des zweiten Vertrages für die kommenden Jahrhunderte gewissenhaft aufzubewahren und ausserdem auch den Lobgesang, der vorzugsweise die kommenden Jahrhunderte berücksichtigt. Da nun nicht feststeht, dass Moses ausser diesem noch mehr Bücher geschrieben hat, und er nur das Büchelchen des Gesetzes mit dem Lobgesang für die Nachkommen sorgfältig aufzuheben geboten hatte, und da endlich unsere fünf Bücher Mosis Manches enthalten, was Moses nicht geschrieben haben kann, so erhellt, dass Niemand mit Grund, sondern nur gegen alle Gründe, behaupten kann, Moses sei der Verfasser unserer fünf Bücher Mosis.
Vielleicht fragt man aber hier, weshalb Moses nicht auch die Gesetze geschrieben habe, da sie ihm doch zuerst offenbart wurden? d.h. ob er in den vierzig Jahren keines von den von ihm erlassenen Gesetzen niedergeschrieben habe, ausser den wenigen, die in dem Buche des ersten Vertrages enthalten gewesen ? Darauf antworte ich, dass es zwar vernünftig scheint, wenn Moses zur Zeit und da, wo er die Gesetze bekannt machte, sie auch niedergeschrieben hätte; allein deshalb dürfen wir noch nicht behaupten, dass er es gethan habe; denn ich habe oben gezeigt, dass man in solchen Fällen nur das annehmen darf, was ans der Bibel selbst sich ergiebt oder was aus ihren alleinigen Grundlagen sich als begründete Folge ableiten lässt, aber nicht, was blos der Vernunft entspricht. Ueberdem nöthigt auch die Vernunft uns dazu nicht; denn vielleicht hat der Rath der Aeltesten die Erlasse Mosis dem Volke schriftlich mitgetheilt; diese hat dann der Verfasser gesammelt und der Geschichte des Lebens Mosis einverleibt.
So viel über die fünf Bücher Mosis; es ist Zeit, nun[136] auch die übrigen zu prüfen. Bei dem Buch Josua's ergeben ähnliche Gründe, dass es nicht von ihm selbst verfasst ist; denn ein Anderer ist es, der von Josua bezeugt, dass sein Ruf auf der ganzen Erde verbreitet gewesen sei (Kap. VII. 1); dass er keines von den Geboten Mosis weggelassen (VIII. letzter Vers und XI. 15), dass er alt geworden, Alle zur Versammlung berufen und endlich den Geist aufgegeben habe. Endlich wird auch Einiges erzählt, was sich erst nach seinem Tode ereignet hat; nämlich dass nach seinem Tode die Israeliten Gott so lange verehrt, als die alten Männer, die ihn gekannt, gelebt hätten. Auch XVI. 10 heisst es, dass (Ephraim und Manasse) »den in Gazer wohnenden Kananiter nicht vertrieben, sondern (fügt er hinzu) dieser habe zwischen dem Euphrat bis heutigen Tages gewohnt und sei zinspflichtig gewesen.« Dies ist dasselbe, was im Buch der Richter Kap. 1 erzählt wird, und auch der Ausdruck: »bis auf den heutigen Tag« zeigt, dass der Verfasser einen alten Vorfall erzählt. Aehnlich ist es mit dem Text XV. letzter Vers, über die Kinder Jehuda's und die Geschichte von Kaleb, XV. 14. Auch der Fall, welcher XXII. 10 u. f. von den drittehalb Stämmen erzählt wird, welche einen Altar jenseit des Jordan erbauten, scheint sich nach Josua's Tode ereignet zu haben; denn in der ganzen Erzählung wird Josua nicht