[319] Giesecke, H. F. [und A. Devrient]. Hermann Friedrich Giesecke, geboren 9. 4. 1831 zu Leipzig als Sohn von Christian Friedrich Giesecke, des Mitbegründers der bekannten, seit 1819 bestehenden Schriftgießerei und Buchdruckmaterialienfabrik J. G. Schelter & Giesecke in Leipzig und Alphonse Devrient, geboren 21. 1. 1821 zu Leipzig als Sohn des Gründers der ersten chemischen Fabrik Deutschlands (in Zwickau) J. E. Devrient gründeten am 1. Juni 1852 in Leipzig das ihren Namen tragende typographische Institut Giesecke & Devrient. Ursprünglich als Buchdruckerei für die Zwecke buchhändlerischen und kaufmännischen Bedarfes errichtet, hat sich die Firma Giesecke & Devrient aus kleinen Anfängen zu dem Umfange und der Bedeutung entwickelt, die sie jetzt infolge ihrer Leistungen in der ganzen Welt einnimmt.
An die Buchdruckerei gliederten sich im Laufe der Zeit Abteilungen fast sämtlicher Zweige der graphischen Technik an, sodaß zur Zeit außer manchem Nebenzweig geringerer Bedeutung folgende Gebiete graphischer Thätigkeit von der Firma gepflegt werden: Setzerei, Buchdruckerei, Stereotypie, Galvanoplastik, Gravieranstalt, Lithographie, Steindruckerei, Kartographie, Kupferstich, Kupferdruckerei, Photographie, Reproduktionsanstalt und Buchbinderei.
Zur Zeit ihres 50jährigen Bestehens, am 1. Juni 1902, beschäftigte das Welthaus ein Personal von etwa 500 Köpfen in seinen in Leipzig, Nürnbergerstraße 12, gelegenen Fabrikgrundstücken. Die Grundfläche der dem Betriebe dienenden Räumlichkeiten beträgt zur Zeit 11500 qm. 51 Schnellpressen, 40 Buch- und Steindruckhandpressen, 15 Tiegeldruckpressen, 1 Kupferdruckschnellpresse, 18 zum Teil mit Kraftantrieb versehene Kupferdruckpressen, sowie etwa 150 Hilfsmaschinen sind in der Offizin in Thätigkeit.
Seinen Weltruf verdankt das typographische Institut von Giesecke & Devrient in erster Reihe der von ihm schon seit den ersten Jahren seines Bestehens gepflegten Spezialität, der Anfertigung von Geld- und Wertpapieren aller Art. Vermittelst besonderer von ihm ersonnener, ganz eigenartiger Verfahren und unter Benutzung der vorzüglichsten Materialien ist es dem Institut gelungen, unter Wahrung eines geschmackvollen, künstlerischen Eindruckes die hauptsächlichste, an ein Wertpapier zu stellende Anforderung, die der Unnachahmbarkeit, in denkbar vollkommenster Weise zu erfüllen. Ein weiteres Spezialgebiet der Firma ist das der Kartographie, besonders die Anfertigung topographischer und geologischer Spezialkarten und Stadtpläne in Kupferstich und Lithographie bezw. beide[319] Verfahren kombiniert. Auch auf diesem Gebiete erfreuen sich die Leistungen des Instituts voller Anerkennung, wie die Uebertragung der Herstellung zahl- und umfangreicher offizieller deutscher und ausländischer Karten (von Sachsen, Baden, Hessen, Württemberg, auch Preußen, Belgien, Java, Rheinstrom-, Elbstrom-Flötzkarten; Plänen von Dresden, Leipzig, Chemnitz, Bochum, M.-Gladbach, Krefeld, Rio de Janeiro u.s.w.) beweisen. Daneben treten jedoch die Leistungen der übrigen Abteilungen des Instituts in keiner Weise zurück. Wie schon die mustergiltige Ausführung der ersten Arbeiten eine Reformation der damals in Deutschland herrschenden Geschmacksrichtung veranlaßten, so errang sich die Firma auch während ihres weiteren Bestehens unbestrittene Erfolge durch die technisch vollkommene, Herstellung und die einen geläuterten Geschmack verratende Ausstattung aller Erzeugnisse ihrer Pressen, seien es Accidenzen für Privat- oder kaufmännischen Bedarf in Buch-, Stein- oder Prägedruck, oder Chromos oder Kunstblätter in Lithographie, Kupferstich, Heliogravüre u.s.w.
