Bagdadbahn

[353] Bagdadbahn. Bei den ersten, bis in die Achtzigerjahre des vorigen Jahrhunderts zurückreichenden Plänen einer Erschließung der kleinasiatischen Gebiete der Türkei durch Eisenbahnen war die Anlage einer von Konstantinopel nach Bagdad und von da nach einem Hafen des Persischen Golfs (etwa Koweit) zu bauenden Eisenbahn ins Auge gefaßt. Der Bahn sollte einmal die Aufgabe zufallen, Kleinasien zu erschließen, besonders aber die vor Jahrhunderten außerordentlich fruchtbaren, jetzt gänzlich verödeten Gebiete zwischen Euphrat und Tigris, das Land Mesopotamien, der Kultur wieder zugänglich zu machen. Sodann sollte die Bahn das Zwischenglied eines neuen, kürzeren und leistungsfähigen Weges zwischen Europa und Indien bilden. Die Reise von London nach Bombay über Brindisi und den Suezkanal dauert etwa 14 Tage. Es wird angenommen, daß sie über Wica, Konstantinopel, Bagdad und Koweit nur etwa 10 Tage in Anspruch nehmen und außerdem erheblich bequemer sein wird.

Die anatolischen Bahnen (s.d.) gelten als die ersten Strecken der B. In der diesen erteilten Konzession vom 3./15. Februar 1893 ist bereits von ihrer Verlängerung bis Bagdad die Rede. Aber die Ausführung dieser Verlängerung begegnete großen Schwierigkeiten. Den rastlosen Bemühungen des ersten Direktors der Deutschen Bank, Dr. Georg v. Siemens, ist es nicht gelungen, diese Schwierigkeiten vollständig zu überwinden. Aber er hat die Wege doch soweit geebnet, daß[353] bald nach seinem Tode die erste Konzession für die B. erteilt werden konnte. Die Schwierigkeiten waren verschiedenster, zumeist technischer Art. Die Bahn durchzieht zum Teil gebirgiges Gelände; und es galt, die beste und am wenigsten kostspielige Linie zu finden. Sodann war an eine auch nur einigermaßen befriedigende Rentabilität nicht zu denken; große Einnahmen aus dem Personen- oder aus dem Güterverkehr waren für lange Zeit nicht zu erwarten, nur mit Staatshilfe konnte ein solches Unternehmen zu stände gebracht werden. Hierzu kamen die politischen Schwierigkeiten. Deutsche Gesellschaften unter Führung der Deutschen Bank hatten sich um die Konzession der Bahn beworben und von der Türkei Zusicherungen erhalten, die Deutschland einen vorwiegenden Einfluß bei der Verwaltung und dem Betrieb verbürgten. Bei der großen Bedeutung der Bahn für den internationalen Verkehr wurde die leitende Stellung Deutschlands von der englischen, der russischen und der französischen Regierung beanstandet, dies, obwohl von vornherein die Teilnahme fremden Kapitals an der Herstellung der Bahn zugestanden war. Nach langjährigen Bemühungen, deren Erfolg oft recht zweifelhaft war, scheint es jetzt endlich gelungen zu sein, dieser Schwierigkeiten Herr zu werden.

Ursprünglich sollte die Bahn ihren Anfang in Angora nehmen. Der ungeheuren Geländeschwierigkeiten im armenisch-türkischen Hochlande wegen und auch aus politischen Gründen – Rücksichtnahme auf Rußland – wurde dieser Plan aufgegeben und als Ausgangspunkt der B. die Station Konia bestimmt. Im Winter 1899 auf 1900 wurde von dem damaligen deutschen Generalkonsul in Konstantinopel, Stemrich, und den beiden Erbauern einzelner Strecken der Anatolischen Bahn, Baurat v. Kapp und Geheimem Baurat Mackensen, eine Studienreise unternommen, um die der Bahn zu gebende Richtung zu finden. Die Ergebnisse dieser Untersuchungen wurden den weiteren Verhandlungen über die Konzession zu gründe gelegt.

