Zuckerhut-Seilschwebebahn

[484] Zuckerhut-Seilschwebebahn erschließt die Aussicht von der Spitze des Pão de Assucar (Zuckerhut) bei Rio de Janeiro.

Die Anlage besteht aus zwei voneinander unabhängigen eingleisigen Einzelstrecken von rd. 550 und 800 m Luftlinienweite mit je einer Anfangs- und einer Endstation und ist im Jahre 1912 in 8 Monaten von der Firma J. Pohlig in Köln erbaut worden und seit Januar 1913 im Betrieb. Sie überwindet einen Gesamthöhenunterschied von 216 + 200 m = 416 m (Abb. 318).

Abb. 319 zeigt die Lage der Bahn im Gelände; der auf der Abbildung scheinbar spitze Winkel, den die beiden Einzelstrecken zu einander bilden, ist in Wirklichkeit ein stumpfer.

Die Fahrbahn besteht aus 2 Gußstahl-Tragseilen von je 44 mm Durchmesser und 120 kg/cm2 Bruchfestigkeit, auf denen das Fahrzeug mit Hilfe des achträdrigen Laufgestells (Abb. 320) und des Zugseils von 20 mm Durchmesser und 180 kg/cm2 Bruchfestigkeit im Pendelbetrieb mit einer Geschwindigkeit von rd. 2∙5 m/Sek. bewegt wird. Der Antrieb erfolgt durch Elektromotoren,[484] u. zw. für beide Strecken des vorteilhafteren Betriebs wegen vom »Morro da Urca«, also für die untere Strecke von der Endstation, für die obere von der Anfangsstation aus.

Ein zweites, neben dem Zugseil liegendes und mit der Aufhängevorrichtung fest verbundenes, endloses Seil läuft leer mit. Es soll als Fangseil wirken für den Fall, daß das Zugseil reißt, indem es im Augenblick des Reißens des Zugseils dessen Funktionen übernehmen soll, wobei angenommen wird, daß seine Lebensdauer infolge geringerer Beanspruchung eine längere ist als die des Zugseils, so daß bei eintretendem Zugseilbruch das Fangseil mit Sicherheit den ihm dann zufallenden Beanspruchungen gewachsen ist.

Die Zweckmäßigkeit des Leerlaufs dieses zweiten Seils ist fraglich. Es wird entgegengehalten, daß beim Bruch des Zugseils oder beim Nachlassen der Zugspannung in diesem und entsprechend zunehmender Belastung des Fangseils der Durchhang des letzteren plötzlich vermindert wird und das Fahrzeug infolgedessen möglicherweise zuerst eine rückläufige Bewegung macht, bevor das Fangseil volle Zugspannung erhält; dadurch werden aber starke dynamische Wirkungen ausgelöst, die das Fangseil weit über das zulässige Maß beanspruchen können, so daß die durch den[485] Leerlauf bezweckte Sicherheit nicht nur nicht erreicht, sondern sogar vermindert wird. Auch wird geltend gemacht, daß die Abnutzung des Fangseils – und damit auch die Lebensdauer – tatsächlich nahezu gleich sein dürfte der des Zugseils, da zwar die reine Zugbeanspruchung im leerlaufenden Fangseil geringer ist, aber infolge des Durchhanges und der Umführung um die Leitrollen an den Enden Biegungs- und mechanische Beanspruchungen dazu kommen, so daß die Summe der Beanspruchungen in beiden Seilen praktisch fast gleich ist – und daher auch die Abnutzung.

Es ist nicht bekannt geworden, wieweit diese letzte Ansicht durch die Erfahrung bestätigt worden ist; zu Beanstandungen in dem Sinne hat die Anlage bis dahin keine Veranlassung gegeben.

Die Art der Umführung des Zug- und Fangseils sowie die Verankerung der Tragseile in den oberen Stationen und der Spannvorrichtung durch Gewichte in den unteren Stationen ist aus Abb. 321 und 322 ersichtlich.

Die Wagen (Abb. 320) fassen 16 Fahrgäste und einen Schaffner. Der Schaffner kann vom Innern des Wagens aus durch ein Handrad eine Bremse betätigen, die durch Anklemmen von Bremsbacken auf die Tragseile wirkt. Eine zweite Bremse tritt in Tätigkeit, sobald die Fahrgeschwindigkeit die zulässige Grenze überschreitet, indem dann ein Fliehkraftregler einen Gewichtshebel auslöst, der die Bremsbacken anzieht. Mit dem[486] erwähnten Handrad kann auch diese Bremse wieder gelüftet werden, so daß damit nötigenfalls ein langsames Hinabgleitenlassen des Wagens nach der unteren Haltestelle möglich sein soll. Vorgesehen ist auch eine Notkabine, die mit Handwinde herabgelassen werden kann, so daß die Reisenden für den Fall, daß der Wagen auf der Strecke stehen bleiben muß – z.B. bei Versagen des elektrischen Antriebs – möglichst rasch nach der oberen Station heraufgeholt werden können.

Die Haltestellen sind, mit Ausnahme der Anfangsstation der oberen Strecke, zur Erleichterung des Ein- und Aussteigens treppenförmig ausgebildet (Abb. 321), da der Wagen wegen der starken Neigung der Fahrbahn nicht immer genau an derselben Stelle zum Halten gebracht werden kann.

Literatur: A. Pietrkowski, Die Seilschwebebahn in Rio de Janeiro. Ztschr. dt. Ing. 1913, Nr. 24. – H. Wettich, Geschichtliche Entwicklung der Drahtseilschwebebahnen zur Beförderung von Personen. Fördertechnik 1914, Nr. 1 ff; Zur Kritik über Konstruktion und Verhalten von Personenseilschwebebahnen. Fördertechnik 1914, Nr. 7 ff. – R. Woernle, Zur Beurteilung der Drahtseilschwebebahnen für Personenbeförderung. Fördertechnik 1913, Nr. 2 u. 3; Ztschr. d. Verb. dt. Dipl.-Ing. 1913, Nr. 21–24.

Randzio.

Abb. 318.
Abb. 318.
Abb. 319.
Abb. 319.
Abb. 320.
Abb. 320.
Abb. 321.
Abb. 321.
Abb. 322.
Abb. 322.
Quelle:
Röll, Freiherr von: Enzyklopädie des Eisenbahnwesens, Band 10. Berlin, Wien 1923, S. 484-487.
Lizenz:
Faksimiles:
484 | 485 | 486 | 487
Kategorien:

Buchempfehlung

Stramm, August

Gedichte

Gedichte

Wenige Wochen vor seinem Tode äußerte Stramm in einem Brief an seinen Verleger Herwarth Walden die Absicht, seine Gedichte aus der Kriegszeit zu sammeln und ihnen den Titel »Tropfblut« zu geben. Walden nutzte diesen Titel dann jedoch für eine Nachlaßausgabe, die nach anderen Kriterien zusammengestellt wurde. – Hier sind, dem ursprünglichen Plan folgend, unter dem Titel »Tropfblut« die zwischen November 1914 und April 1915 entstandenen Gedichte in der Reihenfolge, in der sie 1915 in Waldens Zeitschrift »Der Sturm« erschienen sind, versammelt. Der Ausgabe beigegeben sind die Gedichte »Die Menscheit« und »Weltwehe«, so wie die Sammlung »Du. Liebesgedichte«, die bereits vor Stramms Kriegsteilnahme in »Der Sturm« veröffentlicht wurden.

50 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Michael Holzinger hat für den zweiten Band sieben weitere Meistererzählungen ausgewählt.

432 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon