[324] Göschen, G. J. Georg (Jürgen) Joachim Göschen wurde als Sohn eines Bremer Kaufmanns am 22. April 1752 geboren. Mit seinem Vater siedelte er später nach Vlotho in Westfalen über;[324] als aber auch hier des Vaters Geschäft nicht ging, dieser sogar größerer Verluste wegen seine Familie im Stich lassen und fliehen mußte, kam Georg Joachim als 13jähriger Knabe zu Verwandten in Bremen, die ihn unterstützten und bei einem Schulmeister in dem Dorfe Arbergen bei Bremen in Pension gaben. Der dortige Pfarrer nahm sich des wißbegierigen Knaben an und ließ ihn an dem Unterricht, den er seinem Sohne gab, teilnehmen. In seinem 15. Jahre kam Göschen zu Klopstocks erstem Verleger, dem Buchhändler Heinrich Cramer in Bremen in die Lehre, ging dann zu dem berühmten S. L. Crusius in Leipzig, bei dem er 13 Jahre verblieb. 1783 trat Göschen als Faktor in die »Buchhandlung der Gelehrten« in Dessau ein.
Die Geschichte der Gelehrten-Buchhandlung in Dessau ist ebenso interessant wie lehrreich. Es sei hier nur kurz Folgendes mitgeteilt:
Als Urheber des Plans zu einer allgemeinen Buchhandlung der Gelehrten wird Magister Karl Christoph Reiche genannt. Nachdem er alle Vorbereitungen getroffen, publizierte er unter dem Titel »Nachricht und Fundations-Gesetze von der Buchhandlung der Gelehrten, die in der Fürstl. Anhalt. Residenzstadt Dessau errichtet ist« 1781 die Grundsätze seines Unternehmens. Darin heißt es: »Wir haben nemlich in der Fürstlich-Anhaltischen Residenz-Stadt Dessau unter der speziellen Aufsicht des Hochfürstl. Hofraths, Herrn Leopold Hermann, auch des Hochfürstl. Justiz-Beamtens, Herrn Amts-Raths de Marées eine Buchhandlung der Gelehrten aufgerichtet, an welche unter der Adresse: »An die Buchhandlung der Gelehrten in Dessau«, jeder Gelehrte, der die Früchte seines Fleißes völliger als bisher genießen will, die Auflage seines Werks, die er auf seine Kosten machen lassen, nach seinem eigenen Belieben, ganz oder auch zum Theil, jedoch auf seine Kosten, zum Verkaufe senden kann, und die auch, wenn ein Gelehrter sein Manuskript und Geld zum Druck und zum Papier einsendet, den Abdruck des Manuskripts, genau in dem Format, mit den Lettern, und auf solch Papier, als der Gelehrte vorgeschrieben hat, ohne dem Gelehrten für die Bemühung etwas anzurechnen, auf das bestmöglichste besorgen soll.« Die eigentliche Thätigkeit des Instituts begann 1781 mit der Veröffentlichung der »Berichte der Buchhandlung der Gelehrten«, die bis 1784 in jährlich 12 Stücken erschienen. Die Entwickelung der Buchhandlung läßt sich an der Hand der in diesen Berichten gegebenen Mitteilungen genau verfolgen. Für den Verlagsvertrieb suchte man auch den Buchhandel zu gewinnen und offerierte ihm 27%; Reiche selbst[325] versuchte mehrmals auf der Leipziger Messe Anschluß an den Buchhandel zu gewinnen, dieser aber verhielt sich ablehnend. Auch einen tüchtigen Fachmann zur Leitung des Unternehmens zu erhalten, war schwer, denn es war ein Geschäft, in das »kein tüchtiger Buchhandlungsdiener gehen wollte, indem er mit anderen den Untergang des Geschäfts befürchtete, und nach demselben gar nicht sahe, was er machen, und wie er sich wieder zu Männern würde wenden dürfen, die er zuvor durch seinen Zutritt zu der Buchhandlung der Gelehrten erzürnen konnte«. Infolge Vorstellung von Kollegenseite legte auch der Leipziger Kommissionär die Vertretung nieder und Magister Reiche sah sich veranlaßt, selbst einen Landen in Leipzig zu errichten. Während im ersten Jahre von der Handlung 150 Schriften übernommen bezw. neu herausgebracht wurden, hatte das zweite Geschäftsjahr 200 Neuerscheinungen aufzuweisen. So hatte Reiche durch seinen Eifer den Grund zu einem großartigen und auch entwickelungsfähigen Geschäfte gelegt und 1784 wird berichtet, daß die »Handlung dermaßen einen glücklichen Fortgang nahm, daß sich die Geschäfte in ihr täglich mehrten und die besten Folgen für die Autoren zu erwarten standen«. Trotzdem verzichtete Reiche nach vierjähriger Thätigkeit auf die Fortführung der Geschäfte, denn er hatte zuviel fruchtlose Mühe mit den nicht zu bessernden Autoren.
