Engelmann, Wilhelm

[216] Engelmann, Wilhelm. Friedrich Wilhelm Engelmann in Leipzig begründete 1811 seine Firma, indem er das Sortiment und einen Teil des Verlages von Mitzky & Comp. daselbst erwarb und damit eine Kommissionsbuchhandlung verband, die 1874 an Hermann Fries (seit 1881 mit K. F. Köhlers Kommissionsgeschäft vereinigt) verkauft worden ist. Engelmann pflegte Verlag hauptsächlich auf den Gebieten der schönen Wissenschaften, Theologie, Landwirtschaft etc.

Am 10. Januar 1823 starb Friedrich Wilhelm Engelmann eines plötzlichen Todes. Das Geschäft ging dadurch in den Besitz seiner Witwe, Henriette Wilhelmine geb. Kracht, über, die es durch Prokuristen weiter führen ließ. 1848 gelangte dasselbe in den alleinigen Besitz von Wilhelm Engelmann, dem ältesten Sohne des Begründers; ihm verdankt das Geschäft sein Ansehen und seine Bedeutung.

Wilhelm Engelmann wurde am 1. August 1808 in Lemgo geboren, wohin der Vater von Leipzig aus übergesiedelt war, um die alte 1676 gegründete Meyersche Buchhandlung zu übernehmen. 1810 kehrte er nach Leipzig zurück und gründete hier das Geschäft, dessen großer Ausbau die Lebensaufgabe des Sohnes werden sollte.

W. Engelmann besuchte in Leipzig die Thomasschule, doch war es ihm nicht vergönnt, den vollen Gang eines gymnasialen Unterrichts durchzumachen. Des Vaters frühzeitiger Tod beschleunigte den Eintritt des Sohnes in die buchhändlerische Laufbahn, die er in einer vorzüglichen Schule, in dem Hause des Buchhändlers Th. Chr. Fr. Enslin in Berlin, begann. Er war hier im Kreise der Familie wie zu Hause. In jene Zeit fällt auch die erste Bekanntschaft mit dem berühmten Zoologen C. Th. v. Siebold, die später erneuert und dauernd befestigt wurde, indem Siebold noch im Jahre der selbständigen Geschäftsübernahme Engelmanns mit der Herausgabe der jetzt bis zum 70. Bande gediehenen, in ihrem Fache maßgebenden »Zeitschrift für wissenschaftliche Zoologie« begann. Aus[216] der Lehrzeit nahm Engelmann ferner in die Ausübung seines Berufes eine Thätigkeit mit hinüber, in welcher er Hervorragendes geleistet hat: das ist die Abfassung seiner zum Teil schon von Enslin und auch dem Stuttgarter Buchhändler Löflund begonnenen »Bibliotheken«. Eine Uebersicht dieser bibliographischen Arbeiten zu geben ist Klarlegung der unermüdlichen Thätigkeit Engelmanns von großem Interesse. Wir besitzen von ihm die Bibliothek der schönen Wissenschaften 1815, 1823, 1837, 1846. – Bibliotheca medico-chirurgica et anatomico-physiologica 1816, 1821, 1823, 1826, 1838, 1841, 1848, 1868. – Bibliotheca scriptorum classicorum et graecorum et latinorum 1817, 1820, 1823, 1825, 1831, 1840, 1847, 1853, 1858, 1880. – Bibliotheca paedagogica 1823. – Bibliotheca theologica 1823, 1833. – Bibliothek der Forst- und Jagd-Wissenschaften 1824, 1843. – Bibliothek der Handlungswissenschaft 1824, 1846. – Bibliotheca juridica 1824, 1840, 1849. – Bibliothek der Kriegswissenschaften 1824. – Bibliotheca philosophica 1824. – Bibliotheca architectonica 1825. – Bibliotheca historico-geographica 1825. – Bibliotheca oeconomica 1825, 1841. – Bibliotheca veterinaria 1825, 1843. – Bibliotheca philologica 1826, 1840. – Bibliotheca mechanico-technologica 1834, 1839, 1844, 1850. – Bibliotheca pharmaceutico-chemica 1838. – Bibliotheca orientalis 1840, 1846, 1861. – Bibliotheca medico-historica 1842. – Bibliotheca philologica Nr. 2: Bibliothek der neueren Sprachen 1842, 1850, 1868. – Bibliotheca magica et pneumatica 1843. – Bibliotheca psychologica 1845. – Bibliotheca historico-naturalis 1846 (mit englischem Titel 1847), 1861. – Bibliotheca judaica 1849, 1851. – Bibliotheca biographique 1850. – Bibliotheca mathematica 1854. – Jahresbericht über die im Gebiete der Zootomie erschienenen Arbeiten 1856. – Bibliotheca geographica 1857, 1858. – Daniel Chodowieckis sämtliche Kupferstiche 1857, 1860. – Bibliotheca aegytiaca 1858. – Bibliotheca entomologica 1862, 1863. – Bibliotheca bibliographica 1866.

