Sanitätszüge

[304] Sanitätszüge, Lazarettzüge, Spitalzüge (sanitary trains; trains sanitaires), der Massenbeförderung von Verwundeten (Kranken) auf Eisenbahnen dienende, vornehmlich für den Kriegsfall bestimmte Züge.


I. Allgemeines.


S. können aus Fahrzeugen bestehen, die ausschließlich für diesen Zweck gebaut sind, oder aus solchen, die auch anderen Beförderungszwecken dienen und bei deren Bauart auf die zweckmäßige Benutzbarmachung für Verwundetentransporte entsprechend Rücksicht genommen ist; endlich kann im Notfall der Verwundetentransport auch in Wagen stattfinden, bei deren Bauart auf diesen besonderen Verwendungszweck gar keine Rücksicht genommen ist.

Wenn auch bei Spezialzügen den Anforderungen des Verwundetentransports am besten entsprochen werden kann, so würde doch die Herstellung und Bereithaltung solcher Züge in der für die Kriege der Gegenwart erforderlichen Anzahl, abgesehen von anderen Schwierigkeiten (z.B. die der Unterbringung), so übergroße Kosten verursachen, daß die allgemeine Einführung derartiger Züge nicht in Betracht gezogen werden kann.

Dagegen gewinnt die Vorsorge für die Verwendung zum Verwundetentransport beim Bau gewöhnlicher Personen- und Güterwagen immer größere Ausdehnung und hat man in Anbetracht der Wichtigkeit dieser Frage es für nötig erachtet, staatliche Vorschriften zu dem Zweck zu erlassen, um die Einrichtung einer genügenden Anzahl von Wagen für den Verwundetentransport sicherzustellen.

Für das Deutsche Reich ist die Zusammenstellung und Einrichtung der Züge zur Beförderung von im Feld Verwundeten durch die Kriegssanitätsordnung festgestellt.

In Österreich-Ungarn sind die Bestimmungen für das Normale der Eisenbahnsanitätszüge in der Vorschrift für S. des k. u. k. Heeres gegeben.

Ähnliche Vorschriften sind auch in Frankreich, Italien und Rußland in Kraft.

Die Erfahrungen des 1914 ausgebrochenen Weltkrieges, wo so bedeutende Heeresmassen in Verwendung getreten und an den Sanitätsdienst so gewaltige Aufgaben gestellt worden sind, haben vielfache Neuerungen hinsichtlich der Organisation sowie in der Einrichtung und Ausrüstung der S. geschaffen.


II. Bedingungen für S.


Ihr Zweck ist nicht nur der der Aufnahme der Verwundeten und Zuführung an die Bestimmungsstation, sie haben vielmehr während des Transports die Aufgabe eines Lazaretts zu erfüllen.

Die wichtigsten Bedingungen sind:

1. Die entsprechende Unterbringung in eigens hierfür ausgestatteten Wagen;

2. Verpflegung und Behandlung der Verwundeten.

Der zuerst angeführte Punkt wird erreicht durch Einstellen der Lagerstätten (Gestelle mit aufgelegten Tragbahren), Waschtische, Klappsesseln u.s.w. und anderen zur Krankenpflege notwendigen Gerätschaften. Ferner muß für die Heizung, Lüftung und Beleuchtung der Wagen vorgesorgt sowie ein Abort und Leibstuhl vorhanden sein.

In baulicher Hinsicht müssen die Wagen Tragfedern genügender Weichheit (bei Güterwagen werden die Tragfedern umgelagert), Stirnwände mit Türen, Plattformen mit abnehmbarem Geländer und Übergangsbrücken besitzen. Für S. kommen außer den Krankenwagen mit einem Belagraum von 8–10 Kranken noch Ärzte-, Küchen-, Magazins-, Vorrats- und Speisewagen in Betracht.

In vielen Fällen, insbesondere bei Neuformationen, wird jedem Zug ein Operationswagen mit einem Abteil für Verbandzeug u.s.w. beigegeben.