Ueber die Geschäftsthätigkeit, den Debit und die Verlagsproduktion der Gelehrtenbuchhandlung finden sich nähere Mitteilungen in den von 1781-1784 erschienenen Monatsberichten, auf die hier des geringen Raumes wegen leider nicht eingegangen werden kann.
In engem Zusammenhange mit der Gelehrtenbuchhandlung stand die »Verlagskasse für Gelehrte und Künstler in Dessau«, die bestimmt war, unbegüterten Autoren nicht nur die Verlagskosten, sondern unter Umständen auch bares Geld vorzustrecken. Wurde das Manuskript zur Veröffentlichung angenommen, so empfing der Verfasser 55% des Ladenpreises (bei Vorschuß prozentualiter weniger), wovon allerdings die Verlagskosten noch abgingen. Bezeichnend ist, daß die Gesellschaft sich das Recht wahrte, daß sie jede Schrift, von der in drei aufeinanderfolgenden Jahren nicht mehr als fünf Exemplare abgesetzt wurden, als Makulatur erklären konnte. Aus den vorhandenen Berichten ist zu ersehen, daß die Verlagskasse 129 Schriften in dieser Weise veröffentlicht und durch die Gelehrtenbuchhandlung vertrieben hat.
Im 6. Stück des Jahrgangs 1783 der Berichte ist der Unterschied zwischen beiden Unternehmungen wie folgt bezeichnet: »Die[326] Verlagskasse ist mit der Buchhandlung der Gelehrten zwar verbunden, aber auch von ihr nicht wenig unterschieden, denn die Verlagskasse druckt die Werke der Autoren auf ihre, der Verlagskasse, Kosten, und dies thut nicht die Buchhandlung der Gelehrten, die den Abdruck der Werke der Autoren, wenn sie es fordern, zwar besorgt, aber auf Kosten der Autoren und nicht wie die Verlagskasse, auf eigene. Die B. d. G. giebt auch den Autoren die vollen 2/3 des Ladenpreises, den der Autor bestimmt, oder von jedem Thaler, den das Buch kosten soll, 16 Gr., mithin von 100 Rthlr. 662/3%, die V. aber giebt, weil sie Kapitalia riskiert, nur 55%. Die B. d. G. verkaufet endlich auch die sämmtlichen Werke der V., und giebt ihr wie den Autoren 662/3%. Die V. aber befasset sich nur mit Subskriptionen auf ihre eigenen Werke, verkauft ihre eigenen Werke, nach Verlauf der Subskriptionszeit, nicht selbst, sondern nur durch die B. d. G., und befaßt sich garnicht mit dem Verkauf der übrigen Werke dieser Buchhandlung.«
Mit dem Jahre 1787 ist das Dessauer Unternehmen wegen finanzieller Schwierigkeiten eingegangen.
Ein Zirkular Göschens vom Februar 1785, nachdem er nach Leipzig übergesiedelt war, besagt, daß er sich entschlossen habe, »mit dem Kommißionsgeschäfte der Buchhandlung der Gelehrten anzufangen« und so nach und nach seine eigene Handlung zu gründen. Pekuniär unterstützte ihn in Anfange sein Freund, der spätere Dresdener Oberkonsistorialrat C. G. Körner, mit dem er einen Sozietätsvertrag schloß, den er aber infolge seiner immer günstiger sich gestaltenden Verhältnisse schon 1787 wieder aufheben konnte. Göschen entfaltete nun eine überaus rege Thätigkeit; im Ostermeßkatalog 1785 zeigte er bereits sechs Verlagsartikel an. Unter seinen ersten hervorragenden Verlagsartikeln befanden sich Schriften von Wieland, Bode, Musäus und von 1787-91 brachte er die erste Gesamtausgabe von Goethes Schriften in 8 bezw. 4 Bänden heraus. Sein Entschluß, eine Gesamtausgabe Wielandscher Werke auf den Markt zu bringen, die geschmackvoll und schön gedruckt nach Didotschem Muster hergestellt werden sollte, führte ihn, da nur Unger in Berlin Didotsche Lettern führte, zur Gründung einer eigenen Druckerei, die er 1797 nach Grimma verlegte, da ihm dort größere Freiheiten garantiert wurden. Als Korrektor dieser Druckerei fungierte u. a. auch Johann Gottfried Seume, von dem Göschen drei Schriften, darunter »Mein Leben« 1813 publizierte. Ostern 1823 verlegte Göschen auch seine Buchhandlung von Leipzig nach Grimma, die Leitung der[327] Druckerei übergab er seinem ältesten Sohne Carl Friedrich Göschen (geb. 28. 6. 1790); sie wurde 1828 von ⇒ Georg Andreas Reimer in Berlin käuflich erworben.
Mit unseren großen Klassikern ist der Name Göschen unlöslich verbunden. Bei Göschen erschienen von Schiller: Don Carlos 1787; Der Geisterseher 1789; Geschichte des 30jährigen Krieges, die Schiller auf Göschens Aufforderung verfaßte, 1791-93 in dem »Historischen Kalender für Damen«; die Zeitschrift »Thalia« später »Neue Thalia« 1786 uff. Die »Horen« in Verlag zu nehmen, hat Göschen abgelehnt, trotzdem er, wie er selbst bekundet, an Schillers Werken viel verdiente. Von Goethe hat Göschen außer der schon erwähnten Gesamtausgabe Rameaus Neffe, 1805, verlegt. Klopstock ist mit seinen Oden, 1787, und mit vier Ausgaben seiner Gesammelten Werke, 1798, vertreten. Lessings Schriften übernahm Göschen aus dem Verlag der Voßschen Buchhandlung in Berlin. Das umfänglichste und auch kostspieligste Unternehmen Göschens, wegen dessen er auch in einen Prozeß mit Weidmann verwickelt wurde, da letzterer nicht gestatten wollte, daß die bei ihm erschienenen 17 Schriften Wielands in die Gasamtausgabe mit aufgenommen werden sollten, war die Herausgabe der sämtlichen Werke Wielands in vier Ausgaben, 36 Bände und 6 Supplementbände, Prachtausgabe in groß Quart mit Kupfern und Vignetten (1794 bis 1802) auf geglättetem Velinpapier zu 250 Rth.; die Großoktavausgabe kostete 125 Rth., die Taschenausgabe 112 Rth. 12 Gr. und die gewöhnliche Ausgabe (45 Bände) 27 Rth. Mit dem Jahre 1818 beginnend, gab dann Wielands Biograph J. G. Gruber eine 53bändige Oktavausgabe mit einer angehängten zweibändigen Biographie des Dichters heraus. Einzelne Schriften Wielands hatte Göschen schon von 1789 an verlegt. Weiter sind von seinen Autoren außer dem schon erwähnten ⇒ Bode (von diesem übernahm er 14 Verlagswerke) zu nennen: A. W. Iffland (dramatische Werke, 16 Bände 1798-1802), M. A. von Thümmels Werke, Fr. Kind, E. von Houwald, C. W. Hufeland, Fr. H. Jacobi, Alxinger, A. Müllner, A. von Steigentesch, L. F. Huber, J. Fr. Jünger. Gegen die Nachdrucker kannte er keine Schonung, wie folgende Anzeige im Intelligenz-Blatt zu dem »Journal des Luxus und der Moden, herausgegeben von Bertuch und Kraus, Weimar und Gotha, 2. Jahrg. 1787« beweist: Christian Gottlieb Schmieder in Carlsruhe hat die beispiellose Bosheit begangen und 6 neue Bücher aus meinem Verlage auf einmal nachgedruckt. Ich[328] klage diesen Menschen hiermit öffentlich eines unerhörten Raubes an und warne Jedermann, der so unglücklich ist, mit ihm in Geschäften zu stehen oder in Verhältnisse zu kommen, sich für diesem Bösewicht wohl in Acht zu nehmen. Ein Mann ohne Redlichkeit, ohne Ehre, ohne Gewissen ist der gefährlichste Mensch in jedem Verhältnisse des Lebens. Ich hoffe, daß jeder redliche Buchhändler gegen diese That den größten Unwillen fassen wird. Sollte sich aber Jemand mit dem Verkaufe dieser Nachdrücke beschmutzen, so werd' ich, sobald ich Beweise davon erhalte, ihn in öffentlichen Blättern als Helfershelfer und Mitgenossen dieses Diebes nennen. G. J. Göschen, Buchhändler in Leipzig.«
Göschen selbst war ein eifriger Schriftsteller, namentlich hat er eine große Anzahl von Erzählungen geschrieben, die sich in verschiedenen Zeitungen zerstreut finden und meistens anonym erschienen sind. Seine erste selbständige Schrift war die 1793 im eigenen Verlage erschienene, anonym herausgegebene »Reise von Johann«, in der er seine 1792 nach der Schweiz und Süddeutschland unternommene Reise schildert; ihr folgte 1800 das Lustspiel »Zweymal sterben macht Unfug«; 1802 die Oktavbroschüre »Meine Gedanken über den Buchhandel«. Die in seinem Verlage erschienenen Zeitschriften »Die Sonntagsstunde« 1813 und »Amerika, dargestellt durch sich selbst« redigierte er selbst. Er begründete 1813 in Grimma ein »Wochenblatt für Stadt und Land«, das von ihm bis zu seinem am 5. 4. 1828 erfolgten Tode redigiert wurde.
Nach Göschens Tode wurde das Geschäft von seinem jüngsten Sohne Hermann Julius Göschen für Rechnung der Erben fortgeführt, 1832 jedoch wieder nach Leipzig verlegt; 1838 ging die Handlung in den Besitz der J. C. Cottaschen Buchhandlung und Louis Roth in Stuttgart über, die sie 1868 an Ferdinand Weibert (geb. 6. 1. 1841) abtraten. Dieser führte u. a. dem Verlage die Schriften von Gottfried Keller (jetzt Verlag der Besserschen Buchhandlung bezw. Cotta in Berlin), Ferdinand Freiligrath, Eduard Mörike, des Freiherrn von Ditfurth, Conr. Beyer (Deutsche Poetik), Georg Herwegh und Schönaich-Carolath zu. Weibert selbst gab unter dem Pseudonym Wilhelm Stein 2 Bände Gedichte heraus, einen davon, »Us'm Neckerdhal«, in schwäbischer Mundart. 1889 verkaufte Weibert das Geschäft an Adolf Nast, vordem Besitzer der J. B. Metzlerschen Sortimentsbuchhandlung in Stuttgart. Adolf Nast hat den Verlag hauptsächlich nach der litteraturgeschichtlichen Seite hin ausgebaut und ihm namentlich[329] folgende Werke zugebracht: Sammlung Göschen, in ihrem Ausbau (gegenwärtig 168 Bändchen) ein Repertorium sämtlicher Disziplinen in mustergiltiger Darstellung auf denkbar knappstem Raum, von hervorragendsten Kapazitäten verfaßt; Jahresberichte für neuere deutsche Litteraturgeschichte, 1892 uff. (diese, sowie ein weiterer Teil des litteraturwissenschaftlichen Verlages wurden 1898 an ⇒ B. Behrs Verlag in Berlin abgetreten); Deutsche Litteraturdenkmale, herausgegeben von B. Seuffert, später von A. Sauer (erworben 1890 aus dem Verlag von Gebrüder Henninger in Heilbronn); Munckers Klopstockbiographie, Brahms Stauffer-Bern; Schriften von Isolde Kurz, Prof. Th. Ziegler (Die soziale Frage eine sittliche Frage 1891; Der deutsche Student am Ende des 19. Jahrhunderts, 1895 u. a.), M. Bernays, C. Flaischlen u. a. Seit 1894 erscheint auch Joseph Kürschners Deutscher Litteraturkalender bei Göschen.
Seit 1896 befindet sich die G. J. Göschensche Verlagshandlung im Besitze von Wilhelm Crayen, der sie wieder nach Leipzig, ihrem Ausgangspunkte, verlegte. Crayen hat den Verlag weiter ausgedehnt, eine Reihe von Verlagswerken allerdings auch in fremde Hände übergehen lassen. Unter ihm sind inzwischen neben dem Ausbau der Sammlung Göschen u. a. erschienen: Die mathematische Bibliothek: Sammlung Schubert; G. W. Maischs Hausaltar 1897 u.s.w.
Quellen: Lorenz, Zur Erinnerung an G. J. Göschen, Grimma 1861; Pierers Universallexikon, 2. Auflage; Börsenblatt für den deutschen Buchhandel, 1871, 1874 und 1885; Verlagskatalog 1902; Porträt Göschens in Schulz, Adreßbuch f. d. Deutschen Buchhandel 1854; Berichte der allgemeinen Buchhandlung der Gelehrten 1781-84; Buchner, Zur Geschichte des Selbstverlags der Schriftsteller, Gießen 1874; Meyer, Die genossenschaftlichen und Gelehrten-Buchhandlungen des 18. Jahrhunderts, Leipzig (vergl. auch die im Artikel angegebenen Quellen); eine ausführliche Biographie Göschens soll angeblich der englische Minister Goschen vorbereiten.
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