Von Enslin ging Engelmann in die Heysesche Buchhandlung nach Bremen und erlernte in der Druckerei das Setzen und Drucken.

Von Bremen kam er zu Carl Gerold nach Wien und übernahm dann die Geschäftsführung der Varrentrappschen Buchhandlung in Frankfurt a. M.

In Frankfurt machte Engelmann wiederum eine Bekanntschaft, die für sein späteres Geschäftsleben von ungeahnter Bedeutung wurde, nämlich die des Litteraturhistorikers G. G. Gervinus, dessen[217] Geschichte der deutschen Dichtung, später unter dem Titel »Geschichte der poetischen Nationallitteratur der Deutschen« (4. Ausgabe 1853) epochemachend war. Von 1855-66 erschien bei Engelmann des gleichen Verfassers 8bändige »Geschichte des 19. Jahrhunderts« und noch viele andere Schriften, darunter namentlich noch der anfänglich 4- später 2bändige Shakespeare (4. Aufl. 1872 von R. Genée).

Damit waren Engelmanns Wanderjahre beschlossen; er übernahm nun das vom Vater hinterlassene Geschäft; es war ein Kommissions- und Verlagsgeschäft; die Verlagsartikel waren besonders theologische Werke und Erbauungsschriften, Bücher technischen Inhaltes und einzelne medizinische Werke.

Mit Eifer und rastlosem Fleiß begann Engelmann das etwas zurückgekommene väterliche Geschäft völlig neu aufzubauen, um aus ihm jenen angesehenen Verlag erstehen zu lassen, der an seinem Lebensabend zu den größten, vornehmsten und gehaltvollsten Deutschlands zählte.

Ein anfänglich unternommener Verlag belletristischer Bücher, darunter Brennglas' Berliner Volksleben (1847-51), die Schriften Hoffmann von Fallerslebens, F. Kühnes u. a., trat bald hinter den Unternehmungen zurück, welche aus der Verbindung mit Historikern und Philologen, mit Medizinern und Naturforschern erwuchsen. Gervinus brachte dem jungen Verleger auch die Verbindung mit Professor Georg Weber in Heidelberg, (und somit dessen Allgemeine Weltgeschichte 20 Bände, 2. Aufl. 1882-90), sowie die vielfach aufgelegten geschichtlichen Hand- und Lehrbücher. Der Anstoß zu dem ausgedehnten medizinisch-naturwissenschaftlichen Verlag kam durch eine in Leipzig neu angeknüpfte Verbindung. Engelmann war nämlich mit der Familie des Professors Hasse in Verkehr getreten, der auch seine Frau entstammte. Durch seinen Schwager C. Ew. Hasse trat Engelmann zunächst mit dem später von Leipzig nach Jena berufenen Professor der physiologischen Chemie, Lehmann, in Verbindung; es knüpfte sich daran die Verbindung mit dem Jenenser Professor der Botanik M. J. Schleiden (Die Pflanze und ihr Leben, 1. Aufl. 1848; medizinisch-pharmazeutische Botanik 1852 und eine Reihe weiterer Schriften) und später mit A. Koelliker (Mikroskopische Anatomie 1850-54, Gewebelehre, 6. Aufl. 3 Bände 1889-1902, Entwickelungsgeschichte der Menschen, 2. Aufl. 1879). Von dem unter Engelmann gepflegten technologischen Verlag muß vor allem genannt werden das zeitgemäße »Handbuch für specielle Eisenbahn-Technik, herausgegeben von Edmund Heusinger von Waldegg«[218] (5 Lexikon-Oktav-Bände 1874-82), ferner das großangelegte »Handbuch der Ingenieurwissenschaften« in 5 Bänden (bereits zum Teil in 3. vermehrter Auflage vorliegend).

Zur Bewältigung der Geschäftslast stand Engelmann sein jüngerer Bruder Theodor Engelmann von 1852 bis zu seinem 1876 erfolgten Tode zur Seite.

Auf die Bedeutung des historisch-philologischen Verlages des Engelmannschen Geschäftes sowie auf die Einzelheiten des naturwissenschaftlichen Verlages näher einzugehen, würde zu weit führen. Eine Eigenart des Engelmannschen Verlags muß hier noch angeführt werden, nämlich die Beigabe einer großen Fülle bildlicher Darstellungen nach den besten Reproduktionsverfahren gegeben, wie sie vorher nur ausnahmsweise oder in den Schriften der Akademien und gelehrten Gesellschaften aufgetreten war; namentlich in den Lehr- und Handbüchern erschienen Holzschnitte in solcher Zahl und Ausführung, wie sie für die chemisch-physikalischen Bücher gleicher Richtung bis dahin nur von Vieweg in Braunschweig geliefert waren.

Zu welcher enormen Bedeutung auf dem Gebiete der zoologischen Wissenschaften sowie der Botanik sich Engelmanns Verlag emporgehoben hat, ersieht man am besten aus dem 1894 herausgegebenen Verlagsverzeichnis (Groß-Oktav und 244 S.). Die Engelmann durch die philosophische Fakultät der Universität Jena verliehene Würde eines Ehrendoktors der Philosophie war eine wohlverdiente Auszeichnung.

Durch seinen langjährigen Umgang mit Rudolph Weigel wurde er ein großer Freund der Kupferstichkunst und legte eine wertvolle Sammlung von Stichen nach Raphael an, von der er ein »Beschreibendes Verzeichnis« veröffentlichte. In seinen Besitz kam auch die vielleicht vollständigste Sammlung der Kupferstiche Chodowieckis. 1869 erwarb er von F. A. Fleischmann in München Naglers berühmtes »Künstlerlexikon«, das in zweiter, durchaus umgestalteter Auflage unter Redaktion des Dr. Jul. Meyer leider nur bis zur 36. Lieferung erschien.

Als am 23. Dezember 1878 Wilhelm Engelmann starb, übernahm sein ältester Sohn, Dr. phil. Rudolph Engelmann (geb. am 1. Juni 1841), der seit 1874 als Prokurist und seit 1876 als Teilhaber dem Vater zur Seite stand, die Leitung des Geschäftes, während seine Mutter, Christiane Therese geb. Hasse, Mitbesitzerin wurde.

Am 28. März 1888 starb Dr. Rudolph Engelmann und hinterließ als Erben seines Geschäftsanteils seine Witwe Agathe geb.[219] Schultz (gest. am 6. März 1890) und fünf unmündige Kinder. Dies war die Veranlassung, den seit 1871 im Geschäft befindlichen, von 1879 an als Prokurist thätigen Heinrich Hermann Wilhelm Emanuel Reinicke als Teilhaber aufzunehmen, der seitdem das Geschäft leitet.

Von den neueren Verlagsartikeln von hervorragender Bedeutung seien noch genannt: Ostwalds Klassiker der exakten Wissenschaften, und die seit 1887 erscheinenden »Natürlichen Pflanzenfamilien«, herausgegeben von A. Engler und K. Prantl.

Quellen: Webers illustrierte Zeitung 1869; Börsenblatt für den deutschen Buchhandel 1878; Verlagskatalog 1894; Petzholdts Anzeiger für Bibliothekswissenschaft 1873.

Quelle:
Rudolf Schmidt: Deutsche Buchhändler. Deutsche Buchdrucker. Band 2. Berlin/Eberswalde 1903, S. 216-220.
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