genannt; das Volk allein berathschlagt, ob es den Krieg führen soll, sendet Gesandte, erwartet deren Antwort und beschliesst zuletzt. Endlich folgt aus X. 14 klar, dass dieses Buch erst viele Jahrhunderte nach Josua geschrieben worden. Denn es heisst: »kein andrer Tag wie dieser ist vorher oder später gewesen, wo Jemand Gott (so) gehorcht hätte« u.s.w. Hat daher Josua je ein Buch geschrieben, so war es gewiss das, was X. 13 bei demselben Vorfall erwähnt wird. – Was aber das Buch der Richter anlangt, so wird wohl Niemand mit gesundem Verstande glauben, dass die Richter selbst es verfasst; denn die Nachschrift der ganzen Geschichte im Kap. 21 zeigt deutlich, dass das ganze nur von einem Verfasser geschrieben worden. Ferner sagt derselbe wiederholt, dass zu jenen Zeiten kein König in Israel gewesen, und also ist es offenbar, nachdem die Könige zur Herrschaft gekommen, geschrieben. – Auch bei den Büchern Samuel's brauche ich mich nicht lange[137] aufzuhalten, da sich die Erzählung über sein Leben hinaus erstreckt. Nur das Eine will ich bemerken, dass auch dieses Buch viele Jahrhunderte nach Samuel geschrieben worden ist, da 1. IX. 6 der Verfasser in Klammern sagt: »vor Alters sagte Jeder in Israel, wenn er ging, Gott zu befragen: Wohlan, gehen wir zu dem Sehenden! Denn wer heute Prophet, hiess vor Alters ein Sehender.« – Endlich ergeben die Bücher der Könige, dass sie aus den Büchern von Salomo's Thaten (1. Könige XI. 5), aus der Chronik der Könige von Jehuda (IX. 19, 29) und aus der Chronik der Könige Israels ausgezogen worden sind. Alle bisher genannten Bücher sind daher von Anderen verfasst, und die in ihnen enthaltenen Vorfalle werden als vergangene erzählt. Giebt man auf die Verbindung und den Inhalt all dieser Bücher Acht, so ersieht man leicht, dass sie alle von einem Geschichtschreiber verfasst worden, welcher die alte Geschichte der Juden vom Anfang bis zur ersten Zerstörung der Stadt schreiben wollte; denn diese Bücher stehen in einem solchen Zusammenhange, dass dies allein beweist, wie sie nur die Erzählung eines Verfassers enthalten. Sobald die Erzählung von Mosis Leben aufhört, geht er mit den Worten zur Geschichte von Josua über: »Und es begab sich, dass, nachdem Moses, der Knecht Gottes, gestorben, Gott zu Josua sagte u.s.w.« Und nachdem diese Erzählung mit dem Tode Josua's geendet hat, beginnt er mit demselben Uebergang und derselben Verknüpfung die Geschichte der Richter: »Und es begab sich, nachdem Josua gestorben war, dass die Kinder Israels von Gott erbaten u.s.w.« Dann lässt er diesem Buche als Anhang das Buch Ruth so folgen: »Und es begab sich in diesen Tagen, wo die Richter Recht sprachen, dass eine Hungersnoth in jenem Lande war.« In derselben Weise lässt er dann das I. Buch Samuelis folgen, und von da macht er den gewohnten Uebergang zu dem zweiten und knüpft daran, ehe die Geschichte David's beendet, das I. Buch der Könige, in dem er die Geschichte David's fortsetzt und endlich nach diesem das II. Buch, was mit derselben Formel anfängt.
Auch der Zusammenhang und die Folge der Erzählungen ergiebt, dass nur Einer sie verfasst, der ein bestimmtes Ziel sich vorgesetzt gehabt. Denn er fängt mit[138] dem ersten Ursprung des jüdischen Volkes an; dann folgt der Reihe nach, bei welcher Gelegenheit und zu welcher Zeit Moses Gesetze gegeben und ihnen Vieles geweissagt; dann, wie sie nach Mosis Prophezeiung das versprochene Land erobert (Deut. VII.) und dann die Gesetze verlassen haben (Deut. XXXI. 16), und wie dann viel Uebel gekommen (daselbst 17); wie sie dann Könige wählen gewollt (Deut. XVII. 14), die auch je nach ihrer Gesetzesbeobachtung glücklich oder unglücklich regiert haben (Deut. XXVIII. 36. und letzter Vers), bis der Verfasser zuletzt den Untergang des Reiches, wie Moses ihn vorausgesagt, erzählt. Alles Uebrige, was auf die Bestätigung des Gesetzes keinen Bezug hat, hat der Verfasser entweder ganz mit Stillschweigen übergangen, oder er verweist den Leser an andere Geschichtschreiber. So zielen alle diese Bücher dahin ab, die Sprüche und Gebote Mosis zu erzählen und durch den Ausgang der Dinge zu bestätigen. In Betracht dieser drei Umstände, nämlich des einfachen Inhalts all dieser Bücher, ihrer Verbindung, und dass sie von einem Andern viele Jahrhunderte nach den Ereignissen verfasst worden, schliesse ich, wie gesagt, dass sie alle von einem Verfasser herrühren.
Wer dies gewesen, kann ich nicht so bestimmt nachweisen; allein ich vermuthe, dass es Hezra selbst gewesen ist. Mancherlei nicht unerhebliche Umstände lassen mich dies annehmen. Denn da der Verfasser, den wir nunmehr als einen einzigen kennen, die Erzählung bis zur Freiheit Jojachims fortführt und noch hinzufügt, er habe, so lange er (d.h. Jojachim oder des Sohnes von Nebukadnezar; denn die Worte sind zweideutig) gelebt, an des Königs Tafel mit gesessen, so folgt, dass es Niemand vor Hezra gewesen sein kann. Nun sagt aber die Bibel von Niemand, der damals berühmt gewesen, ausser Hezra (Hezra VII. 10), dass er seine Arbeit auf die Erforschung des Gesetzes Gottes und dessen Vervollständigung verwendet, und dass er ein gewandter Schriftsteller (Hezra VII. 6) im Gesetze Mosis gewesen. Ich kann deshalb nur vermuthen, dass Hezra diese Bücher verfasst hat. Ferner erhellt aus diesem Zeugniss über Hezra, dass er nicht allein seine Arbeit auf die Erforschung des Gesetzes Gottes verwendet, sondern auch auf dessen Zusammenstellung, und auch Nehem. VIII. 9 heisst[139] es: »dass sie gelesen haben das Buch des Gesetzes Gottes mit der Erklärung, und dass sie ihren Verstand angestrengt und die Schrift verstanden haben.« Da aber in dem Buch Mosis nicht blos das Buch Gottes oder sein grösster Theil enthalten ist, sondern auch Vieles zu dessen näherer Erläuterung, so vermuthe ich, dass dieses Buch das von Hezra geschriebene Buch des Gesetzes Gottes ist, mit der Zusammenstellung und Erläuterung, die sie damals gelesen haben. Dass aber darin Vieles in Klammern zu mehrerer Erläuterung eingeschaltet worden ist, davon habe Ich zwei Beispiele bei Gelegenheit der Erklärung des Ausspruchs Aben Hezra's gegeben, und dieser Art finden sich noch mehrere; so z.B. II. 9: »Und in Sehir wohnten früher die Horiten; aber die Söhne Esau's vertrieben sie und verjagten sie aus ihrem Anblick und haben an deren Stelle gewohnt, wie Israel gethan im Lande seiner Erbschaft, was Gott ihm gegeben hat.« Er erläutert nämlich v. 3 und 4 dieses Kapitels, dass sie den Berg Sehir, der an die Söhne Esau's durch Erbschaft gekommen war, nicht als einen unbewohnten in Besitz genommen haben, sondern dass sie ihn und die Horiten, welche ihn vorher bewohnt, mit Krieg überzogen und zuletzt diese, wie die Israeliten nach dem Tode Mosis die Kananiter, vertrieben und vertilgt haben. Auch werden die Verse 6, 7, 8 und 9 des Kap. X. den Worten Mosis eingeschoben; denn Jedermann sieht, dass Vers 8, welcher anfängt: »Zu jener Zeit trennte Gott den Stamm Levi« nothwendig auf Vers 5 bezogen werden muss, und nicht auf den Tod Aaron's. Hezra scheint dies nur eingeschoben zu haben, weil Moses in dieser Erzählung von dem Kalbe, das das Volk angebetet hatte, gesagt hatte (IX. 20), »er habe bei Gott für Aaron gebeten.« Dann erläutert er, wie Gott zu der Zeit, von der Moses hier spricht, sich den Stamm Levi erwählt, um damit den Grund der Erwählung und weshalb die Leviten nicht zu einem Theile der Erbschaft berufen worden, darzulegen, und dann erst führt er mit den Worten Mosis den Faden der Geschichte weiter. Dazu nehme man die Vorrede des Buches und alle die Stellen, welche von Moses in der dritten Person sprechen. Ausserdem hat er viel Anderes, was wir nicht mehr erkennen können, unzweifelhaft, damit die Menschen seiner Zeit es besser verständen, hinzugefügt[140] oder anders ausgedrückt. Hätten wir des Moses eigenes Buch des Gesetzes, so würden wir unzweifelhaft in den Worten, wie in der Anordnung und den Gründen der Vorschriften grosse Abweichungen finden. Denn wenn ich nur die zehn Gebote dieses Buches mit den zehn Geboten im zweiten (wo deren Geschichte von Grund aus erzählt wird) vergleiche, so weichen sie schon in alledem von diesem ab. So wird das vierte Gebot nicht blos anders erlassen, sondern auch viel weiter gefasst, und der Grund desselben weicht gänzlich von dem im II. Buche Angeführten ab. Endlich ist auch die Reihenfolge, in der hier das zehnte Gebot erklärt wird, eine andere, als im II. Buche.
Dies ist sowohl hier als an anderen Stellen, wie erwähnt, nach meiner Annahme von Hezra geschehen, weil Dieser das Gesetz Gottes den Menschen seiner Zeit erklärt hat, und deshalb ist es das Buch des Gesetzes Gottes, was er selbst geordnet und erläutert hat. Dies Buch wird von allen, die er geschrieben, das erste gewesen sein, weil es die Gesetze des Landes enthält, die das Volk am nöthigsten brauchte, und weil dieses Buch nicht, wie alle anderen, mit einer Eingangsformel verbunden ist, sondern von freien Stücken mit den Worten beginnt: »Dies sind die Worte Mosis u.s.w.« Aber nachdem er dies vollendet und dem Volke die Gesetze gelehrt hatte, mag er sich zur Abfassung der vollständigen Geschichte des jüdischen Volkes, von Erschaffung der Welt bis zur gänzlichen Zerstörung der Stadt, gewendet und dann dieser Geschichte das Buch der Gesetze (das V. Buch Mosis) an seinem Orte eingeschoben haben. Vielleicht hat er die ersten fünf Bücher die Bücher Mosis genannt, weil darin vorzüglich dessen Leben enthalten ist; er hat den Namen von dem Hauptgegenstande entlehnt. Deshalb hat er auch das sechste das des Josua, das siebente das der Richter, das achte Ruth, das neunte und zehnte das des Samuel und das elfte und zwölfte das der Könige genannt. Ob aber Hezra die letzte Hand an dieses Werk gelegt und nach seinem Plan vollendet hat, darüber sehe man das folgende Kapitel.[141]
Buchempfehlung
Stifters späte Erzählung ist stark autobiografisch geprägt. Anhand der Geschichte des jungen Malers Roderer, der in seiner fanatischen Arbeitswut sich vom Leben abwendet und erst durch die Liebe zu Susanna zu einem befriedigenden Dasein findet, parodiert Stifter seinen eigenen Umgang mit dem problematischen Verhältnis von Kunst und bürgerlicher Existenz. Ein heiterer, gelassener Text eines altersweisen Erzählers.
52 Seiten, 4.80 Euro
Buchempfehlung
Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für diese preiswerte Leseausgabe elf der schönsten romantischen Erzählungen ausgewählt.
442 Seiten, 16.80 Euro