Die Zusammensetzung und Rangierung der S. ist ganz verschieden; ein S. besteht gewöhnlich aus 25–40 Wagen. Für Ärzte-, Personal- und Speisewagen eignen sich am besten Durchgangswagen, für Kranken-, Küchen-, Magazinswagen gedeckte Güterwagen mit größerem Fassungsraum.


III. Anordnung einzelner S.


Nach der deutschen Kriegssanitätsordnung sind 3 Arten von S. für die Verwundeten vorgesehen, u.zw.:

A. Für liegende Verwundete die Lazarett- und Hilfslazarettzüge;

B. für Leichtkranke die Krankenzüge, in denen die Kranken sitzend befördert werden.

Die ersteren sind geschlossene Formationen, deren gesamte Einrichtung schon im Frieden[304] an bestimmten Stellen gelagert wird und für die alle Vorkehrungen getroffen sind, um sie im Kriegsfall ohne Zeitverlust bereithalten zu können. Diese Züge sind nach den Bedürfnissen und Erfahrungen zusammengestellt.

Die letzteren sind nur zu vorübergehender Benützung bestimmt und werden im Etappenraum zusammengestellt und nach der Entleerung wieder aufgelöst. Die Verpflegung der Kranken muß in diesem Fall auf den Truppenverpflegsstationen geschehen.

Außerdem muß noch der freiwilligen Sanitätspflege gedacht werden, die aus eigenen Mitteln unter eigener Verwaltung und ärztlicher Leitung die Ausrüstung von S. der sog. Vereinslazarettzüge stiftet (Verein vom Roten Kreuz, Johanniter- und Malteserorden, Körperschaften, Stadt- und Landgemeinden und auch von mehreren Einzelpersonen).

Für diese Art von S. sind eigene Vorschriften von Seite des preußischen Kriegsministeriums erlassen worden.

In Österreich-Ungarn sind nach den Bestimmungen der Vorschrift für S. des k. u. k. Heeres 2 Arten von Zügen in Betracht gezogen, u.zw.:

A. Spitalszüge für Schwerkranke und Schwerverwundete, die während des Transports eine spitalsmäßige Behandlung erfordern;

B. Krankenzüge für Leichtkranke, die für einen kürzeren Turnusverkehr bestimmt sind.

Die ersteren bestehen aus 26 Wagen, befördern nur Liegende. Die letzteren umfassen 25 2achsige Wagen und sind für 300 Sitzende und 64 Liegende eingerichtet.

Diese Züge werden erst im Kriegsfall aufgestellt. Die für Sanitätszwecke erforderlichen Herstellungen zerfallen in vorbereitende Adaptierungen und in definitive Einrichtungen.

Außer diesen angeführten S. sind im Kriegsjahr 1914/15 noch aufgestellt worden:

1. Staatsbahnkrankenzüge, bei denen als Krankenwagen Personenwagen III. Kl. der Wiener Stadtbahn eingereiht und derart ausgestattet sind, daß für 72 Liegende (auf eingeschobenen Feldtragen) und 225 Sitzende Platz geschaffen ist.

Das Einladen der Kranken erfolgt durch 2 Fensteröffnungen in den Seitenwänden, die durch eine Klappe geschlossen werden.

2. Infektionskrankenzüge. Diese Züge sind auch als unauflösbare Garnituren gebildet, haben eine verschiedenartige Zusammensetzung und dienen nur für die Beförderung von Infektionskranken. Man unterscheidet solche mit 48, 50 und 52 Achsen, die je nach der Wahl der Wagen einen Belagraum von 90–128 für Liegende und einen solchen von 60–330 für Sitzende aufweisen.

Außer den sonst erforderlichen Ausrüstungsgegenständen sind diesen Zügen noch eine entsprechende Anzahl von Leibstühlen, Leibschüsseln, Gefäßen mit Karbollösung und Kalkmilch sowie Waschvorrichtungen beigegeben.

