Anlagekapital

[162] Anlagekapital (invested capital; capital d'établissement; capitale d'impianto). Der Begriff A. ist nicht ganz feststehend. Es empfiehlt sich, zwei Hauptarten des Begriffes zu unterscheiden: das eigenwirtschaftliche A. des Unternehmers und das statistische A. des Unternehmens.

1. Das A. des Unternehmers im wirtschaftlichen Sinne ist die Summe, die von den auf die Gründung oder Erwerbung und auf die Erweiterung eines Unternehmens erwachsenen Kosten dem Unternehmer selbst als Schuld zu Buche steht, d.h. von ihm zu verzinsen und zu tilgen ist, die Summe also, die die eigene Wirtschaft des Unternehmers belastet.

Das A. in diesem Sinne bildet die Statistik des Deutschen Reichseisenbahnamtes in Tab. 20 auf die Art, daß zu den reinen Baukosten einerseits verschiedene Nebenkosten (Geldbeschaffung, Passivzinsen während der Bauzeit, erste Dotierung von Reserve- und ähnlichen Fonds, etwaige Ausfälle beim provisorischen, d.h. auf Rechnung der Bauverwaltung durchgeführten Betrieb, auch Aufzahlungen bei der Erwerbung) zugezählt, anderseits die Einnahmen der Bauverwaltung (etwaige Überschüsse aus dem provisorischen Betrieb, Rückeinnahmen aus Veräußerungen, Kursgewinne, Aktivzinsen aus Baufonds, Leistungen Dritter à fonds perdu) und – nach dem Obergang auf die Betriebsverwaltung – die Bauaufwendungen aus Betriebseinnahmen, auch etwaige Preisnachlässe bei der Erwerbung abgezogen werden.

Aus diesem Begriff des (subjektiven) Unternehmer-A. folgt, daß das A. im allgemeinen größer ist als die Baukosten, daß aber bei glücklicher Finanzgebarung, größeren Aufwendungen aus Betriebseinnahmen und beträchtlichen Zuschüssen Dritter das die Betriebsverwaltung belastende A. kleiner sein kann als die Baukosten, daß es anderseits die Baukosten umsomehr übersteigen wird, je weniger diese günstigen Umstände gegeben sind.

2. Das statistische A. des Unternehmens (das objektive A.) entsteht dadurch, daß alle Aufwendungen, die für die Errichtung oder Erwerbung und für die Erweiterung des Unternehmens erwachsen sind, zu einer Summe vereinigt werden, ohne Rücksicht darauf, wen die Aufwendungen belasten. Also z.B. ohne Rücksicht darauf, daß Zuschüsse Dritter à fonds perdu und Bauaufwendungen aus Betriebsmitteln die Betriebsverwaltung der betreffenden Bahn überhaupt nicht mit Zins und Tilgung belasten.

3. Weitere Sonderarten des A., die jedoch nur Unterarten der beiden Hauptbegriffe bilden:

A. im Jahresdurchschnitt wird in der Weise berechnet, daß das A. solcher Strecken die im Laufe eines Jahres in Betrieb genommen werden, nicht mit dem vollen Betrag, sondern nur im Verhältnis der Betriebszeit in Ansatz kommt. Ebenso bei den Kosten der Erweiterungen.

Garantiertes A. ist jenes, für das der Staat oder andere Interessenten einen bestimmten Ertrag (Roh- oder Reinertrag) garantieren. Das wirkliche A. ist vielfach höher, wenn nämlich Anlagekosten entstehen, die die Garantiesumme überschreiten oder deren Einrechnung in das A. vom Garanten verweigert wird.

Die Begriffe: getilgtes, konzessioniertes und verwendetes A. bedürfen keiner besonderen Erklärung. Der Gegensatz zu getilgtem A. ist das »Grundkapital«, d.h. das A. ohne Abzug der getilgten Beträge.

Von den Verhältnissen im Deutschen Reiche möge die untenstehende Zusammenstellung eine Andeutung geben.