Besonderer Erwähnung verdienen die Leistungen der Firma auf dem Gebiete des Kunstdruckes, vor allem auf dem für Prachtwerke, eigenen und fremden Verlages. Als hervorragende und aufsehenerregende Leistungen angesichts des damaligen Standes des Buchdruckgewerbes seien hervorgehoben: Bibliorum Codex Sinaiticus Petropolitanus (1862), die typographische Faksimilereproduktion der ältesten und schönsten, von Prof. C. von Tischendorf auf dem Sinai entdeckten Bibelhandschrift. Hieran schlossen sich noch eine Anzahl weiterer Veröffentlichungen des bekannten Bibelforschers wie Monumenta sacra palimpsesta, Novum Testamentum Vaticanum u.s.w. Als lithographisches Meisterwerk damaliger Zeit sei genannt Zeit sei genannt die Herstellung der Tafeln des bekannten Papyrus Ebers (Verlag von Wilhelm Engelmann in Leipzig). Im Jahre 1885 wurde für Emilio Biel in Porto die große portugiesische Jubiläumsausgabe des Heldenepos Os Lusiadas von Luis de Camoes hergestellt, die mit Hilfe von Stahl- und Kupferstich- und Druck, Holzschnitt, Buchdruck, Lithographie und Steindruck und unter Heranziehung erster Künstler (Begas, Liezen-Mayer, Kostka, Gnauth, L. Burger u.s.w.) ausgeführt wurde und als graphisches Kunstwerk allerersten Ranges anerkannt worden ist. In den letzten Jahren ist der früher ausgedehntere Werkdruck für fremden Verlag ziemlich zurückgetreten, doch ist auch jetzt noch jedes, die Pressen des Institutes verlassende Werk ein Zeichen, welche Sorgfalt[320] auf eine vollkommene graphische Ausführung in allen Teilen verwendet wird. Es sei diesbezüglich an die Publikationen des Verlags Cosmos in Berlin-Leipzig erinnert, die Werke: Die Nordlandsfahrt der Augusta Victoria; Aegypten; Das Reichstagsgebäude; Mathesius, Englische Baukunst; Ricci, Corregio und Kristeller, Mategna.
Die Aufnahme der eigenen verlegerischen Thätigkeit der Firma datiert seit dem Jahre 1858 (Böttger, Buch der Sachsen). An die Uebernahme des Vertriebes des oben genannten Bibl. Codex Sinaiticus Petropolitanus schloß sich dann die Verlagsübernahme einiger weiterer Werke Prof. C. Tischendorfs wie Novum Testamentum Vaticanum, Die Sinaibibel, Haben wir den echten Schrifttext der Apostel? u.s.w.; sowie diejenige des großen im Auftrage der sächsischen Staatsregierung herausgegebenen Urkundenwerkes: Codex diplomaticus Saxoniae Regiae, von dem bis 1902 bereits 23 Bände im Preise von 648.20 Mk. erschienen sind. Ferner seien von älteren Verlagswerken genannt: Posse, Die Markgrafen von Meißen und das Haus Wettin bis zu Konrad dem Großen; Die Siegel der Wettiner und der Landgrafen von Thüringen (2 Bde.); Die Wettiner Genealogie des Gesamthauses Wettin; Ermisch, Das Sächsische Bergrecht des Mittelalters; Das Freiberger Stadtrecht.
Die größere Ausdehnung des Verlages ist jüngeren Datums. Als hervorragende Publikationen sowohl in wissenschaftlicher Beziehung, als auch hinsichtlich ihrer Ausstattung gelten u. a.: Furtwängler, Meisterwerke der griechischen Plastik; Die antiken Gemmen; Haseloff, Codex Purpureus Rossanensis 1898, als Ergebnis der neuzeitlichen Untersuchungen über diese griechische Evangelien-Handschrift, deren Entdeckung u.s.w. in dem bereits 1880 im gleichen Verlage erschienenen von Gebhardt & Harnack herausgegebenen Evangeliorum Codex Graecus Purpureus Rossanensis der gelehrten Welt bekannt gegeben worden war; Lincke, Correspondenzen aus der Zeit der Ramessiden; Baumgarten, Untersuchungen und Urkunden über die Camera Collegii Cardinalium; Sauer, Das sogenannte Theseion; Ehrenberg, Die Kunst am Hofe der Herzöge von Preußen; Wilckens, Tafeln zur älteren griechischen Paläographie; Griechische Ostraka aus Aegypten und Nubien; Leist, Die Notariats-Signete; Seydel, Für S. M. den deutschen Kaiser angefertigte Kunstmöbel und Bronzen; Spiegelberg, Demotische Papyrus aus den Königl. Museen zu Berlin u.s.w. Seit 1897 erscheint jährlich in reicher illustrativer Ausstattung das Hohenzollern-Jahrbuch, herausgegeben von Prof. Dr. P. Seidel, bestimmt, einen Mittelpunkt zu bilden für die bisher überall verstreuten[321] Forschungen über die Geschichte der Hohenzollern und ihre Thätigkeit für den Staat. Schließlich sei erwähnt, daß der Firma gelegentlich der Pariser Weltausstellung 1900 der Druck und Verlag von Seidel, Französische Kunstwerke des XVIII. Jahrhunderts im Besitze S. M. des deutschen Kaisers (in deutscher und französischer Ausgabe) anvertraut wurde, eines Werkes, das bei seinem Erscheinen in Kennerkreisen großes Aufsehen erregte und wohl eines der hervorragendsten Prachtwerke ist, das in den letzten Jahren deutsche Pressen verlassen hat.
Von den beiden Gründern der Firma ist A. Devrient bereits am 21. 4. 1878 einem Herzschlage erlegen. Hermann F. Giesecke, infolge seiner vielfachen Verdienste mit Ordensauszeichnungen von Sachsen, Preußen, Belgien, Portugal bedacht und im Jahre 1891 zum Königl. Sächs. Kommerzienrat ernannt, hat ihn um fast 23 Jahre überlebt; am 31. 12. 1900 hat er sein erfolgreiches Dasein beschlossen.
Die derzeitigen Inhaber der Firma sind ein jüngerer Teilhaber, ein Neffe des Mitbegründers der Firma, Alphonse Devrient (jun.) geboren 3. Juli 1861 ist bereits am 8. 10. 1899 verstorben K. S. Geheimer Kommerzienrat Dr. Bruno Giesecke, geboren 14. 9. 1835, seit 1867; Raimund Giesecke, geboren 15. 1. 1856, seit 1899; Johannes Giesecke, geboren 20. 1. 1871, seit 1900. Ein Zweiggeschäft besteht seit Dezember 1889 in Berlin, Behrenstraße 5.
Quellen: Originalmitteilung; vergl. auch Allgemeine Zeitung 1878; Börsenblatt für den deutschen Buchhandel 1901; Brockhaus Konversationslexikon, 14. Auflage; das Etablissement von G. & D., Leipzig 1862; Deutscher Buch- und Steindrucker, 1902.
Brockhaus-1837: Schröder-Devrient
Brockhaus-1911: Giesecke & Devrient · Schröder-Devrient · Devrient
DamenConvLex-1834: Devrient-Schröder, Wilhelmine · Devrient-Böhler, Dorothea · Devrient, Ludwig
Herder-1854: Schröder-Devrient · Devrient
Meyers-1905: Giesecke · Schröder-Devrient · Devrient
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