Im Jahre 1916 wurde von Seite der freiwilligen Sanitätspflege als Ergebnis einer eigenen Aktion eine ganz besondere Formation eines Infektionszuges der k. u. k. Heeresverwaltung übergeben.


Dieser Zug hat außer den 15 Krankenwagen und den notwendigen Hilfswagen für die Verpflegung und Behandlung der Kranken noch einen Bade- und Desinfektionswagen, einen Maschinenwagen für Eis- und Trinkwasserbereitung, einen Wäschereiwagen, einen Büglereiwagen und einen Wagen, in dem alle menschlichen Ausscheidungen, Verbandmaterial u.s.w. in einem eigenen Ofen verbrannt und unschädlich gemacht werden.


Der Zug kann 120 Kranke auf eigenen Bettlagerungsapparaten, deren Bauart von genannter hoher Seite erdacht ist, befördern.

3. Schlafwagensanitätszüge. Diese Züge sind aus vorhandenen Speise- und Schlafwagen der Internationalen Schlafwagengesellschaft nach 2 Arten, u.zw.: 2 Dienstwagen, 3 Speise- und 5 Schlafwagen oder 2 Dienstwagen und 8 Speisewagen nach entsprechender Umgestaltung für 120 Liegende zusammengesetzt.

4. Stiftungszüge. Die auf Kosten des Malteserritter-Ordens eingerichteten S. sind nach 2 Arten zusammengestellt. Bei der einen Zusammenstellung finden 100 Liegende und 125 Sitzende, bei der andern nur 150 Liegende Platz. Die Wagen für die liegenden Kranken sind bereits im Frieden hierfür ausersehen und bereitgehalten (Sanitätswagen mit Dachaufsätzen), wogegen für Sitzende Personenwagen verwendet werden.

Bei einigen dieser Züge sind auch Operationswagen eingestellt.

Als weitere Stiftungszüge sind zu nennen:


LiegendeSitzende
Spitalszug Kasselik 160
Spitalszug Fürst Schwarzenberg 100 75
Spitalszug Anglobank 70 200
S. Steirer Rotes Kreuz 80 275
Perm. Krankenzug Clary 67 300
Spitalszug Augusta 80 400
S. österr. Rotes Kreuz 240
S. ung. Rotes Kreuz 100
S. Graf Karoly 100 70
S. Wr. Freiw. Rettungs-Ges. 110

Ferner sind Formationen geschaffen worden, die eine Art S. darstellen und diesen zuzuzählen sind, u.zw.:[305]

1. Fahrbare Verköstigungsstationen;

2. Sanitätsrüstwagen;

3. mobile Labezüge.


In Frankreich unterscheidet man 3 Arten von Lazarettzügen: solche für Schwerverwundete mit fester Lazaretteinrichtung, solche für Leichtverwundete, die aber noch liegend reisen müssen, und Behelfszüge für Verwundete, die sitzen können.

Jeder Lazarettzug besteht aus 16 Wagen, die 200 oder 400 Mann fassen, je nachdem, ob sie sitzend oder liegend zu befördern sind. Insgesamt stehen etwa 250 Züge in Verwendung.

Der Zug für Schwerverwundete besteht aus 16 Wagen, die z.T. Durchgang und Übergangsbrücken besitzen. 8 Wagen sind zum Verwundetentransport bestimmt. Von den 8 Wagen, die nicht zum Krankentransport bestimmt sind, enthält einer die Apotheke und den Operationsraum, einer die Küche und den Ofen zum Verbrennen der gebrauchten Verbandstoffe, einer die Vorräte an Wäsche u.s.w. Ein Wagen dient den beiden Ärzten, einer dem Pflegepersonal als Wohnung.

Garlik.

Quelle:
Röll, Freiherr von: Enzyklopädie des Eisenbahnwesens, Band 8. Berlin, Wien 1917, S. 304-306.
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