In Österreich setzte sich das A., das für die Haupt- und Lokalbahnlinien sämtlicher Staatsbahnen und der vom Staate für eigene Rechnung betriebenen Privatbahnen aufgebracht war, Ende 1909 aus folgenden Bestandteilen zusammen:


Kronen
Baukosten und Kaufpreis
erworbener Bahnen 822,479.511
Eisenbahn-
Staatsschuldverschreibungen 685,700.135
Zur Selbstzahlung übernommene
Privatbahnprioritäten2.204,745.976
Kapitalisierte Rente
verstaatlichter Privatbahnen 885,968.688
Sonst beschafftes Kapital 841,915.135
5.440,809.445

Anlagekapital

[162] oder in anderer Gruppierung:


Erwerbung von Privatbahnen3.902,669.000
Staatseisenbahnbau 787,661.330
Nachträgliche Investitionen 750,479.115
5.440,809.445

Das aufgebrachte und verwendete A. aller österreichischen Haupt- und Lokalbahnen Ende 1909 zeigt nachstehende der österreichischen Eisenbahnstatistik entnommene Übersicht:


Anlagekapital

Das von den Privatbahnen aufgebrachte Anlagekapital bestand aus:


Anlagekapital

Das Anlagekapital der Eisenbahnen der Erde – ohne Kleinbahnen und städtische Straßenbahnen – betrug nach dem Archiv für Eisenbahnwesen. 1911, Heft 3, S. 607 ff., ferner nach den Untersuchungen von Neumann-Spallart und Juraschek (Übersicht der Weltwirtschaft. Jahrgang 1885, 1889/95, S. 681):


1875 rund 65Milliard. M. Hiervontrafen auf Europa67%
1885 rund 104Milliard. M. Hiervontrafen auf Europa57%
1893 rund 143Milliard. M. Hiervontrafen auf Europa52%
1905 rund 182Milliard. M. Hiervontrafen auf Europa51%
1907 rund 208Milliard. M. Hiervontrafen auf Europa52%
1909 rund 222Milliard. M. Hiervontrafen auf Europa47%

Die zugehörige Länge betrug


1907 1909
in Europa320.810 km329.691 km
in Amerika487.506 km513.824 km
in Asien 90.577 km 99.436 km
in Afrika 29.798 km 33.481 km
in Australien 28.592 km 30.316 km
zusammen957.283 km1,006.748 km

Die Ziffern zeigen die gewaltige Bedeutung der Eisenbahnen als Kapitalsanlagen.


Anlagekapital

Der Prozentsatz, mit dem sich das A. durch den Betriebsüberschuß verzinst, ist der gebräuchlichste Maßstab für die Rentabilität[163] eines Bahnunternehmens. Die statistischen Nachrichten von den Eisenbahnen des Vereins Deutscher Eisenbahnverwaltungen, Jahrg. 1907, 1908 und 1909, sowie die österreichische Eisenbahnstatistik und die Jahresberichte der ungarischen Staatsbahnen geben diese Rente mit den vorstehend (Tab. a) angeführten Werten an.

Den statistischen Veröffentlichungen der Bahnen Belgiens, Frankreichs, der Schweiz, Großbritanniens und Irlands sind die in der vorseitig stehenden Tab. b enthaltenen Angaben über Anlagekapital und Rente entnommen.

Über die Aufbringung des A. s. Anleihen.

Heubach.

Quelle:
Röll, Freiherr von: Enzyklopädie des Eisenbahnwesens, Band 1. Berlin, Wien 1912, S. 162-164.
Lizenz:
Faksimiles:
162 | 163 | 164
Kategorien:
Ähnliche Einträge in anderen Lexika

Buchempfehlung

Schnitzler, Arthur

Der Weg ins Freie. Roman

Der Weg ins Freie. Roman

Schnitzlers erster Roman galt seinen Zeitgenossen als skandalöse Indiskretion über das Wiener Gesellschaftsleben. Die Geschichte des Baron Georg von Wergenthin und der aus kleinbürgerlichem Milieu stammenden Anna Rosner zeichnet ein differenziertes, beziehungsreich gespiegeltes Bild der Belle Époque. Der Weg ins Freie ist einerseits Georgs zielloser Wunsch nach Freiheit von Verantwortung gegenüber Anna und andererseits die Frage des gesellschaftlichen Aufbruchs in das 20. Jahrhundert.

286 Seiten, 12.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Michael Holzinger hat für den zweiten Band sieben weitere Meistererzählungen ausgewählt.

432 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon