Aus: Über die Natur

[173] 1. [Das der Größe nach Unendliche legte er vorher [vor fr. 3] nach demselben Beweisgang dar. Er zeigt zuerst, daß] wenn das Seiende keine Größe besitze, es auch nicht vorhanden sei. [Dann fährt er so fort:] Ist es aber vorhanden, so muß ein jeder seiner einzelnen Teile eine gewisse Größe und Dicke und Abstand vom anderen haben. Und dasselbe läßt sich von dem vor jenem liegenden Teile behaupten. Auch dieser wird natürlich Größe haben und es Wird ein anderer vor ihm liegen. Das Gleiche gilt also ein für alle Mal. Denn kein derartiger Teil desselben [des Ganzen] wird die äußerste Grenze bilden, und nie wird der eine [173] ohne Beziehung zum anderen sein. Wenn es also viele Dinge gibt, so müssen sie notwendig zugleich klein und groß sein: klein bis zur Nichtigkeit, groß bis zur Unendlichkeit.

2. [In seiner Schrift, die viele Beweisgänge enthält, zeigt er in jedem, daß wer die Vielheit behauptet, sich in Widersprüche verwickelt. So ist einer dieser Gänge folgender. Er will zeigen, daß ›wenn es Vieles gibt, dies zugleich groß und klein sein muß, und zwar groß bis zur Unendlichkeit und klein bis zur Nichtigkeit‹ [B 1]. Darin sucht er nun zu zeigen, daß ein Ding, das weder Größe noch Dicke noch Masse besitzt, über haupt nicht vorhanden sein könne.] Denn würde es zu einer anderen Größe zugefügt [so lauten seine Worte], so würde es [jene] um nichts vergrößern. Denn wird eine Größe, die null ist, einer anderen hinzugefügt, so kann diese an Größe nichts gewinnen. Und so wäre denn bereits hiernach das Hinzugefügte gleich Null. Wenn ferner durch Abziehen [dieser Größe] die andere um nichts kleiner und andererseits durch Zufügen nicht größer werden wird, so war offenbar das Zugefügte [174] wie das Abgezogene gleich Null. [Und dies führt Z. nicht aus, um das Eine aufzuheben, sondern weil ein jedes der vielen und unendlichen Dinge Größe haben muß. Denn vor jedem einzelnen, das man nimmt, muß stets wieder irgend ein anderes stehen wegen der Teilung ins Unendliche. Dies legt er dar, nachdem er zuvor gezeigt, daß nichts Größe besitzt, weil jedes der vielen Dinge mit sich selbst identisch und eins sein muß.]

3. [Was bedarf es langen Redens? Es steht ja auch in Zenon's Schrift selbst. Z. schreibt nämlich da, wo er zeigt, daß die Vielheit den Widerspruch der Begrenztheit und Unbegrenztheit identischer Dinge einschließt, wörtlich folgendes:]

Wenn es Vieles gibt, so muß es notwendig gerade soviel Dinge geben als wirklich vorhanden sind, nicht mehr, nicht minder. Gibt es aber soviel Dinge als es eben gibt, so sind sie [der Zahl nach] begrenzt.

Wenn es Vieles gibt, so ist das Seiende [der Zahl nach] unbegrenzt. Denn zwischen den einzelnen Dingen liegen stets andere und zwischen jenen wieder andere. Und somit ist das Seiende unbegrenzt.

4. [Z. hebt die Bewegung auf, wenn er behauptet:] Das Bewegte bewegt sich weder in dem Raume, in dem es sich befindet, noch in dem es sich nicht befindet.

Quelle:
Die Fragmente der Vorsokratiker. Griechisch und Deutsch von Hermann Diels. 1. Band, Berlin 41922, S. 173-175.
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