Nachdem die Linie feststand, ist einer unter der Firma: Société impériale ottomane du chemin de fer de Bagdad zu bildenden Gesellschaft durch einen Ferman des Sultans vom 17./30. Juli 1903 die Konzession für eine Bahn von Bagdad bis Bassorah nebst einigen Zweiglinien erteilt worden. Diese Konzession ist ergänzt und zum Teil abgeändert worden durch 3 Nachtragsverträge vom 20. Mai/2. Juni 1908, vom 24. Febr./9. März 1910 und vom 3./19. März 1911. Durch den ersten Nachtrag sind die finanziellen, von der Türkei zu leistenden Garantien im wesentlichen festgesetzt. Der Nachtrag von 1911 verfolgt hauptsächlich den Zweck, die noch bestehenden politischen Hindernisse aus dem Wege zu räumen. Die jetzige Richtung der Bahn ergibt sich aus der Karte (Taf. IV).

Mit dem Bau der ersten Strecke, Konia-Eregli-Bulgurlu, die technische Schwierigkeiten nicht bereitete, wurde noch im Jahre 1903 begonnen, sie ist am 25. Oktober 1904, dem Geburtstage des Sultans, dem Betriebe übergeben worden. Der Bau der zweiten Strecke von Bulgurlu über Adana nach Helif (840 km) mit einer Zweigbahn von Tel-Habesch nach Aleppo und von Kharbenas nach Urfah ist, sobald durch den Nachtragsvertrag von 1908 die finanziellen Bürgschaften der Türkei festgelegt waren, in Angriff genommen worden. Auf dieser Strecke ist der Taurus 2mal zu überschreiten, was mit großen technischen Schwierigkeiten und Kosten verbunden ist. Durch den Nachtragsvertrag von 1911 sind die Bedingungen für den Bau der Fortsetzung von El Helif über Mossul nach Bagdad festgestellt. Die Gesellschaft hat darin auf die ihr nach der Konzession von 1903 zustehenden Rechte auf die Bahn von Bagdad bis Bassorah und zum Persischen Golf verzichtet. Diese Strecke soll jetzt durch eine neue, unter türkischer Oberhoheit stehende internationale Gesellschaft, an der auch deutsches Kapital angemessen beteiligt sein wird, gebaut werden. Für diesen Verzicht hat die Gesellschaft die Konzession für eine 60 km lange Zweigbahn von Osmanieh nach dem Hafen Alexandrette und für den Ausbau dieses sehr günstig gelegenen Hafens erhalten. Die Bahn gewinnt dadurch einen selbständigen Anschluß an das Meer. Bisher hatte sie einen solchen nur durch die von Adana nach dem Hafen Mersina führende, in englischem Besitz befindliche Eisenbahn. Durch den Nachtragsvertrag wird die Gesellschaft in den Stand gesetzt, den Bau an verschiedenen Punkten in Angriff zu nehmen und damit die Fertigstellung zu beschleunigen. Es betragen die Entfernungen von El Helif nach Mossul 200 km, von Mossul nach Bagdad 400 km, von Bagdad nach dem Persischen Golf etwa 600 km. Man hofft, nunmehr die Bahn bis Bagdad mit den Zweiglinien in etwa 5 Jahren, d.h. bis 1916, soweit fertigzustellen, daß sie dem Betriebe übergeben werden kann.

Die Konzession ist ursprünglich auf 99 Jahre erteilt. Durch die Nachtragskonzessionen ist sie jedesmal entsprechend verlängert. Sie ist mit normaler Spur zunächst eingleisig und mit einem so kräftigen Oberbau herzustellen, daß die Züge mit einer Geschwindigkeit von 75 km in der Stunde fahren können. Das für ein zweites Gleis erforderliche Gelände ist gleichzeitig zu erwerben. Der geringste Krümmungshalbmesser[354] beträgt. 500 m, nur ausnahmsweise werden 300 m zugelassen; ebenso beträgt die höchste Steigung 18‰, nur ausnahmsweise unter besonderen Verhältnissen darf sie sich auf 25 belaufen.

Die Gesellschaft hat sich verpflichtet, auf der Anatolischen Bahn die für Einführung des Schnellzugsbetriebs nötigen baulichen Verbesserungen herzustellen, wofür sie 8 Mill. Fr. ausgeben darf, die ihr von der türkischen Regierung in Jahresbeträgen erstattet werden.

Das Aktienkapital der Bahn beträgt 15 Mill. Fr., eingeteilt in 30.000 Aktien zum Nennwert von 500 Fr. Die türkische Regierung leistet für die B., mit Ausnahme einzelner Strecken, die ohne Garantie herzustellen sind, eine Garantie von 11.000 Fr. für jedes km. Betragen die Roheinnahmen weniger als 4500 Fr. für das km, so ist der fehlende Betrag von der Regierung zuzuschießen. Die Einnahmen zwischen 4500 und 10.000 Fr. fallen dagegen ganz der Regierung zu, überschreiten sie 10.000 Fr., so bekommt von dem Mehrbetrag die Regierung 60%, die Bahn 40%, überschreitet sie 30.000 Fr., so hat die Regierung das Recht, den Bau des zweiten Gleises auf Kosten der Gesellschaft zu fordern. Zum Bau der ersten Strecke von Konia bis Eregli sind der Gesellschaft 54 Mill. Fr. gezahlt, in welchem Betrage die Türkei eine 4%ige Anleihe aufgenommen hat. Die Anleihe dient als Sicherheit für die der Gesellschaft zugesicherte kilometrische Beihilfe. Die bisherigen Erträge dieser Strecke sind in untenstehender Tabelle zusammengestellt.

Es ergibt sich daraus, daß die Gesamteinnahmen und die kilometrischen Einnahmen allmählich gestiegen und die kilometrischen Zuschüsse nach und nach gefallen sind.

Zum Bau der zweiten Strecke von Bulgurlu nach Helif ist gleichfalls eine Anleihe von 108 Mill. Fr. von der Türkei aufgenommen worden, deren Erträge in ähnlicher Weise Verwendung finden, wie die der ersten Anleihe.


Roheinnahmen und mittlere kilometrische Einnahmen der Bagdadbahn sowie die vom Staate bezahlten kilometrischen Garantien in Franken.


Bagdadbahn

Die Sicherheiten, die die Türkei für ihre Ertragsgarantien geleistet hat, sind für die verschiedenen Strecken verschiedene; für die erste Strecke sind es, wie bei der Anatolischen Bahn, Zehnten der von der Bahn durchschnittenen Gebiete. Für die anderen Strecken werden weitere Sicherheiten geleistet, z.B. durch Verpfändung von Zolleinkünften. Die Bestimmungen hierüber sind wiederholt geändert und sehr verwickelter Art, da sie mit der Regelung des Schuldenwesens der Türkei zusammenhängen, an der auch andere Mächte, besonders England, stark beteiligt sind. Jedenfalls genügen sie der Gesellschaft, um den Bau der Bahn jetzt mit allem Nachdruck zu fördern.

In der letzten Zeit (1910 und 1911) ist auch von einer von der B. abzweigenden Linie nach Persien die Rede gewesen, die in Zusammenhang steht mit den Plänen Rußlands zur Erschließung Persiens durch Eisenbahnen. Feste Gestaltung haben diese Pläne noch nicht gewonnen, ebenso wie es neuerdings still geworden ist von dem großartigen Plane des Engländers Wilcox, die noch in vielen Oberresten vorhandenen alten Bewässerungsanlagen zwischen Euphrat und Tigris wiederherzustellen und damit das ganze Gebiet einer intensiven landwirtschaftlichen Kultur wieder voll zugänglich zu machen. Man erwartet reiche Erträge vom Getreidebau, von der Anpflanzung der Baumwollstaude. Ferner sollen bedeutende Lager von Erdharzen und ergiebige Petroleumquellen in den von der künftigen B. durchzogenen Gebieten vorhanden sein.

v. der Leyen.

Tafel IV.
Tafel IV.
Quelle:
Röll, Freiherr von: Enzyklopädie des Eisenbahnwesens, Band 1. Berlin, Wien 1912, S. 353-355.
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353 | 354 | 355
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