3. Das Absolute

[181] Der Flußgott sprach: »Die Denker auf Erden sagen alle: ›Das Feinste hat keine Form; das Größte ist unfaßbar‹; entspricht das der Wahrheit?« Jo vom Nordmeer sprach: »Vom Kleinen aus läßt sich das Große nicht übersehen; vom Großen aus läßt sich das Kleine nicht deutlich wahrnehmen. Das Feinste nun ist das Kleinste vom Kleinen; die Masse ist das Größte vom Großen, und es ist in den Umständen begründet, daß die Anwendung dieser Begriffe unterschieden ist; doch ist die Anwendung der Begriffe des Feinen und des Großen auf körperliche Form beschränkt. Was keine Form hat, läßt sich nicht zahlenmäßig teilen; was unfaßbar ist, läßt sich nicht zahlenmäßig erschöpfen. Worüber man daher reden kann, das ist das grobe Ding; worüber man sich besinnen kann, das ist das feine Ding. Was sich dagegen allen Worten und Vorstellungen durchaus entzieht, das ist das Feine und das Grobe schlechthin. Darum ist der Wandel des großen Mannes so beschaffen, daß kein Schaden für die andern herauskommt. Dennoch tut er sich nichts zugute auf seine Liebe und Gnade; er rührt sich nicht um des Gewinnes willen und schätzt doch nicht gering die Sklaven, die das tun. Er streitet nicht um Geld und Gut und macht doch nicht viel Wesens mit Ablehnen und Gönnen. In seinen Geschäften verläßt er sich nicht auf die Menschen, und doch tut er sich nichts zugute auf seine Stärke und verachtet nicht, die in ihrer Gier dem Schmutze sich zuwenden. In seinem Wandel unterscheidet er sich von der Menge und tut sich doch nichts zugute auf seine Abweichungen. In seinen äußerlichen Handlungen richtet er sich nach der Masse und verachtet nicht die Schwätzer und Schmeichler. Der Welt Ehren und Schätze sind nicht imstande, ihn zu reizen; ihre Schmach und Schande ist nicht imstande, ihn zu beschimpfen. Er weiß, daß Billigung und Nichtbilligung sich nicht trennen lassen, daß Klein und Groß sich nicht scheiden lassen. Ich habe sagen hören: Der Mann des SINNS bleibt ungenannt; höchstes LEBEN sucht nicht das Seine. Der große Mann hat kein Selbst. Das ist das Höchste, was an Bindung des Schicksals erreicht werden kann.«

Quelle:
Dschuang Dsï: Das wahre Buch vom südlichen Blütenland. Düsseldorf/Köln 1972, S. 181-182.
Lizenz: